Von idiomatischen und weniger idiomatischen Interpretationen

  • Neulich wurde der Begriff "idiomatisch" im Forum "analysiert" und dann wurde diskutiert, was denn in der Musik nun "idiomatisch" überhaupt bedeute, wer hier die Regeln aufstelle was denn nun idiomatisch sei- und was nicht.
    Als Beispiel einer idiomatischen Interpretation habe ich jene von Paul Badursa Schubert ins Treffen geführt, worauf Ullrich konterte


    Zitat

    Wer bestimmt denn, was idiomatisch ist? Wenn Badura-Skoda Schubert spielt, ist's idiomatisch wienerisch - mag schon sein, aber ist es auch das wienerische Idiom des Jahrs 1820??? Wenn nicht, was bringt dann die ganze Idiomatie?


    Eine gute Frage, die mir einen ganzen Thread wert ist.
    Eigentlich sind es ja gleich mehrere Fragen - und ich werde versuchen sie teilweise zu beantworten, bzw eine Näherung an eine Antwort zu suchen....


    Zitat

    Wer bestimmt denn, was idiomatisch ist?


    Wissenschaftlich gesehen eigentlich niemand - Aber vor allem die entsprechende Gruppe in der das Idiom beheimatet ist.
    Und auch hier ist die Sensibilätät dafür unterschiedlich ausgeprägt.


    Wenn ich beispielsweise Schwyzerdeutsch rede - und meine Imitation ist gut , so wirde ein Österreicher -und vermutlich auch ein Deutscher die vielleicht für authentisch halten. Ein Schweizer jedoch wird entsetzt das Weite suchen (oder aber - je nach Temperament - lachen) weil er das Unidiomatische meiner Sprache heraushört. - Ein Fake gewissermaßen.


    Zitat

    aber ist es auch das wienerische Idiom des Jahrs 1820???


    Vermutlich nicht - aber vermutlich nah dran. Bei Badura-Skoda ist das durchaus möglich, weil er sich ja auch musikwissenschaftlich betätigt hat.
    Diejenigen, die das aber in letzter Konsequenz beurteilen könnten sind schon lange tot - und somit ist die Frage nach dem Jahre 1820 nicht mehr wirklich von Relevanz.


    Zitat

    Viel öfter begegnet uns das Wort in der Kombination "unidiomatisch" oder "völlig unidiomatisch", und ich habe den Eindruck, wenn einem Kritikaster gegen eine tolle Aufnahme, die er unbedingt verreißen will, alle Argumente ausgehen, dann holt er den großen Holzhammer heraus. Dann ist Harnoncourts Brahms oder Krivines Dvorak eben "völlig unidiomatisch" und prompt indiskutabel


    Das sehe ich nicht so.
    Es wird Werke geben, wo eine idiomatische Wiedergabe eher anzustreben ist.
    Und es wird Werke geben, wo dies weniger von Bedeutung ist.
    Es wird ferner Interpreten geben, die mittels unidiomatischer Wiedergabe zu interessanten Egebnissen kommen - andere werden das Werk dadurch zustören.
    Wenn Lorin Maazel beim Neujahrskonzert Wiener Walzer dirigiert - dann ist das (trotz Wiener Philharmoniker) nicht idiomatisch - Gut ist es aber trotzdem.


    Vielleicht wollt ihr das Thema an Hand existierender Tonbeispiele fortführen ?


    mit freundlichen Grüßen
    aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • "idiomatisch" weist ja auf einen weiteren sprachähnlichen Aspekt der Musik. Nur diesmal eben nicht auf einen, der mit Bedeutung zu tun hat. Sondern auf lokale oder regionale Besonderheiten. Vielleicht besteht eine gewisse Spannung hier zur ebenfalls immer wieder behaupteten Universalität der Musik. Einig ist man sich aber wohl weitgehend, dass nicht jede Musik gleichermaßen empfindlich gegenüber unidiomatischen Lesarten ist.
    Am plausibelsten ist die Forderung bei mehr oder minder explizit "regionaler" Musik: Strauss-Walzer, vieles von Dvorak oder Smetana, oder auch Janacek und Bartok.
    Musik bis Beethoven ist m.E. einerseits meist zu "international" gewesen, andererseits ist sehr zweifelhaft, ob lokale Traditionen über fast 200 Jahre tradiert worden sind. (Die Unterschiede zwischen "französischem" und "italienischem Stil" im Barock sind ja nicht an diese Länder gekoppelt, und überdies, sofern sie über den Notentext hinausgehen, mehr oder minder "rekonstruiert", da es keine ungebrochene Tradition dieser Stilrichtungen bis ins 20. Jhd. gibt.) Warum sollten Wiener (oder Salzburger, oder vielleicht doch eher Prager) eine besondere Affinität zu einer italienischen Oper Mozarts besitzen? Die Originalsprache ist nicht deutsch, es wird keine lokal verankerte Volksmusik oder eine sonstige regionale Tradition verwendet usw.


