Was mich an Igor Strawinsky fasziniert

  • Eigenartigerweise gibt es in dieser Threadserie noch keine Folge zu Igor Strawinsky - aber das ändern wir jetzt.
    Zwar gibt es einige Einzelthreads zu Werken des Komponisten - und auch einen "allgemeinen"
    Strawinsky heute - wieviel Biß hat er noch?
    Aber der hat scon einige Jahre auf dem Buckel und hat sich eigenlich eher zäh entwickelt. Aber vielleicht war es keine gute Idee einen Thread mit negativem Titel zu starten und zu hinterfragen ob Strainsky nicht bereits wieder unmodern wäre ?


    Daher gehe ich hier den umgekehrten Weg:
    Wer Interesse hat, der möge hier formulieren, was denn an Strawinsky so faszinieren für ihn sei - und dies mit Hinweisen auf Einzelaufnahmen belegen. Wir wollen allerdings nicht allzutief in Details von Werken eindringen, denn ich plane die bestehenden Threads zu Einzelwerken neu zu beleben, zu vertiefen und zudem neue zu starten.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Strawinsky hat ein unglaublich vielfältiges Werk geschaffen. Kaum eine Gattung, in der er nichts gesagt hätte. Kaum eine Tonsprache seiner Zeit, die er nicht beherrschte - tonal, erweitert tonal, frei atonal, zwölftönig.


    Leider kenne ich nur ein kleinen Bruchteil seiner Werke, allen voran natürlich die drei "großen drei", Sacré, Feuervogel, Petrouschka.


    Beim Sacré finde ich faszinierend, dass Strawinsky ein neues Ganzes geschaffen hat und sich dazu auch seine eigene Tonsprache für dieses Werk erfand: Rhythmik, Harmonik, Instrumentation - da ist so viel Neues, es ist schier unglaublich. Als ob einer aus dem Nichts eine Welt geschaffen hätte. Und dies alles mit einer Sicherheit, als ob er schon Jahre in diesem Stil komponiert hätte.


    Man bedenke: Auch ein Haydn hat Jahre gebraucht, bis er ein op. 20 schreiben konnte. Selbst bei einem Genie wie Mozarts lagen Jahre zwischen den frühen Klavierkonzerten bis zu den großen Werken dieser Gattung (ab Nr. 17? - wobei Nr. 9 vielleicht den entscheidenden Sprung markiert ...). Beethoven - man vergleiche die Klaviersonaten op. 2 mit den mittleren und den späten.


    Beim Sacré ist alles sofort da und beim ersten Wurf vollkommen und reif.

  • Immer wieder wundere ich mich, daß Stravinsky als Thema an sich nicht auf mehr Resonanz stösst, wo doch gerade die Komponisten des 20. Jahrhunders thematisch so ergiebig für Threads zu sein scheinen - selbst wenn man sie persönlich nicht mag.
    Aber vielleicht liegt es daran, daß Strawinsky den Anhängern der Moderne heute nicht mehr progressiv genug erscheint, und den Konservativen dennoch zu "modern" erscheint.
    Ich hingegen mag vieles von Strawinsky - auch wenn der Kurzstückmeister neulich in einem anderen Thread vermutete (oder habe ich das falsch in Erinnerung?) ich würde "le Sacre de Printemp als "verstörend" empfinden. Im Gegenteil: Die interessante Story in verbindung mit der entsprechenden Musik empfinde ich als sehr beeindruckend. Leider habe ich das Werk bis dato nur auf Tonträger gehört (Ich besitze 5 Aufnahmen davon).
    Strawinsky behauptete aber, diese Musik müsse man live höre um die ganze Wirkung zu verspüren. Mag sein.
    Ich habe lange darüber nachgedacht, warum ich Strawinsky akzeptiere, ja vielfach sogar mag. Das dürfte daran liegen, daß es des öfteren Musik von anderen Komponisten zitiert - und ich geradezu ein Faible für "Variationen und Zitate" habe.
    Im speziellen Falle stellen sie die Brücke zur Vergangenheit dar. Die Kombination mit ausgesprochen rhytmisch-aggressiven Elementen halte ich für gelungen und interessant.
    Kennengelernt habe ich Strawinskys Musik durch einige Aufnahmen, die Pierre Boulez vor Jahrzehnten für CBS (heute SONY) gemacht hat. Und natürlich kenne auch ich nur das Wichtigste...


