In der Vergangenheit sahen wir viele Threads zu Beethoven-Interpreten. Ob nun Karajan, Bernstein, Böhm, Norrington oder Gardiner – es handelte sich durchweg um gesamte Zyklen. Nun gibt es allerdings auch Dirigenten, von denen uns bedauerlicherweise nicht "alle Neune" vorliegen, aber doch eine Hand voll. In diesen Kreis gehören Namen wie Fritz Reiner, Erich Kleiber – oder eben Hans Knappertsbusch.
Knappertsbusch wird heutzutage fast immer mit Wagner in Verbindung gebracht. Warum das so ist, wäre bereits einen Thread wert. Vermutlich, weil er eine der, wenn nicht "die" prägende Dirigenten-Gestalt Neubayreuths der Jahre 1951-1964, also der goldenen Ära, war. Denken wir an das symphonische Repertoire, so wird hier eher noch an Bruckner gedacht denn an Beethoven. Zu unrecht, wie ich meine.
Tatsächlich liegen in der Kombination Beethoven/Knappertsbusch die Symphonien Nr. 1 (nicht kommerziell), 2, 3, 5, 7 und 8 komplett vor sowie von Nr. 9 immerhin ein Video-Ausschnit des Finales von 1943. Es fehlen also im Ganzen die Nrn. 4 und 6. Die 4. führte er nach dem Krieg 1948 und 1954 mehrfach auf, so daß zumindest eine gewisse Hoffnung besteht, daß evtl. doch ein Mitschnitt existieren könnte, der der Veröffentlichung harrt. Die "Pastorale" hingegen hatte er nie im Repertoire (auch wenn eine angebliche Dresdner Aufnahme von 1956 existieren soll, die aber sein Konzertregister nicht nennt und die auch viel zu schnell dirigiert sein soll, um auf Kna zu schließen).
Wie läßt sich nun dieser Beethoven charakterisieren? Nun, als Vorreiter einer HIP-nahen Spielweise ist Knappertsbusch nie bekannt geworden, so auch nicht hier. Er ist m. E. am ehesten vergleichbar mit der Beethoven-Auffassung Furtwänglers und des späten Klemperer, wenn auch mit einigen ganz erheblichen Unterschieden. Völlig konträr ist Knappertsbuschs Beethoven hingegen zu dem von Erich Kleiber, Fricsay oder Toscanini. Sein Beethoven-Bild ist durchweg von der Sicht des 19. Jahrhunderts geprägt, er zeigt uns Beethoven als den Titanen und Heroen. Der Orchesterklang ist sehr spätromantisch – wagnerisch könnte man es nennen – angehaucht. Besonders betont sind die Blechbläser, die an manchen Stellen sehr exponiert in Erscheinung treten, wie man es sonst nirgendwo hört, und die Pauken. Der Streicherklang ist ebenfalls dick und vibratoreich. Die Tempi sind sehr getragen, aber nie verschleppt oder spannungsarm, im Gegenteil. Die langsamste Aufnahme der 5. Symphonie z. B. stammt von Knappertsbusch (1962) (fast 10 Minuten im Kopfsatz).
Wie kommt man nun an diese Aufnahmen, wird sich der eine oder andere jetzt fragen. In der Tat ist dies nicht ganz so einfach wie bei anderen Dirigenten. Am empfehlenswertesten für den Einstieg ist m. M. n. die Beethoven-Box von Golden Melodram, welche die Symphonien Nr. 2, 3, 5 und 7 beinhaltet:
Nr. 2: Bremer Philharmonisches Staatsorchester, 1952
Nr. 3: Münchner Philharmoniker, 1953
Nr. 5: Hessisches RSO Frankfurt, 1962
Nr. 7: Wiener Philharmoniker, 1954
Die sehr viel bessere Berliner Aufnahme der 5. von 1956 ist allerdings hier drauf (man höre in den 1. Satz, da bekommt man einen guten Eindruck von Knappertsbuschs Beethoven):
Die 8. ist in diversen Veröffentlichungen erhältlich, ich nenne nur mal die Aufnahme mit dem BRSO von 1959 (meine favorisierte mit dem NDR SO von 1960 ist leider vergriffen):
Man muß bei Knappertsbusch halt dazu sagen, daß die Qualität der Aufführungen stark von seiner jeweiligen Tagesform abhing. Bei den genannten Aufnahmen allerdings war diese m. E. sehr gut, vielleicht mit Ausnahme der 5. mit dem Hessischen RSO, wo man merkt, daß es sich hier um keinen Klangkörper erster Güte handelt (was vermutlich weniger Kna anzulasten ist).
LG
Joseph