Hallo zusammen,
Leos Janaceks wohl berühmteste Oper, 1904 uraufgeführt, hat einen eigenen Thread verdient, wie ich finde. Ich eröffne ihn einmal auf ungewöhnliche Art und Weise, nämlich nicht mit einer Einführung, sondern mit Eindrücken einer Aufführung an der Frankfurter Oper am vergangenen Freitag, Eindrücke BTW, um deren Mitteilung mich auch ThomasBernhard gebeten hat - ich komme gerne der Bitte nach
Es war eine unglaublich gute Aufführung, in jeder Hinsicht. Tilmann Knabe, einer der Lieblings-Dresch-Regisseure von Feuilleton und Publikum (erinnert sei an die Verrisse seines Hamburger "Trovatore"), hat eine hochkonzentrierte, ganz und gar ruhige, aber auch hochspannende Inszenierung geschaffen, in der es keine einzige überflüssige Bewegung zu geben schien und die man doch mindestens nochmal sehen muss, um jedes Detail aufnehmen zu können. Knabe nutzt gemeinsam mit seinem Bühnenbildner Alfred Peter nie die ganze Bühne. In Anlehung an den fast filmhaften "Schnitt" der Musik Janaceks (eine Eigenschaft, die sich zu der Zeit so ausgeprägt nur noch bei Schreker findet) ist seine Inszenierung quasi "großes Kino". Der Vorhang ist eine Art Filmblende, die sich zum Vorspiel langsam öffnet und den Blick auf ein ausgesprochen detailreich wirkendes, auf den ersten Blick "klassisches" Bühnenbild freigibt (freilich weder in der ganzen Bühnenhöhe noch -tiefe, vielmehr ein Ausschnitt der Bühne, der etwa einer Leinwandgröße entspricht). Durch einen rein weissen Hintergrund und eine Beleuchtung, die zum Teil von unten kommt, entsteht der Eindruck fast zweidimensional komponierter Bilder, die den Blick immer genau dahin lenken, wo er hingehört.
Die Personenführung, wie gesagt, ist sehr sparsam, sehr reduziert, aber zugleich sehr ausdrucksstark und sehr "natürlich" (selten ein Ensemble gesehen, dass komplett so selbstverständlich spielte wie hier). Im zweiten Akt ist der Bühnenausschnitt noch viel kleiner als im ersten, nur die ganz enge, beengte Stube der Küsterin. Erst im letzten Akt weitet sich nach und nach der Raum, um bei dem Liebesschluss (man spielt gottseidank die von Mackerras und Tyrell wiedereingerichtete Brünner Fassung) sich zunächst ganz zuu verschliessen und dann zu einem riesigen weissen Rechteck aufzublenden, in das die Liebenden quasi gezogen werden (optisch). Durch die optische Begrenzung und bewusste Beschränkung des Bühnenraums wird auch die Enge und die Starre, in der die Figuren gefesselt sind, klar herausgearbeitet.
Es war auch ein begeisternder Abend, weil es um die musikalische Seite exzellent bestellt war. Der taiwanische Dirigent Shao-Chia Lü (amtierender GMD in Hannover) hat das Museumsorchester Frankfurt auf Janaceks typisch knorrigen Ton eingestellt, versteht es, zwischen den harten Akzenten und den weit schweifenden Linien auszubalancieren und wichtige Details wie das fatals Xylophon-Klopfen im ersten Akt genau im rechten Maß in den Vordergrund zu stellen. Hörbar fühlt er sich in Janaceks Partitur zu Hause, weiss darum, Janaceks Orchesterklang auszutarieren und die von Janacek nachempfundenen volkstümlichen Töne im rechten Maß Aufmerksamkeit zu verschaffen. Dazu ist Lü ein unglaublich aufmerksamer Sängerdirigent, der nicht nur hochkonzentriert die Sänger führt, sondern auch ausgesprochen reaktionsschnell und flexibel auf diese reagieren kann. Eine Aufführung, in der es zwischen Graben und Bühne nicht einen Moment lang wackelt, ist die Folge, und das Museumsorchester folgt Lü hingebungsvoll, man merkt, die Musiker wissen, dass sie sich auf Lü verlassen können und sind daher bereit, ihm alles zu geben, wozu sie in der Lage sind.
Die Sängerriege wird, wie doch so häufig in der Jenufa, überstrahlt von der ungemein intensiv gespielten Küsterin der Nadine Secunde, die beim Schlussapplaus denn auch am allermeisten abräumte. Kein keifendes Weib, sondern eine von ungeheuren Ängsten und Selbstzweifeln geplagte Frau, fast manisch nach dem Mord an Jenufas Kind, groß in dem Moment, in dem sie ihre grauenhafte Tat eingesteht. Mit Ann-Marie Backlund steht ihr eine zu Beginn etwas blasse, erst im zweiten Akt aufblühende und sich dann umso mehr verzehrende Jenufa zur Seite. Das Damentrio wird trefflich komplettiert von June Card, die der alten Buryia Würde und einen gehörigen Schuss Altersweisheit zu geben vermag. Yves Saelens in der Höhe sehr stabiler Tenor ist genau recht für den draufgängerischen Steva, und Stuart Skeltons etwas phlegmatische Erscheinung (hier Typ: gutmütiger Brummbär) passt in Verbindung mit seinem jedenfalls am besuchten Abend sehr klaren und ausgeruhten Tenor hervorragend zu Laca. Aus dem restlichen Ensemble ragte Franz Mayers sonorer Altgesell ebenso heraus wie die präzise Leistung des von Alessandro Zuppardo einstudierten Chores.
Kurzum: Das lohnt sich. Nächste Spielzeit gibt es diese ausgesprochen sehenswerte Produktion an der Oper Frankfurt wieder. Wer nicht hingeht (wie das Frankfurter Publikum, das in der besuchten Vorstellung das Haus höchstens zu 2/3 füllte), ist eigentlich selber schuld....
Beste Grüsse,
C.