2012 - Artur Schnabel und sein Beethovenbild

  • Artur Schnabel (1882-1951) ist - was die Tonaufzeichnung betrifft - gewissermaßen der Urvater der Beethovensonateninterpretation. 1932-37 nahm er -soweit bekannt - erstmals alle 32 Beethoven Klaviersonaten für EMI auf Schallplatte auf. EMI selbst hat meines Wissens nur eine einzige CD mit Schnabels Aufnahme im Programm, jedoch auf Naxos erschienen - die abgelaufene Schutzfrist macht es zumindest in Europa möglich - alle 32 Sonaten - dankenswerterweise als Einzelveröffentlichungen.








    So kann auch jener, der bereits aus der Vergangenheit über eine Reihe von Schnabel-Aufnahmen verfügt relativ individuell ergänzen.
    Kommen wir nun zur Frage nach Schnabels "Credo" in Sachen Beethoven.
    Mich selbst haben seine Aufnahmen bedauerlicherweise nicht besonders beeindruckt - was sich aber natürlich noch ändern kann. So habe ich mirt die Frage gestellt, was denn das Besondere an Schnabel sei, der zu Lebzeiten von vielen als der Bedeutendste Interpret der Beethoven Klaviersonaten gesehen wurde. Hier half eine ausführliche Recherche doch weiter.


    Schnabel führte als erster Pianist 1927 den gesamten Zyklus auf und begann 1932 mit einer Gesamtaufnahme, die 5 Jahre später abgeschlossen war. Er war ein Gegner technischer Brillianz (aus welchen Gründen immer ?) und vertrat stattdessen die Ansicht der absoluten Werktreue, unter Verzicht auf "eindrucksvolle Effekte". Er versuchte eine analytische, und gleichzeitig der inneren Aussage des Werkes entsprechende Wiedergabe zu realisieren. Für manche ist Schnabel als Interpret der Beethoven Klaviersonaten noch bis heute unübertroffen........


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo Alfred,
    die Gesamteinspielung ist sehr wohl bei EMI im Angebot.
    Der Unterschied zwischen EMI und Naxos besteht allerdings nur
    in den technischen "Verbesserungen" und im Preis ( EMI bei Amazon 28,99 € ).



    :hello: Herbert

    Tutto nel mondo è burla.

  • Der Meinung, daß Arthur Schnabel's Interpretation der Beethoven Klaviersonaten nicht übertroffen wurde, bin ich auch.
    Warum? Weil sie garnicht zu übertreffen sind. Bestenfalls können erreicht werden. Bei den Aufnahmen aus den dreißiger Jahren stimmt einfach alles.
    Als Beispiel kann man die bedeutenste und zugleich längste und schwierigste Sonate nehmen, die Opusnummer 106 in B-Dur.
    Den Kopfsatz nimmt Schnabel in rasantem Tempo, aber alles bleibt klar im Anschlag und durchsichtig. Der 2. Satz, ein Scherzo wird ebenfalls rasant bis zum drängenden Schluß mit kadenzartigen Läufen in Prestissimo geführt.
    Der 3. langsame Satz wird von Schnabel klar, durchsichtig, ohne Sentimentalität gestaltet.
    Der letzte kurze Satz, eine Doppelfuge, die technisch sehr schwierig ist, wird von Schnabel mit Bravour bewältigt.
    Das Einzige, was man bei dieser Gesamteinspielung störend empfinden könnte ist die Aufnahmetechnik, die in den dreißiger Jahren natürlich noch nicht vollkommen war, aber dafür kann man den großartigen Arthur Schnabel ja nicht verantwortlich machen.


    :hello: Herbert

    Tutto nel mondo è burla.

