Eine Alpensinfonie - Kunst oder Krempel?

  • Beim Durchblättern mehrerer Konzertführer bin ich auf teilweise sehr kritische Einschätzungen der Alpensinfonie gestoßen. Einige Beispiele:


    1. Rudolf Bauer - Das Konzert, Ausgabe 1955: " Es bleibt genug Peinliches an dieser selbstgefällig aufgebauschten Wunder-Partitur hängen, und heute wird die Alpensinfonie, die zunächst lautesten Erfolg hatte, nur noch selten gespielt...... " Beim Absteig heißt es "es kehrt die Tendenz des des Anstieg-Themas nach unten, in die entgegengestzte Richtung um. Dieses ausgepicht logische Vexierspiel mit den Themen macht wohl dem Könner Strauß alle Ehre, aber dem Ohr des Konzerthörers keinen Eindruck."


    2. Noch drastischer drückt sich Herr Hartmut Becker im Konzertführer, herausgegeben von Csampai und Holland bei Rowohlt 1987 aus: "... es ist erschütternd, feststellen zu müssen, daß reines Nachbilden sicht- und hörbarer äußerer Sinneseindrücke das Wesen dieser Musik bestimmt..... Die Klanggesten .. wirken, sobald sie die Empfindungen ausdrücken sollen, seltsam abgegriffen, verbraucht......in der Alpensinfonie ist die technische Seite des Komponierens zum Selbstzweck entartet."


    Ja, was nun? Ist diese allgemein "verständliche Programmmusik" nun Kunst oder Krempel? Hat sich etwas daran geändert, daß es Anhänger und strikte Gegner dieser Sinfonie oder der Programmmusiik allgemein gibt? Immerhin ist die Alpensinfonie die einzige CD, die ich in 4 verschiedenen Interpretationen habe und die ich (nach der 9. Beethoven und der 1. von Mahler) am Häufigsten live erlebt habe.


    In einem Punkt hat sich der Kritiker auf alle Fälle sehr verschätzt, nämlich in der Angabe, daß sie heute nur noch selten gespielt wird. Mir doch zum Wohlgefallen, denn mir gefällt sie.


    Freundlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Danke, lieber Kurzstückmeister. Habe Deinen Link kurz überflogen und gespeichert. Werde ihn in Ruhe mal genauer durchlesen. Es entspricht auch meinem Musikverständnis, daß die Alpensinfonie aus der Versenkung geholt wurde.


    Nur in einem Punkt gebe ich dem guten Mann nicht ganz recht. Der Wanderer soll ein frommer Mann gewesen sein? Bei Richard Strauß? Der war - ungewöhnlich für einen Bayern - Atheist. Und nur weil beim Ausklang kurz die Orgel zu hören ist? Ich hätte eher interpretiert, daß die Truppe nach dem Abstieg und dem beginnenden Abend an einer Kirche vorbeiläuft, und da spielt einer Orgel. Kann mich aber auch täuschen.


    Viele Grüße von La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • MN: Der andauernde Schönklang in der Aufstiegsphase ist für mich schon etwas fragwürdig. Das ist zwar alles auf höchstem kompositorischem Niveau angesiedelt, aber es wirkt routinemässig abgerufen, wie aus dem Fundus komponiert.


    HL: Es ist nicht andauernder Schönklang, und auf mich wirkt diese Konsonanzenwelt absolut authentisch und frisch. Solche Art des Abrufens aus dem sogenannten Fundus gibt es, mindestens so fragwürdig, im Schlusssatz der Siebten von Mahler, und andere Zeitgenossen waten statt im Schönklang im undurchschaubaren Dissonanzenbrei. Sie haben der Strauss’schen Authentizität nichts voraus! Und ich verehre den Mahlerschen Zwiespalt nicht weniger als den von Strauss. Ihre Versatzstücke, die von der verlorenen oder verlassenen Heimat künden, sind vertraute Signale als evokative Kunstmittel.


    Aus dem von KSM genannten Artikel zitiert.


    Erfrischen und tröstlich wie Lachenmann der intellektuellen Borniertheit eines Musikexperten begegnet.

  • Der "Neue Konzertführer" (Prisma Verlag/Wiener Verlag 1978) schrieb damals auch nicht gerade schmeichelhaft:
    "..ein mit satten Farben koloriertes Gemäle eines 'Tages im Hochgebirge' eine naturalistische Zustandsschilderung ohne erkennbare geistige Reflektion"
    Richard Strauss Originalzitat: "Ich hab einmal komponieren wollen, wie die Kuh die Milch gibt" - vermutlich war das ironisch gemeint.
    Der Harenberg Konzertführer bescheinigt Strauß, daß "die Faszination seiner Instrumentierkunst in der Lage ist, den schlichten, bis banalen, überaus einprägsamen Charakter der meisten Themen geschickt zu kaschieren...."
    Gelobt wird die Orchesterbehandlung, der Inhalt wird jedoch als spannungsarm abgetan...
    Vermutlich hat hier ein Rezensent die Wertevorstellung des jeweilig verhergehenden ungeprüft übernommen.
    Die digitale Einspielung durch Herbert von Karajan und die Berliner Philharmoniker rückte das Werk erneut in den Focus der Diskussionen.
    Uberrascht war ich als ich den Wikipedia-Artikel las. Ungemein differenziert und (im Gegensatz zu den meisten anderen Wikipedia Artikeln) wertneutral befasst man sich dort mit eventuellen doppelten Böden der Komposition.



    Ich habe hier Links zur Karajan-Aufnahme, ebenso wie jener zu Karl Böhm gesetzt, der ja schliesslich mit Richard Strauß befreundet war. Die - meiner Meinung nach - beeindruckendste Einspielung stammt indes - wie schon bei Zaharathustra festgestellt - von Rudolf Kempe.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Lieber Alfred, ich habe alle drei von dir vorgestellten Einspielungen selbstverständlich in meiner Sammlung, dazu noch sehr schöne Interpretationen von David Zinman und Sir Georg Solti:



    Ich kennen keinen anderen Komponisten, der eine derartige Fülle von großartigen symphonischen Dichtungen komponiert hat wie Richard Strauss, also eindeutig Kunst auf höchstem Niveau, das gilt auch für die Alpensinfonie.


    Liebe Grüße


    Willi ^^

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Strauss und die Alpensinfonie:
    Ein opulentes Werk, Strauss bemüht seine gesamte Technik und Instrumentationskunst, um ein Breitwandepos der Alpen zu schildern.
    Ein Orchester kann zeigen, was es drauf hat.
    Bei uns in Kiel wäre allerdings der Konzertsaal akkustisch rettungslos überfordert, denn er ist einmal für Orchester um die 80 Personen Besetzung geplant gewesen. Strauss fordert aber mind. 107! Bei groß besetzten Werken verzieht sich der schlaue Zuhörer daher auch auf den Rang. Da bläst es nicht so.


    Der Film zum Film sollte bei der Besetzung unbedingt
    die Vroni ,
    Christine Neubauer und Siegfried Rauch berücksichtigen und Sonntags im ZDF um 20:15 gesendet werden.
    Das wäre der geeignete Platz. :thumbsup:


    Der Sonnenaufgang erinnert mich an Tschaikowskys Pathetique.
    Ich habe die Einspielungen von
    Mrawinsky, ganz langsam beginnend, fast 5 Minuten bis zum Sonnenaufgang, schlechte Tonqualität, man muss extrapolieren, was für ein Blech! 55 Minuten
    Nagano, noch nüchterner 51 Minuten
    Welser - Möst, richtig gut, Ovationen am Ende. ca. 46 Minuten
    ach und als LP natürlich noch die Aufnahme mit Kempe.
    Das muss reichen.
    Gruß aus Kiel


  • Es gibt eine Aufnahme der Alpensinfonie mit Bildern (Fotos und Filmen) von Tobias Melle.

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Was bin ich froh, daß es noch andere Liebhaber dieser herrlichen Sinfonie gibt!


    Meine Lieblingsaufnahme ist selbstverständlich die mit dem Philharmonischen Orchester Gera unter Gabriel Feltz. Obwohl ich auch noch andere Aufnahmen habe.


    Ein bißchen Lokalpatriotismus darf ja wohl sein! Auch wenn die Konkurrenz riesig ist. Erst anhören - dann meckern!!


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Eine sehr gute Aufnahme ist folgende:



    Strauss: Alpensinfonie
    Wiener Philharmoniker
    Hans Knappertsbusch
    20.04.1952, Wien, Musikverein, Großer Saal



    Scheint schwer erhältlich zu sein. Ich habe sie dank eines Bekannten aus den USA.


    Zur Ausgangsfrage: Wer sollte sich anmaßen, diese Symphonische Dichtung als "Krempel" zu bezeichnen? Das ist ja geradezu vermessen. Auch wenn mir persönlich "Also sprach Zarathustra" und "Tod und Verklärung" lieber sind.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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