    Schubert mag ein Grenzfall sein, er ist zwar nicht viel älter als Strauss sen., aber der entsprechende Kaffeehauston beschränkt sich doch auf einige Stücke; einige seiner frühen Sinfonien sind dagegen von Rossini beeinflusst und insgesamt ist Beethovens Musik sicher wichtiger für ihn als Ländler und Walzer. Ebenso Chopin: polnisch oder doch auch ein wenig französisch? Tschaikowsky warfen seine russischen Kollegen vor, er komponiere nicht "russisch" genug... Auf Chopin und Liszt berufen sich überdies zu viele, oft ganz unterschiedliche Schüler, Enkel- und Urenkelschüler, als dass man da sicher sein könnte, *eine* Traditionslinie zu haben. Dass es dennoch so etwas geben kann, ist freilich aber auch nicht auszuschließen.


    In der Oper des 19. Jhds. sieht das vielleicht anders aus.Hier sind die Unterschiede, teils auch im Gesangsstil? zwischen den französischen (und da wieder Grand Opera vs. Opera comique), italienischen und deutschen Traditionen wohl deutlich zu belegen (vielleicht kann da ein Opernexperte was drüber sagen).

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Für idomatisches Singen gibt es bekannte Beispiele. So hat Gottlob Frick nie den Ochs im "Rosenkavalier" gesungen, eine Traumpartie für jeden Bassisten, für die Frick aufgrund seiner profunden Tiefe prädestiniert gewesen wäre. Er hat wahrscheinlich zu Recht erkannt, dass er als Sänger, der sein Schwäbisch nie ganz verleugnen konnte, das Wienerische nicht glaubhaft darstellen konnte. Er war auch der Meinung wenn es große österreichische Interpreten wie z. B. in seiner Zeit Otto Edelmann und Oskar Czerwenka für den Ochs gäbe, dann müsse er die Finger von dieser Partie lassen, obwohl er sie in Dresden zum großen Teil studiert hat. Selbst der Rekord-Ochs Kurt Böhme, angeblich 532 mal als Ochs auf der Bühne , hatte zumindest in Wien Schwierigkeiten, seine Erfolge dort zu wiederholen. Ur-Wiener fanden sein nachgemachtes breites "Weanerisch" mit unüberhörbar sächsischem Anklang eben überhaupt nicht idiomatisch und damit schrecklich. Kurt Moll, der ebenfalls ein großer Darsteller des Ochs wurde, studierte die Partie sprachlich mit einer Wienerin ein und hatte Erfolg.
    Tonbeispiele sind: Otto Edelmann in der Karajan-Aufnahme von 1956 und Kurt Böhme in der Böhm-Aufnahme 1959 und unter Keilberth in München 1965. Wer hier vergleicht wird feststellen, wie wichtig idiomatisch stimmendes Singen und rollendeckende Darstellung sind.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Ich freue mich, dass operus dieses Thema anhand des Rosenkavaliers aufgreift. Ich habe im Forum woanders schon geschrieben, dass damals der Baden-Badener "Rosenkavalier" mit Renée Fleming ein vollkommen anderes Stück war: bewunderswert die Leistung der Fleimg, aber in meinen Augen nicht die Marschallin. Auf dem Theater gibt es eine Parallele: ich kann mir z.B. hier im Ruhrgebiet einen nestroy, der nicht mit Winer Schauspielern besetz ist, gar nicht vorstellen. Die Frage ist natürlich, ob dies der Regelfall oder die Ausnahme ist.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Letztens hat es mich einigermaßen belustigt, als ein englischer - oder war es ein amerikanischer - Kritiker eine CD eines anglophonen Chors mit deutschen Chorwerken besprach und dabei betonte, wie „in hohem Maße idiomatisch“ die deutsche Aussprache dieses Chors doch sei. Das kannst gerade Du beurteilen, dachte ich mir.


    Was gibt das „Idiom“ für diesen Fall her? Doch nur die Abwesenheit von unidiomatischen Abweichungen von einer wie auch immer gearteten Normaussprache. Offen bleibt hier, wer die Normaussprache definiert - in Deutschland dürften dies in erster Line die Hannoveraner sein, oder?


    Andererseits: In der neuen Einspielung von Berlioz‘ Requiem unter Paul McCreesh lässt dieser seine Horden französisches Lateinisch singen und entspricht damit der Kirchenpraxis der Uraufführungszeit vor Ort in Paris (fällt vor allem beim „u“ = „ü“ auf). Ist das jetzt eine idiomatische oder völlig unidiomatische Aussprache - idiomatisches Kirchenlatein kann doch schließlich nur in Rom gesprochen worden sein, oder?


