Moderne Kadenzen in klassischen Konzerten - ja oder nein ?

  • In gewisser Weise ist dies ein ähnliches Thema wie dieses:


    Kadenzen: Ort der Kreativität oder nur ein Markt?


    Da aber die Fragestellung doch eine andere ist, und die eigentliche Inspiration zu dem hier vorliegendne Thread eigentlich aus einem weiteren stammt, habe ich mich entschlossen dieses Thema hier neu zu eröffnen und parallel zu führen.


    Es geht hier nicht sosehr um die Frage, ab Originalkadenzen - also vom Komponisten mitkomponierte - gespielt werden sollen, oder solche von berühmten Interpreten der Vergangenheit, welche einst schriftlich fixiert wurden - sondern welche Regeln beim Einfügen eigener heutiger Kadenzen eingehalten werden sollten, bzw müssen.
    Ja ich gehe sogar weiter, zu hinterfragen ob es solche Regeln - seien sie geschrieben oder ungeschrieben überhaupt gibt - und ferner - ob sie in der Vergangenheit zumeist eingehalten wurden - oder nicht.
    Kommen wir konkret auf ein berühmtes Violinkonzert zu sprechen, nämlich jenes von Beethoven op 61. Hier hat beispielsweise ein Forenmitglied geschrieben, daß ihn die von Gideon Kremer gewählten Kadenzen von Schnittke verstört haben. Ein gutes Thema zum Einstieg in diesen Thread, diese Kadenzen wurden zur Zeit der Entstehung dieser oft diskutierten Aufnahme von vielen als das Maß aller Dinge gesehen, von manchen verteufelt. Heute ist diese Aufnahme - so glaube ich zumindest - nicht mehr im Angebot. Der Thread soll aber auch Kadenzen anderer Instrumentalkonzerte, z.B. Klavier abdecken.
    Beispiele mit Hinweisen auf existierende Aufnahmen werden gern gesehen


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    SPARE IN DER NOT - DA HAST DU ZEIT DAZU



  • Der Hinweis auf die gewählte Kadenz von Gidon Kremer beim Brahms Vilionkonzert ist für diesen Thread noch interessanter, als im parallel laufenden Thread Kadenzen: Ort der Kreativität oder nur ein Markt?


    Zitat

    Interessant auch beim Brahms Violinkonzert D-Dur op.77 folgendes:
    Hier findet sehr oft die Kadenz von Joseph Joachim Anwendung.
    *** In einer der grössten Aufnahmen dieses Brahms-VC mit Gidon Kremer/Wiener PH/Leonard Bernstein (DG, 1983, DDD) wird die Kadenz des Komponisten Max Reger mit seinem Preludium d-moll verwendet.
    Gidon Kremer ist ohnehin bekannt ausgefallene Kadenzen zu wählen. Ich finds Klasse !

    Hier wird auch im 1.Satz eine moderne Kadenz von Max Reger gespielt, ohne das dies dem Brahms Konzert im geringsten schaden würde - im Gegenteil!
    Das sollte genau so wenig verstören wie Gidon Kremers Schnittke-Kadenz im Beethoven-VC.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Allzuviele Wellen hat dieser Thread ja nicht aufgewirbelt. Das mag zum Großteil daran liegen, dass der Trend, "moderne" Kadenzen in alte Werke einzufügen ein sehr kurzlebiger war. Dennoch werde ich suchen ob ich da noch etwas Interessantes finde.
    Meist spielt man - so vorhanden - Originalkadenzen des jeweiligen Komponisten. Der Rückgriff auf alte Kadenzen einstiger Interpreten-Größen ist heutzutage eher selten geworden. Das Überangebot an Aufnahmen bringt aber - vor allem junge - Interpreten dazu eigene Kadenzen im "alten Stil" zu spielen. Aber dami verlassenwir leider bereits wieder das eigentliche Thema dieses kurzen Threads....