    Ach ja, wad fasziniert mich ?
    Vielleicht, daß er seine eigene Tonsprache kongenieal mit jener von Komponisten aller Zeitalter zu vermischen verstand, und dabei weder die zitierten Werke zerstörte, noch seine eigene Identität aufgab.


    mit freundlichen Grüßen
    aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Aber vielleicht liegt es daran, daß Strawinsky den Anhängern der Moderne heute nicht mehr progressiv genug erscheint, und den Konservativen dennoch zu "modern" erscheint.


    Das glaube ich weniger - eigentlich sollte klar sein, dass Strawinsky zu den modernsten Komponisten seiner Zeit gehört?
    (Man bedenke auch, dass Schönberg sich über die Modernität Strawinskys lustig machte. Obwohl ja Schönberg auch recht modern war ... :D )
    Es ist vielleicht etwas viel Banaleres. Man muss bedenken, dass lange Zeit Mahler schief angehört wurde, weil er "zu stark auftrug". Strawinsky und Hindemith waren damals eher das Ideal an Gefühls-Askese. Auch der entschlackte Orchesterklang wurde als Gewinn gegenüber der Jahrhundertwende-Opulenz-Geschmacklosigkeit gesehen.


    Nun ist Mahler auf dem Gipfel der Beliebtheit, auch der Expressionismus wird weniger als übertrieben empfunden als vor ein paar Jahrzehnten. Dass dann die "kühlen Köpfe" Strawinsky und Hindemith etwas zurücktreten, scheint mir logisch.


    Gerade deshalb fasziniert mich aber dieser kritische Tonfall Strawinskys besonders - das ist durchaus "hochaktuell", auch wenn die "Klangmagier" immer wieder mehr "Ohs" im Publikum provozieren (betrifft jetzt auch die Gegenwartsmusik).

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  • An Strawinski fasziniert mich dies:
    1. Er ist der überragende Rhythmiker der Moderne!
    2. Die Farbigkeit seiner Musiksprache.
    3. Seine Vielseitigkeit.
    4. Er hat (wie Mahler und Janacek) eine Unverwechselbarkeit; man erkennt ihn sofort.
    Feuervogel, Pulcinella, Sacre: das kennt jeder (zur Not noch Apollon musagète). Aber Strawinski ist mehr: "Tango", "Ebony Concerto", "Ragtime": hier spielt er mit der Jazz-Musik. Auch seine sinfonische Stücken haben mich überrascht, als ich sie das erste Mal hörte, z.B. die Sinfonie in drei Sätzen. Sein Violinkonzert, vor allem gespielt von Hilary Hahn (auf CD; ich habe es auch einmal live in Düsseldorf gehört), ist mit dem von Britten und der "Seelenwanderung" von Janacek noch vor allen klassischen Violinkonzerten mein Lieblingsviolinkonzert. Für großen Chor hat er die "Psalmensinfonie" geschrieben; ich selbst habe öfter zwei kleine Werke von ihm im Chor gesungen: "Ave Maria" und "Paternoster". Einfach gesetzt, aber gerade deshalb so faszinierend. Die sollten alle Taminochorsänger ihrem Dirigenten vorsetzen. Aber der kennt das bestimmt.
    Zu seinen Opern habe ich ein gespaltenes Verhältnis: eine Vorstufe zu einer Art Oper ist natürlich "L´histoire du soldat" für Sprecher und obligate Instrumente, das ist ein tolles Stück. "Oedipus Rex" kenne ich kaum, "The Rake´s Progress" ist doch etwas langweilig. Aus Aix-en-Provence habe ich 2010 einen Strawinski - Abend mit den Einaktern "Renard" und "Le chant du Rossignol" auf Video aufgenommen: eine absolute Entdeckung. Es waren halt auch keine Regietheaterergüsse dort zu beklagen; Sänger, Musiker und Tänzer harmonierten.
    Wie Arnold Schönberg ist dann leider auch Strawinski zur 12Tontechnik konvertiert (ein Ausdruck, den ich bewusst wähle, um das Fundamentalistische dieser Wahl zu verdeutlichen). Diese Werke höre ich nie.
    Fazit: Strawinski ist für mich (neben Janacek, Bartok, Britten, Schostakowitsch, Prokofiew) der Beweis, dass moderne Musik aufregend sein kann auch ohne 12Tontechnik. Mit diesen anderen Komponisten ist somit Strawinski ein Klassiker im besten Sinne.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Wie Arnold Schönberg ist dann leider auch Strawinski zur 12Tontechnik konvertiert (ein Ausdruck, den ich bewusst wähle, um das Fundamentalistische dieser Wahl zu verdeutlichen). Diese Werke höre ich nie.
    Fazit: Strawinski ist für mich (neben Janacek, Bartok, Britten, Schostakowitsch, Prokofiew) der Beweis, dass moderne Musik aufregend sein kann auch ohne 12Tontechnik.


