Ist Mahler überschätzt?

  • Hallo,


    was haben denn aber nun Brühe oder Brücke mit Mahler zu tun?


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Hallo,


    was haben denn aber nun Brühe oder Brücke mit Mahler zu tun?


    Alfred vermutet als eine Ursache (u.a.), dass Mahlers Musik, obgleich modern, eine Brücke in die Vergangenheit darstelle, etwa im Bezug der Gesellenlieder auf Schuberts Liederzyklen.
    Das widerspricht der Ansicht, Mahler sei halt so "todesnah" und existentialistisch, allerdings gar nicht. Denn die Schubert-Zyklen sind ja in vieler Hinsicht weit deutlicher "todesnah" als zB die Gesellenlieder.
    Einige der oben verlinkten Kommentare berühmter Mahler-Dirigenten sind allerdings ziemlich kritisch gegenüber einer solch einseitigen Deutung von Mahlers Musik. Ich wollte schon vor Wochen was zu der weiter oben geäußerten These schreiben, dass jeder Tanz bei Mahler zum Totentanz würde. Das halte ich für schlicht falsch (und leicht zu hören, dass dem nicht so ist).

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Einige der oben verlinkten Kommentare berühmter Mahler-Dirigenten sind allerdings ziemlich kritisch gegenüber einer solch einseitigen Deutung von Mahlers Musik. Ich wollte schon vor Wochen was zu der weiter oben geäußerten These schreiben, dass jeder Tanz bei Mahler zum Totentanz würde. Das halte ich für schlicht falsch (und leicht zu hören, dass dem nicht so ist).


    Lieber Johannes!


    Es freut mich, dass Du Dir die Mühe gemacht hast, die von mir eingestellten Links mal zu benutzen und zu lesen, was die Mahler-Interpreten unserer Tage zu Mahler zu sagen haben! Ich denke, dass unsere Diskussion davon ein bißchen profitieren kann!
    Auf den von Dir geplanten Thread wäre ich neugierig!


    Liebe Grüße


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Ich wollte schon vor Wochen was zu der weiter oben geäußerten These schreiben, dass jeder Tanz bei Mahler zum Totentanz würde. Das halte ich für schlicht falsch (und leicht zu hören, dass dem nicht so ist).


    Lieber Johannes,


    ich meinte natürlich v.a. die Scherzi der IV., V., VI., VII. und IX. - auch den ersten Satz des LvdE.


    Die tänzerisch beschwingte Paraphrase des Adagietto im Finale der V. kann man als Gegenbeispiel in deinem Sinne anführen. Auch das menuetthafte Andante grazioso der II. (trotz der Zuspitzung im Scherzo der VI.) - Das Wunderhorn-Scherzo der II. ist auch mehr Tongemälde als Walzer. - Die tänzelnden Scherzo-Passagen der X. sind geradtaktig. - In vielen der genannten Sinfonien kommen die Trauermarsch-Passagen als Kontext und Färbung dazu.


    Wenn man meine von dir kritisierte These nicht allzu wörtlich auslegt, meine ich dennoch, etwas Wahres darin getroffen zu haben - v.a., wenn man auf die tragenden Kopf- und Finalsatzstrukturen blickt, wie sie bei Beethoven (z.B. VII.) aus einem energiegeladenen Tanzrhythmus entwickelt werden. Das gibt es bei Mahler auch, etwa im Kopfsatz der IV. (und wenn man will, im Finale), im Finale der V., wie gesagt, und natürlich in der Architektur der Faust-Szene der VIII. - Aber schon in diesem letzten Beispiel ist der hymnische Schwung des Schlusses deutlich auf die marcia-funèbre-Struktur des Beginns zurückbezogen. - Und auch im Kopfsatz der IV. führt der Bewegungsimpuls der Musik in der Durchführung zu einem grellen Tohuwabohu der Einzelmotive, nicht zu einem zusammengeführten Fortschreiten.


    Die VII., v.a. im Licht des dritten Satzes der IX., führt letztendlich vor, was der Symphoniker Mahler von einer "positiven" Finaldramaturgie hielt.


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Die VII.[...] führt letztendlich vor, was der Symphoniker Mahler von einer "positiven" Finaldramaturgie hielt.


    Lieber farinelli


    Ich beschäftige mich derzeit mit der Siebten, verstehe mich aber als hörender Laie. Deswegen würde es mich sehr freuen, wenn du oben zitierte Aussage etwas erläutern könntest. Was hielt Mahler denn, abgeleitet vom Finale der Siebten, von einer "positiven" Finaldramaturgie?

    "Geduld und Gelassenheit des Gemüts tragen mehr zur Heilung unserer Krankheiten bei, als alle Kunst der Medizin." (W.A. Mozart)

  • Die 8. kenne ich bislang zu schlecht, da kommt aber doch kaum etwas tanzartiges vor. Ich mache mal eine Liste (ohne 8 +10) mit (in meinen Augen) "Totentanz-", "Trauermarsch"-Elementen und Finalcharakterisierung (arabische Ziffern: Sinfonien, römische: Sätze)


    1. Trauermarsch(parodie) in III; Finale: triumphal
    2. Trauermarsch in I und V, kein Totentanz (ein bißchen gestörtes Idyll in II, Fischpredigt mag "Weltekel" ausdrücken, aber kein TT); Finale: triumphal
    3. Marsch, aber ohne Trauer in I, m.E. kein Totentanz, ungeachtet des "Kuckuck hat sich zu Tode gefallen"(III), Finale: "Verklärung"
    4. Totentanz(parodie?) mit Idyll (in den Trio-Teilen) in II; Finale: Parodie -> Verklärung
    5. Trauermarsch in I, m.E. kein Totentanz im Scherzo; das bringt hier ja eher die "Wende; Finale: positiv/ironisch?
    6. Marsch in I, Totentanz-Scherzo, (Trauer)marsch in IV; Finale: tragisch
    7. (Trauer)marschelemente in I, Totentanz-Scherzo; Finale: Triumph/Parodie?
    9 Trauermarschelemente in I, Idylle -> Totentanz in II, Rondo-Burleske? (kein Tanz); Finale: "Resignation"/"Auflösung"/"Nirwana"
    LvdE: Trauermarschelemente in VI, Tanz höre ich in I keinen, ungeachtet 3/4-Takt; Finale: "Resignation"/"Auflösung"/"Nirwana"


    Also zwei "Totentanzscherzi", zwei weitere, die recht deutlich solche Elemente aufweisen, wobei für mich gerade bei dem "Freund Hein spielt auf" in 4:II die Gemütlichkeit überwiegt, während sich 9:II von Gemütlichkeit zur Katastrophe steigert.


    1 und 2 folgen einer "per aspera ad astra" Dramaturgie, 5 und 7 vielleicht auch, oder brechen sie ironisch, da bin ich mir nach wie vor nicht sicher (vgl. auch die Diskussion zu Schostakowitschs 5.). 6 ist tragisch. 3 und 4 haben m.E. "positive" Finali, auch wenn sie sich traditioneller Dramaturgie widersetzen, 9 und LvdE heben das auf eine neue Stufe.

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  • Das Finale der VII. ist für mich (und für andere auch) bis heute der prekärste Satz aus Mahlers Feder geblieben. Wenn man ihn, wegen des C-Dur und gewisser Floskeln, mit der Meistersinger-Ouvertüre vergleicht, kann man ihn als eine Beschwörung jubelnden Klangrauschs hören, ganz auf Wirkung getrimmt. So grell, brutal versimpelt in der musikalischen Formulierung und überinstrumentiert, wie dieses gräßliche Rondo sich gebärdet, scheint es mir indessen einen tiefen Zwiespalt zwischen dem Gemeinten und dem Gesagten auszudrücken, ob nun absichtsvoll-ironisch oder unfreiwillig uninspiriert.


    Für mich ist es gleichwohl als eine Vorstufe zur IX., 3 zu hören - als ausgehöhlte Erfüllung aller Triumph-Clichés vor ihrer endgültigen Demontage (und VI., 4 wäre gewissermaßen die Vorstufe dazu - v.a. dieses grandiose Finale erschwert mir den Zugang zur irgendwie rückschrittlichen VII.)


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  • Danke für deine Erläuterungen, farinelli. Seit meinem letzten Beitrag in diesem Thread habe ich die Siebte wiederholt gehört und mir so meine Gedanken gemacht. In der Tat ist mir der Finalsatz dieser Sinfonie in seiner Überfülle kein rechter Genuß: dieser lärmende Jubel, diese Redundanz, als gelte die Devise: Wenn man nur laut genug Frohsinn vorgibt, weicht die Trübsal von allein. Da stellt sich die Frage, ob das ernst gemeint sein kann.
    Zurecht verweist du auf einen "tiefen Zwiespalt zwischen dem Gemeinten und dem Gesagten", den ich auch herauszuhören glaube. Insbesondere das Ende interpretiere ich so: Kurz vor dem abschließenden tutti gibt es eine kurze Passage, die mir als Moment erschrockener Erkenntnis erscheint, als würfe man bei aller Heiterkeit einen Blick hinter die Maske, der einen vor Schreck die Augen aufgehen und den täuschende Firnis bröckeln lässt. Nur ist es zu spät: Das Schlusstutti lässt die Falle zuschnappen.

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  • Lieber Lynkeus,


    genau so empfinde ich es auch!


    Lieber Johannes,


    das Scherzo der V. kulminert in der kontrapunktischen Coda, einem rasanten Kehraus, der auf dem Wiener-Walzer-Trioteil mit dem "Fledermaus"-Walzer-Sechzehntelakzent auf dem guten Taktteil basiert. Im Kontext der Trauermarschketten im Kopfsatz empfinde ich diesen Scherzo-Schluß als gespentisch und beängstigend; ich würde ihn immer der Totentanztopik zuordnen. Aber das kann man bestimmt auch anders hören.


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  • Zitat

    Das Finale der VII. ist für mich (und für andere auch) bis heute der prekärste Satz aus Mahlers Feder geblieben. Wenn man ihn, wegen des C-Dur und gewisser Floskeln, mit der Meistersinger-Ouvertüre vergleicht, kann man ihn als eine Beschwörung jubelnden Klangrauschs hören, ganz auf Wirkung getrimmt. So grell, brutal versimpelt in der musikalischen Formulierung und überinstrumentiert, wie dieses gräßliche Rondo sich gebärdet, scheint es mir indessen einen tiefen Zwiespalt zwischen dem Gemeinten und dem Gesagten auszudrücken, ob nun absichtsvoll-ironisch oder unfreiwillig uninspiriert.


    Mahler selbst hat die VII. als er sie seinen Verlegern verkauft hat, als "vorwiegend heiter und humoristischen Inhalts" beschrieben, und zudem noch als sein "bestes Werk " bezeichnet . Zumindest die zweite Behauptung wurde von Publikum und Kritikern der Uraufführung nicht geteilt.....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Danke für deine Erläuterungen, farinelli. Seit meinem letzten Beitrag in diesem Thread habe ich die Siebte wiederholt gehört und mir so meine Gedanken gemacht. In der Tat ist mir der Finalsatz dieser Sinfonie in seiner Überfülle kein rechter Genuß: dieser lärmende Jubel, diese Redundanz, als gelte die Devise: Wenn man nur laut genug Frohsinn vorgibt, weicht die Trübsal von allein. Da stellt sich die Frage, ob das ernst gemeint sein kann.
    Zurecht verweist du auf einen "tiefen Zwiespalt zwischen dem Gemeinten und dem Gesagten", den ich auch herauszuhören glaube. Insbesondere das Ende interpretiere ich so: Kurz vor dem abschließenden tutti gibt es eine kurze Passage, die mir als Moment erschrockener Erkenntnis erscheint, als würfe man bei aller Heiterkeit einen Blick hinter die Maske, der einen vor Schreck die Augen aufgehen und den täuschende Firnis bröckeln lässt. Nur ist es zu spät: Das Schlusstutti lässt die Falle zuschnappen.

