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Herbert Baumann (geb. 1925)
Rumpelstilzchen
Ballett in zwei Teilen
entstanden 1986
Auftragswerk der Städtischen Bühnen Augsburg
Darsteller:
Der König
Die Königin
Prinz Heinrich
Der Haushofmeister
Der Müller
Marie, seine Tochter
Stephan, Mariens Bruder
Rumpelstilzchen
Die russische Prinzessin
Die Sarazenen-Prinzessin
Die kastilische Prinzessin
Hofdamen, Kavaliere, Paten, Bedienstete,
Boten, Soldaten, Narren, Gaukler, Müllerburschen, Mägde
Goldmädchen, Elfen und Sonstige
HANDLUNG
EINLEITUNG
I. IM SCHLOSS: DER MELANCHOLISCHE PRINZ
Der Prinz ist traurig und keiner weiß was ihm fehlt. Der König und die Königin versuchen ihn aufzuheitern, aber es gelingt ihnen nicht. Zu was hat der Herrscher einen Hofnarren in Dienst genommen? Seine Späßchen verfehlen ihre Wirkung vollkommen. Dem Prinzen ist nicht einmal ein mitleidiges Lächeln zu entlocken. Fehlt es Heinrich vielleicht an Geselligkeit? Vielleicht könnte ein hübsches Mädchen seinen Trübsinn verscheuchen? Vermögend sollte es allerdings sein, denn die Staatskasse ist leer und bedarf der Sanierung.
II. BRAUTSUCHE IN ALLER WELT: DREI PRINZESSINNEN
Den Haushofmeister hat der König mit der Aufgabe betraut, auf Kundschaft zu gehen, um nach einer geeigneten Prinzessin Ausschau zu halten. So sehr er sich auch bemüht, Misserfolge sind das Ergebnis seiner Reise. Die russische Prinzessin kommt nicht infrage, weil sie ständig Wodka trinkt. In Sibirien ist es nämlich kalt und gegen Kälte muss man etwas trinken, das aufwärmt. Die sarazenische Prinzessin ist zu dick. Der Pascha hat selten Zeit für sie und aus Frust futtert sie den ganzen Tag Pralinen. Ihr ständiges Drängeln nach Zuwendung ist ihm lästig und er möchte sie veräußern. Die Prinzessin aus Kastilien hat zu viel Temperament. Der Prinz ist eine zaghafte Natur und würde mit ihr nicht im Gleichklang schwingen.
III. AUF DEM LANDE, NICHT WEIT VOM SCHLOSS
Zufrieden, wieder daheim zu sein, arrangiert der Haushofmeister unter dem Bauernvolk einen Tanzabend. Ein Hofball käme zu teuer. Warum überhaupt in die Ferne schweifen, wenn man die heimischen Ressourcen noch nicht ausgeschöpft hat. Marie dreht sich beim Tanz wie das Mühlrad ihres Vaters. Heinrich kommt von der Jagd und sieht Marie, die ihn durch ihre Munterkeit sofort für sich einnimmt. Die Fixierte signalisiert Entgegenkommen. Im Müller reift ein Plan. Sollte es ihm gelingen, die Tochter bei Hofe einzuschmuggeln, könnte er vielleicht Höfling werden und in prächtigen Kleidern stolzieren. Wenn Marie Stroh zu Gold spinnen könnte, wäre das etwas, um dem Haushofmeister zu imponieren. Vielleicht kann sie es sogar und hat es bloß noch nicht versucht! Das Jagdhorn ruft den Prinzen zum fröhlichen Jagen. Heinrich entfernt sich und der Haushofmeister fordert Marie auf, in seiner Begleitung den Weg zum Schloss anzutreten, um ihre Fertigkeiten am Spinnrad unter Beweis zu stellen.
IV. SAAL IM SCHLOSS
Die Königin ist wütend. Um die Staatskasse aufzubessern, hat man ohne ihr Wissen ihren Schmuck versetzt. Weder Perlen noch Juwelen werden zukünftig ihren Kragen schmücken. In wildem Tanz wirbelt sie durch die Halle und lässt ihrem Unmut freien Lauf. Der Haushofmeister stellt in Audienz die Müllerstochter vor. Doch da sie einfach gekleidet ist und ihre Bewerbung nicht ordentlich vortragen kann, verspricht man sich von ihren Künsten nicht viel. Sie soll beweisen, dass sie kann, was der Vater behauptet, nämlich Stroh zu Gold spinnen.
V. IM VERLIES
Ausflüchte nützen Marie nichts. Sie wird in einen Raum gesperrt und der Haushofmeister befiehlt ihr, mit der Arbeit zu beginnen. Das Mädchen ist verzweifelt, denn sie hat keine Ahnung, wie sie zu Werke gehen soll. Ein kleinwüchsiges Männchen erscheint und ihm gelingt es, Marie zu beruhigen. Es wird die gewünschte Arbeit an Ort und Stelle verrichten und erbittet sich ihren Fingerring als Lohn. Der Kleine setzt sich an die Arbeit und Marie schläft ein. Als sie aufwacht, sieht sie das Goldstroh in annehmbarer Präsentation vor sich. Ballettmädchen tragen es als Röckchen am Körper, ähnlich wie die Afrikanerin ihr Baströckchen, wenn sie zum Wasserschöpfen zum Brunnen schreitet. Sie ist guten Mutes und hat nun keine Angst mehr, für die Großspurigkeit des Vaters bestraft zu werden.
VI. IM SCHLOSS
Weit gefehlt, wenn Marie denkt, sie sei nun wieder frei. Die Königin hat sich von ihrer Fertigkeit, Gold spinnen zu können, überzeugt. Ihre Gier ist erwacht und sie zwingt Marie in der folgenden Nacht, mit ihrer Tätigkeit fortzufahren. Nur so kann die Handelsbilanz des kleinen Königreiches wieder in Ordnung gebracht werden. Gold und Silber liebt ihre Majestät sehr!
VII. ZWISCHENAKT
Rumpelstilzchen hat Marie ein zweites Mal aus der Verlegenheit geholfen und sich als Lohn eine Halskette ausbedungen.
VIII. IM VERLIES
Keineswegs ist die Königin nun zufrieden. Diesmal stapelt sich das Stroh, welches Marie zu Gold spinnen soll, bis zur Decke. Der Gnom ist bereit, sie auch ein drittes Mal vor drohendem Unheil zu erretten. Mit einer Halskette ist das Männchen aber nicht mehr zufrieden. Es möchte, das Marie ihr erstes Kind an ihn zur Adoption freigibt und lässt sich seinen Wunsch auch nicht ausreden. Was bleibt der Verängstigten anderes übrig, als zunächst erst einmal nachzugeben. Sie ist viel zu verzweifelt, um über Alternativen überhaupt nachzudenken. Während Marie der Schlaf überkommt, macht der Waldgeist sich wieder an die Arbeit. Die tanzenden Goldmädchen wecken Marie aus ihrem Schlummer. Es klopft an die Tür. Diesmal ist es der Prinz, der sein Erstaunen nicht verbergen kann. Diese Frau ist Gold wert und um ihr Herz zu erfreuen, tanzt er einen Pas de deux mit ihr.
IX. GÄNGE UND SÄLE IM SCHLOSS
Der Bühnenbildner ist ebenfalls zum Hexen verurteilt. Während das Paar seinen Pas de deux unermüdlich fortsetzt, versinken die Mauern des Verlieses, so dass der Betrachter sich in die wechselnden Räume und Korridore des Schlosses versetzt fühlt.
X. IN DER SCHLOSSKÜCHE
Schließlich findet man sich in der Schlossküche zwischen Löffeln und Gabeln, Tellern und Schüsseln wieder. Das Geschirr hat menschenähnliche Gestalt angenommen und steckt das Küchenpersonal mit ihrer Tanzlust an. Als dann auch noch der Gänsebraten und die Weinflaschen zu tanzen beginnen, fühlt sich das Publikum durch Herrn Baumann doch ein bisschen überfordert. Der fallende Vorhang bereitet den Auswüchsen ein Ende.
