In memoriam Dietrich Fischer-Dieskau — Seine größten Aufnahmen

  • Lieber "Don_Gaiferos",


    das ist doch eine großartige konstruktive Idee! :jubel:


    Ich habe mir soeben beide Aufnahmen hintereinander angehört:


    REUTTER: Da durchschauerts mich natürlich schon beim Anhören des Vorspiels, die Klangqualität ist alles andere als optimal, aber offenbar ist die Pracht eines Klaviers bei solchen "historischen" Aufnahmen schwerer einzufangen als eine Gesangsstimme, denn FiDi höre ich in dieser Aufnahme sehr gerne zu: jugendlich und unbekümmert, an einigen Stellen artikulatorisch etwas schlampig (zwei, drei wichtige Konsonanten fehlen regelrecht) und zudem im dramatischeren Teil "Ja, neulich" ist mir der Klang zu "gerade", weder wirklich dramatisch noch wirklich lyrisch, einfach nur klangarm - trotzdem insgesamt zweifellos sehr gut gesungen.


    BRENDEL: Auch da bin ich vom Vorspiel etwas irritiert: klanglich natürlich viel besser, aber mir persönlich etwas zu schnell, zu beiläufig. Dieser Eindruck verfliegt aber sofort, wenn die Stimme FiDis dazukommt, der hier durchaus abgeklärter wirkt als in der früheren Aufnahme - was ich aber überhaupt nicht als negativ empfinde. Er klingt noch lyrischer, die in der früheren Aufnahme an einigen Stellen fehlenden Konsonanten sind jetzt da, der dramatischere "Ja, neulich"-Teil ist nicht wirklich dramatisch, sondern "gesteigert lyrisch" und gefällt mir deutlich besser als in der früheren Aufnahme, ebenso das total ausgekostete Ende.


    FAZIT: Ich könnte mir zwar vorstellen, dass bei einigen anderen Liedern dieses Zyklus' der frühe FiDi den älteren besser ausstechen kann als gerade bei diesem, ziemlich bequem liegenden Lied (das konnte ich auch problemlos singen, andere aus der "Winterreise" sind da weit schwieriger), aber wenn ich nur dieses Lied in beiden Interpretationen vergleiche, ziehe ich die hervorragende spätere mit Brendel der sehr guten früheren mit Hermann Reutter vor, weil mich die spätere - dank größerer Suggestionskraft - noch mehr erreicht als die frühere. :yes::hello:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Vielleicht können wir auch noch die Aufnahme von 1971 mit in die Betrachtung einbeziehen:


    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Dieses Anliegen verstehe ich jetzt ehrlich gesagt nicht. Helmut Hofmann hat gesagt, dass er die "Nebensonnen"-Aufnahmen von 1952 und 1985 verglichen hat, wollte sich aber dazu nicht äußern. Daraufhin schlug "Don_Gaiferos" vor, dass wir hier doch alle diese beiden Aufnahmen vergleichen und unsere Eindrücke schildern könnten. Ich fand das eine gute Idee und habe den Anfnag gemacht. So weit ich sehe, bin ich Stand jetzt der Einzige. Ich finde, jetzt könnten erstmal ein paar andere dazukommen, auch du. Und dann könnte man später immer noch die 1972er Aufnahme einbeziehen. Aber warum die Regeln ändern, wenn der vorgeschlagene Prozess noch gar nicht richtig in Gang gekommen ist?

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Aufnahme 1: die Stimme klingt sehr geschmeidig, satt und sonor im Timbre. Reiches Material, allerdings ganz klar dominiert hier vom Gestaltungswillen, der sehr sorgfältig die Phrasen formt, crescendo und decrescendo gekonnt einsetzt und verschiedene Stimmungen virtuos heraufbeschwört. Das kraftvolle Auftrumpfen kontrastiert mit dem zurückgenommen, verhaltenen Piano.


    Aufnahme 2: in dieser Einspielung ist das unverkennbare, markante Timbre noch immer voll präsent. Hier ist die Textartikulation mittlerweile perfekt -fast ein Markenzeichen des Sängers-, bei der ersten Aufnahme wurde die Deutlichkeit der Aussprache bisweilen im Crescendo der kraftstrotzenden Stimmführung untergeordnet.

    Die Lautstärke wird für mein Ohr noch differenzierter behandelt; während er in der ersten Aufnahme noch mehr den Kontrast zwischen forte und piano betont, hat man das Gefühl, dass er hier noch viel mehr Zwischentöne und Schattierungen findet.


    Fazit: aufgrund seiner immensen Erfahrung hat der reifere Sänger noch eine größere Ausdruckspalette, die ihm zu Gebote steht, als dem jungen, auftrumpfenden Mann, der durch seine Frische und Unbekümmertheit besticht. Er muss hier, für mein Ohr, auch keine stimmlichen Einbußen o.ä. wettmachen, er ist immer noch im Besitz sehr reicher stimmlicher Mittel, obzwar sich seine Stimme sicherlich im Laufe der langen Karriere verändert hat.


