Schuberts Winterreise in liedanalytischer Betrachtung

  • Du hast recht, lieber Stimmenliebhaber, wenn Du noch darauf hinweist, dass es in dem von mir zitierten Artikel primär um Wilhelm Müllers Text und erst sekundär um Schuberts Werk geht. Das war aber an sich klar. Dass die Frage nach der spezifischen Eigenart von Müllers "Winterreise" "wenig fruchtbringend" sei, - dieser Auffassung kann man sein, ich teile sie aber nicht. Und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Müllers lyrische Sprache schlägt sich in Schuberts Musik nieder, sie wird selbst zu Musik. Und noch ein wesentlicher Grund macht es durchaus "fruchtbringend", dieser Frage nachzugehen: Schubert übernimmt die Weltsicht und das Verständnis des Individuums, wie sich beides in Müllers lyrischem Text artikuliert. Und die sind nun beide alles andere als "romantisch".
    Wenn Du Dich bitte noch etwas gedulden würdest, so könntest Du hier lesen, wie ich das begründe.


    Etwas noch: Ich begegne immer wieder Auffassungen von "Romantik", die sich auf solche thesenhafte Sätze verdichten: " Romantik in allen Bereichen der Kunst würde ich primär mit Irrationalität assoziieren".

    Bitte fühle Dich jetzt nicht belehrt, wenn ich entgegenhalte. Das ist ein verkürztes, ein einseitiges Bild von Romantik. Das Eigenartige und Faszinierende an der Romantik ist, dass sie in ihrem Kern ein theoretisches, rationales Operieren mit der Irrationalität darstellt. Du musst bitte mal Novalis und Friedrich Schlegel lesen, dann wirst Du eben diesem Sachverhalt begegnen.
    Novalis entwickelt den Gedanken, dass das wahre Mittel, die Welt zu "romantisieren" die "Abstraktion" sei. Das ist ein typisch romantisches Denken, das sich darin äußert: Ein zutiefst rationales! Ein paar Belege dazu noch: "Je eigentümlicher, je abstrakter, die Vorstellung: Bezeichnung, Nachbildung ist, je unähnlicher dem Gegenstande, dem Reize, desto unabhängiger, selbständiger der Sinn." Und. "Die Welt soll sein, wie ich will" - "Ich selbst weiß mich, wie ich mich will, und will mich, wie ich mich weiß - weil ich meinen Willen will, weil ich absolut bin".


    Das lieber Stimmenliebhaber, ist genuin romantisches Denken. Und nun lies mal den Text der Winterreise. So, wie sich das lyrische Ich dort sieht und sein Verhältnis zur eigenen Lebenswelt erfährt, ist es meilenweit vom romantischen Ich- und Lebensgefühl entfernt. Was Dir in Müllers Winterreise begegnet, ist der verlorene, seiner existenziellen Orientierung verlustig gegangene und in der Einsamkeit seiner Individuation versinkende und ihr ausgelieferte Mensch auf dem Weg in die Moderne.
    Und die Größe von Schuberts Musik besteht darin, dass er dieses wesenhaft moderne Ich- und Lebensgefühl in Musik gesetzt und darin sogar noch intensiviert und gesteigert hat.
    Schuberts "Winterreise" ist natürlich kein "klassisches " musikalisches Werk, - auch wenn Schuberts Melodik ihren Ursprung in der Wiener Klassik hat. Sie ist aber auch kein genuin "romantisches" Werk. Das Eigenartige und sie zu einem singulären Werk Machende ist, dass man sie sie nicht musikhistorisch einordnen und katalogisieren kann. Sie steht der musikalischen Moderne weitaus näher als der musikalischen Romantik.
    Was sich im übrigen auch in der Musik niederschlägt. Arnold Feil - aber nicht nur her - hat darauf hingewiesen, dass sich in der "Winterreise" die musikalische Struktur als "brüchig" erweist. Und er schließt seine Betrachtung des Werks - darin allerdings das Lied "Die Stadt" mit einbeziehend und bedenkend, dass Schubert dort "die Tonalität als Grundlage ignoriert - ab mit dem Satz: "...Ein neues Zeitalter der Musik ist angebrochen."

  • Das Denken der Romantiker ist meines Erachtens ein vom Verstand bestimmtes. Das gilt für die Frühromantik in gleichem Maße wie für die späteren Tendenzen - vielleicht gilt es nicht mehr für die diversen Strömungen des Fin de Siècle hundert Jahre später, vielleicht. (Ich habe übrigens große Probleme mit dem Terminus Spätromantik, da man sich offenbar nicht wirklich einig ist, ob damit nun die katholischen Tendenzen oder die einer - wohl tatsächlich - irrational geprägten Wissenschaftsspekulation gemeint sind, also insbesondere E.T.A. Hoffmann). Das Weltbild eines Novalis, die Universalität wie den experimentellen Charakter des Kunstschaffens gleichermaßen betreffend, basiert auf einem philosophischen Konzept und den Erfahrungen eines jungen, durchaus pragmatisch geprägten Wissenschaftlers. Schließlich war er Inspektor in einem Salzbergwerk.


    Wenn also von Irrationalität die Rede ist, so wäre mir lieber als das Moment des Emotionalen der Gedanke einer Transzendenz, die der Kunst die Rolle einer Idealität zuweist, welche aber die Formstrenge und das humanistische Prinzip dessen, was wir im Rahmen des (deutschen) Idealismus Klassik nennen, hinter sich lässt.


    Andererseits bin ich mir darüber im Klaren, dass man literarhistorische Überlegungen nicht mit musikologischen gleichsetzen kann, in vielerlei Hinsicht nicht, welche meines Erachtens die Parallelen bei Weitem überwiegen. Aber das ist an dieser Stelle gewiss ein zu weites Feld.


    Es mag schon richtig sein, dass der romantische Mensch stärker von seinen Emotionen geprägt ist als der nicht romantische. Dies mag für ein literatur- und kunstwissenschaftliches Verständnis ebenso gelten wie für ein alltagstauglich simplifizierendes modernes. Der modisch-(post)modern verstandene Begriff scheint mir aber eher das oder die Ergebnisse zu betreffen als die Basis - in diesem Sinne wäre die Selbsteinschätzung der (Früh-)Romantiker bezüglich des Begriffs keinen Deut weniger normativ überindividuell - und von daher eben nicht emotional - als diejenige Goethes und Schillers am Ende des 18. Jahrhunderts.


    Die Auseinandersetzung zwischen Helmut Hofmann und anderen, wie Stimmenliebhaber, bezüglich des klassischen versus des romantischen Impetus der Schubert'schen Winterreise erscheinen mir ein wenig wie der Streit um den Bart des Regenten. Will ich mich mit der Musik befassen oder mit den Texten Müllers? Vielleicht hat Helmut den Nagel auf den Kopf getroffen, wenn er den Frührealismus Müllers mit der klassischen musikalischen Denkungsart Schuberts verknüpft. Ist das Ergebnis nicht das gleiche wie in der späten Kammermusik Beethovens - ungeheure Modernität durch Verwischung der Grenzen respektive deren wechselseitiger Durchdringung? Sollte mir jemand an dieser Stelle den Begriff "Dialektik" um die Ohren schlagen wollen - kein Problem. Erst kommen die Erscheinungen, dann die Auffangbehälter für selbige ... Die Diskussion dahier beweist erneut die Problematik aller Schubladen.


    :hello: Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Zit.: "Das Denken der Romantiker ist meines Erachtens ein vom Verstand bestimmtes."


    Hallo, WolfgangZ, Du hattest - offensichtlich - keine Kenntnis von meinem voranstehenden Beitrag. Ich denke, ich habe Dir ungewollt schöne Belege für diese These geliefert. Freue mich natürlich darüber!

  • Ich habe Deinen Beitrag tatsächlich erst hinterher gelesen, Helmut! Ich denke, wir haben da nichts gänzlich Neues unter der Sonne gepredigt! :D


    Aber die Freude ist meinerseits!


    :hello: Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Zit: "Ich denke, wir haben da nichts gänzlich Neues unter der Sonne gepredigt"


    Das denkst Du, lieber Wolfgang. Aber blick Dich mal um, etwa in den parallel zu diesem laufenden Thread zur "Winterreise":
    Du begegnest immer wieder einem Verständnis von "Romantik", das ein gängiges, klischeehaft simplifiziertes, aber falsches, weil wesentliche Aspekte ausklammerndes Bild von dieser Epoche reproduziert.

  • Frage (nicht nur an Stimmenliebhaber): Wäre in diesem Zusammenhang irrational mit emotional gleich zu setzen?

    Für mich irgendwie schon, denn beides ist in gewisser Weise das Gegenteil von rational.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Und nun lies mal den Text der Winterreise. So, wie sich das lyrische Ich dort sieht und sein Verhältnis zur eigenen Lebenswelt erfährt, ist es meilenweit vom romantischen Ich- und Lebensgefühl entfernt.

    Ich kenne den Text der "Winterreise" ganz gut, obwohl ich ihn natürlich im Zusammenhang mit Schuberts Vertonung kennen lernte und es mir persönlich auch schwer fällt, den Text ohne die Musik zu denken.


    Sie steht der musikalischen Moderne weitaus näher als der musikalischen Romantik.

    Na ja...


    Arnold Feil - aber nicht nur her - hat darauf hingewiesen, dass sich in der "Winterreise" die musikalische Struktur als "brüchig" erweist. Und er schließt seine Betrachtung des Werks - darin allerdings das Lied "Die Stadt" mit einbeziehend und bedenkend, dass Schubert dort "die Tonalität als Grundlage ignoriert - ab mit dem Satz: "...Ein neues Zeitalter der Musik ist angebrochen."