    :D
    Es gibt aber sehr viel aufregende moderne Musik ohne Zwölftontechnik, da braucht man nicht den - wie bereits festgestellt ohnehin auch Zwölftöner - Strawinsky als Beweis.


    Das Einzige, das man gegen Strawinskys Zwölftonphase einwenden kann, wäre, dass er damit nicht Begründer einer Strömung wurde, sondern nur Mitschwimmer. Aber er hat vorher schon genug Strömungen verursacht
    :yes:
    um als einflussreichster Komponist des 20. Jahrhunderts in Frage zu kommen.


    Sein Mitschwimmen im Zwölftonrudel zeigt doch gerade, dass er nicht Fundamentalist war und verstört alle fundamentalistischen Zwölftongegner. Sein offenes Interesse auch noch im hohen Alter wird belegt dadurch, dass er u.a. Stockhausens Gruppen für eines der besten Stücke von damals hielt.


    Ich habe noch nicht wirklich angefangen, die Strawinsky-dirigiert-sich-selbst-Box durchzuhören, freue mich aber schon, einen detaillierteren Überblick über diesen musikgeschichtlichen Hauptmeister zu bekommen - ich kenne aber schon aus allen Schaffensphasen tolle Werke. Persönlich sehe ich im Feuervogel eher Schwachstellen als im Requiem canticles - aber das ist Nörgeln auf so hohem Niveau, dass ich es eigentlich unanständig finde.
    :)

  • Ich habe jetzt nicht die alten threads nachgeschaut; bei der momentanen User-Zusammensetzung des Forums ist kein allzugroßes Wunder, dass sie nicht aktiv sind.


    Ich glaube aber, dass sie nur deswegen vielleicht kürzer ausgefallen sind als etwa solche zur Zwölftonmusik, weil Stravinsky der vielleicht am breitesten akzeptierte Komponist des 20. Jhds. ist. Nicht dass Einzelwerke von Gershwin, Orff oder Rodrigo populärer wären. Aber die auf einer einseitigen Sicht der Musikgeschichte und Konkurrenz beruhende Ablehnung Stravinskys durch Schönberg, Adorno und vielleicht einige in deren Nachfolge wird wohl heute von kaum jemandem mehr geteilt. Mir fällt kein Dirigent ein, der sich nur für die 2. Wiener Schule eingesetzt, aber Stravinsky u.a. nicht dirigiert hätte (umgekehrt aber z.B. Ansermet). Musiker wie Abbado oder Boulez, die z.B. Shostakowitsch, Britten u.a. weitgehend ignorieren, vielleicht weil sie sie nicht modern/interessant genug finden, haben viele Werke Stravinskys mehrfach und in hoher Qualität eingespielt. Und durch seine stilistische Vielfalt ist für jeden was dabei ;)


    Demgegenüber blähen sich threads zur 2. Wiener Schule oft dadurch auf, dass jedermann meint, hier seine Vorurteile anbringen zu müssen ("dogmatisch", "mathematisch" usw.), dann entsprechend Kontra gegeben wird usw.