    Dass seine Interpretation gereifter, abgeklärter, technisch noch versierter ist als die frühe Aufnahme, denke ich auch; den oft vorgebrachten Vorwurf der Manieriertheit oder des artifiziellen Über-Interpretierens kann ich jedoch, zumindest im vorliegenden Beispiel, nicht teilen; für mein Empfinden ist seine Interpretation nämlich keineswegs rationaler, kalkulierender oder nüchtern-effektesetzender geworden; überhaupt nicht! Im Gegenteil, ich finde, dass sie nicht nur technisch ausgefeilter, sondern dass sie zudem noch empfindungstiefer, emotional reicher und berührender geworden ist.


    Letztendlich finde ich beide Aufnahmen jedoch ganz phantastisch, und empfinde sie als herausragende, sich ergänzende Zeugnisse.


    P.S. diesen Text habe ich geschrieben, ohne den von Stimmenlienhaber zu lesen (ich habe gesehen, dass er gepostet hat, habe jedoch die Lektüre noch aufgespart), um möglichst unvoreingenommen an die Sache heranzugehen.

  • P.S. diesen Text habe ich geschrieben, ohne den von Stimmenlienhaber zu lesen (ich habe gesehen, dass er gepostet hat, habe jedoch die Lektüre noch aufgespart), um möglichst unvoreingenommen an die Sache heranzugehen.

    Lieber "Don-Gaiferos",


    ich hätte auch damit leben können, wenn du zu einer anderen Einschätzung gekommen wärest, aber dass du zu einer beinahe identischen Einschätzung gekommen bist, freut mich durchaus. :):hello:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

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  • Das ist eine gute Idee, lieber Don Gaiferos. Vielen Dank dafür! Zwei sehr treffende und sachlich gut fundierte Urteile liegen erfreulicherweise schon vor. Und nun wünsche ich mir, dass noch einige dazu kommen und sich eine Diskussion darüber entfaltet, in welcher Weise Fischer-Dieskau seine Interpretation modifiziert und welche Gründe er dafür möglicherweise gehabt hat. Und diejenigen, die der frühen Interpretation den Vorzug geben, könnten ihr Urteil mit ganz konkreten Verweisen auf den Vortrag der melodischen Linie begründen, so dass man es nachvollziehen und verstehen kann.

    Ich werde, weil nun eine neue Sachlage eingetreten ist, von meinem Vorsatz Abstand nehmen, den Ertrag meines Hörvergleichs für mich zu behalten. Brauche aber ein wenig Zeit, um das ordentlich zu formulieren.

    Ich wollte keinem hier in seinem Liedgesang-Verständnis zu nahe treten. Und schon gar keinen Streit auslösen.

  • Natürlich ist die Aufnahme mit Alfred Brendel die »vollkommenere«, die Gründe wurden sowohl von Stimmenliebhaber als auch Don Gaiferos klar benannt. Dennoch ist die frühere Aufnahme mit Hermann Reutter von ganz eigenartigem Reiz, wobei ich das einleitende Klavierspiel ausdrücklich mit einbeziehen möchte; mit »durchschauern« scheint mir das gut umschrieben zu sein; und stimmlich war das sowieso unerhört, was man da hörte, es war ein Paradigmenwechsel, um das umgangssprachlich auszudrücken.
    Bei der Aufnahme von 1985 kann in keiner Weise von Manierismus gesprochen werden, das ist vollendeter Liedgesang; die Prophezeiung eines Gesangspädagogen, der 1952 meinte: »Sie werden kein Jahr mehr singen, kein Jahr!« ist hörbar nicht eingetroffen, dass die Stimme später alterte ist eine andere Sache.
    Vordem - also 1952 - war ja nur die unter vielen Mühen 1940 bis 1943 aufgenommene »Winterreise« des Baritons Karl Schmitt-Walter mit Ferdinand Leitner.
    Nach meinen Informationen soll es von diesem Zyklus etwa dreißig Aufnahmen mit Dietrich Fischer-Dieskau geben; dazu hätte ich eine Frage an den Liebhaber des frühen Fischer-Dieskau:
    Gibt es diese erste Aufnahme von 1948 mit dem Pianisten Klaus Billing auf einem Tonträger?


    In erster Linie sollte man bei Betrachtungen über Fischer-Dieskau im Auge haben, dass hier nach dem großen Krieg eine völlig neue Art der Liedinterpretation auftauchte, von der wirklich anerkannte Dirigenten auf Anhieb erstaunt und begeistert waren und sich deren Begeisterung auch auf Dieskaus Leistung in der Oper erstreckte.


    Als der Dirigent Fritz Busch erstmals nach dem Krieg wieder deutschen Boden betrat, war er von der Stimme des jungen Dietrich Fischer-Dieskau so beeindruckt, dass er sagte: »Das Größte an Talent, was mir in diesem Fach vielleicht im Leben überhaupt vorgekommen ist«

    Und als Wilhelm Furtwängler im Rahmen der Salzburger Festspiele 1950 zum ersten Mal die Stimme dieses jungen Baritons hörte, war er geradezu fasziniert.

  • Gibt es diese erste Aufnahme von 1948 mit dem Pianisten Klaus Billing auf einem Tonträger?

    Lieber hart, die gibt es - und zwar hier:


    Gemessen an der Zeit ihres Entstehens ist der Klang ansprechend und die Anschaffung wert. Audite hat den Zugriff auf die originalen Rias-Bänder.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Lieber Rheingold,

    für diesen raschen Service bedanke ich mich ganz herzlich, wie ich gerade sehe, treibt einen diese Anschaffung auch nicht in den finanziellen Ruin ...

  • „Die Nebensonnen“. Vergleich Fischer-Dieskau 1952 und 1985


    Zunächst einmal:
    Bei der Brendel-Fassung wählt Fischer-Dieskau ein rascheres Tempo. Während die Reutter-Fassung 3.25 Minuten in Anspruch nimmt, sind es bei Brendel nur 2.45. Und das ist der Liedmusik angemessener, denn Schuberts Anweisung lautet ausdrücklich „Nicht zu langsam“. Der Grund: Die Liedmusik ist kein Lamento, sondern aus tiefer Erschöpfung kommender Ausdruck der Hoffnungslosigkeit und der existenziellen Selbstaufgabe.

    Bezeichnend ist ja doch, dass Schubert den über ein großes Intervall fallenden Bogen in der Melodik weitgehend gemieden hat. Nur einmal setzt er ihn ein, und zwar bei den Worten „nun sind hinab die besten zwei“. Ansonsten dominiert in diesem Lied die melodische Figur, die auf den ersten beiden Versen liegt. Und die entfaltet sich mit auffällig vielen Tonrepetitionen in einem Auf du Ab in mittlerer tonaler Lage, weist sogar bei den Worten „und fest“ einen triolischen Sekundanstieg auf und geht erst am Ende in einen zweischrittigen Sekundfall über, der auf der Silbe „an-“ eine leichte Dehnung aufweist. Und die ganze Melodiezeile ist in Dur harmonisiert (A-Dur). Nur in den beiden Melodiezeilen auf den Versen der zweiten Strophe kommt das Tongeschlecht Moll zum Einsatz. Das aber auch nicht durchgehend.

    Worauf ich hinauswill ist: Schubert wollte wohl nicht, dass diese melodische Linie mit einem immanenten Klageton-Gestus vorgetragen wird, sondern in einem der Selbstaussprache und des Bekenntnisses eines leidenden lyrischen Ichs.
    Das dürfte der Grund dafür gewesen sein, warum Fischer-Dieskau die drei Melodiezeilen – denn erstaunlicherweise setzt sich die Liedmusik ja tatsächlich aus nur dreien zusammen – im Vortrag später in zwar nicht tiefgreifender, aber doch markanter Weise modifiziert hat.
    Das sei, so wie ich´s gehört habe, kurz aufgelistet. Die Reutter-Fassung wird dabei mit dem Buchstaben „R“, die Brendel-Fassung mit „B“ versehen.

    Die melodische Linie auf den Versen der ersten Strophe trägt Fischer-Dieskau in der R-Fassung in deutlich gebundener und fließender, nicht durch ausgeprägte deklamatorische Akzente markant strukturierter Weise vor. Das ändert er in der B-Fassung. Die Kombination aus Sekundsprung und -fall bei „am Himmel“ hebt er ein wenig stärker hervor, vor „hab´“ macht er eine deutlichere Atempause, auch das Wort „angesehen“ deklamiert er eine Spur markanter. Deutlicher ausgeprägt sind die Unterschiede bei der in ihrer Struktur identischen Melodiezeile auf dem zweiten Verspaar der ersten Strophe. Die Worte „standen“ und „stier“ erhalten einen markanten deklamatorischen Akzent, ebenso das mit einer melodischen Dehnung versehene Wort „weg“ („von mir“) am Ende.
    Daraus, aus dem ausgeprägteren Kontrast in der Dynamik (Pianissimo bei der ersten, Forte bei der zweiten Zeile), dem angehobenen Tempo und überhaupt dem Grund-Gestus des Vortrags, stellt sich mehr als in der R-Fassung der Eindruck eines Sich-selbst-Aussprechens des Protagonisten ein.

    Die melodische Linie auf den Versen der zweiten Strophe trägt er in der R-Fassung deutlich expressiver, in höherer Dynamik und vor allem in geringerer dynamischer Binnendifferenzierung vor als in der B-Fassung. Die mit einem Terzsprung einsetzende und dann in eine deklamatorische Tonrepetition übergehende melodischen Linie auf den Worten „Ach, meine Sonnen seid ihr nicht“ trägt er in dem Piano vor, das hier vorgeschrieben ist, und verbleibt im Einsatz der Stimme verhaltener, gleichsam introvertierter, was ja durch das vorgelagerte Klagewort „Ach“ und die Moll-Harmonisierung nahegelegt wird. Der triolische und in eine Dehnung mündende Sekundfall auf „seid ihr nicht“ weist in der B-Fassung einen ausgeprägteren Klage-Unterton auf. In der R-Fassung legt Fischer-Dieskau einen starken Akzent auf das Wort „nicht“. Auch die in ihrer Struktur der vorangehenden ähnliche, weil ebenfalls aus Tonrepetitionen auf der gleichen tonalen Ebene bestehende melodische Linie auf den Worten „schaut Andern doch ins Angesicht“ trägt er in diesem introvertiert anmutenden Gestus vor, und das wirkt gegenüber dem auf stärkere Expressivität hin angelegten Vortrag der R-Fassung überzeugender, weil der Aussage der Liedmusik gerechter werdend.

    Das für den Klaviersatz in der Pause für die Singstimme vor deren Einsatz mit der Melodik auf dem zweiten Verspaar („Ja, neulich hatt´ ich…“) vorgeschriebene Crescendo verführt die meisten Interpreten dazu, diese nun forte vorzutragen. Auch der Übergang vom vorangehenden Moll zum Tongeschlecht Dur trägt dazu bei. Ein solches Forte findet sich im Notentext aber nicht. Schubert will, dass hier im Piano verblieben wird. In der R-Fassung wird Fischer-Dieskau tatsächlich ein wenig lauter, nimmt dann allerdings bei der melodischen Fallbewegung auf den Worten „nun sind hinab die besten zwei“ die Stimme, dem von Schubert vorgegebenen Decrescendo entsprechend, deutlich zurück. In der B-Fassung verbleibt er hingegen auf dem dynamischen Level des Vortrags, hebt es nur bei der Aufgipfelung der melodischen Linie auf dem Wort „auch“ („wohl drei“) kurz an, um danach zum Decrescendo überzugehen. Und das wirkt nun nicht nur deshalb überzeugender, der Liedmusik eher gerecht werdend, weil es aus größerer Verhaltenheit im Vortrag der melodischen Linie hervorgeht, sondern auch deshalb, weil er die melodische Linie in ihrem mit einem verminderten Sekundschritt einsetzenden Fall auf den Worten „die besten zwei“ buchstäblich in sich zusammensinken lässt, - darin die Haltung des lyrischen Ichs auf markantere Weise zum Ausdruck bringend, als dies in der R-Fassung der Fall ist.

    Auf die beiden letzten Verse hat Schubert die gleiche melodische Linie gelegt wie auf die ersten beiden Verspaare, was wohl so zu verstehen ist, dass sich in ihr die Grundhaltung des lyrischen Ichs ausdrückt. Das monologische Sich-selbst-Aussprechen mündet in die Aussage „Im Dunkeln wird mir wohler sein“, und diesen Sachverhalt berücksichtigt Fischer-Dieskau in der Weise, dass er im Gestus der monologischen Introversion die Stimme stark zurücknimmt, nur noch geringe Steigerungen der Dynamik in sie einfließen lässt – bei den Worten „dritt´ erst hinterdrein“ nämlich, das genau dem Notentext entsprechend - und sie dann am Ende auf beeindruckende Weise im Pianissimo versinken lässt.

    Diesbezüglich ist kein großer Unterschied mehr zwischen beiden Fassungen auszumachen. Und doch gibt es ihn. Es ist der gleiche, wie er beim Vortrag der ersten Melodiezeile vorliegt. In der R-Fassung wird die melodische Linie in schön gebundener, fließender und deklamatorisch wenig strukturierter Weise vorgetragen. Die B-Fassung hebt sich aber genau darin von ihr ab. Die Stimme ist stärker in die Introversion zurückgenommen, aber die dynamische und deklamatorische Binnendifferenzierung ist deutlicher ausgeprägt: Im Crescendo und Decrescendo auf „die dritt´ erst hinterdrein“, dem minimal kurzen Innehalten danach und dem Erlöschen-Lassen der melodischen Linie nach dem kurzen triolischen Aufschwung im gedehnten Sekundfall auf den Worten „mir wohler sein“. Wobei hier das Versinken des lyrischen Ichs in der existenziellen Hoffungslosigkeit auf deutlichere und stärker berührende Weise vernehmlich wird.

    So mein Höreindruck. Sollte ich darin an einer oder gar mehreren Stellen danebenliegen, so bitte ich dringlich um Mitteilung darüber.
    Ich hoffe, meine Ausführungen können in Ergänzung zu den bereits vorliegenden Beiträgen als Grundlage für die höchst erwünschte Diskussion der hier anstehenden Fragen dienen. Und natürlich wäre es nicht nur schön, sondern höchst dienlich, wenn es weitere grundlegende Beiträge gäbe, - vor allem von denen, die in Sachen „Winterreise“ der Interpretation des „frühen“ Fischer-Dieskau zuneigen und der des „späten“ skeptisch gegenüberstehen.

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  • Lieber Herlmut Hofmann, vielen Dank für deinen wunderbaren Beitrag! Es ist doch schon, wenn man das, was man intuitiv beim Hören fühlt, so von DEM Lied-Fachmann dieses Forums nochmal ganz detailliert bestätigt bekommt. :yes::jubel::hello:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Lieber Herlmut Hofmann, vielen Dank für deinen wunderbaren Beitrag! Es ist doch schon, wenn man das, was man intuitiv beim Hören fühlt, so von DEM Lied-Fachmann dieses Forums nochmal ganz detailliert bestätigt bekommt. :yes::jubel::hello:

    Voll einverstanden und bekräftigt. Ein ausgezeichneter Beitrag auf Hofmannschem Niveau. Diese Bezeichnung ist ein Ritterschlag, denn, lieber Helmut, Du entwickelst Dich immer stärker zum Marken- und Qualitätsbegriff im Bereich Lied. Wenn Hofmann draufsteht ist Qualität garantiert.

    Herzichst

    Operus (Hans)

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Ich würde den Unterschied der beiden Versionen ganz unbedarft so kennzeichnen: Bei der älteren Aufnahme Fidis hört man noch dieses für die ältere Sängergeneration typische "Betroffenheitspathos" in der Stimme, wo der Sänger zeigt: Ich leide mit dem Gesungenen so richtig mit. Die Aufnahme mit Brendel dagegen verzichtet auf diesen dem Hörer von heute wohl mehrheitlich eher "altmodisch" vorkommenden Stil komplett, d.h. hier ist der Übergang zum modernen Liedgesang vollzogen, der primär objektivierend-darstellend ist, und nicht empfindsam und "befindlich" singend. Mir gefällt der "modern" singende Fischer-Dieskau eindeutig besser. Aber das ist natürlich sicher auch eine Frage der Prägung und der Veränderung der Kultur.


    Schöne Grüße

    Holger

  • ich wollte mich eigentlich nur kurz äußern, weil Helmut weiter oben ausgerechnet eines meiner drei Lieblingslieder aus der Winterreise vergleichend vom früheren und späteren Fischer-Dieskau gehört hat und kurz darüber berichtete. Die anderen beiden sind "Das Wirtshaus" und "Der Wegweiser", seltsamerweise alle aus dem letzten Viertel des Zyklus. Diese in Richtung "der letzten Dinge" gehenden Lieder gehen mir alle besonders nahe, vielleicht, weil ich schon oft, seit meiner Kindheit, im Verwandten- Freunden- und Bekanntenkreis mit diesen letzten Dingen in Kontakt gekommen bin.

    Nun zu diesem Lied: Ich finde, dass er als Siebenundzwanzigjähriger dieses Lied vom gesanglichen Vermögen her schon hervorragend dargeboten hat, aber ich war schon ein wenig erstaunt, wie langsam er es im Vergleich zur späteren Aufnahme mit Alfred Brendel gesungen hat, als er mehr als doppelt so alt war, nämlich 60.

    Ich wage einmal die Behauptung, dass er mit 27 Jahren noch nicht so weit zum musikalischen Kern dieses Liedes vorgedrungen war, als 1985, als er heute vor 34 Jahren seinen 60. Geburtstag feierte und knapp 6 Wochen später mit Brendel die Winterreise aufnahm. Denn da hatte er da nicht nur die Erfahrungen eines da schon über 40 Jahre währenden Sängerlebens gesammelt, sondern auch ein abwechselungsreiches Ehe- und Familienleben gelebt, wurde einmal Witwer, zweimal geschieden und lebte mit einer Kollegin als vierter Frau 35 Jahren bis zu seinem Tode zusammen. Aus seiner ersten Ehe hatte er drei Söhne, die allesamt der Kunst bzw. Musik verpflichtet sind. Ich meine, das kann man hören, dass dieses lange Musikerleben, in dem er nicht aufhörte, vor allem, was die Lieder Schuberts, speziell die Winterreise betraf, weiter zum Kern der Musik vorzudringen, vielleicht um so mehr, je mehr ihm im steigenden Sängeralter die stimmlichen Mittel schrumpften. Dies hat er, wie ich finde, mehr als wettgemacht durch seinen ständig weiter zunehmenden Ausdruck, und durch seine Fähigkeit, sich in den Komponisten und seine Gedankenwelt hinein zu versetzen und sich hier in den Wanderer zu verwandeln und dessen Sehnsucht nach dem Ende seines Leidensweges hörbar zu machen.

    Deshalb bin ich wie Helmut der Meinung, unter diesem Aspekt die Aufnahme von 1985 über die von 1952 zu stellen, ganz abgesehen von dem kongenialen Part Alfred Brendels.


    Und weil Dietrich Fischer Dieskau heute 94 Jahre alt geworden wäre und ich heute Nachmittag daran erinnern durfte, werde ich gleich im Gedenken an ihn eine Aufnahme in meinen Blu Ray-Player schieben. die er im Januar 1979, also vor gut 40 Jahren, ebenfalls mit Alfred Brendel, mit dem Sender Freies Berlin in der Siemens-Villa in Berlin aufgenmmen hat:

    513JqUt3P0L.jpg

    Bei dieser Aufnahme ist auch das Bonusmateiral interessant, in dem Ausschnitte aus der Probe gezeigt werden und in der im Gespräch zwischen den beiden Musikern verschieden Aspekte ihrer Sichtweise auf die Winterreise zu erfahren sind.


    Liebe Grüße


    Willi:)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Wie das so ist, mit dem Zufall in dieser Welt. Vor gut einer Stunde habe ich mir diese Aufnahme auch noch einmal angehört.

    Und Du hast recht, lieber Willi. Die Proben-Ausschnitte verraten viel über das Verständnis von Fischer-Dieskaus Verständnis der "Winterreise" und der Art und Weise, wie sie nach seiner Meinung gesanglich vorgetragen werden sollte.

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  • Vielen herzlichen Dank, lieber Helmut, dass Du Dich dann doch zu Wort gemeldet hast, und auch allen anderen, die ihre Beiträge geliefert haben. Ich denke, da ist tatsächlich eine hoch interessante Diskussion in Gang gekommen, die auch noch weiter fortgeführt werden kann. Ich werde noch weiter nachhören, und am Wochenende, wenn ich mehr Zeit habe, auch noch auf die verschiedenen Beiträge zurückkommen, da sind noch einige sehr bedenkenswerte Anstöße dabei.


    liebe Grüße

  • Ja, Du hast recht, lieber Don Gaiferos. Da sind einige hochinteressante Beiträge eingegangen mit, wie Du sagst, "bedenkenswerten Anstößen" darin. Und schön wäre, wenn noch einige dazukämen.

    Wobei ich vor allem an diejenigen denke, die der gesanglichen Liedinterpretation des "frühen Fischer-Dieskau" den Vorzug geben und Bedenken gegen die des "späten" haben, hinauslaufend auf die Kritik: Zu "kalkuliert", "ausgeklügelt" und auf "berechnete Wirkungen" abgestellt", weil letzten Endes zu sehr "belastet von Reflexionen".


    Ich hatte mir, als ich vorschlug, einen Vergleich der Interpretationen von "Die Nebensonnen" anzustellen, vorgestellt, dass man an diesem Beispiel einmal ganz konkret festmacht, worin sich nun dieses, nach Meinung der Kritiker, verfehlte interpretatorische Konzept des "späten" Fischer-Dieskau in der Aufnahme mit Alfred Brendel niederschlägt. Und deshalb habe ich mich bemüht, in recht kleinkariert anmutender Weise genau aufzulisten, worin sich beide Interpretationen unterscheiden, um, zusammen mit den anderen Beiträgen, eine Grundlage für einen um diese zentrale Frage des liedinterpretatorischen Konzepts kreisenden Diskurs bereitzustellen.

    Vielleicht kommt er ja noch. (Große Hoffnung habe ich freilich nicht.)


    Übrigens:

    Dietrich Fischer-Dieskau hat sich selbst zu seiner ersten Interpretation der "Winterreise" geäußert (aufgenommen Dezember 1947 mit dem RIAS-"Hauspianisten" Klaus Billing, publiziert 19.1.1948). Kurz zwar nur, aber doch deutlich und vielsagend. Ich zitiere aus einem Buch "Nachklang. Ansichten und Erinnerungen", Stuttgart 1987, S.69:
    "Meine Leistung von damals zu beurteilen, fällt mir heute nicht leicht. Sie erscheint mir homogen, wenn auch von Tempoirrtümern belastet. Ganz allgemein herrscht eine gewisse Larmoyanz vor, die ich heute nicht mehr zuließe."

    Ich lasse das mal so stehen und kommentiere es bewusst nicht.

    Interessant noch diese Bemerkung:

    "Kaum war das Band damals über den Sender gelaufen, läutete das Telefon bei mir, und Peter Anders, der große Tenor der dreißiger Jahre - inzwischen zum Heldentenor >avanciert< - schwärmte von meinem Gesang."

  • "kalkuliert", "ausgeklügelt", "berechnete Wirkung" ….


    Rheingold: "kalkuliert", "ausgeklügelt", "berechnete Wirkung" ….


    Und schön wäre, wenn noch einige dazukämen.

    Wobei ich vor allem an diejenigen denke, die der gesanglichen Liedinterpretation des "frühen Fischer-Dieskau" den Vorzug geben und Bedenken gegen die des "späten" haben, hinauslaufend auf die Kritik: Zu "kalkuliert", "ausgeklügelt" und auf "berechnete Wirkungen" abgestellt", weil letzten Endes zu sehr "belastet von Reflexionen".

    Lieber Helmut, nun hast Du schon dreimal die selben von mir gewählten Begriffe aus ihrem Zusammenhang gerissen zitiert. In dieser Ballung wird zur Fundamentalkritik, was ich lediglich beschreibend und zusammenfassend als Eindruck meiner jahrzehntelangen Beschäftigung mit Fischer-Diesklau und seinen mindesten zehn "Winterreisen" verstanden wissen wollte. Mehr nicht und auch nicht weniger. Und dann dies:



    Wie gut, dass Frau Schwarzkopf nie "kalkuliert", "ausgeklügelt" und mit "brechneter Wirkung" gesungen hat oder gar "selbstverliebt" war... :hahahaha:


    Weil du solche scheinbare "Schwächen" bei Dietrich Fischer-Dieskau immer sehr ausführlich und schonungslos beschreibst (so, dass Helmut Hofmann schon mit der Fassung ringen muss), während ich diesbezügliche schonungslose Kritik von dir an deinem weiblichen Idol eher selten gelesen habe... ;):hello:


    Was sollte ich nun mehr entgegnen als das, was ich schon entgegnete habe? Zumal ich nicht riskieren wollte, dass Du mit der Fassung ringen musst, was ich so gar nicht herausgelesen hatte. Es würde womöglich nur wieder einen der üblichen Tamino-Schlagabtausche geben, der mich überhaupt nicht interessiert. Noch weniger Lust habe ich auf eine rechtfertigende Rolle. Ich hoffe und wünsche, Du kannst das nachvollziehen. Stattdessen höre ich lieber Fischer-Dieskau, heute morgen erst mit Orchesterliedern von Pfitzner, darunter "Herr Oluf", den bekanntlich auch Loewe komponierte. Wunderbar! Das ist eine Entdeckung. :)

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Noch weniger Lust habe ich auf eine rechtfertigende Rolle.

