Alle Wetter!!! - Ludwig van Beethoven: Sinfonie Nr 6 "Pastorale"

  • Ich habe die Böhm-Aufnahme dank Tamino nun zweimal angehört - sie löst meine bevorzugte Aufnahme (Karajan Gold/Berliner) ab.


    Hallo Tapio,


    dann beschreibe uns mal, warum Böhm bei Dir Karajan (DG, 1984) ablösen konnte !??!
    Die Unterschiede beider Aufnahmen sind erheblich. Für mich ist diese Ablösung unverständlich - Karajan der Zupackende gegen Böhm den mehr Nüchternen. Welche Punkte gefallen Dir (der Karajan eigendlich verinnerlicht hatte) bei Böhm besser ?


    Die letzte Karajan - Aufnahme von 1984 ist ganz sicher eine der Extreemsten überhaupt. Schon die sehr zügigen Tempi, die mit allem herkömmlichen Romantikgedudel (dem Programm entsprechend) aufräumen, lösen bei den Meisten missfallen aus. In Beitrag 105 hatte ich bereits meinen Senf dazu abgegeben.


    :thumbup: Für mich gilt nach Karajan (DG, 1984), dass ich nur noch wenige andere Aufnahmen der Sinfonie Nr.6 höre - die hat sich bei mir als "meine Referenz" eingebrannt. So will ich die Pastorale hören !



    PS: Karajan Gold = Karajan (DG, 1984) - ich habe die erste Originale Einzel-CD-Ausgabe von DG:



    DG, 1984, DDD

    Gruß aus Bonn, Wolfgang


  • Hallo Tapio,


    dann beschreibe uns mal, warum Böhm bei Dir Karajan (DG, 1984) ablösen konnte !??!
    Die Unterschiede beider Aufnahmen sind erheblich. Für mich ist diese Ablösung unverständlich - Karajan der Zupackende gegen Böhm den mehr Nüchternen. Welche Punkte gefallen Dir (der Karajan eigendlich verinnerlicht hatte) bei Böhm besser ?


    Moin Wolfgang,


    als Nicht-Tapio ( ;) ) äußere ich einmal erhebliche Zweifel daran, Böhm als "mehr nüchtern" empfinden zu können. Im Gegenteil, nur wenige Dirigenten haben es verstanden, so viel Wärme, Freude und Liebe in die Sinfonie hineinzutransportieren wie Karl Böhm. Das dürfte auch der Grund sein, weswegen viele Beethoven-Liebhaber diese Interpretation besonders schätzen.


    Mit Karajan kann und will ich Böhm nicht vergleichen. Von Karajan besitze ich nur die Live-Aufnahme von 1972:


    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Trotz meiner über 50 "Sechsten" ist und bleibt dies meine liebste Einspielung:




    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Lieber Norbert und Bernward,


    es freut mich das ihr, genau wie ich, Eure geschätzte Aufnahme der Pastorale gefunden habt.
    Das Wort "nüchtern" für Böhms Aufnahme ist wohl auch nicht ganz glücklich von mir gewählt worden ! Ich wollte nur den Unterschied verdeutlichen.


    Ich höre die Pastorale mit Sicherheit "anders" als ihr - und da liegt mir eben Karajan´s wildere und allen Romantizissmen aus dem Weg gehende Interpretation von Allen einfach am nächsten. Bereits die Spielzeiten deuten auf eine ganz andere exreemere Sichtweise hin: 9:04 - 10:19 - 3:08 -3:23 - 8:25 (DG, 1984).



    :hello::?: Ich möchte mal folgende Frage an die Runde stellen:
    Wie ich bereits schon öfter gelesen habe gehört bei vielen Klassikliebhabern die Sechte zu der am wenigsten gehörten Sinfonie von Beethoven.
    Wie sieht es bei Euch aus ???

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Also - ich habe mich ja schon des Öfteren als eher Mainstream-Klassikhörer geoutet, und meine Lieblings-Beethoven-Sinfonien sind mit Abstand die 5. bis 7., also auch die Pastorale. Zu anderen, von "Hardcore"-Klassik-Hörern eher geschätzten, insbesondere zur 3., fehlt mir dagegen noch immer der Zugang.


    50 Pastorale wie Bernward habe ich nicht, sonder nur 5 (Szell, Zinman, Mackerras, Böhm, C.Kleiber) - von denen ist mir in der Tat auch Böhm (vor Kleiber) die liebste! Die habe ich mir übrigens aufgrund dieses Threads zugelegt! :)

    Herzliche Grüße
    Uranus

  • Lieber Norbert und Bernward,


    es freut mich das ihr, genau wie ich, Eure geschätzte Aufnahme der Pastorale gefunden habt.
    Das Wort "nüchtern" für Böhms Aufnahme ist wohl auch nicht ganz glücklich von mir gewählt worden ! Ich wollte nur den Unterschied verdeutlichen.


    Lieber Wolfgang,


    neben Böhm stehen noch Ansermet, Marriner, Hugh Wolff, Herreweghe und Monteux ganz hoch im Kurs. Warum siehe gleich ;) .



    Zitat

    Ich höre die Pastorale mit Sicherheit "anders" als ihr - und da liegt mir eben Karajan´s wildere und allen Romantizissmen aus dem Weg gehende Interpretation von Allen einfach am nächsten. Bereits die Spielzeiten deuten auf eine ganz andere exreemere Sichtweise hin: 9:04 - 10:19 - 3:08 -3:23 - 8:25 (DG, 1984).

    Und darauf, daß Karajan, warum auch immer nicht die Wiederholung im ersten Satz spielt. ;)


    Ich höre die "Pastorale" auch "anders", nämlich "anders" als alle anderen Beethoven-Sinfonien.


    Wir hatten uns neulich recht informativ und engagiert über die Programmatik in der 6. Sinfonie unterhalten. Für mich gilt natürlich Beethovens Ausspruch "Mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei", der bedeutet: Keine Programmusik. Aber er beinhaltet auch "Ausdruck der Empfindung". Und diese Empfindungen, die Stimmungen, die Beethoven entwirft, die möchte ich hören.
    Und deswegen favorisiere ich Marriner, Böhm, Ansermet und Monteux. In diesen Aufnahmen spürt man die Empfindungen. Die "Szene am Bach" ist wahrscheinlich der schönste, am subtilsten ausgeleuchtete Satz, den Marriner jemals dirigiert (bzw. aufgenommen) hat.


    So gut wie alle "hippen oder hip-orientierten" Aufnahmen schaffen es für mich nicht, diese Stimmungen zu transportieren, noch mehr als bei der 9. stößt "hip" an die Grenzen. Herrweghe und Wolff sind die bisher einzigen, denen es gelingt, "Ausdruck der Empfindung" und Metronom in Einklang zu bringen. Herreweghe beispielsweise glänzt ebenfalls mit einer traumhaft farbigen, liebevollen, aber dennoch transparent-zügigen "Szene am Bach" und schafft damit fast die "Quadratur des Kreises".



    Zitat

    :hello::?: Ich möchte mal folgende Frage an die Runde stellen:
    Wie ich bereits schon öfter gelesen habe gehört bei vielen Klassikliebhabern die Sechte zu der am wenigsten gehörten Sinfonie von Beethoven.
    Wie sieht es bei Euch aus ???

    Welche Sinfonie ich höre ist immer ein wenig stimmungs- und lustabhängig, aber weniger Lust auf die 6. als auf andere Beethoven-Sinfonien habe ich nicht feststellen können.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Die sechste ist die mir zweitliebste von Beethoven. Was sie mit Böhm angeht, ich finde schon, dass man sie "nüchterner" nennen kann. Ich finde sie an vielen Stellen deutlicher akzentuiert als Karajan, vom Tempo her gesetzter und irgendwie manchmal leichter und beschwingter, die Tänze sind federnder... Ich kann das schwer ausdrücken, ich mag sie halt. Karajans erwähnte Aufnahme aber auch. Bei einer Inselfrage wäre es mir im Prinzip fast egal, welche ich mitnehmen würde.



    insbesondere zur 3., fehlt mir dagegen noch immer der Zugang.

    Der Zugang heißt "Marcia Funebre". Wenn das kein Zugang ist, dann weiß ich es auch nicht.

  • dann beschreibe uns mal, warum Böhm bei Dir Karajan (DG, 1984) ablösen konnte !??!

    Ich glaube, die Antwort auf diese Frage geben zahlreiche vorangegangene Beiträge zur hiesigen Diskussion.
    Es definitiv keine Frage objektiver interpretatorischer Qualität, sondern eine subjektiver Erwartungen an die Pastorale



    Die Unterschiede beider Aufnahmen sind erheblich. Für mich ist diese Ablösung unverständlich - Karajan der Zupackende gegen Böhm den mehr Nüchternen. Welche Punkte gefallen Dir (der Karajan eigendlich verinnerlicht hatte) bei Böhm besser? Für mich steht für die Pastorale eigendlich nur eine Aufnahme auf der Favoritenliste. Und das ist eine, die zu den straffsten und unromantischsten gehört:
    Ich möchte gerade die langsamen Sätze der Sechten gar nicht so beseelt und langsam hören, kein romantisches Geplänkel am Bach und kein Bauerntheater auf dem Lande, sondern eben genau so flott wie Karajan diese rüberbringt.

    Damit sind die Charakteristika von Karajans Interpretation - man kann hier generalisierend von all seinen Interpretationen der Sechsten sprechen - klar umrissen. Karajan taucht nicht tief in Stimmungen ein, verliert sich nicht in diesen, sondern liefert eine straffe Musik, die durchaus den Noten (HIP-Jünger mögen es mir verzeihen), aber weniger den Worten, die der Komponist diesen beigab, Rechnung trägt. Die Emotion kommt bei Karajan nicht aus dem Einfühlsamen, sondern eher aus oberflächlicher Klangdramaturgie. Dass ihm dies, insbesondere beim Gewitter, meisterhaft gelingt, ist der große Wert dieser Aufnahme.