    Da hat Feil ja auch Recht, nur glaube ich nicht, dass er ernsthaft Schubert an den Beginn der (heutigen) Moderne setzen will, sondern natürlich das romantische Zeitalter der Musik meint. Die Brüchigkeit der musikalischen Struktur in der "Winterreise" ist eben etwas diametral Entgegengesetztes zum Ebenmaß der Klassik.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Zit,: "Ich kenne den Text der "Winterreise" ganz gut,..."


    Pardon, Stimmenliebhaber, aber das habe ich doch keine Sekunde bezweifelt. Ich hatte eine Bitte geäußert, nämlich einen neuerlichen Blick in ihn unter der hier aufgetauchten Fragestellung zu werfen.
    Der Bezugspunkt waren die Zitate von Novalis, die durchaus romantisches Ich-Bewusstsein und Lebensgefühl zum Ausdruck bringen: "Die Welt soll sein, wie ich will" - "Ich selbst weiß mich, wie ich mich will, und will mich, wie ich mich weiß - weil ich meinen Willen will, weil ich absolut bin". Ich war der Meinung, dass einem dergleichen im Protagnisten der "Winterreise" in gar keiner Weise begegnet.


    Aber ich sehe: Ich habe dieses Wort "bitte" vergessen.
    Nichts für ungut!

  • Nichts für ungut!

    Das sowieso!


    Ich habe ja auch immer gesagt, dass ich momentan (und das schon seit einigen Jahren) nicht die Zeit und die Konzentration aufbringen kann, mich wieder so intensiv mit dem Genre Lied zu beschäftigen, wie ich das in den 1990er Jahren einmal konnte, ja musste (aber auch absolut wollte).
    Dennoch habe ich in den letzten Tagen und Wochen angeregt durch die Lied-Diskussion(en) in diesem Forum wieder mehr Schubert-Lieder gehört, vor allem "Die Winterreise", habe nach längerer Zeit zum Beispiel mal wieder die Einspielung von Siegfried Vogel angehört, dazu ein paar Einzellieder auf Youtube. Selbst wenn mir die eine oder andere Einspielung nicht zusagte, spürte ich immer noch diese ungeheure emotionale Kraft, die von diesen Liedern auf mich ausgeht - und dass dieser Liedzyklus für mich eine Bedeutung hat wie sonst nur noch ganz wenige andere Werke der gesamten Musikliteratur. :rolleyes: :yes: :hello:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Wenn Du sagst, lieber Stimmenliebhaber,
    "...spürte ich immer noch diese ungeheure emotionale Kraft, die von diesen Liedern auf mich ausgeht - und dass dieser Liedzyklus für mich eine Bedeutung hat wie sonst nur noch ganz wenige andere Werke der gesamten Musikliteratur."...

    ...so kann ich Dir darin nur zustimmen. In diesem den Hörer in seiner Menschlichkeit unmittelbar ansprechenden und betroffen machenden Charakter hat diese Liedmusik Schuberts etwas wahrlich Einzigartiges an sich. Ich habe das viele Male an Liederabenden erlebt, in denen Dietrich Fischer-Dieskau diese Lieder vortrug. Und allemal blieb im Zuhörer-Raum Stille zurück. Es dauerte ungewöhnlich lange, bis der bei Konzertveranstaltungen übliche Applaus kam. Und er kam bemerkenswert zögerlich.
    Vielleicht, so denke ich, wird man mit all dem zurzeit hier grassierenden Theorie-Gefasel, an dem ich mich, was ich mir vorhalten muss, leider ja selbst beteilige, diesem singulären Werk der Liedliteratur nicht wirklich gerecht.
    Man sollte es hören und allenfalls darüber schreiben, wie Sänger und Pianisten es interpretieren, wobei ein Sich-Einlassen auf den musikalischen Text und seine Faktur hier durchaus sinnvoll, weil der Sache nicht abträglich ist.
    Insofern bedauere ich, dass der Thread "Schuberts Winterreise post Fischer-Dieskau" eingeschlafen ist.
    Ist er aber doch nicht. Er wurde ja eigentlich durch geschwätzig-diskursives Abschweifen von der zentralen Fragestellung kaputtgemacht.


    Ich denke, ich sollte noch zwei bis drei Beiträge theoretischer Art zum Thema "Winterreise" hier machen, und dann zu deren Musik zurückkehren. Im Thread, der sich mir ihrer gesanglichen Interpretation beschäftigt.

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  • Im Thread „Schuberts Winterreise: Konzeptionen, Interpretationen, Ästhetik“ wird von Glockenton die – aus meiner Sicht unhaltbare – Auffassung vertreten, bei Wilhelm Müllers „Winterreise“-Zyklus handele es sich um genuin „romantische Lyrik“. Ich mache Glockenton nicht den Vorwurf, dass er dabei in methodisch unzulässiger Weise vorgegangen ist, indem er sich auf eine fragwürdige, weil summarisch-generalisierend angelegte Definition von Romantik gestützt und diese gleichsam abgearbeitet hat. Dafür bin ich in dem, worüber ich in Sachen Lied hier schreibe, viel zu sehr selbst Dilettant. Ich möchte Glockenton nur bitten, sich einmal anzuhören, was jemand zu dieser Frage zusagen hat, der in diesem Fall nun mal ausnahmsweise kein Laie ist.


    Im folgenden möchte dieser Frage nachgehen und meine Auffassung zu belegen versuchen, - nicht aus polemischen Gründen oder gar solchen schierer Rechthaberei, sondern aus reinem Interesse an einer sachlichen Klärung. Bei meinen textanalytischen Betrachtungen stütze ich mich ich zwar auch auf einschlägige Fachliteratur (u.a. die Biographie von Erika von Borries: „Willhelm Müller, Der Dichter der Winterreise; München 2007, und den Essay von Rolf Vollmann: „Wilhelm Müller und die Romantik" (In: Arno Feil, Franz Schubert, Die schöne Müllerin, Winterreise, Stuttgart 1975), verlasse mich aber in erster Linie auf meine eigenen reflexiven Auseinandersetzungen mit der der Sache.


    Der Sinn einer solchen Betrachtung, die sich zunächst nur dem lyrischen Text zuwendet, liegt darin, dass Schuberts Musik ja nicht nur den Gehalt der Verse aufgreift, sondern auch die lyrische Sprache, in der er sich artikuliert. Schuberts Lieder sind musikgewordene Sprache. Man kann immer wieder mit Staunen feststellen, wie sehr sich die Struktur der lyrischen Sprache in der Struktur der melodischen Linie der Singstimme niederschlägt. Natürlich interpretiert diese Musik auch, - in dem Sinne, dass sie bestimmte lyrische Aussagen akzentuiert, lyrische Bilder intensiviert oder Korrespondenzen zu anderen lyrischen Aussagen aufzeigt. Die Grundaussage von Müllers Lyrik bleibt dabei freilich erhalten. Schubert hat sich mit ihr in hohem Maße identifiziert, - vom ersten Augenblick der Begegnung mit Müllers „Winterreise“


    Es hat keinen Sinn, hier erst einmal in allgemeiner Weise auf die verschiedenen Formen romantischer Lyrik einzugehen, wie sie in Gestalt des lyrischen Werkes ihrer großen Repräsentanten vorliegen. Das ist hier nicht zu leisten. Ich möchte deshalb einen exemplarisch repräsentativen Ansatz verfolgen und mich auf die Betrachtung zweier Gedichte beschränken: Eichendorff, „In der Fremde“ und Müller, „Gute Nacht“. Beide Texte sind thematisch verwandt. Es geht um die lyrische Artikulation der Erfahrung von „Fremde“. Mir ist bewusst, dass dieses Verfahren problematisch ist, da nach dem Prinzip pars pro toto verfahren wird. Es geht aber nicht anders. Ich kann schließlich keine zwanzig Seiten hier vollschreiben.


    Aus der Heimat hinter den Blitzen rot
    Da kommen die Wolken her,
    Aber Vater und Mutter sind lange tot,
    Es kennt mich dort keiner mehr.
    Wie bald, wie bald kommt die stille Zeit,
    Da ruhe ich auch, und über mir
    Rauschet die schöne Waldeinsamkeit
    Und keiner mehr kennt mich auch hier.


    Eichendorff gehört der dritten Generation der Romantiker an. Er steht der Heidelberger Richtung nahe. Das ist ein in seiner lyrischen Sprache und seiner Metaphorik für ihn typisches und darin ein zweifellos romantisches Gedicht. Schon in der Rhythmik der Verse ist das zu vernehmen, die in ihrer Metrik zwischen Jambus und Daktylus hin und her pendeln, was die lyrischen Aussagen und Bilder rhythmisch leicht schweben lässt. Das lyrische Ich spricht von sich selbst, dies aber nicht nur in Gestalt von direkten Aussagen über seine seelischen Befindlichkeit, sondern auch indirekt unter Zuhilfenahme von Bildern.


    Das erste weist ein starkes evokatives Potential auf. Den „roten Blitzen“ wohnt etwas befremdlich Abweisendes, ja Gefährliches inne. Die „Heimat“ des lyrischen Ichs liegt hinter ihnen. Es gibt keinen Zugang mehr zu ihr, sie ist verloren. Nur Wolken, die von dort, also von fernher kommen, stellen von eine Verbindung zu Heimat her. Wolken aber sind ebenfalls fern und nicht greifbar, Das lyrisch Ich ist wesenhaft heimatlos. Niemand würde es kennen, könnte es denn noch zurück in die ferne Heimat. Vater und Mutter, die Wurzeln seiner Herkunft dort, sind tot.