    mit freundlichen Grüßen
    aus Wien
    Alfred

    SPARE IN DER NOT - DA HAST DU ZEIT DAZU



  • Lieber Alfred,


    das ist ein spannendes Thema! Beim Umgang mit Kadenzen hat es sich eingebürgert, entweder die vom Komponisten auskomponierten Kadenzen zu spielen oder im Falle von Mozart die von Beethoven. Warum aber eigentlich sollte das immer so sein? Denn ursprünglich war es ja wohl so, daß die Kadenz dem Intepreten Raum zum freien Improvosieren gab, sie gehört also durchaus nicht zum "festgelegten" Notzentext. Da ist einfach eine Tradition abgerissen in dem Bestreben einer "Kanonisierung" klassischer Werke. Eine Möglichkeit wird so nicht bzw. nicht mehr wahrgenommen, nämlich die Kadenz in der Richtung zu nutzen, daß der Interpret sich - aus seiner Zeiterfahrung heraus - mit der Musik eines Klassikers auseinandersetzt, sie dadurch neu beleuchtet, seine Rezeptionsperspektive damit produktiv einbringt. Kürzlich hörte ich ein Mozart-Konzert mit Alexis Weissenberg, der dort selbstkomponierte Kadenzen spielt. Und es gibt zu Mozarts Konzert KV 488 eine Kadenz von Ferruccio Busoni, die Horowitz spielt. Ich finde das sehr spannend. Ein besonders "extremes" aber auch zum Denken anregendes Beispiel ist Karlheinz Stockhausen in der unten abgebildeten Aufnahme. Kathinka Pasveer spielt dort - begleitet von Stockhausen selbst als Dirigent - Mozarts Flötenkonzert KV 313 mit Stockausens dafür eigens komponierten Kadenzen. Markus Stockhausen dazu Haydns Trompetenkonzert Es-Dur. Ich finde das eine ungemein produktive "Konfrontation" zweier musikalischer Welten - und das Konzept geht durchaus auf! Für mich ist das erfrischend und aufrüttelnd, die eher erstarrten Rituale des Konzertbetriebs auflockernd. :)



    Schöne Grüße
    Holger

  • Alfred hatte ja das Beispiel schon erwähnt: Schnittkes Kadenzen in Beethovens Violinkonzert. Ich wurde mit diesen Kadenzen vor Jahren in einem Konzert in Bamberg konfrontiert. Gidon Kremer war der Solist und Christoph Eschenbach dirigierte die Bamberger Symphoniker. Ich kannte die Kadenzen vorher nicht und wurde somit komplett (positiv) überrascht. Schnittke entfernt sich in seinem Stilmix anscheinend immer weiter von der Vorlage, um dann von Beethovens Paukenschlägen wieder ins Orchester zurückgeholt zu werden. Im dritten Satz erfährt die Solovioline dann Unterstützung von den Streichern. Ich war damals beim unvoreingenommenen Hören begeistert und legte mir die hochpreisige CD mit Kremer, Neville Marriner und der Academy of St.Martin-in-the Fields zu.
    Damit erlebte ich dann mehrere Überraschungen: 1) Nur ganz klein - auf der Rückseite - findet man den verschämten Hinweis, daß Kremer bei dieser Aufnahme die Kadenzen von Schnittke eingespielt hat. 2) Kremers glasklares Spiel in der Aufnahme gefällt mir ausgezeichnet, aber Marriner liefert ein recht konturloses Dirigat und setzt keine wirklichen Akzente, die Kremers Spiel unterstützen können. 3) Mein Vater, dem ich die Aufnahme vorspielte, konnte sich mit den Kadenzen so gar nicht anfreunden. Hier hatte mich eindeutig der live-Eindruck geprägt.
    Nach wie vor bin ich von den Schnittke-Kadenzen beeindruckt, bedaure aber, dass sie lediglich in einer orchestral mittelprächtigen Aufnahme vorliegen.
    Wer sich selbst ein Urteil bilden möchte, kann sich ja die erwähnte Aufnahme vom Label Philips zulegen (teuer), die von der DG in der Reihe Eloquence (günstig) neu aufgelegt und mit der Violinromanze Nr. 1 gekoppelt wurde. Die CDs müsste es in Restauflagen noch geben.

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Ich hatte ja schon den anderen Thread eröffnet, weil mir dieses Thema wichtig erscheint. Ich denke, dass es eine Verarmung darstellt, wenn (fast) nur noch alte Kadenzen gespielt werden. M.E. war es ja auch die INtention des Komponisten, sein WErk solle lebendig bleiben, indem er eine Kadenz einbaute. Es gäbe auch eine tolle Möglichkeit, einzelne Solisten darin zu erkennen, welche Kadenzen sie sich einfallen lassen. Und ein Stück durch den Lauf der Geschichte beobachten zu können ist doch auch ein toller Reiz.
    Gut, es mag genug Solisten geben, die herrlich spielen, aber ansonsten völlig unkreativ sind. ABer: Gehört nicht eine Prise Kreativität immer dazu?


    Mal ganz davon abgesehen, wäre es kommerziell natürlich interessant, denn die Unterschiede zwischen einzelnen Aufnahmen wären ja viel deutlicher.
    Tschö
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Ich komme wieder zurück auf die Schnittke Kadenz. Sie wurde in der Tat 1981 als eine der ersten Digitalaufnahmen für das Label Philips aufgenommen. Als ich sie kaufte galt sie als "MUSS". Auf meinem Original Hochpreis -Exemplar war die Verwendung einer Kadenz von Schnittke sogar explizit am Coverbild vermerkt. Man versteckte sie also keineswegs


    http://ec2.images-amazon.com/i…03._SS300_SCLZZZZZZZ_.jpg


    Ich habe diese Kadenzen - trotz meiner schon damals konservativen Grundhaltung - zwar als gewagt empfunden, das Ergebnis indes als durchaus interessant gesehen, ja sogar faszinierend. Mein Interesse hat über meine Bequemlichkeit gesiegt und ich habe mir die Aufnahme herausgesucht. Die Kadenz am ersten Satzes finde ich schlichtweg für genial. Bei aller Modernität ist hier noch immer zu erkennen, dass es sich um eine Kadenz zu Beethovens Violinkonzert handelt.
    Auch die Kadenz im 3. Satz ist hörenswert, nein sogar mehr als das..!!!!!
    Interessanterweise finde ich sie nicht mehr so revolutionär, wie vor 30 Jahren



    Was Universal dazu bewogen hat ein und dieselbe Philips Aufnahme in der Serie Eloquence gleich zweimal zu veröffentlichen - einmal als DGG Aufnahme, dann als DECCA Einspielung deklariert - das wissen vermutlich nur die Universal Granden - und ehrlich gesagt, auch hier habe ich so meine Zweifel.......


