Wenn man bis vor einigen Jahren eine Führung durch das Münchner Nationaltheater machte, kam man auf der Seitenbühne immer an einem riesiegen Chinesenkopf vorbei, in den ein kleiner Balkon eingelassen war. Dieser Kopf stammte aus der 1999 zum letzten Mal gespielten Turandot-Inszenierung von Jean-Pierre Ponnelle von 1987. immer wieder wurde das Publikum mit der Aussicht auf eine Wiederaufnahme dieser beliebten Inszenierung vertröstet. - Vergeblich! und wie sehr hätte ich mir gewünscht, die Vorgänger-Produktion wäre wieder aufgenommen worden, denn dass, was heute Abend da über die Staatsopern-Bühne ging war, drastisch gesagt nichts als Schrott.
Als beim Einlass ins Opernhaus, jedem Besucher eine 3D-Brille in die Hand gedrückt wurde, schwante mir bereits Böses. Die völlig abgewandelte Inhaltsangabe, welche die Staatsoper vor einigen Tagen veröffentlichte, hatte mich aber eigentlich schon vorgewarnt. Nun, die Handlung spielte im Jaht 2046 in einem China, das nach dem Niedergang des Euros zur Weltmacht aufgestiegen war. Die spanische Truppe La Fura dels Baus hatte etwas auf die Bühne gestellt,das die Bezeichnung "Inszenierung" gar nicht verdient. Die Sänger standen im wesentlichen den ganzen Abend ohne jegliche Interaktion an der Bühnenrampe und sagen, während ein gewaltiger Apparat aus Statisten, Seiltänzern, Eisläufern, Tänzern etc. etc.etc. alles tat, um möglichst von der Musik abzulenken. Irgendwas bewegte sich immer. Das Bühnenbild war eigentlich nur eine Projektionfläche im Hintergrund, auf die Eis, diverse Muster, der Himmel, Gesichter und die Skyline von Shanghai projiziert wurden. Irgendwas schwebte immer durch die Luft. Manchmal wurde ein Auge heruntergelassen, in dem dann Sänger, der Mandarin und was weiss ich noch alles darin auftraten. Die Kostüme waren eine schrille Mischung zwischen traditionell-chinesisch, pseudo-sexy, Cheerlearder-Uniform, futuristisch und Manga-Stil und zu jedem Zeitpunkt sehr schrill. Immer wieder wurde das Publlikum per Übertitelungsanlage aufgefordert, die 3D-Brillen aufzusetzen, was dann immer unter lautem störendem Geraschel passierte. Im zweiten Akt gab es dann wieder ein Totenschädelfeld wie in Macbeth, mit dem Unterschied, dass dieses nun fliegen konnte. Unter einem grossen Torbogen, auf den schmelzendes Eis projiziert wurde, gab es dann eine immerhin optisch ansprechende Rätselszene, aber wirklich Stimmung kam nie auf. Jede aufkommende Atmosphäre durch die Musik wurde im Ansatz zu Nichte gemacht.
Liu wurde, anstelle sich umzubringen, auf einen Bambusstaab aufgespiesst und starb unter grössten Blutverlusten qualvoll. Der Trauerchor wurde gespielt, Turandot und Calaf schritten aufeinander zu - und aus war die Oper. Indendant Bachler hatte Zubin Mehta angeblich während der Proben wohl verboten, den einstudierten Alfano-Schluss zu spielen. Das bereute ich sehr, denn musikalisch war die Aufführung trotz allem eine Sternstunde.
Das Orchester unter seinem berühmten ehemaligen GMD hätte besser gar nicht spielen können. Man spürte die jahrzehntelange Erfahrung, die Mehta mit dem Werk hat. Jede einzelne Note stimmte. Ein unglaubliches Meer an klangfarben zauberte Mehta aus dem Orchester - mit unglaublicher Präzision und Spannung. Wie schön wäre es doch mit Alfano-Schluss gewesen.... wie konnte man den nur weglassen....
Auch der Chor (Einstudierung von Sören Eckhoff) sang heute Abed sensationell! Die Besetzung hat mir auch durchgehend sehr gut gefallen: Marco Berti, den ich im April an der Scala schon in dieser Rolle gesehn habe sang einen sehr guten Calaf. Mit schönen Timbre, strahlender Höhe und stimmlichen Glanz sang er durchgehend auf höchstem Niveau, nur dem Nessun Dorma fehlte vielleicht das gewisse Etwas. Mit ihrem wagnergestählten Sopran gefiel mir auch Jennifer Wilson sehr gut, auch wenn die Stimme in der Höhe etwas eng wurde. Leider hatte sie wegen des fehlenden Schlusses kaum die Möglichkeit irgend etwas von der Wandlung der eisigen Prinzessin zu verdeutlichen und sich zu stimmlich zu entfalten. Nach ihrem sansationellen Auftritt an der Scala sang Ekaterina Serbachenko einmal mehr eine wunderbare Liu, mit herrlichen Piani und einer mitreissenden Darstellung. Gut sangen Fabio Previati, Kevin Conners und Emanuele D'Aguanno das Ping-Pang-Pong-Trio, auch Ulrich Ress war ein ansprechender Kaiser. Im Rollstuhl mit orangenen Rädern trat Alexander Tsymbalyuk als alter Timur rollendeckend auf. Der Mandarino von Levente Molnar blieb hingegen blass.
Musikalisch hat sich der Abend also voll gelohnt. Bis zum Jahr 2046 wird es diese Schrott-Priduktion sicher nicht aushalten. Ein weiterer Beweis dafür, wie schnell sich so ein Schmarrn selbst überholt. Wenn bereits Ende Dezember ein anderer Dirirgent übernimmt und die ersten Umbesetzungen stattfinden, gibt es keinen Grund mehr, sich diesen Zirkus ein weiteres Mal anzutun....
Link zu meiner Besprechung zu Turandot an der Scala im April:
Teatro alla Scala, Turandot, 13. April 2011
Viele Grüsse & Gute Nacht