    Auch interessant ist die obige Bemerkung von KSM zum antiromantischen Gestus sehr vieler Werke Stravinskys. In Zeiten, in denen Bruckner, Mahler, Schostakowitsch so populär sind wie niemals zuvor, in denen spätestromantische oder expressionistische Werke (mitunter Schinken) rehabilitiert? werden, die Jahrzehnte fast vergessen waren (zB Zemlinsky, Schreker und wenigstens auf CD auch Marx, Haussegger usw.) mag es sein, dass die teilweise erhebliche Trockenheit und "Emotionsarmut" bei Stravinsky (jedenfalls nach den ersten drei Balletten, der Nachtigall und einigen weiteren recht frühen Werken), ein mitunter dünner, herber oder spröder Klang deswegen etwas in den Hintergrund geraten sind.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • :D
    Sein Mitschwimmen im Zwölftonrudel zeigt doch gerade, dass er nicht Fundamentalist war und verstört alle fundamentalistischen Zwölftongegner.


    Ich glaube, lieber Kurzstückmeister, dass diese Retourkutsche nicht ganz berechtigt ist. Ein Fundamentalist ist in der Kunst, in der Politik, der Wissenschaft und der Religion jemand, der den Stein der Weisen gefunden zu haben glaubt, und zwar ausschließlich. Alle anderen werden abgelehnt, ja sogar verteufelt. Fundamentalismus geht auch immer einher mit Mission, denn alle anderen liegen ja falsch und müssen bekehrt werden.


    Diese Definition trifft auf die Komponisten der 12Tontechnik zu, da sie die ganze Musikgeschichte und andere Komponisten nur verhöhnt und nicht akzeptiert haben. Der Unerbittlichste unter den Theoretikern war ja Adorno. Aber auch Boulez ließ sich nach einer Anekdote so vernehmen: "Alle Komponisten, die nicht 12tönig komponieren, sind nutzlos!" Worauf der amerikanische Komponist Ned Rorem gesagt haben soll: "Streichen Sie das Wort 'nicht' und ich bin einverstanden!".


    Ich aber, und viele Gegner der 12tonmusik hier im Forum, sind keine fundamentalistischen Gegner (dazu ist z.B. mein theoretisches Wissen auch nicht ausreichend): uns gefällt einfach diese Musik nicht. Provokant gesagt: Stockhausen, Schönberg (II), Strawinski (II) stehen bei mir in einer Linie mit Karl Ditters von Dittersdorf, Louis Spohr, Heinrich von Herzogenberg, Udo Jürgens, Roy Black, Eduard Künneke, Franz Lszt, Elton John: mir gefällt es nicht, ich finde es langweilig und daher höre ich andere Sachen. Unter den großen Religionen gibt es eine, die nicht fundamentalistisch alleinseligmachend ist: der Buddhismus. In punkto Musikgeschichte würde ich mich auch etwas hochtrabend als Buddhisten bezeichnen.


    Übrigens glaube ich, Kurzstückmeister, dass du in diesem Sinne auch kein Fundamentalist bist. Das kann man ja deinen Beiträgen entnehmen.

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    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Ich glaube, lieber Kurzstückmeister, dass diese Retourkutsche nicht ganz berechtigt ist. Ein Fundamentalist ist in der Kunst, in der Politik, der Wissenschaft und der Religion jemand, der den Stein der Weisen gefunden zu haben glaubt, und zwar ausschließlich. Alle anderen werden abgelehnt, ja sogar verteufelt. Fundamentalismus geht auch immer einher mit Mission, denn alle anderen liegen ja falsch und müssen bekehrt werden.


    Diese Definition trifft auf die Komponisten der 12Tontechnik zu, da sie die ganze Musikgeschichte und andere Komponisten nur verhöhnt und nicht akzeptiert haben. Der Unerbittlichste unter den Theoretikern war ja Adorno. Aber auch Boulez ließ sich nach einer Anekdote so vernehmen: "Alle Komponisten, die nicht 12tönig komponieren, sind nutzlos!"


    Naja, ich weiß nicht ... wenn man behauptet, nur tonale Musik sei das Wahre, dann ist das genauso "fundamentalistisch". Außerdem ist der Satz "Diese Definition trifft auf die Komponisten der 12Tontechnik zu, da sie die ganze Musikgeschichte und andere Komponisten nur verhöhnt und nicht akzeptiert haben" mit Sicherheit falsch. Was soll das mit der "ganzen Musikgeschichte"? Das ist doch wirklich Quatsch ...


    Und ich weiß von keinem Komponisten, der 12-tönig komponiert hat, und keine nicht-12-Töner akzeptiert hätte. Schönberg schätzte durchaus Schoeck, der ja wohl eher konservativer war als der Strawinsky der neoklassizistischen Phase (also Strawinsky III).


    Ich verstehe diese offenbare Wut auf die 12-Tontechnik überhaupt nicht. In den 20er bis 40er-Jahren war das ein Minderheitenprogramm, das man durchaus unter Artenschutz hätte stellen können. In den 50er-Jahren gab es ein wenig einen Boom, der aber in den 60ern schon wieder nachließ. Heute komponiert auch fast niemand in 12-Tontechnik.


    Einer der führenden Vertreter der 12-Tontechnik der 50er und 60er-Jahre war ... Strawinsky - nicht Boulez. Letzterer komponierte damals zuerst seriell und dann mit seiner persönlichen Wucherungstechnik. Das vermeintliche Boulez-Zitat ergibt wenig Sinn. Entweder es ist falsch, oder in früher Jugend geäußert oder sinnfreie Polemik. Das hat aber mit seiner Bedeutung als Komponist gar nichts zu tun.


    Das mit der "Verhöhnung der Musikgeschichte" musst Du mir mal näher erklären.
    :D

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  • Wir können natürlich jetzt endlich mal einen langen Stravinsky-thread dadurch erzeugen, dass wir wieder seltsame Aussagen über die 12Tontechnik und ihre Vertreter (mit/ohne Stravinsky) diskutieren, anstatt über Stravinsky und seine Werke (gleich ob 12tönig oder nicht) usw. :rolleyes:


    Gerade Schönberg und Webern waren ausdrücklich "geschichtsbewusst" und bewunderten die "Großen" der Vergangenheit in ziemlich konservativer Weise. Flapsigkeiten über Beethoven, Wagner oder Brahms wie von Debussy oder Stravinsky wird man von ihnen kaum finden.

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  • Auf Strawinsky bin ich im Kino aufmerksam geworden; und zwar bei einer Wiederaufführung von Walt Disneys "Fantasia". Zu diesem sehenswerten Musikfilm wurde damals eine neue Tonspur erstellt, die die vom Klang her veralteten Originalaufnahmen mit Leopold Stokowski ersetzte (Sakrileg!). In "Fantasia" nun gibt es eine Episode, in der vom Aussterben der Dinosaurier berichtet wird - unterlegt mit einer stark bearbeiteten Fassung des "Sacre". Neugierig geworden, begann ich nun Vaters Plattenschrank nach einer "richtigen" Aufnahme des "Sacre", aber auch nach Stokowski-Originalaufnahmn zu durchstöbern. Für beide Künstler, den Komponisten und den Dirigenten, begann ich mich nun nachhaltig zu interessieren. Nicht jeder Kinobesuch zieht einen derartigen Gewinn nach sich...


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    Da Alfred am Anfang des Threads vorgeschlagen hatte, auch besondere Aufnahmen zu benennen, will ich hier mal mit gutem Beispiel vorangehen:


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    Unter den Dutzenden von "Sacre"-Aufnahmen mein Favorit. Mit Sicherheit eine der wuchtigsten Interpretationen dieses Jahrhundertwerks, die sich Zeit nimmt, um ihre volle Wirkung zu entfalten. (Auch aufnahmetechnisch sehr empfehlenswert.)


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    Der Klassiker der "Histoire du Soldat" darf natürlich nicht unerwähnt bleiben.


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    Diese erschwingliche Box mit von Strawinsky selbst dirigierten Werken ist schon fast unerlässlich, wenn man sich genauer mit dem Komponisten und seiner Sicht auf die eigenen Werke auseinandersetzen will.

  • Zitat

    mag es sein, dass die teilweise erhebliche Trockenheit und "Emotionsarmut" bei Stravinsky (jedenfalls nach den ersten drei Balletten, der Nachtigall und einigen weiteren recht frühen Werken), ein mitunter dünner, herber oder spröder Klang deswegen etwas in den Hintergrund geraten sind.


    Es mag viele verwundern - aber ich persönlich habe Strawinsky weder als spröe noch als emotionsarm empfunden - im Gegenteil. " Das Frühlingsopfer" als Beispiel ist eine mitreissende, toll instrumentierte Story, welche äusserst publikumswirksam ist - wie schon die Geschichte der Uraufführung so drastisch beweist. Und ich meine das NICHT höhnisch...


    Petrouchka - welche Musik


    Und auch den Feuervogel empfinde ich - im Gegensatz zu KSM - nicht als "schwach"
    Aber das mag vielleicht auch daran liegen, daß ich mich Musik völlig anders nähere als er.


    Mich interessiert die Struktur des Werkes weniger als die Wirkung auf die Zuhörer. Und letztere ist in der Regel bei Strawinsky - beeindruckend.....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Und auch den Feuervogel empfinde ich - im Gegensatz zu KSM - nicht als "schwach"


    Na, na, ich habe nirgendwo geschrieben, dass ich den Feuervogel "schwach" fände, wenn jemand den Feuervogel "schwach" findet, riskiert er, von mir nicht ernst genommen zu werden.
    ;)
    Für mich ist Strawinsky in der ersten Reihe (also dort, wo Haydn, Mozart und Beethoven sind, bei Strawinskys Zeitgenossen außerdem etwa Schönberg und Bartok) - wenn der Feuervogel auch dem Sacre unterlegen ist, so ist er immer noch eines der wichtigsten Werke dieser Zeit. "Schwach" ist was anderes ...

    Zitat

    die Wirkung auf die Zuhörer


    Die ist aber bei jedem Zuhörer anders ... aber es stimmt schon, dass der Feuervogel auch Leute beeindrucken kann, die sonst nichts mit Klassik am Hut haben, jedenfalls die bekannte Kastschej-Stelle.
    :hello:

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  • Es mag viele verwundern - aber ich persönlich habe Strawinsky weder als spröe noch als emotionsarm empfunden - im Gegenteil. " Das Frühlingsopfer" als Beispiel ist eine mitreissende, toll instrumentierte Story, welche äusserst publikumswirksam ist -


    Ich schrieb ja auch: "teilweise erhebliche Trockenheit und "Emotionsarmut" bei Stravinsky (jedenfalls nach den ersten drei Balletten, der Nachtigall und einigen weiteren recht frühen Werken)". Zwar ist auch der Barbaro-Stil von LeSacre nicht in dem Sinne emotional wie Wagner, R. Strauss, Puccini oder Schönbergs "Erwartung". Aber mit "trocken" hatte ich hauptsächlich Sachen wie zB Geschichte vom Soldaten und spätere neoklassizistische Werke wie Sinfonie in C oder in drei Sätzen, Violinkonzert usw. im Blick.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
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    (Bob Dylan)

  • Aber mit "trocken" hatte ich hauptsächlich Sachen wie zB Geschichte vom Soldaten und spätere neoklassizistische Werke wie Sinfonie in C oder in drei Sätzen, Violinkonzert usw. im Blick.


