Der janusgesichtige Camille Saint-Saëns

  • Beim Durchkämmen des Tamino-Forums konnte ich zu meinem Erstaunen noch keinen Thread finden, der sich der Person Camille Saint-Saëns widmet. Zwar taucht er in Diskussionen gelegentlich auf, allerdings zumeist in negativer Korrelation. Überhaupt scheint Saint-Saëns in den deutschsprachigen Ländern mehr oder weniger ignoriert oder, nicht gerade selten, für völlig unbedeutend gehalten zu werden. Tatsächlich gibt uns Saint-Saëns, vielleicht mehr als jeder andere Komponist in der Geschichte, Schwiergkeiten auf, ihn einzuordnen, da man ihn als schlichtweg janusgesichtig bezeichnen muss, d.h. gleichzeitig nach vorn- als auch zurückblickend.


    [timg]http://upload.wikimedia.org/wi…Saint-Saens.jpg;l;220;314[/timg]Da Saint-Saëns ein Wunderkind war, das 6-jährig zu komponieren begann, hatte er eine genau 80-jährige Komponistenkarriere hinter sich als er 1921 in Algier starb. Ich behaupte das ist der Rekord unter den Komponisten lasse mich aber gerne belehren. Infamerweise hatte er nicht nur Brahms und Dvorak überlebt sondern auch Skrjabin, Mahler und Debussy, die Herolde des Modernismus! Das wahrhaft unbegreifliche an Saint-Saëns aber ist, dass er Zeit seines Lebens gleich modern bzw. unmodern komponiert hat - es lässt sich praktisch keine wirkliche Entwicklung feststellen. Zu Beginn seiner Karriere galt er als Bilderstürmer, der begeistert die kompositorischen Prämissen Liszts umsetzte - und zwar mehr oder weniger brühwarm in den 1850ern und 1860er Jahren. 30 Jahre später galt er als hoffnungslos konservativ. Interessanterweise war Saint-Saëns trotzdem der Komponist, der die erste Filmmusik überhaupt schrieb ("L'assassinat du duc de Guise"). Seine Konzerte, jedenfalls, sind nicht nur die ersten bedeutenden Werke dieser Gattung in der Geschichte der französischen Musik sondern auch Meilensteine der Gattung überhaupt. Vom Bild des Klassizisten bleibt nicht viel übrig, wenn man sich den Aufbau seines 2.ten oder 4.ten Klavierkonzerts ansieht. Ähnlich originelles bekam man vielleicht erst wieder von Prokofjew zu hören. Auch im Bereich der symphonischen Dichtung geht er originelle Wege, wie der berühmte Danse macabre zeigt. Ganz eigen ist Saint-Saëns seine hohe Kunst der Instrumentierung: unglaublich transparent und schlank, dennoch effektiv. Meiner Meinung nach kommt da nur Strawinsky heran. Leider wird diese Reihe beeindruckender Werke immer wieder von zweitklassigen Werken klassizistischer Machart unterbrochen, die er nach eigenen Worten schaffen musste wie ein Apfelbaum Äpfel hervorbringen muss. Es wird wohl diese Neigung gewesen sein, die ihm, nach ursprünglicher Begeisterung, die Verachtung Debussys eingehandelt hat. Selbstverständlich war auch Saint-Saëns polemischer Charakter nicht gerade dabei förderlich, seine weniger bedeutenden Schöpfungen (z.B der "Wedding Cake" für Klavier und Orchester) vergessen zu machen.
    Saint-Saëns Schaffen ist ein Flickwerk aus Avantgardismus und konventionellster Attitüde und somit eine Herausforderung an jeden Klassikfreund. Es lohnt sich aber die Perlen herauszufischen. Einige seien hier angeführt:


    Orchestermusik:


    Die fünf Klavierkonzerte und das erste und dritte Violinkonzert; die Orgelsymphonie und die symphonischen Dichtungen "Phaeton" und "Danse macabre". Auch die Konzertfantasie für Violine und Cello "La muse et le poéte" muss hier noch erwähnt werden.


    Kammermusik:


    Die beiden Klaviertrios, vor allem das erste in F-Dur (Op. 18); sein erstes Streichquartett, das mit seiner Harmonik schon deutlich ins 20.te Jahrhundert weist; die drei herrlichen Bläsersonaten aus seinem letzten Lebensjahr (für Klarinette, Oboe und Fagott), welche Saint-Saëns Schwanengesang darstellen.


    Klaviermusik:


    Ein relativ schwacher Bereich seines Schaffens. Erstklassig sind aber die Beethoven-Variationen Op. 35 und das Scherzo Op. 87, beide Werke für zwei Klaviere, letzteres harmonisch sehr kühn.


    Oper:


    Natürlich sein berühmtestes Werk "Samson et Dalila", eine der bekanntesten französischen Opern. Seine anderen Opern konnte ich leider noch nicht hören, da so gut wie nicht erhältlich.



    Vokalmusik:


    Hier kenne ich mich recht schlecht aus, möchte aber unbedingt auf das Orchesterlied "La cloche" verweisen, das er Mitte der 1850er Jahre komponierte, aber so klingt als wäre es 50 Jahre später geschrieben worden. Ein absolutes Meisterwerk!

  • Dieser Beitrag muß gelobt werden! Und er macht tatsächlich neugierig auf die Musik dieses Komponisten. Ich kenne von Saint-Saens nur die Orgelsinfonie, alles andere ist mir fremd. Ich würde es begrüßen, wenn sich die Kenner der Musik dieses Franzosen mit Vorschlägen über die verfügbaren CD's äußern würden...


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Ganz herzlichen Dank, Felix, dass du diesen Thread eröffnet hast. Mir war auch aufgefallen, dass Saint-Saens keinen eigenen hat, vielleicht auch, weil es Furcht über die Resonanz gibt. Ich freue mich darüber.
    Zwar kenne ich beileibe nicht alle seine Werke, aber die, die ich kenne, schätze ich ungemein. Gerade die Samson et Dalila-Oper und die von dir erwähnten Klavierkonzerte 1 und 3. Natürlich auch die berühmte Orgelsinfonie.
    Ich erinnere mich noch genau daran, wann ich das erste Mal einen Ton dieses Komponisten hörte (damals hörte ich noch gar keine Klassik und die Orgelpassage, die uminstrumentiert in dem Film "Ein Schweinchen names Babe" verwendet wird, zähle ich jetzt mal nicht), nämlich in der "Effi Briest"-Verfilmung von Fassbinder. Die Zwischentitel dort werden immer mit einem bestimmten Thema untermalt und immer wenn ich den Film sah, dachte ich, wie schön es sei und es wurde einige Zeit ein richtiger Ohrwurm. Es ließ sich lange Zeit nicht herausfinden, was das für ein Stück ist. Erst viel später (quasi durch Zufall) lieh ich mir in der Stadtbibliothek eine CD von Jascha Heifetz aus und wie ich so hörte, war da auf einmal dieses Stück nach dem ich so lange gesucht hatte, also aufgesprungen und die Daten inspiziert...es war die Havanaise op. 83...in dem Moment war ich richtig glücklich, die Suche hatte unerwartet ein Ende.
    Seit dem habe ich mich auch mit dem Rest der Musik Saint-Saens beschäftigt (wie gesagt, bei weitem noch nicht allem).
    Du hast es ja in deinem Eingangthread erwähnt...der Mensch Saint-Saens war auch ein spezieller Charakter. Erstaunlich fand ich immer seine Aussage (gerade weil sie von einem Komponisten kommt) :

    Zitat

    Die Musik existiert unabhängig von jeder Emotion; sie ist nichts als nur Musik

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

  • Da möchte ich mich anschließend. Erst letzlich versuchte ich, mein Erleben der Orgelsymphonie in Worte zu fassen. Insofern sollte ich eigentlich auch mal etwas anderes kennenlernen.
    Ich bin gespannt.

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Die Musik existiert unabhängig von jeder Emotion; sie ist nichts als nur Musik

    Ja, das ist eine seiner typischen Provokationen, würde ich sagen. Saint-Saëns hat sich gerne als Proponent der "L'Art pour l'Art" Richtung geriert, was ihm sowohl in Frankreich (z.B d'Indy und Debussy) als auch international (z.B. Mussorgsky) viele Gegner eingehandelt hat. Aber Saint-Saëns straft sich selber Lügen in einigen seiner großen Werke, wie eben gerade in Samson et Dalila. Dass diese Oper ohne Emotion existieren könnte ist ein völlig absurder Gedanke ("Mon coeur s'ouvre a ta voix").

  • Zu Saint Saens fallen mir hier im Forum noch ein:


    - Saint-Saens Orgelsymphonie


    - Camille Saint-Saëns: Die Klavierkonzerte


    - Die Orgelwerke von Camille Saint-Saëns


    - Camille Saint-Saëns: Orchesterwerke und Konzerte


    - Saint-Saens Kammermusik


    - Saint-Saens: Sonate für Violine und Klavier op. 75 – die kleine Melodie, Zeichen des Glücks (Proust)


    Von Ignorieren kann da kaum die Rede sein, bei längerem Suchen gibt es sicher noch mehr Threads zum Thema.
    Dass seine wichtigste Oper auch in unserem Tamino-Opernführer behandelt wird, brauche ich wohl nicht extra zu erwähnen:


    - SAINT-SAËNS, Camille: SAMSON ET DALILA


    LG


    8-)

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Von Ignorieren kann da kaum die Rede sein, bei längerem Suchen gibt es sicher noch mehr Threads zum Thema.
    Dass seine wichtigste Oper auch in unserem Tamino-Opernführer behandelt wird, brauche ich wohl nicht extra zu erwähnen:

    Ich schrieb ja auch bewusst, es fehle ein Thread zur "Person Saint-Saëns". Vieles lässt sich in einem Spezialthread zu einem Werk oder einer Werkgruppe nicht wirklich gut diskutieren. Dieser Thread hier sollte ein Überblicksthread sein. Etwas, was dieser Komponist meiner Meinung nach definitiv verdient.

  • Um eine Lücke zu schließen, hier noch der Hinweis auf seine nicht ganz so bekannte Oper Henry VIII:



    Es lohnt sich bestimmt, sich näher mit dieser Oper zu befassen. Im Gegensatz zu Samson & Dalila, von der es über 80 Gesamtaufnahmen gibt, kenne ich von Henry VII nur ein paar Live-Mitschnitte (Barcelona, Compiegne, San Diego).


    LG


    8-)

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Jean-Jacques Kantorow hat höchst Interessantes zum Thema Saint-Saens beigetragen. Zum Beispiel diese hier, bei BIS erschienenen Scheiben:



    Das Orchester, mit dem Kantorow hier zusammenarbeitet, ist die finnische Tapiola Sinfonietta - die machen ihre Sache hervorragend.


    Grüße,


    Garaguly

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Camille Saint-Saens... da muss ich zu meiner Schande gestehen, dass ich leider nur eine einzige CD dieses Komponisten besitze und zwar diese hier:

    Diese hatte ich mir angeschafft nachdem meine kleine Schwester in ihrem Kindergarten den Karneval der Tiere mit der Loriot Aufnahme aufgeführt hatte! Ich wollte dann eine rein Orchestrale Version davon haben und bin mit dieser Aufnahme sehr glücklich geworden, da ich auch die Orgelsymphonie, welche ich zuvor noch nicht kannte, sehr zu lieben gelernt habe! Leider konnte ich bisher mit dem Rest der Titel auf meiner CD wenig anfangen, wie z.b. das Klavierkonzert! Insgesamt ein von mir vernachlässigter Komponist! Zurecht? Ich glaube aufgrund der Werke die ich kenne und liebe das noch einiges Existiert , dass mir gut gefallen wird, sobald ich es kenne :)


    Lg

  • Wie Musikwanderer versprochen möchte ich hier noch einige CD-Empfehlungen zu Saint-Saëns abgeben.



    Ein Glücksfall ist die Brilliant-Sammelbox, die alle fünf Symphonien und alle Klavier- und Violinkonzerte plus die wichtigsten einsätzigen konzertanten Werke vereinigt (Havanaise, La Muse et le Poéte, Africa, etc..). Die Cellokonzerte fehlen leider. Obwohl die Aufnahmen nicht von berühmten Namen stammen empfinde ich das Niveau als sehr hoch. Die Tonqualität ist sehr ansprechend. Das alles für nur 16 Euro (6 CDs), zum Kennenlernen also ideal.


    Für die späten Bläsersonaten würde ich dieses Doppelset von Hperion empfehlen, da auch das durchaus hörenswerte Klavierquartett und das Septett enthalten sind.


    Für die Klaviertrios habe ich auch eine klare Präferenz zur Aufnahme, die bei Hyperion erschienen ist.


    Das Orchesterlied "La cloche" findet man mit einigen kuriosen Werken, wie etwa dem impressionistischen "La Nuit" in diesem Doppelset:


    Eine recht annehmbare Gesamtaufnahme der Klaviermusik mit dem Scherzo Op. 87 gibt es hier:

    Weitere Empfehlungen zu ausgefalleneren Werken folgen später, nachdem ich noch einmal gründlich reingehört habe.

  • Obwohl die Aufnahmen nicht von berühmten Namen stammen empfinde ich das Niveau als sehr hoch.


    So kann man das nicht sagen. Jean Martinon und Ulf Hoelscher waren Kapazitäten ersten Rangs (die Aufnahmen stammen aus den 70ern).

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Ich wundere mich, dass von den ganzen Taminos keiner das auf nebenstehender CD enthalten Oratorio del Noel op. 12, kennt oder erwähnt hat, jenes bezaubernde Weihnachtsoratorium, das wir mit unserem Chor schon vor nunmehr beinahe 16 Jahren, am 5. Januear 1997, in einem Live-Mitschnitt vorgelegt haben. Ein Kirchenchor kann natürlich nicht mit dem Dresdener Kreuzchor konkurrieren, aber wir haben jedoch mit der gleichen Inbrunst gesungen und bewiesen, dass Saint-Saens nicht nur die Orgelsymphonie und die fünf Klavierkonzerte komponiert hat.


    Liebe Grüße


    Willi ?(:)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Natürlich besitze ich diese CD - habe sie auch schon mal im Forum (wann?) erwähnt - selber aber die Chöre noch nicht gesungen.

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • So kann man das nicht sagen. Jean Martinon und Ulf Hoelscher waren Kapazitäten ersten Rangs (die Aufnahmen stammen aus den 70ern).

    Ja, das war wohl eine Bildungslücke meinerseits. Meine Nachforschungen bei jpc haben ergeben, dass Martinon hauptsächlich französisches Repertoire dirigierte, und in dieses bin ich - bis auf Saint-Saens - schlecht eingehört (und alles, was ich von Debussy habe, wurde von Prêtre eingespielt).



    Ich wundere mich, dass von den ganzen Taminos keiner das auf nebenstehender CD enthalten Oratorio del Noel op. 12, kennt oder erwähnt hat, jenes bezaubernde Weihnachtsoratorium, das wir mit unserem Chor schon vor nunmehr beinahe 16 Jahren, am 5. Januear 1997, in einem Live-Mitschnitt vorgelegt haben. Ein Kirchenchor kann natürlich nicht mit dem Dresdener Kreuzchor konkurrieren, aber wir haben jedoch mit der gleichen Inbrunst gesungen und bewiesen, dass Saint-Saens nicht nur die Orgelsymphonie und die fünf Klavierkonzerte komponiert hat.

    Genau dieses Werk, das Requiem und den Psaume XVIII wollte ich mir noch mal genau anhören, bevor ich was dazu schreibe.

  • Camille Saint-Saens 1910 :

    Zitat

    Ich bin die Zukunft gewesen...und in meinem Alter kann man nur noch Vorfahre sein.


    Felix hat es im Eingangsbeitrag ja schon angeschnitten, nämlich, dass Saint-Saens in seiner langen Komponistenlaufbahn vom Neuerer (fremdartig und verwirrend) zum Reaktionär (schlechte, aber gut geschriebene Musik) wurde, eben weil er mit seinen Kompositionen stets in einem Rahmen blieb, welcher am Anfang progressiv war, aber mit fortschreitender Zeit und unveränderten Weiterführung schließlich hinter das folgende Neue zurücktrat und so „altmodisch“ wurde, nicht auf der Höhe der Zeit. In gewisser Weise hat er sich also auf musikalischem Gebiet nur wenig entwickelt, Früh- und Alterswerk unterscheiden sich in ihren Stil und dem Aufbau kaum, von Reifung kann man nicht sprechen (dabei möchte ich aber betonen, dass dieser Umstand nicht ausschließlich kritisch zu sehen sein muss).
    So ist dann auch zu erklären, das zB der junge Claude Debussy noch voller Bewunderung für Saint-Saens war („Niemand kennt die Musik der Welt besser als Monsieur Saint-Saens.“), später jedoch kaum mehr etwas für ihn übrig hatte („Gibt es niemanden, der Saint-Saens hoch genug schätzt, um ihm zu sagen, dass er...lieber seinem späten Forscherdrang nachgeben sollte, um im Anblick neuer Welten eine weniger eitle Musik zu ersinnen.“)
    Saint-Saens, der stets abgeklärt herüberkommt und auch seine Musik eher nüchtern betrachtete (ob das lediglich Koketterie war, kann ich nicht entscheiden), hielt sich, eigenen Aussagen nach eher für einen 'Architekten', denn für ihn war Musik 'Klangarchitektur', plastische Kunst die Luftschwingungen modelliert (was technisch gesehen sicher richtig ist), schließlich Mathematik („Die Gesamtheit der Musik lässt sich in jedem Fall auf Zahlenverhältnisse zurückführen.“)
    Was Wunder, dass seine Musik ab einem bestimmten Zeitpunkt von seinen Zeitgenossen als kalt, gelehrt und algebraisch geschmäht wurde, und das die Jugend ihn ablehnte, beklagte er zudem bitter.
    Das er seinen Stil nicht bearbeitete, nicht modifizierte oder erneuerte, mutet seltsam an, wenn man folgendes Zitat von 1881 von ihm hört, das deutlich in die Zukunft der Musik weist, die der Komponist anscheinend gar mit Wohlwollen kommen sah, aber daraus für sein Werk keine Schlüsse zog :

    Zitat

    Die musikalische Offenbarung kann man bestimmt nicht in unserem enharmonischen Halbtonsystem finden. Die Tonalität...agoniert. Die Harmonik wird sich verändern und die kaum ausgeschöpfte Rhythmik sich entwickeln. Aus all dem wird eine neue Kunst hervorgehen, die gegenwärtige wird wie eine tote Sprache sein, wenn auch ihre Meisterwerke fortleben.

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

  • Liebe Schall und Wahn,


    danke für diese hochinteressanten Zitate. Ich vermute, dass es in Saint-Saëns kompositorischen Leben nach Liszts Tod irgendwie eine Zäsur gegeben haben muss. Wahrscheinlich sind die Worte des zweiten Zitats, das du bringst, von Liszt inspiriert, der sich in seinen letzten Jahren sehr intensiv mit harmonischen Fragen beschäftigte. Saint-Saëns bewunderte Liszt über alle Maßen, interessanterweise auch Wagner bis in die 1880er Jahre. Danach wurde er zu einem radikalen Wagnerhasser, was ihm sehr viel Probleme und Streit einbrachte und ihn schließlich auch seine Reputation kostete. Die Gründe für Saint-Saëns' Wandel kenne ich leider nicht. Es würde mich wirklich interessieren, einmal eine ausführliche Biographie über Saint-Saëns zu lesen. Die Kurzbiographie (erschienen bei rororo) von Stegemann ist zwar hervorragend aber eben kurz. Leider ist aber praktisch alles sonstige über Saint-Saëns auf Französisch, welches ich zu schlecht beherrsche, um ganze Bücher lesen zu können.

  • Ich würde übrigens nicht sagen, er wäre ein Wagnerhasser geworden. Wie du schon sagst, hat er Wagner zuerst ja sogar sehr bewundert, "Wagner erfand alles; vor ihm gab es überhaupt keine Musik und es kann keine mehr danach geben."(1861). Immerhin erstaunliche Aussage für jemanden, der sich zeitlebens als Klassizist bezeichnet hat; nicht umsonst war er einer der ersten französischen Komponist, die in dieser Zeit Konzert- und Kammermusik komponiert, was absolut gegen die Mode war. Übrigens war Wagner in seinem Urteil über Saint-Saens weit nüchterner : "seine stupende Aufnahmefähigkeit für das technische Material...(wird) nicht von einer schöpferischen Karft aufgewogen." Ihm wurde ja sogar 'Wagnerismus' vorgeworfen, was damals in Frankreich nicht immer gut aufgenommen wurde, dazu kam, das er viele Touren durch Deutschland machte, was nach dem Krieg 1871 sicher auch ungern gesehen wurde. Später ist Saint-Saens wohl etwas, aber nie völlig (deswegen auch mein Einwand gegen das Hass-Wort) von Wagner abgetreten : "Ich bewundere zutiefst die Werkes Wagners, ungeachtet ihrer bizarren Seiten...Aber ich war nie gläubiger Wagnerianer...und werde es niemals sein." Zugegeben steht das seiner früheren Meinung doch deutlich entgegen, aber da will ich nicht drüber urteilen. Fest steht, dass er damit sowohl die Wagner-Freunde, als auch-gegner vergrätzt hat (er hat die Wagnerianer auch "Fanatiker, für die Wagner Alpha und Omega ist" genannt), und das gilt sowohl für die in Deutschland, als auch die in Frankreich. Letztere, um Franck und d'Indy, drängen ihn schließlich aus der Societe Nationale.

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

  • Es scheint so zu sein, dass Saint-Saëns vor allem den wagnerischen Einfluss auf die französische Musik verdammt hat. Sicherlich spielten hier nationalistische Beweggründe eine Rolle. Allerdings waren seine Attacken teilweise doch heftig und sie erfolgten über mehrere Jahrzehnte. Die englische Wikipedia widmet dem Thema einen Absatz:


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  • Wäre man böswillig könnte man ja unterstellen, das Saint-Saens, den Einfluss Wagners deshalb verdammte, weil sich die, die sich von dieser Musik beeinflussen ließen, die Musik neuerten und weiter entwickelten bei der er selbst stehenblieb.
    Letztlich ist es aber schon interessant zu fragen, was abseits von übersteigertem Nationalismus, hinter so einer Kehrtwende steckt.
    Vielleicht hatte er auch einfach etwas gegen diese Art von Wagnerischer Ersatzreligion, die seine Anhänger geschaffen hatten.

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

  • Was ihn sicher gestört hat, war, dass Komponisten, die er für schlecht hielt, nämlich d'Indy und Franck, aufgrund ihrer fortschrittlicheren bzw. wagnerischen Kompositionsweise, ihm gegenüber an Prestige gewannen. Dass Eitelkeit eine Rolle gespielt hat, ist also nicht auszuschließen. Man darf auch nicht vergessen, dass er psychisch wohl nicht ganz der Norm entsprach und dass nach dem Tod seiner Großtante und seiner Mutter ein Regulativ fehlte. Diesen Damen war er nämlich völlig hörig - nicht nur zu seinem Schaden wahrscheinlich.

  • Zum Weihnachtsoratorium werde ich zu gegebener Zeit schreiben.


    Was mir auffällt: Anders als wie z. B. Bruch (Violinkonzert, "einmaliger Treffer") hat Saint-Saens mit seiner Gabe sehr eingängige Melodien zu erfinden, eine ganze Reihe von ziemlich populären Musikstücken geschaffen, die z. B. in Wunschmusiksendungen von z. B. BR-Klassik (oder ähnlichen Klassikmusiksendungen der "leichteren Art") recht oft zu hören sind.

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Heute möchte ich mich mal aus einem anderen Grunde in diesem Thread melden:


    Am 16. Dezember 1921 starb Camille Saint-Saens, der am 9. Oktober 1835 in Paris geboren wurde, in Algier im Alter von 86 Jahren.


    Heute ist sein 93. Todestag.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Hundert Jahre nach seinem Tod erinnert die Dokumentation Saint-Saëns, der Unergründliche

    auf arte.tv bis Anfang Februar 2022 an den Musiker.

    Außerdem werden im Thread UNBEKANNTE OPERN vier seiner unbekannten Opern angeführt

    Alles Gute und einen Gruß von Orfeo

  • Die von Orfeo verlinkte Dokumentation möchte ich sehr empfehlen. Sie bringt den Komponisten, der ja noch weitestgehend unbekannt ist, sehr nahe. Ich habe viel gelernt.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Die erste Filmmusik der Geschichte wurde am 17. November 1908 zum Film "L’Assassinat du Duc de Guise" (Die Ermordung des Herzogs von Guise) uraufgeführt.

    Der Komponist war Camille Saint-Saëns.

    Der rund 15-minütige Film war ein spektakulärer Erfolg beim französischen Publikum und verhalf der neuen "Cinematographie" zum Durchbruch.


    Alles Gute und einen Gruß von Orfeo

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