Beim Durchkämmen des Tamino-Forums konnte ich zu meinem Erstaunen noch keinen Thread finden, der sich der Person Camille Saint-Saëns widmet. Zwar taucht er in Diskussionen gelegentlich auf, allerdings zumeist in negativer Korrelation. Überhaupt scheint Saint-Saëns in den deutschsprachigen Ländern mehr oder weniger ignoriert oder, nicht gerade selten, für völlig unbedeutend gehalten zu werden. Tatsächlich gibt uns Saint-Saëns, vielleicht mehr als jeder andere Komponist in der Geschichte, Schwiergkeiten auf, ihn einzuordnen, da man ihn als schlichtweg janusgesichtig bezeichnen muss, d.h. gleichzeitig nach vorn- als auch zurückblickend.
[timg]http://upload.wikimedia.org/wi…Saint-Saens.jpg;l;220;314[/timg]Da Saint-Saëns ein Wunderkind war, das 6-jährig zu komponieren begann, hatte er eine genau 80-jährige Komponistenkarriere hinter sich als er 1921 in Algier starb. Ich behaupte das ist der Rekord unter den Komponisten lasse mich aber gerne belehren. Infamerweise hatte er nicht nur Brahms und Dvorak überlebt sondern auch Skrjabin, Mahler und Debussy, die Herolde des Modernismus! Das wahrhaft unbegreifliche an Saint-Saëns aber ist, dass er Zeit seines Lebens gleich modern bzw. unmodern komponiert hat - es lässt sich praktisch keine wirkliche Entwicklung feststellen. Zu Beginn seiner Karriere galt er als Bilderstürmer, der begeistert die kompositorischen Prämissen Liszts umsetzte - und zwar mehr oder weniger brühwarm in den 1850ern und 1860er Jahren. 30 Jahre später galt er als hoffnungslos konservativ. Interessanterweise war Saint-Saëns trotzdem der Komponist, der die erste Filmmusik überhaupt schrieb ("L'assassinat du duc de Guise"). Seine Konzerte, jedenfalls, sind nicht nur die ersten bedeutenden Werke dieser Gattung in der Geschichte der französischen Musik sondern auch Meilensteine der Gattung überhaupt. Vom Bild des Klassizisten bleibt nicht viel übrig, wenn man sich den Aufbau seines 2.ten oder 4.ten Klavierkonzerts ansieht. Ähnlich originelles bekam man vielleicht erst wieder von Prokofjew zu hören. Auch im Bereich der symphonischen Dichtung geht er originelle Wege, wie der berühmte Danse macabre zeigt. Ganz eigen ist Saint-Saëns seine hohe Kunst der Instrumentierung: unglaublich transparent und schlank, dennoch effektiv. Meiner Meinung nach kommt da nur Strawinsky heran. Leider wird diese Reihe beeindruckender Werke immer wieder von zweitklassigen Werken klassizistischer Machart unterbrochen, die er nach eigenen Worten schaffen musste wie ein Apfelbaum Äpfel hervorbringen muss. Es wird wohl diese Neigung gewesen sein, die ihm, nach ursprünglicher Begeisterung, die Verachtung Debussys eingehandelt hat. Selbstverständlich war auch Saint-Saëns polemischer Charakter nicht gerade dabei förderlich, seine weniger bedeutenden Schöpfungen (z.B der "Wedding Cake" für Klavier und Orchester) vergessen zu machen.
Saint-Saëns Schaffen ist ein Flickwerk aus Avantgardismus und konventionellster Attitüde und somit eine Herausforderung an jeden Klassikfreund. Es lohnt sich aber die Perlen herauszufischen. Einige seien hier angeführt:
Orchestermusik:
Die fünf Klavierkonzerte und das erste und dritte Violinkonzert; die Orgelsymphonie und die symphonischen Dichtungen "Phaeton" und "Danse macabre". Auch die Konzertfantasie für Violine und Cello "La muse et le poéte" muss hier noch erwähnt werden.
Kammermusik:
Die beiden Klaviertrios, vor allem das erste in F-Dur (Op. 18); sein erstes Streichquartett, das mit seiner Harmonik schon deutlich ins 20.te Jahrhundert weist; die drei herrlichen Bläsersonaten aus seinem letzten Lebensjahr (für Klarinette, Oboe und Fagott), welche Saint-Saëns Schwanengesang darstellen.
Klaviermusik:
Ein relativ schwacher Bereich seines Schaffens. Erstklassig sind aber die Beethoven-Variationen Op. 35 und das Scherzo Op. 87, beide Werke für zwei Klaviere, letzteres harmonisch sehr kühn.
Oper:
Natürlich sein berühmtestes Werk "Samson et Dalila", eine der bekanntesten französischen Opern. Seine anderen Opern konnte ich leider noch nicht hören, da so gut wie nicht erhältlich.
Vokalmusik:
Hier kenne ich mich recht schlecht aus, möchte aber unbedingt auf das Orchesterlied "La cloche" verweisen, das er Mitte der 1850er Jahre komponierte, aber so klingt als wäre es 50 Jahre später geschrieben worden. Ein absolutes Meisterwerk!