Beethoven: 3. Sinfonie "Eroica"

  • Okay, okay, ich suche weiter... ;)


    Gefühlsmäßig müsste mir Klemperer eher liegen als Bernstein, den ich zumindest bisher bei Beethoven nicht so auf dem Schirm habe.

    Herzliche Grüße
    Uranus

  • Okay, okay, ich suche weiter... ;)


    Du solltest beim weitersuchen mal einige Minuten in diese Aufnahme investieren: … ;)


    Einer der erhabensten Zwecke der Tonkunst ist die Ausbreitung der Religion und die Beförderung und Erbauung unsterblicher Seelen. (Carl Philipp Emanuel Bach)

  • Klemperer ist sehr langsam und wuchtig. Sicher beeindruckend, aber eher eigen. Bernstein/NY ist auch einer meiner Favoriten. Immer noch zu langsam, aber in der richtigen Richtung und sehr dramatisch. (Die späte Wiener Aufnahme ist nicht so überzeugend.) Der Hammer ist immer noch Scherchen 1958 mit dem nach wie vor schnellsten Kopfsatz. Einige neuere wie Gielen, Järvi oder Norrington u.ä. sind zwar vom Tempo her ähnlich (und im Trauermarsch schneller), aber dabei ein bißchen zu nüchtern für meinen Geschmack. Traditionelle, breite "philharmonische" Einspielungen wie Böhm begeistern mich weit weniger.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • irgendwie empfinde ich diese Sinfonie heutzutage als etwas zurückgedrängt im öffentlichen Interesse hinter der Fünten, Sechsten, Siebten und Neunten.

    Ganz kann das nicht zutreffen. Nach einer BBC Untersuchung gilt sie als die Lieblingssinfonie von Dirigienten:


    https://www.theguardian.com/mu…ny-vote-bbc-mozart-mahler


    The BBC Music Magazine top 10

    1. Beethoven Symphony No 3 (1803)

    2. Beethoven Symphony No 9 (1824)

    3. Mozart Symphony No 41 (1788)

    4. Mahler Symphony No 9 (1909)

    5. Mahler Symphony No 2 (1894 rev 1903)

    6. Brahms Symphony No 4 (1885)

    7. Berlioz Symphonie Fantastique (1830)

    8. Brahms Symphony No 1 (1876)

    9. Tchaikovsky Symphony No 6 (1893)

    10. Mahler Symphony No 3 (1896)

    "When I was deep in poverty, you taught me how to give" Bob Dylan

  • Hallo


    Vor Kurzem habe ich mich in anderem Zusammenhang länger mit der Eroica beschäftigt und einen Text zusammen geschrieben. Sicherlich ist vieles von dem, was ich darin erwähnt habe, irgendwo in diesem Thread oder in Tamino insgesamt schon geschrieben worden. Es handelt sich um eine Kompilation aus verschiedenen Veröffentlichungen. Dennoch habe ich mich entschieden, ihn hier einzustellen:


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    Beethovens Dritte Sinfonie – Die Eroica


    Allgemein


    Die Eroica-Sinfonie, die dritte Sinfonie aus derFeder von Ludwig van Beethoven, ist für mich eines der wichtigsten und folgenreichsten Schlüsselwerke der Musikgeschichte und zugleich eines der Schlüsselwerke unter den Kompositionen des Wahlwieners. Es ist ein Werk voller radikaler Ideen.


    Gleichzeitig ist die Eroica umnebelt von Erzählungen, Vermutungen und Theorien, was zu einer Legendenbildung, möglicherweise zu anekdotischer Übertreibung führt.

    Ein ganzes Jahr arbeitet der Komponist an dem Werk, um die Jahresmitte 1803 ist das Werk abgeschlossen


    Um es wirklich zu erfassen, ist es erforderlich, sich mit der persönlichen Situation Beethovens, seinem gesundheitlichen Befinen und den politischen Entwicklungen in Europa zu der Zeit zu befassen.

    Offenbar wollte Beethoven das Werk zunächst Napoleon Bonaparte widmen, hat diese Idee allerdings verworfen, als er erfuhr, dass dieser sich zum Kaiser krönen ließ. Doch dazu später mehr.

    Die Wiener Erstaufführung fand am 20.Januar 1805 halböffentlich statt. Offiziell und öffentlich erstmals am 7. April 1805 im Theater an der Wien.


    Krankheit


    Zu Beginn des Jahrhunderts ist Beethoven innerlich zutiefst deprimiert. Seine Schwerhörigkeit, die bereits im Alter von 26 Jahren begonnen hatte, besserte sich nicht.

    In einem Brief an seinen Bonner Jugendfreund Franz Gerhard Wegeler vom 29. Juni 1801 schreibt er:

    „…mein Gehör ist seit drei Jahren immer schwächer geworden… meine Ohren, die sausen und brausen Tag und Nacht fort. Ich kann sagen, ich bringe mein Leben elend zu, seit zwei Jahren fast meide ich alle Gesellschaften, weil´s mir nichtmöglich ist, den Leuten zu sagen: ich bin taub.“Gleichzeitig ist er überaus produktiv: Häufig arbeitet er an 4 Kompositionen gleichzeitig.

    Er hat eine erfolgreiche Ballettmusik geschrieben: Die Geschöpfe des Prometheus op. 43. Eine Komposition, die für die Eroica-Sinfonie sehr große Bedeutung haben wird.

    Während eines fünfmonatigen Aufenthaltes in Heiligenstadt bei Wien erleidet Beethoven einen seelischen Zusammenbruch. Er stürzt in einen Abgrund von Verzweiflung und Trostlosigkeit. Offenbar denkt er daran, sich das Leben zu nehmen. Erst Jahre später schreibt er einer Freundin von seinen Leiden und von dem Kampf zwischen Tod und Leben. Jetzt aber durchlebt er den Leidensprozess völlig allein.


    Am 6. Oktober 1802 greift er zur Feder und verfasst ein drei Seiten langes Schriftstück, das an seine Brüder Kaspar Karl und Nikolaus Johann gerichtet ist. Er verfasst sein Heiligenstädter Testament.

    Beethoven scheint sich mit diesem Heiligenstädter Testament, das – ebenso wie sein Brief an die Unsterbliche Geliebte - erst nach seinem Tode 1827 gefunden wird, die Ängste von der Seele geschrieben und neuen Lebensmut gewonnen zu haben. Das Testament war offenbar ein Wendepunkt in seiner schöpferischen Entwicklung.


    Doch wie war das jetzt mit Napoleon?


    Öffentlich hatte er seine Sympathien für ihn noch nie geäußert. Seine Sympathie, die – wie er gegenüber seinem Biografen Anton Schindler gesagt haben soll, darauf beruhte, dass es „dem außerordentlichen Manne in wenig Jahren schon gelungen war, das Chaos der gräuelvollsten Revolution mit kräftiger Hand wieder in eine staatliche Ordnung zurückzuführen“. Eine Sympathie, die er im Übrigen mit Goethe, Hölderlin oder Wieland teilte.


    Wie ist das geschichtlich einzuordnen?

    1796: Der junge General Napoleon Bonaparte übernimmt das Kommando über die französische Armee und führt seine Truppen von Sieg zu Sieg. Seine Truppen schlagen das österreichische Heer. Kaiser Franz befürchtet das Schlimmste. Er ruft die Bevölkerung zur Verteidigung des Vaterlandes auf. Zum Geburtstag des Kaisers komponiert Haydn eine Hymne auf „Franz den Kaiser“ und auch Beethoven liefert zwei Beiträge:


    -          Abschiedsgesang an Wiens Bürger

    -          Kriegslied der Österreicher


    Im Februar 1798 schickt das Pariser Direktorium den jungen General Jean Baptiste Bernadotte als Botschafter nach Wien. Zum Ärger der Wiener Bevölkerung trägt Bernadotte seine Siegermentalität offen zur Schau. Auch Beethoven verkehrt nun in diesem Zirkel. Bernadotte schätzt ihn und macht ihm anscheinend eines Tages den Vorschlag, Napoleon „den größten Helden des Zeitalters in einem Tonwerk“ zu feiern. (Schindler) Offenbar ist Beethoven sogar entschlossen, Wien zu verlassen und nach Paris zu übersiedeln, in die Stadt Bonapartes, die Metropole der freien Republik Frankreich. Seine neue Sinfonie will er mitnehmen, um sich dort in der Öffentlichkeit zu präsentieren und das Werk als eine Art musikalischer Visitenkarte auszuspielen.


    Am 18. Mai 1804 beschließt der Senat in Paris, den Ersten Konsul von Frankreich, Napoleon Bonaparte, zum Kaiser zu ernennen.


    Von Ferdinand Ries, einem Schüler Beethovens, ist dessen Reaktion überliefert: „Ist der auch nichts anders, wie ein gewöhnlicher Mensch! Nun wird er auch alle Menschenrechte mit Füßen treten, nur seinem Ehrgeiz frönen; er wird sich nun höher, wie alle Andern stellen, ein Tyrann werden!“ Dem Notenblatt sieht man an, wie wütend er die Widmung entfernt haben muss:


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    Damit sind auch die Umzugspläne nach Paris gegenstandslos.


    Sein Kunstideal, seine sittlich-ethische Haltung, mit den Idealen der Freiheit, Brüderlichkeit und Menschliebe prägen sein Werk. Das scheint damit nicht vereinbar, dass gerade der Hoffnungsträger, der diese Werte für ihn verkörperte, nun selbst feudalistischen Machtversuchungen verfiel. Für Beethoven ein politischer Anachronismus.


    Gleichzeitig interessierte sich der Gönner Fürst Lobkowitz für das Werk. Der Kunstliebhaber und Mäzen, der es als seine Aufgabe verstand, junge Komponisten zu fördern, stellte ihm dann auch ein Ensemble zur Verfügung, um das neue Werk zu proben und stellt Geld zur Verfügung. Ihm wird das Werk letztlich auch gewidmet sein.

    Denn in einer Anzeige der Wiener Zeitung vom 19.10.1806 liest man schließlich den folgenden Titel :

    Sinfonie Eroica composta per festeggiare il sovvenire di un grand Uomo e dedicate a Sua Altezza Serenissima il Prinzipe di Lobkowitz da Luigi van Beethoven op. 55

    Eine heroische Sinfonie, komponiert, um das Andenken an einen großen Mann zu feiern und seiner Hoheit, dem Fürsten Lobkowitz, gewidmet von Ludwig van Beethoven op. 55.


    Die Sinfonie


    Beethoven sprengt mit der Eroica die Gewohnheiten der bisherigen Kompositionskunst.


    -          Sie beginnt mit einem extrem langen Satz

    -          Als zweiten Satz baute er – erstmals in Geschichte der Sinfonik- einen Trauermarsch ein

    -          Die Sinfonie endet mit einem gewaltigen Finale als Krönung des ganzen Prozessverlaufs.


    Der 1.Satz Allegro ist einer der längsten, die Beethoven geschrieben hat. Zu Beginn erklingen 2 kurze Tutti-Akkorde; eine unkonventionelle energische Geste. Dann folgt eine einfache Dreiklangmelodie, die gleiche wie in Mozarts Ouvertüre zu „Bastien und Bastienne“

    Für den zweiten Satz komponiert Beethoven wie erwähnt einen Trauermarsch. Erstmals wird ein Trauermarsch Bestandteil eines größeren Werkes der Instrumentalmusik.


    Mit dem zweiten und dem dritten Satz nimmt Beethoven bereits Bezug auf seine Ballettmusik „Die Geschöpfe des Prometheus“.

    Ganz offensichtlich wird dieser Bezug im 4. Satz, dem eigentlichen Eroica-Satz mit dem gleichnamigen Thema.


    Ihren Eigennahmen „Eroica“ – also eine heldische Sinfonie – verdankt das Werk der Verwendung dieses Eroica-Themas.

    Erstmals tauchte das Thema in seinen 12 Contretänzen – genauer gesagt, in der Nr. 7 - auf. Später verarbeitete er es zu den Eroica-Variationen für Klavier o. 35. Im Schlusssatz der bereits erwähnten Ballettmusik „Die Geschöpfe des Prometheus“ hat er den Helden ebenfalls mit diesem Thema gefeiert. Und nun verwendet er es in seiner Dritten Sinfonie für den Schlusssatz.

    Man könnte die Vermutung anstellen, dass er den Mythos Prometheus mit dem Mythos Bonaparte verbindet, zu seiner Leitidee macht und daraus eine Sinfonie formt – Die Eroica – Sinfonie. Entsprechend heroisch, zeitweilig erhaben, ist die Tonsprache dieses überaus wichtigen und großen Werkes der Musikgeschichte.


    Gruß Wolfgang

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

  • Columbia Symphony Orchestra / Bruno Walter (1958)

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    (Remastering 2019 - die deutlich schlechter klingenden älteren bilde ich gar nicht mehr ab)


    In den beinahe 16 Jahren, in denen dieser Thread existiert, wurde der Name Bruno Walter gerade viermal genannt - ohne wirklich auf seine Aufnahmen der Eroica einzugehen. Der Diskographie zufolge, gibt es derer nicht weniger als sieben, wobei die letzte, im Jänner 1958 in der American Legion Hall in Hollywood, nahe seines Alterswohnsitzes, eingespielt, zweifellos die bekannteste darstellt. Es kam das Columbia Symphony Orchestra zum Einsatz, bestehend aus Musikern aus Los Angeles und Hollywood.


    Die Eroica ist nicht eben die von mir am häufigsten gehörte Beethoven-Symphonie, aber in Bruno Walters Lesart überraschend zugänglich. Das mag womöglich gar an seiner recht sparsamen Beachtung der Wiederholungen liegen, wie es mir auch in anderen Symphonien bereits auffiel. Den monumentalen Kopfsatz gestaltet er überaus heroisch-triumphal mit Blechbläsern, die durch Mark und Bein gehen. Gleichwohl wirkt er fast kurzweilig, keineswegs langatmig, wobei gekonnt altmodische Ritardandi eingewoben werden (16 Minuten Spielzeit). Den Trauermarsch (15:30 Minuten) nimmt er als das, was er ist, und versucht gar nicht erst, ihn kleiner zu machen, wie es in Mode gekommen ist. Die ihm innewohnende Dramatik wird nicht in falsch verstandener "Kammermusikalität" zunichte gemacht. Stellenweise richtig bedrohlich und gespenstisch mit unter der Oberfläche grummelnden Pauken, ganz tiefgehend interpretiert. Napoleon ist auf der Vorderseite der Langspielplatte zu sehen. Beinahe ist es wie die musikalische Vorwegnahme seines desaströsen Russlandfeldzuges von 1812 (das Werk entstand fast ein Jahrzehnt früher). Im hier sechsminütigen Scherzo wechselt die Stimmung schlagartig. Wahrlich majestätisch der Finalsatz mit über zwölf Minuten Spielzeit, für heutige Hörer vielleicht übermäßig solenn, in jedem Falle aber würdevoll. Nach einem letzten Ruhepol klingt die Eroica als Verkörperung des seinerzeit noch präsenten Heroismus im splendiden Gestus aus. Insgesamt ein noch voll im späten 19. Jahrhundert verwurzelter Beethoven.


    Klanglich gibt es seit dem neuesten Remastering nicht mehr das Geringste zu beanstanden. Der Klangbild ist sehr räumlich und detailliert mit überaus präsenten Pauken und starkem Bass.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Schon die ersten Takte lassen aufhorchen: der satte, aber nie breiige Klang, sowie die deutlich wahrnehmbaren - im Gegensatz zu vielen anderen Aufnahmen! Wand wählt bei der Sinfonie im allgemeinen recht straffe Tempi, behält aber alles unter Kontrolle und dient vor allem einfach der Musik. Anstatt wie so viele andere Dirigenten heutzutage setzte Wand seinerzeit nicht auf exzentrische Effekte, die oft die Intentionen des Komponisten ignorierten oder konterkarierten, sondern auf Natürlichkeit, Schlichtheit, spieltechnische Brillanz und Ausgewogenheit. Es lässt sich kaum in Worte fassen, wie Wand beispielsweise die gigantische Coda des Kopfsatzes in immer neuen Spannungswellen unerbittlich und steigend auf das große Finale drängt. Nicht selten profitiert er ungemein von dem Präsenz der tiefen Streicher, die ihrer Stimme an den wichtigen Stellen immer sehr viel Kontur verleihen. Der Trauermarsch lässt genügend Raum für romantischen Schmelz und kommt bei Wand sicherlich als ein Satz daher, der die nachfolgende Epoche schon ein wenig vorwegzunehmen scheint. Das Scherzo ist sehr flott, ohne aber jemals gehetzt zu wirken. Besonders gelungen ist auch die exponierte Stelle in den Hörnern zu Beginn des Trios, die bei anderen Aufnahmen immer wieder wenig überzeugend gerät, weil das Tempo plötzlich deutlich langsamer genommen oder die Stelle einfach schlecht gespielt wird. Der schnelle Teil des Finales gerät ebenfalls recht zügig, beeindruckt aber enorm durch seine traumwandlerische Sicherheit und den strahlenden Klang. Dem langsameren Teil fehlt es ein klein wenig an rhythmischer Präzision, doch das ist ein kleiner Preis angesichts der vielen offenkundigen Vorzüge dieser Aufnahme.:jubel::hail:

    Liebe Grüße

    Patrik

    Musik ist höhere Offenbarung als alle Weisheit und Philosophie. Wem meine Musik sich verständlich macht, der muß frei werden von all dem Elend, womit sich die anderen schleppen.