    Also das finde ich jetzt wirklich ziemlich schwach von dir: Du hast hier immer und immer wieder betont, wieviel wertvoller die frühen Fischer-Diskau-Aufnahmen für dich seien und wie wenig dich die "kalkulierten", "berechnenden" späteren dich überzeugen. Nun haben bereits vier Leute ("Don_Gaiferos", Helmut Hofmann, Willi und meine Wenigkeit, ich hoffe, ich haben niemanden sonst vergessen) ganz konkret im Fallvon Schuberts "Nebensonnen" eine frühe und eine späte Aufnahme des Sängers verglichen und sind alle - unabhängig voneinander - für sich zu dem Schluss gekommen, dass die späte noch mehr überzeugt als die frühe. Von dir dazu im konkreten Falle: NICHTS! Ist halt unschön, wenn die gebetsmühlenartig vor sich hergetragenen betonierten (Vor-) Urteile sich dann im konkreten Fall einer aktuellen Hörerfahrung nicht so bestätigen. Und da ich weiß, dass du ja argumentieren kannst, finde ich es besonders bedauerlich, dass du dich der Argumentation in diesem konkreten Fall so total verweigerst, statt konkret zu beschreiben, was dich an der früheren Aufnahme mehr überzeugt als an der späteren. Aber sich belleidigt in die Schmoll-Ecke zurückzuziehen, das ist natürlich viel bequemer... :no: (Dein letzter Beitrag, auf den ich gerade antworte, unterstreicht dies leider nur allzu deutlich, er ist einfach nur destruktiv und in keinster Weise produktiv - was ich in dieser Deutlichkeit einfach mal darauf erwidern musste!)

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • nun hast Du schon dreimal die selben von mir gewählten Begriffe aus ihrem Zusammenhang gerissen zitiert. In dieser Ballung wird zur Fundamentalkritik, was ich lediglich beschreibend und zusammenfassend als Eindruck meiner jahrzehntelangen Beschäftigung mit Fischer-Diesklau und seinen mindesten zehn "Winterreisen" verstanden wissen wollte. Mehr nicht und auch nicht weniger.

    So war das nicht gemeint, lieber Rheingold. Ich habe nur deshalb noch einmal zitiert - und übrigens das "belastet von späterer Reflexion" von wok hinzugenommen - weil ich einen Impuls zu einem Diskurs über die Entwicklung von Fischer-Dieskaus gesanglichem Lied-Interpretationskonzept geben wollte.


    Ich wollte keine Kritik an Deiner Beurteilung desselben üben, schon gar keine "Fundamentalkritik". Ich weiß sehr wohl, dass der Liedgesang Fischer-Dieskaus in den späteren Phasen seiner Entwicklung kritisch gesehen, und dass diese Kritik mit durchaus sachlich fundierter Argumentation vorgebracht wurde, - und noch wird. Diese sachlichen Aspekte - nicht den Aspekt der subjektiv persönlichen Vorliebe oder Abneigung gegen Liedgesang dieser Art - wollte ich zur Diskussion stellen.

    Es tut mir leid, dass das bei Dir anders angekommen ist.


    Und ich sehe, dass man ganz offensichtlich über Liedgesang nicht diskutieren kann, ohne dabei den subjektiv-persönlichen Bereich beim Anderen zu tangieren und diesen möglicherweise sogar zu verletzen.

    Das aber löst bei mir solche Schuldgefühle aus, dass mir nichts anderes bleibt, als davon abzulassen.

    Ich werde mich also nicht weiter an dem beteiligen, was sich möglicherweise hier noch diskursiv ereignen wird.

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  • Die Analyse der frühen und späteren FISCHER-DIESKAU-Aufnahmen von Helmut Hofmann ist bewundernswert und zeugt von höchster Fachkenntnis und Kompetenz. Ihm gebührt dafür größte Hochachtung.


    Ich bin aber kein berufsmäßiger Rezensent, sondern einfach ein großer Liebhaber klassischer Musik, und dies nicht nur auf Gesang, sondern auch auf Orchestermusik und Kammermusik bezogen. Ich würde mir deshalb niemals ein Urteil darüber anmaßen, welche der vielen Einspielungen der "Winterreise" nun die "beste" ist. Ich kann nur sagen, daß ich schon in früher Jugend DIETRICH FISCHER-DIESKAU mit diesem wunderbarem Zyklus im Rundfunk hörte, und von seinem Gesang sogleich fasziniert war, und er von da an bis heute neben dem Tenor JOSEF TRAXEL zu meinen absoluten Lieblingssängern zählt. Es fiel mir natürlich auf, daß der im Laufe der Jahre, vor allem zuletzt mit BRENDEL, schnellere Tempi wählte und sein Vortrag etwas schlanker, artikulierender und deklamierender wurde, was ihm ja einige namhafte Kritiker dann auch vorwarfen, d. h. überspitzt gesagt, daß er mit nachlassender Stimmpracht immer mehr Gesang durch Deklamation ersetze. Soweit würde ich allerdings auf keinen Fall gehen. Was die Tempi anbetrifft, so stehen m. E. einigen Lieder eher ruhige, getragene Tempi, anderen dagegen ein mehr drängender, weniger verhaltener Vortrag. Ganz abgesehen davon, ist es sicher auch Ansichtssache und Geschmacksache, welcher Interpretation man den Vorzug gibt. Mir war es immer wichtig, den Sänger noch so mit der Winterreise zu hören, wie er dies in jungen Jahren ganz intuitiv für richtig hielt, bevor er dann später verständlicherweise als großer Perfektionist im Zuge seiner künstlierischen Auseinandersetzung mit den einzelnen Werken, immer mehr danach trachtete, seine bisherige Sicht- und Gesangsweise noch zu erweitern und verfeinern, was ihm dann ja sicher auch in späteren Aufnahmen in mancherlei Hinsicht gelungen ist. Das Wort "ohne jegliche BELASTUNG späterer Reflexionen" in meinem ersten Beitrag klingt da etwas zu stark und mag mißverständlich sein. An Stelle von "Belastung" wäre "frei von späteren Reflexionen" die bessere Beschreibung, wobei solche Reflexionen natürlich auch zu positiven Ergebnissen führen können und in vielen Fällen sicher auch führten, nur ist dann eben der Vortrag nicht mehr so natürlich wie in seinen ersten Aufnahmen. Und es war für mich immer wichtig, den ganz authentischen Fischer-Dieskau mit diesem Werk zu vernehmen, wobei mir seine früheren Aufnahmen einfach mehr unter die Haut gehen als die letzte geschliffene Aufnahme mit BRENDEL


    Ich habe mich übrigens in meinem ersten Beitrag in erster Linie auf Aufnahmen mit GERALD MOORE bezogen, wobei jene von 1962/63 meinem Ideal wohl am nächsten kommt. Die spätere Aufnahme von 1971 gilt zwar sängerisch und pianistisch allgemein als noch perfekter, auch deutlich schneller im Tempo und drängender und impulsiver als die von 1962/63, ich ziehe gerade für diesen Zyklus aber trotzdem den etwas ruhigeren Duktus der früheren Aufnahme vor. Seine ganz frühen Aufnahmen mit KLAUS BILLING und HERMANN REUTTER bezeichnete FISCHER-DIESKAU ja später als Jugendsünde - und tatsächlich sind die Tempi hier schon extrem langsam und getragen - aber andererseits kommt die zu diesem Zeitpunkt noch dunklere, männlichere, kraftvollere Stimme mit mehr Resonanz und Tiefe m. E. durchaus dem Charakter einiger Lieder durchaus zugute.


    Phänomenal erscheint auch heute noch die Tatsache, daß DIETRICH FISCHER-DIESKAU 1948 schon mit 23 Jahren - und nach schlimmen Kriegserfahrungen - im Rundfunk ohne vorherigen Gesangsunterricht die Winterreise auf einem gesanglichen Niveau realisierte, wie dies kaum ein schon arrivierter Sängerkollege damals vermochte.


    Gruß

    wok

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  • Die Analyse der frühen und späteren FISCHER-DIESKAU-Aufnahmen von Helmut Hofmann ist bewundernswert und zeugt von höchster Fachkenntnis und Kompetenz. Ihm gebührt dafür größte Hochachtung.

    Dem kann ich mich nur anschließen.



    Und ich sehe, dass man ganz offensichtlich über Liedgesang nicht diskutieren kann, ohne dabei den subjektiv-persönlichen Bereich beim Anderen zu tangieren und diesen möglicherweise sogar zu verletzen.

    Das aber löst bei mir solche Schuldgefühle aus, dass mir nichts anderes bleibt, als davon abzulassen.

    Ich werde mich also nicht weiter an dem beteiligen, was sich möglicherweise hier noch diskursiv ereignen wird.

    Und das kann ja wohl nicht das Ergebnis dieser Diskussion sein, die von "Don_Gaiferos" duch einen sehr konstruktiven Vorschlag in konstruktive Bahnen gelenkt hat und die so u.a. den von "wok" gerühmten Beitrag hervorgebracht hat. (Derjenige, der es pauschal anders sieht, hat sich mit einer eigenen Schilderung seiner Eindrücke, die seine generelle Position hätte untermauern können, erst gar nicht beteiligt.

    Daher habe ich die generelle Bitte an alle, im Sinne der Sache alles Mimosenhafte und deren Zuschaustellung am besten wegzulassen und einfach in der Sache zu diskutieren - Vielen Dank!

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"