    Operus schließt daraus, dass Ort und Zeit der Handlung mit Wien um 1740 angegeben werden, eine von der bundesdeutschen Normaussprache abweichende Wienerische Ausspracheeinfärbung sei notwendig, um den Ochs glaubhaft darzustellen, Dr. Pingel kann sich einen Nestroy jenseits einer Wienerischen Besetzung nicht vorstellen. Warum? Der Rosenkavalier wurde in Dresden uraufgeführt, warum also nicht sächsisch? Trägt die lokale Einfärbung der Aussprache irgendetwas zur Handlung bei? Wäre das Ganze weniger witzig, wenn die Aufführung des Rosenkavaliers Ort und Zeit der Handlung nach Dresden um 1740 verlegen würde und alle Sächseln statt Weanern? Oder ist das Wienerische Idiom bei Hofmannsthal und Nestroy so bestimmend für das Verständnis des Stücks, dass gesächselt ein völlig anderes Stück herauskäme, die Anpassung nicht mehr akzeptabel erschiene?

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  • Beim Rosenkavalier kommt es natürlich keineswegs darauf an, was in Wien 1740 üblich gewesen sein könnte (damit hat das Stück nur wenig zu tun, wahrscheinlich hätten die Höflinge damals eher französisch als breites Weanerisch gesprochen), sondern auf die Aufführungs- und Besetzungstradition des Stücks seit 1911!


    Ich würde übrigens relativ hohe Wetten darauf abschließen, dass keiner hier im Forum im Doppelblindtest zur Unterscheidung von Walzern o.ä. aus Neujahrskonzerten von Mehta, Muti, Maazel, Boskowsky, Welser-Möst eine hohe Trefferquote hätte. Harnoncourt (obgleich Wiener) würde man vielleicht heraushören, weil der mit Absicht anders ist, aber sonst... So schwierig sind die Verzögerungen und leichten rhythmischen Verschiebungen nun auch nicht, dass das ein kompetenter Dirigent nicht hinbekäme, zumal das Orchester die Sachen zum zigsten Mal spielt.


    Das frankophone Latein ist bei einigen Ensembles schon länger üblich, noch häufiger bei älterer Musik (MA bis Barock). Ich finde es ziemlich gewöhnungsbedürftig, aber es wird schon historisch korrekt sein.

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  • Und warum fällt der Name Carlos Kleiber nicht. Ich halte die Wette.


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Und warum fällt der Name Carlos Kleiber nicht. Ich halte die Wette.


    Weil ich da zutrauen würde, zu identifizieren, habe ich den mit Absicht weggelassen. Das hat aber mit idiomatisch gar nix zum tun, sondern mit Personalstil.

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  • Beim Rosenkavalier kommt es natürlich keineswegs darauf an, was in Wien 1740 üblich gewesen sein könnte (damit hat das Stück nur wenig zu tun, wahrscheinlich hätten die Höflinge damals eher französisch als breites Weanerisch gesprochen), sondern auf die Aufführungs- und Besetzungstradition des Stücks seit 1911!


    Unter Leopold I., Joseph I. und Karl VI. war Italienisch Hofsprache in Wien, soweit ich mich entsinne. Erst mit Maria Theresia und "ihrem" Franz Stephan von Lothringen kam das Französische in die Kaiserstadt. Ab wann dann das richtige Wienerisch so richtig aufkam, wäre mal interessant zu klären. Könnte mir vorstellen, daß das unter Joseph II. war, der ja die deutsche Sprache besonders betonte.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Zur Zeit des Rosenkavaliers gab es den Walzer noch nicht, jedenfalls nicht in der von R. Strauss verwendeten Form. Ganz zu schweigen von den eingesetzten Instrumenten. Was soll da also idiomatisch sein?


    Dieses Stück zeigt hervorragend die Künstlichkeit der Gattung "Oper".

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  • Zur Zeit des Rosenkavaliers gab es den Walzer noch nicht

    Walzer ist, zur Erinnerung, eine traditionelle Tanzform im Dreivierteltakt, die eine Hochzeit zu Zeiten der Strauß- und Lanner-Dynastien hatte. Diese sind es auch, die üblicherweise in Neujahrskonzerten vorwiegend dargebracht werden und von denen Johannes berichtete:

    Unterscheidung von Walzern o.ä. aus Neujahrskonzerten

    Die schludrig platzierte dritte Zählzeit im Takt wird hierfür gern als kennzeichnend betrachtet und eine unwienerisch platzierte Drei wäre dann prädestiniert für das vernichtende Urteil "unidiomatisch" - das passiert in Wien im Goldenen Saal des Musikvereins den Wiener Philharmonikern "natürlich" nur dann, wenn es herbeigezwungen wird (vgl. Harnoncourt).


