WOYRSCH Felix- Der Musikdirektor von Altona war kein Neutöner

  • Felix WOYRSCH (1860-1944)


    Mit Felix Woyrsch setze ich die Serie von Mahler – Zeitgenossen fort, denen es (bis jetzt) nicht vergönnt war, den Ruhm oder die Achtung,die sie zu Lebzeiten genossen auch posthum aufrecht zu erhalten. Woran das im einzelnen liegt wird zu hinterfragen sein.
    Immerhin schrieb der Dirigent der Uraufführung von Woyrsch’s 2. Sinfonie Karl Panzer (1863 – 1923) an den Komponisten:


    Zitat

    “Ich muß Ihnen durch diese Zeilen meine Bewunderung, meine Freude zu dem Gelingen des prachtvollen Werkes übermitteln- Das Ganze ist ein Wurf ! Hochinteressant von der erst bis zur letzten Note“


    Die Uraufführung von Woyrsch’ Sinfonie Nr 2 in C-dur op 60 fand am 15. Jänner 1915 statt.
    Das Werk kam sowohl bei der Presse, als auch beim Publikum gut an, was kaum verwundern wird, wenn man die teilweise fast lieblichen Themen, die in ausgewogenem Kontrast zu den rhythmisch lebhafteren Teilen stehen – gehört hat.
    Die Musikhistoriker, und somit auch die Musiklexika haben Woyrsch jedoch stets ignoriert. Es findet sich – bei aller individuellen Tonsprache – nichts Innovatives, Avantgardistisches in seiner Musik – und das – obwohl er Gustav Mahler, dessen Geburtsjahr auch das seine war – um Jahrzehnte überlebt hat.
    Wenngleich es die Avantgarde nicht wirklich geschafft hat die Liebe des Publikums zu gewinnen, so ist es ihr doch geglückt, alles „Nicht-avantgardistische“ verstaubt scheinen zu lassen.
    Woyrsch 2. Sinfonie war schon zur Zeit der Uraufführung, 1901 nicht mehr am „Puls der Zeit“, sie war der klassisch-romantischen Tradition verpflichtet, und somit teil sie das Schicksal etlicher Werke dieser Zeit mit ähnlicher Ästhetik....
    Gedruckt wurde sie indes erst 1927. – Viel zu spät…..



    Mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Alfreds verdienstvoller Thread erweckte in mir die Erinnerung, dass ich - geboren nach Ende des 2. Weltkriegs - in Hamburg-Bahrenfeld (eigentlich zu Hamburg-Altona gehörend) im Woyrschweg oder in der Woyrschstraße wohnte. Im Zuge der Umbenennug vieler Straßen wurde diese Straße in Mendelssohnstraße umbenannt - ein Komponist rehabilitiert, ein anderer - noch dazu einer aus Altona - in den Orkus des Vergessens geschickt.


    Gruß, Peter

  • Der spanische Sender Radio Clásica sendet am 1.11. um 23 Uhr Werke von Felix Woyrsch:


    FELIX WOYRSCH: Prólogo sinfónico a la “Divina Comedia” de Dante, Op. 40 (24’40’’). Orq. Sinf. de Hamburgo. Dir.: M. A. Gómez-Martínez. Hamlet, Op. 56 (13’29’’). Oldenburgisches Staatsorchester. Dir.: T. Dorsch. Nocturnos, Op. 1 nºs. 1 y 2 (6’07’’). Impromptus, Op. 23 nºs. 2, 3 y 4. (9’13’’). R. Plagge (p.).