    Allerdings ist eine solche Sicht nicht jedermanns Sache, auch die meine keinesfalls.
    Meinen Eindruck hierzu hat Glockenton bereits trefflich in Worte gefasst, interessanterweise die selbe Metapher bemühend, die sich auch mir immer aufdrängte: Karajan im Sportwagen... Vermutlich tragen einschlägig bekannte Tiefpunkte der Covergestaltung bei der DG zu diesem Bild bei :D



    Karajans Ansatz wirkt geradezu Gegensätzlich hierzu.
    Statt die Strukturen der Klangrede aufzudecken malt er sie mit dem Legatopinsel und einer eher flächigen Detaildynamik zugunsten der großen Linie zu. Sein Tempo ist mir einfach zu schnell. Verglichen mit seiner grandiosen Fünften oder der ebenso begeisternden Eroica ( 1982) scheint es mir so, als ob ihm hier der innere Zugang zu diesem Landidyll irgendwie fehlte. Es hört sich so an, als wenn er salopp gesagt froh ist, wenn er mit seinem Sportcabrio durch die sicherlich schönen, aber doch auch für ihn etwas langweiligen ländlichen Gegenden mit wehender Mähne endlich hindurch gebraust ist. Wahrscheinlich hätte er dies als Unterstellung zurückgewiesen, aber man kann schon diesen Eindruck beim Zuhören bekommen.

    Böhm hingegen lässt sich auf die Stimmungen ein, mithin erscheinen die Sätze bei ihm auch ungleich differenzierter als bei Karajan. Das Kunststück seiner Interpretation ist es denn aber letztlich, dass es Böhm gelingt, die immanente Romantik von Beethovens Sechter entsprechend zur Geltung zu bringen und dennoch ein klasssiches Ebenmaß zu wahren; scheinbar ohne einen der beiden Aspekte auf Kosten des Anderen zu schmälern.


    Ähnliches gelingt auch Abbado in Wien, der ebenfalls eine großartige Deutung liefert, allerdings eine Spur mehr in Richtung Romantik tendierend als Böhm.

    'Architektur ist gefrorene Musik'
    (Arthur Schopenhauer)


  • 1. Satz: Allegro man non troppo: Erwachen heiterer Gefühle bei der Ankunft auf dem Lande (11:33):


    Hier legt Leibowitz seine Lesart der Pastorale vor, und der Auftakt ist ganz nach meinem Geschmack: das darf nicht zu schnell und nicht zu langsam sein, eben richtig! (Furtwängler,s.u.). Hier fällt auch keine Klangschärfe auf, die ich bei der Neunten, Achten und Siebten ausmachen konnte, wo sie aber auch (besser) hingehört. Die Transparenz in den tiefen Streicher ist ausgezeichnet, der Klangteppich ist wohlig weich. Ist das wirklich Leibowitz? Ja!!
    Die Solooboe ist "outstanding"! Das ist die hohe Kunst des Oboenspiels. Aber auch die schon erwähnten Streicher sind sehr beeindruckend.
    Man hätte ja auch nach allem, was man so von Leibowitz hört, erwarten können, dass er forsch durch die Partitur rauscht. Tut er aber nicht. Er musiziert das "froh und heiter" und keineswegs hektisch. Trotzdem kommt der Rhythmiiker Beethoven hier nicht zu kurz; vor allem in den forte-Steigerungen merkt man dieses durch die prägnanten Betonungen der "Eins". Der Satz schließt mit herrlichen Streicher- und Klarinetten- sowie Fagottfiguren.


    2. Satz: Andante molto moto "Szene am Bach" (12:49):


    Ein sehr lyrischer, warmer Beginn, aus dem sich ansatzlos die flirrenden Geigen aufschwingen. Dies ist ganz entspanntes Musizieren, das sich alle Zeit der Welt lässt, um zur wundervollen Entfaltung zu gelangen. Ich bin jetzt schon auf Leinsdorfs Tempogestaltung gespannt, den ich danach (aber wohl nicht mehr heute) hören werde.
    Hier kann man sich das Leben am, im und um den Bach sehr gut vorstellen, obwohl es ja letztendlich doch absolute Musik ist, eben eine solche, bei deren Anhören man sich außermusikalische Inhalte sehr gut vorstellen kann. Aber Beethoven wollte ja die Gefühle, die ihn bei diesen Naturerlebnissen überkamen, in Musik verwandeln, und das ist ihm meisterhaft gelungen. Wes Geistes Kind er war, zeigt auch, dass er gerne diese positiven Lebenseindrücke in Musik setzte, obwohl sein persönlich ganz anders verlaufendes Leben ihm eher Anlass gegeben hätte, vornehmlich negativ Erlebtes in Noten zu setzen. So ist denn dieser zweite Satz in dieser Symphonie durchaus ein Höhepunkt, vielleicht gerade, weil nicht so viel passiert und weil dieser Umstand musikalisch überragend umgesetzt worden ist, sowohl vom Komponisten als auch in diesem Fall von den ausführenden Musikern.


    3. Satz: Allegro " Lustiges Zusammensein der Landleute" (5:03):


    Auch hier bleibt Leibowitz seinem Tempoplan treu, keine Bravur, sondern durchaus normal, real, wunderbare Bläser, vom Horn bis zur Oboe, dann der herrliche Tanz in den tiefen Streichern und Trompeten. Dies ist eine konventionelle Interpretation der Sechsten auf höchstem Niveau. Man spürt mit jeder Note, wieviel Spaß Orchester und Dirigent haben. Das schnurrt und wogt, dass es eine Freude ist. Dann kommt, was kommen muss:


    4. Satz: Allegro "Gewitter - Sturm" (3:32):


    Leise fängt es an (wie immer), dann türmt es sich auf, endlich kommen auch die Pauken zum Zuge. Dennoch habe ich das schon heftiger gehört. Zum Kulminationspunkt hin wird es aber besser und "explodiert" beinahe in den Trompeten. Alles in allem mrkt man aber hier, dass nicht die Welt untergehen soll wie mancherorten, sondern dass hier nur ein reinigendes Gewitter stattfindet, dass danach alles wieder in Ordnung ist.


    5. Satz: Allegretto: Hirtengesang: Frohe und dankbare Gefühle nach dem Sturm ((9:43):


    Die Tempo- und Dynamikstruktur bleibt unverändert erhalten. Leibowitz wollte wohl auch ausdrücken, dass hier keine Zeit für Experimente ist. Hier passt wohl auch das "Günter-Wand-Wort" hin: "So und nicht anders".
    Wir haben in letzter Zeit in Tamino schon andern Ortes die Tempofrage in der Pastorale erörtert. Leibowitz demosntriert hier, dass das Tempo keine Frage ist.
    Abgesehen davon, kann das Niveau des Royal Philharmonic hier gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Interpretatorisch zeigen Leibowitz und sein R. Ph. O., was die "Pastorale wirklich ist: ein lyrischer "Achttausender".


    Und er gehört damit in die allererste Reihe der Interpreten dieser Symphonie:


    So viel Lyrik wie möglich, so viel Drama wie nötig!!


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • 1. Satz: Allegro ma non troppo. Erwachen heiterer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande (9:04):


    Leinsdorf spielt die ersten Takte mit dem Thema etwas langsamer, dann zieht er das Tempo etwas an (ma non troppo). Er wird jedoch für meinen Geschmack nicht zu schnell, gehört aber zu den Schnelleren im Lande (9:04 min, Leibowitz 11:33min). Ganz so krass dürfte es jedoch nicht sein, denn ich konnte so nicht kontrollieren, ob Leinsdorf etwas Nennenswertes ausgelassen hat, da ich keine Partitur habe. Er wählt einen kräftigen Ton in den Dynamikspitzen, geht aber auch tief ins Piano, mit etwas aufgerauhten Streichern. Es ist viel Aktion in diesem ersten Satz, etwas mehr Unruhe als bei Leibowitz (verkehrte Welt?).
    Jedenfalls braucht sich Liebestraum (zumindest in diesem Satz) keine Gedanken um die mangelnden Wiedergabe Beethovenscher Kraft in Leinsdorfs Interpretationen zu machen oder gar befürchten, das könnte belanglos klingen, wobei ich befürchte, dass er die Leinsdorf-Interpretationen gar nicht alle gehört hat. Jedenfalls ist diese Lesart (bis hierher) sehr rhythmisch mit Vorwärtsdrang, markant mit den bekannten Qualitätsmerkmalen der Bostoner Streicher und Bläser. Auch die Coda erfährt dadurch eine noch größere Steigerung, als dies m.E. bei Leibowitz der Fall ist, wobei ich keineswegs sagen will, dass das eine besser ist als das andere, es ist nur: anders.


    2. Satz: Andante molto mosso: Szene am Bach (12:11):


    Hier nimmt er das Tempo stärker zurück gegenüber dem Kopfsatz, als man es schon andernorts gehört hat. Hier tritt die "angespannte" Entspannung an die Stelle des Vorwärtsdrängens im ersten Satz, ein Andante molto mosso, mit viel Ausdruck, wie ich finde. Der Gegensatz in der Tempostruktur zwischen dem ersten und dem zweiten Satz scheint mir größer als bei Leibowitz. Erstaunlich! Jetzt ist hier auch Ruhe eingekehrt. Trotzdem ist das hier auch durchweg auf Linie musiziert, spannungsvoll und auch ohne Unterbrechungen im musikalischen Ablauf.Die Changierung kurz vor der Kuckuckssequenz erhebt sich meisterhaft wie aus dem Nichts. Auch die Sequenz selbst ist ganz toll musiziert, und der Satz geht ganz unaufgeregt auf diesem hohen Niveau zu Ende.


    3. Satz: Allegro: Lustiges Zusammensein der Landleute (5:18):


    Hier im dritten Satz nähern sich Leinsdorf und Leibowitz temporal ganz deutlich aneinander an. Leinsdorf lässt hier wieder sehr markant musizieren mit meisterhaften Bläsern, vor allem im Holz. Der sehr akzentuierte Tanz wird mit erhöhtem Tempo gespielt- sehr souverän. Das Trio wird in den Oboen und Klarinetten, auch in der Weiderholung, grandios gespielt.