    Aber obwohl, wie Johannes meint, das so schwer doch gar nicht sein kann, gibt es einen prominenten Gegenbeweis, den sogar ich als nicht nur unidiomatisch, sondern gar als grottenschlecht ansehe: Leonard Bernstein spielt diese Musik mit seinem New Yorker Orchester so unsagbar unsensibel, undelikat, platt, dass es kaum zum Aushalten ist ... ich kann diese CD einfach nicht wieder weggeben, mein Fimmel fürs Hässliche ist zu ausgeprägt. Ein schönes und erwartungswidriges Beispiel fürs Unidiomatische.

  • Lieber Ullrich,


    Du bringst es auf den Punkt. Natürlich könnte der "Rosenkavalier" auch in Dresden oder sonstwo spielen. Dann wäre sächsisch idiomatisch stimmend. Nur wenn das Werk irgendwo angesiedelt wird, dann sollte die Inszenierung und auch die Interpreten so weit wie möglich Identitäten zum Ursprungsort schaffen.
    Über die Entstehung des Werkes lese ich gerade: "Strauss, der seit Jahren ein geeignetes Libretto für eine komische Oper suchte, war von der Aussicht auf eine bunte fast pantomimisch durchsichtige Handlung mit drastischer Komik angesiedelt in Wien unter Maria Theresia so angetan, dass er öffentlich ankündigte, sein nächstes Bühnenwerk werde eine "Mozart-Oper" sein." ( Briefwechsel mit Hugo von Hofmannsthal).
    Der Wien-Bezug ist also von Anfang an gegeben. Die Österreicher haben den "Rosenkavalier" auch längst als eine Nationaloper okupiert. Diesen Anspruch in irgend einer Form in Frage zu stellen halte ich für gefährlich. Niemand streitet leidenschaftlicher für die Oper als die Wiener. Da sind wir im Tamino-Forum dagegen echte Friedensengel. Also, lieber Ullrich, Vorsicht vor den streitbaren Massenanhängern der Oper aus und in Wien. :hello:
    Herzlichst
    Operus

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  • Diesen Anspruch in irgend einer Form in Frage zu stellen halte ich für gefährlich. Niemand streitet leidenschaftlicher für die Oper als die Wiener.

    ;( schluck :whistling: Diese Risiken waren mir in ihrer Deutlichkeit nicht gewärtig. Sollte es hierfür noch früh genug sein, ziehe ich meine unmaßgeblichen und oberfrechen Erwägungen zur Thematik sächselnder Rosenkavalier mit dem Ausdruck des ehrlichen Bedauerns umgehend zurück.
    ...
    :yes: ... sooo is' brav ...

  • Der Punkt ist doch ganz einfach, dass im Kontext des "Rosenkavalier" "idiomatisch" nichts mit 1740 zu tun hat, sondern mit der nunmehr hundertjährigen Aufführungstradition der Oper seit 1911, völlig egal, wann dieses Mozart-JosefStrauss-Zuckerguss-Rokoko historisch situiert sein soll. Musikalisch ist es am Anfang des 20. Jhds. situiert, mit Verneigung vor Mozart und dem Wiener Walzer.


    Die Walzer-Idiomatik bezog sich nicht auf Rosenkavalier, sondern aufs Neujahrskonzert mit den richtigen Sträußen.)
    Natürlich kann man die Walzer unidiomatisch spielen. Aber viele Nichtwiener können sie idiomatisch spielen. Wenn es kein Copyrightproblem wäre würde ich Euch einfach mal 6 oder 8 Versionen vom Donauwalzer irgendwo ohne Interpretenangabe hochladen und wäre gespannt auf die Ergebnisse... (Verantwortung für etwaige Hirnschäden nach achtmal hintereinander Donauwalzer würde ich ebenfalls nicht übernehmen wollen...)

    Struck by the sounds before the sun,
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    (Bob Dylan)

  • In der Oper des 19. Jhds. sieht das vielleicht anders aus.Hier sind die Unterschiede, teils auch im Gesangsstil? zwischen den französischen (und da wieder Grand Opera vs. Opera comique), italienischen und deutschen Traditionen wohl deutlich zu belegen (vielleicht kann da ein Opernexperte was drüber sagen).


    Damit deutetst Du auf einen Punkt, lieber Johannes, den ich für ausserordentlich diskussionsbedürftig halte.
    Uns ist inzwischen etwas das Sensorium für die spezifischen Idiome der verschiedenen nationalen Stile in den Operntraditionen des 19. Jahrhunderts verloren gegangen.
    Wir bejubeln Frau Freni für ihre Juliette und Herr Corelli für seinen Romeo, obwohl wir zu den Noten von Gounod eigentlich Giulietta und Manrico gehört haben.
    Gerade las ich eine vergleichende Besprechung verschiedener Gesamtaufnahmen der Carmen und da wurde der Karajan-Aufnahme mit Price, Freni, Corelli , Merrill (keine Frage: alle vier sind in bester stimmlicher Verfassung und bieten eindrückliche Gesangsleistungen) die Aufnahme von Cluytens mit Michel, Angelici, Jobin und Dens gegenübergestellt und an diesem Beispiel deutlich gemacht, was einem Werk wie Carmen verloren geht, wenn keiner der beteiligten Sänger in der französische Gesangstradion steht, sich den französischen Gesangsstil anverwandelt hat und sich im französischen Idiom auszudrücken versteht.


    Ich habe hier im Forum schon wiederholt versucht, dafür zu werben, dass wir neu lernen sollten, was das französische Idiom ausmacht und erfordert.
    Besonders intensiv haben wir das in dem Thread diskutiert, in dem "der beste Chapelou" gesucht wurde.



    Der beste Chapelou?


    Manchen war eigentlich nur wichtig, dass es einer sein müsste, der ordentliche hohe C's und D's schmettern kann. Für die Frage, ob der Tenor eine idiomatische Besetzung der Partie wäre, gab es nur wenig Interesse - genau genommen eher gar keines!
    Als Favoriten des Einen oder des Anderen wurden Harald Neukirch, Jean van Ree, Joseph Traxel, Adolf Dallapozza, Heinz Hoppe, Horst Wilhelm und andere Tenöre genannt, sie sicher ihre Qualitäten haben, aber denen durchweg das französische Idiom ganz fremd ist. Wenn sie den Chapelou singen, klingt das im besten Falle nach Flotow oder Lortzing. Ihnen fehlt schon die Vertrautheit mit dem französischen Gesangsstil, vor allem aber die Manier, mit der Franzosen so einer Partie Leben einhauchen.
    Wenn es um die Aufführung von franzöischen Opern aus dem 18. Jahrhundert geht, dann empfinde ich Interpretationen nur als wirklich idiomatisch, wenn die Sänger sie auch im französischen Gesangsstil singen, der nun mal sehr anders ist als der italienische oder der deutsche Gesangsstil!
    Und zu einer idiomatischen Interpretation gehört dann ganz wesentlich auch, dass die Sänger das mit der typisch französischen Leichtigkeit, mit einem eigenen Charme, mit genauem rhythmischem Timing und einem spezifischen Raffinement tun.
    Vor allem gehört dazu, dass die Interpreten Töne und Phrasen zu färben und zu modellieren verstehen, und - ganz wichtig - Gesangslinien bis in die letzten Schwingungen des letzten Tones ausklingen lassen.


    Es hat immer Sänger gegeben, die das französische Idiom überzeugend beherrscht haben obwohl sie nicht im französischen Sprachraum aufgewachsen sind. Nicolai Gedda ist das beste Beispiel.
    Aber in unserer heutigen globalisierten Welt scheint die Notwendigkeit, sich in verschiedene Idiome hinein zu arbeiten und hinein zu leben, verloren gegangen zu sein.
    Ein Pavarotti hat sich sicherheitshalber nicht oft über die Grenzen des italienischen Repertoires hinaus begeben
    aber ein Domingo hat über 100 Partien gesungen: italienische, deutsche, spanische, französische, russische...- aber wenn man sie hört, muss man feststellen, dass er eigentlich immer italienischer Tenor geblieben ist (wenn man mal von seinen Zarzuela-Interpretationen absieht!).


    Ich betrachte es wirklich als Verlust, dass wir kaum noch franzöische Opern mit Künstlern zu hören bekommen, die in dem geforderten Idiom zu Hause sind. Natürlich gibt es einige - aber viele sind es nicht!



    Caruso41



    .

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

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    Ich betrachte es wirklich als Verlust, dass wir kaum noch franzöische Opern mit Künstlern zu hören bekommen, die in dem geforderten Idiom zu Hause sind. Natürlich gibt es einige - aber viele sind es nicht!


    Hallo, Caruso41!


    Das ist doch genau der Grund, warum in dem Thread über den besten Chapelou Sänger wie Josef Traxel, Adolf Dallapozza, John van Kesteren u. A. genannt wurden. Natürlich war Nicolai Gedda mit seinem Gesangsstil dem französischen Ideal am Nächsten. Aber heute gibt es, wie Du schon andeutest, kaum noch "französische Tenöre". Mir fallen im Moment nur Roberto Alagna, Marcello Alvarez und Juan Diego Florez ein, die dem Ideal, das Du forderst, vielleicht entsprechen.



    Gruß Wolfgang

    W.S.

  • Aber heute gibt es, wie Du schon andeutest, kaum noch "französische Tenöre". Mir fallen im Moment nur Roberto Alagna, Marcello Alvarez und Juan Diego Florez ein, die dem Ideal, das Du forderst, vielleicht entsprechen.


    Da kann ich Dir nur zustimmen: Alagna ist im französischen Idiom zu Hause wie seit Vanzo wohl kein anderer Tenor. Leider werden seine Leistungen zunehmend durch da immer unschöner werdende Timbre beeinträchtigt. Ich bin mir nicht sicher, ob das auf technische Probleme zurückzuführen und eventuell zu behenem ist. Aber das wäre in diesem Thread auch nicht das Thema.


    Alvarez beherrscht immerhin den französischen Gesangsstil und er hat eine Ahnung davon, was französische Partien erfordern. Seine "Asil heriditaire" (Guilaume Tell) ist großartig gelungen. Nur leider hat er sich inzwischen drauaf verlegt mit einem dramatischen Alfresco-Singen die Teile des Publikums für sich zu gewinnen, denen es primär um Laustärke und den seismischen Schock langgehaltener hoher Töne geht. Ironie des Schicksals: Hohe Töne schafft er kaum noch!


    Was ich bisher von Florez gehört habe im französischen Fach klang sehr differenziert und sensibel aber nicht wirklich "in dem Idiom zu Hause". Ob er ein Nadir, Mylio oder Faust wäre, den man idiomatisch nennen düfte, kann ich nicht absehen. Sein Tonio in der "Fille du Regiment" klingt auch in französischer Sprache eher italienisch. Macht nichts! Und bei Rossinis französischen Opern ist er sicher richtig, denn der typisch französische Stil hat sich ja doch erst etwas später ausgeprägt.


    Nicht vergessen sollte man vielleicht John Osborn! Gut im französischen Fach finde ich auch Joseph Calleja!
    Und - in Deutschland merkwürdig wenig wahrgenommen: Yann Beuron, der zwar ein typisches Leichtgewicht ist, aber nun wirklich alles bringt, was man sich in den Partien der französischen Opern von Mehul, Gretry, Adam, Auber und so weiter erwartet - bis hin zu Offenbach (da allerdings leider nicht als Hoffmann vorstellbar!) .


    Besser ist die Lage bei Sopranen und Mezzos. Verheerend, wenn man Bässe sucht! Da hat van Dam eine riesige Lücke hinterlassen.




    Ich werde mir heute Abend den Faust mit Mireille Berthon, Cesar Vezzani und Marcel Journet anhören!
    Freue mich schon drauf!


    Beste Grüße




    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


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  • Beim Rosenkavalier kommt es natürlich keineswegs darauf an, was in Wien 1740 üblich gewesen sein könnte (damit hat das Stück nur wenig zu tun, wahrscheinlich hätten die Höflinge damals eher französisch als breites Weanerisch gesprochen), sondern auf die Aufführungs- und Besetzungstradition des Stücks seit 1911!


    Ich würde übrigens relativ hohe Wetten darauf abschließen, dass keiner hier im Forum im Doppelblindtest zur Unterscheidung von Walzern o.ä. aus Neujahrskonzerten von Mehta, Muti, Maazel, Boskowsky, Welser-Möst eine hohe Trefferquote hätte. Harnoncourt (obgleich Wiener) würde man vielleicht heraushören, weil der mit Absicht anders ist, aber sonst... So schwierig sind die Verzögerungen und leichten rhythmischen Verschiebungen nun auch nicht, dass das ein kompetenter Dirigent nicht hinbekäme, zumal das Orchester die Sachen zum zigsten Mal spielt.


    Das frankophone Latein ist bei einigen Ensembles schon länger üblich, noch häufiger bei älterer Musik (MA bis Barock). Ich finde es ziemlich gewöhnungsbedürftig, aber es wird schon historisch korrekt sein.

    Harnoncourt (obgleich Wiener ;) ) hat mMn seine besten Walzer mit dem Concertgebouw aufgenommen...


    'Idiomatisch' würde ich in der Musik nicht nur im rein sprachwissenschaftlichen Sinne verstehen wollen. Das drohte auf eine Verengung des Begriffs auf mundartliche Eigenheiten hinauszulaufen, wie die Diskussion hier zeigt. Beim Rosenkavalier ist es geradezu augenfällig, wie die von Dir erwähnte Aufführungs- und Besetzungstradition ein 'Idiom' im erweiterten Sinne ausbilden kann. Darüber hinaus ist m. E. die geistesgeschichtliche Rezeption der Werke ein wesentlicher Faktor für das Entstehen 'idiomatischer' Kriterien bei der Aufführung von Musik. Insgesamt meine ich aber, daß 'Idiomatik' in der musikalischen Sprache nicht ganz so wichtig ist. Manchmal hat sie Charme und Berechtigung, manchmal mag sie einen auch nerven.


    :hello:

  • Harnoncourt (obgleich Wiener ;) ) hat mMn seine besten Walzer mit dem Concertgebouw aufgenommen...