    Es bleibt ihm die Sehnsucht nach einer neuen Heimat, einem Ort des existenziellen Geborgen-Seins. Hier entfalten die lyrischen Bilder eine in ihrer Aussage schillernde Ambivalenz. Die zentrale Aussage ist „Da ruhe ich auch“. Ihr lyrisches Gewicht erhält sie dadurch, dass auf dem Wort „ruhe eine Hebung und eine Senkung liegen. „Einsamkeit“ hat nun, als die des „Waldes“, nichts den Menschen Bedrückendes und Belastendes mehr, sie ist in ihrem Rauschen „schön“. Aber sie rauscht in der Vision des „Bald“ „über“ dem nun ruhenden lyrischen Ich. Und das suggeriert das Ruhen im Tod. Das heimatliche Ruhen in der Erdentiefe der schön rauschenden Waldeinsamkeit ist die visionäre Antwort auf den Verlust der realen irdischen Heimat. Und darin schließt sich das Gedicht auch in seinen Bildern: Auch hier kennt keiner das lyrische Ich. Aber das vermag keine existenzielle Erfahrung von Fremde mehr auszulösen. Das lyrisch Ich setzt seinem tatsächlichen „In-der-Fremde-Sein“ die Vision künftiger Geborgenheit eines Ruhens in der naturhaft schön rauschenden Waldeinsamkeit entgegen.
    Dieses Gedicht ist in seiner lyrischen Sprache, seiner Metaphorik und seiner zentralen poetischen Aussage ein Werk der Romantik.


    Wie anders Müllers „Gute Nacht“. Schon die ersten beiden Verse gestaltet er sprachlich, wie kein romantischer Lyriker das ohne Not tun würde (Ausnahme Brentano, dort aber in klangmagischer Absicht). In geradezu prosaischer, weil in direkter Aussage erfolgender Wese werden zwei Verse in identischer metrischer und partiell identischer sprachlicher Struktur unmittelbar hintereinander gesetzt. Das zweimalige „fremd“ am Versanfang wirkt, eben weil es sich um eine Wiederholung handelt, in der direkten Art der Aussprache einer seelischen Befindlichkeit geradezu lakonisch.


    Und damit begegnet einem ein durchgängiges sprachlich-lyrisches Stilmerkmal gleich am Anfang der „Winterreise“: Es ist der lakonische, auf einfacher Syntax basierende, die Dinge direkt benennende, deskriptiv-konstatierende sprachliche Gestus. Das ist keine lyrisch-sprachliche Romantik, das ist Realismus.
    Hier, im Gedicht „Gute Nacht“ wird das von Müller in metrisch und syntaktisch geradezu aufdringlicher Weise (durchgängig dreihebige Jamben mit alternierend klingender und stumpfer Endung) praktiziert: „Fremd bin ich …, Fremd zieh ich…, Das Mädchen sprach…, Nun ist die Welt …, Es zieht ein Mondenschatten…Die Liebe liebt das Wandern…Will dich im Traum nicht stören…“.


    Fremd bin ich eingezogen,
    Fremd zieh ich wieder aus.
    Der Mai war mir gewogen
    Mit manchem Blumenstrauß.
    Das Mädchen sprach von Liebe,
    Die Mutter gar von Eh' –
    Nun ist die Welt so trübe,
    Der Weg gehüllt in Schnee. (…)


    Das lyrische Ich geht in einer sprachlich geradezu sachlich-nüchternen Weise mit seiner existenziellen Situation um, der es sich nach dem Scheitern seiner Liebesbeziehung und des Versuchs, Sinnerfüllung des Lebens in einer bürgerlichen Existenz zu finden, gegenübersieht. Die Erfahrung des „Fremd-Seins“ unterscheidet sich in einer fundamentalen Weise von der, wie sie in Eichendorffs Gedicht zum Ausdruck kommt. Und auch darin erweist sich dieses Gedicht – wie alle Gedichte der „Winterreise“ – als Dokument einer nach-romantischen Zeit.


    Müllers „Fremd-Sein“ ist hier nicht, wie bei Eichendorff, die für die Romantik so typische Erfahrung der Individuation, die mit der Sehnsucht nach Auflösung derselben in Gestalt einer Rückkehr in den naturhaften Urgrund einhergeht. Müllers „Fremd-Sein“ ist eine genuin gesellschaftlich vermittelte Erfahrung. Das Ich erfährt sich in seiner Lebenswelt als mit einem Mal in die gesellschaftliche Exorbitanz geworfen. Das Lied „Im Dorfe“ lässt das auf beeindruckende Weise vernehmen. Die einzelnen Lieder der „Winterreise“ begegnen dem Hörer als Stationen von Sinnsuche in eben dieser existenziellen Grundsituation, - und dies in einem Prozess wachsenden Sich-Bewusst-Werdens derselben. Beides greift ineinander, und je stärker das Bewusstsein seiner existenziellen Geworfenheit in die Einsamkeit sich ausprägt, desto mehr stellt sich das ein, was die letzte Lieder der Winterreise so stark prägt: Das Sich-Selbst-Aufgeben des lyrischen Ichs.


    Was die Gedichte der Winterreise und Schuberts Musik darauf zum Ausdruck bringen, das ist nicht das Ich- und das Lebensgefühl des Individuums der Romantik in den verschiedenen Phasen ihrer künstlerischen und geistig-philosophischen Ausprägung, nein, es ist das der Moderne.
    Erika von Borries hat also allen guten Grund festzustellen:
    „Während Müller in der >Schönen Müllerin< noch auf konventionelle romantische Topoi zurückgreift, (…) bestimmt den Zyklus von der >Winterreise< das Grundgefühl der Moderne, die Unbehaustheit des Menschen in einer erkalteten Welt. (…) Die in der >Winterreise< artikulierten Gefühle der Fremdheit und Verlorenheit sind auch Reflex einer Gesellschaft auf dem Weg in die Moderne.“


    Zum Ausdruck kommt dieses „Grundgefühl der Moderne“ bei Müllers „Winterreise“ in einer lyrischen Sprache, die von der, wie sie einem in der Lyrik der Romantik von ihrer frühen Phase (also Schlegel, Tieck, Wackenroder, Novalis) bis zu ihrer späten (also etwa Eichendorff) begegnet, in fundamentaler Weise unterscheidet. . Die Gedichte der „Winterreise“ nehmen in Müllers lyrischem Schaffen eine Sonderstellung ein, die die Literaturwissenschaft vor ein Rätsel stellt. Man kann sich nicht erklären, warum mitten in eine, rechtschaffen-mittelmäßigen lyrischen Opus mit einem Mal etwas in seiner lyrischen Sprache wahrlich Singuläres auftaucht.


    Die lyrische Sprache der Winterreise“ ist die Aufkündigung von Poesie im romantischen Verständnis des Wortes. Sie ist in einer geradezu erschreckenden Weise prosaisch. Der zutiefst realistische, konstatierend-deskriptive, ja oft regelrecht lakonisch anmutende Grundton, wie er – wie gerade aufgezeigt – einem im Gedicht „Gute Nacht“ begegnet, setzt sich in den folgenden Gedichten in z.T. noch drastischerer Weise fort. Er ist Ausdruck eines genuin modernen Lebensgefühls, das sich in den Worten verdichtet: „Ich bin zu Ende mit allen Träumen.“ Auch das eine für die lyrische Sprache repräsentative sachlich-lakonische Feststellung.


    Wo ein Eichendorff sein Lebensgefühl des In-der-Fremde-Seins mit evokativen Bildern wie jenem von den „Blitzen rot“ und dem von der „schön rauschenden Waldeinsamkeit“ assoziiert, stellt sich bei dem von Haus und Hof vertriebenen Protagonisten der „Winterreise“ das von den „irren Hunden“ ein. Beim Blick auf das Haus der ehemaligen Geliebten fühlt er sich von der Wetterfahne darauf „ausgepfiffen“. Der winterliche Fluss begegnet ihm – absolut unromantisch! – als „mit harter, starrer Rinde“ „unbeweglich im Sand ausgestrecktes“ Gebilde. Das ist lyrisch harte, weil in der emotionalen Erfahrung von Realität gründende und diese ins adäquat lyrische Wort setzende Metaphorik. Für die Empfindung der existenziellen Verlorenheit bleiben diesem Wanderer nur noch die lakonischen Worte: „Bin matt zum Niedersinken und tödlich schwer verletzt.“ Das Wort „ich“ fehlt darin. Dieser Wanderer hat sein „Ich“ längst verloren. Er hat kein Wort mehr dafür. Wenn Rolf Vollmann von der „fast entsetzlichen Kindlichkeit“ der „Bilder und Gesichter“ spricht, so ist dies Ausdruck der Verlorenheit und Hilflosigkeit, in der das lyrische Ich in seiner Suche nach existenzieller Orientierung und einer Perspektive von Zukunft geraten ist.


    Wie meinte doch ein herausragender Repräsentant der literarischen Romantik, Novalis nämlich: „"Die Welt soll sein, wie ich will" - "Ich selbst weiß mich, wie ich mich will, und will mich, wie ich mich weiß - weil ich meinen Willen will, weil ich absolut bin".
    Auf dem Hintergrund davon wirkt Müllers „Winterreisender“ wie ein geradezu gespenstisches, seines Ichs verlustig gegangenes Wesen. Eine Leiermann-Existenz. Und darin eine Verkörperung des Lebensgefühls nicht der Romantik, sondern der Moderne.

  • Ich mache Glockenton nicht den Vorwurf, dass er dabei in methodisch unzulässiger Weise vorgegangen ist, indem er sich auf eine fragwürdige, weil summarisch-generalisierend angelegte Definition von Romantik gestützt und diese gleichsam abgearbeitet hat.


    Was heißt das denn mit anderen Worten? So ein Zitat könnte Welke in der heute-show dankbar aufgreifen. Mir wird der Vorwurf im Satz ja eben doch gemacht. Der Vorwurf, meine Vorgehensweise sei methodisch unzulässig und die von mir verwendete Definition sei fragwürdig, weil "summarisch generalisierend" (müssen Definitionen nicht immer eine Summe ziehen und etwas Generelles aussagen?) steht doch eindeutig im Satz.... :rolleyes::D


    Dafür bin ich in dem, worüber ich in Sachen Lied hier schreibe, viel zu sehr selbst Dilettant.


    Was heißt denn das jetzt mit "selbst Dilettant" (wohl gemeint auf musikalischem Gebiet)?
    Das heißt doch eindeutig, dass Glockenton hier Dilettantismus unterstellt wird, während sich der Autor selbst für den Fachmann hält, den er in der Vergangenheit immer wieder in beleidigten Phasen hervorgekehrte, dann nämlich, wenn er darüber verzweifelte, dass sich Leute immer noch nicht seiner Meinung anschließen wollten.


    Ich möchte Glockenton nur bitten, sich einmal anzuhören, was jemand zu dieser Frage zusagen hat, der in diesem Fall nun mal ausnahmsweise kein Laie ist.


    ....so wie Glockenton in diesem Fall nun aber ein Laie ist, nicht wahr? Aber gut, ich habe es gelesen....


    Im folgenden möchte dieser Frage nachgehen und meine Auffassung zu belegen versuchen, - nicht aus polemischen Gründen oder gar solchen schierer Rechthaberei, sondern aus reinem Interesse an einer sachlichen Klärung.


    Nach der Einleitung, in der Glockenton als Laie oder Dilettant deutlich zwischen den Zeilen hingestellt wurde, habe ich ausgerechnet daran nun doch erhebliche Zweifel, noch vorsichtig gesagt. Man nimmt es mir gnadenhalber dieses eine Mal noch nicht übel, dass ich methodisch unzulässig (wer lässt eigentlich was wem gegenüber zu?) und fragwürdig vorging, weil ich es ja als Laie eben nicht besser konnte, nicht wahr. Nun kommt also der Fachmann, der ja Germanistik studierte und Autor eines Buches ist (und deswegen eben auch sich vom Stimmenliebhaber nicht anhören muss, dass er sich da ggf. in etwas verrannt habe..) und klärt den Sachverhalt gegenüber dem germanistischen Laien auf, der es ja nicht besser wissen kann.


    Angesichts einer solchen Einführung, war meine Lust, den Rest noch zu lesen, sehr begrenzt. Gelesen habe ich es trotzdem, aber es überzeugt mich nicht.


    Erika von Borries sagte:

    Die in der Winterreise artikulierten Gefühle der Fremdheit und Verlorenheit sind auch Reflex einer Gesellschaft auf dem Weg in die Moderne.“


    Daraus wird dann bei Hofmann:

    Es ist der lakonische, auf einfacher Syntax basierende, die Dinge direkt benennende, deskriptiv-konstatierende sprachliche Gestus. Das ist keine lyrisch-sprachliche Romantik, das ist Realismus.


    Hofmann ist sich seiner Sache sehr sicher, während von Borries noch vorsichtig von "auch" sprach. Leider unterschlägt Hofmann, was denn vor dem "auch" bei Borries noch kam.


    ....eine Verkörperung des Lebensgefühls nicht der Romantik, sondern der Moderne.


    ......erweist sich dieses Gedicht – wie alle Gedichte der „Winterreise“ – als Dokument einer nach-romantischen Zeit.


    Die im Text enthaltenen Begründungsversuche zu diesen - wie ich finde- recht steilen Thesen, überzeugen mich zwar nicht, aber ich lasse diese Ausführungen selbstverständlich als Einzelmeinung eines Forenmitglieds gerne so stehen. Selbstverständlich maße ich mir nicht an, auf dem Gebiet der Germanistik ein Fachmann zu sein. Dennoch gehe ich an solche Themen mit einem gewissen Maß an "gesundem Menschenverstand" und einer durchaus individuellen Reflektion heran und kann auch deshalb diese für mich gewagten Thesen nicht unterstützen bzw. nachvollziehen. Wenn Hofmann meint, dass dafür meine germanistische Ungebildetheit verantwortlich sei, ich also mit direkteren Worten zu blöd für so etwas wäre, dann kann ich damit gut leben. Es beleidigt mich nicht, aber ich wundere mich, dass jemand mit solchen semantischen Kniffen wie oben versucht, einen überflüssigen Kampf zur Wahrung seiner selbstvermuteten Reputation auszufechten. Hofmann hätte das aus meiner Sicht nicht nötig.
    Wenn man viel gelesen hat, ein Studium hinter sich hat, usw.....usw.... ist man dann gezwungen, immer im Recht zu sein, sich nicht auch einmal verrannt zu haben?
    Da ist wäre doch nichts Despektierliches dran.....aber gut, soll jeder es halten, wie er will.


    Ich sehe jetzt in der Tat keinen tieferen Sinn darin, mich in den vielen inhaltlichen Details weiter zu verstricken, weil es m.E. das Thema immer mehr von Schubert und seiner Musik wegführt. Auch angesichts der doch etwas persönliche herabsetzenden Einleitung fühle ich mich nicht dazu motiviert. Meine Argumentationen bezogen und beziehen sich immer in erster Linie auf Schuberts Musik, was im Parallelthread Dr. Holger Kalethas nachzulesen ist, auch - und das ist vielleicht das Wichtigste- an konkreten musikalischen Beispielen, auf die Hofmann bisher übrigens nicht einging. Das muss er aber auch gar nicht, denn wohin soll es noch führen?


    Das Kunstwerk Schuberts, welches einen lyrischen Text von Müller zum Ausgangspunkt hat, ist der Hauptgegenstand meiner Beiträge. Der Versuch, mich auf die für einen Germanisten zwar vertraute, in diesem Kontext aber nachrangig relevante Ebene der reinen Gedichtsinterpretation zu ziehen, wird also scheitern.


    Was käme eigentlich als nächste Konsequenz der steilen Thesen zu Müllers Winterreise? Wenn das hier stimmt - und da will ich gar nicht widersprechen,


    Schuberts Lieder sind musikgewordene Sprache. Man kann immer wieder mit Staunen feststellen, wie sehr sich die Struktur der lyrischen Sprache in der Struktur der melodischen Linie der Singstimme niederschlägt.


    ist dann Schubert der angeblich nachromantischen Lyrik eng gefolgt und hat eine dementsprechend nachromantische Musik geschrieben, die das Lebensgefühl der Moderne zum Ausdruck bringt?
    Andere hier meinten ja, dass er noch nicht einmal romantisch sei, also stilistisch noch rein in der Klassik beheimatet sei. Jetzt wird es wirklich etwas konfus....
    In unseren Ländern herrscht Meinungsfreiheit, und das ist gut so. Ich lasse jedem seine Meinung über dieses Thema und zucke noch nicht einmal zusammen, wenn jemand den Schubert als Renaissance-Komponisten oder sonst etwas sieht. Jeder kann das so halten, wie er möchte.


    So wie ich jedoch meinen Schubert aus eigenen Konzerten und vielem Musikhören und -Lesen kenne - und nicht nur den Komponisten von Kunstliedern, aber auch - kann ich ihn kaum als Komponisten sehen, der ein modernes Lebensgefühl zum Ausdruck brächte. Vielmehr hat er zutiefst menschliche, zeitlose Komponenten. Wie ich ihn vom konkreten musikalischen Inhalt her höre, habe ich im Parallelthread an einigen wenigen aussagekräftigen Beispielen versucht zu begründen. Ich höre ihn oft als Romantiker, der das Herz seiner dafür empfänglichen Hörer tief bewegen kann. Dabei verkörpert er in seinem nicht einheitlichen Werk den Übergang von der Klassik hin zur Romantik.


    Unsere Leser können sie ja darüber ihren eigenen Eindruck verschaffen. Die Diskussion, ob denn Schubert nun ein Romantiker sei oder nicht, ging ungefähr hier los.


    Für mich ist die Antwort längst gefunden, weshalb ich für mich in der Sache keinen weiteren Diskussionsbedarf sehe. Dr. Kalethas Thread soll sich thematisch ja nicht ausschließlich um diese eine Frage drehen, nehme ich jedenfalls an.
    Ich möchte hier bei Tamino immer bei Schubert bleiben. Über Klassik sich auszutauschen, kann sehr schön sein, weil es ja um ein herrliches Thema geht. Aber so langsam verflüchtigt sich bei manchen Dialogen hier mein Spaß an diesem Austausch. Ich glaube auch nicht, dass Schubert mit seinen Kompositionen solche doch eher fruchtlosen "Diskurse" zur überflüssigen Ehrenrettung von Diskussionsteilnehmern auslösen wollte.



    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Schade!
    Eine Stellungnahme in der Sache auf einen Beitrag, der in einem Ton verfasst ist, den ich nicht nur als unsachlich, sondern gar als feindlich empfinden muss, ist wohl nicht sinnvoll.
    Wenn Glockenton meint:
    Zit. "Unsere Leser können sie ja darüber ihren eigenen Eindruck verschaffen. Die Diskussion, ob denn Schubert nun ein Romantiker sei oder nicht, ging ungefähr hier los"
    ... dann werden sie, wenn sie dieses "hier" in seinem Beitrag anklicken, feststellen, dass dort der Name "Glockenton" überhaupt nicht vorkommt. Woher also dieser unmittelbar darauf folgende, so überaus heftige - und zum Teil verletzende - Angriff von Glockenton auf meine Person, wenn ich ihn gar nicht erwähnt, geschweige denn selbst in irgendeiner Weise angegriffen habe? Ich hatte doch sogar nachträglich mein Bedauern über den Beitrag zum Ausdruck gebracht, der ihn so sehr in Rage brachte. Das wurde aber von ihm ganz offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen.


    In dem nach Meinung von Glockenton seine so übergroße Verärgerung auslösenden Beitrag meinte ich u.a.: "Schubert steht, was die Musikwissenschaft längst ausgewiesen hat, in der Tradition der Wiener Klassik und - historisch betrachtet - gleichsam auf der "Schwelle" zur Romantik."
    Nun lese ich hier bei Glockenton: "Dabei verkörpert er in seinem nicht einheitlichen Werk den Übergang von der Klassik hin zur Romantik."
    ... und kann mich nur noch wundern.
    Wenn ich das alles nur mal verstehen könnte! Nach der Lektüre dieser Reaktion von Glockenton auf meinen vorangehenden Beitrag bleibe ich ratlos und tief betrübt zurück.


    Aber lassen wir´s dabei! Ich scheine daran nichts mehr ändern zu können und werde hier im Forum damit leben müssen, dass ich mir offensichtlich einen veritablen Feind geschaffen habe, - ohne dass dabei meinerseits auch nur die geringste Absicht dazu im Spiel war.
    Glockenton möge wissen, dass ich dies sehr bedauere und hoffe, dass die Zeit diesbezüglich einen Wandel mit sich bringen möge.

  • .....und werde hier im Forum damit leben müssen, dass ich mir offensichtlich einen veritablen Feind geschaffen habe, - ohne dass dabei meinerseits auch nur die geringste Absicht dazu im Spiel war.


    "Ach, ich bin des Treibens müde...." möchte man manchmal aufseufzen. Von Feindschaft kann doch gar keine Rede sein - ich empfinde nichts dergleichen, und so etwas liegt absolut nicht in meiner Absicht.


    Eine aufrollende Klärung der weiteren Dinge, also die Frage wie man hier kommunizieren sollte und wie nicht, würde zu hier weit führen, und ich frage mich ohnehin, wohin es denn führen sollte. Mit Liedanalyse hätte es jedenfalls nichts mehr zu tun, und für am Thema interessierte Leser brächte das keinen Nutzen. Die müssen dann weiterscrollen, was lästig ist. Ich kenne das zur Genüge aus Hifi-Foren....


    Feindschaft oder gar Agressionen hege ich also gegen absolut niemanden in diesem Forum. Ich hoffe, dass das Thema damit ruhen kann.


    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • "Ich hoffe, dass das Thema damit ruhen kann."

    Das hoffe ich auch. Es wäre sehr in meinem Sinn. Mir geht nicht nur jegliche Lust am Streit ab, ich leide unter ihm.
    Ich danke Glockenton für diesen Beitrag!


  • „Einsamkeit“ hat nun, als die des „Waldes“, nichts den Menschen Bedrückendes und Belastendes mehr, sie ist in ihrem Rauschen „schön“.


    Und darin schließt sich das Gedicht auch in seinen Bildern: Auch hier kennt keiner das lyrische Ich. Aber das vermag keine existenzielle Erfahrung von Fremde mehr auszulösen.


    Diese Interpretation ist mir ehrlich gesagt zu eindimensional und übersieht die Ambivalenz. Tod ist einmal pietistisch Ruhe und Frieden, aber auch ins Äußerste gesteigerte Fremdheit. Der Strom, der ins Totenreich führt, ist bei den Griechen der Strom des Vergessens ("lethe"). Vor Nichts hatten die Griechen mehr Angst - deshalb strebt Achill nach Ruhm, um dem Vergessen zu entrinnen. Im christlichen Raum gibt es die Erinnerung an die Toten auf dem Friedhof. Wenn Tod nur noch "Vergessen" bedeutet, ist dies ein Bewußtsein von Entfremdung: als äußerste Steigerung von "Nich-Kennen". Das Individuum fühlt sich als Fremder so, als sei es im Grunde schon tot. Das Vergessen hat bei Eichendorff das letzte Wort und damit die unaufhebbare, schmerzliche Erfahrung von Fremdheit.


    Schöne Grüße
    Holger

  • In meinem obigen Beitrag, die „Winterreise“-Gedichte Wilhelm Müllers betreffend, meinte ich, um zu begründen, warum im Rahmen einer Beschäftigung mit Schuberts Liederzyklus eine analysierend-interpretierende Betrachtung derselben durchaus sinnvoll und nutzbringend ist:
    „Der Sinn einer solchen Betrachtung, die sich zunächst nur dem lyrischen Text zuwendet, liegt darin, dass Schuberts Musik ja nicht nur den Gehalt der Verse aufgreift, sondern auch die lyrische Sprache, in der er sich artikuliert. Schuberts Lieder sind musikgewordene Sprache. Man kann immer wieder mit Staunen feststellen, wie sehr sich die Struktur der lyrischen Sprache in der Struktur der melodischen Linie der Singstimme niederschlägt. Natürlich interpretiert diese Musik auch…“


    Man kann all das, sowohl die Abbildung der Struktur des lyrischen Textes in der melodischen Linie, seine Musik-Werdung also, wie auch die ihn interpretierende und inhaltlich akzentuierende und erweiternde Komponente von Schuberts Komposition, in dessen Lied „Gute Nacht“ sehr wohl hörend vernehmen und im Notentext erkennen. Die melodische Linie reflektiert in der Art ihrer Bewegung den lakonisch-konstatierenden Gestus der lyrischen Sprache Müllers. Melodik und Klaviersatz bewirken aber darüber hinaus in ihrem Zusammenwirken eine dimensionale Ausweitung der Aussage des lyrischen Textes, indem sie die Getriebenheit des lyrischen Ichs, dieses Wandern-Müssen inmitten von elementarer Müdigkeit, vernehmlich werden lassen.


    Das sechstaktige Vorspiel gibt den Takt dieser Bewegung in dieser Seelenlandschaft vor. Bezeichnend ist, wie die Singstimme einsetzt. Sie wird wie willenlos in diese Bewegung der Klavierbegleitung hineingezogen. Diese Achtel ziehen gnadenlos weiter, die Singstimme vollzieht immer wieder eine fallende Bewegung, und zwar in dem melodischen Fallmotiv: F- E - D - A. Die metrisch-rhythmische Struktur des ersten Liedes lässt die Zwanghaftigkeit dieser Wanderbewegung im seelischen Innenraum des Protagonisten hörbar und fühlbar werden.


    Das "Wandern-Müssen" geht bei diesem Wanderer einher mit einer abgrundtiefen Müdigkeit, die in Hoffnungslosigkeit wurzelt. Dieses kann man am musikalischen Text des Liedes ablesen, und man kann es hören. Das Lied "Gute Nacht" setzt mit den Achteln im Klavierbass ein, die es durchgängig beherrschen und seinen Charakter prägen. Der Klavierdiskant setzt erst mit dem letzten Achtel des ersten Taktes ein. Und dann läuft diese Bewegung der Achtel im Klavier, die sich zum Gehen zu schnell und zum Wandern zu langsam entfaltet, unerbittlich weiter.


    Eigentlich müsste das Klavier auf den Einsatz der Singstimme warten. Das tut es aber nicht. Deren Einsatz kommt dann ja auch: Aber erst auf dem letzten Achtel des siebten Taktes. Sie setzt ein, als müsste sie sich dazu aufraffen und schaffe es vor Müdigkeit kaum. Sie tut es mit diesem charakteristischen melodischen Fallmotiv. Dieses Hineingezogen-Werden der Singstimme in die immerzu pochend weiterlaufenden Achtel der Klavierbegleitung, die Tatsache, dass dies immer auf dem letzten Achtel des jeweiligen Taktes geschieht, ferner die eine Fallbewegung suggerierende Struktur der melodischen Linie, - all das bildet musikalisch dieses Davongetrieben-Sein des Wanderers ab, und zugleich lässt es die unendliche Müdigkeit dieses Menschen spüren und hören, der gar nicht wandern will, weil er nicht weiß wohin und keine Zukunft mehr vor sich sieht. Schubert hat aus lyrischem Text Musiksprache gemacht.


    Die kleine Sekunde spielt in diesem Lied eine große Rolle. Nicht nur am Anfang zeigt sich das, sondern noch einmal in der letzten Strophe. Durchweg herrscht ja in den ersten drei Strophen die Tonart d-Moll vor. Mit Beginn der vierten Strophe aber ("Will dich im Traum nicht stören...") treten Dur-Klänge an die Stelle des Molls: A-Dur-Harmonien erklingen.
    Der Grund: Der Wanderer verlässt in einer Vision seine "reale" Situation, in der er in den vorangegangenen Strophen gefangen war. Er stellt sich vor, er könne noch einmal mit seiner ehemaligen Geliebten sprechen, und er tut das auch. Dieses Ansprechen der Geliebten ist eine Art visionärer Ausbruch aus der vom d-Moll geprägten Realsituation, und deshalb setzt Schubert hier die neue, helle Tonart A-Dur ein.


    Es ist aber weniger der Wechsel der Tonart, der dieses Gefühl eines Wandels im Inneren dieses Wanderers beim Hörer auslöst, - es ist der Tonschritt, der mit "Will dich..." vollzogen wird. An die Stelle der kleinen tritt eine große Sekunde, an die Stelle des "F" tritt ein "Fis" ! Der Tonschritt lautet jetzt "Fis - E". Man hört also nicht mehr diesen Klageton der kleinen Sekunde, sondern empfindet das "fis" wie ein befreites Aufatmen.
    Dann aber, im letzten Vers ("An dich hab ich gedacht"), bricht das Bewusstsein seiner bedrückenden Situation wieder über den Wanderer herein: Dieser Vers ist klanglich wieder in das alles beherrschende d-Moll getaucht!
    Schubert hat diesem Vers seinen besonderen Nachdruck nicht nur durch die Rückkehr zur alten Tonart verliehen, sondern auch dadurch, dass er das "dich" der Ansprache besonders betont. Er hat den Text von Wilhelm Müller verändert. Dort lautet dieser Vers nämlich: "Ich hab´ an dich gedacht".


  • Diese Interpretation ist mir ehrlich gesagt zu eindimensional und übersieht die Ambivalenz. Tod ist einmal pietistisch Ruhe und Frieden, aber auch ins Äußerste gesteigerte Fremdheit. Der Strom, der ins Totenreich führt, ist bei den Griechen der Strom des Vergessens ("lethe"). Vor Nichts hatten die Griechen mehr Angst - deshalb strebt Achill nach Ruhm, um dem Vergessen zu entrinnen. Im christlichen Raum gibt es die Erinnerung an die Toten auf dem Friedhof. Wenn Tod nur noch "Vergessen" bedeutet, ist dies ein Bewußtsein von Entfremdung: als äußerste Steigerung von "Nich-Kennen". Das Individuum fühlt sich als Fremder so, als sei es im Grunde schon tot. Das Vergessen hat bei Eichendorff das letzte Wort und damit die unaufhebbare, schmerzliche Erfahrung von Fremdheit.


    Schöne Grüße
    Holger


    Diese Ambivalenz überinterpretiert meines Erachtens das Verständnis des Katholiken Eichendorff. Vom Strom, der ins Totenreich führt, ist im Gedicht keine Rede. Waldeinsamkeit spiegelt die Geborgenheit in Gott; sie ist schön - ein typisch Eichendorff'sches und durchaus banales Epitheton, eines der vielen Versatzstücke seiner Lyrik. Bekanntlich gibt es auch ein Gedicht von ihm, das den Titel Schöne Fremde trägt. Ich halte es für problematisch, ein solches Konzept der Entfremdung nun gerade auf die Lyrik von Eichendorff anzuwenden, es sei dann, es handelt sich um die Gefährdung durch Verlockungen aller Art. Diesbezüglich kann ich aber keinen Anhaltspunkt entdecken. Stattdessen erweist sich die Natur als Durchgangsstadium des gläubigen Menschen auf dem Weg in die Transzendenz; er fühlt sich bereits als Lebender in solcher Waldeseinsamkeit geborgen. Man könnte gleichermaßen spekulativ, wie dies in obiger Deutung geschieht, auch davon sprechen, dass das Individuum froh ist, von all den Philistern vergessen zu werden, die ihm die Waldeinsamkeit missgönnen.


    :hello: Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Zit. WolfgangZ: "Vom Strom, der ins Totenreich führt, ist im Gedicht keine Rede. Waldeinsamkeit spiegelt die Geborgenheit in Gott; sie ist schön - ..."


    Das war mein erster Gedanke, als ich diesen Kommentar mit dem Vorwurf einer angeblichen "Eindimensionalität" meiner Interpretation dieses Eichendorff-Gedichts las.
    Ich hielt eine Antwort darauf nicht für nötig und angebracht, freue mich aber nun doch, mich in dem, was ich interpretierend zu diesem Gedicht ausführte, von WolfgangZ bestätigt zu sehen. Der Hinweis auf Eichendorffs katholisch geprägte Gläubigkeit ist in diesem Zusammenhang berechtigt.
    Aber einmal abgesehen davon: "Einsamkeit", - hier die des "rauschenden Waldes" - wird in diesem Gedicht ausdrücklich mit dem Adjektiv "schön" versehen. Das Ruhen im Raum naturhafter Geborgenheit ist für Eichendorff eine immer wieder aufs Neue beschworene Vision von Rettung der menschlichen Existenz in Zeiten ihrer fundamentalen Gefährdung.


    Aber noch etwas möchte ich anmerken: Ein Abheben auf die griechische Mythologie ist im Zusammenhang mit der Interpretation von Eichendorff-Lyrik unangebracht. Ihr kommt in dieser, wie überhaupt in seinem ganzen literarischen Schaffen und in seinem künstlerischen Denken und Fühlen, keine wirklich relevante Rolle und Bedeutung zu.


    Und noch ein weiteres: Ich bin auf dieses Eichendorff-Gedicht ja nur eingegangen, um die Eigenart der lyrischen Sprache der "Winterreise" als "nicht-romantisch" bewusst zu machen. Eichendorff war Mittel zum Zweck, und er möge nun doch bitte in diesem Thread in dieser Rolle und Funktion verbleiben. Dessen Gegenstand ist Schuberts "Winterreise". Und dabei war ich ja auch schon wieder in meinem vorangehenden Beitrag.


    Also jetzt - bitte!! - keine Eichendorff-Lyrik-Diskussion hier. Sonst zerfleddert dieser Thread wieder wie jener mit dem Titel "Schuberts Winterreise post Fischer- Dieskau"

  • Ich glaube nicht, dass man Eichenodrff gerecht wird, wenn man in ihm nur den "Atimodernen", den katholischen Romantiker, sieht. Gegen das "Katholisieren" in der Dichtung hat sich Eichendorff ausdrücklich verwahrt, er wollte kein katholischer Dichter sein. Auch bei ihm gibt es sehr moderne Züge, die auf Thomas Mann und die Ding-Gedichte von Rilke vorausweisen.


    Schon das erste - sehr expressionistische - Bild ist sehr ambivalent. Wärme, Hitze, Leidenschaft liegt in diesem Wetterleuchten - auch ein schönes Bild. Aber auch ein mächtiges, bedrohliches. In die Heimat kann er nicht zurückkehren - dort kennt ihn niemand mehr. Und wenn er in die Natur (Kühle und eher kalte Farben) geht, wird man ihn auch dort vergessen (nicht mehr kennen), wo er gerade ist. (Da spricht für mich die Eichendorff-Antithese Stimmung-Leidenschaft daraus.) Fremdheit ist eine soziale Erfahrung - in der Natur als Ort der Einsamkeit wird die Sozialität aufgehoben. Beides gehört bei Eichendorff - wenn man nicht nur die Lyrik, sondern auch seine Prosa-Dichtung kennt (!) - zusammen. Die Schwelle von der menschlichen Welt zur Natur überschreitet er in beiden Richtungen immer wieder. Daraus resultiert die Ambivalenz und Verstärkung des Fremdheitsgefühls (formal durch den Bezug von Zeile 4 und 8). Auch ohne Homer. Den Bezug braucht man hier nicht, das gebe ich gerne zu. :D


    Schöne Grüße
    Holger

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  • Gut! Das musste ja noch kommen. Aber nun denke und hoffe ich, dass sich dieses Thema Eichendorff hier erledigt hat, wohin es ja nur gekommen ist, weil ich die spezifische Eigenart von Wilhelm Müllers lyrischer Sprache aufzeigen wollte und dazu diejenige Eichendorffs als Vergleichsobjekt brauchte.


    Es sind ja hier noch einige Aspekte aufzugreifen, die gleichsam offen geblieben sind. Da ist die Frage, wie der Schluss der Winterreise zu verstehen ist. Und da ist jene andere, wie ich finde hochinteressante, Frage, wie Schubert mit dieser lyrischen Sprache Müllers kompositorisch umgegangen ist. Er hat sie ja nicht nur einfach als solche in musikalische Sprache verwandelt, er hat auch interpretiert.


    Beim Lied "Gute Nacht" wurde dies schon aufgezeigt. Dabei wurden aber nicht alle Aspekte erfasst. Vielleicht, so denke ich sollte man später, wenn der erste Fragenkomplex einigermaßen geklärt ist, darauf noch einmal ausführlicher eingehen.

  • Auch wenn man dieser Deutung der „Winterreise“, wie ich sie im Beitrag „Der Leiermann als Epilog (Nr.601) entwickelte, nicht folgen mag, sondern eher dazu neigt, sie als musikalisches Werk zu verstehen, an dessen Ende man der „Trostlosigkeit des Hier und Jetzt“ begegnet, - sie vermag gleichwohl wohl, wie ich denke, auch dann Trost zu spenden.


    Theodor W. Adorno kommentierte einmal Schuberts Musik mit den Worten:
    „Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen: so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; weil wir so noch nicht sind, wie jene Musik es verspricht, und im unbenannten Glück, daß sie nur so zu sein braucht, dessen uns zu versichern, daß wir einmal so sein werden. Wir können sie nicht lesen; aber dem schwindenden, überfluteten Auge hält sie vor die Chiffren der endlichen Versöhnung.“ (in: Die Musik 21, 1928)


    Adorno traf diese Aussagen mit Blick auf Schuberts Musik ganz allgemein. Haben sie auch für die „Winterreise“ Gültigkeit? Wäre das so, dann würde sie als musikalisches Kunstwerk ja doch leisten, was Elmar Budde ihr abzusprechen scheint, indem er meint, dass hier „Einsamkeit und Trostlosigkeit“ gerade nicht, wie ansonsten in der Kunst, zum „Inbegriff des Trostes“ werden können. Wo aber soll diese Verheißung von Zukunft, wie Adorno sie in Schuberts Musik vernimmt, herkommen, wenn das letzte Lied der „Winterreise“ in einem antwortlosen Verhallen einer existenziell höchst relevanten Frage endet? Denn was der Wanderer als Frage an den Leiermann richtet, ist ja doch die einer existenziell sinnstiftenden Zukunft.


    Dieses Lied begegnet dem Hörer so, wie der Musikologe Thr. Georgiades es beschreibt:
    „Der >Leiermann<, der epigrammatisch Gesang und Begleitung als zwei verschiedene Wirklichkeiten, und zwar räumlich gleich greifbar, hinstellt: das instrumentale Spiel hier, an der Straßenecke, wo der Leiermann steht und seine Leier dreht – der Sänger dort, ihn betrachtend und dazu sprechend, indem er singt.“
    Und es sind doch ganz offensichtlich „zwei verschiedene Wirklichkeiten“, die gerade nicht im Sinne eines Entwurfs von existenzieller Zukunft zusammenkommen können.


    Vielleicht aber liegt gerade in dieser – im Grunde ja erschreckenden – Erfahrung, die der Rezipient dieses so einzigartigen Werkes macht, indem seinen Liedern hörend und teilnehmend folgt und am Ende, nach dem Schrecknis des „Leiermanns“, „weinend“ – im Adorno-Kafkaschen Sinne - zurückbleibt, eben dieser „Trost“, den musikalische Kunst, wie Kunst ganz allgemein, zu spenden vermag. Nicht die „Winterreise“ selbst enthält ihn in dem, was ihr Protagonist existenziell durchleidet und musikalisch zum Ausdruck bringt. Diesbezüglich muss der Rezipient in der Tat Trost-los und still „weinend“ den Konzertsaal verlassen, in dem er die tief berührende Erfahrung einer Begegnung mit Schuberts Werk machte.


    Aber der „Trost“ kann schon an der Tür nach draußen oder auf dem Heimweg kommen. Im Sich-bewusst-Werden der Tatsache nämlich, dass das Ins-musikalische-Wort-Fassen all der erschütternden Erfahrungen, die existenzielle Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit dem Menschen aufzubürden vermögen, wie es sich hier im musikalischen Kunstwerk ereignet hat, eine Form der Bewältigung derselben ist.


    Wenn Schubert in einer Tagebuch-Notiz (27.3.1824) von sich selbst sagt: „Meine Erzeugnisse sind durch den Verstand für Musik und durch meinen Schmerz vorhanden“, so ist damit eine Aussage auch über das Wesen der „Winterreise“ und ihre Genese getroffen: Die schmerzlichen Erfahrungen, die ihr zugrunde liegen – bezeugt durch Schuberts Bekenntnis (laut Spaun), dass ihre Lieder ihn „mehr angegriffen“ haben, „als dies je bei anderen Liedern der Fall war“ – wurden durch seinen kompositorischen „Verstand“ ins musikalische Werk gesetzt und auf diese Weise nicht nur für ihn selbst bewältigt, sondern in dieser ihrer Eigenschaft der Bewältigung von Schmerz auch für ihren Rezipienten verstehbar, erlebbar und damit zu einer existenziell relevanten und konstitutiven Erfahrung.


    Die im musikalischen Werk sich ereignende Erfahrung des „Ecce homo“ - und darin besteht ja der eigentliche künstlerische Aussage-Kern der „Winterreise“ – birgt in sich das Potential einer Katharsis. Auf diese Weise kann ein „Zyklus schauerlicher Lieder“ zur elementaren Quelle von Trost werden.

  • Eben lese ich in dem Booklet-Begleittext zur Aufnahme der Winterreise mit Matthias Goerne und Christoph Eschenbach, von der ich das Lied „Im Dorfe“ im Thread „Schuberts Winterreise post Fischer-Dieskau“ gerade vorgestellt habe, eine interessante Anmerkung, die Relevanz der „Winterreise“ als musikalisches Kunstwerk betreffend. Und es kommt mir wie eine Bestätigung dessen vor, was ich zur Frage „Trost in der Winterreise“ ausführte.


    Der Verfasser, Christoph Christi, geht auch auf die Interpretationsgeschichte des Werkes ein und weist in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung seiner musikalisch-künstlerischen Aussage in Zeiten der Not und des Exils, wie es sie der Nazi-Diktatur in Deutschland waren, hin.
    Und nun finde ich da folgendes:
    „Es war ein Wunder, dass auf der anderen Seite, unter den Feinden jenes Deutschlands, andere Deutsche dieselben Lieder sangen. (Er meint die der „Winterreise) (…) Zur selben Zeit wie Hans Hotter sang auch Lotte Lehmann auf amerikanischem Boden die >Winterreise< und drückte damit den eisigen Hauch ihres aufrührerischen Schmerzes, aber auch den heißen Atem ihrer Sehnsucht aus. Wie hätte sie im selben >Gute Nacht< nicht das Bild ihres eigenen Schicksals erkennen können? Ein Weg, der sie so weit von ihrer Heimat entfernte und wo sie immer eine Fremde bleiben sollte. >Nun ist die Welt so trübe<, heißt es in ersten Strophe.“

  • Lieber Helmut,


    in allem Respekt - für jemandem, der die Winterreise derart entpolitisiert deutet wie du, scheint mir der Rekurs auf Lotte Lehmanns Exil ein billiger Sozialkitsch. Das hat wohl außerhalb Schuberts ästhetischen Intentionen gelegen.


    Gute Nacht; :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Respekt lassen wir mal außen vor, lieber farinelli. Dafür bin ich nicht das richtige Objekt.
    Aber zur Sache:
    Ich deute die "Winterreise" als solche "entpolitisiert", gewiss. Einfach deshalb, weil Schubert einen lyrischen Text, der durchaus politische Dimensionen aufweist - ich wies darauf mehrfach schon hin - als Liedkomponist ganz und gar unpolitisch rezipiert hat. Ganz sicher bin ich mir diesbezüglich übrigens nicht und werde darauf in meinen nächsten Gedanken zu diesem Thread noch eingehen.


    Aber das ist nur die eine Seite der Sache. Die andere ist: Wie ist dieses Werk Schuberts zu verstehen, und wie wurde es im Laufe der Geschichte seiner künstlerischen Interpretation verstanden?
    Darauf hoben meine beiden letzten Beiträge ab. Was Du als "Sozialkitsch" bezeichnest und wertest, ist etwas, was durchaus nachdenklich stimmt. Schuberts "Winterreise" war lange Zeit schlicht vergessen. Sie erwachte zu neuem Leben in der Zeit des Zweiten Weltkrieges. Unter anderen durch Hans Hotter, die hier erwähnte Lotte Lehmann und - den jungen Dietrich Fischer-Dieskau.
    Könnte es nicht sein, dass dies etwas mit ihrer zentralen musikalischen Aussage zu tun haben könnte?
    Schuberts "ästhetische Intentionen" sind das eine. Das andere ist, was daraus geworden ist und wird.
    (Hab mich aber gefreut über Deinen Einwurf hier!)

  • Das Lied wurde in diesem Thread in Beiträgen von farinelli, zweiterbass und mir einer ausführlichen liedanalytischen Betrachtung unterzogen. Deshalb können sich die Überlegungen hier auf seine Funktion als den Zyklus „abschließendes Lied“ (Georgiades) beschränken.


    Auffällig ist die Schlichtheit von Melodik und Klaviersatz. Die – geradezu volksliedhaft einfach strukturierte - melodische Linie, die auf den ersten beiden Versen liegt, wiederholt sich beim nächsten Verspaar. Bei den beiden letzten Versen entsprechen die Takte 26 und 27 den Takten 5 und sechs, und die Takte 28 und 29 den Takten 12 und 13. Nur die Verse 5 bis acht weisen in Melodik und Klaviersatz eine etwas komplexere Struktur auf. Textwiederholungen gibt es nicht. Das ist bemerkenswert, denn alle anderen Lieder der „Winterreise“, außer „Täuschung“, weisen solche auf.


    Schubert lässt hier also das lyrische Ich in musikalisch gleichsam elementar schlichter Weise das Unabänderliche aussprechen: Dass es am Ende ist. Zwar gibt es in diesem Lied den Ton der Klage und der Trauer – besonders ausgeprägt in den Moll-Passagen des Verspaares „Ach, meine Sonnen seid ihr nicht…“ - , aber ihm geht jegliche nach außen in die Welt gerichtete Expressivität ab. Nur einmal gibt es einen Ausbruch in den Forte-Bereich, bei den Worten „Und sie standen da so stier, / Als wollten sie nicht weg von mir“. Ansonsten aber verbleibt das Lied im Bereich des Pianos. Und bezeichnenderweise erklingt die Wiederholung der Forte-Passage am Ende im Pianissimo.


    Der finale Charakter des Liedes wird besonders in seiner Schlusspassage (ab Takt 20) manifest. Melodik und Klaviersatz gehen in eine Abstiegsbewegung über. Zunächst setzt die melodische Linie, in C-Dur harmonisiert, auf einem hohen „E“ ein, der Terzlage also, von dort geht sie in einer Abwärtsbewegung, nun in a-Moll harmonisiert, zu einem „C“ über (Takt 22), um danach die Abwärtsbewegung weiter fortzusetzen und bei dem Wort „zwei“ auf erst einmal zur Ruhe zu kommen, - wobei sie zuvor noch einmal eine a-Moll-Harmonisierung durchläuft. Das nachfolgende Klavierzwischenspiel zeiht die Harmonik jedoch weiter herab.


    Bei den Worten „Ging nur…“ setzt die melodische Linie wieder – nun in A-Dur harmonisiert – auf dem „Cis“ des Liedanfangs ein, verbleibt erst einmal im Intervall einer Terz auf dieser tonalen Ebene, um dann die aus einer Dehnung bei dem Wort „wird“ hervorgehende triolische Bogenbewegung zu beschreiben, die bei den Worten „wohler sein“ auf dem Grundton „A“ endet.


    Hier ereignet sich etwas für die musikalische Aussage des Liedes sehr Wichtiges. Der lyrische Text setzt ja mit den Worten „Ging nur die dritt´…“ mit einem Konjunktiv ein. Der nachfolgende Vers steht aber nicht in einem Konjunktiv, sondern in einem indikativischen Futur: „Im Dunkeln wird mir wohler sein“. Das lyrische Ich will also sagen: Es könnte nicht nur, ich bin mir sicher, dass es so sein wird. Schubert greift diesen lyrischen Sachverhalt auf, indem er die melodische Linie, die ja eine Wiederholung derjenigen ist, die auf den Worten „als wollten sie nicht weg von mir“ darstellt, nun nicht – wie dort – über fis-Moll nach A-Dur leitet, sondern nun die einmal eingeschlagene Harmonisierung A-Dur beibehält.


    Will heißen: Die Sache ist entschieden. Die Dominanz der Grundtonart am Ende des Liedes ist zu verstehen als musikalischer Ausdruck des endgültigen Sich-Aufgebens dieses Protagonisten der Winterreise. Das Lied hat von seiner kompositorischen Gestalt her seinen Grund erreicht, „den nicht mehr durchstoßbaren Boden“ (Georgiades). Dieser „Grund“ ist für den Wanderer nicht das Ende seiner existenziellen „Wanderschaft“. Ein solches kann es für ihn nicht geben, denn die Ruhe im „Dunkeln“ des Todes muss für ihn Wunschtraum bleiben. Wunschtraum, weil sein „Schicksal“, das Wesen seiner Existenz, um es präziser zu benennen, das Geworfen-Sein in die sinnsuchende existenzielle Wanderschaft ist.
    Wenn das Lied „Der Leiermann“ als epilogischer Entwurf von existenzieller Zukunft des Winterreise-Protagonisten verstanden werden soll, und dafür spricht einiges, dann ist es kein Schluss dieses Liederzyklus, der seinen Rezipienten mit all dem, was ihm darin begegnet, am Ende versöhnt zurückzulassen vermag.
    Man mag es drehen und wenden, wie man will: Schuberts „Winterreise“ ist für ihren Rezipienten ein „Schrecken ohne Ende“.
    Was freilich nicht heißen muss, dass diesem musikalischen Werk nicht doch so etwas wie Trost innewohnt. Man vermag durchaus darin zu finden, wie im entsprechenden Beitrag aufzuzeigen versucht wurde.

  • Die Auseinandersetzung, die sich im neu eröffneten Thread zu Schuberts Winterreise („Konzeptionen, Interpretationen, Ästhetik“) um die Frage entspann, ob und wieweit Schubert als Liedkomponist ein „Romantiker“ sei, und sich dann ausweitete auf die Frage, ob es sich bei Wilhelm Müller um einen „romantischer Lyriker“ handele, brachte unbeschadet der betrüblichen Begleiterscheinungen im diesbezüglichen Diskurs doch viel Positives mit sich: Sie lenkte den Blick auf das – im hiesigen Thread noch nicht hinreichend reflektierte - Problem des liedkompositorischen Umgangs Schuberts mit Müllers lyrischem Text.


    Konkret geht es dabei um die Fragen:


    ---Welche lyrischen Aussagen beinhalten die einzelnen Gedichte von Müllers „Winterreise“?
    ---In welcher Gestalt und in welchem Umfang schlägt sich darin die Auseinandersetzung des Poeten und Intellektuellen Wilhelm Müller mit den geistigen, gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten der Restauration nieder?
    ---Was hat Schubert aus dem dichterischen Gehalt von Müllers „Winterreise“ gemacht?
    ---Besteht hier, was den substantiellen dichterischen Kern anbelangt, weitgehende Identität?
    ---Hat Schubert eigene Akzente gesetzt, was die eigene, die musikalisch-künstlerische Aussage anbelangt? Und wenn ja, worin bestehen diese?
    ---Wie geht Schubert liedkompositorisch mit Müllers lyrischer Sprache um? Wie weit und in welcher Form schlägt sich die Struktur derselben in der musikalischen Sprache der Lieder nieder?
    ---Lässt sich ausmachen, ob und wenn ja mit welchen Mitteln Schubert eine dimensionale Ausweitung oder gar Veränderung des dichterischen Gehalts der lyrischen Texte der „Winterreise“ intendiert und tatsächlich bewirkt hat?


    Um diesen Fragen in detaillierter und unmittelbar textbezogener Weise nachzugehen, wäre ein nochmaliges Sich-Einlassen auf die einzelnen Lieder der „Winterreise“ erforderlich. Im Augenblick schrecke ich ein wenig davor zurück, diese Wanderschaft über 24 Stationen noch einmal zu unternehmen. Sie ist ja nicht nur mühsam, sie ist auch mit beträchtlichem Mitleiden verbunden. Höchstens gelegentliche Zugriffe auf einzelne Aspekte des Fragenkomplexes könnte ich mir vorstellen.
    Grundsätzlich kann man aber, wie ich meine, zu diesem Zeitpunkt der Reflektion, folgendes als hinreichend gesicherte Sachverhalte feststellen:


    ---In Müllers „Winterreise“-Zyklus gingen sowohl seine traumatischen Brüsseler Liebeserfahrungen ein (dokumentiert durch eine Tagebuch-Notiz vom 15.10.1815), wie auch seine oppositionelle Haltung gegen die Restauration der Metternich-Ära.


    ---Der Protagonist der „Winterreise“ ist aber nicht identisch mit dem Ich seines Schöpfers, muss vielmehr als Medium verstanden werden, in dem sich diese personalen Erfahrungen niederschlagen. Die lyrische Gestalt selbst besitzt aber ein darüber hinaus gehendes dichterisches Eigensein.


    ---Müllers Winterreise-Gedichte transzendieren ihren lebensweltlichen Zeitbezug. In ihrer lyrischen Sprachlichkeit und in dem, was diese an dichterischem Gehalt transportiert, bringen sie – wie es in der „Wilhelm Müller Werk-Ausgabe“ (Berlin 1994) heißt – „ein von jeglicher Illusion befreites Moderne-Bewußtsein“ zum Ausdruck. Wilhelm Müller erweist sich darin als ein Lyriker, der die literarische Romantik hinter sich gelassen hat und sich auf dem Weg in den literarischen Realismus befindet.


    ---Schuberts Liedsprache zeigt sich in dem Liederzyklus „Winterreise“ als von derjenigen der liedkompositorischen Romantik, wie sie Robert Schumann und die in seiner Tradition stehenden Komponisten verkörpern, wesensverschieden.
    Dies, indem er nicht, wie diese, darauf aus ist, lyrischen Bilder in ihrem evokativen Potential, ihrer „Gestimmtheit“ also, in Musik zu setzen, sondern Liedkomposition versteht als eine Verwandlung und Umsetzung von lyrischer Sprache in musikalische Struktur. Das schließt ein musikalisches Aufgreifen des evokativen Potentials von Lyrik keineswegs aus, ihm kommt jedoch eine gleichsam untergeordnete, in das liedkompositorische Gesamtkonzept zwar integrierte, aber nicht dominante Bedeutung zu.

  • iest man ein solches Selbstbekenntnis, dann klingt in einem auf der Stelle der Vers aus der „Winterreise“ auf: „Was fragen sie nach meinen Schmerzen“. Schubert musste sich in ihm wiedergefunden haben, - und nicht nur in diesem! Das Wort „Schmerz“ kommt in den Quellenzeugnissen auffällig häufig vor.


    Mein Sprachgefühl, fürchte ich, hat in meinem Exil sehr gelitten.
    Deshalb beschäftigt auch mich nun der Satz "Was fragen sie nach meinen Schmerzen".
    Ein Besuch in einem Amsterdamer Buchladen ist daran schuld. Sehe dort ein Buch mit dem Titel "Schuberts Winterreise". Natürlich sofort gekauft, ohne näheres Hinsehen.
    Zu Hause in Stockholm dann die überaus freudige Überraschung: der Verfasser ist Ian Bostridge.
    Ein wunderbares Buch, das jedem einzelnen Lied eine umfangreiche Analyse widmet.
    Bei der Wetterfahne kam ich doch ins Grübeln. "Warum fragen sie nach meinen Schmerzen" steht dort aus dem Englischen übersetzt und ich bin zum Fragezeichen verbogen.
    Nach meinem Gefühl ist der Ursprungssinn: "Was kümmern sie meine Schmerzen".
    Alles andere ergäbe auch keinen Sinn. Oder doch? Falls jemand im Forum das englische Original besitzt, wäre ich dankbar für eine Erläuterung?

  • Nach meinem Gefühl ist der Ursprungssinn: "Was kümmern sie meine Schmerzen".
    Alles andere ergäbe auch keinen Sinn. Oder doch? Falls jemand im Forum das englische Original besitzt, wäre ich dankbar für eine Erläuterung?


    Im englischen Original des Buches wird immer der deutsche Text des Liedes vorangestellt, gefolgt von einer Übersetzung, die hier lautet: "Why do they ask about my sorrows?"; diese Zeile wird dann im Text wiederum zitiert. Wenn der deutsche Übersetzer dies zurückübersetzt mit "Warum fragen sie nach meinen Schmerzen?", dann ist das zumindest fragwürdig. Ob nun allerdings "was" oder "warum", der Sinn ist sicherlich der von Dir gemeinte: was kümmern sie meine Schmerzen, warum interessieren sie sich dafür, wo doch ihr Kind einen reichen Bräutigam gefunden hat.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Wenn der deutsche Übersetzer dies zurückübersetzt mit "Warum fragen sie nach meinen Schmerzen?", dann ist das zumindest fragwürdig.


    Vielen Dank. Dann klingt die englische Übersetzung auch etwas seltsam und den Übersetzer vom Englischen ins Niederländische trifft keine Schuld.
    Dort lautet es nämlich: "Waarom vragen ze naar mijn verdriet"

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