    Hallo Johannes,


    die Sinfonie in drei Sätzen möchte ich aber mit der Bezeichnung "trocken"eindeutig herausnehmen.
    :thumbsup: Als ich das Werk zum ersten Mal gehört habe (in der Aufnahme mit Strawinsky auf meiner CBS-LP) hat es mir total "die Socken ausgezogen". Sowas wäre mit einem trockenen Werk gewiss nicht möglich.
    Heute bevorzuge ich auf CD die Dutoit-Aufnahme im audiophilen Decca-Sound. :thumbup: Whow, ist das ein Werk ( :angel: genau meine Musik) - aber alles andere als trocken !

    Gruß aus Bonn, Wolfgang


  • die Sinfonie in drei Sätzen möchte ich aber mit der Bezeichnung "trocken"eindeutig herausnehmen.
    :thumbsup: Als ich das Werk zum ersten Mal gehört habe (in der Aufnahme mit Strawinsky auf meiner CBS-LP) hat es mir total "die Socken ausgezogen". Sowas wäre mit einem trockenen Werk gewiss nicht möglich.
    Heute bevorzuge ich auf CD die Dutoit-Aufnahme im audiophilen Decca-Sound. :thumbup: Whow, ist das ein Werk ( :angel: genau meine Musik) - aber alles andere als trocken !


    Ich meinte "trocken" nicht abwertend!
    Aber Du hast völlig recht, dass dies auf die Sinf. in drei Sätzen nicht in der Weise zutrifft, wie auf die stärker "pseudobarocken" Sachen wie Violinkonzert, Dumbarton Oaks usw. Die Sinf. in drei Sätzen ist sehr dramatisch, fast schon wieder "neoromantisch". Ich mag die trocken-witzigen Stücke aber ebenfalls ganz gern. Das "Ebony Concerto" wäre für mich auch so ein Fall: Pseudo-Barock + Pseudo-Jazz, spritzig und witzig.

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  • Oedipus Rex,
    Opern-Oratorium in 2 Akten von Igor Strawinsky.
    Text nach Sophokles vom Komponisten und Jean Cocteau.
    Lat. Übersetzung von Jean Daniélou.
    Uraufführung konzertant: 30.5.1927 Paris, Théâtre Sarah Bernhardt, mit Hélène Sadoven • Stepan Belina-Skupiewski • Lanskoy • Capiton Zaporoshetz,
    Dirig. I. Strawinsky;
    erste Bühnenaufführungen Wien, Staatsoper am 23.2.1928
    mit Hermann Gallos • Rosette Anday • Josef von Manowarda • Franz Markhoff • William Wernigk • Viktor Madin,
    Dirig. Franz Schalk,
    am gleichen Tag (23.2.1928 ) Kroll-Oper Berlin mit Caspar Koch • Sabine Kalter • Emanuel List • Oscar Kalman • Bernhard Bötel • Martin Abendroth • Heinrich Schnitzler (Sprecher),
    Dirig. Otto Klemperer.


    LG


    :hello:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Mich fasziniert sein Opfer. - wenn es denn richtig interpretiert wird. Und das scheint nicht so leicht zu sein. Ich habe eine Aufnahme, die ich momentan nicht finde (Siehe hier den Thread "Preferenzen.... - offensichtlich habe ich zuviele CDs) und ich habe es auch schon live gesehen bei meinem LSO mit Spanjaard, den ich ja sehr verehre. Das fand ich alles so mittel. So ich weiß nicht recht. Dann kam Bernstein aus der Jackett Collection und da ging es echt rund. Das archaische kam richtig gut rüber und es war, nun ja, ungewöhnlich.Wobei man sich das Wort "ungewöhnlich" ruhig mal auf der Zunge zergehen lassen sollte. Denn das ist wohl sein Alleinstellungsmerkmal.
    Ungewöhnlich ist wohl auch seine Psalmensynfonie. - Aber die fasziniert mich nicht. Sie erscheint mir viel zu rational, zu ersonnen. Und das wiederum ist etwas, das ich bei ihm öfter erlebe. Es erscheint mir dann "Kopfmusik" zu sein. Für mich hat er den Grat tatsächlich nur mit dem Opfer getroffen (wobei ich die Opern nicht kenne).