    'Idiomatisch' würde ich in der Musik nicht nur im rein sprachwissenschaftlichen Sinne verstehen wollen. Das drohte auf eine Verengung des Begriffs auf mundartliche Eigenheiten hinauszulaufen, wie die Diskussion hier zeigt. Beim Rosenkavalier ist es geradezu augenfällig, wie die von Dir erwähnte Aufführungs- und Besetzungstradition ein 'Idiom' im erweiterten Sinne ausbilden kann. Darüber hinaus ist m. E. die geistesgeschichtliche Rezeption der Werke ein wesentlicher Faktor für das Entstehen 'idiomatischer' Kriterien bei der Aufführung von Musik. Insgesamt meine ich aber, daß 'Idiomatik' in der musikalischen Sprache nicht ganz so wichtig ist. Manchmal hat sie Charme und Berechtigung, manchmal mag sie einen auch nerven.


    Da bin ich ganz Deiner Meinung; ich selbst hatte zuerst gar nicht an mundartliches gedacht, jedenfalls nicht an Ochs, Frosch, Papageno usw. Sondern nur an die Parallelen, wobei der Zusammenhang manchmal schon recht deutlich gegeben ist. Wiederum dachte ich aber nicht an Schmäh und Slapstick, sondern außer Wiener Walzer an die zB bei der Musik Janaceks oder Bartoks behaupteten Zusammenhänge zwischen Eigenheiten in Betonung und Prosodie des Tschechischen oder Ungarischen und Rhythmik und Phrasierung der Musik oder an das, was inzwischen von Kundigeren zur franz. Oper ausgeführt wurde.
    Auch von Freunden der italienischen Oper wird vielen Dirigenten aus anderer Tradition ja zuweilen eine gewisse Steifheit oder zu "dickes" Klangbild vorgeworfen.
    Andererseits fand mancher Wagnerianer die Präzision, Transparenz und Klarheit von Boulez' Wagnerdirigaten unidiomatisch.
    Freilich ist das auch ein Begriff, mit dem sich auf alles einprügeln lässt, was einem nicht gefällt oder nicht so klingt, wie seit Jahrzehnten gewohnt. Des einen Entschlackungskur ist des anderen Bilderstürmerei...


    (Harnoncourts Strauss mit dem Concertgebouw kenne ich nicht, ich habe aber die Berliner Strauss-CD eigentlich in besserer Erinnerung als das Neujahrskonzert. Das finde ich fast wichtiger als Beleg für die Banausität großer Teile des dortigen Publikums, die anscheinend noch nie Webers "Aufforderung zum Tanz" gehört hatten und vorhersebarerweise in die Coda reinapplaudierten :D)

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  • Zitat von Ullrich

    Der Rosenkavalier wurde in Dresden uraufgeführt, warum also nicht sächsisch? Trägt die lokale Einfärbung der Aussprache irgendetwas zur Handlung bei? Wäre das Ganze weniger witzig, wenn die Aufführung des Rosenkavaliers Ort und Zeit der Handlung nach Dresden um 1740 verlegen würde und alle Sächseln statt Weanern? Oder ist das Wienerische Idiom bei Hofmannsthal und Nestroy so bestimmend für das Verständnis des Stücks, dass gesächselt ein völlig anderes Stück herauskäme, die Anpassung nicht mehr akzeptabel erschiene?


    Dass man so etwas überhaupt fragen kann...
    Kannst du dir Karl Valentin, Weiß Ferdl oder Willy Millowitsch in Hochdeutsch oder in irgendeiner fremden Mundart vorstellen?


    Nestroy sächselnd - wie soll das mit den vielen wienerischen Sprachelementen gehen? Man müsste die Stücke förmlich übersetzen - dann vielleicht. Aber man kann das Problem ohnehin an so mancher modernen Inszenierung beobachten. Das moderne Theater tut sich sehr schwer mit Nestroy und Raimund, man will ganz bewusst "modernisierte" Versionen auf die Bühne bringen, was dann aber oft auch eine Art sprachliches Niemandsland mit sich bringt, was den Stücken viel von ihrem natürlichen Zauber nimmt.


    Ähnliches gilt für den Rosenkavalier. Wenn du dir die Mühe nimmst und ins Libretto schaust, wird dir auffallen, dass man Hofmannsthals wienerische Kunstsprache nicht einfach sächseln kann, ohne bei den Sachsen höchst ungewollte Heiterkeitsausbrüche zu riskieren. Nur wenn der Text sprachlich adaptiert würde, könnte man die ganze Geschichte nach Dresden verpflanzen. Das wäre aber ein nicht unbeträchtlicher Aufwand ...


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


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  • Wenn du dir die Mühe nimmst und ins Libretto schaust...


    Danke, Theophilus, dass Du mir zuvor gekommen bist. Das Textbuch lässt eine andere Verortung als Wien gar nicht zu. Nicht nur wegen der Sprache und des Stils. Es gibt da ja auch noch die historischen Bezüge vor allem im Zusammenhang mit Faninal. Was sollte das denn für eine Armee sein, die in den Niederlanden steht und mit deren Belieferung er seinen neuen Reichtum scheffelt, würde die Handlung schlicht nach Dresden verlegt? Die geplante Verbindung des heruntergekommenen Landadels mit dem aufstrebenden Frühkapitalismus ist schließlich auch nur im österreichischem Kontext zu verstehen. Die Oper würde kleiner gemacht, wollte man sie ihrer politischen Dimension berauben. Nun gibt es in der Tat Inszenierungen des Rosenkavalier, die irgendwo in der Gegenwart spielen. Das ist natürlich blanker Unsinn und Ausdruck einer beklagenswerten Unbildung.


    Ich würde die Frage nach der idiomatischen Interpretation immer in größere Zusammenhänge stellen.


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Dass man so etwas überhaupt fragen kann...

    :no: aha, schönen Dank, lieber Herr Gottlieb, für die freundliche Herabwürdigung. Aber im Bewusstsein meiner beklagenswerten Unbildung gestatte ich mir, noch einmal auf einen zweiten Themenzweig neben Straussens Rosenkavalier zurückzukommen.


    Bei Walzern von Strauß und Lanner, bei Bartok und Janacek, bei Dvorak und Smetana erhellt sofort, dass aus dieser Musik und mit ihr ein jeweils spezielles Idiom spricht, das über die musikalische Aussage hinausweist auf eine tatsächliche oder angenommene Sozialisation oder Lokalisierung. Diese Musik kann unidiomatisch gespielt werden und trotzdem kann die Interpretation gut sein - oder auch schlecht.


    Aber was hat es damit auf sich, wenn jemand behauptet, eine Interpretation einer Brahms-Sinfonie oder einer solchen von Beethoven, Schumann, etc. pp. sei unidiomatisch. Hat da jemand Brahms' Ursprünge in Hamburger Shanties und sonstigen Schiffahrtsliedern entdeckt? Hat der kritisierte Dirigent genau diese volkstümliche Grundlage nicht hinreichend herausgearbeitet? Oder hätte die unidiomatische Interpretation von Schumanns Dritter mehr Weinseligkeit und Loreley-Gesang offenbaren müssen?


    Gibt es also ein reinmusikalisches Idiom? Was ist das Idiom bei solcher Musik, die nicht irgendwo in der Volksmusik offen hörbar Ihre Wurzeln trägt? Kann - um zur Ausgangsfrage in Beitrag Nr. 1 zurück zu kommen - ein Kritiker mit Recht behaupten, jemand habe eine Brahms-Sinfonie unidiomatisch gespielt?

  • Zitat

    Kann - um zur Ausgangsfrage in Beitrag Nr. 1 zurück zu kommen - ein Kritiker mit Recht behaupten, jemand habe eine Brahms-Sinfonie unidiomatisch gespielt


    Ja natürlich - Ich würde sogar sagen , daß Brahms eine sehr gutes Beispiel ist (ich selber dacht daran es eventuell zu bringen) weil er ja gewissermaßen ZWEI Heimaten hatte, die nordische, und die selbstgewählte Wiener Wahlheimat.
    Einem größeren Unterschied kann man sich im deutschen Sprachraum kaum denken.
    Und ich meine, daß es zumindst ZWEI idiomatisch richtige Möglichkeiten gibt, Brahms zu interpretieren.
    Die knorrige norddeutsche, und die warmtönende füllige Wiener Sichtweise.
    Das schliesst weitere Möglichkeiten nicht aus, ein Brahms voll Italianitá ist zumindest für mich indes nur schwer vorstellbar....


    Vielleicht hat jemand schon bemerkt, daß idiomatisch oder unidiomatisch an sich keine qualitative Wertung darstellt - und wenn - dann gilt sie nur in einem bestimmten Kulturkreis. Ich kann mir nur schwer vorstellen, daß ein Londoner Musikliebhaber dieses Brahms-Beispiel zur Glaubensfrage machen wird...
    Ein Wiener, Berliner oder ein Hamburger jedoch schon.


    Die Wiener, die "ihren" Schubert "wienerisch" interpretiert haben wollen, werden bei mancher Aufnahme zu anderen Schlüssen und Beurteilungen kommen, als der durchschnittliche Mitteleuropäer...


    Idiomatische Interpretation ist eine "gewisse" Qualität - was aber nicht sagen soll, daß es nicht Alternativen dazu gibt.
    Eine gewisse - nämlich die betroffene - Gruppe wird indes in dieser Hinsicht vorbelastet und parteiisch sein......


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !