Zürich: Cavalleria Rusticana / Pagliacci 13.3.2011, Wiederaufnahme

  • Hallo,


    ich werde Euch beiden natürlich nicht mehr widersprechen. Aber eine Bitte hab ich noch, wie seht ihr das bei Jonas Kaufmann?


    LG, Bernward


    Bei Kaufmann seh ich es "besser" und dann wiederum nicht. Kaufmann singt nicht, wie Cura, ganz und gar ohne Methode und System. Das Problem bei ihm ist nur, dass gerade dieses von ihm aufgebaute System gegen ihn selbst arbeitet. Darüber habe ich ausführlicher im Kaufmann-Thread diskutiert.

    Ecouter, c'est écouter la différence.

  • Auch ich sehe es bei Kaufmann dank dessen Musikalität nicht so bedenklich, wie bei Cura, werde allerdings "sein je länger, je weniger froh".


    Wenn auch Tenöre wie des Monaco, Corelli oder Giacomini mit dem "Tiefstellen" des Kehlkopfs eine doch realtiv lange Karriere erreichen konnten, muss man aber doch feststellen, dass sie über ein ganz anderes Material verfügten, als Kaufmann, der doch von seiner stimmlichen Natur aus eher ein lyrischer als ein Spintotenor ist. Es ist schmerzlich zu kontastieren, dass Kaufmann nicht mehr im Stande scheint, ein wirklich gestütztes Piano oder Mezzavoce zu singen (das ist etwas ganz anderes als seine langsam geradezu manieristische Art die Stimme der Schonung halber zurückzunehmen und leise zu werden); auch hoffe ich, dass seine häufiger werdenden Absagen nicht die ersten Anzeichen einer stimmlichen Überforderung sind. Ein zweiter Fall Villazon muss wahrlich nicht sein.

  • Auch ich sehe es bei Kaufmann dank dessen Musikalität nicht so bedenklich, wie bei Cura, werde allerdings "sein je länger, je weniger froh".


    Wenn auch Tenöre wie des Monaco, Corelli oder Giacomini mit dem "Tiefstellen" des Kehlkopfs eine doch realtiv lange Karriere erreichen konnten, muss man aber doch feststellen, dass sie über ein ganz anderes Material verfügten, als Kaufmann, der doch von seiner stimmlichen Natur aus eher ein lyrischer als ein Spintotenor ist. Es ist schmerzlich zu kontastieren, dass Kaufmann nicht mehr im Stande scheint, ein wirklich gestütztes Piano oder Mezzavoce zu singen (das ist etwas ganz anderes als seine langsam geradezu manieristische Art die Stimme der Schonung halber zurückzunehmen und leise zu werden); auch hoffe ich, dass seine häufiger werdenden Absagen nicht die ersten Anzeichen einer stimmlichen Überforderung sind. Ein zweiter Fall Villazon muss wahrlich nicht sein.


    Giacomini und Del Monaco schon, aber bei Corelli ist die Positionierung der Stimme nicht so tief, in dieser Hinsicht ist er "orthodoxer", daher auch sein eher heller, aber sehr metallischer Klang. Was Del Monaco betrifft hat er tatsächlich eine für den italienischen Maßstab relative "Tiefstellung" des Kehlkopfs ausgeübt, hat dennoch alles mit einer einmaligen Atemtechnik gesungen. Bei ihm ist alles Atem, Atem und noch einmal Atem. Daher auch der riesige Klang, den er produzieren konnte. Einzig das "große" Material kann dabei nicht helfen. Wer weiß, wie groß der Sound von Cura hätte sein können, wenn er eine gute Projektion + eine richtige Atemtechnik gehabt hätte, die seine Stimme ganz nach vorne geschleudert hätten. Del Monacos "Forcieren" (denn das tat er oft) ist aber kein Forcieren der Stimmbänder, sondern eine andere Art von Extremismus, nämlich eine Vergewaltigung seiner eigenen Lungen. Immerhin besser, als die Vergewaltigung der Stimmbänder... :pfeif:

    Ecouter, c'est écouter la différence.

  • Rita

    @ Manfred:
    wo hat Cura voriges Jahr den Chenier gesungen?


    Rita

    Hallo Rita,


    sorry, das war 2009 in Karlsruhe. Cura kam beim Publikum sehr gut an und wurde gefeiert. Mir gefiel er nicht so gut. Das Improvviso stellte ihn vor große Probleme, und ich litt mit dem Sänger, "Come un bel di di maggio" gelang besser in den lyrischen Passagen, das Schlussduett: na ja ...


    Gruß
    Manfred

    "Menschen, die nichts im Leben empfunden haben, können nicht singen."
    Enrico Caruso


    "Non datemi consigli che so sbagliare da solo".
    ("Gebt mir keine Ratschläge, Fehler kann ich auch allein machen".)
    Giuseppe di Stefano

    Einmal editiert, zuletzt von Manfred ()

  • Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen, Bergonzi ist mein Lieblingssänger und ich habe fast alles mit ihm, was zu bekommen war. Aber auch er hat zwar durch geschickte Wahl der Arien bei seinem Schlusskonzert in Zürich auch nicht mehr so gesungen, wie zu seiner besten Zeit. Bei Björling war es ähnlich. Richtig ist aber auch, dass Cura so alt noch nicht ist.


    LG, Bernward


    Also die letzten live-Mitschnitte von Björling sprechen da eine andere Sprache. Als Sänger konnte Cura weder dem Italiener noch dem Schweden zu irgendeinem Zeitpunkt das Wasser reichen. Bitte nicht als Kritik Deines Beitrages verstehen.


    Die geschickte Auswahl spricht doch für Bergonzi und die Fähigkeit sein noch vorhandenes Potential einschätzen zu können. Daß er in Zürich nicht mehr so sang wie zu seiner besten Zeit stimmt natürlich, aber allemal: auch im Jahr 2000 hat sein Konzert in der Wiener Staatsoper zu den für mich eindrucksvollsten Opernerlebnissen gezählt. Nicht was perfekte Noten oder schallende Spitzentöne betrifft, aber dieser Mann hat es geschafft auf einer nackte Bühne eine Athmosphäre zu schaffen, die ich in kaum einem meiner übrigen live-Opernerlebnisse gespürt habe, trotz im Kopfsatand gesungenen Cs oder ähnlicher Bühnenaction. Das war Stil und Authentizität und "Wahrheit" aus einer andere Zeit, die ich fast nur aus der CD-Konserve gekannt habe, ein völlig anderes Verständnis und Respekt (!) gegenüber der Musik. Da stand die Zeit still.
    Neben Curas außermusikalischen Mätzchen, dem unerträglichen An- und Verschleifen von Tönen und Phrasen, dem konstanten Nicht-Aussingen von Notenwerten ist für mich am Ärgerlichsten, daß er all das mit einer anmaßenden Justament-Art vorträgt und sich gleichzeitig in Interviews als sensibler Künstler darstellt, der Bach liebt und nebenbei auch Dirigent ist. Dirigent! So wie der mit den Notenwerten umgeht...

  • Also die letzten live-Mitschnitte von Björling sprechen da eine andere Sprache. Als Sänger konnte Cura weder dem Italiener noch dem Schweden zu irgendeinem Zeitpunkt das Wasser reichen.


    Völlig einverstanden, liebe Gioconda.


    Das war Stil und Authentizität und "Wahrheit" aus einer andere Zeit, die ich fast nur aus der CD-Konserve gekannt habe, ein völlig anderes Verständnis und Respekt (!) gegenüber der Musik. Da stand die Zeit still.


    Wie bekannt... :D

    Ecouter, c'est écouter la différence.

  • Neben Curas außermusikalischen Mätzchen, dem unerträglichen An- und Verschleifen von Tönen und Phrasen, dem konstanten Nicht-Aussingen von Notenwerten ist für mich am Ärgerlichsten, daß er all das mit einer anmaßenden Justament-Art vorträgt und sich gleichzeitig in Interviews als sensibler Künstler darstellt, der Bach liebt und nebenbei auch Dirigent ist. Dirigent! So wie der mit den Notenwerten umgeht...


    Wie wahr, wie wahr!

    "Menschen, die nichts im Leben empfunden haben, können nicht singen."
    Enrico Caruso


    "Non datemi consigli che so sbagliare da solo".
    ("Gebt mir keine Ratschläge, Fehler kann ich auch allein machen".)
    Giuseppe di Stefano

  • Ich erinnere mich noch vor einiger Zeit in Wien, hat Cura im Bajazzo anstelle des Tonio den Prolog gesungen. So macht man sich bei seine Sängerkollegen auch nicht grade beliebt. Aber so hatte er mal wieder Gelegenheit gehabt sich auf der Bühne zu präsentieren. Nur war es leider darstellerisch und sängerisch eine mittlere Katastrophe. Und wenn man in Wien oder anderswo Cavalleria Rusticana und Bajazzo sehe will, kommt man um Cura kaum herum.

  • Lieber Rodolfo,


    um Cura konnte man auch in Mailand nicht herumkommen. Im Januar endete die Premiere and er Scala aber in einem Buh-Gewitter für ihn.
    Das Problem ist, dass heute die meisten der großen Opernhäuser nicht mehr über Leute verfügen, die individuell und wirklich aufmerksam den Leistungen verschiedener Sänger folgen und dann ad hoc beschließen, wen für welche Partie zu besetzen, sondern es werden von Opern-Agenturen gesamte "Service Packs" vorgeschlagen, die dann auch an andere großen Opernhäuser exportiert werden. So wird der Canio z.B. überall von Cura gesungen, die Carmen von der Anita Rachvelishvili, der Tamino von Saimir Pirgu etc. Und wenn inzwischen ein Sänger völlig die Stimme verliert, bemerkt das niemand und wird, durch Agenturen vermittelt, immer noch für das Fach besetzt, das zu seiner Spezialität gehört. Das große Problem der Oper heutzutage besteht, m. E., gerade darin, dass das Agenturen- und das Star-System die flexiblere Verwaltungsweise der Opernindustrie durch das Gleichgewicht von echtem musikalischem Talent und einer unmittelbaren emotionell-kritischen Zustimmung oder Ablehnung eines Künstlers seitens des Publikums völlig überragt hat. Ein konkretes und besonders schmerzliches Beispiel z.B. für Mailand ist die Präsenz eines neuen Agenturen-Stars wie Oksana Dyka, die noch vor einigen Jahren in einem provinziellen Theater wie Como vom Publikum heftig abgelehnt wurde wegen ihrer schlechten Leonora im Trovatore, heute aber gleich in zwei Hauptrollen an der Scala besetzt wird und, trotz der heftigen Buhs auch hier, auch in der nächsten Saison bestimmt einige Rollen bekommt.
    Es gibt einfach zu wenig Dialog zwischen Bühne und Publikum, das sind nunmehr zwei verschiedene Welten, die nichts mehr einander mitzuteilen haben. Daher auch die höllische und ganz spezifisch moderne Langweiligkeit, die die meisten der heutigen Opernvorstellungen charakterisieren...


    Ich bitte um Entschuldigung für die ständigen Verallgemeinerungen, aber ist das, meiner Meinung nach, absolut notwendig, um einen Weg zu finden, wie dem Opernwesen zu helfen.

    Ecouter, c'est écouter la différence.

  • Wo hier gerade über Cura diskutiert wird....
    Ich habe Cura nur einmal erlebt: Nämlich auf dem Konzert in Halle/Westfalen an der Seite von Anna Netrebko. Auf der einen Seite machte mich da sein Rodolfo (La Boheme) nicht wirklich glücklich. Viel zu schwerfällig und auch sehr gekünstelt. Viel besser dagegen sein Otello im ersten Duett mit Desdemona. Aber mit einem stück eroberte er zu recht das Publikum, nämlich und natürlich mit "Nessun dorma", dass er wirklich auserordentlich gut und sogar auch mit Piano-Tönen gesungen hat und nicht nur Forte-Einheitsbrei. Wenn ich mich Recht erinnere, war hier auch sein Umgang mit dem Notentext sehr korrekt und nicht so frei, wie man es oft bei ihm hört.
    Anschließen muss ich mich im weitesten Sinne auch der Meinung, dass Cura alles andere als ein guter Stilist ist. Leider (oder zum Glück) habe ich ihn nicht so oft gehört, dass ich seine Gesangstechnik genau beurteilen könnte, aber mir ist völlig klar, dass dieser Mann mehr durch seine "Gesamtpaket" - Leistung besticht, als durch wirklich genaues, schönes Singen.

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  • wirklich genaues, schönes Singen.


    Ich persönlich verstehe unter "genaues Singen" nicht unbedingt die 100 %-ig exakte Ausführung der in der Partitur angegebenen Noten. Die Rysanek hat meistens fürchterlich detoniert, aber die Stimme war da, die Emission war gesund, die Atemtechnik hervorragend. Deswegen war sie auch eine große Künstlerin, eine große OPERNSÄNGERIN. Nicht nur wegen ihrer außerordentlichen Darstellungskraft.
    Diese Spontaneität, die vor Jahrzehnten die Leute im Saal fast verrückt machte, hat heute vielleicht nur noch die Gruberova. Und diese Spontaneität und Intensität kommt nicht einfach aus einem wilden künstlerichen dämonischen Talent, sondern aus einem Können, aus einer Technik und Kunstfertigkeit, die es gerade technisch, materiell ermöglicht, dieser Spontaneität und Virtuosität "die Stimme zu verleihen". Es geht um diesen Überschuss, diese Großzügigkeit, in einer Belcanto-Oper das hohe E von nirgendwoher herzuschaffen oder bei Puccini das hohe C noch zwei Sekunden länger FREI und voll zu halten und nicht einfach sauber durchzukommen und immer am Rande zu sein. Was letztendlich wirklich belohnt wird, ist ja dieses klein Bisschen Übertreibung, zu der heute fast niemand mehr fähig zu sein scheint. Cura ist ein Beispiel davon. Cura - der drammatische Tenor par exellence von heute - ist der Beweis der Intexistenz echter drammatischer Tenöre heute, genauso wie die Kategorie echter hochdrammatischer Wagner-Soprane oder der soprano drammatico d'agilita heute von allen möglichen Miniatur-Sopranen besetzt wird.

    Ecouter, c'est écouter la différence.


  • Die Rysanek hat meistens fürchterlich detoniert, aber die Stimme war da, die Emission war gesund, die Atemtechnik hervorragend. Deswegen war sie auch eine große Künstlerin, eine große OPERNSÄNGERIN. Nicht nur wegen ihrer außerordentlichen Darstellungskraft.


    Es geht um diesen Überschuss, diese Großzügigkeit, in einer Belcanto-Oper das hohe E von nirgendwoher herzuschaffen oder bei Puccini das hohe C noch zwei Sekunden länger FREI und voll zu halten und nicht einfach sauber durchzukommen und immer am Rande zu sein.


    Was letztendlich wirklich belohnt wird, ist ja dieses klein Bisschen Übertreibung, zu der heute fast niemand mehr fähig zu sein scheint. Cura ist ein Beispiel davon. Cura - der drammatische Tenor par exellence von heute - ist der Beweis der Intexistenz echter drammatischer Tenöre heute, genauso wie die Kategorie echter hochdrammatischer Wagner-Soprane oder der soprano drammatico d'agilita heute von allen möglichen Miniatur-Sopranen besetzt wird.


    uii da geh ich schon mal in Deckung, dafür wirst Du Schelte bekommen ;) Bei Mara Zampieri zB hab ich das allerdings nie ertragen, ist aber auch eine andere Liga.


    das erinnert mich an Domingo als Otello, Vargas in Ballo in Maschera oder Shicoff als Ernani und Puccini-Des Grieux. Abgesehen davon, daß das für mich totale Fehlbesetzungen waren - Domningo zwar klug dosiert aber über weite Strecken unhörbar, Vargas stimmlich überfordert, Shicoff etwas weniger aber in unpassenden Partien - kamen sie durch ja, aber eben immer am Rand, mit forcieren und monotonem forte oder halsigen Falsett-Tönen, weil die Stimme durch die Überbelastung im mezza voce nicht mehr ordentlich trägt. Oder man macht auf "light" mit kleinen Stimmen und zurückgenommenem Orchester, dann wundert man sich in vielen Fällen, warum das Werk das nicht trägt.
    Und so brüsten sich Sänger mit ihrem vermeintlich breiten Repertoire und das Publikum nimmt stimmliche und fachliche Unzulänglichkeiten als besonders spannend wahr und spendet reichlich Beifall, weil sich die Sänger so "angstrengt" haben. Ein totales Mißverständnis und eine Katze die sich in den Schwanz beißt.


    Die Stimmen gibt es nach wie vor, aber die wenigsten finden damit den Weg zur Oper oder geraten an falsche Lehrer und Ratgeber oder ruinieren sich relativ schnell selbst die Stimme.


    aber ich sehe ich bin schwer OT

  • uii da geh ich schon mal in Deckung, dafür wirst Du Schelte bekommen ;) bei der Mara Zampieri zB hab ich das allerdings nie ertragen, ist aber auch eine andere Liga.


    Uuuhhh, bei der Zampieri gibt es ja eigentlich ein ganz anderes Problem, nämlich dass sie schrecklich "fix" war, d.h. dass ihr oft ein gesundes Vibrato (besonders im Mittelregister) fehlte. Aber heutzutage wird so etwas ja gar nicht mehr bemerkt. Die neue Barock-Philologie hat es ja fast zum Prinzip erhoben, fix zu singen. Eine Ästhetik, die ich im klassischen Opernrepertoire einfach nicht akzeptieren kann und die letztendlich auch philologisch völlig unberechtigt ist. Es genügt nur, Garcia zu lesen.


    Oder man macht auf "light" mit kleinen Stimmen und zurückgenommenem Orchester, dann wundert man sich in vielen Fällen, warum das Werk das nicht trägt.


    Keine Angst, Gioconda. Nicht nur mit Verdi hat man heute dieses Problem. Gestern habe ich eine Zauberflöte gehört, wo die Sänger auch mit einem Mini-Kuschel-Orchester Schwierigkeiten gehabt haben. Eine unprojizierte Stimme wird auch mit einem einfachen Klavier Probleme haben.


    Und so brüsten sich Sänger mit ihrem vermeintlich breiten Repertoire und das Publikum nimmt stimmliche und fachliche Unzulänglichkeiten als besonders spannend wahr und spendet reichlich Beifall, weil sich die Sänger so "angstrengt" haben. Ein totales Mißverständnis und eine Katze die sich in den Schwanz beißt.


    :D Ich würde sogar sagen, das heutige Publikum hat kein anderes Kriterium für "gutes Singen" mehr, als unbedingt sehen zu müssen, dass der Sänger sich zum Tode anstrengt und dass die Halsnerven und Stimmbänder am Platzen sind. Vor einigen Wochen habe ich in Paris der Luisa Miller beigewohnt und musste sehen, wie Marcelo Alvarez, der wie ein Gorilla gesungen hat, das Publikum begeistert hatte und die arme Krassimira Stoyanova, die doch ganz zärtlich, mit einer gut geführten Stimme, perfekter Atemkontrolle, Freiheit, Flexibilität und echten Mezze-voci sang, einfach "warm" applaudiert wurde. Sie hatte nicht genug geschrien!


    Die Stimmen gibt es nach wie vor, aber die wenigsten finden damit den Weg zur Oper oder geraten an falsche Lehrer und Ratgeber oder ruinieren sich relativ schnell selbst die Stimme.


    Von welchen Lehrern ist noch die Rede, wo doch viele der Lehrer selber den jungen Leuten Sachen raten, die mich ratlos zurücklassen. Eine Freundin von mir hat eine wunderbare Stimme, ist dabei, sie auszubilden und hat in München den seeehr renomierten Professoren aufgesucht, der einige der heutigen "Stars" der deutschen Opernbühne hervorgebracht hat. Und gerade dieser Lehrer bestand darauf, dass sie ihre Stimme tiefer in die Kehle verlegen musste!!! Wenn schon ein Lehrer zu so etwas rät. Ich verstehe, dass es Unterschiede gibt zwischen der deutschen und der italienischen Singschule (und dass letztendlich die deutsche nichts anderes ist, als die Abwesenheit der italienischen :D ), aber so etwas ist doch wohl nicht möglich. Dann wundert man sich noch, dass heute der Star-Tenor par excellence die kehligste Stimme hat, die man je gehört hat und die vor zwei Jahrzehnten noch sogar in einem italienischen Provinztheater Schwierigkeiten gehabt hätte, sich durchzusetzen.
    So schlimm steht es mit den Sachen, meine liebe Gioconda. :|


    P.S.

    aber ich sehe ich bin schwer OT


    Was ist OT? :D

    Ecouter, c'est écouter la différence.


  • Ich würde sogar sagen, das heutige Publikum hat kein anderes Kriterium für "gutes Singen" mehr, als unbedingt sehen zu müssen, dass der Sänger sich zum Tode anstrengt und dass die Halsnerven und Stimmbänder am Platzen sind. Vor einigen Wochen habe ich in Paris der Luisa Miller beigewohnt und musste sehen, wie Marcelo Alvarez, der wie ein Gorilla gesungen hat, das Publikum begeistert hatte und die arme Krassimira Stoyanova, die doch ganz zärtlich, mit einer gut geführten Stimme, perfekter Atemkontrolle, Freiheit, Flexibilität und echten Mezze-voci sang, einfach "warm" applaudiert wurde. Sie hatte nicht genug geschrien!
    P.S.


    Was ist OT? :D


    off topic :)
    Das ist leider ein bißchen Stoyanovas Schicksal. Das Publikum verwechselt (Über) Anstrengung mit "involviert sein" und dramatischer Bühnenpräsenz. Viele Sänger machen da auch aus der Not eine Tugend und das Publikum fällt ihnen drauf rein. Aber Toscanini hat schon nach dem 2. Weltkrieg (!), angesprochen auf den sinkenden künstlerischen Standard an der Mailänder Scala, resignierend festgestellt: "Lo so, ma il pubblico non si rende conto..."

  • Das ist leider ein bißchen Stoyanovas Schicksal. Das Publikum verwechselt (Über) Anstrengung mit "involviert sein" und dramatischer Bühnenpräsenz. Viele Sänger machen da auch aus der Not eine Tugend und das Publikum fällt ihnen drauf rein. Aber Toscanini hat schon nach dem 2. Weltkrieg (!), angesprochen auf den sinkenden künstlerischen Standard an der Mailänder Scala, resignierend festgestellt: "Lo so, ma il pubblico non si rende conto..."


    Ja und das Teil des Publikums, das immer bereit ist seine kritische Meinung auszusprechen, reduziert sich an der Scala allmählich. Geradezu an der Scala ist es heute eine Lästerung, ja ein Verbrechen, wenn gebuht wird. Ich habe gesehen, wie einige jungen Leute von älteren Herren im Loggione (und außerhalb!) buchstäblich angegriffen wurden, weil sie einen schlechten Dirigenten und eine seeehr schlechte Sängerin ausgebuht hatten.
    Heutzutage ist die Scala ein Ort, wo die Leute sich einzig und allein dafür versammeln, um in der Scala zu sein. Und weil sie in der Scala sind, IST deswegen die Qualität der dort gegebenen Musik auch a priori hervorragend. Es ist nunmehr Alles ein Spiel mit falschen Werten, einem falschen Kulturbegriff und der Angst, dass wegen dieser Buhs, für die die Scala so gefürchtet wird, die "großen" Sänger nicht kommen werden. Man weiß ja, dass die Netrebko geradezu Sch... vor dem Mailänder Publikum hat. Aber was ist das schon für ein "großer" Sänger, wenn er vor 3-4 Buuhs Angst bekommt? Was haben früher die wirklich Großen nicht Alles vom Publikum bekommen - Buuh, Geschimpfe, verschiedene Objekte :D und das war trotzdem kein Grund, um das Ende der Welt zu erklären.
    Toscanini hatte leider Recht... Und heutzutage hat er noch mehr Recht, als zuvor, denn gerade heute sieht man, dass vielleicht ein großes Teil des Publikums auch damals nur deswegen applaudiert hat, weil sie sich an der Scala befanden. Dass aber z.B. in der groben historischen Linie Pertile - Corelli - Domingo oder Stignani - Simionato - Cossotto der schlichte "Abfall" unmittelbar hörbar ist, ist für mich eine triste Evidenz. Domingo ist ja außerdem der Tenor, den heute die meisten nachahmen. Daher auch das eher kehlige Ideal und die Verwechslung von Anstrengung mit "involviert sein". Cura gehört in diese unendliche "Erbenliste" des Domingo.
    Schade, dass niemand versucht hat, Pavarotti nachzuahmen. Nicht, dass er als Interpret der vielfältigste und interessanteste gewesen wäre,aber von der Emission her, hätten wir heute bestimmt geglücktere Tenöre gehabt... :pfeif:

    Ecouter, c'est écouter la différence.

  • Luca und La Gioconda
    es ist immer erheiternd mitzulesen, wenn Die Schlachten der Vergangenheit erneut geschlagen werden...es sollte hier um José Cura gehen und jetzt wird...SCHLUCHZ...über den Niedergang der Gesangskunst lamentiert....vielleicht sollten die "Gralshüter" mal zur Kenntnis nehmen, dass NIEMAND im Besitz der absoluten Wahrheit oder eines Monopols in Sachen "Kunst oder Nichtkunst" ist.
    Dinge, auch Kunstauffassungen, ÄNDERN sich und das ist nicht immer das schlechteste!


    LG
    Fides :hello:

    La vita è bella!

  • Dass aber z.B. in der groben historischen Linie Pertile - Corelli - Domingo oder Stignani - Simionato - Cossotto der schlichte "Abfall" unmittelbar hörbar ist, ist für mich eine triste Evidenz. Domingo ist ja außerdem der Tenor, den heute die meisten nachahmen. Daher auch das eher kehlige Ideal und die Verwechslung von Anstrengung mit "involviert sein". Cura gehört in diese unendliche "Erbenliste" des Domingo.
    Schade, dass niemand versucht hat, Pavarotti nachzuahmen. Nicht, dass er als Interpret der vielfältigste und interessanteste gewesen wäre,aber von der Emission her, hätten wir heute bestimmt geglücktere Tenöre gehabt...


    Die Nachahmer und Klone gab es allerdings auch schon immer: die vielen Caruso- oder Richard Tauber-Klone, die Lauri-Volpi-Imitatoren - da haben allerdings die meisten zumindest noch das technische Rüstzeug gehabt und halt die Mätzchen nachgemacht.
    Di Stefano hat bei aller Liebe zu ihm ein wenig die Vorarbeit zu dem jetzigen Tenöre Schlamassel geleistet. Das unglaubliche Charisma, das schöne Timbre, das Bühnentemperament - das sind Dinge die lassen sich nicht kopieren, übrig bleiben streng genommen die Schwachstellen der Vorbilder, die übernommen werden. Pavarotti war klug genug, sich zwar von ihm inspirieren zu lassen, aber seinen eigenen Weg zu finden, Carreras ist daran gescheitert. Domingo hätte es ergehen können wie Villazon, seinem Klon, wenn er nicht schlauer gewesen wäre.
    Was sagst Du zu Joseph Calleja? - weil Du nach jemandem gesucht hast, der das Pavarotti-Erbe ein wenig weiterführt.

  • Luca und La Gioconda
    es ist immer erheiternd mitzulesen, wenn Die Schlachten der Vergangenheit erneut geschlagen werden...es sollte hier um José Cura gehen und jetzt wird...SCHLUCHZ...über den Niedergang der Gesangskunst lamentiert....vielleicht sollten die "Gralshüter" mal zur Kenntnis nehmen, dass NIEMAND im Besitz der absoluten Wahrheit oder eines Monopols in Sachen "Kunst oder Nichtkunst" ist.
    Dinge, auch Kunstauffassungen, ÄNDERN sich und das ist nicht immer das schlechteste!


    Ich weiß, wir sind im falschen Thema, aber Cura und der Niedergang der Gesangskunst sind untrennbar miteinander verbunden.
    Und mit der "absoluten Wahrheit" hast Du auch Recht. Geschmack ist individuell und ändert sich mit der Zeit, aber QUALITÄT und daß ein Sänger sein Handwerk beherrscht sollten doch unabhängig davon beständige Konstanten sein, die auch eingefordert werden dürfen, oder?

  • es ist immer erheiternd mitzulesen, wenn Die Schlachten der Vergangenheit erneut geschlagen werden...es sollte hier um José Cura gehen und jetzt wird...SCHLUCHZ...über den Niedergang der Gesangskunst lamentiert....vielleicht sollten die "Gralshüter" mal zur Kenntnis nehmen, dass NIEMAND im Besitz der absoluten Wahrheit oder eines Monopols in Sachen "Kunst oder Nichtkunst" ist.
    Dinge, auch Kunstauffassungen, ÄNDERN sich und das ist nicht immer das schlechteste!


    Liebe Fides,


    Alles, was wir sagen, gehört zum allgemeinen historischen Horizont dessen, was Cura zu einem "großen" Tenoren gemacht hat, denn ohne diese historische Analyse fällt es mir schwer, zu verstehen, wie er überhaupt zu einem prominenten Künstler werden konnte.
    Und dieser Relativismus des "Niemand ist im Besitz der absoluten Wahrheit" scheint mir etwas fehl am Platze zu sein. Niemand spricht hier von absoluten Wahrheiten, sondern nur von historischen akustischen Fakten, auf Grund derer dann auch gewisse Konsequenzen gezogen werden.
    Auch diese Rede von der "Änderung" der Kunstauffassung und von deren positivem Wert und all dieser heiteren optimistischen Indifferenz gegenüber der sehr starken Differenzen zwischen Sänger und Sänger, Generation und Generation finde ich nicht besonders produktiv. Denn gerade im Falle der Gesangskunst ist diese indifferente und nicht-differenzierende Einstellung etwas, was auf den Gesang selber zurückschlägt. Wie Gioconda es gesagt hat, eine Katze, die sich in den Schwanz beißt. Denn beim Gesang hat man mit einer rein materiellen Realität zu tun, die ein materielles körperliches Können verlangt. Und gerade dieses Können ist dabei, verloren zu gehen. Änderungs- und Relativisierungs-Diskurse helfen hier nicht, weil der Mensch einfach nicht auf tausend Weisen singen kann, sondern weil es eben nur ganz bestimmte Techniken geben kann, die - wenigstens im Falle der Oper - zu materiell zulänglichen Ergebnissen führen. Cura ist gerade ein "Fall" eine Gesangsweise, die nicht weit weiterführt. Idem für die meisten der heutigen, die nach 5 Jahren Karriere fertig sind. Die Materialität ihres Instruments selber kompromittiert hier die Sänger, nicht ich oder Gioconda. Materiell ist diese "neue" Herangehensweise an die Stimme eine Sackgasse. Das ist Alles. Kein Mystizismus und Nostalgie.


    Was sagst Du zu Joseph Calleja? - weil Du nach jemandem gesucht hast, der das Pavarotti-Erbe ein wenig weiterführt.


    Liebe Gioconda,


    ich habe den Calleja nie live gehört, aber von dem, was ich kenne, finde ich, dass er ein außerordentliches Timbre hat. Nur habe ich manchmal Schwierigkeiten, zu verstehen, WOHER seine Stimme kommt. Kehlig ist sie nicht, nasal auch nicht, aber ganz in der Maske ist sie auch nicht. Ich habe vor einigen Tagen die Live-Übertragung der Lucia mit ihm gehört. Tja, schön hat er schon gesungen, aber gerade in der letzten großen Solo-Szene war auch er ein bisschen am Rande und mangelte an Brillanz. Ich vergleiche ihn immer mit der Radvanovsky, die ja auch ein unglaublich großzügiges Instrument besitzt, aber nie ganz sicher bei der Ausführung ist, weil sie eine Tonne technischer Probleme ungelöst gelassen hat. Ich wünsche mir, solche Leute, wie sie und Calleja, würden mehr studieren, denn mit den Stimmen, die sie besitzen, hätten sie geradezu Wunder wirken können.

    Ecouter, c'est écouter la différence.

  • @ La Gioconda und Luca,
    Ich glaube euch beiden, dass es euch um die Gesangskunst geht...und doch führen historische Ausflüge nicht zum Ziel, denn die Vergangenheit ist vorbei!!!!
    Natürlich ist Singen ein physischer Vorgang, dessen Rezeption aber ebenso und die Hörgewohnheiten haben sich verändert...ob zum Guten oder Schlechten ist nie ABSOLUT zu beurteilen.
    Warum lieber Luca müssen "Konsequenzen gezogen werden"...und vor allem welche? Dürfen nur noch Sänger/Innen singen, die allen technischen und künstlerischen Kriterien, die WER eigentlich(?), aufstellt, genügen?
    Natürlich gibt es negative Entwicklungen, das ist zu bedauern, aber ich will keine "Technik- u. Geschmackspolizei" installiert sehen, die den einzelnen Künstler wie einen Roboter betrachtet und ihn nach "historischen" Grundlagen beurteilt, die für das Gros des heutigen Publikums kaum mehr nachvollziehbar sind.



    LG
    Fides :hello:

    La vita è bella!

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  • ich habe den Calleja nie live gehört, aber von dem, was ich kenne, finde ich, dass er ein außerordentliches Timbre hat. Nur habe ich manchmal Schwierigkeiten, zu verstehen, WOHER seine Stimme kommt. Kehlig ist sie nicht, nasal auch nicht, aber ganz in der Maske ist sie auch nicht.


    Ich habe gefunden er klingt im Haus ganz anders als auf CD oder im Radio. Die Stimme trägt im Haus ungemein gut und strömt herrlich, aber Du hast Recht, sie "schwimmt" manchmal ein wenig herum und er singt ein wenig offen, aber er ist einer der ganz wenigen Sänger die so gut wie keine Probleme im passaggio Bereich haben. Ganz ausgegoren ist er nicht, aber er wird mit den Jahren immer besser, ist immerhin erst Anfang/Mitte 30 und singt seit 10 Jahren. Also wenn Du eine Gelegenheit hast ihn live zu hören, nicht entgehen lassen!

  • @ La Gioconda und Luca,
    Dürfen nur noch Sänger/Innen singen, die allen technischen und künstlerischen Kriterien, die WER eigentlich(?), aufstellt, genügen?
    Natürlich gibt es negative Entwicklungen, das ist zu bedauern, aber ich will keine "Technik- u. Geschmackspolizei" installiert sehen, die den einzelnen Künstler wie einen Roboter betrachtet und ihn nach "historischen" Grundlagen beurteilt, die für das Gros des heutigen Publikums kaum mehr nachvollziehbar sind.


    LG
    Fides


    Streng genommen - für mich - ja. Wenn dieses Mindestmaß an Können vorhanden ist, fängt für mich die Geschmacksfrage an. Aber da hat jeder auch einen anderen Zugang und andere Ansprüche.
    Trotzdem, sein Handwerk zu beherrschen wäre doch auch in jedem anderen Beruf wünschenswert, oder? Nur ist das in manchen Berufen leichter und eindeutiger zu beurteilen als etwa beim Singen. "Jeder gibt sein Bestes" und alles ist "lovely und interessant" - was ist denn das für eine Bewertungsgrundlage?
    Die Vergangenheit ist vorbei, ja. Aber um zu wissen wohin ich gehe möchte ich wissen woher ich komme. Gilt zumindest für mich.

  • denn die Vergangenheit ist vorbei!!!!


    Nein, liebe Fides, das ist psychologisch völlig falsch! Vergangenheit ist niemals vorbei und das ist gut so. Deshalb werden wir, immer natürlich subjektiv jeder für sich, in unseren Beurteilungen und Bewertungen, Vergleiche ziehen, die aus der Vergangenheit herrühren. Deshalb sind Vergleiche wie sie La Gioconda und Luca ziehen, völlig legitim. Wenn sie nicht aus dem Erfahrungsschatz der Vergangenheit schöpfen würden, könnten sie solche Aussagen nicht machen. Dies gilt selbstverständlich nicht nur für die Musik, das betrifft alle Bereiche des täglichen Lebens.


    Aber um zu wissen wohin ich gehe möchte ich wissen woher ich komme. Gilt zumindest für mich.


    Eine Bestätigung dessen, was ich oben geschrieben habe, Vergangenheit ist nie vorbei...


    Herzliche Grüße
    CHRISSY, Görlitz /sa.

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Ciao "La Gioconda"
    Handwerk...JA, es zu beherrschen ist Voraussetzung, dem stimme ich zu. Nur in welchem Grade diese "Beherrschung" verlangt wird und von wem, das ist doch das, worum es eigentlich geht...oder!?
    Die wenigsten, auch der heutigen Sängergeneration, stellen sich mit ihrer Naturstimme auf die Bühne und legen los. Sie alle haben eine Ausbildung genossen der Eine mehr, die Andere weniger...und so sollte die Beherrschung des Handwerks vorausgesetzt werden können. Nun haben sich in den letzten Jahrzehnten auch in der Opernwelt viele Dinge sehr verändert...Stress ist ein nicht unerheblicher Faktor, der sich in der Stimmbeherrschung niederschlägt....und der ist erheblich mehr geworden!
    Wohin möchtest Du denn...um Deine Schlussbemerkung aufzugreifen? Welche Art Sänger/Innen schwebt Dir vor? Ich bin KEIN Fan von Herrn Cura, Herrn Kaufmann, Herrn Villazón...um nur "bekanntere", hier bereits gefallene Namen aufzugreifen....doch sie singen oder sangen unter unendlich anderen Voraussetzungen als die Vorkriegsgeneration oder auch die der Fünfziger...alle mit Ausbildung und Talent...bis zu einem gewissen Grad zumindest. Ich sehe die Problematik, aber ich sehe keine Rückkehr in "die gute alte Zeit".


    LG
    Fides :hello:

    La vita è bella!

  • Umso glücklicher, liebe Fides, ist man, wenn ganz, ganz selten gewisse Sänger sich dem heutigen Starrummel versagen und mit einer Technik singen, die eine lange Karriere ermöglicht.


    Die wirklichen grossen "drei Tenöre" der 80er/90er Jahre waren, wie auch Kesting richtig festhält Bergonzi, Kraus und Gedda.


    Und wenigstens einen, der versucht sich den von Dir aufgeführten Stress des heutigen Opernbetriebes weitgehend vom Leib zu halten, und der durch seine Leistung meistens zu überzeugen vermag, haben wir im Tenorfach immerhin: Piotr Beczala.


    Mit freundlichem Gruss

  • Liebe Fides,


    Ich glaube euch beiden, dass es euch um die Gesangskunst geht...und doch führen historische Ausflüge nicht zum Ziel, denn die Vergangenheit ist vorbei!!!!
    Natürlich ist Singen ein physischer Vorgang, dessen Rezeption aber ebenso und die Hörgewohnheiten haben sich verändert...ob zum Guten oder Schlechten ist nie ABSOLUT zu beurteilen.
    Warum lieber Luca müssen "Konsequenzen gezogen werden"...und vor allem welche? Dürfen nur noch Sänger/Innen singen, die allen technischen und künstlerischen Kriterien, die WER eigentlich(?), aufstellt, genügen?
    Natürlich gibt es negative Entwicklungen, das ist zu bedauern, aber ich will keine "Technik- u. Geschmackspolizei" installiert sehen, die den einzelnen Künstler wie einen Roboter betrachtet und ihn nach "historischen" Grundlagen beurteilt, die für das Gros des heutigen Publikums kaum mehr nachvollziehbar sind.


    Wie oben chrissy (anscheinend ein glühender Bergsonianer :) ) schon dargelegt hat, ist der Satz "Die Vergangenheit ist vorbei" in sich widersprüchlich und sagt nichts aus.
    Niemand will eine Geschmackspolizei aufzwingen. Aber wenn du fragst, WER die künstlerichen Entwicklungen der heutigen Opernsphäre negativ beurteilt und mit welchen Kriterien, dann antworte ich dir: das tue ich, Luca, ein Opernliebhaber, der außer der Liebe zur Oper auch eine gewisse Kompetenz und Hörerfahrung besitzt und gründe meine Kritik auf Kriterien, die in erster Linie von der italienischen Gesangsschule aufgestellt werden und die man in verschiedenen klassischen Texten zur Gesangskunst nachlesen kann. Diese Bücher gelten heute glücklicherweise noch als Lehrmaterial, werden aber anscheinend von den Studenten nicht gut genug verdaut. Schade, denn so würden sie sich viele der Probleme ersparen, deren Lösung doch im Grunde genommen ganz einfach ist. Wie Joan Sutherland sagte, zum Singen braucht man richtig zu atmen und Atmen ist einfach.
    Was den Stress-Faktor betrifft, daran kann ich nicht glauben. Wenn heute die meisten Sänger gestresst sind, dann wegen ihrer eigenen Unsicherheit, die ich als Hörer auch mitbekomme. Sonst kann ich dich versichern, dass der Stress in der Opernindustrie zehfach größer war "in früheren Zeiten" und dass die Sänger viel mehr und unter viel schlimmeren Bedingungen arbeiten mussten, als heute. Die Ebe Stignani hat manchmal zwei volle Vorstellungen an einem Tag gesungen, und zwar am Mittag die Leonora aus der Favorita und am Abend die Azucena. NB: Diese Dame hat 40 Jahre gesungen und Triumph auf Triumph geerntet. Nenne mir eine Sängerin, die heute imstande sein würde, an einem Tag die Leonora der Favorita und die Azucena des Trovatore nacheinander zu singen. Das ist für mich schon Kriterium genug, um festzustellen, dass die heutigen Sänger viel WENIGER können, als sehr viele der früheren Sänger. Pavarotti erzählt von einem alten Gigli, der nach Modena gekommen war, um in der Lucia zu singen. Nach der Vorstellung hat er noch ein volles Konzert geboten und dann hat er im Restaurant weitergesungen. Ein alter Mann! Was machen wir mit den heutigen Tenören, die inmitten einer einfachen Oper schon erschöpft sind? Und das nicht ein oder zwei Sänger sondern geradezu STAR-Sänger, und zwar ein Haufen von ihnen.
    Und als letztes: Oper und Gesang ist bestimmt keine Mathematik, aber wie Gioconda sagt, sein Handwerk zu beherrschen ist kein Verbechen. Leider ist es aber beim Gesang für die Mehrheit viel schwerer, zu beurteilen, ob das Handwerk tatsächlich gut ausgeübt wird oder nicht, als im Falle der instrumentalen Musik. Daher auch der allmähliche Abfall in der Qualität.

    Ich sehe die Problematik, aber ich sehe keine Rückkehr in "die gute alte Zeit".


    Keine Angst, die sehe ich seit langem nicht mehr. :D



    Liebe Gioconda, ich werde versuchen, den Calleja irgendwo live zu hören. Was du sagst, macht mich gespannt. :)

    Ecouter, c'est écouter la différence.

  • Wie oben chrissy (anscheinend ein glühender Bergsonianer :) ) schon dargelegt hat, ist der Satz "Die Vergangenheit ist vorbei" in sich widersprüchlich und sagt nichts aus.


    Lieber Luca,
    ich glaube nicht, daß man beim Thema " Vergangenheit " unbedingt gleich ein Bergsonianer sein muß.
    Wir alle sind in unserer Gegenwart und auch in unserer Zukunft im Denken und im Handeln immer ein Produkt unserer Vergangenheit. Deshalb ist eine Aussage " die Vergangenheit ist vorbei ", nicht nur widersprüchlich, sie ist schlichtweg falsch. Das sind reine psychologische Erkenntnisse und Vorgänge.
    Ich bitte um Entschuldigung, wir schweifen vom eigentlichen musikalisch, sängerischen Thema ab.
    Herzlichst
    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...


  • Wenn ich mir deine Beiträge ansehe, Luca, sehe ich schon darin, dass du dich sehr mit der italienischen Gesangsschule theoretisch auseinander gesetzt hast. Aber hast du auch selber gesungen? Ich finde, du machst es dir sehr einfach darin über die heutige schlechte Sängerwelt zu urteilen - und ich stimme dir zu, dass da oftmals viel falsch läuft, dass es nur wenige Lehrer gibt, die diesen komplexen Umgang nur sehr unaufmerksan und mangelhaft unterrichten. Aber so wie du über alte Zeiten schwärmst und neue Sänger in Grund und Boden redest, tust du vielen (auch unbekannten) Sängern Unrecht.
    Ich selber nehme mir die gleiche "Kompetenz" raus wie du, zumal ich auch selber nun seit 6 Jahren Gesangsunterricht nehme, veilleicht aber nicht so lange Opern höre wie du. Trotzdem kann ich einfach nicht zu dem gleichen negativen Urteil kommen wie du es über die heutigen Sänger sehr pauschal fällst. Es gibt genug Sänger die Qualität insgesamt bewahren, auch wenn sie durchaus auch schlechte Vorstellungen haben.
    Auch dass der Stress heutzutage geriner sein soll, als früher, kann ich angesichts vieler Gespräche mit Intendanten und Sängern nicht glauben. Die Probensituation ballt sich über den Vormittag, abends dann regelmäßig die Aufführungen, die auch mal schnell ganz woanders als am Vormittag sein kann. Man weiß ja zu wie vielen unsinnigen Handlungen heute die Sänger auf der Bühne getrieben werden und dass daher auch ein ganz anderer Sängertypus als früher auf der Bühne verlangt wird. Sicher ist auch, dass wen die Forderungen des Theaters nicht erfüllt werden, dem Sänger ganz schnell das Aus droht, nur die ganz großen Sänger dürfen sich solche Weigerungen erlauben.
    Letztendlich hat sich aber ein Sänger, der diesen Weg einschlägt, auch selber für diese Risikoreichen Weg entschieden, und ein Sänger, der sich nur auf sein Talent der schönen Stimme und/oder seine bühnenwirksamen Auftritte verlässt, den will ich mit diesen Worten auch nicht verteidigen.

  • Lieber Luca,
    ich glaube nicht, daß man beim Thema " Vergangenheit " unbedingt gleich ein Bergsonianer sein muß.
    Wir alle sind in unserer Gegenwart und auch in unserer Zukunft im Denken und im Handeln immer ein Produkt unserer Vergangenheit. Deshalb ist eine Aussage " die Vergangenheit ist vorbei ", nicht nur widersprüchlich, sie ist schlichtweg falsch. Das sind reine psychologische Erkenntnisse und Vorgänge.
    Ich bitte um Entschuldigung, wir schweifen vom eigentlichen musikalisch, sängerischen Thema ab.
    Herzlichst
    CHRISSY


    Ich meinte es mit dem Bergson auch gar nicht "direkt", letztendlich sind wir Alle irgendwo in der Tiefe Bergsonianer. :D
    Wir schweifen auf keinen Fall vom Thema ab, denn der geschichtliche Kontext unseres Themas hat eine seiner Begründungen gerade in dieser philosophisch-psychologischen These.



    Lieber Wotan,

    Wenn ich mir deine Beiträge ansehe, Luca, sehe ich schon darin, dass du dich sehr mit der italienischen Gesangsschule theoretisch auseinander gesetzt hast. Aber hast du auch selber gesungen? Ich finde, du machst es dir sehr einfach darin über die heutige schlechte Sängerwelt zu urteilen - und ich stimme dir zu, dass da oftmals viel falsch läuft, dass es nur wenige Lehrer gibt, die diesen komplexen Umgang nur sehr unaufmerksan und mangelhaft unterrichten. Aber so wie du über alte Zeiten schwärmst und neue Sänger in Grund und Boden redest, tust du vielen (auch unbekannten) Sängern Unrecht.


    Ich singe selber nicht und finde es auch nicht nötig, undebingt singen zu müssen, um einen Urteil über den allgemeinen Zustand des Stimmen-Management in der heutigen Oper fällen zu können. Ich schwärme nicht von alten Zeiten, sondern konstatiere nur anhand evidenten Hörmaterials, dass eine Kluft besteht zwischen der durchschnittlichen Qualität der heutigen und der früheren gesanglichen Leistungen.

    Ich selber nehme mir die gleiche "Kompetenz" raus wie du, zumal ich auch selber nun seit 6 Jahren Gesangsunterricht nehme, veilleicht aber nicht so lange Opern höre wie du. Trotzdem kann ich einfach nicht zu dem gleichen negativen Urteil kommen wie du es über die heutigen Sänger sehr pauschal fällst. Es gibt genug Sänger die Qualität insgesamt bewahren, auch wenn sie durchaus auch schlechte Vorstellungen haben.


    Lieber Wotan, gerade von solchen unbekannten, aber hervorragenden Sängern der jungen Generation zu sprechen, versuche ich immer, wo die Gelegenheit geboten wird (ich sprach in einem anderen Thread von der jungen Jessica Pratt, dem Georgier Shalva Mukeria, der Mezzo Claudia Mahnke, um nur einige zu nennen, die mich positiv überrascht hatten, nicht nur mit ihrer Musikalität sondern in erster Linie durch ihre technische Sicherheit!). Dass aber heute der allgemeine Zustand der Sänger nicht nur wegen der Inkompetenz vieler Lehrer, Kritiker, Intendanten, Regisseure und Dirigenten, sondern auch gerade wegen des mangelhaften Protests seitens der Sänger selber gegen dieses neue völlig sänger-unfreundliche Opernsystem verschlimmert hat, muss zugegeben werden. Die Sänger, von den berühmten bis zu den unberühmten, tun nichts, um etwas zu ändern. Und wenn die Sänger selber nicht etwas unternehmen werden, um die allgemeine Situation zu verändern und der Stimme als dem ersten und bedeutendsten Element der Oper wieder zu seiner privilegierten Stellung zu verhelfen, dann kann und wird das Publikum nichts tun. Nicht zuletzt deswegen, weil die Beziehung zwischen Publikum und Sängern heute sowieso ständig von den Agenturen vermittelt wird (auf das Agenturen-Problem bestehe ich) und ein radikales "ja" oder "nein" seitens des Publikums sowieso nicht mehr viel zählt.
    Noch einmal: ich verstehe, dass meine Kritik zu hart erscheinen kann, aber die Konsequenzen (historische, aktuelle oder zukünftige) ziehe ich nur anhand vorhandener hörbarer Dokumente und gegenwärtiger Vorgänge auf der Opernbühne. Worauf ich unebdingt hinweisen möchte, ist etwas,womit auch du sicherlich einverstanden sein wirst: Heute arbeiten Alle, die im Opernwesen wirken - Alle, inklusive Sänger - auf systematische Weise gegen die Stimme. Einige der Gründe hast du selber erwähnt (Planning, Aussehen etc.). Aber hast du selber als Sänger eigentlich Lust, dieses System zu verändern oder verändert zu sehen? Was ist dein Bezug zur Stimme, außer dass du Sänger bist und damit arbeitest? Was ist dein Begriff der Stimme? Ist dein Stimmbegriff in Harmonie mit dem aktuellen System?
    Was ich als leidenschaftlicher Hörer wöchentlich in der Oper sitzend feststelle, ist, dass in diesem Gesamtgeschehen "Oper" - wo Dirigent, Orchester, Sänger, Regisseur, Chor und viele andere zusammenwirken - nunmehr die Stimme eine fast nebensächliche Bedeutung hat und dass die Beurteilungskritieren gegenüber der Stimme so definiert sind, dass sie der Stimme gerade Schaden bringen. Gioconda und ich hatten schon früher erwähnt, wie das Publikum die Anstrengung und Halsnervenzerfetzung beim Sänger mit höchster Meisterschaft verwechselt.


    In Hoffnung auf eine weitere spannende Diskussion,
    Luca

    Ecouter, c'est écouter la différence.

  • Nein, auf keinen Fall muss man singen können, um sich ein Urteil darüber zu erlauben. Allerdings habe ich bei mir (ich schreibe ja auch kleinere Kritiken) festgestellt, dass ein Wissen aus der Sicht des Sängers doch einiges besser beleuchtet. Wie oft habe ich und in mir selber erlebt, wie akribisch genau man das Handwerk des Singens betreiben muss, damit es technisch versiert ist. Und jede Kleinigkeit kann diesen komplizierten Ablauf durcheinander bringen. So kann ein Abend eine ganze Serie an Vorstellungen und auch den Ruf eines Sängers ruinieren, wenn ein verständnisloser, unbarmherziger Kritiker diesem Sänger das technsiche Rüstzeug abspricht auf Grund eines schlechten Abends. So ungern wir Kritiker das auch einsehen wollen: Das Singen ist Kunst für den Augenblick und selbst bei dem technsich versiertesten sängern der Welt geht das mal in die Hose.
    Ich selber arbeite nicht wirklich im System der Sänger. Was ich so beobachte, kann ich nicht (mehr) sagen, dass nur gegen die Stimme gearbeitet wird. Einige Sänger wollen das verändern - sofern sie keine "mediale Macht" haben, werden sie keinen Erfolg haben und sich nur Feinde machen. Schau dir Endrik Wottrich an, der viel gescholten wurde nach seiner Kritik an Schlingensief und seinem Rundumschlag gegen das System: Er selber wird kaum einsehen, dass er seinen teils doch sehr schlechten Leistungen in Bayreuth selber Schuld ist. Das System verändert sich insofern selber, da es sich dem modernen Zeitgeist anpasst. Das bedeutet auch, dass sich die Kunst des Singens sich an diese Umstände anpassen wird. Wenn man da keinen Lehrer hat, der einem die Grundbegriffe das klassischen Singens auf den jeweiligen Sänger hin beibringt, wird dieser Aspekt immer weiter ins Nebulöse abgleiten. Die Sänger selber haben da kaum eine Möglichkeit sich gegen dieses rollende Rad zu stemmen.
    Ein paar machen das, in dem sie sich zum Beispiel von jedem medialem Hype fernhalten, wie die Stoyanova, die du (ebenso wie ich) sehr zu schätzen scheinst. (Ihre Desdemona in Dortmund war eine Sternstunde des Gesangs für mich). Dafür hat ihr ganzer Auftritt eine künstlerische Seriosität und noch dazu die technsiche Sicherheit. Aber heute hat auch jeder Opernsänger Fans und die wollen zum Beispiel über Facebook mit ihm in Kontakt bleiben. Auch das ist für mich ein ganz entscheidender Faktor, warum Singen heute viel schwieriger ist als damals: Bei Youtube findest du heute jeden vergeigten Ton, weil jeder schnell sein Handy zückt und mitschneidet. Das gab es zwar auch damals (Alexander Knipnis Schmiss im Sextett aus "Don Giovanni", der von Donna Elvira korrigiert wurde ist ja auch auf CD erhältlich.), aber heute wird das doch ungleich mehr festgehalten.

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