  • Schnabels Beethoven-Sonaten gibt es auch in einer sehr günstigen Box von Membran:


    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Es gibt die Aufnahmen von diversen "grauen" Labeln sehr preiswert. Über die Transfers der EMI-Ausgabe habe ich noch nie etwas Gutes (zu stark gefiltert seien sie) gehört, aber ich habe sie nie selbst gehört. Die wohl vergriffenen PEARL-CDs waren minimalistische Transfers, praktisch ohne Filter, mit dem vollen Knistern, aber nach Ansicht mancher auch dem meisten Originalton. Die Naxos-Ausgaben wurden behutsam gefiltert. Meinem Eindruck nach ein sehr guter Kompromiss. Vermutlich hat auch Rose von pristineclassical seine Tools auf die Aufnahmen losgelassen, Klangproben gibt es auf der Webseite. Meiner vagen Erinnerung (ich habe die vor 20 Jahren mal bei einem Bekannten gehört) nach klingen die LPs aus den 1960ern/70ern ebenfalls erstaunlich gut (obwohl die analogen Filtermethoden eingeschränkt waren).


    Die Einspielungen gehören zu den wenigen Fällen, in denen eine der ersten (hier die erste vollständige, da zB Kempffs etwa gleichzeitige nicht komplett ist) Einspielungen über nun mehr als 70 Jahre praktisch durchgehend im Katalog verblieben ist und als unangefochtener Klassiker gilt (andere Beispiele zB Edwin Fischers WTK, Buschs "Don Giovanni").


    Nicht zu unrecht!
    Schnabel war in dieser Zeit (angeblich teils bedingt durch die Erschütterung der Nazi-Machtergreifung und der Emigration, aber auch ein prinzipielles Unbehagen im Aufnahmestudio) technisch nicht immer völlig souverän, was in einigen Sätzen, etwa dem Kopfsatz von op.106, durch ein schier wahnwitziges Tempo natürlich verschärft wurde. Dass angesichts dieser Einschränkungen und der Aufnahmetechnik die Einspielungen dennoch nach wie vor als Goldstandard gelten, ist umso bemerkenswerter!
    Schnabel verbindet einen kompromisslosen Ausdruck (wie sich äußerlich in den extremen Tempi zeigt) mit analytischer Durchdringung und großen Gespür für musikalische Zusammenhänge und eine "natürliche" kantable Phrasierung. Ich müsste mal wieder hineinhören, aber zB im ersten Satz der Mondscheinsonate war seine Interpretation für mich ein "Augenöffner", weil ich nie vorher die drei "Schichten", Bass, Triolen, Melodie so deutlich (und die Basslinie eben auch als Melodie) wahrgenommen habe.


    Kontraste sind extrem, der kurze Mittelsatz der Waldsteinsonate klingt ungeheuer modern, u.a. durch ein sehr langsames Tempo. Bei op.106 leidet allerdings die Durchhörbarkeit aufgrund der spiel- und aufnahmetechnischen Grenzwertigkeit erheblich, ebenso ist mir das Tempo im Kopfsatz tatsächlich zu schnell (wer ein ähnliches Tempo in moderner Technik hören möchte, kann zu Korstick (allerdings mit einem total verschleppten, beinahe halbstündigen adagio) oder Gulda (mit einem sehr zügigen, vielen vielleicht zu nüchternen adagio) greifen). Auch im Kopfsatz von op.10/1 ist mir Schnabel (wie Gould) zu schnell, ich vermag hier den Rhythmus nicht mehr richtig zu erkennen. Ebenso meine ich, dass er den Mittelsatz in op.31/1 zu ernst nimmt, ich sehe den als eine Art Parodie, aber das ist natürlich Ansichtssache, wenn man das Stück ernst genommen haben will, ist Schnabel sicher erste Wahl. Insgesamt könnte man bei den eher humorvollen Sätzen vielleicht manchmal eine zu große Ernsthaftigkeit feststellen, wobei andererseits die Diabelli-Variationen mit Schnabel großartig und humorvoll sind.


    Bei allem Respekt, u.a. angesichts der Schnabelschen Einspielungen konnte ich bislang nicht nachvollziehen, warum Backhaus und Kempff bei Beethoven so angesehen waren/sind. Ihr Ausdrucksspektrum wirkt Schnabel gegenüber extrem eingeschränkt, alles sehr nüchtern, gleichförmig, leidenschaftslos. Einzig beim Humor könnte Kempff teilweise punkten.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Backhaus und Kempff bei Beethoven ... . Ihr Ausdrucksspektrum wirkt Schnabel gegenüber extrem eingeschränkt, alles sehr nüchtern, gleichförmig, leidenschaftslos.

