14.06.2012 (Musikhalle Hamburg) E-P.Salonen, Violinenkonzert & A.Bruckner, Symphonien Nr.4 "Romantische"

  • Für das letzte Abonnements-Konzert der Saison 2011/12 hatte sich das NDR-Sinfonieorchester den finnischen Dirigenten Esa-Pekka Salonen (*1958) eingeladen. Dieser kam (mit dem eigenen Violinkonzert im Gepäck), dirigierte und siegte:


    I


    Einerseits ist es natürlich immer spannend, ein selten oder gar nie zuvor gehörtes Werk erstmalig live zu erleben. Andererseits fehlt gerade bei Stücken der unmittelbaren Moderne mangels verfügbarer Aufnahmen oft die Möglichkeit der Vor- oder auch Nachbereitung. Von Salonens Violinkonzert gibt es immerhin eine Aufnahme auf youtube zu sehen/hören, was ich selber allerdings auch erst gestern festgestellt habe.


    Das Konzert für Violine und Orchester (UA 2009) gliedert sich in vier Sätze (Mirage - Pulse I - Pulse II - Adieu; bei einer Gesamtdauer von etwas mehr, als einer halben Stunden), von welchen die ersten drei getrennt durch eine Kadenz jeweils attaca ineinander übergehen. Sowohl Solopart, als auch Orchestersatz sind zum allergrößten Teil sehr virtous angelegt. Im Gegensatz dazu sind gerade die (kurzen) Kadenzen eher nur "geahnte" Musik.
    Die mit Pulse I und Pulse II überschriebenen Teile zeichnen sich (nomen est omen) durch einen fast durchgehenden Puls in den Pauken aus, wobei der erstere eher im Rhytmus eines ruhigen Herzschlages verläuft, während der zweite wesentlich enervierender daherkommt: "Salonen fühlt hier den Puls der Metropole und beschwört die rhytmischen Delirien in der Musik der Eingeborenen dieses Großstadt-Dschungels. 'Bizarr, urban' und 'sehr kalifornisch' nennt der Komponist diesen Satz.", so das Programmheft. Und tatsächlich mutet das gesamte Werk recht amerikanisch an (Salonen hat es zum Ende seiner 17jährigen Amtszeit als Music Director des Los Angeles Philharmonic komponiert). Gerade in diesem dritten Satz klingt z.B. Leonard Bernstein durch, während der zweite Satz mich stellenweise an die großartige Filmmusik eines Bernard Herrmann erinnert hat. Aber auch, wenn man - weniger direkt - im gesamten Werk wohl auch A.Copland und C.Ives assoziieren konnte, handelt es sich m.E. doch um eine sehr eigenständige Komposition und nicht etwa um eine bloße Ansammlung von Versatzstücken.


    Als Solist des Abends war der österreichische Violinist und Dirigent Thomas Zehetmair zu sehen und zu hören. Er meisterte seine sicherlich nicht einfache Aufgabe im Großen und Ganzen durchaus ansprechend, wenngleich eine gewisse Nervosität nicht zu überhören war. So galt zur Pause der etwas größere Anteil des Applauses dem Dirigenten und Komponisten in Personalunion Esa-Pekka Salonen.


    II


    Der zweite Teil des Abends war für einen Standard des Konzertrepertoires reserviert: Anton Bruckners Symphonie Nr.4 Es-Dur. Die von Bruckner selber so bezeichnete "Romantische" war in der üblichen zweiten Fassung von 1878/80 mit dem dritten Finale zu hören.


    Nun kann man seit Günter Wand mit der Kombination NDR-Sinfonieorchester/Anton Bruckner eigentlcih nicht mehr viel verkehrt machen, aber was der mir bis dato als Bruckner-Dirigenten vollkommen unbekannten E-P.Salonen hier ablieferte, war doch ganz außerordentlich! - Mag das Werk nicht zuletzt aufgrund des vom Komponisten selber angedeuteten programmatischen Charakters (Mittelalterliche Stadt - Lied, Gebet, Ständchen - "Jagd-Scherzo") für den Ersthörer vielleicht die zugänglichste Bruckner-Symphonie sein, so handelt es sich trotzdem wohl kaum um Programmmusik etwa im Sinne der Beethovenschen Pastorale. So finde ich es auch bei "Der Romantischen" viel lohnenswerter, auf die innere Struktur des Werkes, wie z.B. den immerwiederkehrenden Hornruf des ersten Satzes, das Adagio mit einer klaren Vorwegnahme Gustav Mahlers oder den vollkommen logischen Aufbau des Finales mit seiner grandiosen Schlussapotheose zu achten. All dieses und noch viel mehr verstand Salonen brilliant und geradezu "glasklar" herauszuarbeiten; etwa die leichte Herausnahme des Tempos in der zweiten Steigerung des Adagio oder im Schluss des Finales, die zwar weniger extrem als bei Celibidache trotzdem ähnliches erreichte, nämlich eines hervorragende Durchhörbarkeit des musikalischen Aufbaus. Unterstützt wurde all dies durch ein an diesem Abend hervorragend disponiertes Orchester, der Bläser dabei besonders hervorzuheben sind.



    Im Zwischenergebnis zum kleinen Brucknerzyklus anläßlich des Wand-Jahres 2012 würden sich Salonen und H.Blomstedt (5te) das "Treppchen" teilen, während M.Gielen (8te) einen souveränen zweiten Platz belegt und der neue Chefdirigent T.Hengelbrock (6te) auf dem dritten nichtsdestotrotz eine ausnehmend gute Figur macht. Und vielleicht würfelt die nächste Saison mit K.Nagano (7te) und A.Gilbert (9te) nochmal neu ...



    p.s. Wer nun neugierig geworden ist, hat übrigens am 17.06.2012 um 11:00 Uhr die Gelegenheit, dass Programm nochmal im Matineekonzert auf NDR Kultur live zu verfolgen.

    mfG Michael


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