09.09.2011 (Musikhalle Hamburg) Opening Night mit Thomas Hengelbrock und dem NDR-Sinfonieorchester

  • Mit dem "Sommer" geht nun auch die Festspielsaison zuende und die Konzert- und Opernhäuser öffnen sich wieder dem Abonnementpublikum. So auch in Hamburg, wo kommenden Donnerstag die reguläre Konzertreihe des NDR-Sinfonieorchesters beginnt. Doch zuvor hatte sich der neue Chefdirigent Thomas Hengelbrock (der zuletzt mit seiner musikalischen Interpetation des "Tannhäuser" ein, wie ich finde, sehr überzeugendes, aber aufgrund des Regiedebakels viel zuwenig beachtetes Bayreuth-Debut ablieferte) etwas ganz besonderes ausgedacht:


    Zusammen mit dem NDR-Sinfonieorchester und den Gesangssolisten Camilla Tilling, Ute Gfrerer und Kevin Greenlaw wurde das Publikum der ausverkauften Musikhalle unter dem Motto "Anything goes" zu einer musikalischen Reise beginnend im frühen 18.Jhdt bis hinein ins 20.Jhdt geladen. - Das Programm:


    I.Teil


    C.P.E.Bach, Sinfonie D-Dur Wq183.1 "Hamburger"
    G.P.Telemann, Konzert D-Dur für 3 Trompeten, 2 Oboen, Streicher und Pauken
    G.F.Händel, Suite aus "Almira" (zusammengestellt von Thomas Hengelbrock)


    II.Teil


    L.v.Beethoven, Sinfonie Nr.3 Es-Dur op.55 "Eroica"


    III.Teil


    G.Gershwin, Cuban Ouverture
    C.Porter, Highlights aus "Anything goes"



    Bekanntlich gilt Thomas Hengelbrock als ausgewiesener Barock-Experte und somit befand sich das (entsprechend verkleinerte) Orchester im ersten Konzertteil in sicheren Händen:


    Zum Aufwärmen also barocke "Gebrauchsmusik" mit Bezug zur Hansestadt. Doch bereits hier meinte ich, eine neue Nuance im Orchesterklang zu vernehmen. Eine Art der Brillianz und vor allem Schlankheit, die ich in den vielen, zumeist großartigen Konzerten unter den bisherigen Chefdirigenten (Blomstedt, Gardiner, Dohnányi und natürlich der unvergessliche Günter Wand) so noch nicht gehört hatte. - Die Frage des Abends war somit gestellt: Wird es einen neuen Hamburger Klang geben?


    Eine kleine Entdeckung dann die Bach-Sinfonie (nicht zu Verwechseln übrigens mit der ersten der sechs Hamburger-Sinfonien Wq182):



    Wer beim ersten Satz (Allegro di molto) nicht die an einem windigen Tag aufgewühlte Elbe an seinem geistigen Auge vorbeifliessen sieht, der kann kein Hamburger sein ;) Überhaupt ist es immer wieder überraschend, wie eigentlich unkonventionell und innovativ, ja fast modern in dieser Zeit komponiert wurde!


    Herausragend im Telemann-Konzert die drei Solotrompeten (J.Berwaerts, S.Graf, B.Läubin). Das Stück selber vielleicht etwas unspektakulär; vor allem im Vergleich zum Konzert für ebenfalls drei Trompeten, Pauken und Orchester, welches ich - in der Annahme, dass ebendieses gespielt würde - in den vergangenen Tagen einige Male gehört hatte:



    Ein Highlight dann Camilla Tillings samtweicher Sopran besonders in der Arie "Sanerà la piaga" aus Händels erster Oper "Almira", welche der damals 19(!)jährige für das Opernhaus am Gänsemarkt komponierte.



    Nach der ersten Pause dann mit Beethovens "Eroica" der Dreh- und Angelpunkt des Abends: Das HIP auch mit einem großen Symphonieorchester funktionieren kann, hat u.a. Norrington in Stuttgart bereits bewiesen:



    Und auch dem NDR-Sinfonieorchester war zumindest in den Sätzen I (ganz hervorragend musiziert), III und IV, wenngleich noch nicht die Routine, aber doch die Bereitschaft, mit dem neuen Chef auch neue Wege zu beschreiten, deutlich anzuhören. Der Eindruck des ersten Teiles hatte mich also nicht getäuscht. - Trotzdem, der Marcia funebre kam so langsam daher, dass es fast buchstabiert wirkte und insgesamt schien es ein wenig so, dass Hengelbrock es mit dieser Sinfonie an diesem großen Abend besonders gut machen wollte, jedoch das Resultat (noch) nicht vollständig überzeugen konnte. Mein Konzertbegleiter brachte in der Nachschau die, wie ich fand sehr passende Charakterisierung des "akademischen musizierens" ins Spiel. Das es freier und also weniger akademisch geht, konnte ich im übrigen in der vergangenen Saison mit Schumanns "Rheinischer" erleben, welche von Dirigent und Orchester absolut hinreissend präsentiert wurde:



    Der dritte Teil, es war inzwischen halbzehn am Abend, begann mit Gershwin und seiner Cuban Ouverture: Das Haus passend in rot-blaues Schummerlicht getaucht, die Sapo Cubano, die Bongo, der Kürbis und die Maracas prestigeträchtig vor das Orchester platziert und dann los! Nach dem Arbeits- und Achtungserfolg im zweiten Teil war der Mannschaft nun die Entspannung und die Spielfreude des ersten Teils wieder anzumerken:



    Inspiriert durch einen Kurzurlaub auf Kuba (in den 40er und 50er Jahren des letzten Jahrhunderts die Partyinsel nicht nur des amerikanischen Mittelstandes, sondern auch der amerikanischen Mafia) hat der Komponist hier eine echten Gassenhauer abgeliefert. Meine Empfehlung für den kommenden Winter: Ein Glas guten Rums und dieses Stück!


    Zum Abschluss des Abends dann noch einige Stücke aus Cole Porters "Anything goes":



    Stimmlich etwas dünn der Bariton Kevin Greenlaw, dafür umso beeindruckender das singende Orchester! Die NDR-Sinfonikerinnen und Sinfoniker waren sich nämlich keineswegs zu schade, etwa bei "Bon Voyage" oder "Where are the men?" nicht nur instrumental, sondern auch stimmlich ihr bestes zu geben :thumbsup:


    Und so ging denn ein, mit vier Stunden zwar außergewöhnlich langer, aber nie langweiliger Konzertabend zuende, der neugierig auf Kommendes gemacht hat. So wird sich bereits am kommenden Donnerstag zeigen müssen, wie der hier bewiesenen Schwung unter echten Arbeitsbedingungen gehalten werden kann: Im ersten Abonnementskonzert am 15.09.2011 steht dann u.a. Bruckners 6.Symphonie A-Dur auf dem Programm - und da liegt die Hamburger Meßlatte seit Günter Wand schon recht hoch!


    Und wer nun das Ganze einmal selber nachhören oder -sehen will, kann dies unter


    http://www.ndr.de/ndrkultur/programm/audio85733.html
    http://liveweb.arte.tv/de/vide…nieorchester_Hengelbrock/


    tun. Ich wünsche dabei viel Vergnügen!

    mfG Michael


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