    4. Satz: Allegro: Gewitter - Sturm (3:23)


    Nach der p-Einleitung beeindrucken die Bostoner durch gewaltige Blechbläser und große Pauken. Die Trompetzen spielen zuerst angerissen, dann wachsen sie in der großen Steigerung ganz organisch, sind allerdings nicht (zu) explosiv und alles schwillt nach dem großen Höhepunkt ruhig ab und geht abermals attacca: in das Finale über:


    5. Satz: Allegretto: Hirtengesang: Frohe und dankbare Gefühle nach dem Sturm (8:40)


    Das herrliche Horn - die wunderbaren p-Geigen im wiegenden Allegretto-Rhythmus - das ist froh und dankbar. Wie immer ist das Ganze auch in den (tiefen) Streichern plastisch vorgetragen. Kräftig geben zwischendurch wieder die Trompeten den Ton an. Doch auch dann hört man deutlich die Begleitfiguren der Kontrabässe und Celli.
    Auch das zwischenzeitliche dynamische Innehalten mit der Wiederholung des Hauptthemas in den Celli gelingt vortrefflich, wobei im Vorwärtsgehen nicht innegehalten wird. Erst kurz vor Schluss wird natürlich das Tempo zurückgenommen, was ganz organisch und entspannt geschieht, in den Schlusstakten mit gestopften Trompten, was mir, so glaube ich, so noch nicht aufgefallen ist.


    Dies ist m. E. ebenfalls eine sehr gute Interpretation der Pastorale.


    Liebe Grüße


    Willi :rolleyes:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Lieber Willi,


    mein Leinsdorf-Zyklus stammt noch aus einer anderen Zeit. Aber ich nehme sie so gut wie nie zur Hand, weil es nicht nur bessere Zyklen gibt, sondern auch bessere Einzel-Interpretationen:



    Ich hatte mich damals sehr auf diesen Zyklus gefreut, da ich ansonsten Leinsdorfs Dirigate sehr schätze. Aber schnell stellte sich Ernüchterung ein. Ganz gut sind die 9. und auch die 7. ist noch gangbar. Absolut enttäuschend ist die "Eroica".


    :hello: LT

  • Lieber Liebestraum,


    ich will nicht abstreiten, dass dem wirklich so ist, und dann werde ich ja diese Enttäuschung noch vor mir haben, aber im Gegensatz zu dir bin ich doch der Meinung, dass die Sechste sehr gelungen ist. Zwar halte ich die Sechste in der Interpretation von Leibowitz hier noch für stärker, wie du gemerkt haben wirst, und ich glaube das auch in beiden Fällen hinreichend ausgeführt zu haben.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Felix Weingartner, Royal Philharmonic Orchestra, 18./19. Januar 1927
    Spielzeiten: 9:01/10:56/2:44/3:06/7:48 – 33:44
    Keine Wiederholungen


    Ganz schön flott geht es los – es gibt kaum einen Halt auf der ersten Fermate, die geradezu scharfkantig beendet wird. Für die nächsten Takte sagt mein Metronom: Halbe = 63. Man höre die Artikulation der vorwitzigen ersten Oboe beim zweiten Einsatz des ersten Themas, um zu ahnen, wohin die Reise geht! Halbe = 58-60 beim zweiten Thema. Die Partitur will 66. Keine Wiederholung der Exposition. Die große Repetitionsstelle hat Puls und ist in stetem Fluss, hat aber auch viel Wärme. – Mir gefällt im ganzen Satz die Transparenz des Klanges und auch die recht scharfe Artikulation. Das Tempo ist klar auf der zügigen Seite, über weite Stellen Halbe = 60 und schneller. Dies alles verleiht dem Satz einen recht kräftig zupackenden, in den Tutti geradezu überschwänglichen Gestus – nichts für Freunde einer behaglichen Pastorale zum satten Dösen. Unterm Strich gibt es eher wenig Tempovariation, doch in der Coda erreicht Weingartner Halbe = 50. Da ist die Einheit des Satzes nicht so richtig gewahrt. (In Takt 416, bei 7:04, spielt ein erster Geiger cis“ statt c“, was der Stelle ein gewisses Jazz-Feeling gibt.)


    Der zweite Satz wird anfangs sogar schneller als vorgeschrieben genommen (54 punktierte Viertel statt 50). Es gibt bei Weingartner jedoch immer wieder Stellen, in denen er deutlich breiter spielen lässt. Trotzdem: Vorwärtsbewegung allenthalben, kein idyllischer Stillstand. Das kommt vor allem von den Sechzehnteln, die in diesem Satz ja fast durchgehend zu hören sind - diese werden non legato gespielt. - Die Streicher spielen ihre Passagen nicht immer rein, kleinere Unfälle gibt es allüberall. Auch von Portamenti wird Gebrauch gemacht. – Unglaublich gut sind die Vogelstimmen in der Coda, die Oboe ist einfach der Hammer! Tschilp!!


    Der dritte Satz ist anfangs eigenartig anzuhören – die einstimmigen Stellen sind zu laut (pianissimo steht in der Partitur) und viel schneller als notiert, ca. 120 Takte p. m. anstatt 108. Mit Einsatz des Legato-Themas wird im Tempo der Partitur weiter musiziert, bis zur nächsten Unisono-Stelle, wo es wieder schneller wird usw. Der Grundeindruck ist durchaus sehr zügig, auch hier gibt es keine entspannte Landpartie. Seltsam ist, dass der Trio-Abschnitt (In tempo d’Allegro) langsamer als vorgeschrieben gespielt wird (ca. 120 Viertel p. m. statt 132), quasi im selben Tempo wie der erste Abschnitt. Dadurch werden die Relationen verzerrt. - Das Gewitter beginnt mit Halbe = ca. 110 p. m. deutlich schneller als notiert. Dennoch fehlt es ihm an Kraft, was ich aber der Klangtechnik anlasten möchte, das „auf Höhepunkte hinspielen“ ist nämlich gut gelungen. Doch überwältigend ist es nicht. – Auch der Hirtengesang liegt temposeitig leicht über den Vorgaben der Partitur (60 punktierte Viertel p. m.). Auch hier klingt es flott, kraftvoll, mit geradezu schneidiger Artikulation, wobei es den Choralstellen (mit den Posaunen) nicht an Größe fehlt. Anderswo sind sie freilich mit mehr Würde zu hören. Die beiden Schlussakkorde sind unglaublich!


    Insgesamt ist das alles andere als ein beschaulicher Tag auf dem Lande. „Alles pulst“ wäre vielleicht eine passende Überschrift. Diese Pastorale umfängt den Hörer mit Überschwang und Energie statt mit Heiterkeit und Gelassenheit. Vor allem aber ist die Einspielung ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, dass schnelle Tempi und deutliche Artikulation keine Erfindung von HIP sind. Hier wird zügig musiziert, scharf artikuliert und bisweilen kräftig zugepackt. Man höre alleine die beiden Schlussakkorde. Hörenswert!

  • Hans Pfitzner, Orchester der Berliner Staatsoper, 1930 (?)
    Spielzeiten: 11:00/13:53/2:55/3:27/10:51 – 42:08
    Keine Wiederholungen


    Ein völlig anderer Zugang zur “Pastorale” wird uns durch Hans Pfitzners Aufnahme mit dem Orchester der Berliner Staatsoper geboten, deren Aufnahmedatum leider nur durch eine Jahreszahl auf einer Kopie der originalen Matrizen eingegrenzt werden kann.


    Geradezu scheu und versteckt-zärtlich hebt die Musik an. Ja nichts kaputtmachen, keusche Zurückhaltung ist Trumpf. Dieser Eindruck verstärkt sich noch, wenn die erste Oboe das Thema präsentiert. Zwischen ca. 40 und ca. 50 Takten pro Minute schwankt das Tempo (!!), in der Partitur sind 66 angegeben. Crescendi bedeuten accelerandi und umgekehrt. Aber auch in der Überleitung zum zweiten Thema wird leicht angezogen, ohne dass der scheue Grundton aufgegeben würde. Keine Wiederholung der Exposition. – In der Durchführung kippen manche Einsätze der ersten und zweiten Geigen nach vorne – war das wirklich so gewollt oder sind das schlagtechnische Probleme? Ansonsten ist zu vermerken, dass die Fortestellen nun kräftiger genommen werden, aber das emotionale Spielfeld weiterhin im scheuen und keuschen Bezirk zu verorten ist. Ein denkbar starker Gegensatz zu Weingartners überschwänglichem Spiel! Herrlich anzuhören sind manche Verzierungen in den Flöten (z. B. vor 7:00), die die Klangtechnik immerhin noch hörbar eingefangen hat.


    Wie schon im ersten Satz ist es auch im zweiten schwierig, ein Tempo anzugeben, da Pfitzner sehr elastisch spielen lässt und etliche kleinere und größere Rubati anbringt. Der Grundpuls liegt etwas über 40 punktierte Viertel pro Minute (Partitur: 50). Ähnlich wie im Kopfsatz ist auch der zärtlich-scheue Gestus, der mir hier jedoch angebrachter zu sein scheint. Die Artikulation ist ganz auf der weichen Seite, Legato ist Trumpf. Nur die Phrasierung hilft bei der Strukturierung. Ich bewundere Pfitzners Gabe, trotz der wahnsinnig langsamen Tempi so etwas wie Fluss aufrecht zu halten, doch frage ich mich: ist das wirklich alles an Dramatik, was Beethoven in die ersten beiden Sätze gesteckt hat?


    Dieses Bild ändert sich im dritten Satz, der wirklich Allegro genommen wird. Um 100 Takte pro Minute geht es los, um im Tutti die vorgeschriebenen 108 tatsächlich zu erreichen. Auch die Artikulation ist duftiger, aufgelockerter, die Musik wirkt vital, ohne mit der Tür ins Haus zu fallen. Ausgezeichnet! Das Trio hat mit etwas über 120 Vierteln pro Minute einen angemessen Abstand zum Tempo des Hauptteils. Keine Wiederholung. – Das Gewitter beginnt mit einem kräftigen Grollen der Celli und Kontrabässe, deutlich lauter als das pp der Partitur. Dadurch wird Wesentliches der Dramatik verschenkt. Pfitzner bleibt beim vorgeschriebenen Tempo. Interessant sind die Beschleunigungen an einigen Phrasen-Enden, die dem Geschehen viel Drive verleihen. – Der fünfte Satz knüpft wiederum an den scheuen Gestus der ersten beiden an. Molto rubato für die einleitenden Bläsersignale (Klarinette, Horn). Wiederum sehr langsam, der Grundpuls bei 48 punktierten Vierteln pro Minute (Partitur: 60), teilweise noch stark verlangsamend. Im Unterschied zu den ersten Sätzen zeigt Pfitzner hier auch den vollen Orchesterklang. Wenn man das Tempo akzeptiert, ist es sehr überzeugend!


