Alfred Brendel ist 80

  • Gespannt war ich, ob jemand auf den achtzigsten Geburtstag von Alfred Brendel reagieren würde. Und siehe: Es ist geschehen. Danke, lieber mucaxel!


    Alfred Brendel gehört zu den beiden interpretierenden Künstlern, denen ich hinterhergereist bin. Der andere ist Dietrich Fischer-Dieskau. Und beide haben für mich etwas ganz Wesentliches gemeinsam: Eine ungewöhnlich hohe künstlerische Intelligenz!


    Wenn man Brendel im Konzertsaal erlebt hat, dann begegnete man einem Interpreten, bei dem das musikalische Werk niemals als fertig einstudiertes Produkt erschien. Man hatte das Gefühl, einem Sucher zu folgen, der sich in diesem Augenblick ganz in das Werk vertieft, um es in seinem musikalischen Dimensionen bis in die subtilsten Feinheiten hinein auszuloten. Von seiner Fähigkeit des Piano- und Legato-Spiels will ich gar nicht reden. Das können andere große Pianisten auch. Wohl aber ist seine Klangsensibilität ganz außergewöhnlich. Die habe ich in dieser Form nur noch ein einziges Mal in einem Konzertsaal in ähnlicher Form hören und erleben können: bei Vladimir Horowitz.


    Für mich ist Alfred Brendel der bedeutendste Schubert-Interpret, den ich kenne. Gerade diese Fähigkeit der interpretierenden Versenkung in die klangliche Struktur eines Werkes macht ihn zum geborenen Schubert-Interpreten. In seinem Buch "Nachdenken über Musik" ( wie Fischer-Dieskau reflektiert er auch seine Tätigkeit in höchst gescheiter Weise!) schreibt er über Schuberts Sonaten:


    "In Beethovens Sonaten verlieren wir nie die Orientierung, sie rechtfertigen sich selbst in jedem Augenblick. Schuberts Sonaten ereignen sich auf eine rätselhafte Weise; um es österreichisch zu sagen: sie passieren."


    Damit kann das Wesen des Pianisten Alfred Brendel auf den Punkt gebracht werden:


    Es versteht es wie kein anderer, uns an diesem "Passieren" teilhaben zu lassen.

  • Ich möchte darauf hinweisen, dass es aus diesem Anlass in der Reihe "Die Musikstunde" des SWR 2, die täglich (außer sonntags) in der Zeit von 9.05 - 10.00 Uhr ausgestrahlt wird und grundsätzlich für jeden Musik-Interessierten zu empfehlen ist, von Montag bis gestern 3 Sendungen zu Alfred Brendel gab, deren Manuskripte und Podcasts beim SWR angefordert bzw. zum Nachhören heruntergeladen werden können. Es waren höchst interessante und informative Sendungen, die auch für einen musikalischen Laien verständlich und nachvollziehbar waren (also ohne wissenschaftlichen Schnickschnack), ohne ins Triviale abzugleiten. Besonders schön fand ich, dass auch die musik-literarische Begabung Brendels gebührende Erwähnung fand und er selbst auch mit einigen kurzen Textpassagen zu Wort kam - einfach köstlich sein tiefgründiger (und selbstironischer österreichischer) Humor. Wer sein oben genanntes Buch "Nachdenken über Musik" noch nicht kennt, sollte es sich schnellstmöglich besorgen.


    @Zitat Helmut Hofmann: "Für mich ist Alfred Brendel der bedeutendste Schubert-Interpret, den ich kenne."


    Für mich auch, und dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Auch ich entbiete (und diesen Ausdruck verwende ich ganz bewusst) Alfred Brendel zu seinem Geburtstag die besten Wünsche.


    Grüße, harry

  • Zitat harry:


    "...und dem ist nichts mehr hinzuzufügen."


    Wie schade!


    Wäre es nicht schön und reizvoll, der Frage nachzugehen, warum das so ist? Warum man der Meinung sein kann, dass Brendel zu den bedeutendsten Schubert-Interpreten gehört, wenn er nicht sogar der bedeutendste der Gegenwart überhaupt ist? Was zeichnet sein Schubert-Spiel aus?


    Vielleicht gibt es ja Taminoaner/innen, die das ganz anders sehen?

  • Werte Leser,


    bemerkenswert ist auch das Interview in der Zeit zu seinem Geburtstag. Er lässt ja kein gutes Haar an Kritikern und warnt ausdrücklich davor, junge Interpreten gleich kaputt zu kritisieren. Außerdem denkt er eher schlecht über das Internet, besonders, wie im selbigen geschrieben wird. Vielleicht sollten wir uns alle mal an die eigene Nase packen?


    Viele Grüße Thomas

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  • Zitat

    Zitat von Helmut:


    ...Was zeichnet sein Spiel aus?

    Ich hatte schon die Beethovenschen Klavierkonzerte mit ihm und James Levine angeschafft, weil ich schon seit den 70er Jahren Einiges über ihn gelesen hatte.
    Richtig ihm nahegebracht hat mich jedoch ein Erlebnis, das ich vor vielen jahren des Samstagsmorgens im Auto hatte, als ich im Radio ein wunderschönes Stück hörte von etwa 10 Minuten Dauer. Ich hatte aber nicht gehört, von wem es war und wer es spielte.
    Als ich inzwischen in meiner Garage angekommen war, hörte ich das Stück (auf WDR 3) zu Ende und erfuhr, dass es Alfred Brendel gewesen war, der hier das Impromptu Nr. 1 f-moll D.935 von Franzs Schubert gespielt hatte. Bereits am nächsten Tag legte ich mir die entsprechende CD zu:



    In der Folge kaufte ich mir alles, was Brendel von Schubert eingespielt hatte und erfuhr so allmählich, was mich an seinem Schubertspiel so faszinierte. Es packte mich, jagte mir Schauer über den Rücken. Hier spürte man, dass hier einer war, der unterwegs war in einem faszinierenden musikalischen Kosmos und uns immer neue Wunder zeigte. Das f-moll-Impromptu ist heute noch eines meiner absoluten Lieblingsstücke von Schubert.


    Seit 2001 habe ich auch alljährlich das Brendel-Konzert in Köln besucht und in seinem Abschiedsjahr auch noch die Konzerte in Flensburg und Berlin.
    Anlässlich eines Konzertes vor einigen Jahren in Köln spielte er auch das f-moll-Impromptu. Und da waren nicht nur wieder die Schauer, sondern seit vielen vielen Jahren musste ich zum ersten Mal wieder weinen und ich ließ meinen Tränen freien Lauf. Seitdem war Brendel für mich ein ganz Großer, vielleicht der größte, noch lebende Pianist.


    Liebe Grüße


    Willi :rolleyes:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Ich habe eine DVD in meinem Player, die Alfred Brendels Rang als Schubert Interpret belegt. Er spielt die Sonaten in A-dur D 959 sowie die Sonate in B-dur D 960. Sie stammt aus einer fünfteiligen Reihe:


    Alfred Brendel plays and introduces Schuber's late piano works, erschienen beim Label medici arts im Jahr 2007.


    Für den Fernsehsender Radio Bremen hatte Alfred Brendel Mitte der Siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts eine Reihe zu den späten Klaviersonaten Schuberts aufgenommen. Zu jeder Sonate gibt er eine kurze Einführung und erläutert die musikalischen Strukturen und die Bedeutung der Komposition: blitzgescheit und den Kern der Sache treffend. Daran anschliessend spielt er die Sonaten.


    Hier ein Beispiel, wie Alfred Brendel den 2. Satz der A-dur Sonate kommentiert:


    "Schubert ist der Entdecker des Fiebers in der Musik. Im zweiten Satz der grossartigen A-dur Sonate, die er wie die Sonaten in c-moll und B-dur kurz vor seinem Tod komponiert hat, findet sich das erstaunlichste Beispiel dieser musikalischen Fieberschauer. Nicht Explosionen des Zorns, Gewitter oder Hagelwetter brechen über den Hörer herein wie in Beethovens frühen Rondos. Bei Schubert umwölkt sich nicht der Himmel, sondern das Bewusstsein. Schreckensvisionen führen uns an den Rand des Wahnsinns, denn sie erinnern mich daran, dass der Maler Goya im gleichen Jahr wie Schubert verstorben ist. Die Musik gibt hier nicht Chaos wieder, sie darf, so scheint es, im Mittelteil des Andantes der A-dur Sonate Chaos sein, soweit die damalige Situation der Musik ihre Bindung an die Funktionsharmonik es zuliess. Diesen Grad von Anarchie hat vielleicht erst Schönberg im dritten Klavierstück aus opus 11 übertroffen..." Dann analysiert Brendel auch für den Laien verständlich die musikalische Struktur und würdigt die ausserordentliche Stellung Schuberts als Komponist..


    Wer das Klavierspiel Alfred Brendels schätzt und den Sonaten Schuberts zugetan ist, sollte sich diese DVD Reihe anschaffen.


    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




    Einmal editiert, zuletzt von moderato ()

  • Hier die Verlinkung der erwähnten Schubert-DVD Kassette zum Tamino-Werbepartner.



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    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Hi


    Ich finde es irgendwie unpassend, dass auf einer DVD-Kassette mit Aufnahmen eines Brendel in den 40ern ein Bild wesentlich jüngeren Datums verwendet wird.


    Brendel hat in den 70ern aber auch eine vergleichbare Fernsehserie mit allen Beethoven-Sonaten gemacht. Die scheint es aber noch nicht auf DVD zu geben.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zunächst mal:


    Für mich steht außer Zweifel, daß Alfred Brendel einer der führenden Pianisten des 20. Jahrhunderts (und darüber hinaus) ist.
    Und natürlich ist er nicht der "einzige" Spitzeninterpret der Klavierwerke der "Wiener Klassik" - aber gerade das macht ja die Klassik so interessant. Wenn heute jemand eine Schubert Klaviersonate hören möchte - und er ist nicht gerade 20 oder 25 - dann interessiert ihn natürlich nicht nur das Werk, sondern auch die Werkauffassung des Pianisten.


    Alfred Brendel - oft als "Philosoph am Klavier" bezeichnet, ist hier ein idealer Künstler. Nicht nur, daß er eine klare Linie verfolgt, sich auf "sein" Kernrepertoire beschränkt, dessen Wiedergaben er im Laufe der Jahre subtil verfeinerte - er hat auch Bücher über Musik geschrieben, die nicht nur ungeheuer informativ (auch für den "Nicht-Kenner") - sondern auch witzig ironisch und amüsant geschrieben sind. Wenn Brendel über die Frage von "lustiger Musik" nachdenkt, wenn er Pianistentypen und ihren Umgang mit dem Notenmaterial beschreibt, wenn er die Frage aufwirft, warum Lachen im Konzert tabu sei, Husten aber nicht - dann hatt das schon eine eigene Qualität


    Zitat

    Außerdem denkt er eher schlecht über das Internet, besonders, wie im selbigen geschrieben wird. Vielleicht sollten wir uns alle mal an die eigene Nase packen?


    Wenn jemand Kritikern generell ablehnend gegenübersteht, dann ist das nur zu verständlich - wird doch speziell in Internetforen oft ziemlich brutal und unreflektiert kritisiert - Brendel würde vermutlich hinzufügen: und mit wenig Sachverstand (??)


    Ich sehe das (naturgemäß) gelassener.
    Wenn Kritiken über ein klassisches Werk, eine Aufführung , einen Interpreten geschrieben -und GELESEN werden - dann zeugt das zumindest für ein Interesse an der Materie.


    Würde beispielsweise jemand auf die Idee kommen (woran ich nicht im Traume denke - ich liebe BEIDE Pianisten) eine polarisierende Kritik mit Konfrontation zwischen Brendel und Badura-Skoda zu verfassen, die als Aufreger wirkte - die verkauften Stückzahlen BEIDER Interpreten würden ansteigen (glücklicherweise haben sie solche "Kunstkniffe" nicht nötig)


    Man muß Aussagen, die man im Internet findet genauso kritisch hinterfragen, wie alles was aus anonymer Quelle kommt.
    Wer das nicht tut ist selber schuld.


    Aber ich schweife vom Thema ab.
    Ich wünsche Alfred Brendel alles Gute zum 80er und möglichst noch viele Jahre bei guter Gesundheit


    mit freundlichen Grüßen aus Wien


    Alfred Schmidt
    Tamino Klassikforum

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Zitat

    Zitat von moderato:


    Hier die Verlinkung der DVD-Kassette...

    Schönen Dank für diesen Tipp, aber ich brauche ihn Gottseidank nicht mehr, da ich die Kassette schon seit einigen Jahren in meinem Besitz habe. Sie ist ein Kronjuwel in meiner DVD-Sammlung.


    Darüber hinaus hatte ich damals in den Siebzigern das Glück, die in Rede stehende Sendung mit der A-dur Sonate D.959 und der B-dur-Sonate D.960 im Fernsehen anzuschauen. Leider bin ich danach wieder von Schuberts Klaviermusik abgekommen, bin aber so 10 bis 15 Jahre später (ebenfalls durch Alfred Brendel) wieder dahin gekommen. Und so begann eine tiefe Liebe zur Klaviermusik Franz Schuberts und zur großen Kunst Alfred Brendels.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Vielleicht ist es ganz interessant, einmal nachzulesen, wie ein berühmter Kritiker, Joachim Kaiser nämlich, Anfang der siebziger Jahre den damals noch nicht so hochberühmten und bekannten Pianisten Alfred Brendel beurteilte. Das folgende findet sich in Kaisers Buch: Große Pianisten in unserer Zeit, München 1972.


    Kaiser meint, Brendel wirke als Pianist "vielseitig" und "exzentrisch" und verfüge über eine "wirklich hohe musikalische Intelligenz". Seine frühen Beethoven-Einspielungen "blieben oft ein wenig äußerlich". Noch 1964 habe er das Finale von Schuberts c-Moll-Sonate "unangenehm und unsensibel überlisztet, in einen motorischen Geschwindmarsch verwandelt." er habe keine rechte Mitte gefunden zwischen "Adagio-Empfindsamkeit" und "glanzvoller leerer Virtuosität."


    Dann aber sei "etwas Ungewöhnliches, etwas, ehrlich gesagt, Unerwartetes" geschehen. Brendel habe sich gewandelt - hin zu einem wirklich großen Pianisten. Seinem Spiel seien "abenteuerliche Dimensionen des Ausdrucks, der Versenkungskraft, der Musikalität" zugewachsen. Interessant ist dabei, dass Kaiser zugibt, dass diese Wandlung Brendels für ihn unerwartet gekommen sei. Er sei für ihn davor "noch kein ganz großer Künstler" gewesen.


    An moderato gerichtet, der ja Schuberts A-Dur-Sonate in der Interpretation Brendels ansprach, dieses Zitat von Joachim Kaiser:


    "Schuberts große, nachgelassene A-Dur-Sonate spielt er heute (also um 1970!) mit exzentrischem Tiefsinn - zu denken, daß gerade er früher einmal über Schuberts Harmoniewechsel hinwegdonnerte!"


    In bezug auf die Tempoverschiebungen in dieser Sonate merkt er an:


    "Wenn ein Künstler diese, sonst oft nur halb konventionell, halb unbewußt gespielten Tempoverschiebungen bewußt übertreibt, wenn er einen Sonatenkosmos in einen Schicksalszusammenhang umdeutet und den Eintritt des großen Seitensatzes zum großen Ereignis macht, wenn er Schubert nicht als späten Wiener Klassiker >historisch< versteht, sondern ihn aufbricht, wenn man hört, wieviel sehnsuchtsvolle Hysterie, wieviel Gustav Mahler, wieviel Alban Berg da schon klingt, zumindest mitklingt - dann gerinnen die schroffen Tempowechsel zum Seelenroman." (alles Seite 203/4).

  • Ich frage mich, was Kaiser zu einer wirklich explosiven ausdrucksstarken Schubert-Interpretation wie bei Schnabel oder Richter sagen würde. Vermutlich hätte er einen Herzinfarkt erlitten...
    Ich will, besonders angesichts meiner begrenzten Kenntnisse (ich habe von den Vox-Aufnahmen um 1960 "nur" Moment musicaux, Impromptus, keine Sonaten und von den späteren Aufnahmen auch nur etwa zwei CDs) mich hier nicht allzu weit aus dem Fenster lehnen. Sicher ist Brendel ein sehr guter und sorgfältiger Schubert-Interpret (die bedauerliche Entscheidung, bei einigen der späten Sonaten wichtige Wiederholungen auszulassen, wurde wohl schon an anderer Stelle im Forum diskutiert). Aber doch ein eher ausgeglichener "klassischer", oder? Sowohl Schnabel als auch Brendels Lehrer Fischer und russische Pianisten wie Richter, Sofronitsky u.a. sind, was das Ausloten musikalischer Kontraste und emotionaler Extreme betrifft, m.E. in einer ganz anderen Liga (nicht nur bei Schubert).
    Es mag allerdings sein, dass Kaiser sich auf Konzerterlebnisse berufen kann, während ich nur die CDs kenne.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
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    The morning breeze like a bugle blew
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    (Bob Dylan)

  • Kleine Nachfrage, lieber Johannes Roehl:


    Svjatoslav Richter "ausdrucksstark", das ja. Aber "explosiv"? Kennst Du seine Interpretation der B-Dur-Sonate von Schubert? Das ist die längste und im Grundton am stärksten von Innerlichkeit geprägte Fassung der Sonate, die mir bekannt ist. Sie ist alles andere als "explosiv".


    Joachim Kaiser, - Du wirst es wissen, aber es sei hier noch einmal betont - ist von einer herausragenden Urteilskompetenz, was Pianisten und ihre Interpretation anbelangt. Du kannst sicher sein, dass er den Pianisten Schnabel in- und auswendig kennt. Ich habe jetzt gerade kein Urteil von ihm über Schnabels Schubert-Spiel. Aber hier, willkürlich herausgegriffen, ein Zitat über Schnabels Interpretation von Beethovens Klaviersonate op.101:


    "Schnabel braust das alles in einem utopischen Tempo herunter, weil es ihm um eine forcierte, gewaltige und gewaltsame Entschlossenheits-Demonstration zu tun ist. Schnabel spielt kein. So ist es! ..., sondern ein: so müßte es sein. Immerhin, dieser Künstler nahm Unvollkommenheiten auf seine Kappe, weil er sich von seiner Vision leiten ließ und nicht von dem, was sicher gelingt. ... Aber muß der Satz wirklich eine hysterisch entschiedene, sich zur Entschlossenheit zwingende, gleißend helle Ballade sein?"

  • Sowohl Schnabel als auch Brendels Lehrer Fischer und russische Pianisten wie Richter, Sofronitsky u.a. sind, was das Ausloten musikalischer Kontraste und emotionaler Extreme betrifft, m.E. in einer ganz anderen Liga (nicht nur bei Schubert).


    Und wer behauptet, dass "extremer" besser sein muss? So einfach ist Schubert nicht beizukommen...


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


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  • Alfred Brendel gehört zu den beiden interpretierenden Künstlern, denen ich hinterhergereist bin. Der andere ist Dietrich Fischer-Dieskau. Und beide haben für mich etwas ganz Wesentliches gemeinsam: Eine ungewöhnlich hohe künstlerische Intelligenz!

    Ein wahrlich ganz großer Pianist. In einem seiner TV-Interviews hat er aber auch zugegeben, dass Intelligenz allein nicht ausreicht. Erst wenn die richtige Balance zwischen Intellekt und Emotion vorhanden ist, verspricht es, eine sehr gute Aufnahme zu werden. Dies traf sicher beim späteren Brendel mehr zu, als in seinen Anfängen.


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Zitat

    Erst wenn die richtige Balance zwischen Intellekt und Emotion vorhanden ist, verspricht es, eine sehr gute Aufnahme zu werden. Dies traf sicher beim späteren Brendel mehr zu, als in seinen Anfängen.


    Das gilt nicht nur für Alfred Brendel - sondern für Pianisten überhaupt.
    Der junge Pianist verfügt (im Idealfall) über hervorragende physische Kräfte, einen unverbrauchten Körper mit gelenkigen Fingern, was natürlich die Versuchung erweckt alles auszuprobieren was da vorhanden ist, ähnlich wie Neureiche mit Geld um sich herumwerfen - ohne richtigen Nutzen daraus zu ziehen, bzw effizient mit ihren Mitteln umzugehen.
    Deralte Pianist - so er intelligent ist (und ich glaube das sind viele) weiß genau um seine Grenzen bescheid - und setzt seine Ressourcen gezielt ein. Zwischen 35 und 60 (die Grenzen sind individuell verschieden - können variieren) kann der Idealfall eintreten, daß alles Vorhanden ist, die Kraft, die Technik, die Intelligenz und der gute Geschmack.


    Zurück zu Alfred Brendel. Ich lehne es ab, wenn gesagt wird (wenngleich es jedem unbenommen ist es zu sagen)


    Zitat

    Sowohl Schnabel als auch Brendels Lehrer Fischer und russische Pianisten wie Richter, Sofronitsky u.a. sind, was das Ausloten musikalischer Kontraste und emotionaler Extreme betrifft, m.E. in einer ganz anderen Liga (nicht nur bei Schubert).


    weil Brendel ja in dem Bereich, den er vertritt maßstäblich ist - eine Referenz.


    Was nicht heissen so DIE Referenz - so etwas gibt es meines Erachtens nicht - und schon gar nicht - wenn die Konkurrenz -was die Tonaufnahme ja erst ermöglicht hat - über Generationen verteilt ist.
    Dazu kommt noch, daß es nationale Präferenzen gibt. Ein Pianist aus Österreich oder Böhmen, wird stets anders agieren als einer aus Rußland. Ich will hier keine Präferenzen setzen, aber ich halte Feingeister für die erste Wahl bei der Wiener klassik - keineswegs die Tastenlöwen und Freunde bis zum letzten ausgekosteter Dynamik.


    Die beiden führenden Pianisten der Wiener Klassik ihrer Generation, Alfred Brendel und Paul Badura Skoda haben dieser Versuchung zeitlebens widerstanden - beide sind gut damit gefahren.


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !




  • Und wer behauptet, dass "extremer" besser sein muss? So einfach ist Schubert nicht beizukommen...


    Keiner hat das behauptet, aber wenn Kaiser schreibt:


    ""Wenn ein Künstler diese, sonst oft nur halb konventionell, halb unbewußt gespielten Tempoverschiebungen bewußt übertreibt, wenn er einen Sonatenkosmos in einen Schicksalszusammenhang umdeutet und den Eintritt des großen Seitensatzes zum großen Ereignis macht, wenn er Schubert nicht als späten Wiener Klassiker >historisch< versteht, sondern ihn aufbricht, wenn man hört, wieviel sehnsuchtsvolle Hysterie, wieviel Gustav Mahler, wieviel Alban Berg da schon klingt, zumindest mitklingt - dann gerinnen die schroffen Tempowechsel zum Seelenroman"


    dann meint er doch offenbar Extreme, oder? Ich bezog mich nur auf Kaisers Charakterisierung, nicht auf eine absolute Bewertung, was "besser" sei. Richters bleierne Tempi in D 960 sind sicher ein umstrittenes Extrem, aber diese Verlangsamung findet sich nicht in seinen Interpretationen von D 850 oder 958 (959 hat er ja leider nicht gespielt, warum auch immer).


    @Helmut Hoffmann
    Bei allem Respekt, ich kann mit Kaiser Kritiken meist so wenig anfangen, dass ich nicht zu beurteilen wage, ob er von herausragender Urteilskompetenz ist, oder nur blumige bildungsbürgerliche Phrasen, die nahezu auf alles und nichts passen, vorbringt. Als ich vor Jahren das Pianisten und/oder das Beethovensonatenbuch mal durchgesehen habe, hatte ich zwar selbst noch viel weniger Ahnung als jetzt, aber schon damals verwirrte mich, dass er, vielleicht aus Respekt, weitgehend von negativen Urteilen Abstand nahm. Irgendwie waren alle auf ihre Art nicht nur toll, sondern einmalig, legendär usw.
    Ich vermute bei Kaiser, dass er sich hier auch auf sein typische Publikum einstellt; er versteht sicher viel mehr von Musik als solche Kommentare vermuten lassen. Aber da, etwa in dem Buch über die Klaviersonaten Beethoven, fast nie klar wird, was Kaiser selbst für ein Konzept von einem Satz oder einem Stück hat, ist eben auch schleierhaft, vor welchem impliziten Hintergrund kritisiert und bewertet wird und wie die Wertung letztlich zustande kommt.


    Ich kann wie gesagt, nicht die unterschiedlichen Aufnahmen Brendels des Finales von D 958 vergleichen. Aber obwohl nur "allegro", nicht "presto" überschrieben, gehört dieser Satz offenbar sehr schnell, eher eine Tarantella als ein Marsch (man vgl. die Finali der d-moll und G-Dur-Quartette oder bei Beethoven op.47 und op.31,3 (ähnlich hektisch, aber nicht so düster)) Es ist jedenfalls völlig richtig, diesen Satz atemlos als eine Art rasenden Totentanz zu spielen. Insofern ist der dämonische Liszt gar nicht weit weg.
    Das sind solche Fälle, bei denen aus den zwei Sätzen Kaisers unmöglich zu erkennen ist, was konkret (in diesem Falle) Brendel früher schlechter und jetzt besser macht. Weil man nicht mal weiß, was genau Kaiser für z.B. diesen Satz im Sinne hat, wie schnell oder wie wuchtig oder welche Aspekte auch immer wichtig sein mögen. Mag sein, dass das ein Manko beinahe jeglicher Musikkritik bleiben muss, wenn sie nicht übermäßig ins Detail gehen will. [edit: Das Zitat ganz oben, bezogen auf den 2. Satz von D 959, ist ja sogar noch vergleichsweise präzise und konkret, meiner Erinnerung nach waren die meisten Anmerkungen Kaisers sehr viel vager und ungreifbarer.]


    (Um zurück zum Thema zu kommen, finde ich Brendel bei den Mozart-Konzerten überzeugender als bei Schubert oder Beethoven. Fast alle diese Musik ist natürlich derartig oft von großartigen Musikern eingespielt worden, dass es häufig viele ebenbürtige oder überlegene Aufnahmen gibt. Aber wenn einer einmal zum Papst gekürt wurde, dann schreiben sich die Rezensionen eben entsprechend fort.)


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Bei allem Respekt, ich kann mit Kaiser Kritiken meist so wenig anfangen, dass ich nicht zu beurteilen wage, ob er von herausragender Urteilskompetenz ist, oder nur blumige bildungsbürgerliche Phrasen, die nahezu auf alles und nichts passen, vorbringt.


    Das ist exakt auch meine Wahrnehmung. Mir scheint Kaisers Erfolg beruht vor allem auf seinem perfekt auf den bildungsbürgerlichen Feuilleton-Leser zugeschnittenen Stil. Auf die Frage eines Studenten, wie er denn ein neues Buch (weiß nicht mehr welches) von Joachim Kaiser beurteile, antwortete vor Jahren der frühere Freiburger Ordinarius der Musikwissenschaft Hans Heinrich Eggebrecht, was solle er dazu schon sagen, das sei eben journalistisch.


    Gruß aus Freiburg
    Byron

    non confundar in aeternum

  • Ich stoße in zwei Beiträgen auf Wendungen wie "blumige bildungsbürgerliche Phrasen" und "bildungsbürgerliche Feuilleton-Leser", - und wundere mich. Hat da jemand etwas gegen Bildungsbürger? Und was bitte?


    Als Joachim Kaisers Buch "Beethovens 32 Klaviersonaten und ihre Interpreten" im Jahre 1975 erschien, habe ich es von vorne bis hinten durchgearbeitet und dabei die Sonaten-Aufnahmen von Friedrich Gulda so lange hinzugezogen, bis die Schallplatten deutliche Abnutzungsspuren hören ließen. Ich habe nie zuvor und auch nicht danach so viel über Beethovens Klaviersonaten gelernt.


    Ich gäbe etwas dafür, wenn ich solche Musikkritiken schreiben könnte und über solche Kenntnisse der Musikliteratur verfügte wie Joachim Kaiser. Seine Kritiken der Liederabende Fischer-Dieskaus habe ich mit großem Gewinn gelesen und alle gesammelt. Muss ein bildungsbürgerlicher Defekt sein.


    Was, bittesehr, ist an folgender Kritik der Interpretation von Schuberts A-Dur-Sonate durch Alfred Brendel "blumig- bildungsbürgerlich-phrasenhaft":


    "Brendel spielt die Einleitung herb flüchtig, gibt dem ersten Thema etwas nervös Unstetes, wie noch nicht zu sich selbst Gekommenes, stellt in den harmonisch immer drängenderen Überleitungsakkorden und -passagen weiträumige, architektonisch fesselnde, wie nach Erlösung sich sehnende Relationen her. Aber wenn er dann beim Seitenthema, einer großen Schubertschen Eingebung, angekommen ist, dann darf der Allegro-Verlauf, darf die Musik fast aufhören.


    Wer nie das "Verweile doch, du bist so schön" begriffen hat, in tausend Faust-Aufführungen: hier ist es zu erfühlen. Und die endlose Generalpause, die Brendel macht, bevor die Musik nach einem solchen Ereignis weitergehen kann: Das ist Psychologie des Herzens. Solche Ablaufsketten kommen in der Durchführung wieder. Den Schluß des Satzes hüllt der Pianist in Magie. Als würde ein Schleier zwischen die Seele, die da von sich berichtet hat, und die übrige Welt geworfen."


    Ich habe mir diese Aufnahme nach dem Lesen dieser Kritik noch einmal angehört. Ich kannte sie schon. Aber jetzt habe ich plötzlich viel, viel mehr gehört. Können "Phrasen" so etwas leisten?

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  • Ich hatte das große Glück, Alfred Brendel live auf seiner Abschiedstournee erleben zu können. Was mich an dem großen Pianisten so gefesselt hat, war sein mitsummen und brummen während des Spiels nur ein Notizzettel lag auf seinem Konzertflügel und spielte während des Abends alles ohne Partitur. Die Emotionen die er bei mir geweckt hatte, war nicht mehr auszuhalten, das war eine wahre Klavierkunst par excellence und bedauere es sehr, dass er nicht mehr auftreten wird. Ein großer Pianist hat sich für immer verabschiedet:-))


    Gruß
    Volker

    Bach ist so vielfältig, sein Schatten ist ziemlich lang. Er inspirierte Musiker von Mozart bis Strawinsky. Er ist universal ,ich glaube Bach ist der Komponist der Zukunft.
    Zitat: J.E.G.

  • Ich stoße in zwei Beiträgen auf Wendungen wie "blumige bildungsbürgerliche Phrasen" und "bildungsbürgerliche Feuilleton-Leser", - und wundere mich. Hat da jemand etwas gegen Bildungsbürger?


    Nein. Ich habe was gegen Geschwätz, das sich beliebig deuten lässt. (Aus Respekt hatte ich das oben nicht so direkt formuliert.) Umso schlimmer, wenn es auch noch bildungsbürgerlich verbrämt wird. Dadurch wird die Leere eben schwerer zu erkennen, weil man von der Allgemeinbildung so beeindruckt ist. Dem Bildungsbürger kann heute anscheinend ein inhaltsreicher Text über Musik nicht mehr zugemutet werden. Sic transit gloria mundi.


    Einige Beispiele finden sich in dieser seinerzeitigen Rezension eines Kollegen (leider teils sehr schlecht eingescannt). Der zeigt insgesamt recht deutlich, was ich an Kaiser problematisch finde (3 Seiten)


    http://www.zeit.de/1975/49/lauter-wunderschoene-stellen
    Hier (ein wenig nach unten scrollen) habe ich schon einmal was dazu gesagt.


    Zitat


    Was, bittesehr, ist an folgender Kritik der Interpretation von Schuberts A-Dur-Sonate durch Alfred Brendel "blumig- bildungsbürgerlich-phrasenhaft":


    "Brendel spielt die Einleitung herb flüchtig, gibt dem ersten Thema etwas nervös Unstetes, wie noch nicht zu sich selbst Gekommenes, stellt in den harmonisch immer drängenderen Überleitungsakkorden und -passagen weiträumige, architektonisch fesselnde, wie nach Erlösung sich sehnende Relationen her. Aber wenn er dann beim Seitenthema, einer großen Schubertschen Eingebung, angekommen ist, dann darf der Allegro-Verlauf, darf die Musik fast aufhören.


    Das ist halbwegs o.k., wenn auch nicht besonders informativ. Was ist "architektonisch fesselnd"? Was bedeutet hier "nach Erlösung sehnend"? Nach harmonischer Auflösung? Sind es harmonische, melodische, motivische Relationen? Werden sie denn im Verlaufe des Satzes aufge(/er)löst?) Obendrein, aber das ist wohl kaum zu vermeiden, scheinen das alles Merkmale der Musik ganz unabhängig von der Interpretation zu sein. Dass im Seitenthema ein Ruhepunkt erreicht wird, heißt ja nicht, dass die Musik "aufhört". Das ist eine bizarre Übertreibung, zumal die "große Schubert-Eingebung" eine schlichte Melodie (dass es eine von den 20 größeren Schubert-Eingebungen sein sollte, sehe ich nicht...) ist und viel eingängiger als das Hauptthema. Was Kaiser vermutlich meint, ist, wenn man die Musik (und ggf. die Interpretation) gut kennt, zu erahnen: So ähnlich wie im Quintett (dort ist es aber extremer) hat man aufgrund der schwer fassbaren Gestalt des Hauptthemas, das sogleich weiterverarbeitet und von den Triolen umspielt wird eigentlich erst beim Seitenthema den Eindruck einer "richtigen Melodie" (Ganz anders in D 960, das mit einer gut fassbaren Melodie beginnt.)


    Zitat


    Wer nie das "Verweile doch, du bist so schön" begriffen hat, in tausend Faust-Aufführungen: hier ist es zu erfühlen. Und die endlose Generalpause, die Brendel macht, bevor die Musik nach einem solchen Ereignis weitergehen kann: Das ist Psychologie des Herzens. Solche Ablaufsketten kommen in der Durchführung wieder. Den Schluß des Satzes hüllt der Pianist in Magie. Als würde ein Schleier zwischen die Seele, die da von sich berichtet hat, und die übrige Welt geworfen."


    Dieser Absatz ist kompletter Schmus, garniert mit der bildungsbürgerlichen nichtssagenden Faust-Referenz. Das einzige objektive ist der Hinweis auf die Länge der Pause.


    Ich will den thread nicht mit Kaiser-Kritik kaputtmachen. M.E. bringt die oben verlinkte Zeit-Rezension im wesentlichen die Punkte, die mich stören (und viel treffender, witziger und bissiger formuliert als ich das könnte). Ich kann das auch nicht besser als Kaiser, aber ich bin kein professioneller Musikjournalist und Prof. Dr. Großkritiker. Die meisten anderen Kritiker sind leider auch nicht viel besser oder sogar schlechter. Aber die gelten auch nicht als Papst und geben ihr Zeugs als Buch zu Beethovens Sonaten heraus.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • "Kompletter Schmus" , "Geschwätz" - das ist meine Sprache nicht, und ich mag mich auf derlei sprachliche Grobheiten nicht einlassen.


    Mir geht es nicht um Joachim Kaiser, sondern um Alfred Brendel. In diesen Thread bin ich eingestiegen, weil ich meinte, das Forum müsse auf die Tatsache reagieren, dass dieser bedeutende Pianist achtzigjährigen Geburtstag feiert.


    Jetzt denke ich: Das war ein Fehler.


    Ich möchte, um vor meinem Ausscheiden hier ein eigenes Urteil zu wagen, sein Schubert-Spiel auf folgenden Nenner bringen, den ich sehr wohl im einzelnen argumentativ hätte konkretisieren und damit untermauern können:


    Brendel gelingt es wie kaum einem anderen Schubert-Interpreten, die Elemente klassischer Formenstrenge, die Schubert sich abringen musste, um sich nicht in seiner Melodienseligkeit und der Verführung himmlischer Längen zu verlieren, mit sehr viel Mühe abringen musste und auch wollte. Das macht die Größe und die Einmaligkeit seiner Klaviermusik aus. Und bei Alfred Brendel kann man das hören.

  • Mir scheint, dass sich dieser Thread langsam zu einem Thread über Joachim Kaiser wandelt. Dabei wäre es doch viel schöner, wenn alle Forianer, die sich hier beteiligen, sagen, was sie selbst von der Kunst Alfred Brendels halten.


    Zitat

    Zitat von Helmut:


    Mir geht es nicht um Joachim Kaiser, sondern um Alfred Brendel.

    Mir auch.


    Ich habe schon weiter oben gesagt, was mich an Alfred Brendel so fasziniert, seit ich, ich glaube, es war Ende der 80er Jahre, das f-moll-Impromptu D.935 zum ersten Mal im Radio hörte und vor allem, seit ich ihn ab 2001 jährlich einmal im Konzert live erlebte. Neben dem für einen großen Pianisten selbstverständlichen technischen Rüstzeug war dies bei ihm die Ruhe, die er ausstrahlte, sein phänomenaler Anschlag (ähnlich wie der Valdimir Horowitz' oder Swjatoslaw Richters), sein Legatospiel und sein dynamisches Differenzierungsvermögen und hierbei besonders sein "pianissimo".
    Nur so ist es zu erklären, dass mich das f-moll-Impromptu so anrührte, dass ich mich von dort an sehr intensiv mit Schuberts Klaviermusik auseinandersetzte und vor einigen Jahren, als er dieses Stück in Köln spielte, vor Ergriffenheit zum ersten mal seit vielen Jahren wieder weinen konnte.
    Das hat vorher und auch nachher kein anderer Pianist bei mir geschafft.
    Es nimmt daher auch nicht wunder, dass das Impromptu auch auf folgender Doppel-CD enthalten ist, die jetzt zu seinem 80. Geburtstag erschien und die ich sofort geordert habe:



    Weiteren Ausführungen kann ich auch zustimmen:


    Zitat

    weiteres Zitat von Helmut:


    Brendel gelingt es wie kaum einem anderen Schubert-Interpreten, die Elemente klassischer Formenstrenge, die Schubert sich abringen musste, ....

    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Ich stoße in zwei Beiträgen auf Wendungen wie "blumige bildungsbürgerliche Phrasen" und "bildungsbürgerliche Feuilleton-Leser", - und wundere mich. Hat da jemand etwas gegen Bildungsbürger? Und was bitte?


    Jedenfalls ist mir der Typus den ich als "bildungsbürgerlichen Feuilleton-Leser" bezeichnete suspekt. Dabei würde ich mich eher als wertkonservativ bezeichnen und Bildung zähle ich zu den höchsten Gütern. Wo ich dem Feuilleton misstraue, geschieht dies, weil dort ein wirksamer Jargon leicht zur erfolgreichen Masche werden kann, und der von mir als bildungsbürgerlicher Feuilleton-Leser Bezeichnete fällt darauf rein. Ich beurteile dies allerdings mit gemischten Gefühlen. Über Musik zu sprechen ist sehr schwer. Wer über ein rein positivistisches Konstatieren hinaus etwas aussagen möchte, begibt sich auf dünnes Eis. Trotzdem wird es damit oft erst interessant. Joachim Kaisers Sprache ist in höchstem Maße lyrisch, aber wie Johannes Roehl richtig ausführt, ist sie damit auch in so hohem Maße unexakt, daß die Deutung ans Beliebige grenzt. Die von verschiedener Seite zitierten Beispiele Kaiserscher Metaphorik grenzen für mich dabei durchaus an Realsatiere. Vielleicht beruht sein Erfolg darauf, daß jeder "seine" Vorstellung aus Kaisers Worten herauslesen kann?

    Ich habe mir diese Aufnahme nach dem Lesen dieser Kritik noch einmal angehört. Ich kannte sie schon. Aber jetzt habe ich plötzlich viel, viel mehr gehört. Können "Phrasen" so etwas leisten?

    Ja, wenn sie Deine Fantasie entsprechend anregen. ;)

    Ja, Entschuldigung, aber ein bißchen O.T. ergibt sich manchmal und ist oft ganz interessant. Und damit zu zurück zu Brendel, den ich durchaus sehr schätze!


    Gruß aus Freiburg
    Byron

    non confundar in aeternum

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  • Dass sich der Thread zu einer Auseinandersetzung über Joachim Kaiser entwickelte, lag daran, dass dieser Name für einige hier offensichtlich ein rotes Tuch ist, - was ich nicht wissen konnte. Hätte ich es gewusst, ich wäre einem Zitieren aus seinem Buch "Große Pianisten" aus dem Weg gegangen.


    Mein erster Beitrag, bei dem der Name Joachim Kaiser auftauchte, hatte eine ganz andere Intention: Ich wollte zeigen, wie sehr Alfred Brendel sich von den 60er Jahren an gewandelt hat und dass man ihn damals noch keineswegs für das hielt, was er später geworden ist: Einer der ganz großen Pianisten der Gegenwart.


    Dazu brachte ich eine frühe Kritik von Joachim Kaiser, als Beleg sozusagen. Der hatte selbst eingeräumt, dass er Brendel ursprünglich falsch eingeschätzt und nicht erkannt hatte, welches Potential in diesem Interpretan steckte.


    Ich sags´noch einmal: NUR zu diesem Zweck habe ich den Namen Joachim Kaiser hier eingeführt. Wer´s nicht glauben mag, kann das oben noch einmal nachlesen.


    Ich glaube, dass, wie ich andeutete, die Besonderheit von Brendels Schubert-Spiel, tatsächlich darin liegt, dass er die spezifisch romantischen Elemente in der Klaviermusik Schuberts mit den auch dort zu findenden Elementen klassischer Formenstrenge zu einer Synthese zu bringen vermag.


    Er sagt über Schuberts Klaviermusik: "Schuberts expansive, statische und unberechenbare Musik widersprach der Folgerichtigkeit Beethovens oder Mendelssohns selbstgefälliger Klarheit."


    Dieses Neben- und Ineinander von Statik und expansiver Unberechenbarkeit in Schuberts Klaviermusik, insbesondere in den großen Klaviersonaten, kann Brendel wie kaum ein anderer pianistisch zum Ausdruck bringen.


    Noch einmal zum Thema Joachim Kaiser:


    Die Vorbehalte, die man gegen diesen Kritiker hat, verstehe ich zwar nicht, respektiere sie aber. Was ich nicht askzeptieren kann, ist der Ton, in dem hier insbesondere auf meinen vorletzten Beitrag reagiert wurde.


    Ich ziehe die Konsequenz und scheide hiermit aus diesem Thread aus.

  • Dass sich der Thread zu einer Auseinandersetzung über Joachim Kaiser entwickelte, lag daran, dass dieser Name für einige hier offensichtlich ein rotes Tuch ist, - was ich nicht wissen konnte. Hätte ich es gewusst, ich wäre einem Zitieren aus seinem Buch "Große Pianisten" aus dem Weg gegangen.

    Um Gottes Willen nein, warum denn? Daß Du Kaiser schätzt ist doch kein Verbrechen. Er ist auch für mich kein rotes Tuch, ich halte nur diese grenzenlose Anerkennung, die er genießt für durchaus hinterfragenswert. Auf jeden Fall gibt es keinen Grund daß ihn hier irgendjemand nicht zitieren können sollte. Schließlich sind wir doch zum diskutieren hier, oder?



    Was ich nicht askzeptieren kann, ist der Ton, in dem hier insbesondere auf meinen vorletzten Beitrag reagiert wurde.

    Was Du damit meinst, verstehe ich absolut nicht. Weder Johannes noch ich haben doch einen scharfen Ton angeschlagen? Falls Du in meinem letzten Beitrag irgendwas so verstanden haben solltest, kann ich Dir versichern, daß es absolut nicht so gemeint war; ich finde auch bei erneutem Lesen keine Stelle, von der ich mir vorstellen könnte, daß sie irgendwie agressiv klingt. Ich hatte mich sogar für das off topic entschuldigt.



    Die Vorbehalte, die man gegen diesen Kritiker hat, verstehe ich zwar nicht, respektiere sie aber.

    Und genauso respektiere ich auch, daß Du ihn schätzt.


    Freundliche Grüße aus Freiburg
    Byron

    non confundar in aeternum

  • Hallo miteinander,



    in der soeben erschienen Geburtstagsbox (3CD's) "Alfred Brendel: Seine Persönliche Auswahl" merkt Brendel im Beiheft zu der hier enthaltenen Einspielung der Hammerklaviersonate aus dem Wiener Muikverein aus seinem letzten (digitalen) Sonatenzyklus an:


    "Unter meinen fünf Aufnahmen dieses Werks ist diese mir die liebste."


    Mir bekannt sind folgende Aufnahme:
    - die frühe Vox-Aufnahme aus den 60er Jahren, die kürzlich bei Brilliant wiederveröffentlicht wurde
    - die Aufnahme aus der ersten Philips-Gesamteinspielung von 1970, auch kürzlich in einer Box wiederveröffentlicht
    - Die Londoner Live Aufnahme von 1983 (vergriffen - für mich seine packendendste Einspielung!)
    - Die Live-Aufnahme aus dem letzten Zyklus (1995), die bereits in der "Great Pianists"-Serie enthalten war


    Was ist nun Brendels fünfte Aufnahme von op. 106? Gab es da wirklich noch eine? Dass er ausgerechnet die eher glatte Live-Afnahme aus Wien zu seinem Favorit erklärt, erstaunt mich ein wenig. Zwar klingt diese Aufnahme deutlich besser als jene von 1983 (etwas hallig, einige Huster), aber die Ecksätze sind doch spürbar auf Sicherheit genommen und das Adagio sostenuto glüht lange nicht so wie 1983.


    Würde mich über Feedback freuen - wer kennt Brendels fünfte Hammerklavieraufnahme?


    Viele Grüße,
    Christian

  • Lieber Christian,


    um diese Frage für mich zu beantworten, müsste ich die mir zur Verfügung stehenden Einspielungen noch einmal durchhören. Soweit mir erinnerlich, habe ich die Aufnahme von 1983 auch nicht. Aber, wenn ich alles durchgehört habe, werde ich ich dazun wieder melden.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Würde mich über Feedback freuen - wer kennt Brendels fünfte Hammerklavieraufnahme?


    Vermutlich wird es sich um die Fernsehaufzeichnung für den NDR handeln. Brendel hat in den 70ern alle Beethoven-Sonaten für das Fernsehen eingespielt (seine gleichartige Schubert-Einspielung ist bereits auf DVD erhältlich).


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


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