    Ludwig van Beethoven


    Bruckner+Wand So und nicht anders :)

  • Nach langer Pause melde ich mich einmal wieder. Da ich selbst viel mit Musik arbeitete, hatte ich selten die Energie, noch privat über Musik zu schreiben.

    Aber da ich gestern eine mir so wichtige Interpretation wiedergefunden habe, wollte ich die Freude darüber gerne teilen.


    Vor vielen Jahren sprach ich einmal in irgendeinem Tamino-Thread den Mitschnitt eines besonderen Konzerts der Berliner Philharmoniker unter Karajan an, welches mich damals, als ich es live im Radio in gutem Stereo-Hifi hörte und gleichzeitig im TV sah, vollkommen wegblasen konnte. Zwar kannte ich Karajans Eroica-Sicht damals schon recht gut, aber in dieser Aufführung gibt es mehr Feuer und Live-Feeling.

    Ich habe den Mitschnitt nie wieder gefunden und in all den Jahren sehr vermisst.

    Jetzt, nach Jahrzehnten, hat ein netter asiatischer Zeitgenosse dieses Konzert wieder auf YouTube veröffentlicht, bzw. ich habe es gestern erst zufällig durch die YT-Vorschläge entdeckt.


    Man hört hier eine atemberaubende Perfektion, kombiniert mit großer Leidenschaft, mit enormen Ausdruckswillen und strahlend- warmen Klang. Durch das perfekte Legato strebt die Musik nach vorne; ein ganz großer dramatischer Bogen wird gespannt. Die Dichte und Fülle der Streicher an gewissen Stellen ist einzigartig, ebenso die an den entsprechenden Stellen gerichtlich-strafenden ff-Trompeten oder die an wagnerische Klänge erinnernden Hörner.

    Das Tempo steht immer wie eine Eins - keine unbeabsichtigten Abweichungen. Es ist insgesamt völlig offensichtlich, dass hier die Früchte einer sehr langen Partnerschaft geerntet werden.

    Hier wird eher kammermusikalisch gearbeitet, obwohl es ein großes Orchester ist. Damit meine ich, dass man nicht mehr sich anschauen braucht, dass man schon fühlt, was der Andere fühlt, dass Dinge, die andere Dirigenten zeigen würden hier einfach als Selbstverständlichkeit mitgehen.


    Wann hört man heute schon solche Konzerte, bei denen man sagen kann, dass alles Menschenmögliche getan wurde, um das Maksimale an Expression und Perfektion zu erreichen?

    Als ich es mir gerade anhörte, konnte ich diesen massiven, wirklich aus übervollem Herzen sich entladenden Applaus bestens verstehen.

    Ich meine zu spüren, dass das dort anwesende Publikum ahnte, dass es Zeuge eines singulärem künstlerischen Großereignis wurde.


    Der YouTube-Sound ist schon ganz gut, wenngleich es sicher noch besser als in Masterqualität auf Tidal klänge.

    Ich habe es mit dem Beyer DT 1770 pro gehört und fand es schon sehr gut.


    Wer sich für dieses Werk interessiert, sollte diese Aufführung hier kennen.

    Nach dem der Applaus einsetzte, habe ich mich zu einem Satz verleiten lassen: " so etwas gibt es heute nicht mehr".

    Auch wenn ich mit weniger Emotionen darüber nachdenke, kann ich bei dem Satz nur bleiben. Es klingt heute meistens sehr anders, aber doch kaum besser.


    Karajan Eroica Berlin


    ( habe leider vergessen, wie man solche YT-Links richtig einfügt)


    LG

    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Man hört hier eine atemberaubende Perfektion, kombiniert mit großer Leidenschaft, mit enormen Ausdruckswillen und strahlend- warmen Klang. Durch das perfekte Legato strebt die Musik nach vorne; ein ganz großer dramatischer Bogen wird gespannt. Die Dichte und Fülle der Streicher an gewissen Stellen ist einzigartig, ebenso die an den entsprechenden Stellen gerichtlich-strafenden ff-Trompeten oder die an wagnerische Klänge erinnernden Hörner.

    Das Tempo steht immer wie eine Eins - keine unbeabsichtigten Abweichungen. Es ist insgesamt völlig offensichtlich, dass hier die Früchte einer sehr langen Partnerschaft geerntet werden.

    Hier wird eher kammermusikalisch gearbeitet, obwohl es ein großes Orchester ist. Damit meine ich, dass man nicht mehr sich anschauen braucht, dass man schon fühlt, was der Andere fühlt, dass Dinge, die andere Dirigenten zeigen würden hier einfach als Selbstverständlichkeit mitgehen.

    Lieber Glockenton,


    es freut mich sehr, nach so langer Zeit wieder etwas von Dir lesen zu können! Mir geht es auch so, dass ich beruflich bedingt sehr wenig Zeit zum Musikhören habe - und zum Spielen leider gar keine! ;( Mit meinem Waldsteinsonaten-Thread habe ich gerade erst nach 9 Monaten (!) Pause wieder weiter gemacht. Mit den Symphonien wollte ich mich auch noch intensiver beschäftigen. Aber alle diese Projekte ziehen sich unendlich in die Länge!


    Schon der Beginn des Videos ist magisch - das teilt sich finde ich sofort mit. Und hier passt auch die Ästhetik des Legato, finde ich - womit er ja eigentlich eine sehr eigene Adaptation der Wagner-Tradition gemacht hat im Sinne von Richard Wagner, dem eine Musik vorschwebte, die alles "Schroffe und Jähe" meidet in Gestalt eines Kontinuums, eines ewigen Flusses, wo alles gleitend ineinander übergeht. Von Karajan habe ich die zweite Gesamtaufnahme bei der DGG. Da fiel mir allerdings beim Variationssatz auf, dass diese Karajan-Ästhetik dann doch nicht so ganz passte zur Stimmenpolyphonie in diesem Satz, die bei Karajan in meiner Erinnerung etwas zu sehr der Homogenisierung zum Opfer fiel. Das ist aber schon sehr lange her, als ich das gehört habe - und es ist eine ganz andere Aufnahme. Die "Eroica" hörte ich damals live in Chicago mit dem Chicago SO unter Haitink - die Orchesterleistung was atemberaubend! Davon gibt es leider keinen Mitschnitt - aber so ein Konzerterlebnis ist sowieso von keiner Tonkonserve wirklich einzufangen! :hello:


    Liebe Grüße

    Holger

  • Lieber Glockenton,


    auch von mir ein Willkommen zurück.


    Den youtube-Link fügst Du wie folgt ein:


    [ media ]URL des Videos[ /media ] (jeweils ohne Leerzeichen bei "media")


    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Vielen Dank, Holger und Norbert!



    Und hier passt auch die Ästhetik des Legato, finde ich - womit er ja eigentlich eine sehr eigene Adaptation der Wagner-Tradition gemacht hat im Sinne von Richard Wagner, dem eine Musik vorschwebte, die alles "Schroffe und Jähe" meidet in Gestalt eines Kontinuums, eines ewigen Flusses, wo alles gleitend ineinander übergeht.

    Ja, lieber Holger, ich kann nicht verhehlen, dass ich an Wagner denken musste, als ich das hörte, gerade beim Trauermarsch.

    Aber ich finde es legitim, denn Wagner seinerseits hat ja auch Beethoven in so mancher Hinsicht als Vorbild angesehen.

    Für mich ist auch die apodiktische Art, die musikalische Botschaft zu verkünden, hier und da durchaus vergleichbar, natürlich nicht immer.


    Ich lernte Beethovens Symphonien als Jugendlicher mit dieser zweiten 70er-Jahre DG-Einspielung Karajans kennen, und ich habe diese Aufnahmen sehr geliebt ( kannte aber auch nichts Anderes....)

    Diese Live-Aufführung klingt im Vergleich frischer, lebendiger, gar spontaner, obwohl auch hier nichts dem Zufall überlassen wurde. Mit "lebendiger" oder "frischer" meine ich jetzt gar nicht ein schnelleres Tempo. Aber der Eindruck einer gewissen Glätte, der sich durch den Legato-Klangstrom manchmal einstellen kann, entsteht für mich hier weniger.

    Es gibt auch Ecken und Kanten.

    Die Wucht, mit der Karajan an den einschlägigen Stellen ( passendes Wort...) herunterschlug ( Stichwort: Schlagtechnik), beeindruckt noch heute andere Dirigenten, z.B. auch den sehr anders dirigierenden und interpretierenden Thielemann, wie ich einem Interview entnehmen konnte.

    Letzterer nimmt die Eroica langsamer und verstärkt die Spannung von Übergängen mit agogischen Mitteln, also Ritartando und a tempo.

    Obwohl ich Thielemann bei vielen der Beethoven-Symphonien wirklich sehr mag, finde ich doch, dass bei der 3. ( und auch der 5. / 9.) Karajans "drive nach vorne" und seine Ästhetik der weichen Ablösung einer Phrase durch die nächste überzeugender ist.

    Die geniesserisch- hochexpressiven Streicherstellen ( z.B. Trauermarsch) bei denen forte und dichtes legato gespielt wird, klingen nur beim Karajan so energetisch und warm zugleich.

    Gerade solchen Stellen kommt seine Fähigkeit, den großen Bogen spürbar zu machen, zu Gute.

    Auch die Blechbläser klingen bei ihm im ff so bedrohlich und Mark und Bein durchschneidend, dass ich mir immer die Assoziation "Gericht" und "Strafe" in den Sinn kommt.

    Die Berliner Philharmoniker ( viel später, aber durchaus noch dieselben Gesichter) machten das auch bei Maazels orchestralem Ring ( Blue-ray) auch in diesem Sinne, womit wir wieder beim Thema Wagnerästhetik wären.


    Ob das alles in Beethovens Zeit so geklungen hätte? Sicher nicht, aber dieser ständige Annahme, dass Beethoven solch eine Aufführung Karajans schrecklich gefunden hätte (vorausgesetzt, er wäre nicht taub), widerspreche ich.

    Wer weiß schon, was ihm in seinem inneren Ohr vorschwebte?


    Mich jedenfalls überzeugt diese jetzt schon bald historisch zu nennende und obendrein singuläre Art, Beethoven zu spielen. Dem beethovenschen Ausdrucksdrang, der Vermittlung des Kerns seiner künstlerischen Aussage kommt es in meinen Ohren sehr entgegen. Es lässt mich absolut nicht gleichgültig, macht betroffen, überwältigt und verwundert mich, und das, obwohl ich es so gut kenne.


    Bisher habe ich - im Gegensatz zu Dir- die Symphonie leider noch nie live hören können.


    LG :)

    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Lieber Glockenton,


    diese Aufführung der Eroica ist wirklich ertwas ganz besonderes. Wie man im Abspann sieht, ist die damalige Politikerriege unter den Zuhörern (u.a. Bundespräsident Carstens, Bundeskanzler Helmut Schmidt mit Loki).


    Genau wie bei Dir sind mir die 3 Karajan-DG-GA 1961, 1977 und 1984 geläufig, die ich je nach Sinfonie mehr oder weniger schätze. Die Sinfonien Nr. 3 , 5 und 7 dabei an der Spitze.


    *** Vor einigen Monaten ist mir aufgefallen, dass die TV-Videos, die in den Jahrzehnten im TV liefen als GA auf DVD vorliegen. Diese Produktion der UNITEL GmbH entstand 1967 - 1972.


    8) Dabei hatte ich ein ähnliches Aha-Erlebnis, wie Du jetzt bei der Eroica ... und ja ", es klingt wirklich anders und selten besser; auf jeden Fall höchst eindrucksvoll: frisch, lebendig, spontan, vorwärsschreitend und emotional.

    Ich berichtete im Thread Karajan vs Karajan - Vergleiche der Beethoven Sinfonie-Zyklen

    in Beitrag 40 von dieser aussergewöhnlich starken GA, die ich den CD-Ausgaben mit Karajan (DG) vorziehe.

    Ja, auch diese Eroica ist, wie nicht erwarten eine tiefgehende Int, die in die gleiche Richtung geht, wie Dein Beispiel ... auf jeden Fall "Anders" und unwiederbringbar.


    Die Klangqualität in DTS 5.1 ist ebenfalls besser als alle CD-Ausgaben.


    DG, 3 DVD, 1967 - 1972, DTS 5.1

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Ich schätzte mehr den Karajan Live Zyklus aus Tokyo.

    Eine sehr innige und frische Aufnahme, die einfach top ist.

    Musik ist höhere Offenbarung als alle Weisheit und Philosophie. Wem meine Musik sich verständlich macht, der muß frei werden von all dem Elend, womit sich die anderen schleppen.

    Ludwig van Beethoven


    Bruckner+Wand So und nicht anders :)

  • Ich lernte Beethovens Symphonien als Jugendlicher mit dieser zweiten 70er-Jahre DG-Einspielung Karajans kennen, und ich habe diese Aufnahmen sehr geliebt ( kannte aber auch nichts Anderes....)

    Lieber Glockenton,


    gestern erinnerte ich mich, dass ich als Schüler von meinen Eltern so einen kleinen Radiorecorder mit eingebautem Cassettendeck und Lautsprecher geschenkt bekam, wie es sie in den 70iger Jahren gab. Ein ziemlich einfaches Gerät. Die Orchesteraufnahme, die ich darauf immer spielte - ich weiß nicht, ob es eine MC war oder aus dem Radio aufgenommen, war die Eroica. Unzählige Male habe ich sie gespielt - den Ton noch heute im Kopf, vor allem das Thema des 1. Satzes: Er klang für mich etwas schwer und düster. Keine Ahnung, welche Aufnahme das war! Dann kam allerdings meine Phase, wo ich fast ausschließlich Klaviermusik hörte. Dem Orchesterrepertoire wandte ich mich erst später wieder zu. Und da lag mein Schwerpunkt zunächst eindeutig auf der Moderne - also Debussy und Strawinsky usw. Diese Prägung wirkt bei mir immer noch nach. Denn das "symphonische" Werk Beethovens, was bei mir eindeutig an erster Stelle steht, sind die Klavierkonzerte! ^^ Das ist eine richtige musikalische "Liebesbeziehung" - die kann ich auch jeden Tag hören. Die Symphonien dagegen höre ich eher gezielt und seltener und vertiefe mich dann da regelrecht hineinhörend. Sehr lange besaß ich überhaupt keine Gesamtaufnahme der Beethoven-Symphonien! Die Aufnahmen von Kletzki mit der Tschechischen Philharmonie kamen da am nächsten dran, waren aber nicht komplett! Heute ist das natürlich schon etwas anders geworden. :D:hello:


    Liebe Grüße

    Holger

  • Hallo Teleton,


    danke für Deinen Beitrag und den guten Hinweis.


    Sehe ich das richtig, dass auf der DVD/Blue-ray noch andere Aufnahmen der Symphonien enthalten sind, also nicht genau dieses 100-Jahre Festkonzert mit Schmidt und Carstens im Publikum?


    Holger:


    Ja, man hatte früher weder Dynaudio noch Audiovector ( ja, habe schon wieder neue Lautsprecher.....), aber man hat die klassische Musik doch mit großer Freude gehört.

    Zu den Klavierkonzerten und den Symphonien:

    Für mich gibt es da keine ideale Gesamtaufnahme. Keiner ist da irgendwie bei allen Symphonien "einfach der Beste".

    Das ist vielleicht auch gut so, weil es uns ja so etwas wie Demut vor der Größe von Kunstwerken lehrt.

    Bei den Symphonien höre ich es momentan so:


    die 1. Thielemann

    die 2. Thielemann

    die 3. Karajan !

    die 4. Thielemann

    die 5. Karajan

    die 6. Giulini/ Thielemann / Furtwängler ( Stockholmer Aufnahme)

    die 7: Solti ( Chicago Symphony)

    die 8. Thielemann ( er vermittelt wie wenige die humorvollen Aspekte dieser Symphonie)

    die 9. Karajan


    Thielemann und Karajan liegen bei mir offensichtlich vorne. Karajans 6. empfinde ich so, dass er nur das Gewitter wirklich mochte, während Giulini und Thielemann diese Naturidyll hinbekommen im Sinne von "mit den Ohren sehen". Auch Abbado hat die 6. noch vor seiner Berliner Zeit mit den Wienern schön hinbekommen.

    Die 7. ist beim Erz-Rhythmiker Solti m.E. am besten aufgehoben. Auch seine 5. mit den Wienern ist m.E. ziemlich gut gelungen.

    Harnoncourt finde ich bei der 1. und 2. auch in vielen Aspekten sehr gut, mag aber den fülligeren Klang der Wiener Philharmoniker mehr.


    Bei den Klavierkonzerten wird es auch nicht so ganz leicht.

    das 1. ist mit Michelangeli und Guilini hervorragend besetzt, auch Uchida/Sanderling

    Ansonsten bin ich mir nicht ganz sicher.

    Ich mag ja den reifen Brendel mit Rattle sehr ( Wahnsinn in den langsamen Sätzen), auch seine Einspielung mit Haitink hat Vorteile. Ob das Erste so schnell sein muss.....naja, vielleicht kann es das.