    Dass Du Kempffs Beethoven "so" hörst, verschlägt mir die Sprache. Möglicherweise ist das aber die Kehrseite dessen, was ich bei Kempff höre, nämlich eine grenzenlose Lyrik des Ausdrucks. Und genau das ist es, was mir bei Schnabel fehlt. Vermutlich ist Schnabels Beethoven sogar der "richtige" Ansatz und entspricht bestimmt der jeweilige ninneren Aussage der einzelnen Stücke, genauso wie der bei Michael Korstick - im Wesentlichen eben: Haudrauf an den lauten Stellen. Mich persönlich nervt das dann eben schnell bis ins Unerträgliche. Deshalb greife ich auch vor Schnabel eher zu Kempff, Badura-Skoda oder Paul Lewis.

  • Ich habe heute eine Kritik über Schnabels Klavierspiel gelesen, die, noch euphemistisch gesagt vernichtend war.
    Beanstandet wurden die zu schnellen und "verhuschten" Tempi an exponierten Stellen, sie seien ein Zeichen der Unfähigkeit die Beethoven Sonaten technisch sauber zu spielen.
    Da ich einerseits zu wenig Schnabel gehört habe, andrerseits das "Urteil eines Fachmannes" einholen wollte, habe ich bei Alfred Brendels "Über die Musik" (PIPER TB 4939 - Seite 502) nachgelesen.
    Brendel, der nach eigener Aussage Schnabel nur von Tonaufnahmen her kennt, schreibt:
    "Von den Aufnahmen her, bin ich ein besonderer Bewunderer seine Klanges. Dieser plastische Klang ist einer der Gründe dafür, daß Schnabel für mich eine Quelle der Anregung geblieben ist....."
    Ich werde aus diesem Grunde meine Schnabel Diskographie ein wenig aufstocken und vor allem in Vorhandenes hineinhören...


    mit freundlichen Grüßen aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Das mit dem Aufstocken hat 8 Jahre gedauert, dafür ist es recht ausführlich geworden. Gegenüber 1 Naxos Überspielung mit Beethoven Sonaten (eine 2. wurde zerstört, eigentlich nur die Jewel-Box und wartet seit Jahren auf eine Umverpackung, aber die wird nun nicht mehr stattfinden, da ich die EMI Originalversion erworben habe.) besitze ich nun eine 8 CD Box. von Warner, dem Rechtsnachfolger von EMI, digital remasteres in den Jahren 2015 und 2016. Ein Klangwunder wurde hier auch nicht zustandegebracht, denn die IMO trockene Akustik des Aufnahmestudios (Abbey Road -ohnehin eine "erste Adresse" in Saxhwn Tontechnik) ist kaum verlustfrei zu verändern und dankenswerterweise hat man diesbezüglich auf Versuche verzichtet, die ohnedies zum Scheritern verurteilt gewesen wären.

    Ich habe diesen Thread hier heute gefunden - und wieder aufgegriffen (obwohl im Februar schon einiges über Schnabel geschrieben wurde) weil ich Alfred Brendesl für seh aufschlußreich halte. Brendel ist kein Mander der Moden, der sich beeindrucken oder beeinflussen lässt. Im Rahmen meiner Recherche und nachlesen im Booklet, fand ich dann noch die Information,daß Claudio Arrau - auch er galt als Beethoven Ikone - Artur Schnabels Beethoven-Interpretationen ebenfalls sehr schätzte.

    Generell war die Mehrheit von Schnabels Zeitgenossen, davon überzeugt, daß ER DER Beethoveninterpret aller Zeiten sei......

    Ich werde in den nächsten Tage wiederholt Sonaten aus dieser Box hören - vorzugsweise die frühen oder selten gehörten....

    Nützen wir die Zeit....


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !