Objektiv gesehen hat Thielemann mit den Wiener Philharmonikern einen gediegenen Beethoven-Zyklus vorgelegt, der sicherlich gewisse Stärken hat und auch hie und da einige Einfälle hat, die man so noch nirgends gehört hat. Im Ganzen zieht er seinen Beethoven konventionell auf, wird also zurecht in erster Linie mit den konventionellen Zyklen der Vergangenheit verglichen (Furtwängler, Cluytens, Karajan, Bernstein, Böhm, Solti, Abbado I, Rattle usw.), an denen er sich messen muß. Gewisse sonderbar anmutende Eigenwilligkeiten, die tlw. gegen die Intention des Komponisten gebürstet scheinen, haben sich zwar auch Furtwängler und andere erlaubt, aber m. E. überzeugten diese im Ergebnis mehr. Von daher dürfte dieser Zyklus wie jener unter Sir Simon Rattle vor noch nicht einmal zehn Jahren bald im Midprice-Sektor angelangen. Für 50 EUR bekommt man anderswo mehr geboten (dafür gibt es z. B. fast schon den ersten Karajan-Zyklus und den Wiener Bernstein-Zyklus dazu).
Das eigentliche Verdienst Thielemanns ist vielleicht sogar, daß er gezeigt hat, daß man auch im 21. Jahrhundert noch großorchestralen, spätromantisch angehauchten Beethoven im Stile des späten 19. Jahrhunderts spielen kann, ohne Schiffbruch zu erleiden. Freilich: Als Nachzügler und insofern irgendwo auch Epigone dieser großartigen Tradition wird er immer mit den (unerreichbaren) Vorbildern verglichen werden.
"Umjubelt" wird dieser Zyklus von all jenen, die seit Jahren/Jahrzehnten auf eine Fortsetzung der "großen Alten" gewartet haben. Dabei sollten aber auch sie nicht aus den Augen verlieren, daß man im Zweifel mit diesen besser bedient war, ist – und auch bleibt.