    Aber es ist ja auch so eine Sache mit großen Neuerern. Wenn das Neue sich durchgesetzt hat, sieht man mit ganz anderen Augen drauf. Und wenn das Revolutionäre wegfällt, so gerät auch jemand wie Strawinsky eher in die Kategorie "Mainstream". Und da muss man sich erst mal hervorheben.
    Insofern denke ich, dass die Strawinskyzeit zum Teil einfach vorbei ist.
    Klaus
    :stumm:

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

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  • Und wenn das Revolutionäre wegfällt, so gerät auch jemand wie Strawinsky eher in die Kategorie "Mainstream".


    Strawinsky war eben so einflussreich, dass sein persönlicher Stil ein Zeitphänomen hunderter Komponisten wurde. Übrigens: ein betont kalter, "rationaler" Stil. Das ist schon Absicht. Momentan scheinen sich viele Klassikfreunde schwer damit zu tun. Vielleicht mal weniger Mahler hören ...
    :stumm:

  • Zufällig stieß ich auf dieses Foto von Strawinsky - durch und durch faszinierend war er für mich auch durch seine Erscheinung.



    il_1140xN.1065027537_ivlj.jpg

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ein halbes Jahrhundert ist es her, dass Igor Stravinsky (1882-1971) gestorben ist.


    Übrigens: Er war 1 Meter 60 cm gross.


    "Um Musik zu hören, muss man seine Ohren öffnen und auf Musik warten", sagte Igor Strawinsky einst. „Zuhören ist Anstrengung; blosses Hören keine Leistung – auch eine Ente kann hören." Das hatte ich lange Zeit als Fussnote meiner Beiträge. 8)


    Nun, seine Aussage, ob Enten, meine Lieblingstiere, Musik nicht verstehen, weiss ich nicht mit 100 %iger Sicherheit zu beantworten.

    Dass Zuhören ein aktiver, bewusster und anstrengender Akt ist, da bin ich mir sicher.


    Was mich an seinen Kompositionen fasziniert, ist seine grosse Vielfalt der Stile. Es gibt die Bezeichnung "Chamäleon der Musik" für den Komponisten Strawinsky. Er hat sich immer wieder gewandelt, neu orientiert.


    Wolfram hatte es in seinem Beitrag 2 erwähnt, mit welchem musikalischen Material, Tonsystemen und Methoden, er sich beschäftigt hatte: "tonal, erweitert tonal, frei atonal, zwölftönig". Das finde ich bemerkenswert.


    In seinen 89 Jahren, in denen er auf der Erde weilte, hat er sich nie auf seinen Lorbeeren ausgeruht und hat sich anderen Musikstilen zugewandt und einen Haken geschlagen, den man nicht von ihm erwartet hätte. Damit hat er es sich sicherlich nicht leicht gemacht. Und blieb sich darin treu.


    Emotionsarmut? Ich glaube die Aussage trifft nicht auf jedes seiner Werke zu. Ein Sacre du Printemps lässt wohl wenige kalt. Weder das Publikum der Uraufführung noch einen Hörer, der ihn zum ersten Mal hört. Ich möchte festhalten, ich verwechsle Ursache und Wirkung nicht. Ich seh die Gefühle, die seine Musik auslöst, als die beiden Seiten der gleichen Medaille. Die Emotion ist in die Partitur hineinkomponiert. Ob's mich als Hörer ergreift oder nicht, hat mit meinen Hörerfahrungen und meiner Neugierde zu tun.

    -

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928