    Gruß, Peter

  • Felix Woyrsch Sinfonie N 4


    Nach rund sechsjähriger Pause - und allgemein demonstriertem Desinteresse an Woyrsch - setze ich diesen Thread zögerlich fort. Da ich offensichtlich das Erscheinen der Sinfonie Nr 3 nicht mitbekommen habe, setze ich mit der vor wenigen Tagen bei mit eingetroffenen Sinfonie Nr 4 fort. Sie trägt die Opuszahl 71 und wurde am 7. März 1931 vom Städtischen Orchester Aachen (Heutiger Name: Sinfonieorchester Aachen) unter Peter RAABE uraufgeführt. Schon nach den ersten Takten konnte ich hören, daß sich seit der zuletzt von mir vorgestelleten Sinfonie Nr 2 (1914) einiges getan hatte
    WORSCH verbleibt zwar noch im Bereich der Tonalität, aber das Werk ist irgendwie spröder und kantiger als sein Vorgänger. Laut Booklet ist die 4. Sinfonie die erste Sinfonie mit schrofferer Machart, und andauernden Stimmungswechseln. Das ist es auch, was mir an diese Sinfonie negativ aufgefallen ist (mit Ausnahme des 3. Satzes, der im Stile eines Menuett gehalten ist - natürlich eines "nachgebauten" und nicht absolut "stilgetreuen" - aber hier ist ein gewisses "Konzept" zu erkennen. Der Rest lässt (mich) erahnen warum Woyrsch es nicht gelungen ist in der Musikgeschichte einen bedeutenden, bzw überhaupt einen Platz einzunehmen: Schon als die letzten Töne verklungen waren ist kein einziges Thema bei mir hängengeblieben - alles wie ausgelöscht. Zudem ist die Klangsprache unentschlossen - weder Fisch noch Fleisch. Einerseits IMO zu ungefällig für Spätromantik, andrerseits kein wirklicher Schritt in Richtung Moderne, ein Spagat, den IMO sein im gleichen Jahr geborener Kollege Gustav Mahler geschafft hat.
    Woyrsch dürfte in Hamburg uns Umgebung recht beliebt gewesen sein, die Ausschnitte aus lokalen Kritiken scheinen bestrebt gewesen zu sein, den Komponisten "aufzuwerten", ich empfand sie ein wenig "schönfärberisch", wie den Werbetest einer Schallplattengesellschaft. Geholfen hats nicht viel: In keinem einzigen meiner Musiklexika etc ist er angeführt.
    Zum Schluß noch die Sätze der Sinfonie


    1) Mäßig bewegt, nicht übereilt
    2) langsam, ausdrucksvoll
    3) Menuett im Rokokostil mit Variationen
    4) Nicht zu schnell, doch feurig und rhytmisch belebt


    Über die fünfte Sinfonie - so niemand sonst es tut - schreibe ich bei passender Gelegenheit
    Trotz meines etwas kühlen Berichts und mangelnder Begeisterung, werde ich die Sinfonie nachkaufen


    Die 1. und die 6. Sinfonie sind noch nicht erschienen


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Die 1. Symphonie wurde allerdings bereits in den 90er Jahren von MDG eingespielt - zusammen mit dem Symphonischen Prolog zu Dantes Divina Commedia:



    Vermutlich spart sie sich cpo daher bis zuletzt auf. Womöglich erscheint sie ja wirklich noch zusammen mit der Sechsten.


    Da die Dritte bisher auch nicht abgebildet wurde:


    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Heute habe ich mich aufgerafft und die dritte Sinfonie von Woyrsch gehört. Das Ergebnis ist IMO durchwachsen. Wir finden wieder eine gewisse Unruhe, manch Interessantes (vor allem im letzten Satz) - und wenig Gefälliges oder Einprägsames. Ich fand, daß hier ein andauernder Kampf und eine gewisse Unruhe stattfände. Liegt das an mir?

    Und siehe - da fand diesen Eindruck - mit anderen Worten - durchaus bestätigt. Die Sinfonie schwankt zwischen Aggression, Melancholie und gelegentlich aufbrandendem Jubel. Und das - aus meiner Sicht - eher willkürlich als organisch. Letzlich eine Frage der Erwartungshaltung. Irgendwo fand ich die Bezeichnung: "Ein konservativer Revolutionär" - und ich finde, das trifft es recht gut.

    Aber eigentlich ist er (meistens) zwischen zwei Stühlen gestanden: Die einen hielten ihn für zu konservativ, die anderen für zu fortschrittlich.....

    Aber auch hier passt ein kurzes Zitat aus dem Werbetext:


    Und obwohl Woyrsch nie ein Neutöner und Revolutionär sein wollte, kann jedoch seine dritte Sinfonie in ihrer durchchromatisierten, oft dissonanten Tonsprache als die „Apokalyptische“ in Woyrschs Schaffen angesprochen werden.


    Hier ist dann aber auch der gesuchte Grund dafür, warum er "vergessen" wurde. Er verstörte das "typische" Klassikpublikum in letzter Konsequenz ebenso wie die Neutöner - aber er hatte keine Lobby, die für ihn sprach...Wenn auch das Werk nicht als unbedingt klangschön einzuordnen ist - es ist gut gemacht und allemal interessant...


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich habe Felix Woyrsch letztes Jahr durch den Hinweis eines hiesigen Kantors entdeckt, der mir die 3. Sinfonie empfahl. So habe ich ihn letztes und dieses Jahr jeweils ein bisschen kennen gelernt und alles gehört, was cpo und YouTube hergeben, was sehr wenig ist: Die Sinfonien (außer Nr. 6), der Sinfonische Prolog zur göttlichen Komödie Op. 40, welches IMO Woyrsch größte sinfonische Tat ist. Außerdem ein Klaviertrio, ein Streichquartett, Ausschnitte einer Passion Op. 45 und die Metamorphosen für Klavier Op. 48, die mir richtig gut gefallen.


    Insgesamt kann ich Alfreds oben geschilderte Eindrücke gut nachvollziehen und größtenteils teilen. Ich denke auch, dass Woyrsch zu den Figuren der Musikgeschichte gehört, die zu ihrer Epoche einen "nicht ganz passenden" Stil pflegten. Hört man sich die Sinfonien Mahlers, Sibelius oder Nielsens an, die im gleichen Zeitraum entstanden, stellt man erhebliche Unterschiede fest, die wahrscheinlich erkennen, warum diese in der musikalischen Galerie sehr weit und weit vorne hängen, Woyrsch aber im Nebengang. Woyrsch vollzieht den letzten Schritt in die musikalische Moderne nicht, aber er geht auch nicht oder nur selten romantisch ins Ohr. Seine Musik klingt oft ein wenig spröde, ein bisschen als-ob und mir geht es oft so, dass ich mir auf Grundlage seines musikalischen Materials, das mir oft gut gefällt (besonders 2.-4. Sinfonie), irgendwie mehr wünschen würde. Andererseits haben mich einige Werke beim ersten Mal doch ausreichend interessiert, dass ich mich nun schon zum zweiten Mal mit ihm beschäftigt habe. Irgendwie gehört er also doch in meine musikalische Ahnengalerie. Allerdings ist und bleibt er eine Randerscheinung und daran hat auch cpo nichts geändert. Randerscheinung auf einem Niveau allerdings, dass sich die Beschäftigung durchaus lohnt - ohne Mahlersche Höhen zu erwarten...

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

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    Diese Aufnahme der 1. Sinfonie mit den Hamburger Symphonikern ist glaube ich nur noch antiquarisch zu erwerben. Bei Amz. ist der Preis momentan astronomisch hoch und nein, sie ist keine 68€ wert.


    Die 1. Sinfonie Op. 52 gefällt mir ehrlich gesagt von allen Woyrsch-Sinfonien am wenigsten. Sie ist seltsam ungreifbar, ich bekomme keinen rechten Zugang. Das 1907 entstandene Werk ist eindeutig spätromantisch. Der Kopfsatz beginnt mit einem kraftvollen, deklamatorischen Thema, wie eine Fanfare, aus der sich ein marschartiges Hauptthema entwickelt. Eigentlich ein vielversprechender Beginn. Wenn man fies ist, könnte man drüber nachdenken, was z.B. Brahms oder Sibelius aus so einem Thema gemacht hätten. Aber das bringt natürlich nichts. Woyrschs Satz klingt ebenfalls die ganze Zeit gut, dynamisch und kraftvoll. Aber man weiß nicht wo er hin will, zwischendurch geht die gesamte Spannung verloren und kehrt erst in der Coda wieder. Im Grunde verhält es sich mit der gesamten Sinfonie so. Immer wieder geht die Spannung verloren, der spätromantische Pathos im langsamen Satz klingt an und für sich ebenfalls wieder gut. Aber er muss sich mit Bruckner und Co messen lassen und da kommt er trotz schöner Momente nicht mit. Formal innovativ ist, dass diese Sinfonie quasi zwei langsame Sätze enthält, denn das Scherzo kommt als Trauermarsch daher. Erinnert mich ein wenig an Draeseke und gefällt mir nicht schlecht. Da auch das Finale mit einer langsamen Einleitung beginnt, hört man den dritten langsamen Satzbeginn nacheinander. Mit einer Viertelstunde ist dieser Satz leider viel zu lang und sofort nach dem Verklingen habe ich ihn wieder vergessen.


    Ebenfalls auf dieser Einspielung ist mein Lieblingswerk von Woyrsch enthalten, der Sinfonische Prolog zu Dantes Divina Commedia Op. 40. Dies ist eine Sinfonische Dichtung die sich IMO fast auf dem Niveau von Tschaikovsky u.a. bewegt. Das 24 minütige Werk beginnt mit einem geheimnisvollen, zögernden Motiv sozusagen in den Tiefen des Purgatoriums. Anders als in der Sinfonie, wird hier aber konsequent weitergearbeitet, meine Hör-Spannung bleibt die ganze Zeit erhalten. Die Steigerungen sind kraftvoll und sogar mitreißend. In der Folge hören wir ein vorwärtsstrebendes, marschartiges Thema - der Weg aus der Hölle durch das Fegefeuer in Richtung Paradies wird beschritten. Als Höhepunkt folgt ein drittes Thema als Ausblick auf das Paradies. Ein für mich ergreifendes, lyrisches Thema mit hymnischen Zügen. Nach etwa 14 Minuten erreicht Woyrsch mit der harfenbegleiteten Steigerung dieses Themas einen Höhepunkt, der auch hätte Schlusspunkt sein können. Wie herrlich dieses Thema hier ausgesungen wird! Von nun an wird eher wiederholt. Immer mal wieder erinnert mich die Komposition an Tschaikovskys Fantasieouvertüre zu Romeo und Julia.

    Man findet dieses Werk bei YouTube:

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Auf die insgesamt doch enttäuschende 1. Sinfonie, folgt ein Nachfolgewerk, dass mir doch wesentlich besser gefällt und für mich die stärkeren Sinfonien (Nr. 2-4) Woyrschs einleitet. Insgesamt bleibt der Befund, den auch Alfred schon ähnlich geäußert hatte, freilich der gleiche: Woyrsch verbirgt gekonnt, dass er ein Mahler-Zeitgenosse ist, er wagt nichts wirklich Neues oder gar Kühnes, er klingt spätromantisch und gleichzeitig nicht sehr einprägsam. Schlechte Voraussetzungen für eine bleibende Rezeption. Doch in der 2. Sinfonie Op. 60 gibt es bemerkenswerte Momente und Musik die schön und interessant genug ist, dass sie gerne aus dem Schatten treten dürfte, in dem sie sich die meiste Zeit ihrers Daseins befindet. Denn trotz ihres Erfolgs bei der Uraufführung 1915 (siehe #1) hat sie sich, wahrscheinlich ob ihres fehlenden Zeitgeistes, nie durchgesetzt. Die spätromantische Ästhetik hat das Werk schon zur Entstehungszeit unmodern wirken lassen, kann aber für sich genommen durchaus gefallen.

    Der Kopfsatz (Belebt) beginnt, wie fast immer bei Woyrsch, mit einem Fanfaren-Motiv. Ganz kurz muss ich tatsächlich an Mahler denken, doch die Klangsprache bleibt dafür zu konventionell. Was nicht bedeutet, dass sich nicht ein interessanter Satz aus dieser Motivik entwickelt, der mich phasenweise zu fesseln vermag. Highlight der Sinfonie ist IMO der weihevolle zweite Satz (Sehr langsam). Natürlich ist das Bruckner- und auch Wagner-Ästhetik, allerdings ohne zu sehr nach Bruckner zu klingen. Die einfallsreichen Umspielungen des feierlichen Gesangs gefallen mir sehr und als die spätromantische Musik die sie ist, gefällt sie mir fast uneingeschränkt. Das Scherzo (Einfach und schlicht) klingt mir dann ehrlich gesagt doch ein wenig zu viel nach Bruckner. Das Finale (Lebhaft und feurig) halte ich für einen eher schwachen Satz. Ich erkenne kein richtiges Konzept und keine stringente Entwicklung; gleichwohl gibt es (natürlich) ein feuriges Ende zu bewundern.

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Mit der 3. Sinfonie Op. 70 lernte ich die Musik von Felix Woyrsch kennen. Bis heute ist sie (deshalb?) meine Lieblingssinfonie von ihm geblieben. Der Kopfsatz (Bewegt doch nicht übereilt) beginnt mit der überzeugendsten Variante der Woyrschen Fanfaren, die es mehr oder weniger deutlich in allen seinen Sinfonien zu hören gibt. Hier erscheint sie verhalten und ein wenig zaghaft als agiles Hauptthema. Aus ihr entwickelt sich ein kraftvoller Marsch und ein unruhiger, kämpferischer Satz. Gelgentlich erinnert mich die Musik wieder an Bruckner, dieses Mal wahrscheinlich wegen der recht blockhaft nebeneinander stehenden Teile. Der Satz endet verhalten, beinahe resigniert. Eine gewisse innermusikalische Logik kann ich der Entwicklung dieses Satzes nicht absprechen. Ich finde diesen Satz insgesamt doch ziemlich überzeugend und möchte ihn - anders als so manch anderen Satz Woyrschs - immer mal wieder hören. Ein ruppiges Scherzo (Mäßig schnell) klingt zwischendurch überraschend modern und damit gar nicht mehr so altbacken, wie Woyrsch oft zu Recht nachgesagt wird. Im Trio gibt es spannende Stellen der Solo-Geige, die tatsächlich eher in Richtung Mahlersche Klangwelten gehen. Ein interessanter Satz! Schwachpunkt ist dieses Mal für mich eher der Langsame Satz, dem irgendwie die Konsequenz abgeht. Die Entwicklung scheint mir unorganisch, die Klangmischung aus weihevoller Spätromantik und teilweise dissonanten Fanfaren funktioniert für mich hier nicht so richtig. Allerdings kann man auch hier wieder feststellen, dass diese Musik deutlich progressiver als die ersten beiden Sinfonien ist. Dies gilt auch für das Finale (Lebhaft und feurig). Ich denke beim Hören erneut an Mahler, denn hier begegnet nun auch noch stilisierter Volkston in bösartiger (im Sinne Jean Pauls: die Abgründigkeit des Humors) Verzerrung. Die im Kopfsatz verweigerte Apotheose wird am Ende der Sinfonie schallend nachgeholt.


    Wie ich schon so oft geschrieben habe: Dieses Werk dürfte gerne auch mal wieder aufgeführt werden!

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

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  • Die 4. Sinfonie Op. 71 rechne ich zu den drei stärkeren Werken dieser Gattung von Woyrsch. Ich war von der recht progressiven Klangsprache zunächst überrascht. Für die Entstehungszeit 1931 klingt das Werk freilich nicht übertrieben modern, innerhalb von Woyrschs Werk jedoch schon. Die in der 3. Sinfonie kurz zuvor begonnene Entwicklung wird hier eindeutig fortgesetzt. Die Musik erinnert mich erneut ein wenig an Mahler und erstmals auch an Strauss - aber wirklich nur ein wenig. Tatsächlich - und das ist ja ein Lob - finde ich das Werk recht eigen. Es macht Woyrschs Stil scheinbar aus, dass er irgendwo zwischen Spätromantik und Moderne feststeckt, weder hier noch dort heimisch. Im Kopfsatz wird das deutlich: Die Musik ist schroff und von großer Unruhe geprägt, aber dennoch tonal und größtenteils . Mir gefällt das hier sogar, ich verstehe aber, warum das keinen dauerhaften Erfolg hatte. In der Musik begegnen mir immer wieder Stellen, die einen dramatischen 'Drive' haben, den ich mitreißend finde. Der brucknerhafte langsame Satz und das stilisierte Menuett sind freilich Sätze, die wenig Bleibendes bereit halten. Sätze die, wie so oft, auf einem sehr ordentlichen Niveau komponiert sind, ohne das Besondere bereit zu halten. Markanter ist das marschartige Finale, das zu einem bezwingenden Schluss findet. Insgesamt ein interessantes Werk der zweiten Reihe, wo es ohne Zweifel auch immer bleiben wird.

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Die 5. Sinfonie Op. 75 ist in mancher Hinsicht ein Rätsel. Ein wenig wie Draesekes Vierte ("Symphonia Comica") wirkt sie deutlich einfacher und klassizistischer als die vorhergehenden Werke. Dementsprechend dauert sie mit einem fünfminütigen Kopfsatz auch nur etwa 20 Minuten. Die Musik wirkt, ähnlich wie bei Draeseke, wie eine heitere Rückschau, allerdings fehlt ihr die Bissigkeit von Draesekes Werk. Die Musik bereitet keinerlei Schwierigkeiten, was sie von anderen (scheinbar) klassizistischen Sinfonien des 20. Jh. unterscheidet, man denke nur an Schostakowitsch. Der Pathos des langsamen Satzes lässt diesen wie auch immer gearteten Rückblick allerdings wehmütig erscheinen.

    Leider konnte ich bisher nichts über die Hintergründe dieses Werkes und Woyrschs ästhetisches Konzept hier herausfinden. Bekannt ist mir nur, dass das Werk kurz nach der nicht ganz freiwilligen Pensionierung Woyrschs um das Jahr 1937 entstanden ist.

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Um den Nachlass kümmert sich übrigens die Pfohl-Woyrsch-Gesellschaft die sich 1993 in Hamburg gegründet hat. Zu der Zeit war Woyrsch wirklich lediglich bei Altonaer (Musik-)Geschichtsfreunden und eben als ehemaliger Kator und Liedertafel-Vorsteher bekannt. Im Archiv sind Noten, Bücher und Briefe beider Komponisten versammelt. Die Gesellschaft stand und steht auch in Kontakt mit cpo und ist (wie wesentlich weiß ich nicht) daran beteiligt, dass Woyrsch im Programm des Labels inzwischcen eine gewisse Rolle spielt.

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)