    Wie das Leben so spielt, hatte ich mich letzthin auch mit Mahlers 7. Sinfonie und ein wenig Begleitlektüre befasst. Auch in selbiger (Die Sinfonien Gustav Mahlers, Hrsg. Renate Ulm) war der letzte Satz recht eindeutig als Jubel-Finale umschrieben. Im Gegensatz zu dieser Einschätzung (und wie ich eben sehe in Übereinstimmung mit farinelli und Dir) bin aber auch ich beim hören an einigen teilweise fast apokalyptisch klingenden Passagen 'hängengeblieben', die mir die vordergründig vermittelte Freude zu trüben wenn nicht zu entwerten schienen.


    Nachdem ich den Satz noch wiederholte Male gehört habe, bin ich für mich aber zu der Überzeugung gekommen, daß ich in dieser Überlegung wohl von meiner Erwartungshaltung dem gern ironischen und doppelbödigen Mahler gegenüber erlegen bin. Sprich: ich halte den Jubel tatsächlich für echt. Auch ich finde einiges überzogen dargestellt, aber das passt m. E. recht gut zu Mahlers Wesen und zu meinem Erleben seines Komponierstils - und womöglich auch in den damaligen Zeitgeist.


    Die angesprochenen düsteren Passagen sehe ich dabei eher als dramaturgisches Moment der per aspera ad astra-Idee (oder sollte es hier passender 'per noctem ad lucem' heißen?), um den finalen Triumph zu unterstreichen.


    Mal sehen, was ich in ein paar Jahren darüber denke! :)

  • Das Finale der VII. ist für mich (und für andere auch) bis heute der prekärste Satz aus Mahlers Feder geblieben. Wenn man ihn, wegen des C-Dur und gewisser Floskeln, mit der Meistersinger-Ouvertüre vergleicht, kann man ihn als eine Beschwörung jubelnden Klangrauschs hören, ganz auf Wirkung getrimmt. So grell, brutal versimpelt in der musikalischen Formulierung und überinstrumentiert, wie dieses gräßliche Rondo sich gebärdet, scheint es mir indessen einen tiefen Zwiespalt zwischen dem Gemeinten und dem Gesagten auszudrücken, ob nun absichtsvoll-ironisch oder unfreiwillig uninspiriert.


    Für mich ist es gleichwohl als eine Vorstufe zur IX., 3 zu hören - als ausgehöhlte Erfüllung aller Triumph-Clichés vor ihrer endgültigen Demontage (und VI., 4 wäre gewissermaßen die Vorstufe dazu - v.a. dieses grandiose Finale erschwert mir den Zugang zur irgendwie rückschrittlichen VII.)


    :hello:

    Hallo Farinelli,


    das Finale der VII. ist für mich ein Paradebeispiel für eine fehlgelaufene Rezeption. Adorno ist ja nicht unschuldig daran - hat ihm bedenkenlose Positivität vorgehalten und die Musikwissenschaft hat das immer wieder nachgebetet. Dann erlebt man im Konzert so lustige Sachen wie: Ich treffe einen absoluten Liebhaber Neuer Musik, der natürlich auch zu Mahler-Konzerten geht und sagt: Das Finale der VII. würde er sich gar nicht anhören, sondern vorher nach Hause gehen! Ich sage nichts weiteres dazu, weil ich das gerne in einer Publikation tun möchte, nur soviel: Constantin Floros weist zurecht daraufhin, daß Mahler hier eine geradezu abenteuerlich hochkomplexe Variantentechnik benutzt - das ist alles andere als "versimpelt". Und dann sollte man vielleicht mal auf das Ende hören, wo die Stimmung des ganzen Satzes ins Gegenteil zu kippen droht und mit Mühe so gerade eben noch gerettet wird. Darauf geht Adorno mit keinem Wort ein. Ich vergleiche diesen Satz immer gerne mit einem chinesischen Feuerwerk: Man macht viel Lärm, um sich die Dämenen vom Hals zu halten, die man aber nicht abschaffen kann. Sie bleiben eben doch immer anwesend, nur ein wenig durch den Lärm verschreckt. Aber das ist noch nicht meine Pointe - die ich nicht aber nicht verrate... ;)


    Beste Grüße
    Holger

  • bevor ich zum Adagio Stellung nehme, erbitte ich Antwort auf:


    Bezieht sich das Zitat auf das ganze Adagio oder auf die CD Laufzeit ab etwa 17:00 oder nur ab etwa 25.00?

    Das aus dem Stehgreif zu analysieren ist ein bisschen viel verlangt... Da ist der Buchtitel von Dieter Sponheuer sehr treffend: "Logik des Zerfalls".


    Beste Grüße
    Holger

  • Die 10. Symphonie, das Adagio, ist ja unglaublich: Da wird das Sterben, das Aufhören, sozusagen auskomponiert. Welche andere Musik hat wohl solch eine Ausdrucksfähigkeit, das eigentlich Unsagbare, den Tod, auszusagen?


    Hallo,


    Zu Deiner Aussage stellte ich folgende Frage:

    Hallo,
    bevor ich zum Adagio Stellung nehme, erbitte ich Antwort auf:
    Bezieht sich das Zitat auf das ganze Adagio oder auf die CD Laufzeit ab etwa 17:00 oder nur ab etwa 25.00?


    Darauf antwortest Du:

    Das aus dem Stehgreif zu analysieren ist ein bisschen viel verlangt... Da ist der Buchtitel von Dieter Sponheuer sehr treffend: "Logik des Zerfalls".

    Verzeihung, aber Deine Antwort verstehe ich nicht.
    Aus "auskomponiert" folgt die für Dich so "unglaubliche Ausdrucksfähigkeit", die, wenn ich das recht verstehe, etwas damit zu tun hat, wie das Adagio bei Dir ankommt und dann welche Reaktionen auslöst?
    Ich fragte nicht nach D. Sponheuers Meinung, sondern nach Deiner/n Reaktion/en, wie Du mit dem Adagio umgehst.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Hallo,


    als bekennender Mahler-Jünger wollte ich zu diesem Thread doch noch etwas sagen.
    Man darf bei der Mahler-Deutung m.E. niemals außer Acht lassen, daß Mahler ein ausgesprochener Ironiker, ja Satiriker war. Seine Musik ist nicht nur doppelbödig, sondern eher multidimensional und erschreckte die Kritiker - fast bis heute - mit dem Nebeneinander von hochkomplexen und abgeblich "banalen" Elementen.
    Natalie Bauer-Lechner erzählt in ihrem Mahler-Buch, daß sie mit Mahler und seinen Schwestern im Urlaub einmal an einem dörflichen Rummelplatz vorbeispazierte. Dort herrschte ein Höllenlärm von Kirmes-Orgeln, Feuerwehrkapellen und einer Miltärkapelle, die alle durcheinander spielten, und Mahler sagte ganz begeistert: "dies ist Polyphonie und dort habe ich sie her".
    Als kleiner Junge komponierte er ein Geburtstagsständchen für seine Mutter. Woraus bestand dieses "Ständchen"? Aus einer Polka, gefolgt von einem Trauermarsch!
    Wir sehen also, daß auch beim jungen Mahler die Elemente seiner späteren Musiksprache angelegt waren (ebenso wie seine Gewohnheit, seine Klavierschüler, wenn sie falsch spielten, mit Ohrfeigen zu traktieren, womit sich schon der spätere Pulttyrann andeutete).


    Viele Grüße


    Joachim Schneider

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)

  • Und genau da liegt das Problem: Es ist eben keine Musik (oder oft nicht), in die man sich hineinfallen lassen kann, die das Gefühl an der Hand nimmt und leitet. Man muss immer ein wenig auf der Hut sein, man braucht andauernd seinen Verstand. - Und das finde ich problematisch,- wobei ich Mahler immer häufiger höre, aber es ist nie wie z.B. bei Bruckner, dass die ganze Welt verschwindet und ich in die höheren Sphären eintauche.


    ich kenne ein ganz schlimmes Wort für diese Art von Kunst, schreibe es aber hier nicht hin. Aber noch einmal zusammenfassend: Mahler ist doch einfach sehr speziell.


    Tschö
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Hallo Klaus,


    Sie haben völlig recht:Mahler kann nicht mit Bruckner verglichen werden,obwohl in gewisser Weise ein Lehrer-Schüler-Verhältnis zwischen beiden bestand.
    Da Mahler "sehr speziell" ist,konnte er auch u.a. als Türöffner für die Musik der Moderne wirken.Die gewaltige Mahler-Renaissance der letzten Jahrzehnte zu erklären,gelingt mir auch nicht,da ich auch finde,daß das "Spezielle" Mahlers nicht mit dem Geschmack der Mehrheit auch der Musikgebildeten kompatibel sein kann.


    Meinen Sie mit dem "schlimmen" Ausdruck Kapellmeistermusik?Damit kann man Mahler durchaus nicht beleidigen,zumal nur er und Richard Strauss m.E. die einzigen Komponisten der "Spitzengruppe" waren,die auch als sehr bedeutende Dirigenten hervorgetreten sind.


    Viele Grüße


    Joachim Schneider

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)

  • Zu Mahler kann ich nur folgendes sagen:


    Er ist der Komponist, der mich tiefer in das Wesen von Musik blicken lässt als jeder andere Komponist, den ich kenne, mit Ausnahme von Beethoven in seinen späten Streichquartetten.


    Mahler Symphonien und Beethovens Streichquartette, das ist für mich die Essenz von Musik.

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  • Ich war noch nie ein Mahler-"Jünger". Für mich (persönlich) ist er zu oberflächlich im musikalischen Inhalt. Das heißt aber nicht, dass ich ihn für kompositorisch minderwertig halte - im Gegenteil, er war ein großartiger Orchestrierer. Aber seine Musik spricht mich einfach nicht an, außer vielleicht in kurzen Abschnitten. Ganz anders Bruckner ... oft spröde, und wenn man den Eingang findet, taucht man in die Tiefen der eigenen Seele (so meine Empfindung dazu).

  • Hallo,


    man muß für Mahler in der Tat einen gewissen "Sensus" haben. Die allgemeine Mahler-Begeisterung der vergangenen Jahrzehnte beruht vielleicht auch darauf, daß viele Menschen nach den Ereignissen des furchtbaren 20. Jahrhunderts eine Sensibilität für die Zerissenheit und Gefährdung der menschlichen Existenz entwickelt haben und sich deshalb von Mahler angesprochen fühlen.


    Viele Grüße


    Joachim Schneider

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)

  • Zitat

    Joachim Schneider: Man muss für Mahler in der Tat einen gewissen "Sensus" haben.

    Dem kann ich nur zustimmen, noch darüber hinausgehend würde ich sagen, man muss veilleicht eine wenig so "ticken" wie er. Dennoch meine ich, dass sich nicht nur die Menschen in ihrem Fühlen von Zeriissenheit und Existenzgefährdung von seiner Musik angesprochen fühlen können, sondern auch dann, wenn sie Trost suchen und finden in den vielen melodiös so überaus reichen Passagen in seinen Symphonien, z. B. in seiner zweiten oder dritten Symphonie. Da kann man sich dann wirklich auch mal hineinfallen lassen. Ich jedenfalls kann das.


    Liebe Grüße


    Willi :)


    P.S. Leider hatte mein Lieblingsdirigent Günter Wand nicht den "Sensus" für die Musik Mahlers, wie er selbst zugab. Zwar setzte er Werke Mahlers auch auf die Programme seines Gürzenich-Orchesters, ließ sie aber von Gastdirigenten dirigieren.

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Was ich für auffällig halte, dass die meisten Mahlerfans vor allem die Symphonien 1 - 3 verehren, die 4., 6, und 7. aber gar nicht mögen. Mein absoluter Favorit ist sicher die 6., gefolgt von 9 und 5, dann 4, während ich die ersten drei freiwillig nicht höre (v.a. 2 und 3). Offensichtlich gibt es da eine Zäsur in Mahlers Tonsprache.

  • Ich kann ziemlich klar sagen, dass mir viel von Mahler gefällt und auch mehr als die ersten 3 Synfonien, speziell 5 und 6, aber wenn der Chor, oder überhaupt Gesang dazukommt, bleibt für mich nicht viel mehr als Bombast.
    Tschö
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Für mich (persönlich) ist er zu oberflächlich im musikalischen Inhalt.


    Das verstehe ich nicht. lieber tuonela. Was ist an der 6. oder 9. Symphonie oder dem "Lied von der Erde" oberflächlich, was den musikalischen Inhalt angeht? Mahler war auch weit mehr als nur ein geschickter Orchestrierer, sondern gehört von seiner innovativen Kompositionsmethodik her zu den Wegbereitern Neuer Musik. (Darüber gibt es eine ganze Flut musikwissenschaftlier Literatur, so daß man es wohl kaum bestreiten kann.) Im Vergleich mit Mahlers Vielfältigkeit ist Bruckner geradezu eindimensional. Obwohl ich Bruckners Musik natürlich auch faszinierend und sehr bewegend finde, ist mir Mahler doch deutlich näher. :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Es gibt auch eine ganze Flut wissenschaftlicher Literatur zu Rassenkunde...... Also Vorsicht bitte. Nur dass es wissenschaftliche Literatur gibt, sagt nichts über deren Wahrheitsgehalt aus.

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Was ich für auffällig halte, dass die meisten Mahlerfans vor allem die Symphonien 1 - 3 verehren, die 4., 6, und 7. aber gar nicht mögen. Mein absoluter Favorit ist sicher die 6., gefolgt von 9 und 5, dann 4, während ich die ersten drei freiwillig nicht höre (v.a. 2 und 3). Offensichtlich gibt es da eine Zäsur in Mahlers Tonsprache.


    Diese Vorlieben sind mir in dieser Form nicht aufgefallen. Aber gewiss gibt es mehrere Zäsuren. Üblicherweise folgt eine aber nach der 4., etwa wenn man die ersten vier als "Wunderhorn-Sinfonien" bezeichnet. Danach fasst man die drei folgenden, rein Instrumentalen manchmal ebenfalls in eine Klammer, die 8. ist wieder etwas ganz anderes und LvdE, 9. und 10. dann als in mancher Hinsicht modernste Werke, sowie "Abschied", "Auflösung" oder was auch immer.
    Am populärsten, egal ob unter Mahler-Fans oder allgemein, scheinen mir 1,2 4 und 5. Dann vermutlich die 9., weil die sicher auch der Favorit vieler ist, gerade auch derer, die eher von der Moderne kommen. Am umstrittensten, selbst unter Fans, dürften wohl 8, vielleicht auch 7 sein. Die 8., muss ich zugeben, kenne ich immer noch nur sehr oberflächlich. Und Schwierigkeiten habe ich auch mit der 3., die anscheinend unter manchen Mahlerfreunden ein besonderer Favorit zu sein scheint. Das umstrittene Finale der 7. hat mir dagegen, selbst wenn ich den Satz nicht allzu gern mag, niemals solche grundsätzlichen Schwierigkeiten bereitet, ich sehe das nicht so viel anders als bei der 5. Die 5. ist vermutlich die, an der ich mich (wie auch ein wenig an 1 und 2) "abgehört" habe, nachdem sie lange ein Favorit gewesen ist.

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  • Es gibt auch eine ganze Flut wissenschaftlicher Literatur zu Rassenkunde...... Also Vorsicht bitte. Nur dass es wissenschaftliche Literatur gibt, sagt nichts über deren Wahrheitsgehalt aus.


    Was ist denn das für ein Bild von der Wissenschaft? Also seriös ist nicht die Wissenschaft, sondern nur die beliebigen Meinungen? Nein. Wenn die Bedeutung eines Autors/Komponisten in der wissenschaftlichen Literatur nahezu unumstritten ist, dann sagt das eben doch weit mehr über den Wahrheitsgehalt aus als irgendwelche beliebigen Meinungsäußerungen.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Nun, es sagt etwas darüber aus, was in den Wissenschaften heute tendenziell für wahr gehalten wird und das ändert sich ja bekanntermaßen. Daran kann man sich orientieren, wenn man will, muss aber nicht.

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