ZWETER TEIL
XI. SAAL IM SCHLOSS/ DIE TAUFE
Ein Jahr ist vergangen. Heinrich hat sich seine Zeugungsfähigkeit beweisen müssen. Um den Fortbestand der Dynastie müssen König und Königin sich theoretisch keine Sorgen mehr machen. Die Taufgesellschaft hält ihren Einzug. Gemäßigten Schrittes wird ein Wiegenlied getanzt. Geschenke werden überreicht.
Unvorhergesehen erscheint Rumpelstilzchen und möchte den Lohn für seinen Fleiß in Empfang nehmen. An das Männchen hat Marie überhaupt nicht mehr gedacht und fleht inständig, ihr das Kind zu lassen. Auch Prinz Heinrich setzt seine Rhetorik in Gang, um den Waldgeist von seinem Anliegen abzubringen. Er überzeugt den ihn, dass er mit der Säuglingspflege Probleme haben wird. Wenn er absolut auf die Erfüllung der Abmachung besteht, so war diese an keinen Zeitplan gebunden. Vielleicht kann er später noch einmal erscheinen, wenn der Kleine die ersten Zähne bekommen und die Masern überstanden hat. Das Flennen der Mutter und die Argumente des Vaters bewegen den Wicht zum Nachdenken. Gut, wenn man innerhalb von drei Tagen seinen Namen errät, wird er vom Vertrag zurücktreten. Unauffällig wie er gekommen verschwindet der Besucher wieder. Das Wiegenlied erklingt noch einmal.
XII. ZWISCHENAKT
Boten bringen dem Hausmeister die Gästeliste, damit man sehen kann, wen man vergessen hat, einzuladen und wen man am besten wieder wegstreichen sollte.
XIII. IM WALDE
Die gewöhnlichen Sterblichen haben keine Ahnung, dass es im Walde nächtens freudig bewegt zugeht. Wenn der Vollmond auf die Lichtung scheint, tanzen die Elfen, die Pilze und die Blumen.
Auch Rumpelstilzchen hat sich unter seinesgleichen gemischt und hüpft im Tanz.
„Heute back ich, morgen brau' ich,
Übermorgen mach ich der Königin ein Kind.
Ach wie gut, dass niemand weiß
Dass ich Rumpelstilzchen heiß!“
Prinz Heinrich und der Haushofmeister, die sich hinter einem Baum versteckt halten, haben alles mitbekommen. Auf keinen Fall lassen sie sich anmerken, dass sie nun wissen, was der kleine Angeber mit Marie im Schilde führt. Den Namen des Unholds haben sie in Erfahrung gebracht und können damit den Anschlag auf die Ehre der Prinzessin abwehren.
XIV SAAL IM SCHLOSS
Alle sind erleichtert, nachdem die Kundschafter zurück sind und erklären den Namen des Gnoms zu wissen. Rumpelstilzchen taucht auf, um die Wiege zu entführen. Er ist sich sicher, dass die Prinzessin seinen Namen nicht erraten hat. Für seine lockeren Vorstellungen wird sie den Kleinen ein bisschen verschaukeln. Heißt er etwa Hinz? Der Kleinwüchsige quittiert mit höhnischem Gelächter. Oder heißt er gar Kunz? Die Heiterkeit nimmt an Phonstärke zu. Rumpelstilzchen dreht sich abwartend im Tanz. Einmal darf die Mutter noch raten. Die Taufgesellschaft wartet selbst mit Spannung auf Maries Offenbarung. Die Musik bricht ab. „Heißt du etwa....“ – Marie macht eine Kunstpause – „Rumpelstilzchen“?
Der Teufel muss ihr den Namen gesagt haben! Rumpelstilzchen verschwindet unter Blitz und Donner, als habe ihn der Erdboden verschluckt.
© 2011 TAMINO - Engelbert