Du kennst den Text von Brenner, ich kenne ihn auch. Wir sind nach der Lektüre zu unterschiedlichen Eindrücken gelangt. Würde auf dem Theater so verfahren, wie es sich dieser Autor wünscht, es würde an sich selbst verenden, zuminmdest aber austrocknen, in Langeweile erstarren. Theater braucht ständige Erneuerung, Angebote, Vorschläge und Experimente - ob uns das passt oder nicht.
Lieber Rheingold,
wie ich schon gesagt habe, halte ich den erst vor 11 Jahren entstandenen Text bei weitem nicht für überholt. Zwar hast du recht, dass Theater Neues schaffen muss. Aber muss es deswegen die vorhandenen Werke durch Veränderung des Inhaltes verunstalten? Ich habe einige Werke mehrfach erlebt, die jedes Mal neu geschaffen waren, aber ohne dass deren Inhalt entstellt, ins Gegenteil verkehrt, durch zusätzliche alberne Mätzchen "angereichert" und vielerlei Weise unkenntlich gemacht wurde.
Brenner hat in dem Aufsatz sehr schön gezeigt, wie der ein Regisseur mit Respekt vor dem Werk bestimmte inhaltlich wesentlich erscheinende Dinge durch richtiges Lenken der Schauspieler oder Sänger herausstellen (was ja seine eigentliche Aufgabe ist, die aber viele wegen Durchsetzung eigener irrer Ideen vernachlässigen) und andere in den Hintergrund rücken kann, und dadurch neue Inszenierungen schaffen kann, ohne dass er dabei das ihm anvertraute Werk inhaltlich verändern muss. Ich habe bei den mehrfach gesehenen Werke nie Langeweile verspürt, weil sie jedesmal anders und dennoch werk- und librettogerecht inszeniert waren.
Es gibt aber sehr viele Beispiele aus neuerer Zeit, wo die Inszenierung nicht mehr zu dem Text und der Musik des Werkes passt. Hier sind in Laufe der Zeit schon viele Beispiele angeführt worden und auch der Aufsatz zeigt solche Beispiele auf. Noch nie aber hat hier einer der Befürworter den Sinn solcher willkürlichen Abwandlungen (z.B. Kalaschnikoffs in einer biblischen Geschichte) erklären können, denn es gibt für so etwas keine andere Erklärung als Verdrehung von Tatsachen bzw. geistige Verwirrung.
Das Theater kann Erneuerung, Angebote, Vorschläge und Experimente mit von Grund auf neuen Werken schaffen, aber nicht durch Missbrauch vorhandener Werke. Die von Brenner genannten Thesen sind für mich unumstößlich und dürften auch in sich verändernden Zeiten ihre Gültigkeit behalten.
Liebe Grüße
Gerhard