Knappertsbusch dirigiert Beethoven – Kuriosum oder Geheimtipp?

  • In der Vergangenheit sahen wir viele Threads zu Beethoven-Interpreten. Ob nun Karajan, Bernstein, Böhm, Norrington oder Gardiner – es handelte sich durchweg um gesamte Zyklen. Nun gibt es allerdings auch Dirigenten, von denen uns bedauerlicherweise nicht "alle Neune" vorliegen, aber doch eine Hand voll. In diesen Kreis gehören Namen wie Fritz Reiner, Erich Kleiber – oder eben Hans Knappertsbusch.


    Knappertsbusch wird heutzutage fast immer mit Wagner in Verbindung gebracht. Warum das so ist, wäre bereits einen Thread wert. Vermutlich, weil er eine der, wenn nicht "die" prägende Dirigenten-Gestalt Neubayreuths der Jahre 1951-1964, also der goldenen Ära, war. Denken wir an das symphonische Repertoire, so wird hier eher noch an Bruckner gedacht denn an Beethoven. Zu unrecht, wie ich meine.


    Tatsächlich liegen in der Kombination Beethoven/Knappertsbusch die Symphonien Nr. 1 (nicht kommerziell), 2, 3, 5, 7 und 8 komplett vor sowie von Nr. 9 immerhin ein Video-Ausschnit des Finales von 1943. Es fehlen also im Ganzen die Nrn. 4 und 6. Die 4. führte er nach dem Krieg 1948 und 1954 mehrfach auf, so daß zumindest eine gewisse Hoffnung besteht, daß evtl. doch ein Mitschnitt existieren könnte, der der Veröffentlichung harrt. Die "Pastorale" hingegen hatte er nie im Repertoire (auch wenn eine angebliche Dresdner Aufnahme von 1956 existieren soll, die aber sein Konzertregister nicht nennt und die auch viel zu schnell dirigiert sein soll, um auf Kna zu schließen).


    Wie läßt sich nun dieser Beethoven charakterisieren? Nun, als Vorreiter einer HIP-nahen Spielweise ist Knappertsbusch nie bekannt geworden, so auch nicht hier. Er ist m. E. am ehesten vergleichbar mit der Beethoven-Auffassung Furtwänglers und des späten Klemperer, wenn auch mit einigen ganz erheblichen Unterschieden. Völlig konträr ist Knappertsbuschs Beethoven hingegen zu dem von Erich Kleiber, Fricsay oder Toscanini. Sein Beethoven-Bild ist durchweg von der Sicht des 19. Jahrhunderts geprägt, er zeigt uns Beethoven als den Titanen und Heroen. Der Orchesterklang ist sehr spätromantisch – wagnerisch könnte man es nennen – angehaucht. Besonders betont sind die Blechbläser, die an manchen Stellen sehr exponiert in Erscheinung treten, wie man es sonst nirgendwo hört, und die Pauken. Der Streicherklang ist ebenfalls dick und vibratoreich. Die Tempi sind sehr getragen, aber nie verschleppt oder spannungsarm, im Gegenteil. Die langsamste Aufnahme der 5. Symphonie z. B. stammt von Knappertsbusch (1962) (fast 10 Minuten im Kopfsatz).


    Wie kommt man nun an diese Aufnahmen, wird sich der eine oder andere jetzt fragen. In der Tat ist dies nicht ganz so einfach wie bei anderen Dirigenten. Am empfehlenswertesten für den Einstieg ist m. M. n. die Beethoven-Box von Golden Melodram, welche die Symphonien Nr. 2, 3, 5 und 7 beinhaltet:



    Nr. 2: Bremer Philharmonisches Staatsorchester, 1952
    Nr. 3: Münchner Philharmoniker, 1953
    Nr. 5: Hessisches RSO Frankfurt, 1962
    Nr. 7: Wiener Philharmoniker, 1954


    Die sehr viel bessere Berliner Aufnahme der 5. von 1956 ist allerdings hier drauf (man höre in den 1. Satz, da bekommt man einen guten Eindruck von Knappertsbuschs Beethoven):



    Die 8. ist in diversen Veröffentlichungen erhältlich, ich nenne nur mal die Aufnahme mit dem BRSO von 1959 (meine favorisierte mit dem NDR SO von 1960 ist leider vergriffen):



    Man muß bei Knappertsbusch halt dazu sagen, daß die Qualität der Aufführungen stark von seiner jeweiligen Tagesform abhing. Bei den genannten Aufnahmen allerdings war diese m. E. sehr gut, vielleicht mit Ausnahme der 5. mit dem Hessischen RSO, wo man merkt, daß es sich hier um keinen Klangkörper erster Güte handelt (was vermutlich weniger Kna anzulasten ist).


    LG
    Joseph
    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • DER DIRIGENT meines Opas (Baujahr 1895, der Opa)!


    Beim Blick auf meine mp3-Bestände, Kopien der CDs, die ich habe, komme ich auf 23,6h Knapperstbusch, das meiste ist von Bruckner und Wagner. Ein kompletter Ring auf LPs steht noch im Schrank, aber Beethoven?


    Ne Eroica aus den 40igern ist dabei, selten gehört (von dem Label "Iron Needle") und dann die Klavierkonzerte 4 und 5 mit Clifford Corzon (Decca Legends), eines mit Backhaus steht noch als LP herum.


    Vielleicht liegt es daran, dass ich vor Jahr und Tag einmal eine 8. aus Hamburg mit ihm hörte. Die war so langsam und gewöhnungsbedürftig, dass ich erst einmal von weiteren Experimenten Abstand genommen habe.


    Da er zudem nur wenige Studioplatten hinterlassen hat, gibt es kaum etwas in ansprechender Klangqualität. Die Liveaufnahmen, die es von ihm gibt, waren mir meist zu teuer und teilweise von geradezu dubioser Klangqualität (Bruckner 9)
    Ich habe ne Walküre 1. Akt von DECCA, die dann etwas später von Solti nochmals gemacht wurde. Die gefällt mir überhaupt nicht, hingegen die aus Bayreuth erheblich besser. Ein Anzeichen, dass er sich im Studio nicht wohl fühlte?


    Aber ich lasse mich gerne belehren.


    Gruß S.

  • Knappertsbusch wird heutzutage fast immer mit Wagner in Verbindung gebracht. Warum das so ist, wäre bereits einen Thread wert.


    Ich denke nicht, dass man einen eigenen Thread benötigt, um dieses "Geheimnis" zu ergründen. Man braucht sich nur die Diskographie anschauen: Zuerst Wagner, dann einige Zeit nichts, dann Wagner, wieder eine Zeit lang nichts, dann Wagner, dann lange Zeit nichts gefolgt von einigen Bruckner-Aufnahmen, dann ganz lange nichts mehr, etwas Beethoven, Brahms, noch weniger Mozart, Schubert, Strauss. Der Rest fällt fast unter die Wahrnehmungsgrenze, aber vielleicht findet sich noch der eine oder andere Opernmitschnitt....


    Dabei können wir heute wahrscheinlich auf fast alles zurückgreifen, was es überhaupt in den Archiven gibt. Zu Zeiten der Stereo-LP war Knappertsbusch gleich Parsival 1962 und das war's dann. Für die internationalen Plattenkonzerne war er nur als Wagner-Dirigent von Interesse und in Verbindung mit seiner Reiseunlust ergibt sich die Tatsache, dass er wie wenige andere Dirigenten seiner Güteklasse ausschließlich im deutschen Sprachraum wirklich bekannt ist. Die restliche Welt (abgesehen von den echten Kennern) kennt nur seinen Parsifal.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!



  • Hallo S.,


    wenn du die besagte Hamburger 8. Symphonie von 1960 kennst, dann ist dir in der Tat die langsamste Aufnahme der 8. unter Kna (vielleicht auch dieses Werkes insgesamt) geläufig:


    I. 11'25
    II. 4'58
    III. 5'46
    IV. 9'23
    Ges. 31'32


    In Berlin 1952 war er um einiges flotter (bis auf den Kopfsatz, der auch hier sehr langsam ist, nicht unähnlich Furtwängler 1954):


    I. 10'11
    II. 4'24
    III. 5'28
    IV. 8'18
    Ges. 28'21


    Generell läßt sich aber schon sagen: die Tempi sind bei seinem Beethoven sehr breit (bei seinem Bruckner nicht unbedingt, aber das ist ein anderes Thema).



    Ich denke nicht, dass man einen eigenen Thread benötigt, um dieses "Geheimnis" zu ergründen. Man braucht sich nur die Diskographie anschauen: Zuerst Wagner, dann einige Zeit nichts, dann Wagner, wieder eine Zeit lang nichts, dann Wagner, dann lange Zeit nichts gefolgt von einigen Bruckner-Aufnahmen, dann ganz lange nichts mehr, etwas Beethoven, Brahms, noch weniger Mozart, Schubert, Strauss. Der Rest fällt fast unter die Wahrnehmungsgrenze, aber vielleicht findet sich noch der eine oder andere Opernmitschnitt....


    Dabei können wir heute wahrscheinlich auf fast alles zurückgreifen, was es überhaupt in den Archiven gibt. Zu Zeiten der Stereo-LP war Knappertsbusch gleich Parsival 1962 und das war's dann. Für die internationalen Plattenkonzerne war er nur als Wagner-Dirigent von Interesse und in Verbindung mit seiner Reiseunlust ergibt sich die Tatsache, dass er wie wenige andere Dirigenten seiner Güteklasse ausschließlich im deutschen Sprachraum wirklich bekannt ist. Die restliche Welt (abgesehen von den echten Kennern) kennt nur seinen Parsifal.


    :hello:


    Hallo Theophilus,


    das ist soweit schon korrekt. Allerdings stimmt es nicht ganz, daß er für internationale Labels nur als Wagner-Dirigent interessant war: Die Decca nahm einige Platten mit leichter Musik unter ihm auf, auch die bekannte 5. von Bruckner mit den Wiener Philharmonikern 1956.



    Der Wagner überwiegt freilich schon, grad bei den Studio-Aufnahmen. Durch heute erhältliche Mitschnitte kann man aber immerhin neben dem Beethoven noch Bruckner 3-5 und 7-9, Brahms 2-4, Schumann 4, Schubert 8 und 9, Haydn 88, 94 und 100, Mozart 39-41 aufzählen.


    LG
    Joseph
    :hello:

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    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • das ist soweit schon korrekt. Allerdings stimmt es nicht ganz, daß er für internationale Labels nur als Wagner-Dirigent interessant war: Die Decca nahm einige Platten mit leichter Musik unter ihm auf, auch die bekannte 5. von Bruckner mit den Wiener Philharmonikern 1956.


    Du siehst mich beeindruckt - oder auch nicht. ;)



    Die drei Scheiben waren in den 60ern bereits weitgehend vergessen. Da zählte nur mehr Stereo, und da gab es eben nur den Parsifal.


    Und so als hypthetische Frage: wenn dir jemand von einem "ganz tollen" Dirigenten erzählt, der neben einer berühmten Aufnahme aus seinem Kernrepertoire eine Reihe von sehr guten, aber der breiten Öffentlichkeit eher unbekannten Live-Mitschnitten aufweist, aber in seinem Leben ganze drei Platten mit Musik anderer Komponisten aufnehmen konnte, die international vertrieben wurden - wie würdest du diesen Dirigenten a priori einschätzen?


    ;)

    Ciao


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  • Unter den rund 50 Opern-Gesamtaufnahmen unter Knappertsbusch, die Ommer listet, befinden sich außer Wagner nur der Rosenkavalier, 2 x Mozart, 1 x Webers Freischütz und 1 x Beethoven:



    Aufnahme: 1961, Studio
    Dirigent: Hans Knappertsbusch
    Bayerisches Staatsorchester München
    Chor der Bayerischen Staatsoper München
    Kommentar: mit Leonore III


    Don Fernando: Frederick Guthrie
    Don Pizarro: Gustav Neidlinger
    Florestan: Jan Peerce
    Gefangener: Paul Neuner
    Gefangener: Georg Paskuda
    Jaquino: Murray Dickie
    Leonore (Fidelio): Sena Jurinac
    Marzelline: Maria Stader
    Rocco: Dezsö Ernster



    LG


    :hello:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Unter den rund 50 Opern-Gesamtaufnahmen unter Knappertsbusch, die Ommer listet, befinden sich außer Wagner nur der Rosenkavalier, 2 x Mozart, 1 x Webers Freischütz und 1 x Beethoven:


    Hallo Harald


    Ich habe einen Mitschnitt der Lustigen Weiber von Windsor mit Kna in dunkler Erinnerung. Bilde ich mir den ein oder gibt es ihn tatsächlich?


    :hello:

    Ciao


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  • Ja, die gibt's in der Tat auch noch, richtig, Theophilus.


    Was listet Ommer denn bei Mozart neben der 1940er "Hochzeit des Figaro" noch?


    LG
    Joseph
    :hello:

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    – Luís de Camões

  • Meines Wissens hat er nur die Ouvertüre "gedurft." (Aber das hat Joseph gerade widerlegt)
    Es ist in der Tat erstaunlich, dass ein heute noch immer wieder genannter Dirigent so wenige Studioaufnahmen hinterlassen hat. Und außer Wagner und dann Richard Strauss war das Meiste nur 2. Wahl.
    Zumal er bei Bruckner hartnäckig die Schalk Versionen bevorzugte. (oder war es Faulheit?)
    Auf jeden Fall ist es ein Phänomen, diese Diskrepanz zwischen Verfügbarkeit und Bekanntheit. Da hat ja selbst Horenstein mehr im Studio hinterlassen!
    Diskografie
    Gruß S.

  • Die "Lustigen Weiber" habe ich mir auch zugelegt, aber die kannte Ommer in seiner Liste noch nicht, die wurden erst vor ca 1 Jahr ausgegraben.
    Bei Mozart ist es 2 x die "Nozze", von 1939 in Salzburg und 1940 in Den Haag.


    LG


    :hello: aus Düsseldorf

    Harald


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  • Zumal er bei Bruckner hartnäckig die Schalk Versionen bevorzugte. (oder war es Faulheit?)


    Nichts genaues weiß ich nicht. Aber so als Gedankenspiel:


    - Man hat das dirigiert, was als Notenmaterial beim Orchester vorhanden war.


    - Für Plattenaufnahmen, wo man vielleicht auch neues Notenmaterial hätte organisieren können, gab es ja nur Haas als Alternative. Nowak kam erst später...


    :hello:

    Ciao


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  • Da er die Schalk/Loewe Versionen bei 3, 5, 8 und 9 bis in die 60iger Jahre aufführte.
    Ein Blick in die Diskografie (s.o.) zeigt dieses deutlich.
    Gruß S.

  • Knappertsbusch hatte bekanntlich eine Aversion gegen Studios (vielleicht mehr noch als Furtwängler), das erklärt m. E. den Fakt, daß so wenige Studio-Aufnahmen vorliegen. Bei der genannten Bruckner-Fünften mit den Wienern soll die Atmosphäre ja auch nicht so rosig gewesen sein. Habe da was im Booklet der Live-Aufnahme derselben Symphonie von 1959, die als gelungener gilt, gelesen.


    Also an Faulheit glaube ich im Falle der Schalk/Loewe-Bearbeitungen nicht. Er hielt diese wohl eben für überlegen. Immerhin war er auch nicht mehr jung, als sich die anderen Versionen durchzusetzen begannen. So verpöhnt diese Bearbeitungen heute sein mögen, so kann ich es irgendwie auch nachvollziehen. In jedem Fall halte ich seine 5. von 1959 (MPO, live), die 7. von 1949 (WPO, live), die 8. von 1963 (MPO, Studio) und die 9. von 1950 (BPO, Studio und live) für absolut referenzträchtig. Die Vergleichsmöglichkeiten in diesen Bearbeitungen halten sich in Grenzen, aber wie er z. B. das Finale der 8. mit mächtig auftrumpfendem Blech (ist das die Bearbeitung?) auf die Spitze treibt, das ist der Wahnsinn.


    Eigentlich sollte es hier aber um seinen Beethoven gehen. ;)

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    – Luís de Camões

  • Glaub' ich nicht so richtig.


    Was glaubst du nicht so richtig?


    Die Haas-Editionen erschienen in den 30ern und 40ern. Kna hat also die Symphonien in älteren Ausgaben kennengelernt und offenbar keinen Grund gesehen oder keine Möglichkeit gehabt, auf Haas zu wechseln. Die Nowak-Editionen der Symphonien erschienen zwischen 1951 und 1981, diese hat Kna zum Großteil nicht einmal kennen lernen können. Auch werden diese Neuausgaben ohnehin eine gewisse Zeit gebraucht haben, bis sie im Orchesteralltag Einzug gehalten haben. Man darf auch nicht vergessen, dass das Notenmaterial für die Orchester sehr teuer ist und vorhandenes nicht so ohne weiteres entsorgt wird.