    „Schmeichelnd, hold und lieblich“ - bösartig gesagt klingen die ersten beiden Sätze, als ob Pfitzner beruhigende Substanzen eingenommen hätte und obendrein harmoniesuchend und konfliktscheu wäre. Das ist die beschauliche Landpartie, die mancher von der „Pastorale“ erwartet! Doch die Sinfonie plätschert nicht einfach beruhigend vor sich hin. Dafür sorgen kleinere und größere Temposchwankungen, die als dominierendes Werkzeug der Dramaturgie (Spannung wäre ein falsches Wort) eingesetzt werden. Dies ist in späteren Zeiten aus der Mode gekommen, hier aber in Reinkultur zu hören. Wegen der langsamen Grundtempi und wegen des zurückhaltenden Zugangs klingt es manchmal wie im Traum, als ob das Stück entgegen den Vorschriften der Partitur als Vision inszeniert würde (Sinfonisches Regietheater um 1930 – selbstverständlich undenkbar …).

  • Bruno Walter, Wiener Philharmoniker, Musikvereinssaal 05. Dezember 1936
    Spielzeiten 9:21/12:06/5:27/3:25/8:40 – 38:59
    Kopfsatz ohne Wiederholung, dritter Satz mit Wiederholung.


    Im ersten Satz liegt das Haupttempo bei 60 Takten pro Minute oder knapp darunter. Der erste Eindruck wirkt entspannt. Durch die sehr schön ausgespielten Crescendi und Decrescendi stellt sich bei mir tatsächlich so etwas wie „Erwachen heiterer Gefühle“ ein, man taucht in eine andere Welt ein. Kleinste metrische Wackler fallen da nicht ins Gewicht. Das erste Thema hat im Tutti durchaus einen freudigen Impetus, es wird ganz wunderbar artikuliert und phrasiert, alles sehr lebendig! Das zweite Thema wird fast im selben Tempo genommen. Kleinste Temporückungen beleben das Geschehen. Doch das Erstaunlichste ist vielleicht der hohe Klangsinn, sind die zahlreichen Farben und Schattierungen. Die Wiener Philharmoniker spielen großartig. Keine Wiederholung der Exposition. – Auch in der Durchführung mit ihren Repetitionsabschnitten kann man sich an Farben und kleinsten Tempoveränderungen erfreuen, die zusammen mit der wunderbar großbogigen Dynamik den Eindruck eines atmenden Organismus‘ vermitteln.


    Der zweite Satz wahrt den angemessenen Abstand zum ersten – ca. 45 punktierte Viertel pro Minute sind wiederum knapp unter der Partiturangabe (50). Walter gelingt das Kunststück, den Satz trotz des zurückgenommenen Tempos und des eher engen emotionalen Radius‘ spannend und kurzweilig zu gestalten. Zum einen durch eine liebevoll ausgearbeitete Dynamik, zum anderen durch die hochdifferenzierte Artikulation – wie viele Abstufungen es da zwischen „gerade nicht mehr legato“ und „fast schon staccato“ gibt, macht Staunen. Hier zeigt sich, welchen Unterschied die Wahl der Mittel bewirkt: Rubato bei Pfitzner, Dynamik und Artikulation bei Walter.


    Der dritte Satz beginnt knapp unter 100 Takten pro Minute (Partitur: 108) im notierten Pianissimo. Artikulation und Phrasierung bei Einsatz des Legato-Themas sind wieder großartig. Recht lebendig, aber nicht so anspringend wie etwa bei Weingartner. Trotz allen Schwunges bleibt es entspannt – wunderbar! Allerdings wird das Trio eher noch schneller als notiert genommen – ca. 140 Viertel p. m. statt 132. Doch Walter gestaltet den Gegensatz stimmig. Die Wiederholung wird gespielt. – Der Einsatz des Gewitters klingt gewaltig! Diese Wucht! Das teilt sich selbst bei der gegebenen Klangtechnik noch deutlich mit. Die Sforzati sitzen. Wahnsinn. Die Pianissimi grummeln herrlich naturalistisch – wir schreiben das Jahr 1936 ... so haben die Wiener schon damals gespielt! Diese Aufnahme ist ein Muss für Pastoralen-Fans. – Das erste Thema des letzten Satzes erklingt genau im vorgeschriebenen Tempo (60 punktierte Viertel pro Minute), wie stimmig klingt das doch … Wieder sind die herrlichen kleinen Crescendi und Decrescendi zu hören, die Artikulation ist gut aufgelockert, die Bläserfarben kommen zur Geltung. Walter führt das Werk zu einem entspannten Schluss.


    Ging Weingartner vielleicht auf der überschwänglichen, ging Pfitzner vielleicht auf der scheu-zärtlichen Seite am Werk vorbei – bei aller Achtung vor der konsequenten Umsetzung beider Wege -, so scheint mir Walter das Werk viel genauer zu treffen. Nie habe ich den Eindruck, die Interpretation hätte eine Schlagseite in diese oder jene Richtung wie bei Weingartner und Pfitzner. Alles klingt, als ob es so sein müsse. Der Orchesterklang ist durch Artikulation aufgelockert und transparent, kleine Crescendi und Decrescendi, Accelerandi und Ritardandi verstärken eher den Eindruck der Stimmigkeit und wirken nicht im Mindesten aufgesetzt. Das Gewitter lässt nichts, aber auch nichts zu wünschen übrig – fulminant im wahrsten Sinne des Wortes! Die Klangtechnik ist so gut, dass sich dies alles wahrnehmen und genießen lässt.

  • Willem Mengelberg, Koninklijk Concertgebouworkest, 21. April 1940
    Spielzeiten: 8:31/12:15/5:36/3:36/8:22 - 38:20
    Kopfsatz ohne Wiederholung, dritter Satz mit Wiederholung.


    Diese Wiedergabe des Kopfsatzes zeigt eher die ausgelassenen Seiten der Musik. Der Anfang ist zwar sehr ruhig, wird quasi als langsame Einleitung genommen, doch bald geht es flott übers Land mit Mengelberg: Zwischen 60 und 63 Halbe pro Minute sind es beim ersten Thema (Partitur: 66). Die Artikulation ist deutlich auf der non-legato-Seite, Akzente sind sehr gut herausgearbeitet. Beides zusammen lässt die Musik sehr lebendig und fröhlich erklingen. Das zweite Thema erscheint zwar im Legato, doch wird sein Kontrapunkt ungewohnt deutlich artikuliert (Takt 71, 1:14, Celli und Bässe, später analog in den anderen Registern). Heftig artikuliert erklingt die Coda geradezu stürmisch. Keine Wiederholung. – Nach dem Verklingen am Ende der Exposition wird der Impetus der Coda eingangs der Durchführung wieder aufgebaut und wird auch dem großen Repetitionsabschnitt zuteil, der nicht beschaulich klingt, sondern stets scharf gezeichnet pulst und dabei Kraft und Energie verströmt. Immer wieder sind deutliche Akzente zu hören, die keinen Gedanken an idyllisches Landleben aufkommen lassen, sondern die Musik befeuern. - Ein Kopfsatz, dem jugendlicher Tatendrang innewohnt.


    Wie die Achtel zu Beginn des zweiten Satzes artikuliert werden, ist durchaus HIP-nahe – deutliches Absetzen nach jeder Dreiergruppe. Das Tempo ist in Übereinstimmung mit der Partitur bei 50 punktierten Vierteln pro Minute, aber es wird viel Rubato eingesetzt, manchmal sind mehrere Takte hintereinander bei 40. Die Bögen in der Melodie dürfen über der kleingliedrig artikulierten Begleitung weit ausschwingen, Vorder- und Hintergrund sind also scharf getrennt. Auch Portamenti sind zu hören. – Die Tempofreiheit der Oboe bei T. 59 ff, 4:56, finde ich beeindruckend – wie improvisiert, völlig des Metrums entrückt. Immer wieder ist die Kunst Mengelbergs zu bewundern, sein Orchester völlig synchron in organische Ritardandi zu führen und dort auch wieder herauszuholen. Jenseits aller stilistischen Überlegungen ist das eine Kunst für sich. In diesem Falle bewahrt sie die Musik vor Gleichförmigkeit. Ganz verklingend wird die Coda angelegt, mit dem Einsatz der Vogelstimmen scheint die Musik völlig zur Ruhe zu kommen.


    Der dritte Satz hebt temposeitig vorsichtig an, ca. 92 Takte pro Minute statt 108, bei der Wiederholung ist das Tempo deutlich zügiger, ca. 100 und darüber. Trotzdem wird straff gespielt, viel Schwung und kurze Artikulationen prägen die Wiedergabe. Der Vorwärtsdrang ist nicht zu überhören. Ca. 120-126 Viertel p. m. im Trio (132 will die Partitur). – Das Gewitter beginnt nur knapp über den in der Partitur vorgegebenen 80 Halben pro Minute. Mengelberg lässt vor dem ersten Fortissimo-Ausbruch einen in der Partitur nicht notierten, aber höchst effektvollen Paukenwirbel im Crescendo spielen. Auch lässt er einige Tremoli der Streicher „sul ponticello“ spielen – eine Spieltechnik, die im Orchestersatz meines Wissens aus der Zeit nach Beethoven stammt. In Takt 60 lässt er die Trompeten im „Forte“ einsetzen – sehr effektvoll, in der Partitur steht aber „piano“. (Das ist ja eine Willkür wie im Regietheater!) Vor den Sforzati in T. 35ff., 0:48, lässt er deutlich absetzen, bringt die Orchesterschläge minimal nach der Zeit. Alles sehr wirkungsvoll! – Zu Beginn des letzten Satzes fällt auf, wie kleingliedrig Mengelberg das Thema artikulieren lässt. Das Tempo gehört zu den schnelleren, ca. 66 punktierte Viertel p. m. beim Einsatz des Themas im Tutti (T. 25, 0:43), die Partitur will 60. Mein Eindruck ist eher der einer ausgelassenen Freude statt „froher, dankbarer Gefühle nach dem Sturm“. Na ja, das ist natürlich subjektiv. Aber man höre die Spielfreude bei der Steigerung, die in T. 140, 4:04, beginnt – das ist doch Überschwang pur mit ca. 72 punktierten Vierteln p. m. Breiter Schlussakkord.


    Dies ist eine hochvitale Pastorale voll jugendlichem Tatendrang. Auch diese Aufnahme kann das Vorurteil widerlegen, dass schnelle Tempi und scharfe Artikulation eine Erfindung von HIP seien. Einige Freiheiten gegenüber dem Notentext zeigen, dass auch in früheren Zeiten große Meister in Partituren der heiligsten Komponisten eingriffen und auch ungeniert Spieltechniken des 20. Jahrhunderts auf Beethoven anwendeten. Horribile dictu möchte man angesichts der Regietheaterdiskussion rufen!

  • Alle vier Aufnahmen haben ein scharf geschnittenes interpretatorisches Profil. Die Dirigenten haben eine klare Vorstellung von der Wiedergabe des Werkes und setzen diese minutiös um. Jede Aufnahme trägt eine sehr persönliche Handschrift und ist unverwechselbar. Hier sind Meister am Werk.


    Schnelle Tempi und scharfe Artikulation sind keine Erfindung von HIP. Man höre die Einspielungen mit Felix Weingartner und Willem Mengelberg. Hans Pfitzner sucht uns hingegen davon zu überzeugen, wie zärtlich und scheu diese Musik in ihrem innersten Kern doch sei.


    Meine Lieblingsaufnahme unter diesen vieren ist diejenige mit Bruno Walter. Bei den anderen dreien gab es jeweils die eine oder andere Stelle, an der ich dachte: „zu schnell“/“zu langsam“/“zu kurz“/“zu lang“/“zu laut“/“zu leise“/“zu heftig“/“zu zaghaft“/ … (oder welche Pole der musikalischen Wahrnehmung auch immer). Nicht bei Bruno Walter. Für meine Begriffe passt bei diesem alles zusammen, alles fügt sich bruchlos in ein großes, stimmiges Ganzes. Und das Gewitter ist der helle Wahnsinn. Zu allem diesem kommt der herrliche Klang und die hohe Spielkultur der Wiener Philharmoniker.


    :hello:

  • Wilhelm Furtwängler, Berliner Philharmoniker, 25. Mai 1947
    Spielzeiten: 11:05/12:59/5:33/4:05/8:42 - 42:24
    Kopfsatz ohne Wiederholung, dritter Satz mit Wiederholung.


    Dieser Mitschnitt dokumentiert Furtwänglers erstes öffentliches Auftreten am Pult der Berliner Philharmoniker nach seinem Entnazifizierungsverfahren. Auf dem Programm standen Beethovens 6. und 5. Sinfonie.


    Es geht gemächlich los bei Furtwängler. Ca. 40 Takte pro Minute nach der ersten Fermate, dann scheint die Musik nach und nach zu erwachen. Im ersten Tutti ist er ziemlich genau bei 50 (Partitur: 66), was doch ein recht großer Gegensatz ist. Die Artikulation ist auf klare Zeichnung angelegt. Dennoch entfaltet sich die Musik ruhig. Keine Wiederholung der Exposition. – Viel Ruhe auch in der großen Repetitionsstelle, doch das Crescendo ist deswegen nicht weniger bezwingend, wie überhaupt die sich organisch vollziehende Dynamik ein Genuss ist. Großer, hell strahlender Klang in den Tuttiabschnitten. Bei aller Anerkennung dieser Qualitäten finde ich diese Wiedergabe in den Veränderungen der Tempi zu willkürlich. Es klingt unverbindlich und al fresco. Was der Sinfonie nicht gut tut.


    Mit eingangs ca. 40 punktierten Halben pro Minute (Partitur: 50) wahrt der zweite Satz die angemessene Relation zur Wiedergabe des ersten. Die Artikulation ist auf der weichen Seite, hier wird diesbezüglich kein Kontrast von Vorder- und Hintergrund geschaffen – diese Abgrenzung geschieht alleine durch die Lautstärke. Der Eindruck ist idyllisch. Ein wahrer locus amoenus wird hier geboten. Doch Furtwängler zieht ab 2:05 das Tempo stark an, bis zu 50, was an dieser Stelle wiederum völlig willkürlich wirkt. Eingebung des Augenblicks? Oder war es ihm doch zu langsam?


    Die Tempodisposition ist eingangs des dritten Satz ähnlich derjenigen Weingartners: Beginn mit ca. 100 Takten pro Minute (Unisoni), Legato-Thema dann in ca. 92, Tutti wieder in ca. 100. Die Musik erklingt trotz eher weicher Artikulation deutlich gelöster, geradezu beschwingt nach den ersten beiden Sätzen. Das Trio läuft ungefähr im notierten Tempo ab (132 Viertel p. m.). Dies alles ist unspektakulär und gut. Die Wiederholung wird gespielt. – Zu Beginn des Gewitters traut Furtwängler der Partiturvorgabe von 80 Halben p. m. Natürlich zieht er das Tempo an, nimmt das Tempo überraschenderweise aber auch wieder zurück. Interessant! – Große Ruhe nach dem Gewitter. Das Thema erklingt beim ersten Auftreten unterhalb der Partiturvorgabe von 60 punktierten Vierteln pro Minute, was sehr ruhig wirkt. Doch Furtwängler wird in diesem Finale zum hitzigen Draufgänger, steigert sich temposeitig bis punktierte Viertel = 72 und mehr (Partitur: 60), findet aber auch wieder Momente der Ruhe. Diese Wechsel überzeugen nicht immer, er klingt sehr spontan, aber nicht immer organisch.


    Die ersten beiden Sätze bleiben durch die spontane, wenig kalkulierte Wiedergabe recht indifferent. Im zweiten Satz gibt es willkürlich wirkende Tempoveränderungen. Auch das Finale bringt große Tempoextreme von großer Ruhe bis hin zu hitzigem Vorwärtsstürmen. Das ist nicht immer organisch und hinterlässt den Eindruck einer al-fresco-Wiedergabe. In den Rohrblattinstrumenten gibt es einige kleinere Patzer. Materialprobleme nach dem Krieg? Zu loben ist der hell strahlende Tuttiklang der Berliner Philharmoniker. – Das Publikum wird dankbar gewesen sein, dass Furtwängler wieder am Pult seines Orchesters stand, doch dies war nicht sein stärkster Tag.

  • Wilhelm Furtwängler, Wiener Philharmoniker, 24./25. November 1952
    Spielzeiten: 11:50/13:23/5:58/4:08/9:19 - 44:48
    Kopfsatz ohne Wiederholung, dritter Satz mit Wiederholung.


    Jeden einzelnen Satz nahm Furtwängler im Jahre 1952 in Wien noch langsamer als fünf Jahre zuvor in Berlin. Doch das Ergebnis überzeugt ungleich mehr.


    Wie 1947 nimmt Furtwängler ca. 40 Takte pro Minute nach der ersten Fermate und scheint dann die Musik nach und nach zum Erwachen zu bringen. Anders als in Berlin erreicht er im ersten Tutti aber nur ca. 46 statt 50 (Partitur: 66). Nicht nur das Tempo ist etwas zurückhaltender, auch die Artikulation ist eher auf der weicheren Seite. So zeigt die Musik große Noblesse und entfaltet sich unaufdringlicher und ebenmäßiger. Man könnte es langweilig finden – ich finde es stringent, denn ich kann hier als Hörer leichter folgen als bei der Berliner Aufnahme. Auch wenn ich die Pastorale nicht immer so hören möchte, ist dies ein möglicher Zugang auf höchstem Niveau. Keine Wiederholung der Exposition. – Der Orchesterklang wirkt in den Steigerungsstellen dunkler, erdiger als in Berlin, weniger hell strahlend. Gut! Kann aber auch an der Klangtechnik liegen.


    Der Puls liegt eingangs des zweiten Satzes bei ca. 38 punktierten Halben pro Minute (Partitur: 50). Dies wahrt die angemessene Relation zum ersten. Die Artikulation ist wie in Berlin auf der weichen Seite. Der Eindruck ist ebenso idyllisch wie 1947. Wieder zieht Furtwängler das Tempo an, jedoch eher unauffällig und nur bis zu etwa 44, was viel schlüssiger klingt als fünf Jahre zuvor in Berlin. Hier wirkt der ganze Satz organisch.


    Die Tempodisposition des dritten Satzes unterscheidet sich von derjenigen 1947 in Berlin: Hat Furtwängler dort die Unisono-Einsätze in schnellerem Tempo als das Legato-Thema genommen, so liegen hier beide bei ca. 88 Takten pro Minute (Partitur: 108). Der Satz wirkt eher zurückhaltend, das Legato-Thema wird nachvollziehbar phrasiert. Im Forte wird es nochmals schneller, Akzente werden stimmig gesetzt und verleihen der Musik Drive. Im Trio-Abschnitt sind es etwa 112-116 Viertel pro Minute. Die Wiederholung wird gespielt. Wie in Berlin: unspektakulär und gut, durch die höhere Einheit des Tempos sogar noch überzeugender. – Der vierte Gewitter beginnt im Tempo der Partitur (Halbe = 80). Teilweise ganz leichtes Beschleunigen an Phrasenenden. Das Naturereignis wird ganz stilisiert präsentiert, bleibt sozusagen im klassischen Rahmen. Nichts für Freunde des Orchestereffektes, aber es passt ausgezeichnet in diese doch sehr ausgeglichene, ebenmäßige Pastorale. – Eingangs des letzten Satzes ist das Tempo knapp unter der Partiturangabe (ca. 54 punktierte Viertel statt 60), doch wie 1947 in Berlin zieht Furtwängler das Tempo bisweilen kräftig an und gerät geradezu ins Schwelgen, ohne dass dies so aufgesetzt wirken würde wie dort, und findet auch wieder entspannteren Puls.


    Diese Ausnahme ist wesentlich überzeugender als die 1947er, da die Tempowechsel nicht so stark sind und weil es Furtwängler besser gelingt, die Wechsel organisch zu gestalten. Nicht meine Lieblingsversion der Pastorale, aber durch ihr Ebenmaß großartig.

  • Wilhelm Furtwängler, Berliner Philharmoniker, 23. Mai 1954
    Spielzeiten: 11:45/13:45/5:59/4:09/8:59 - 44:37
    Kopfsatz ohne Wiederholung, dritter Satz mit Wiederholung.


    Hier ist eines der letzten Konzerte Furtwänglers zu hören. Auf dem Programm standen wiederum Beethovens 6. und 5. Sinfonie. In seinen beiden letzten Konzerten im September 1954 waren Beethovens 1. Sinfonie und Furtwänglers 2. Sinfonie zu hören.


    Im ersten Satz sind die Unterschiede zur 1952er Aufnahme so minimal, wie es die Spielzeiten vermuten lassen. Die Artikulation ist in Berlin minimal straffer als in Wien, dadurch wirkt diese Aufnahme etwas vitaler. Dennoch scheint mit Furtwänglers Musizieren von einer etwas nachdenklicheren, ernsteren und auch nachdrücklicheren Art zu sein. Aber das hing auch von der jeweils gewählten Hörlautstärke ab und ist bestimmt schon im Grenzbereich des Wahrnehmbaren.


    Der zweite Satz beginnt mit ca. 35 punktierten Vierteln pro Minute. Das ist wirklich tiefenentspannt, dieser Eindruck wird durch die mitunter starken Ritardandi noch verstärkt. Die Temposteigerungen nach der Hornquintenstelle (ca. 2:12), wenn die Musik in modulierendes Fahrwasser gerät, sind expansiver als in Wien 1952. Bis zu 48 geht es, was die Musik zwar in beglückender Weise fließen lässt, aber dazu führt, dass der Satz tendenziell auseinanderfällt. Davon abgesehen, ist hier nicht minder großes Orchesterspiel als in Wien zu bewundern. Wegen der größeren Einheitlichkeit würde ich die Wiener Aufnahme bevorzugen – Geschmackssache, wie natürlich alles in diesem Vergleich.


    Im dritten Satz ist die Tempogestaltung des Anfangs sozusagen der Mittelweg zwischen Berlin 1947 und Wien 1952: Unisono in ca. 88, Legato-Thema in ca. 84 Takten pro Minute. Allerdings kaum hörbar. Die Fortestellen im Tutti sind fast bei 100. Der Trioteil liegt wie in Wien bei ca. 112 Vierteln pro Minute. Auch hier wird die Wiederholung gespielt. Wie in Berlin 1947 und Wien: Unauffällig und gut. – Dass das Gewitter bei Furtwängler nicht naturalistisch gespielt wird, dürften die meisten richtig vermuten. Erstaunt hat mich das im Vergleich zu Wien 1952 noch niedrige Anfangstempo (unter 80), das sich steigert, aber vor dem Höhepunkt mit der Piccoloflöte wieder zurückgeht. Sehr spannend! – Im letzten Satz zieht Furtwängler das Tempo bisweilen kräftig an, vergleichbar mit der Berliner Aufnahme, und gerät wiederum ins Schwelgen. Da finde ich die Wiener Aufnahme abermals runder.


    Eine sehr gute Aufnahme, ausgeglichener als diejenige aus dem Jahre 1947, aber nicht so ebenmäßig wie die Wiener Aufnahme aus dem Jahre 1952. Es ist nun Geschmackssache, ob man die höhere Spontaneität von 1954 oder die Klassizität von 1952 höher schätzt – da die Unterschiede nicht groß sind und sich wohl niemand die ausgezeichnete 12CD-Box von audite wegen der 1954er Pastorale anschaffen wird, gilt meine Empfehlung klar der Wiener Aufnahme von 1952.

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Arturo Toscanini, NBC Symphony Orchestra, Carnegie Hall 14. Januar 1952
    Spielzeiten: 11:47/11:28/5:01/3:31/8:47 - 40:56
    Wiederholungen im Kopfsatz und im dritten Satz.


    Mit ca. 56 Takten pro Minute ist das Tempo nach der ersten Fermate (T. 5ff.) eher zügig, im Tutti steigert es sich minimal auf ca. 60. Der Eindruck ist frisch und heiter, nicht so überschwänglich wie bei Mengelberg. Beim zweiten Thema geht es wieder leicht zurück, etwa auf die 56 des Anfangs. Toscanini gewinnt den Kontrast beider Themen eher über die Artikulation: federnd, ohne abgerissen zu wirken im ersten, dicht und dennoch leicht im zweiten. Hier wird die Wiederholung gespielt. Bis hierher sehr angenehm – ich hatte Toscaninis Beethoven als eher mechanisch in Erinnerung, aber bis überrascht, wie gelöst und locker das alles klingt. – Dieser Eindruck setzt sich in der Durchführung fort. Durch die hohe Konstanz des Tempos unterscheidet die Aufnahme sich deutlich von Furtwängler u. a. Akzente werden mit viel Gewicht genommen, für meinen Geschmack etwas zu viel – es wirkt ein wenig gewollt. Das ist eigentlich das Einzige, was ich an diesem Kopfsatz kritisieren würde.


    Nur knapp unter der Partiturangabe von 50 punktierten Vierteln p. m. beginnt der zweite Satz, das ist spätestens mit Einsatz der Sechzehntelbewegung durchaus ein „Andante molto mosso“. Zarteste Artikulation zu Anfang! Stetiger Fluss mit dynamischem An- und Abschwellen, das ist Toscaninis Darstellung des zweiten Satzes. Da ist Bewegung am Bach, Leben überall, und doch ist es nirgends hektisch.


    Im dritten Satz nimmt Toscanini das Tempo elastisch, immer um die vorgegebenen 108 Takte pro Minute. Das notierte Pianissimo des Anfangs ist allerdings keines. Alles klingt sehr vital, etwas derb und fröhlich-ausgelassen. Sehr stimmig! Hier hört man, welche (eventuell nicht ganz angemessene) noble Eleganz Furtwängler dem „Lustigen Zusammensein der Landleute“ zuteil werden ließ. Bei der Wiederholung hat es Toscanini etwas eiliger. – Wie erwartet, befeuert Toscanini sein Orchester im Gewitter zu maximaler Kraft und Schärfe. Diese Pauke! Die Trompeten! Das fetzt … und dahinter wird eine vernichtende Gewalt spürbar, als wäre es die Ouvertüre zum „Fliegenden Holländer“. Sehr gelungenes Ausklingen übrigens. – Ganz entspannt hebt das Thema zum letzten Satz an und verliert diesen Charakter auch im Tutti nicht. Alles ziemlich genau im vorgeschriebenen Tempo (punktierte Viertel = 60) und ohne den Überschwang eines Mengelberg oder Furtwängler.


    Ich war sehr erstaunt, eine so geschmeidige Pastorale von Toscanini zu hören! Dessen Beethoven-Aufnahmen hatte ich in rhythmisch-metrischer Hinsicht als ziemlich mechanisch-unnachgiebig in Erinnerung. Richtig ist zwar, dass der italienische Dirigent sehr tempokonstant spielen lässt, insbesondere, wenn man mit Pfitzner oder Furtwängler 1947 vergleicht. Aber mechanisch oder unnachgiebig klingt es nicht: Es ist federnd, frisch und heiter im ersten Satz, „in Ruhe bewegt“ im zweiten und vital an der Grenze zum Derben im dritten Satz. Das Gewitter lässt an Drastik nichts zu Wünschen übrig, im Finale wird das Tempo nicht überdreht. Eine sehr gute Aufnahme!

  • Furtwänglers Nachkriegs-Pastoralen sind langsam. Spielzeiten zwischen 42 und 45 Minuten ohne Wiederholung im ersten Satz sind an der Obergrenze dessen, was bei diesem Stück so abgeliefert wurde (Celibidache ausgenommen). Der Dirigent versteht die Sinfonie nicht als Bogenform (I. II. ruhig - III. etwas mehr – IV. heftig – V. ruhig), sondern als Finalsinfonie. Er lässt die ersten beiden Sätze sehr zurückhaltend spielen, lässt im dritten Satz etwas mehr Aktion zu, findet aber erst in den letzten beiden Sätzen zu kraftvollem und vitalem Musizieren. Dies ließe sich durch Beethovens Einsatz der Posaunen rechtfertigen. Insbesondere spielt sich der letzte Satz stets auf einem deutlich anderen Intensitätsniveau ab als die ersten beiden – das war etwa bei Weingartner und Mengelberg anders.


    Die Berliner Pastorale von 1947 ist vor allem ein zeitgeschichtliches Dokument – sie macht Furtwänglers erstes öffentliches Auftreten nach dem Krieg am Pult „seiner“ Philharmoniker für uns Nachgeborenen erlebbar. Die Aufnahme leidet unter einigen Unausgeglichenheiten, vor allem in der Tempogestaltung, aber auch bei einigen unglücklichen Tönen in den Rohrblattinstrumenten. Deswegen würde ich den Aufnahmen von 1952 und 1954 in jedem Falle den Vorzug geben.


    Welche dieser beiden späten Mitschnitte Furtwänglers man bevorzugt, dürfte Geschmackssache sein. Die Wiener Aufnahme ist klassisch-ebenmäßig und über die Maßen ausgeglichen – mancher dürfte dies für langweilig halten. Meine liebste Pastorale ist dies nicht, aber gefällt diese Version in ihrer Konsequenz. Die Berliner Aufnahme von 1954 hat mehr Tempovariation. Geschmackssache!


    Toscanini bietet da den rechten Gegensatz. Das Werk wird nicht so sehr als Finalsinfonie angelegt als vielmehr in Bogenform aufgefasst, der fünfte Satz ist kaum intensiver als der erste. Temposeitige Freiheiten wie bei Furtwängler fehlen oder spielen sich in einem viel engeren Rahmen ab. Der dritte Satz klingt bei Furtwängler vergleichsweise nobel, bei Toscanini klingt es viel mehr nach dem „Lustigen Zusammensein der Landsleute“. Sehr gut!

  • Herbert von Karajan, Philharmonia Orchestra, Juli 1953
    Spielzeiten: 9:22/12:11/3:02/3:33/9:21 - 37:29
    Keine Wiederholungen.


    Herbert von Karajan lässt nach der ersten Fermate nicht absetzen, schließt die Fortsetzung dicht an, vermeidet jede Allusion an eine langsame Einleitung. Die Tempi liegen einheitlich zwischen 56 und 60 Halben pro Minute (Partitur 66), wobei auffällt, dass Abschnitte (nach einem kleinen Ritardando am Ende des vorgegangenen) gerne ein Tick langsamer begonnen werden und dann gegen Ende die 60 erreichen. Das ist mir nur mit dem Metronom in der Hand aufgefallen. Frappierend, kaum bemerkbar - das Stück wirkt schneller als es objektiv gespielt wird. Besonders auffällig ist dies beim zweiten Thema. Keine Wiederholung der Exposition. – Die große Repetitionsstelle wirkt sehr entspannt, am Ende der Steigerung geradezu überwältigend affirmativ (punktierte Rhythmen!), aber ohne Gewalt. Der Orchesterklang ist leicht, schlank und höhenbetont. Es wird weder besonders legato noch besonders abgesetzt artikuliert, aber viele Töne werden weich angesetzt. Insgesamt ist diese Darstellung der Musik derjenigen von Arturo Toscanini eng verwandt.


    Der zweite Satz ist fast durchgehend in 45 punktierten Vierteln pro Minute, insbesondere sehr tempokonstant. Wieder ist leichtes Spiel in den Streichern zu hören. Die synkopisch spielenden Bläser (nach der Hornquintenstelle, ab 1:46) habe ich in den vorgenannten Aufnahmen nicht so deutlich gehört. Sie bleiben zwar angemessen im Hintergrund, aber die rhythmische Bereicherung ist präsent und belebt den Satz. Transparenz ist angesagt. Diese wird durch die leuchtenden Bläserfarben befördert.


    Hohe Tempokonstanz auch im dritten Satz, um 96 Takte p. m., etwas zurückgenommen in der „Dorfmusikantenstelle“. Der Anfang erklingt sehr entfernt, klanglich sehr ausgeglichen in den Streichern. Straff und rhythmisch klar konturiert wird die Musik wiedergegeben, aber auch stilisiert – kein Krümelchen Erde scheint die Szene zu beschmutzen. Auch nicht im Trio, das zwar kräftig und saftig, aber auch sehr reinlich klingt. – Das Gewitter beginnt mit 90 Halben p. m. schon etwas über Beethovens Vorgabe. Schneller wird es dann aber nicht mehr. Die Lautstärkekontraste werden deutlich ausgespielt, Akzente knallen, das Blech darf drauflos tuten. In den Pianissimo-Abschnitten gibt es wieder leuchtende Farben im Holz. – Zartestes Neuansetzen im letzten Satz, punktierte Viertel nur ganz knapp unter der Partiturvorgabe von 60, keine Beschleunigung in den klanglich opulenteren Abschnitten, die dennoch nicht weniger groß wirken, aber gelassen. Damit kommt die Wiedergabe dem Titel „Frohe, dankbare Gefühle nach dem Sturm“ näher als der ausgelassene Überschwang manch älterer Einspielung.


    Hier ist eine neue Dirigentengeneration am Werk. Der 45jährige Karajan untersagt es sich weitgehend, Tempoänderungen als Mittel des Ausdrucks einzusetzen. Das Werk erklingt geradlinig. Nach den Rubato-Orgien eines Mengelberg oder Furtwängler wirkt dies geradezu objektiv. Der letzte Satz zeigt Größe und Gelassenheit und ist frei von Überschwang. Die Aufnahme macht gut verständlich, warum selbst Musikfreunde, die mit Karajan überkreuz stehen, diese alten Interpretationen gelten lassen: Das Spiel ist rhythmisch hochpräzise, der Orchesterklang ist hell, schlank und transparent mit leuchtenden Holzbläsern, die Stimmungen werden ausgezeichnet getroffen, klangliche Glättungsbemühungen stehen nicht im Vordergrund der Wiedergabe. Allenfalls mag das „lustige Zusammensein der Landleute“ etwas zu stilisiert und keimfrei daherkommen.

  • Herbert von Karajan, Berliner Philharmoniker, Februar 1962
    Spielzeiten: 8:57/11:32/3:02/3:25/8:46 - 35:42
    Keine Wiederholungen.



    Bei einem Tempo von ca. 60 Halben pro Minute (und darüber) ist die gefühlte Tempodifferenz im Kopfsatz zwischen dieser Aufnahme und derjenigen mit dem Philharmonia Orchestra viel größer als es die Zahlen vermuten lassen. Irgendjemand sagte, Karajans Pastoralen klingen so, als ob er die Landschaft von der vollklimatisierten Limousine aus an sich vorbeibrausen sieht. Diese Einspielung liefert kaum Substanzielles, was man einem solchen Bonmot entgegen halten könne. Es wirkt im ersten Satz sportlich-frisch und beschwingt. Das Legato im Orchester ist generell dichter als 1953, die Artikulation weniger profiliert, die Holzbläser klingen in den Tuttistellen aber deutlicher, was ein Plus für diese Aufnahme ist. Herrlich die erste Flöte! Dieses zarte Vibrato! Erstaunlich sind auch die fantastischen Kontrabässe mit ihrem satten, fülligen Klang – das ist Sound! Das Klangbild ist wohlig-gerundet.


    Ca. 50 punktierte Viertel p. m. treffen im zweiten Satz genau die Partiturangabe. Wieder kann der Orchesterklang mit herrlichem Holz punkten. Erstaunlich ist auch, wie metrisch frei Karajan die erste Klarinette anfangs gewähren lässt. Die ersten Violinen müssen, wenn sie entsprechende Stellen spielen, im Metrum bleiben. Karajan lässt etliche Male über Phrasierungsbögen hinweg spielen, was zwar einen dichten ununterbrochenen Klangstrom erzeugt, aber gegen die Partitur ist und außerdem als Stilmittel aus späteren Zeiten stammt (Wagners „unendliche Melodie“ und orchestrales Sostenuto-Spiel). Das klang 1953 profilierter.


    Der dritte Satz ist der Philharmonia-Einspielung am ähnlichsten. Nicht nur die auf die Sekunde gleiche Spieldauer belegt dies. Hohe Tempokonstanz, klanglich-räumliche Terrassierung des Geschehens und ein eher stilisierter Ansatz sind die gemeinsamen charakteristischen Eigenschaften. – Ähnliches gilt auch für das Gewitter, das wie 1953 angelegt ist, mit vielleicht bei den „Blitzen“ noch schneidigeren ersten Violinen. Kaum zu glauben, dass die Piccolo in T. 93 (1:57) fast ein Viertel zu spät einsetzt. – Im letzten Satz lässt Karajan seinen Berlinern mehr Raum zur klanglichen Expansion als seinerzeit dem Philharmonia Orchestra. Die Tutti-Stellen sind kräftiger, Töne werden breiter gespielt, der Klang ist längst nicht so schlank wie dort, was den Satz doch stärker in die Nähe des Überschwangs rückt als 1953.


    Ein spannender Vergleich zu 1953! In den ersten beiden Sätzen sind die Tempi spürbar höher. Der Eindruck vom ersten Satz ist geradezu sportlich-flott, im zweiten Satz dominiert Wohlklang unter Missachtung der Phrasierungsbögen der Partitur. Der dritte und der vierte Satz sind der 1953er Aufnahme sehr ähnlich. Im Finale lässt Karajan in Berlin deutlich stärker aufdrehen als in London. Der Orchesterklang ist nicht so leicht, schlank und transparent wie seinerzeit. Aufgefallen sind mir vor allem die erste Flöte mit einem herrlich zarten Vibrato und die ungemein satten und homogenen Kontrabässe. Doch geht die Wiedergabe schon stark in Richtung von „wohltönenden Klangwolken“. Nichts gegen wohltönend – doch ich vermisse das in der Partitur gezeichnete Profil der Musik.

  • Herbert von Karajan, Berliner Philharmoniker, 1977
    Spielzeiten: 9:04/11:22/5:40/3:30/8:34 - 38:10
    Keine Wiederholung im Kopfsatz, im dritten Satz wird die Wiederholung gespielt.


    Die mit der 1962er Aufnahme fast identischen Spielzeiten lassen weitere große Ähnlichkeiten beider Aufnahmen vermuten. – Sehr flott, geradezu nebensächlich werden die ersten vier Takte genommen. Bei wiederum ca. 60 Halben pro Minute hat das erste Thema mehr Charme und scheint mir durchgestalteter zu sein als 1962. Dies sowohl in dynamischer als auch in artikulatorischer Hinsicht, insbes. ab der Stelle mit der Solo-Oboe. Dabei lässt sich keine einheitliche Tendenz ausmachen, mal wird differenzierter artikuliert, mal werden Staccati sehr breit genommen. Wenn überhaupt, dann könnte eine Tendenz in Richtung größerer Ästhetisierung, weg von Beethoven, hin zu Karajan festgestellt werden. Legt man die Partitur weg, die überall kleine Vergehen der Wiedergabe anzeigt, so klingt es aber ganz wunderbar. Welch schöner Sound! Welch harmonisches Orchesterspiel! Klingt zunächst widersprüchlich: die größere Differenzierung verstärkt eher den Eindruck des „an sich vorbeibrausen lassen“. Denn bei stärkerer Artikulation wirkt dasselbe Tempo schneller. Die Limousine hat Ledersitze und einen agileren Motor bekommen. – Keine Wiederholung.


    Wie 1962 nimmt Karajan den zweiten Satz mit den vorgeschriebenen 50 punktierten Vierteln pro Minute. Sehr schön das Murmeln des Baches in den Sechzehnteln. 1962 kamen die Bläser besser heraus, hier sind sie eher in den Gesamtklang integriert. Wobei der Bläserklang ausgezeichnet ist, was damals vor allem in der ersten Flöte gefiel – ein zartes Vibrato – ist nun im gesamten Holz zu hören. Wunderschön.


    Mit ca. 92 Takten p. m. ist der dritte Satz ein gutes Stück langsamer als 1953 und 1962. Die Schönheit der Legatobögen ist allerdings frappierend. – Bei aller orchestralen Kraft hat das Gewitter etwas Regelmäßiges, Geordnetes, geradezu Gesittetes. – Der letzte Satz ist dann der 1962er Interpretation recht ähnlich in seiner Tempowahl, in seiner Großbogigkeit, in seinem Verzicht auf Überschwang.


    Wer eine wunderschöne Pastorale hören will, macht mit dieser Aufnahme keinen Fehlgriff. Wer sonst als Karajan konnte ein Orchester so sinnlich-schön spielen lassen? Sogar das Gewitter kommt geradezu geometrisch geordnet daher. Einzigartig. Ich sage aber dazu, dass die übergroße Schönheit auf Kosten der Umsetzung vieler Details der Partitur entsteht. Wollte man ähnlich partiturwidrig in der Oper verfahren, so könnte man beispielsweise den Siegmund am Beginn der Walküre einen vielfarbbunten Papierdrachen im lauen Frühlingswind spielerisch steigen lassen, und Sieglinde schaut ihm von der Ledercouch mit einem Cocktail in der Hand durchs raumhohe Fenster zu.

  • Herbert von Karajan, Berliner Philharmoniker, November 1982
    Spielzeiten: 9:04/10:19/3:08/3:23/8:25 - 34:19
    Keine Wiederholungen.


    Ich bin dankbar, dass Karajan in dieser Aufnahme den Kopfsatz wieder profilierter und mit al-dente-Gefühl spielen lässt. Die Spielzeit ist auf die Sekunde gleich wie 1977, aber wie viel reicher klingt hier die Musik: Da gibt es Vordergrund und Hintergrund, ja selbst Hintergründiges (etwa die Stelle bei 0:37-0:40 mit den vielen Klangebenen: Klarinetten und Fagotte spielen das Thema, die Oboe fügt pochende Töne hinzu, die ersten Violinen figurieren, die übrigen Streicher grundieren, die Hörner akzentuieren gegen den Takt, das alles ist anstrengungsfrei hörbar– herrlich!). Die Holzbläser spielen wieder charakteristischer und ohne das zarte Vibrato wie 1977. Die Transparenz ist auch in den Tuttistellen hoch, vieles scheint optimal eingefangen. – Ein toller Kopfsatz! Wer hätte das gedacht?


    Überraschung auch im zweiten Satz – das Tempo liegt zwischen 54 und 56 punktierten Vierteln pro Minute höher als Beethovens Angabe (50), wirkt aber nicht hektisch. Auch hier ist die Mehrschichtigkeit der Musik wunderbar herausgearbeitet und nachvollziehbar, man achte auf Vorder- und Hintergrund und stelle dann erfreut fest, was es dazwischen alles gibt! Wenn man das Tempo akzeptiert, ist der Satz wunderbar anzuhören, vielfältig Musik, hochdifferenziert gespielt.


    Überraschung auch im „Lustigen Zusammensein der Landleute“ … das Tempokonzept ist das von Furtwängler 1947: Unisono in 100, Legato-Thema in 92, Tutti dann wieder schneller. Karajan gönnt seinen Bläsern in der Musikantenstelle sogar einen Schuss Rustikalität. – Peng! Das Gewitter! Her klingt es wirklich wie eine Naturgewalt, beängstigend! – Im letzten Satz ist es eine Freude, zu hören, wie gut die Partitur umgesetzt wurde – Dynamik, Artikulation, Phrasierung, das passt!


    Eine hervorragende Pastorale, bei der Herbert von Karajan erfreulicherweise wieder von seinen 1977er Ästhetisierungsmaßnahmen Abstand nahm. Das Orchesterspiel hat Biss, die Holzbläser haben Individualität. Ausgezeichnete Klangtechnik, sehr transparenter Orchesterklang. Wo mehrere musikalische Ebenen übereinander geschichtet sind, ist dies wunderbar leicht zu hören. Alles entwickelt sich organisch. – Das ist eine derjenigen Aufnahmen, bei denen man Herbert von Karajan Abbitte leisten muss für das, was man andernorts über ihn gelästert haben mag!

  • Ich mag die Philharmonia-Aufnahmen – das gilt für alle Beethoven-Sinfonien, insbesondere aber für die Pastorale, die eine vor dem Hintergrund älterer Aufnahmen geradlinige Wiedergabe erfährt. Man versteht, was das Neue an Karajan war, und warum er Furtwängler und Toscanini in der Rolle als Pultstar so schnell ablösen konnte. Er hatte einen sehr objektiv wirkenden Ansatz zu bieten. Der Orchesterklang ist schlank und hell, im Tutti strahlend.


    Die 1962er Aufnahme muss als Etappe auf dem Weg zur schönheitstrunkenen Einspielung von 1977 gelten. In Ansätzen ist der spätere „Sound“ der Berliner schon zu erkennen (Flöte, Bässe, dichtes Legato).


    1977 entstand die vielleicht schönste Pastorale aller Zeiten. Ob man dies als Lob oder als Tadel versteht, kommt darauf an, wie wichtig man die Partiturtreue nimmt. Die Schönheit wurde nämlich um den Preis etlicher nichtbeachteter Vortragsbezeichnungen erkauft. Es ist ein wenig wie bei auf Polarisierung bedachten Haltungen zum Regietheater: Wer die Werktreue hochhält und die Pastorale im Geiste Beethovens gespielt wissen will, wird hier „Stopp!“ sagen. Wer das künstlerische Ergebnis höher bewertet und auf verschwenderisch ausgegossener Schönheit steht, wird hier bestens bedient. Keimfreier Beethoven für die Wellness-Lounge.


    Die goldene Karajan-Regel („Unter mehreren Aufnahmen ist die älteste die beste“) gilt hier meines Erachtens nicht: 1982 hat er die beste seiner Studio-Pastoralen abgeliefert. Das Orchester spielt wieder mit Ecken und Kanten, der farbenreiche Klang ist wunderbar transparent, die tektonischen Schichten des Werkes werden leicht nachvollziehbar gemacht. Eine große Aufnahme, die ich gerne empfehle!

  • JETZT REICHT'S! Habe bestellt...! :D


    Habe mir Karajan's letzte Einspielung nach der sehr positiven Beurteilung bestellt - übrigens für'n Appel und'n Ei.


    Danke an Wolfram für die Mühe, die Du Dir mit dem Vergleich gemacht hast! Solche Beiträge machen für mich das Stöbern in diesem Forum so vergnüglich!

    Herzliche Grüße
    Uranus

  • Was die Pastorale angeht bin ich mit der Ausgabe aus dieser Box:



    doch bisher immer noch am zufriedensten, und zudem kostet hier die Gesamte Box gerade mal soviel wie die oben erwähnte CD mit den beiden Symphonien 5 und 6 von Karajan :D

  • Das ist eine derjenigen Aufnahmen, bei denen man Herbert von Karajan Abbitte leisten muss für das, was man andernorts über ihn gelästert haben mag!


    Hallo Wolfram,


    :thumbup: Auf diese Worte habe ich lange von einem TAMINO gewartet. Loge war bisher der einzige der sich ähnlich äusserte und diese Pastorale als Hammeraufnahme bezeichnete.
    Leider hatte ich für die betreffende Karajan-Aufnahme (DG, 1984, DDD) in meinen Beiträge 105, 121, 124 wenig positive Resonanz erfahren; von daher bin ich umso mehr freudig überrascht von meiner Favoriotenaufnahme derartiges von Dir zu lesen.



    Ich habe und kenne natürlich auch Karajan (DG, 1962) und DG, 1977. Es ist ja bereits bekannt, dass Du der 1977er-Karajan-GA besonderen Schönklang andichtest. Mann sollte aber die Kirche im Dorf lassen und die einzelnen Sinfonien betrachten: Die Nr.5 und 7 (bei der mir der unsaubere 2.satz nicht gefällt), sowie die fabelhafte Nr.9 sollte man von solchen Aussagen ausschliessen !
    Bin aber zudem nicht so krass der Meinung, dass die 1977er Pastorale gegenüber der ersten StereoAufnahme 1962 so sehr auf Schönklang getrimmt ist, wie deine Worte es darstellen - :D "Keimfreier Beethoven für die Wellness-Lounge" hört sich trotzdem gut an.


    Natürlich ist die Aufnahme DG-1984 aus anderem Holz geschnitzt ! Und das ist gut so.
    Ich glaube die Pastorale ist die Beethoven-Sinfonie die sich in den Interpretationen der drei DG-Aufnahmen bei Karajan am meisten unterscheidet. Die Fünfte ist zum Beispiel in allen drei Aufnahmen "hammermässig".



    Hallo Eric,


    mit der GA (DG, 1977) hast Du insgesamt die klangbeste Beethoven-GA von Karajan vorliegen. (Vom Schönklang den Wolfram anspricht mal ganz zu schweigen ! ;) Sind ja nicht alle betroffen !) 1962 war neben etwas Rauschen nicht alles so deutlich und natürlich. Die Analgotechnik war um 1997 auf ihrem Höhepunkt um dann von der Digitaltechnik, die ab 1979 in den ersten Jahren klanglich noch in der Anfangsphase war, abgelöst zu werden. Viele DDD-Aufnahmen aus dieser Zeit (besonders bei DG) klingen oft noch nicht so natürlich (hart in den Streichern; undurchsichtig; klangbreiig), jedenfalls bei weitem nicht so wie man es heute von vollendet von der SACD erleben kann.
    Die CD mit den Sinfonien Nr.5 und 6 ist klanglich noch die Beste in der letzten und digitalen Karajan-GA DG-1984. Die CD mit der Sinfonie Nr.8 (mit drei Ouvertüren) ist die Schwächste; klingt ziemlich matt als Digitalaufnahme - fast ein Ärgernis.
    :!: Die Pastorale must Du auf jeden Fall in der erwähnten Aufnahme (DG, 1984, DDD) hören !
    Ich finde - und nicht nur ich = der Hammer !

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

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