    Es gibt dann noch Pollini/Böhm und Pollini/Jochum. Böhm erfreut mich hier sehr. Er dirigiert ordentlich, klassisch, balanciert, irgendwie so, wie es sein sollte.

    Bei diesen Aufnahmen ärgere ich mich auf jeden Fall kaum.


    Ich kann auf Spotify oder Tidal viel vergleichen, aber gar so vieles finde ich da nicht überzeugend.


    Zu Deiner Klavierphase: die hält ja noch an, meinem Eindruck nach.. ;-)


    LG

    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Für alle Eroica-Fans: Heute 20:15 auf 3 Sat aus Lucerne mit dem Festival-Orchester unter Herbert Blomststedt die Eroica und vorher das 1. Beethoven KK mit Martha Argerich. Eine Aufzeichnung aus 2020. Man wird mit Sicherheit erleben können, daß das Alter bei der Musikinterpretation kein Nachteil zu sein braucht.


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Ja, man hatte früher weder Dynaudio noch Audiovector ( ja, habe schon wieder neue Lautsprecher.....), aber man hat die klassische Musik doch mit großer Freude gehört.

    Lieber Glockenton,


    das war zu meiner Schulzeit, bevor meine Eltern ein Haus kauften. Musik wurde sonst gehört im elterlichen Wohnzimmer mit einer Braun-Anlage. Mit meinem Bruder teilten wir uns ein Zimmer, das ziemlich klein war, da passte dann so ein kleines Teil und ich hatte das Gefühl, meine eigene Musikanlage zu haben. Später dann im Haus hatte ich mein eigenes Zimmer und kaufte mir dann auch eine eigene Anlage - die dann deutlich besser war als die alte meiner Eltern. :)

    Für mich gibt es da keine ideale Gesamtaufnahme. Keiner ist da irgendwie bei allen Symphonien "einfach der Beste".

    Da ich mich mit einer theoretische Arbeit beschäftigte (die immer noch nicht ganz abgeschlossen ist) u.a. über die Eroica-Rezeption, die ziemlich gräuslich ist insbesondere in Deutschland, nationalistisch-chauvinistisch und militaristisch, also Ideologie belastet bis zum geht nicht mehr, hatte ich mir in dem Kontext gedacht: Jetzt beschäftigst Du Dich aber endlich mit den Beethoven-Symphonien intensiver. Die Aufnahme, die ich mir dann besorgte, weil sie mich packte, war Abbados Zyklus, der während einer Italien-Tournee der Berliner Philharmoniker entstand. Bei Beethoven sind die Auslegungen ja sehr unterschiedlich, je nach musikalischem Weltbild. Was ich auch wrklich spannend finde! Adriano verdanke ich, dass er mir Herrmann Scherchens Mitschnitte aus der Schweiz besorgte, dann kaufte ich noch Furtwängler und Celibidache. Als Gesamtaufnahmen in meiner Sammlung gibt es noch Karajan und Leibowitz, dann fast komplett Kletzki und natürlich diverse Einzelaufnahmen von Kleiber bis Mrawinsky. Zum Interpretationsvergleich bin ich aber bisher einfach nicht gekommen. Das ist leider so, wenn die Zeit zum Musikhören begrenzt ist und man in der wenigen freien Zeit dann auch noch Anderes hören und sich damit beschäftigen will. ;(


    Dass Youtube-Video von Karajan habe ich gestern gehört - den 3. und 4. Satz. Das ist natürich ein ästhetischer Genuss. Aber das Finale ist mir dann doch einfach zu glatt. Es ist ein Variationssatz, den es bekanntlich auch als Klavierstück gibt, die Eroica-Variationen. Die habe ich mit Emil Gilels in der Düsseldorfer Tonhalle erlebt - er gab einen reinen Beethoven-Abend und es war sein letzter Solo-Abend in Düsseldorf. Die Eroica-Variationen sind eine Gilels-Sternstunde. Nicht nur, dass er einen überragenden Formsinn hat. Man spürt bei Gilels den etwas derben Humor Beethovens, diese Querschläger, die dazwischen hauen. Davon ist bei Karajan schlicht nichts mehr zu hören. Wobei man wohl sagen muss, dass die Orchesterfassung im Prinzip viel unexzentrischer ist als die Klavierversion. Dann entdecke ich gestern den fabelhaften Video-Mitschnitt von Claudio Abbado aus Luzern (s.u.!) - wo Sabine Meyer mitspielt, die Karajan unbedingt wollte aber das Orchester nicht ^^ . Das ist die völlig entgegengesetzte Ästhetik zu Karajan, ein fast schon kammermusikalisch-durchsichtiges Spiel, unglaublich subtil ausgehorcht und nicht weniger perfekt ausbalanciert. Wie Karajan spielt auch Abbado das als "absolute Musik" ohne programmatische Bezüge. Von Beethovens Kauzigkeit, die in der Klavierfassung zu Ausdruck kommt, ist auch bei ihm so gut wie nichts mehr präsent. Aber in diesem Finale, dem Variationssatz, hat Abbado für mich eindeutig die Nase vorn. Bei ihm hört man den komplexen Aufbau der Fuge in allen Verästelungen, die Frage-Antwort-Spiele, die Zäsuren. Das fesselt mich. Die Musik bekommt Perspektive und Tiefe. Das alles bügelt Karajan doch ziemlich glatt, die Fuge, von der man nichts mehr hört, geht regelrecht unter im schön homogenisierten Einheits-Sound und seinem Sog. (Wenn man es süffisant ausdrücken würde: die Fuge säuft ab bei Karajan :D ! )Die Musik rauscht bei Karajan virtuos gespielt und ästhetisch perfekt an mir vorüber. Das ist zwar eine überragende Orchesterleistung, denke ich mir dann, aber vom Wesen insbesondere des finalen Variationssatzes erfahre ich bei Abbado mehr für meinen Geschmack. Ich kann Deine Begeisterung für Karajan sehr wohl verstehen - in den anderen Sätzen. Nur im finalen Variationssatz fehlt mir da doch etwas. Da finde ich die Karajan-Ästhetik etwas problematisch. Das "Schroffe und Jähe" kann man da nur meiden im Wagnerschen Sinne, wenn die unterbrochenen Ansätze überspielt werden, die aber zu einer Fuge gehören, die ja vom merhstimmigen Gesang herkommt, dem Reiz neu einsetzender und einander ablösender Stimmen. Die Quasi-Polyphonie bei Beethoven wird bei Karajan homophonisiert. Und das finde ich essentiell "frag-würdig" im wörtlichen Sinne. Zumal einem da die Klavierfassung mit ihren humoristischen Querschlägern vielleicht doch lehren kann, dass das "Schroffe und Jähe" zu dieser Musik unverzichtbar dazu gehört.


    Bei den Klavierkonzerten wird es auch nicht so ganz leicht.

    das 1. ist mit Michelangeli und Guilini hervorragend besetzt, auch Uchida/Sanderling

    Bei mir ist Michelangeli auch ganz vorne. Aber da ich die Klavierkonzerte sehr liebe, möchte ich auf keine meiner Favoriten verzichten: Michelangeli, Arrau, Rubinstein, Pollini, Anda, Kempff... Ich kann einfach nicht genug bekommen! Übrigens ist der Mitschnitt des 3. Klavierkonzerts von Karajan mit Glenn Gould überragend - beide verband eine Freundschaft. Erstaunlich, wie gut sich Karajan auf die Eigenart seines ja nicht einfach zu nehmenden Solisten einstellen konnte, der hier so gar nicht Gould typisch spielt, eher so, als sei er Claudio Arrau. :)

    Zu Deiner Klavierphase: die hält ja noch an, meinem Eindruck nach..

    Das stimmt absolut! Das wird auch immer so bleiben! ^^ :hello:


    Einen schönen Sonntag wünschend

    Holger

  • Lieber Holger,


    ich habe mir den YouTube-Film mit Abbado angeschaut.

    Nun ist es ja so, dass Abbado einer meiner ganz großen Lieblingsdirigenten ist, was auch mit seinen Brahms-Symphonien und dem Requiem desselben sehr zusammenhängt.

    Wie oben angeführt, finde ich seine Beethoven 6. mit den Wiener Philharmonikern auch richtig gut.


    Auch dieses Konzert finde für sich genommen auf sehr hohem Niveau statt. Wenn man also etwas kritisiert, dann sollte man immer voraussetzen, dass hier über ein Top-Niveau gesprochen wird.


    Mein Eindruck: Es klingt vom Orchesterklang her matter, kammermusikalischer und insgesamt weniger kraftvoll hinsichtlich der agitativen und apodiktischen Aspekte. Beethoven wollte aus meiner Sicht seine Botschaft mit maximaler Intensität seinem Publikem sozusagen "eindrücken", nicht Widerspruch oder Distanz zulassend, was ihn, so wie ich es empfinde, mit Wagner verbindet.


    Um es konkret und nachvollziehbar zu machen, beziehe ich mich auf einige Stellen, die man an innerhalb der Tamino-Plattform mit Hilfe der Zeitangabe unter dem Film problemlos auffinden kann.

    Für das Karajan-Konzert muss man dann zu Noberts Beitrag Nr. 430 hochscrollen.


    Zunächst: Der Einsatz im ersten Satz.

    Wenn man sich erst Abbado einige Takte lang anhört und dann den Karajan-Anfang ( 0.58) hört, wird man - so meine ich eindeutig behaupten zu können- einen großen Unterschied hinsichtlich der Wucht dieser Beethovenschen Gewalteinschläge wahrnehmen. Gegen das BPO-Konzert klingt es aus Luzern vergleichsweise zahm.

    Auch der Orchesterklang an sich ist sehr unterschiedlich. Zurückhaltend, vergleichsweise kammermusikalisch bei Abbado, vollmundig und strahlend bei Karajan. Ich mag das Letzere in diesem Fall wirklich lieber.

    Diese Unterschiede ziehen sich durch Satz 1 bis 3 hindurch.


    Man könnte auch viel zum 2. Satz und 3. Satz sagen ( Scherzo ist mir bei Abbado zu langsam und hat im Vergleich zu wenig Energie) aber da Du den 4. Satz angesprochen hast, möchte ich gerne auf diesen eingehen.


    Er beginnt bei beiden atacca vom Scherzo aus, Abbado 42.55, Karajan 38.25.


    Die Tutti-Abschnitte bis zur Fermate belegen den grundsätzlich schon angesprochenen Unterschied: Abbado vergleichsweise milder, Karajan mächtiger und strahlender.

    Dann kommen die Pizzikato stellen, die zum Fugato hinführen. Man muss schon erwähnen, dass es eben keine richtige Fuge ist, weil Beethoven es dann nicht wie bei Bach zum Ende führt.

    Das ist kein Nachteil, und es würde hier dramaturgisch gesehen auch gar nicht passen, eine Fuge im Sinne des WTK für Orchester zu schreiben.


    Ab 43.45 ( Abbado) und 39.13 ( Karajan) beginnt es kontrapunktisch zu werden.

    Hier fällt auf, dass die Streicher bei Abbado im Sinne des Glockentons dynamisch zurückfedern und vibratoarm spielen. Diese dynamische Glockentonkurve ( sehr wichtig bei Harnoncourt) bewog mich ja vor vielen Jahren, mich bei Tamino selbst so zu nennen.

    Dennoch finde ich hier, dass mich dieses historisierende, retrospektive Spielen bei diesem Werk weniger überzeugt. Man bekommt vermittelt: Die Musik kommt vom Barock, vom Rokokko und der Frühklassik her, und da es ja fugenartig wird, könnte es gerade hier passen. Doch passt es wirklich ? Nicht so sehr, wie ich finde, weil Beethoven meiner Ansicht nach spätestens ab der Eroica versuchte, sich zwar noch sehr der alten rhetorischer Mittel bedienend, aus dem Rahmen dieser vom Barock her kommenden Klangsprache/ Klangrede auszubrechen, ja, ihn zu sprengen. Er tut dies, in dem er nicht nur rhetorische Mittel wie damales gewohnt einsetzt, sondern diese auf die absolute Spitze ( über)treibt. Die kluge geistreiche Rede des Barock wird zur nicht minder intelligenten, aber auch extrem aufwühlenden emotionalen Agitation, eigentlich zur penetrierenden Propaganda :untertauch:

    Vorsicht, vorsicht, ich weiß, aber dies ist eben auch der Grund, weshalb die Braunen sich damals auf diese Musik so gerne gestürzt haben. Deren Oberster, der hat sich ja in seinen Reden zum Schluss in Extase, in einen Art Vereinigungsrausch mit den Zuhörern geredet, auch gehämmert und geschrien.

    Da kam es ihnen sicher sehr gelegen, dass Beethoven solche "rockigen" ( wie man heute sagen würde) oder auch "aufwiegelnden" Elemente zweifelsohne hat.

    Dass der Humanist Beethoven diese Typen mit Sicherheit sehr gehasst hätte, spielte dann ebensowenige eine Rolle wie die Tatsache, das Richard Wagner ( deren musikalischer Hausgott) im Leben eigentlich ein regelrechter Vertreter der linken Revolte war....

    Lange Rede kurzer Sinn: weil Beethoven die Fesseln der höfischen Musik für die wenigen Gebildeten abstreifen wollte, ja aus diesem Käfig geradezu durch eine Verballhornung dieser eigentlich eher galant daherkommenden Klangrede gewaltsam und doch kulturell-musikalisch ausbrechen wollte, finde ich die energetischen, stärker vibrierende und dynamisch nicht im Sinne der Glockentonkurve zurückfedernden Spielweise bei Karajan angemessener. Das ist eindeutig eine Sache des persönlichen Geschmacks, aber ich kann wenigstens begründen, warum mein Geschmack dahin tendiert.


    44.42 Abbado: hier kommt es mir auf die in Triolen begleitenden Streicher an, die harmonisch gesehen auf dem Septakkord in Triolen repetieren. Im Barock hat man solche pulsierenden Effekte legato gespielt, in einem Bogenstrich und dann durch leichten Druck ein rhytmisches Vibrato erzeugt. Es war für emotionale starke Stellen gedacht. Beethoven indes lässt es non-legato spielen, mit extra-Ansatz auf jeder Note, wodurch der emotionale Effekt noch stärker wird.

    Eben diesen vermisse ich etwas bei Abbado. Ja, es ist schon da, aber doch zu abgemildert, zu sehr "im Rahmen".

    Es klingt bei Karajan ganz anders: 40.05.


    Man muss für diese beiden Stellen dazusagen, dass es Sinn macht, vom Anfang dieses Abschnitts an zu hören.

    Natürlich fällt auch auf, dass es bei Abbado doch deutlich langsamer dahergeht. Dadurch kann man entspannter auf die einzelnen Details der "Zugfahrt" sehen ( hören). Allerdings finde ich, dass hier mehr Spannung als Entspannung angesagt ist. Der große Bogen, das Drängen zum Finale hin: all das ist bei Karajan überdeutlich zu spüren ( auch durch den geradezu erlösenden Applaus der unter Stromspannung gesetzten Leute dokumentiert).

    Und eben das vermisse ich jedenfalls eindeutig bei Abbado, den ich, wie gesagt, zu meinen großen Helden zähle, und der in der Zusammenarbeit mit den Musikern sicherlich der angenehmere Mensch war.


    48.52 Abbado: Ab hier stimmen die Hörner mit in den schon erreichten Jubel ein, es sollte sich bis zum Rausch, bis zum Tumult steigern, bis dann die Generalpause kommt, die dem herrlichen Oboensolo vorausgeht. Ich vermisse auch hier diesen sich Freudentaumel, diesen Rausch diese ausgelebte Emotionalität. Es ist gut, sicherlich, kommt aber nicht so aus sich heraus, der Rahmen wird nicht verlassen.


    43.52 Karajan: Hier haben wir den Rausch, und der Tumult kommt in den herumrumpelnden Kontrabässen schön heraus.


    Nur noch eine Stelle, allerdings meine Lieblingsstelle:


    50.09 Abbado / 45.15 Karajan


    Man kann es auch vom Oboensolo her im Zusammenhang vorteilhaft hören.

    Der historisierende Streicherklang bei Abbado lässt mich für diese herrliche Stelle doch eher kalt.

    Der vollmundige, energetische Streicherklang bei Karajan ( dazu Hörner) erzeugt bei mir faktisch jedes Mal, wirklich jedes Mal echte Gänsehaut, über den ganzen Körper verteilt. Das ist keine Floskel, sondern es ist so.


    Da ist es mir ehrlich gesagt egal, dass man diesen Klang eher Wagner zuschreibt. Das klingt mir bei Karajan viel musikalischer und eben auch sehr einzigartig, denn so wie hier, gerade an dieser Stelle, klingt es eben nur bei ihm. Das gibt es heute irgendwie nicht mehr.


    Damit will ich es belassen. Man kann imemr das Eine oder das Andere bevorzugen, und die Geschmäcker können verschieden sein.

    Ich finde es aber interessant, wenn man konkret begründet, warum man das Eine dem Anderen vorzieht. Vielleicht können ja auch einige "geneigte" Mitleser mit diesen Ausführungen etwas anfangen und bei entsprechendem Zeiteinsatz auch klanglich nachvollziehen.


    Schönen Sonntag auch Dir :-)

    Meine Familie ruft. Es gibt Eis und Fruchtsalat, danach wird gegrillt...


    LG :)

    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Hallo Teleton,


    danke für Deinen Beitrag und den guten Hinweis.


    Sehe ich das richtig, dass auf der DVD/Blue-ray noch andere Aufnahmen der Symphonien enthalten sind, also nicht genau dieses 100-Jahre Festkonzert mit Schmidt und Carstens im Publikum?

    Hallo Glockenton,

    ja, es handelt sich bei dieser 3 DVD-Beethoven-Sinfonien Box um eine weitere Sinfonien- GA, die für das Fernsehen von 1967 -1972 gemacht wurden - Abb in Betrag 432.

    Es sind bei den Sinfonien Nr. 4, 5 und 9 LIVE-Konzerte aus der Berliner PH.

    Die Eroica ist eine Studio-Produktion und nicht das 100-Jahre Festkonzert ... aber nicht minder packend ...


    Ich empfinde diese GA als den Hammer (um es ganz kurz in meine Worte zu fassen, ohne wie Du weiter auszuholen).



    :!:Klassikfan machte auf den Live-Zyklus aller 9 Sinfonien aus Tokyo in den 60ern aufmerksam. Dieser ist ganz sicher auch von grosser Bedeutung. Gestern habe ich daraus auf YT die Sinfonie Nr.5 gesehen/gehört. Eine wahnsinnig spannendes Konzert, das die dramatischen Höhepunkte an die Grenzen des möglichen bringt :hail:. Aber auch die Fünfte in der o.g. DVD-Box von 1970 geht in die gleiche hochdramatische Richtung.

    Ich hätte es nie für möglich gehalten, da mein Favorit immer Die Fünfte auf CD mit Karajan (DG, 1961) war, sowie die weiteren DG-Aufnahmen von 1977 und 1984. Aber sowohl das Tokyo-Konzert, wie auch die TV-Produktion auf DVD geht noch darüber hinaus ... :angel: hochexplosiv

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Edit: ausgerechnet bei meiner Lieblingsstelle ist mir ein Fehler unterlaufen. Sie beginnt bei Karajan bei 45.15


    Ich habe es im Beitrag korrigiert.

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

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  • teleton:


    vielen Dank auch für die Antwort.


    Diese DVDs ( hoffentlich gibt es sie auch als Blue-ray) hätte ich schon gerne und habe sie mir bestellt.

    Ich gestehe, dass ich die akustischen Ergebnisse bei Karajans Telemondial-Produktionen wesentlich mehr mag als die optischen, bei der Karajan selbst Bildregie führte ( wenn es diese Telemondial-Sachen sind).

    Deren "in Reih- und Glied-Ästhetik" d.h. z.B. mit bildrhythmisch hintereinander gestaffelten Trompetentrichtern usw. ( das übertriebende Spiel mit Schärfe und Unschärfe der Kamera) empfinde ich heute irgendwie als unzeitgemäß, d.h. ich bevorzuge doch "normale" Bildschnitte, wie sie heute eigentlich üblich sind.

    Aber darüber kann man hinwegsehen - wichtiger ist ja, wie es klingt.

    Ich hoffe auch auf eine beeindruckende 9. Symphonie....


    LG

    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Lieber Glockenton,


    Deine Antwort beglückt mich - jetzt sind wir mitten in einem "Eroica-Workshop"! :)


    Ich verstehe voll und ganz, was Du meinst. Deshalb erläutere ich nochmals ein bisschen ausführlicher, warum mich diese Abbado-Aufnahme doch so becircen konnte. (Ich weiß auch nicht, ob meine Aufnahme so weit geht wie dieser Luzerner Mitschnitt!) ^^


    Bedingt durch meine Beschäftigung mit der Beethoven-Rezeption bei Paul Natorp (der Philosoph, der auch Komponist war, siehe meinen Thread Philosophen als Komponisten) ist mir diese ganze Ideologielastigkeit der Rezeptionsgeschichte insbesondere der Eroica klar geworden. Natorps Beethoven-Bild (in "Der deutsche Weltberuf" von 1916 sowie seiner Beethoven-Rede "Beethoven und wir" von 1920) stützt sich auf drei Säulen. Die erste ist der von Beethoven selbst hoch geschätzte Adolph Bernhard Marx (nicht zu verwechseln mit Karl Marx! :D ), der ein Hegelianer war. Für A.B. Marx ist ein Musikwerk der Ausdruck einer Idee. Ausgerechnet A.B. Marx hat die - fatale - "militaristische" Beethoven-Hermeneutik begründet, weil er die These vertrat, die "Eroica" sei der Ausdruck einer "idealen Schlacht". Dazu kommt das berühmte Beethoven-Buch von Paul Bekker. Dies spiegelt die deutsch-nationalistische Beethoven-Rezeption. Nach Bekker sind Beethovens Symphonien nämlich "Reden an die deutsche Nation" - im Sinne von J.G. Fichte. Weiter dazu kommt jenes in dieser Zeit entdeckte Schiller-Fragment - das ist die dritte Säule - wo Schiller in der Depression der deutschen Niederlage gegen die Franzosen behauptete, die Deutschen hätten zwar auf dem realen Schlachtfeld verloren, der wahre Sieg aber gebühre ihnen. Die Deutschen und nur die Deutschen hätten die moralische Aufgabe, stellvertretend für die ganze Menschheit den Sieg des Geistes zu erringen. Das alles findet sich bei Natorp dann vereinigt. Er projiziert in die Eroica das "Weltkriegserlebnis" hinein, interpretiert also das, was bei A.B. Marx eine "ideale Schlacht" ist, als die reale Schlacht, die die deutschen Soldaten in den den Schützengräben des 1. Weltkriegs schlagen im Sinne eines Kampfes der Kulturen, der dort ausgetragen und entschieden werde mit Kanonen und Maschinengewehren. Die Eroica schlägt diese Schlacht nun musikalisch. Das ist für einen heutigen Leser alles völlig ungenießbar, wurde damals aber todernst genommen. Also das Finale der "Eroica" ist der triumphale Sieg der deutschen Kultur auf dem Schlachtfeld gegen Franzosen und Engländer. Die Eroica wird so das deutschnationale Erbauungswerk schlechthin. Klar, dass der Nationalsozialismus diese Auslegungstradition nur zu gerne adaptiert hat.


    Vor diesem Hintergrund bewerte ich Abbados Aufnahme. Die Frage ist, wie und inwieweit das Werk und seine Wirkungsgeschichte (im Sinne von H.G. Gadamer) zusammen gehören. Die Aufführungspraxis der "Eroica" ist von dieser unheilvollen Rezeptionsgeschichte ja nicht zu trennen. Wenn Beethovens Empfindsamkeit und Heroismus so deutschnationalistisch und militaristisch verbrämt wurde, dann kann man verstehen, dass Abbados Distanzierung davon einfach ein Befreiungsschlag ist gegenüber diesem Traditionsballast. Das empfinde ich auch so. Dieser ganze ideologische Mief ist verflogen in seiner schlanken, kammermusikalischen Art. Da wird finde ich Beethoven ganz bewusst "entheroisiert". Das ist natürlich eine Radikalkur, so eine Art Fegefeuer, dem viel zum Opfer fällt. Aber da ist eben die Frage, was man stärker bewertet, den Verlust oder den Gewinn.

    Auch der Orchesterklang an sich ist sehr unterschiedlich. Zurückhaltend, vergleichsweise kammermusikalisch bei Abbado, vollmundig und strahlend bei Karajan. Ich mag das Letzere in diesem Fall wirklich lieber.

    Diese Unterschiede ziehen sich durch Satz 1 bis 3 hindurch.

    Deine Beschreibung ist absolut zutreffend. Nur Abbado - der Karajans und auch Furtwänglers Aufnahmen ganz bestimmt kannte - wollte genau das nicht mehr, die Eroica in dieser Furtwängler-Tradition heroisch interpretieren. Du hast es treffend beschrieben, bei Abbado gibt es keinen durchbrechenden Bläser-Triumpf, keine Siegesfanfaren. Diese ganze Musik-Hermeneutik von Kampf und Sieg wirft er über Bord. Entsprechend kommen die Bläser nie strahlend heraus, sondern bleiben immer schön diskret zurückhaltend.

    Man könnte auch viel zum 2. Satz und 3. Satz sagen ( Scherzo ist mir bei Abbado zu langsam und hat im Vergleich zu wenig Energie) aber da Du den 4. Satz angesprochen hast, möchte ich gerne auf diesen eingehen.

    Ja, z.B. der Trauermarsch ist interessant. Bei Herrmann Scherchen (Live-Mitschnitt aus Zürich) klingt er wirklich beklemmend. Anders als Scherchens Expressionismus dirigiert Abbado auch diesen Satz distanziert - in der Haltung von Gustav Mahlers Bruder-Martin-Satz aus der 1. Symphonie. Mahler lässt dort das Bild eines Leichenbegräbnisses an uns vorüberziehen im Sinne dessen, was er den "humoristisch-ironischen Kunststil" nennt, der von überlegener "höherer Warte" aus mit der Welt fertig zu werden versucht. Genauso gibt Abbado hier das Bild von einem Trauermarsch, also eine Art Impression, wodurch er jede Art von Affektbeladenheit ausschließt. Das muss man nicht mögen - passt aber ganz genau in Abbados Gesamtkonzept.

    Dennoch finde ich hier, dass mich dieses historisierende, retrospektive Spielen bei diesem Werk weniger überzeugt. Man bekommt vermittelt: Die Musik kommt vom Barock, vom Rokokko und der Frühklassik her, und da es ja fugenartig wird, könnte es gerade hier passen. Doch passt es wirklich ? Nicht so sehr, wie ich finde, weil Beethoven meiner Ansicht nach spätestens ab der Eroica versuchte, sich zwar noch sehr der alten rhetorischer Mittel bedienend, aus dem Rahmen dieser vom Barock her kommenden Klangsprache/ Klangrede auszubrechen, ja, ihn zu sprengen. Er tut dies, in dem er nicht nur rhetorische Mittel wie damales gewohnt einsetzt, sondern diese auf die absolute Spitze ( über)treibt. Die kluge geistreiche Rede des Barock wird zur nicht minder intelligenten, aber auch extrem aufwühlenden emotionalen Agitation, eigentlich zur penetrierenden Propaganda

    Deine Bemerkungen zum Barock finde ich sehr aufschlussreich und ich mag ganz genau diese historisierenden Aufnahmen nicht, weil Beethoven keine Barockmusik ist. Nur andererseits hat gerade der späte Beethoven gerne Fugen und Variationssätze in die Sonatensatzform eingebaut (op. 106, op. 109, op. 110, op. 111). Warum wohl? Mir gefällt der Auftakt des Finales weder bei Karajan noch bei Abbado. Nehmen wir mal den Notentext - 1. Seite der Partitur und der "Eroica-Variationen" für Klavier:


    HL-366076First_BIG.png



    Beethoven-Variation-op-35-15-variations-Eroica-Variations-page1-51c9109280167.jpg

    Man sieht hier, dass Beethoven die B-Oktaven im Bass als eine Art Basshammer komponiert hat - in der Klavierversion ist das ein extremer dynamischer Kontrast Pianissimo-Fortissimo. Emil Gilels damals in der Düsseldorfer Tonhalle hat in die Tasten gehauen, dass man vom Stuhl hochgefahren ist! Weder bei Karajan noch bei Abbado ist davon etwas zu spüren. Die Oktaven-Triolen werden entmaterialisiert gespielt so, als wäre die Musik der vorbeihuschende Sommernachtstraum von Mendelssohn, schön locker und leicht. Bei beiden ist das eine Ästhetisierung - aber aus unterschiedlichen Gründen. Karajan meidet im Sinne von Richard Wagner das "Schroffe und Jähe" eines solchen Kontrastextrems, bei Abbado ist es ein feiner Klassizismus der Ent-Heroisierung: Klassizismus im Sinne von Prokofieffs Klassischer Symphonie (Abbado liebt Prokofieff!), also als eine geläuterte Haltung entspannten Musizierens, indem die Spannungen und Kontraste "dargestellt" statt gelebt und unmittelbar erlebt werden. Interessant ist, dass Celibidache diese Schläge tatsächlich Forte dirigiert - im langsameren Tempo kommt der Kontrast eben besser heraus. Am nächsten an Beethovens dynamischen Vorschriften dran ist da nach meinem Durchhören Erich Kleiber mit dem Concertgebouw-Orkest. Und der Blick in den Notentext zeigt auch, wo das Problem liegt. Es gibt zwei Lesarten, was das Tempo angeht. Karajan gehört zu den "Tempo-Rasern" - orientiert sich hier eher an Toscanini als an Furtwängler. Und genau dieses Tempo finde ich überdreht und zerstört die Spannung in diesem Variationssatz. Beethovens Variationssätze sind ja nach dem Prinzip der allmählichen Tempo-Belebung aufgebaut - am deutlichsten ist das in der Arietta aus der letzten Klaviersonate op. 111, wo die Variationen immer mehr in Bewegung versetzt werden, bis sich alles in einem Triller auflöst. Die Tempobezeichnung ist zwar Allegretto vivace (Klavierversion) und Allegro molto, aber das Thema (2/4 Takt) beginnt in Halben und Vierteln, d.h. da stehen nach dem Sturmwind der Einleitung durchaus gemäßigte Zeitwerte. Wenn man am Anfang schon losstürmt, dann kann das zwar einen Sog erzeugen, zerstört aber die Binnenspannung der Variationskette. Die Tempobelebung ist in den Eroica-Variationen - ziemlich kauzig-humorvoll, typisch Beethoven - verbunden mit Bremsern und retardierenden Momenten. Beethoven war ja sowas wie ein hyperaktives Kind mit unbändigem Bewegungsdrang. Die ganze Ungeduld, auch der "Wille" nach Bewegung, sich gegen die Widerstände schließlich durchzusetzen, die Unfähigkeit, wirklich stillsitzen zu können, wird nur deutlich, wenn man nicht all das in einem Tempo-Sog einebnet. Deswegen empfinde ich Karajans Gestaltung dieser Variationskette als reibungslos und glatt - er hat zwar Finalität, einen Bewegungszug, aber damit auch hier die Kontraste, Beethovens exzentrische Dialektik von Fortbewegung und Bremsung, weich- und weggespült im Tempo-Rausch. Da gefallen mir Abbado oder auch Celibidache einfach besser. Bei Letzterem, der nie mit historischer Aufführungspraxis etwas anfangen konnte, hört man in dieser Hinsicht alles, auch im Fugato.

    Das ist in der Tat eine entscheidende Stelle! (Ich habe es zeitlich noch nicht geschafft, alle Deine anderen Beispiele nachzuvollziehen!) Karajan zelebriert das sehr eindrucksvoll, geradezu schwelgerisch. Empfindsamkeit wird zu einem Moment, was man im 18. Jhd. "Rührung" nennt. Aufschlussreich ist hier, dass diese Rührungs-Passage bei Celibidache sehr ähnlich ausgekostet wird - etwas weniger schwelgerisch, dafür aber sehr lyrisch-intim. Dass Celi und Karajan das hier sehr ähnlich machen, ist auch kein Zufall: Ihr gemeinsames Vorbild ist Wilhelm Furtwängler. Höre mal Furtwänglers Mitschnitt von 1944! Furtwängler zelebriert diese Stelle - das beginnt schon mit einer bedeutungsschwangeren Besinnlichkeits-Fermate auf der Pause zu Beginn, die er quasi zur Unendlichkeit ausdehnt. Und Furtwängler hat vorgemacht, wie dann die Streicher sentimentalisierend in die Länge gezogen werden. Bei Abbado bin ich mir sicher, dass er genau das bei Karajan und Furtwängler gehört hat und es betont anders machen wollte - also Beethoven gerade hier ent-sentimentalisieren will. Wer diese Passage ähnlich unsentimental dirigiert - auch das ist kein Zufall - ist Toscanini und von den deutschen Dirigenten interessanter Weise Erich Kleiber. (Klemperer als Mahler-Schüler spielt hier abgesetzte Phrasen im Sinn von Mahlers Prinzip der "Deutlichkeit" - auch sehr interessant!) Nur geht Abbado einen Schritt weiter - selbst Toscanini hat nicht gewagt, das Streicherfundament so kammermusikalisch "auszudünnen", dass es fast nicht mehr da ist, also das "Großsymphonische" zu reduzieren. Das hat bei Abbados schon etwas von einem Exorzismus - man sieht die Batterie von Kontrabässen da stehen aber hört sie nicht! :D Nur das macht finde ich einen großen Dirigenten aus, dass er keine Angst vor der eigenen Courage hat sondern sein Konzept radikaler Entheroisierung auch hier kompromisslos durchzieht. Bei ihm klingt diese Stelle dann tatsächlich wie ein klassizistischer Prokofieff. Nur bekommt ein solches Konzept ein Problem - das wird in Celibidaches finde ich sehr hörenswerter Interpretation deutlich. Das hast Du auch schon angesprochen. Der radikalen Entheroisierung bei Abbado droht die Finalwirkung zum Opfer zu fallen. Celibidache, der auch keinen heroischen Schluss haben will, hat hier einen Ausweg gefunden, indem er Beethoven zu einem Proto-Bruckner macht. Man kann ja eine dynamische Steigerung nicht nur durch eine Tempo-Beschleunigung, sondern auch durch eine Verlangsamung erreichen. So macht es z.B. Lorin Maazel, um den Höhepunkt von Ravels Bolero zu verdeutlichen. Celibidache lässt die Musik im dynamischen Höhepunkt gleichsam implodieren - um dann die Presto-Coda davon abzusetzen. Das ist sicher auch nicht unproblematisch, aber eine sehr intelligente und durchaus spannende Lösung des Finalproblems der Eroica, wenn man denn nicht in der Furtwängler-Tradition heroisieren will! :hello:


    Liebe Grüße

    Holger

  • Lieber Holger,


    herzlichen Dank für Deinen spannend zu lesenden Beitrag. Danke auch, dass Du Dir offensichtlich doch recht viel Zeit genommen hast und auch in wenigstens eines der Musikbeispiele hineingehört hast:)


    Nun kann ich auf philosophischer Ebene nicht auf Deinem Niveau mithalten, da ja die Musik selbst mein beruflicher Schwerpunkt ist. Umso mehr finde ich es natürlich interessant, dieses Werk einmal aus dieser Perspektive zu beleuchten, so wie es Dir gewohnter ist als mir. Aber diese Aspekte bekommt man ja auch als Musiker oder Hörer nonverbal mit, ohne dass sie jederzeit nahezu zwangsläufig ins Bewusstsein im Sinne von gut ausformulierten Sätzen gelangen.


    Für A.B. Marx ist ein Musikwerk der Ausdruck einer Idee. Ausgerechnet A.B. Marx hat die - fatale - "militaristische" Beethoven-Hermeneutik begründet, weil er die These vertrat, die "Eroica" sei der Ausdruck einer "idealen Schlacht". Dazu kommt das berühmte Beethoven-Buch von Paul Bekker. Dies spiegelt die deutsch-nationalistische Beethoven-Rezeption. Nach Bekker sind Beethovens Symphonien nämlich "Reden an die deutsche Nation" - im Sinne von J.G. Fichte. Weiter dazu kommt jenes in dieser Zeit entdeckte Schiller-Fragment - das ist die dritte Säule - wo Schiller in der Depression der deutschen Niederlage gegen die Franzosen behauptete, die Deutschen hätten zwar auf dem realen Schlachtfeld verloren, der wahre Sieg aber gebühre ihnen. Die Deutschen und nur die Deutschen hätten die moralische Aufgabe, stellvertretend für die ganze Menschheit den Sieg des Geistes zu erringen. Das alles findet sich bei Natorp dann vereinigt. Er projiziert in die Eroica das "Weltkriegserlebnis" hinein, interpretiert also das, was bei A.B. Marx eine "ideale Schlacht" ist, als die reale Schlacht, die die deutschen Soldaten in den den Schützengräben des 1. Weltkriegs schlagen im Sinne eines Kampfes der Kulturen, der dort ausgetragen und entschieden werde mit Kanonen und Maschinengewehren. Die Eroica schlägt diese Schlacht nun musikalisch. Das ist für einen heutigen Leser alles völlig ungenießbar, wurde damals aber todernst genommen. Also das Finale der "Eroica" ist der triumphale Sieg der deutschen Kultur auf dem Schlachtfeld gegen Franzosen und Engländer. Die Eroica wird so das deutschnationale Erbauungswerk schlechthin. Klar, dass der Nationalsozialismus diese Auslegungstradition nur zu gerne adaptiert hat.

    Ja, mir ist da schon etwas die Kinnlade beim Lesen heruntergefallen, und ich kann gut nachvollziehen, warum sich dieses Werk für diese Auslegung geradezu anbot.

    Ob Beethoven das gewollt hätte? Ich glaube, die Antwort auf diese Frage ist gar nicht so wichtig, weil man das Werk vom Schaffenden am Ende für sich alleine stehend rezipieren sollte.

    Einig bin ich mit Marx, dass ein Musikwerk Ausdruck einer Idee sei. Mir fällt es an mir selbst auf, wenn ich an einer gewissen Stelle der Messe an der Orgel improvisiere. Man nimmt den Gedanken des vorhergehenden Chorals auf und schaut, was "die da vorne" am Altar so treiben. Dann kommen die Ideen. Sie entwickeln sich aus den harmonisch-rhytmisch- und melodischen Elementen, die man kennt und kann, werden dann aber zu etwas Neuem, was nur für diesern Moment besteht und wieder vergeht.

    Es gibt auch Leute, die musikalische Ideen zu entwickeln, wenn sie gesprochenen Texten zuhören. Je besser die Schubladen des Handwerkkastens besetzt sind, desto besser wird dann meistens auch die Musik.

    Doch wie gesagt: am Ende muss eine Komposition für sich alleine stehen können, ohne dass einem die externen Inspirationsquellen bekannt sind. Man kann als Dirigent der Eroica sich mit den Hintergründen ( Napoleon usw. ) beschäftigen, muss es aber irgendwann auch vergessen. Auch das klingende Resultat muss in sich stimmig für sich alleine stehen können. Da hilft einem dann kein Bonaparte.


    Dennoch glaube und hoffe ich nicht, dass Beethoven dieser aus unserer Sicht altdeutsche Überheblichkeit frönte. Da es aber ein großartiges Werk ist, wäre auch das am Ende egal.

    Würde uns der "heilige" Beethoven seine Inspirationsgedanken zu der Symphonie tatsächlich mitteilen, wären wir vielleicht aufgrund der möglicherweise vorhandenen Banalität eher enttäuscht oder würden seine idealistischen Gedankengänge als zu naiv empfinden. Deswegen ist es vielleicht gut, dass man nicht in Beethovens Kopf schauen konnte und kann. Als "deutschnationales Erbauungswerk" hat er es m.E. sicher nicht gewollt.


    Man sieht hier, dass Beethoven die B-Oktaven im Bass als eine Art Basshammer komponiert hat - in der Klavierversion ist das ein extremer dynamischer Kontrast Pianissimo-Fortissimo. Emil Gilels damals in der Düsseldorfer Tonhalle hat in die Tasten gehauen, dass man vom Stuhl hochgefahren ist! Weder bei Karajan noch bei Abbado ist davon etwas zu spüren. Die Oktaven-Triolen werden entmaterialisiert gespielt so, als wäre die Musik der vorbeihuschende Sommernachtstraum von Mendelssohn, schön locker und leicht.

    Nun, ganz so wie beim Sommernachtstraum klingt es dann vielleicht doch nicht ( da musst Du einfach Kubelik kennen.....), aber es stimmt schon, dass diese Stelle bei Karajan und Abbado nicht herausgeballert wird.

    Ich habe mir genau diese Stelle in der Partitur angesehen und in vielen Interpretationen mit Hilfe von Spotify-Premium angehört ( habe auch Tidal wegen des Klangs, aber der Katalog bei Spotify ist umfangreicher).

    Bei manchen kommt die Stelle stärker heraus, bei anderen bleibt es im Rahmen. Bei Harnoncourt kommt es erwartungsgemäß energisch daher, bei Böhm auch noch stärker als bei Karajan, aber hier - wie immer- klassisch ausbalanciert. Celibidache mit den Münchener Orchester geht es getragen und langsam an ( er brucknert mir hier zu viel, sein Konzept funktioniert für seinen Bruckner, aber eben nicht für alles. Nicht auszudenken, wenn er den Sommernachtstraum in seinem Bruckner-Stil dirigierte....) Zudem gibt er das Streicher-Pizzikato im zweiten Teil mit den Echos auf und lässt arco spielen. Hat er die bessere Partitur oder ist er verrückt geworden? In meiner Partiturausgabe steht es so nicht, der akribische Harnoncourt macht es auch nicht.


    Doch zurück zu den drei Achteln. Pamm Pamm Pamm !

    Aus meiner Sicht unterstellst Du da dem Karajan die nicht zutreffende Motivation, wegen der er es nicht so explizit herausstellt. Was Abbado anbelangt, könntest Du da - auch aus meiner Sicht- richtig liegen.

    Hier meine "Unterstellung": Karajan ist jemand, der die gesamte Symphonie und natürlich auch den Finalsatz zum Jubelsieg der letzten Takte hinführen möchte. Dafür spannt er - wie kein Anderer- den ganz großen Spannungsbogen auf. Ein zu starkes Verharren an einer solchen Stelle, die - Entschuldigung- stark am Rande des allzu Lapidaren vorbeischifft, würde da stören. Für mich ist es ein Zeichen des guten Geschmacks eines großen Dirigenten, dass er sich an diesem Pamm Pamm Pamm nicht zu sehr aufhängt.

    Er dirigiert somit etwas über eine vermutete kompositorische Schwäche hinweg, stellt lieber die "besseren" Ideen die später kommen ( aber durchaus damit verwandt sind) heraus.

    Man könnte Karajan zurecht unerträgliche Deutschtümelei vorwerfen, wenn er dieses "Pamm Pamm Pamm" als großes Gewese inszeniert hätte.

    Das klänge vielleicht so, als ob die Gestapo an die Tür klopft und im schneidenden Ton "Aufmachen, Polizei!" riefe. Es könnte aber auch der gutdeutsche Spießer im Netzhemd sein, der mit dem Besen an die Decke klopft, weil Du, lieber Holger, Deine Dynaudions wieder einmal zu viel Verstärkerkraft gegönnt hast... ;)


    Zudem ist es ja doch ein Unterschied, wenn so eine Stelle an einem Hammerinstrument wie dem Klavier oder mit dem Orchester gespielt wird. Die Eroica- Variationen und der Finalsatz sind am Ende ja doch zwei verschiedene Werke. Der Finalsatz hat den Kontext der ganzen Symphonie, den Karajan - wie kein Anderer, meiner Ansicht nach- hörbar macht.


    Übrigens hörte ich auch Furtwängler: Nach dem fulminanten Start fährt er das Tempo um die Hälfte herunter ( !!!). Ich finde das gelinde gesagt schrecklich, bei aller Liebe. Das Bedeutsamkeits-Pathos wird hier tatsächlich übertrieben, wie ich finde.

    Dass Karajan in der Furtwängler-Tradition heroisieren wollen, möchte ich sehr bezweifeln, allein schon wegen des sehr sehr anderen Tempos.

    Karajan ist der zwingende Sog, der Rausch und die überwältigende Hörerfahrung wichtig.

    Schicksalsgetue ist ihm fremd, so scheint mir.

    Durch Tempo und Spielweise werden z.B. die von mir genannten begleitenden Triolen zu drängend pulsierenden Gefährten, die irgendwie "schnell und modern (wie das moderne Karajan-Deutschland)" gegenüber den altdeutschen Interpretationen im langsam-wuchtigen Tempo daherkommen, 40.05 Karajan und 44.42 Abbado. In der Partitur: Takt 83, aber der Abschnitt beginnt ja bei Takt 73, hat seinen harmonischen Höhepunkt im Septakkord von Takt 83.


    Zu meiner Lieblingsstelle 45.15 Karajan:


    Ich glaube nicht, dass er diese Stelle sentimental, rührend oder gar heroisierend interpretiert.

    Hier zelebriert er eher seinen idealistischen Erfahrungskult, das überwältigende Erlebnis des einzigartigen Karajan-Klangs, wenn Du so willst.

    Es klingt tatsächlich sehr energetisch, voller Leben, auch nach nicht banalem Idealismus.

    Man stelle sich vor, man könne die Starkstromleitung der Deutschen Bahn mit beiden Händen anfassen, und würde dann, statt zu sterben, ein gewaltiges Energieerlebnis von prallem Leben, Liebe, Glück, Erfüllung und auch unendlicher Tiefe ( das machen die verminderten Akkorde, die in der Tat ein schwelgender Genusss in sich selbst sind) haben.

    So klingt es m.E. bei Karajan. Die Streicher klingen so, und das Wagnerblech hilft zusätzlich, die Dimensionen Größe und Tiefe wahrzunehmen. Karajans vielleicht naive aber doch gut gemeinte Intention scheint mir zu sein, dass er uns an diesem energetischem Wahnsinnsgenuss teilhaben lassen möchte, durchaus auch verstehend, dass es er Karajan ist, der durch ein einfaches Hineingreifen in den Klang uns solche Erlebnisse im Dienste des Komponisten verschaffen kann. Diese Eigenschaft hatte er und das kann bis heute keiner so wie er, nicht einmal im Ansatz. Von daher finde ich es legitim, dass er den Vorteil dieser Begabung auch hörbar macht.


    Es ist ja in der Tat nicht leicht, so eine Stelle zu dirigieren. Da kann es schnell entweder flach und unbedeutend ( die bewusste Absetzung, was soll das eigentlich?) oder peinlich rührselig werden.

    Karajan hat sich hier seine ureigene Klangwelt geschaffen. Ich mag es, ja ich liebe es über alle Maßen. Wie gesagt, hier reden wir über eine Stelle....

    Nicht alle mögen es, aber ich bin ja auch ein Genußmensch. Ja, ich will den Rausch, ganz ohne LSD oder anderen Chemikalien....;)


    Nun drängt die Zeit und ich muss schließen.


    Alles Gute nach Münster :hello:


    LG Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Ja, mir ist da schon etwas die Kinnlade beim Lesen heruntergefallen, und ich kann gut nachvollziehen, warum sich dieses Werk für diese Auslegung geradezu anbot.

    Ob Beethoven das gewollt hätte? Ich glaube, die Antwort auf diese Frage ist gar nicht so wichtig, weil man das Werk vom Schaffenden am Ende für sich alleine stehend rezipieren sollte.

    Lieber Glockenton,


    Dir wird noch mehr die Kinnlade runterfallen :D : Was mir die Beschäftigung mit der Eroica-Rezeption klar gemacht hat, ist, wie diese Rezeptionslinie mit ihrem Nationalismus und Militarismus auf das Beethoven-Bild insgesamt übergegriffen hat. Ein fast schon kurioses Beispiel: Ein so nüchterner Analytiker unter den Musikwissenschaftlern wie Jürgen Uhde interpretiert - ausgerechnet! - die Durchführung von Beethovens so heiter-übermütiger Waldsteinsonate als Schlachtengemälde im Sinne von Wellingtons Sieg! Deshalb habe ich meinen Waldstein-Sonaten-Thread auch als Satire gestaltet, um diese Klischees insbesondere der deutschen Beethoven-Rezeptionsgeschichte so richtig schön aufzuspießen. Artur Rubinstein schmeißt bei mir seinen deutschen Kollegen Schnabel und Kempff diese ganzen deutsch-heroischen Idiotismen an den Kopf, so dass schließlich sogar Kempff glaubt, Beethoven sei in Wahrheit kein Deutscher, sondern Pole! ^^ Hier:


    Wie man die Waldstein-Sonate „richtig“ spielt – oder: Ein Dialog über Grundprobleme der Beethoven-Interpretation mit den Interpreten


    Und die Uhde-Passage zitiere ich im Kapitel "Barenboims Orgelsymphonie". Den großen Friedensstifter Barenboim mit seinem West-östlichen-Divan-Orchester lasse ich in einem Kriegsschiff daher kommen, das er nur mit Widerwillen fährt und aus Uhdes Durchführungs-Schlachtengemälde ein gemütliches Picknick macht:


    Wie man die Waldstein-Sonate „richtig“ spielt – oder: Ein Dialog über Grundprobleme der Beethoven-Interpretation mit den Interpreten


    Beethoven hat mit seiner Titulierung dieser Symphonie diesen ganzen Schlamassel leider selbst gestiftet. Schon Richard Wagner, der die Symphonie dirigierte in der Schweiz, sah sich deshalb genötigt, in seinem Züricher Programm für das Publikum klarzustellen, wie das mit der Titulierung richtig zu verstehen ist. Wagners Programm hebt sich als Ausnahme wohltuend ab von dieser ganzen Tradition der Deutschtümelei - natürlich hat ihn Natorp dann kritisiert, kein Wunder! ^^


    Es gibt allerdings - und das ist bemerkenswert - für Abbados entheroisierenden Ansatz durchaus Unterstützung aus der Musikwissenschaft. So hält Egon Voss die dramatisch-heroische Eroica-Deutung, welche allgemein vorherrscht bis heute, für ein großes Missverständnis. Und ich finde, er hat nicht Unrecht mit dem, was er da kritisch anmerkt:


    "Von einer heroischen Symphonie erwartet man Ernst, Würde, Pathos, Feierlichkeit, große Gestik, Gewicht. Das alles kommt in der Eroica zwar auch vor, besonders im 2. Satz, dem Trauermarsch, aber es kennzeichnet die Musik weder von Beginn an noch ausschließlich. Weite Strecken sind frei davon, an anderen Stellen ist der Ernst sogar mit einem Zug ins Spielerische gepaart, der zum Heroischen gar nicht passt. Die Musik ist häufig tänzerisch und tanzhaft. Nicht zufällig liegt dem 4. Satz als Hauptthema ein Kontretanz zugrunde (...)."


    Das Fazit von Voss:


    "Der Begriff des Heroischen und noch mehr der Bezug zu Bonaparte sind demgegenüber eher geeignet, den Blick zu verstellen und unvoreingenommen - aufmerksames Hören zu verhindern."

    Einig bin ich mit Marx, dass ein Musikwerk Ausdruck einer Idee sei. Mir fällt es an mir selbst auf, wenn ich an einer gewissen Stelle der Messe an der Orgel improvisiere. Man nimmt den Gedanken des vorhergehenden Chorals auf und schaut, was "die da vorne" am Altar so treiben. Dann kommen die Ideen. Sie entwickeln sich aus den harmonisch-rhytmisch- und melodischen Elementen, die man kennt und kann, werden dann aber zu etwas Neuem, was nur für diesern Moment besteht und wieder vergeht.

    Es gibt auch Leute, die musikalische Ideen zu entwickeln, wenn sie gesprochenen Texten zuhören. Je besser die Schubladen des Handwerkkastens besetzt sind, desto besser wird dann meistens auch die Musik.

    Das finde ich auch - gerade auch als (Amateur-)Spieler. Man sollte sich immer klar machen - sonst kommen Analysen vom Hölzchen aufs Stöckchen und man weiß nicht, wozu das alles gut sein soll - was eigentlich für eine "Idee" dem Stück zugrunde liegt. Auch wenn man damit etwas daneben liegen mag, so ist das dann wenigsten eine wirklich geistige Auseinandersetzung mit dem Stück und immer noch besser, als gar keine Idee zu haben.

    Doch wie gesagt: am Ende muss eine Komposition für sich alleine stehen können, ohne dass einem die externen Inspirationsquellen bekannt sind. Man kann als Dirigent der Eroica sich mit den Hintergründen ( Napoleon usw. ) beschäftigen, muss es aber irgendwann auch vergessen. Auch das klingende Resultat muss in sich stimmig für sich alleine stehen können. Da hilft einem dann kein Bonaparte.

    Das ist allerdings gerade im Falle der Eroica schwierig und eine Frage des Bildes von Musik. Man kann natürlich auch der Meinung sein, dass nicht anders als Literatur Musik eine geistige Auseinandersetzung mit den historischen Begebenheiten der Zeit darstellt. Und Musikhermeneuten finden dann z.B. in der Instrumentierung z.B. genau die Anklänge an das Zeitgeschehen. Wenn Beethoven auf diese Titulierung so großen Wert legte, muss ihm das schließlich etwas bedeutet haben. Ob die "Eroica" wirklich nur reine "absolute Musik" ist, ist also sehr die Frage!

    Doch zurück zu den drei Achteln. Pamm Pamm Pamm !

    Aus meiner Sicht unterstellst Du da dem Karajan die nicht zutreffende Motivation, wegen der er es nicht so explizit herausstellt. Was Abbado anbelangt, könntest Du da - auch aus meiner Sicht- richtig liegen.

    Hier meine "Unterstellung": Karajan ist jemand, der die gesamte Symphonie und natürlich auch den Finalsatz zum Jubelsieg der letzten Takte hinführen möchte. Dafür spannt er - wie kein Anderer- den ganz großen Spannungsbogen auf. Ein zu starkes Verharren an einer solchen Stelle, die - Entschuldigung- stark am Rande des allzu Lapidaren vorbeischifft, würde da stören. Für mich ist es ein Zeichen des guten Geschmacks eines großen Dirigenten, dass er sich an diesem Pamm Pamm Pamm nicht zu sehr aufhängt.

    Er dirigiert somit etwas über eine vermutete kompositorische Schwäche hinweg, stellt lieber die "besseren" Ideen die später kommen ( aber durchaus damit verwandt sind) heraus.

    Naja. Was Du hier "lapidar" nennst und eine "kompositorische Schwäche" bei Beethoven, haben Analytiker wie Jürgen Uhde z.B. in Bezug auf die Klaviersonaten als essentiell für Beethovens Kompositionstechnik herausgearbeitet: die "Primitivismen". Und auch Egon Voss betont das gerade für diesen Satz der "Eroica" - und deutet es als Ausdruck von Humor:


    "Ein ganz anderer Aspekt, der jedoch auch nicht zum Heroischen passt, ist der des Humors, des Parodistischen in dieser Symphonie. (...) Gleichfalls parodistisch wirkt die D-Dur-Variation des Themas im 4. Satz (T. 183-190). Die Auflösung lediglich in repitierte Achtelnoten ist das primitivste Variationsmittel, das sich denken lässt, und dass ein solches Verfahren in einem Satz seine Anwendung findet, der im übrigen in besonderem Maße kunstvoll ist, lässt nur den Schluss zu, dass es nicht ganz ernst gemeint sein kann (...)."


    Wenn also "Ästhetisierer" wie Karajan - und in diesem Fall auch Abbado - diese humoristischen Primitivismen glatt bügeln, dann zeigt das im Sinne von Voss, wie wirkungsmächtig diese "heroische" Eroica-Rezeption ist, dass sie nämlich für diese humoristische Seite bei Beethoven so gar kein Sensorium haben. Jedenfalls wird Beethoven vor Freude aus dem Grab gehüpft sein, als er das kräftige TamTamTam bei Harnoncourt vernommen hat. Da bin ich mir absolut sicher! :D

    Man könnte Karajan zurecht unerträgliche Deutschtümelei vorwerfen, wenn er dieses "Pamm Pamm Pamm" als großes Gewese inszeniert hätte.

    Das klänge vielleicht so, als ob die Gestapo an die Tür klopft und im schneidenden Ton "Aufmachen, Polizei!" riefe. Es könnte aber auch der gutdeutsche Spießer im Netzhemd sein, der mit dem Besen an die Decke klopft, weil Du, lieber Holger, Deine Dynaudions wieder einmal zu viel Verstärkerkraft gegönnt hast... ;)

    Ich denke da eher an Mahlers 6. Symphonie, wo das Motto mit der Pauke eingehämmert wird wie der Blechtrommler auf seine Trommel haut, weil er sagen will: "Ich bin mit der Welt nicht einverstanden". In Beethoven steckt eben auch ein Schalk und kleiner Teufel, der einfach mal humoristisch dazwischen haut um den Zuhörer zu schocken, die glatt laufende Satztechnik ein wenig irritierend aus der Fassung bringt, also Sand ins Getriebe des selbstgenügsamen Kunstschönen streut.

    Zudem ist es ja doch ein Unterschied, wenn so eine Stelle an einem Hammerinstrument wie dem Klavier oder mit dem Orchester gespielt wird. Die Eroica- Variationen und der Finalsatz sind am Ende ja doch zwei verschiedene Werke. Der Finalsatz hat den Kontext der ganzen Symphonie, den Karajan - wie kein Anderer, meiner Ansicht nach- hörbar macht.

    Der Notentext (die dynamischen Notierungen) zeigen aber doch, dass Beethoven Beethoven-typisch da einen scharfen Kontrast haben will. Wenn Dirigenten meinen, das, um mehr symphonische Homogenität erreichen zu wollen, glatt bügeln zu müssen, dann "verbessern" sie damit Beethoven! ^^

    Ich glaube nicht, dass er diese Stelle sentimental, rührend oder gar heroisierend interpretiert.

    Hier zelebriert er eher seinen idealistischen Erfahrungskult, das überwältigende Erlebnis des einzigartigen Karajan-Klangs, wenn Du so willst.

    Es klingt tatsächlich sehr energetisch, voller Leben, auch nach nicht banalem Idealismus.

    Man stelle sich vor, man könne die Starkstromleitung der Deutschen Bahn mit beiden Händen anfassen, und würde dann, statt zu sterben, ein gewaltiges Energieerlebnis von prallem Leben, Liebe, Glück, Erfüllung und auch unendlicher Tiefe ( das machen die verminderten Akkorde, die in der Tat ein schwelgender Genusss in sich selbst sind) haben.

    So klingt es m.E. bei Karajan. Die Streicher klingen so, und das Wagnerblech hilft zusätzlich, die Dimensionen Größe und Tiefe wahrzunehmen. Karajans vielleicht naive aber doch gut gemeinte Intention scheint mir zu sein, dass er uns an diesem energetischem Wahnsinnsgenuss teilhaben lassen möchte, durchaus auch verstehend, dass es er Karajan ist, der durch ein einfaches Hineingreifen in den Klang uns solche Erlebnisse im Dienste des Komponisten verschaffen kann. Diese Eigenschaft hatte er und das kann bis heute keiner so wie er, nicht einmal im Ansatz. Von daher finde ich es legitim, dass er den Vorteil dieser Begabung auch hörbar macht.

    Denke mal an die Pastoral-Symphonie. Da gibt es die Partituranweisung: "Mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei". Das ist im Sinne des im 18. Jhd. der Kontrast, wonach ein musikalischer Vortrag entweder "malend" sein kann oder aber "das Herz rühren" soll. Einen Symphoniesatz als Variationskette zu komponieren, gibt Beethoven die Möglichkeit, von dem Prinzip der Einheit der Stimmung in einem Satz abzuweichen durch den Wechsel der Töne, eben zu einem empfindsamen Ton zu wechseln, der eigentlich dem langsamen Satz vorbehalten ist! ;)


    Natürlich klingt das bei Karajan erhebend - das ist so eine Stelle, wo die Karajan-Ästhetik wirklich berührend ist! Aber ob es im Sinne der Komposition auch zwingend erforderlich ist, diese Stelle zum "glorreichen Augenblick" (so der Titel einer Beethoven-Kantate) zu machen wie das Karajan oder Celibidache in der Furtwängler-Tradition tun, ist eben sehr die Frage.

    Es ist ja in der Tat nicht leicht, so eine Stelle zu dirigieren. Da kann es schnell entweder flach und unbedeutend ( die bewusste Absetzung, was soll das eigentlich?) oder peinlich rührselig werden.

    Karajan hat sich hier seine ureigene Klangwelt geschaffen. Ich mag es, ja ich liebe es über alle Maßen. Wie gesagt, hier reden wir über eine Stelle....

    Nicht alle mögen es, aber ich bin ja auch ein Genußmensch. Ja, ich will den Rausch, ganz ohne LSD oder anderen Chemikalien.... ;)

    Das stimmt! Es ist nicht leicht! Letztlich ist es eine Frage der Interpretation, wie man welche Stellen in diesem Satz gewichtet. Wenn man sich in die Gewichtigkeit dieser Stelle "verliebt" hat letztlich durch Karajans grandiose Ästhetik, erscheint natürlich eine mehr leichtgewichtige Lesart als "flach und unbedeutend". Aber dann werden vielleicht plötzlich andere Dinge bedeutender, die sonst im Hintergrund bleiben. Alles ist eine Frage der Perspektive! :D :hello:


    Mit Thielemanns Beethoven habe ich mich noch gar nicht beschäftigt - für mich ist er der legitime Nachfahre von Furtwängler. Seine Brahms-Symphonien - des wunderbaren Klanges wegen vor allem - fand ich beim Reinhören toll. Hast Du sie?


    Liebe Grüße

    Holger

  • Lieber Holger,


    ich kann jetzt wegen des Drucks zu üben leider nicht auf alles eingehen.

    Aber ich möchte kurz auf Deine Frage hinsichtlich Thielemann antworten.

    Nein, ich habe die Brahms-Symphonien mit ihm nicht körperlich, und doch, ich habe sie mit ihm..... ?? !

    Die CDs habe ich nicht erworben, aber ich kann mir alles in Masterqualität über Tidal anhören ( Spotify Premium habe ich auch, aber das nutze ich im Auto, nicht zu Hause)


    Zwischendurch höre ich in sie hinein, weil er einfach ein sehr ungewöhnlicher, nonkonformistischer Interpret ist.

    Für sich genommen finde ich sie sehr schön, vom Orchesterklang her etwas "kleiner" und nicht so brilliant wie das ebenfalls warm klingende BPO. Das fällt aber nur im Vergleich mit diesem Orchester auf. Mit den Berlinern liebe ich diese Symphonien natürlich unter Karajans Leitung, aber auch in den Einspielungen Abbados ( wirklich sehr wunderbare und einzigartige Sätze darunter) und Rattles.

    Eigentlich klingen alle drei nach Karajans Klang und Grund-Vorstellungen. Abbado und Rattle haben ihnen diese über Jahrzehnte eingeübte Interpretations- und Klangtradition dankenswerterweise gelassen. Warum auch nicht, es klingt so m.E. für Brahms ideal.

    Diejenigen, die immer behaupten, der saftige Berliner Klang wäre nach Karajan zerstört wurden, haben schlichtweg Holzohren. Ich kann es nicht diplomatischer sagen, denn es ist faktisch vollkommener Bullsh...äh Unsinn, was da von diesen gehässigen Intigrantenmäulern hier und da in Foren oder Facebook-Kommentaren zu lesen ist.

    Man kann über Tidal einfach die Tracks sehr schnell hintereinander anspielen und wird feststellen, dass dieser sehr spezielle Klang vorhanden ist, ja sogar hier und da noch süffiger wurde. Da sollte es dann keine Zweifel und Intrigen mehr geben.

    Die Staatskapelle Dresden klingt bei Brahms unter Thielemann ( zum Glück noch....) tatsächlich deutsch-dunkel, nicht mit dieser Riesenbühne im Klangbild, vielleicht auch etwas schlanker.

    Es hat schon etwas von Günter Wands Brahms-Symphonien, aber dann auch wieder nicht, denn Thielemann geht es noch sensibler und weniger klassisch-gradlinig an. Auch vor Tempomodifikationen schreckt er nicht zurück ( Stichwort Furtwängler). Aber er macht das sehr schön. Ich finde seinen Brahms schon sehr gut, nur ziehe dann hier und da aber doch noch satteren BPO-Sound oder den vielleicht noch genießerisch auskosteten altweisen Barenboim vor ( seine letzte Einspielung). Es kann aber auch sein, dass ich dann doch wieder stark bei Thielemann hängenbleibe. Verzichten möchte ich auf die Einspielungen nicht.

    Der Finalsatz der 1. ist für mich aber immer noch beim Karajan am besten aufgehoben. Da ist sie wieder, diese Fähigkeit, lange Spannungsbögen und Zusammenhänge erlebbar zu machen.


    Wenn es um Thielemanns Beethoven geht, so hat er die 1. 2. 4. 6 ( gerade die !!) und die 8. ( ich kenne da auch keine Bessere) traumhaft schön mit den Wiener Philharmonikern hinbekommen.

    Diese Einspielungen habe ich als Gesamtausgabe auf der Blue-ray. Vom Klang und vom Bild her ist das ausgezeichnet. Interessant auch die Gespräche mit dem Musikkritiker Kaiser, jedenfalls solange Thielemann redet. Der Mann ( Thielemann) hat etwas zu sagen, und man versteht die Dinge noch besser, wenn man vorher seine Bemerkungen hören konnte.

    Ich kann die Anschaffung dieser Symphonien als Blue-ray sehr empfehlen. Die Auswahl der besonders gut gelungenen Symphonien ist natürlich subjektiv. Vielleicht würde Dir auch die Eroica gefallen, aber sie ist schon sehr anders als jene anti-heroische Abbado-Version.

    Sie ist auch sehr anders als beim Karajan, den ich ja bei dieser Symphonie sehr favorisierten ( wurde das schon deutlich...?): wuchtiger, agogisch freier, im Klang eindeutig dunkler. Diese Interpretation sehe ich tatsächlich in der Furtwängler-Tradition, Karajans eher nicht ( Abbados schon gar nicht ...!) Auch wenn viele es behaupten: Karajan klingt doch m.E. gar nicht so sehr nach Toscanni, den ich meistens in den mich kaum interessierenden Aufnahmen nur schrecklich finde, nicht nur wegen der schlechten Klangqualität.

    Viel eher klingt Karajan sehr nach Karajan, und zwar durch und durch. Manchmal ist es vom Ergebnis her ziemlich ok, manchmal wurde es über alle Maßen fantastisch ( wie dieses hier angesprochene Eroica-Konzert) und manchmal ging das Konzept des Klangstroms nicht besonders gut auf ( Stichworte Mozart, Bach)

    Vor allem, wenn er die Berliner dirigierte ( bei den späten Wiener Aufnahmen merkwürdigerweise wieder weniger) klingt er durchweg nach ihm selbst. Das halte ich übrigens für legitim: Bei den meisten großen Dirigenten kannst Du schnell heraushören, wer das dirigiert. Es gelingt mir gut bei Böhm, Karajan, Harnoncourt ( da sehr einfach) und Thielemann. Wandt könnte vielleicht auch noch klappen. Sein piano oder pianissimo ist z.B. oft etwas lauter als das der Kollegen.

    Celi kann man sogar erkennen, wenn er nicht seinen breiten Celi-Bruckner spielt: Weicher, langsamer und breiter artikuliert als sonst wären da einige Stichworte.

    Abbado klingt nach sensibler Humanität. In der Spätphase schien er von Leuten wie Harnoncourt etc. inspiriert worden zu sein. Merkwürdig genug, als "Harnoncourt-Versteher" ;) mag ich diese späten Abbado-Sachen weniger, weshalb ich auch seine früheren Beethoven-Aufnahmen mit den Wienern schöner finde. Das zu begründen würde hier den Rahmen sprengen.


    Alle Dirigenten würden behaupten, sie wären nur dem Komponisten verpflichtet und so etwas wie eine personentypische Interpretation gäbe es in ihrem Fall nicht. Das stimmt dann aus deren Sicht, aber so wie wir es hören und vergleichen können, fällt dann doch die immer vorhandene Signatur auf. Ich empfinde das als positives Merkmal, weniger als Malus. Etwas Schlimmeres als Mittelmäßigkeit und verwechselbares 08/15 gibt es in der Musik wohl kaum.


    Ach ja, noch zum Thema Furtwängler-Tradition: Für mich gibt es da nur zwei Dirigenten, denen man das wirklich positiv nachsagen kann: natürlich Thielemann und der späte, d.h. aktuelle Barenboim.

    Beide sind Erzromantiker, die für einen Interpretationsstil stehen, den es sonst kaum noch gibt. Ich bin sehr froh, beide mittlerweile von ihrem Musizierstil her zu kennen. Barenboims neuer Brahms-Zyklus ( DG), seine neuesten Schumann-Symphonien oder auch seine Parsifal-Einspielung mit Waltraud Meier sind einfach hinreißend romantisch und in deutscher Tradition stehend - und eben mit Furtwänglers Genen vermengt, wenn auch auf eine eigene Weise. Leider bin ich von Thielemanns Aufnahme der Symphonien Schumanns etwas enttäuscht. Manchmal hält er die Violinen derart künstlich zurück, dass irgendwie gar kein Ausdruck kommen kann. Gut gemeint hinsichtlich einer besonderen Spannung, aber aus meiner Hörerfahrung heraus dann doch noch nicht fertig, noch nicht ganz ausgegoren. Er hat jetzt mit dem BR-Orchester einen fantastischen Schumann im Rahmen eines Corona-Konzerts gespielt. Leider kenne ich nur die kurzen, dafür aber sehr guten Facebook-Auschnitte. Er hätte mit der CD-Schumann-Aufnahme ggf. warten sollen...

    Celi hat sich ja auch hier und da auf Furtwängler berufen. Aber sein Stil ( vor allem der späte) ist dann doch ganz und gar sein ureigener Personalstil, insbesondere bei Bruckner.

    Deswegen: ja, der Furtwängler-Stil lebt im Musizieren der Dirigenten Thielemann und Barenboim immer noch, und das ist auch gut so.


    Vorschlag: hol Dir einen guten DAC und spiel über Deinen PC die vielen schönen Aufnahmen einfach in voller Länge an. Da hat man dann den Vergleich. Wenn man dann doch eine Aufnahme körperlich haben möchte, bewahrt einen dieses Streamen sehr vor Fehlkäufen.


    LG :hello:

    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Diejenigen, die immer behaupten, der saftige Berliner Klang wäre nach Karajan zerstört wurden, haben schlichtweg Holzohren. Ich kann es nicht diplomatischer sagen, denn es ist faktisch vollkommener Bullsh...äh Unsinn, was da von diesen gehässigen Intigrantenmäulern hier und da in Foren oder Facebook-Kommentaren zu lesen ist.

    Lieber Glockenton,


    Deine kenntnisreichen Ausführungen habe ich wieder einmal mit großen Gewinn gelesen! Es wäre auch verwunderlich, wenn es anders wäre in Bezug auf die Berliner Philharmoniker! Rattle und Abbado sind ja auch nicht Dirigenten von alten Typ wie Toscanini oder Szell, die diktatorisch ihrem Orchester ihr Klangbild aufzwingen, sondern verstehen sich als Moderatoren zwischen Komponist und Orchester. Von Szell habe ich eine in dieser Hinsicht hoch interessante Aufnahme der Eroica von den Salzburger Festspielen, wo er die Tschechische Philharmonie dirigiert, die damals für die verhinderten Wiener Philharmoniker einsprang. Das Verrückte (ich muss mir die Aufnahme tatsächlich demnächst noch einmal anhören): Die Tschechische Philharmonie hat unter Szell komplett ihren von mir so geliebten "böhmischen" Eigenklang verloren und klingt wie Szells Cleveland Orchestra. Das spricht einerseits für die sehr hohe Qualität der Orchestermusiker, dass sie sich in so kurzer Probenzeit die Klangvorstellung eines Dirigenten komplett aneignen können. Aber andererseits ist das auch wieder traurig. Bernard Haitink sagte einmal, um den Unterschied der europäischen und amerikanischen Orchester hervorzuheben: "In den USA klingen alle Orchester gleich!" Das stimmt natürlich so absolut auch nicht - aber zeigt die Tendenz. In Europa gibt es doch die verschiedenen Orchestertraditionen mit ihrem sehr eigenen traditionsbedingten Klang, und die sind finde ich unbedingt erhaltenswert! Es wäre schlimm, wenn alle Orchester so klingen würden wie die Berliner Philharmoniker! Ein Dirigent sollte so viel Fingerspitzengefühl haben, dass seine Klangvorstellungen mit denen des Orchesters zu einer glücklichen Synthese zusammen finden. Das finde ich - nach meinem laienhaften Dafürhalten - war in Berlin von Furtwängler über Karajan und Abbado bis hin zu Rattle der Fall.

    Die Staatskapelle Dresden klingt bei Brahms unter Thielemann ( zum Glück noch....) tatsächlich deutsch-dunkel, nicht mit dieser Riesenbühne im Klangbild, vielleicht auch etwas schlanker.

    Genau dieses Klangbild hat mir spontan gefallen! Ich habe ja etliche Aufnahmen der Brahms-Symphonien, (Thomas Sanderling, Wand, Celibidache (Stuttgart und München), Mrawinsky, Kleiber, Maazel usw.), aber so einen Eigenklang hat keine.


    Thielemann hat über Beethoven ein Buch geschrieben, habe ich entdeckt beim Recherchieren:


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    Anfänglich habe ich mich mit seiner Dirigierweise etwas schwer getan, die so gar nicht meiner "Prägung" entspricht. Aber inzwischen sieht das anders aus - ich finde es wirklich gut, dass diese Wagner-Tradition weiter gepflegt wird - von Barenboim, Thielemann, wie einst von Celibidache und Karajan. Und ich mag Dirigenten, die nicht "pflegeleicht" sind. Denn nichts ist in der Kunst tödlicher als eine konformistische Langeweile, die es allen Recht machen will, den Weg des geringsten Widerstandes sucht! ^^ Barenboim hat mal gesagt, dass sein Vater ein großer Furtwängler-Verehrer war und so Furtwängler sein Vorbild wurde. Karajan hat geäußert, dass ihm eine Synthese von Furtwängler und Furtwängler immer vorgeschwebt habe. Das merkt man finde ich bei der Eroica. Von Furtwängler kommt das Kontinuitätsprinzip, von Toscanini die eher zügigen Tempi und das einheitliche Grundtempo. Das Außergewöhnliche dieser Aufnahme ist, dass er hier sein ästhetisches Konzept konsequent bis zur letzten Note umsetzt. Das können eben nur ganz, ganz weniger Musiker! Mal sehen, ob ich mir die Wiener Aufnahmen von Abbado auch noch besorge.

    Vorschlag: hol Dir einen guten DAC und spiel über Deinen PC die vielen schönen Aufnahmen einfach in voller Länge an. Da hat man dann den Vergleich. Wenn man dann doch eine Aufnahme körperlich haben möchte, bewahrt einen dieses Streamen sehr vor Fehlkäufen.

    Ich habe ja den Yamaha RN 803 D Netzwerk-Receiver, der streamen kann und auch noch den Cambridge DAC Magic Plus dieses Frühjahr gekauft. Nur habe ich kein Abo für die Streaming-Dienste. Das lohnt sich für mich nicht, weil ich die einfach zu wenig nutze! :hello:


    Liebe Grüße

    Holger

  • 411e+Rr9DuL._SX314_BO1,204,203,200_.jpg


    Bei Alfred Brendel Das umgekehrte Erhabene I. Gibt es eigentlich lustige Musik? von 1984 (der Titel spielt an auf Jean Pauls Definition des Humors in der Vorschule der Ästhetik) findet sich die wie ich finde doch aufschlussreiche Analyse des Humors in den Eroica-Variationen:


    "Ich möchte bei dieser Gelegenheit auf einen Bereich komischer Musik hinweisen, der seine Komik aus Übertreibung und Besessenheit, aus Exzess und fixer Idee bezieht. (...) Der Beginn der sogenannten >Eroica-Variationen< beschränkt sich auf die Gegenüberstellung stärkster, ja übertriebener Kontraste von laut und leise:


    (Bild des Notentextes)


    Es wird abwechselnd pp geflüstert und ff gebrüllt oder auf Zehenspitzen gegangen und aufgestampft. Zur Komik der Situation trägt bei, daß der Bass allein vorgibt, das komplette Thema zu sein, welches sich doch erst nach drei Variationen als Beginn der eigentlichen Variationsreihe zu erkennen gibt; ferner daß Generalpausen die ff-Schläge vom Rest der Musik isolieren; und daß das nachfolgende einzelne b mit der Bezeichnung piano wie ein Schauspieler auftritt, der seinen Finger an die Lippen legt und uns bedeutet: >Um Himmels Willen, nicht so heftig!< Im Verlauf der Variationen spielt Beethoven weiterhin mit dem Gegensatz von laut und leise, von wechselnden und obstinat wiederholten Noten. Manchmal reißen die lauten Tonwiederholungen gleich das ganze Stück an sich, so in Variation 9 als erbostes Grunzen oder Variation 13 als hysterisches Gekreisch. Variation 7 wartet in ihrem Mittelteil mit fettem Bühnenlachen auf. Das Rondo von Beethovens B-Dur-Konzert beginnt mit eigensinnigen Akzenten auf dem falschen Taktteil und >korrigiert< sie dann witzig vor der Coda."


    Wirklich sehr hörenswert ist der Konzertmitschnitt von Goerge Szell mit der Tschechischen Philharmonie in Salzburg (ich habe die Einzel-CD, nicht die hier abgebildete Box):


    41yWa3uoHFL.jpg


    Szell lässt diesem Werk durchaus seine Wucht und Größe, aber ohne falsches heroisierendes Pathos, dirigiert es kraftvoll und kernig im typischen Szell-Stil: rhythmisch. Ein Glanzstück ist die Interpretation des finalen Variationssatzes. Szell spielt ihn im eben nicht zu schnellen Tempo mit allen Kontrasten, so dass man wirklich die Variationskette hört - und auch Glockentons Lieblingsstelle klingt nicht banal. Brendel hat einen entscheidenden Hinweis gegeben: Die komische Wirkung der TamTamTam-Schläge beruht nicht zuletzt auch auf den Pausen. Spielt man den Satz zu schnell, dann verschwinden einfach die Pausen und damit auch Beethovens Humor in dem Satz. Man kann sich zudem Gedanken machen über den Aufbau der Symphonie. Es spricht viel dafür, dass Beethoven hier eben noch keine "Finalsymphonie" komponiert hat, sondern sich am klassischen Vorbild orientiert. Es gibt die schwergewichtigen ersten beiden Sätze - mit dem zweiten Satz als Trauermarsch. Darauf folgt dann ein heiteres Scherzo mit Jagdhörern und am Schluss eine übermütige Humoreske als Kehraus-Finale. Die Eroica-Rezeption hat aber genau dieses Finale heroisch "dramatisiert". Hegel sagt vom Drama, dass es das "zügige Fortschreiten zur Endkatastrophe" kennzeichnet. Entsprechend dirigiert Karajan diesen Satz geschwind und bekommt so eine dramatische Sog-Wirkung mit Final-Effekt: Es gibt auf diese Weise einen dynamisch-dramatischen Zielpunkt, auf den alles hinsteuert. Aber ist das wirklich die Intention dieses Satzes? Ein Kehraus-Finale hat eigentlich keine dramatische Entwicklungsform (das ist der Sonatensatz), sondern benutzt in der Regel eine Reihungsform - wie es eben ein Rondo oder eine Variationsfolge darstellt. Hat also die Rezeptionsgeschichte in das Eroica-Finale ein Drama mit Finalwirkung vielleicht bloß hinein interpretiert? Das fragt man sich, wenn man Szells ungemein schlüssige Interpretation hört. Ich sage nicht, dass man diesen Satz nicht dramatisieren darf wie Furtwängler, Karajan oder auch noch Celibidache das machen - aber Fragezeichen setzen was den Ausschließlichkeitsanspruch eines solchen Interpretationsansatzes angeht darf man schließlich doch. Ich jedenfalls möchte den Humor in diesem Satz hören!


    Danach habe ich mir dann noch Herrmann Scherchen zu Gemüte geführt. Da bin ich Adriano wirklich zu großem Dank verpflichtet, dass er mir diese Konzertaufnahmen aus Zürich (Japan-Import) besorgt hat! :) Was für ein Leben! Scherchen feuert die Musiker an, indem er in das Orchester hineinschreit. Das ist nicht nur lebendig, sondern auch äußerst vielschichtig und subtil ausgehorcht bei allem Expressionismus. Scherchen ist dann doch noch einmal eine andere Beethoven-Dimension als Szell. Auch Scherchen überdreht das Tempo im Schlusssatz nicht, so dass man die Variationskette hört und nicht nur einen dramatischen Sog, der alles Einzelne aufsaugt und im großen Ganzen untergehen lässt. Heute Abend setze ich mich jedenfalls unter den Kopfhörer und höre mir die Aufnahme komplett an! :) :) :)


    Schöne Grüße

    Holger

  • Lieber Holger,


    Alfred Brendel ist ja privat auch ein humorvoller Typ, kauzig und ganz sich selbst. Wenn er aber spielt, sehe ich jedenfalls nur tiefen Ernst.

    "Kenne Sie eigentlich fröhliche Musik? Ich kenne keine."

    Ich denke da an dieses Zitat Schuberts über Musik an sich, welches Karl Böhm in einem Interview einmal anführte:



    Wenn nun dieses oft zitierte "Pam Pam Pam" beim Finalsatz tatsächlich schon Beethovens Humor wäre..... nun gut, ob es nun so überwältigend komisch wirkt, kann man vielleicht unterschiedlich sehen.


    Das ist zwar alles sehr richtig, aber es bezieht sich eben doch auf die Eroica-Variationen für Klavier, nicht auf den Finalsatz der Symphonie Nr. 3.

    Eben diesen Gedankensprung, dass die Interpretation des letzten Satzes der Symphonie mehr oder weniger analog/ähnlich zum genannten Klavierwerk anzugehen sei (bei zugegeben sehr ähnlichem Motivmaterial), halte ich für nicht zwingend. Am Ende ist die Eroica eben doch eine mitreißende Symphonie, und da gibt es einen zwingenden Zusammenhang vom ersten Eb-Dur -Akkord-Einschlag bis zum letzten Ton. Wenn man es zu sehr vom Klavier her versteht, dann weiß ich nicht, ob das dem symphonischen Werk wirklich so ganz gerecht wird.

    Das Episodenhafte, und das ab und an Kauzige eines netten und humorigen Variationswerkes sollte da zu Gunsten der Spannungskurve einer großartig-fantastischen und tief berührenden Reise eher zurücktreten, die eben mit dem ersten Akkord beginnt und dem letzten Akkord endet. Das ist ja das Schöne in der großen Kunst, dass ein dasselbe Ausgangsmaterial mit gewissen Änderungen hinsichtlich Orchestrierung, Gesamtzusammenhang und Interpretation unterschiedliche Aussagen treffen kann, selbst wenn sich gleichende Melodien erklingen.

    Wenn es also idealistisch, elektrisierend energetisch und rauschhaft beim Karajan klingt ( so wie er macht es ja in der Tat sonst keiner), dann wird damit der große Bogen einer Erzählung mit starken Wirkungen gespannt. Ich spreche von tief berührenden Wirkungen, die er erzielte, nicht von billigen Effekten.


    Wäre es wirklich schlüssig, wenn man die brutalen Szenen des ersten Satzes ( gerade die Durchführung) und den sehr großen Ernst des Trauermarsches durchlitten/erfahren und das immer noch Beethoven-grimmige Scherzo ( von gefährlich leisen Pianostellen bis herausballernden Forte-Überraschungen ist da alles drin) durchlebt hat, und man dann als Finale nur einen nett-kauzigen Variations-Kehraus präsentiert bekommt?

    Nun gut, das haben die Barockkomponisten ( z.B. Händel) bei Orchestersuites ja manchmal so gemacht, dass man zum Schluss noch ein freundliches Menuet heranhängt, um den Hörer entspannt zu entlassen.

    Für Beethoven und die Eroica, die keine Barockmusik ist, sehe ich das nicht so. Sollte er es so gemeint haben, dann wäre es nahezu enttäuschend, weil auch auf eine Weise das vorhergehende entwertend und banalisierend.

    Bei einem Werk wie diesem höre ich dann doch eher eine dramatische Spannungskurve im Sinne von "durch Kampf zum Sieg".

    Das kann man doch auch genießen, wenn man politisch weder rechts noch gar nationalistisch ist. Wenn ich das höre, dann denke ich Musik, nicht "Deutschland über alles", heroisches Gemetzel auf dem Schlachtfeld oder ähnlichen Unsinn.


    Bezüglich der Spannungskurve hat ja auch Brahms das bei seiner Ersten noch nachvollzogen, allerdings nicht stilistisch.

    Dort ist nämlich der Finalsatz mit seinem durchaus vorhanden mächtigen Sieg bereits "verbrahmst", d.h. das herrlich- warme Thema selbst wird in den grandiosen Triumpf geführt. Dieses Werk ist trotz gewisser Ähnlichkeiten in der Anlage von den Noten, Harmonien und Melodien her m.E. überhaupt nicht "Beethovens Zehnte", sondern ein echter Brahms, mit allen typischen Stilmitteln dieses Komponisten. Doch das nur am Rande.


    Die genannte Aufnahme Szells konnte ich leider nicht hören, weil auf meinen Streaming-Diensten nur die Cleveland-Aufnahmen zu hören sind. Dort hörte ich jedoch hinein. Es ist ja nicht schlecht, aber, wie ich finde, doch etwas "Szell-einfarbig". Energisch zupackend, eckig, und - schade- nicht besonders das p oder das pp liebend. Das ist dann weniger meine Welt. Die bewusste pochende Stelle erklingt hier durchaus "noch im Rahmen", nicht so, dass man vor Schreck vom Stuhl fiele.

    Und so viel langsamer als Karajan scheint er es auch gar nicht anzugehen. Bei der - wie ich finde - ebenfalls sehr guten letzten Karajan-Digitaleinspielung der Eroica braucht dieser für den Finalsatz 12.18, während Szell mit 11.27 auskommt. Die Auffassung, dass Karajans Tempo überdreht sei, kann ich am Ende nicht teilen. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes zügig, weil es den Sog, den Zug zum sieghaften Schluss des Gesamtwerkes unterstützt.


    Hier noch zwei ganz andere Beispiele, bei denen man Thielemanns Interpretation hören und sehen kann:


    Erst mit den Wiener Philharmonikern ( hier fängt der letzte Satz bei 44.50 an):



    und dann ein Clip aus dem letzten Satz mit den Berliner Philharmonikern, bei dem leider direkt vor meiner Lieblingsstelle werbetechnisch genial ausgeblendet wird:



    Er wählt ein langsameres Tempo als Karajan, und der Orchesterklang ( auch der Berliner) ist vollmundig dunkel, damit eigentlich mehr der Furtwängler-Tradition verbunden.

    Man kann gut erfahren, dass er lange Spannungspausen liebt. Mit der Art Szells hat sein Ansatz sehr wenig zu tun, allerdings auch sehr wenig mit Abbados kammermusikalisch zurückhaltender Luzerner Version, aus ganz unterschiedlichen Gründen. Auch hier fällt die bewusste Unisono-Stelle mit den Achteln nicht aus dem Rahmen des größeren Zusammenhangs - gut so, wie ich meine.


    Mein persönliches Fazit ist klar: am liebsten mag ich für diese Symphonie immer noch den Karajan hören, und hier am liebsten das oben genannte Konzert.

    Sollte es denn nicht Karajan sein dürfen, dann höre ich am liebsten und durchaus auch mit großer Freude den mich in jeder Sekunde faszinierenden und sehr eigenen Ansatz Thielemanns.

    Bei den von mir gezeigten Videos finde ich, dass es mit den Wiener Philharmonikern etwas inspirierter erklingt, aber es kann auch sein, dass mich die hier wenig Gefühle zeigenden Gesichter der Berliner Profis irgendwie vom eigentlichen akustischen Resultat ablenken.


    Ich möchte ausdrücklich erwähnen, dass die Wiener Aufnahme weder vom Bild und schon gar nicht vom Ton her mit der Qualität der Blue-ray etwas zu tun hat. YouTube ist vielleicht ein Mittel etwas kennenzulernen, aber aus audiophiler Sicht wird in diesem Fall wenig geboten. Nicht, dass es dem Dienst technisch unmöglich wäre. Dort gibt es ja 4k-Videos ( ich glaube sogar 8K) mit gutem Sound ( Drohnen-Videos, z.B. über Schottland oder Norwegen....) aber es wäre ja auch für das Platten-Label dumm, wenn man kostenlos solche exquisiten Sachen wie die Gesamtaufnahme der Beethoven-Symphonien mit fantastischer Sound- und Bildqualität streamen könnte.


    Übrigens spiele ich mit dem Gedanken, Kunde bei den Berliner Philharmonikern zu werden, d.h. diese digitale Concerthall zu abonnieren. Da gibt es ja schon sehr interessante Sachen, dann auch in Top-Qualität in technischer Hinsicht.


    LG:hello:

    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Das ist zwar alles sehr richtig, aber es bezieht sich eben doch auf die Eroica-Variationen für Klavier, nicht auf den Finalsatz der Symphonie Nr. 3.

    Eben diesen Gedankensprung, dass die Interpretation des letzten Satzes der Symphonie mehr oder weniger analog/ähnlich zum genannten Klavierwerk anzugehen sei (bei zugegeben sehr ähnlichem Motivmaterial), halte ich für nicht zwingend. Am Ende ist die Eroica eben doch eine mitreißende Symphonie, und da gibt es einen zwingenden Zusammenhang vom ersten Eb-Dur -Akkord-Einschlag bis zum letzten Ton. Wenn man es zu sehr vom Klavier her versteht, dann weiß ich nicht, ob das dem symphonischen Werk wirklich so ganz gerecht wird.

    Lieber Glockenton,


    da müsstest Du aber dann den Nachweis bringen, warum in der Orchesterfassung alles ganz anders sein soll als in der Klavierfassung. ^^ Das ist erst einmal unwahrscheinlich, weil in dieser Epoche hat man den Satz eines Musikstücks durch die Einheit eines Affektes bzw. einer Stimmung begriffen. Wieso soll auf einmal, was in der Klavierfassung humoristisch ist, in der Orchesterfassung plötzlich tragisch-erhaben sein, also die genau entgegengesetzte Stimmung verkörpern? Das einzige Argument, was das stützen könnte, wäre, dass die Notierung in der Partitur gravierend vom Notentext der Klavierfassung abweicht. Brendel erwähnt die komische Wirkung, die aus der Isolierung des "Klopfmotivs" durch die Pausen resultiert. In der Orchesterfassung ist das aber nunmal ganz genauso notiert:


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    Wäre es wirklich schlüssig, wenn man die brutalen Szenen des ersten Satzes ( gerade die Durchführung) und den sehr großen Ernst des Trauermarsches durchlitten/erfahren und das immer noch Beethoven-grimmige Scherzo ( von gefährlich leisen Pianostellen bis herausballernden Forte-Überraschungen ist da alles drin) durchlebt hat, und man dann als Finale nur einen nett-kauzigen Variations-Kehraus präsentiert bekommt?

    Ich glaube, Du missverstehst die Dimension des Humors, wenn Du ihn als "nett-kauzig" charakterisierst. Paul Bekker hat ja entdeckt, dass das Thema aus Beethovens Ballettmusik Die Geschöpfe des Prometheus stammt. Darauf reitet die Musikhermeneutik bis heute herum. Auch von daher kann man die humoristischen Züge herleiten. Prometheus ist ein Titan - und der Humor bei Beethoven ist auch nicht einfach nur harmlos-nett, sondern Ausdruck des Subjekts, das gegen die Welt aufbegehrt. Bei Jean Paul heißt es über den Humor - er ist das "umgekehrte Erhabene" als das Unendlich-Kleine: "Vor der Unendlichkeit gilt alles gleich viel und nichts!" D.h. der Humor ist ein Gestus des Aufbegehrens gegenüber den erstarrten Konventionen der Welt, die humoristisch zur Bedeutungslosigkeit, einem "Nichts", negiert werden. Das hat etwas Revolutionäres, da setzt sich Beethoven als souveränes Subjekt absolut mit seinem "Willen". Diesen idealistischen Zug der Autonomieerklärung des selbstbewussten Subjekts, wenn man ihn bei diesem TamTamTam mithört, dann ist er weit mehr als nur eine individuelle Schrulle eines kauzigen Charakters! Warum konnte denn Beethoven diese Symphonie dem Weltzertrümmerer Napoleon widmen?


    P.S.: Beim Vater des Deutschen Idealismus, J. G. Fichte, heißt es als 1. Grundsatz: "Das Ich setzt sich schlechthin selbst!" Das Klopfmotiv im Forte allein hingestellt durch die Pausen hat einen solchen "Setzungs"-Charakter. Wenn man ihm diesen Setzungs-Charakter nimmt, dann geht darum auch der Ausdruck von selbstbewusster Subjektivität verloren, der so typisch für Beethoven und neu bei Beethoven ist.


    Auf jeden Fall höre ich mir heute Scherchen an - und lese noch ein bisschen! Jedenfalls finde ich unseren Dialog super spannend! :hello:


    Liebe Grüße

    Holger

  • Richard Wagner:
    Beethovens "Heroische Symphonie" (1851)
    (Geschrieben für ein Konzert in Zürich am 25. Februar 1851)


    Diese höchst bedeutsame Tondichtung - die dritte Symphonie des Meisters, und das Werk, mit welchem er zuerst seine ganz eigentümliche Richtung einschlug - ist in vielen Beziehungen nicht so leicht zu verstehen, als es ihre Benennung vermuten liesse, und zwar gerade weil der Titel "Heroische Symphonie" unwillkürlich verleitet, eine Folge heldenhafter Beziehungen in einem gewissen historisch-dramatischen Sinne durch Tonbildungen dargestellt sehen zu wollen. Wer mit einer solchen Erwartung sich zum Verständnisse dieses Werkes anlässt, wird zunächst verwirrt und endlich enttäuscht werden, ohne in Wahrheit zu einem Genusse gelangt zu sein. Wenn ich mir daher erlaube, die Ansicht, die ich mir selbst von dem dichterischen Inhalte dieser Tonschöpfung gewonnen habe, so gedrängt wie möglich hier mitzuteilen, so geschieht dies in dem aufrichtigen Glauben, manchen Zuhörern der bevorstehenden Aufführung der "Heroischen Symphonie" ein Verständnis zu erleichtern, das sie selbst sich nur bei öfter wiederholter Anhörung besonders lebensvoller Aufführungen des Werkes würden verschaffen können.


    Zunächst ist die Bezeichnung "heroisch" im weitesten Sinne zu nehmen und keineswegs nur etwa als auf einen militärischen Helden bezüglich aufzufassen. Begreifen wir unter "Held" überhaupt den ganzen, vollen Menschen, dem alle rein menschlichen Empfindungen - der Liebe, des Schmerzes und der Kraft - nach höchster Fülle und Stärke zu eigen sind, so erfassen wir den richtigen Gegenstand, den der Künstler in den ergreifend sprechenden Tönen seines Werkes sich uns mitteilen lässt. Den künstlerischen Raum dieses Werkes füllen all die mannigfaltigen, mächtig sich durchdringenden Empfindungen einer starken, vollkommenen Individualität an, der nichts Menschliches fremd ist, sondern die alles wahrhaft Menschliche in sich enthält und in der Weise äussert, dass sie, nach aufrichtigster Kundgebung aller edlen Leidenschaften, zu einem, die gefühlvollste Weichheit mit der energischen Kraft vermählenden, Abschluss ihrer Natur gelangt. Der Fortschritt zu diesem Abschlusse ist die heroische Richtung in diesem Kunstwerke.


    Der erste Satz umfasst, wie in einem glühenden Brennpunkte, alle Empfindungen einer reichen menschlichen Natur im rastlosesten, jugendlich tätigsten Affekte, Wonne und Wehe, Lust und Leid, Anmut und Wehmut, Sinnen und Sehnen, Schmachten und Schwelgen, Kühnheit, Trotz und ein unbändiges Selbstgefühl wechseln und durchdringen sich so dicht und unmittelbar, dass, während wir alle diese Empfindungen mitfühlen, keine einzelne von der anderen sich merklich loslösen kann, sondern unserer Teilnahme sich immer nur dem einen zuwenden muss, der sich uns eben als allempfindungsfähiger Mensch mitteilt. Doch gehen alle diese Empfindungen von einer Hauptfähigkeit aus, und diese ist die Kraft. Diese Kraft, durch alle Empfindungseindrücke unendlich gesteigert und zur Äusserung der Überfülle ihres Wesens getrieben, ist der bewegende Hauptdrang dieses Tonstückes: sie ballt sich - gegen die Mitte des Satzes - bis zu vernichtender Gewalt zusammen, und in ihrer trotzigsten Kundgebung glauben wir einen Weltzermalmer vor uns zu sehen, einen Titanen, der mit den Göttern ringt.


    Diese zerschmetternde Kraft, die uns mit Entzücken und Grauen zugleich erfüllt, drängte nach einer tragischen Katastrophe hin, deren ernste Bedeutung unserem Gefühle im zweiten Satze der Symphonie sich kundgibt. Der Tondichter kleidet diese Kundgebung in das musikalische Gewand eines Trauermarsches. Eine durch tiefen Schmerz gebändigte, in feierlicher Trauer bewegte Empfindung teilt sich uns in ergreifender Tonsprache mit: eine ernste männliche Wehmut lässt sich aus der Klage zur weichen Rührung, zur Erinnerung, zur Träne der Liebe, zur innigen Erhebung, zum begeisterten Ausrufe an. Aus dem Schmerze entkeimt eine neue Kraft, die uns mit erhabener Wärme erfüllt: als Nahrung dieser Kraft suchen wir unwillkürlich wieder den Schmerz auf; wir geben uns ihm hin bis zum Vergehen im Seufzer; aber gerade hier raffen wir abermals unsere vollste Kraft zusammen: wir wollen nicht erliegen, sondern ertragen. Der Trauer wehren wir nicht, aber wir selbst tragen sie nun auf dem starken Wogen eines mutigen männlichen Herzens. Wem wäre es möglich, in Worten die unendlich mannigfaltigen, aber eben unaussprechlichen Empfindungen zu schildern, die vom Schmerz bis zur höchsten Erhebung, und von der Erhebung bis zur weichsten Wehmut, bis zum letzten Aufgehen in ein unendliches Gedanken, sich berühren? Nur der Tondichter vermochte dies in diesem wunderbaren Stücke.


    Die Kraft, der - durch den eigenen tiefen Schmerz gebändigt - der vernichtende Übermut genommen ist, zeigt uns der dritte Satz nun in ihrer mutigen Heiterkeit. Das wilde Ungestüm in ihr hat sich zur frischen, munteren Tätigkeit gestaltet; wir haben jetzt den liebenswürdigen, frohen Menschen vor uns, der wohl und wonnig durch die Gefilde der Natur dahinschreitet, lächelnd über die Fluren blickt, aus Waldhöhen die lustigen Jagdhörner erschallen lässt; und was er bei alledem empfindet, das teilt uns der Meister in dem rüstig heiteren Tonbilde mit, das lässt er uns von jenen Jagdhörnern endlich selbst sagen, die der schönen, fröhlichen, doch auch weichgefühlvollen Erregung des Menschen selber den musikalischen Ausdruck geben. In diesem dritten Satze zeigt uns der Tondichter den empfindungsvollen Menschen von der Seite, welche derjenigen entgegengesetzt ist, von der er ihn uns im vorangehenden zweiten Satze zeigte: dort der tief und kräftig leidende, - hier der froh und heiter tätige Mensch.


    Diese beiden Seiten fasst der Meister nun in dem vierten - letzten - Satze zusammen, um uns endlich den ganzen, harmonisch mit sich einigen Menschen in den Empfindungen zu zeigen, in denen selbst das Gedenken des Leidens sich zu Trieben edler Tätigkeit gestaltet. Dieser Schlusssatz ist das nun gewonnene, klare und verdeutlichende Gegenbild des ersten Satzes. Wie wir dort alle menschlichen Empfindungen in den unendlich mannigfaltigsten Äusserungen bald sich durchdringen, bald heftig verschiedenartig sich von sich abstossen sahen, so einigt sich hier diese mannigfaltige Unterschiedenheit zu einem alle diese Empfindungen harmonisch in sich fassenden Abschlusse, der sich in wohltuender, plastischer Gestalt uns darstellt. Diese Gestalt hält der Meister zunächst in einem höchst einfachen Thema fest, welches sicher und bestimmt sich vor uns hinstellt und der unendlichsten Entwicklung, von der zartesten Feinheit bis zur höchsten Kraft, fähig wird. Um dieses Thema, welches wir als die feste männliche Individualität betrachten können, winden und schmiegen sich vom Anfange des Satzes herein all die zarteren und weicheren Empfindungen, die sich bis zur Kundgebung des reinen weiblichen Elementes entwickeln, welches endlich an dem - durch das ganze Tonstück energisch dahinschreitenden - männlichen Hauptthema in immer gesteigerter mannigfaltiger Teilnahme sich als die überwältigende Macht der Liebe offenbart. Diese Macht bringt an dem Schlusse des Satzes sich volle, breite Bahn in das Herz. Die rastlose Bewegung hält an, und in edler, gefühlvoller Ruhe spricht sich die Liebe aus, weich und zärtlich beginnend, bis zum entzückenden Hochgefühle sich steigernd, endlich das ganze männlich Herz bis auf seinen tiefsten Grund einnehmend. Hier ist es, wo noch einmal dieses Herz das Gedenken des Lebensschmerzes äussert: hoch schwillt die liebeerfüllte Brust, - die Brust, die in ihrer Wonne auch das Weh umfasst, wie Wonne und Weh, als rein menschliches Gefühl, ein und dasselbe sind. Noch einmal zuckt das Herz, und es quillt die reiche Träne edler Menschlichkeit; doch aus dem Entzücken der Wehmut bricht kühn der Jubel der Kraft hervor, der Kraft, die sich der Liebe vermählte und in der nun der ganze, volle Mensch uns jauchzend das Bekenntnis seiner Göttlichkeit zuruft.


    Nur in des Meisters Tonsprache war aber das Unaussprechliche kundzutun, was das Wort hier eben nur in höchster Befangenheit andeuten konnte.

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