    :hello:

    Ciao


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  • Ich kenne mich bei Kna nicht so aus wie bei Old Klemp, daher nur Indizien.
    Wenn mir etwas plausibel erscheint, dann die Deutung von Joseph, dass er Schalk/Loewe für überlegen hielt.
    Denn die Orchester, die er noch zu späten Lebzeiten mit Bruckner in den alten Versionen beglückte, hatten längst schon die Haas und Novak Versionen gespielt.
    Am Geld für Partituren kann es nicht gelegen haben.
    Gruß S.


    Weiter mit Beethoven: Morgen höre ich nochmals die Eroica!


  • Was glaubst du nicht so richtig?


    Die Haas-Editionen erschienen in den 30ern und 40ern. Kna hat also die Symphonien in älteren Ausgaben kennengelernt und offenbar keinen Grund gesehen oder keine Möglichkeit gehabt, auf Haas zu wechseln.


    Das würde aber für Walter, Furtwängler, Klemperer, Schuricht usw. ebenso gelten. Die sind ja auch nicht jünger als Kna. Keiner von denen hat meines Wissens die Löwe/Schalk-Fassungen eingespielt oder häufiger dirigiert. Insofern kann es kein reiner Sachzwang bzgl. Aufführungsmaterial gewesen sein. Es ist ja die Sonderstellung gegenüber den etwa gleichalten Dirigenten und deren Einspielungen aus den 1940ern-60ern erklärungsbedürftig.


    "http://www.abruckner.com/discography/"


    Ich überblicke das Chaos sicher nicht. Aber lt. der Diskographie ist Kna bei der 5. ziemlich allein auf weiter Flur. Was Haas vs. Nowak betrifft, bleiben offenbar nicht wenige jüngere Dirigenten bei den älteren Fasssungen. Oder es gibt Mischfassungen usw. (Angesichts dieses Chaos ist keinem Dirigenten übelzunehmen, wenn er bei dem bleibt, was er in der Jugend gelernt hat...)




    viele Grüße


    JR (keine Kna-Aufnahme in der Sammlung und nach den Hörschnipseln des Zeitlupenbeethoven in mittelprächtiger Ton- und Ensemblequalität oder dubiosen Fassungen von Brucknersinfonien wird sich das auch so bald nicht ändern... vielleicht wenn ich irgendwann mal tieferes Interesse an Parsifal entwickeln sollte...)

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Lieber Johannes,


    das ist halt das Problem, wenn von gewissen Dirigenten fast nur Live-Aufnahmen vorliegen, die oftmals keine optimale Tonqualität aufweisen und nicht durchwegs mit Spitzenorchestern gespielt wurden. Es sind eben historische Tondokumente, ungeschönt und unverfälscht. Grad bei Knappertsbusch glaube ich aber auch, daß er gar keine "perfekten" Studio-Aufnahmen anstrebte. Und wer wie ein Beckmesser nach kleineren oder größeren Ungenauigkeiten und Wacklern im Orchester sucht, der wird wohl auch oft fündig werden. Aber gewisse Unsauberkeiten findet man auch in den Live-Mitschnitten anderer Dirigenten. Selbst beim großen Furtwängler gibt's sowas (da wird mir Swjatoslaw trotz seiner Verehrung zustimmen), ich denke etwa an seine Berliner "Eroica" von 1952, wo am Ende des 1. Satzes ein ziemlicher Wackler im Blech vorhanden ist. Es gehört wohl immer etwas Glück dazu, daß gerade Konzerte mitgeschnitten wurden, wo alles 1A rundlief. Glücklicherweise war dies auch bei Knappertsbusch oftmals der Fall. So sollte man nicht von einem nicht so gelungenen Mitschnitt auf den Dirigenten generell schließen, denn seine Meisterschaft und sein Können sind m. E. doch über jeden Zweifel erhaben.


    Live muß Knappertsbusch zudem eine Wirkung auf die Leute gehabt haben, die sonst nur Furtwängler besaß (ich zitiere hier auch frei gewisse Beihefte zu seinen Aufnahmen). Seine Konzerte und Opernaufführungen waren stets Ereignisse. Allein die Wirkung, wenn er den Saal betrat, muß enorm gewesen sein. Leider können wir das nur mehr sehr beschränkt nachvollziehen, es gibt m. W. nur zwei Videos von Konzerten unter ihm (beide aus Wien, 1962 Beethoven und 1963 der 1. Akt der "Walküre"). Wenn ich mir diese ansehe, verstehe ich trotzdem annähernd, was diesen Dirigenten ausmachte und ihn auf eine Art einzigartig machte. Sein Dirigierstil ist von geradezu majestätischer Erhabenheit. Keine Bewegung ist ohne Sinn und des bloßen Effekts wegen. Stets verneigte er sich übrigens nach jedem Konzert demütig vor dem Orchester. Sieht man in diesen Videos auch sehr schön. Daß er ein eitler Geck war, kann man ihm wirklich nicht anhängen. Trotz einiger verbaler Ausbrüche soll er doch sehr sängerfreundlich dirigiert haben.


    Wieso er übrigens so harsch war, soll – laut Wolfgang Wagner – darauf zurückgehen, daß er seine Tochter Anita [1919–1938] sehr früh aufgrund eines Gehirntumors verlor. Die war offensichtlich sowas wie sein Ein und Alles. Andreas Novak bezeichnet ihn als "ruppigen Humanisten", und ich meine, das trifft es ziemlich gut.


    Ich denke, "Kna" liebt man oder man findet ihn furchtbar. Dazwischen wird es wenig geben. Er galt vielen bereits in den 50ern als Relikt, das Wieland Wagner eher widerwillig und aus der Not heraus nach Bayreuth berief. Daß er noch Schüler des berühmten Richter in Bayreuth 1911/12 war, verbindet ihn direkt mit dem Uraufführungs-Dirigenten des "Rings". Vermutlich machte Richter auf Knappertsbusch auch einen enormen Eindruck, so daß man bei ihm wohl noch quasi den Klang Richters mithört. Sein Stil ist, gleich bei welchem Dirigenten, m. E. ganz dem Ideal des späten 19. Jahrhunderts verpflichtet. Mit Pathos geizt er nicht. Man vergleiche nur mal die 8. von Bruckner unter Knappertsbusch 1963 mit der von Carl Schuricht aus demselben Jahr. Dazwischen liegen Welten. Da Schuricht sogar älter war, kann man es auch nicht aufs bloße Alter schieben. Knappertsbusch steht eben für diesen alten Monumentalstil, wie man ihn schon in den 50ern und 60ern kaum mehr pflegte.


    LG
    Joseph
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    – Luís de Camões

  • Übrigens erwähnt der international anerkannte Musikkritiker und -kenner Prof. Joachim Kaiser in seinem interessanten Video-Blog Knappertsbusch in einem Atemzug mit Furtwängler bei den größten Beethoven-Dirigenten aller Zeiten. Offensichtlich stehe ich also mit meiner Einschätzung nicht ganz alleine da.

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    – Luís de Camões

  • Im Grunde alles was Knappertsbusch dirgiert trägt seine typische Handschrift und zeichnet sich durch seinen unverwechselbaren pathetischen Stil und die Erhabenheit der Tempi aus. Dabei gelingt ihm meistens das Kunststück, dennoch immense, musikalische Spannung aufzubauen. Das gilt auch für seine Beethoven-Interpretationen. Kna wurde aber immer in die Schublade des (Bayreuther) Wagner-Dirigenten gesteckt, dazu vielleicht noch ein wenig Bruckner. Dementsprechend wurde er von den Tonproduzenten auch eingesetzt und vom Publikum wahrgenommen. Deshalb sind leider seine vielen anderen hörenswerten Aufnahmen zu wenig bekannt. Es ist wieder einmal verdienstvoll, dass im Tamino-Forum diese hervorragenden Interpretationen dem Vergessen entrissen werden.
    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!


  • Die Langsamste überhaupt war's nicht. Asahina nahm sich jedenfalls 1992 mit dem Osaka PO noch eine halbe Minute mehr Zeit (11:25, 04:29, 06:00, 10:05). Das Finale ist... erstaunlich. Wenn man sich überlegt, dass Gardiner sechs Minuten braucht... Sehr durchhörbar natürlich, sehr akzentuiert. Das zweite Thema geht glatt als Adagio durch. :)

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Danke für den Hinweis.


    Asahina ist ein in Europa leider kaum bekannter Dirigent, der auch sehr hörenswerte Bruckner-Aufnahmen, teils in enorm hohem Alter, vorgelegt hat. Ob er ne Art "japanischer Knappertsbusch" war, glaube ich allerdings weniger.

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