    Seit 2011 gibt es - geringfügig teurer - und ohne "Füller" - dieselbe Aufnahme auch bei NEWTON.....



    mit freundlichen Grüßen
    aus Wien
    Alfred

    SPARE IN DER NOT - DA HAST DU ZEIT DAZU



  • Was Universal dazu bewogen hat ein und dieselbe Philips Aufnahme in der Serie Eloquence gleich zweimal zu veröffentlichen - einmal als DGG Aufnahme, dann als DECCA Einspielung deklariert - das wissen vermutlich nur die Universal Granden - und ehrlich gesagt, auch hier habe ich so meine Zweifel.......


    Ein erheiternder Gedanke, dass sich irgendwelche Granden bei Universal um die Inhalte von Billigserien kümmern sollten...


    Da sich die Covers im Layout unterscheiden, werden sich die beiden Ausgaben zeitlich unterscheiden. Eine ist die Nachfolgerin der anderen. Vermutlich ist die rechte die aktuelle, denn eloquence läuft bei Neuausgaben eigentlich immer unter dem Decca-Label.

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!



  • Selten stehen die Urheber der Kadenzen bei den Angaben der Aufnahmen. Annerose Schmidts Einspielung aller Klavierkonzerte Mozarts (Kurt Masur, Dresdner Philharmonie) sowie Murray Perahias Gesamtaufnahme mit dem English Chamber Orchestra sind eine löbliche Ausnahme.


    In der Dresdner Aufnahme stammen die Kadenzen 15mal von Mozarts Hand, 6mal hat Paul Badura-Skoda zum Notenpapier gegriffen und Sätze vervollständigt oder eigene Kadenzen erstellt, je einmal stammen die Kadenzen von Ludwig van Beethoven, Andor Foldes und Edwin Fischer.


    Murray Perahia benutzt oft Mozarts Kadenzen in seiner Gesamtaufnahme. In 18 Einzelsätzen hört man Perahias eigene Kadenzen. Kadenzen von Hummel, Beethoven, Balsam und Serkin sind auch zu finden.
    .

    Ich bin soweit, in meinen Beiträgen Rechtschraibfehler stehen zu lassen als menschlicher Protest gegen die perfekte KI-Welt.



  • Beim Anhören der Mozart-Konzerte mit Annerose Schmidt und der Dresdner-Philharmonie unter Kurt Masur sind mir die Kadenzen sofort aufgefallen. Die wohlgekannten Werke erhielten eine frische Note. Aha, sage ich mir, ja dieser musikalische Gedanke wird spannend weiterentwickelt.
    Die modernen Kadenzen gefallen mir, wenn sie neue Aspekte mir eröffnen und mit Verständnis für die Musik vorgetragen werden, in die sie eingebetet sind.
    .

    Ich bin soweit, in meinen Beiträgen Rechtschraibfehler stehen zu lassen als menschlicher Protest gegen die perfekte KI-Welt.



  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Zur Eingangsfrage ein ganz klares "Ja!" mit besonderer Betonung des Konzertaspektes: Gerade in der direkten Konfrontation mit dem Publikum fände ich die Verwendung anderer Kadenzen, als der hinlänglich bekannten besonders reizvoll. Schließlich kann ich alles andere zuhause den lieben, langen Tag in zig verschiedenen Einspielungen "rauf und runter" hören ...
    Allerdings gehört hier wohl auch ein wenig der Mut dazu, dem Konzertbesucher eben nicht das Altbekannt-Erwartete zu bieten, sondern ggf. auch etwas zu verstören. Natürlich, ein Gideon Kremer kann sich das "erlauben", aber der aufblühende Jungstar wird sich da - insbesondere bei einer eigenen Kadenz - schwerer tun.

  • Zitat

    aber der aufblühende Jungstar wird sich da - insbesondere bei einer eigenen Kadenz - schwerer tun.


    Interessanterweise sind es gerade die aufblühenden Jungstars, die ihre eigenen Kadenzen spielen (wäre ein interessanter eigener Thread) weil sie sich ja profilieren wollen - speziell auf Tonträger, wo die Konkurrenz der "großen Alten" und "großen Toten" ja erdrückend ist.


    ABER: Sie spielen zwar oft interessante Kadenzen - aber meist ohne modische Extravaganzen, bzw modernen Touch - weil sie ja - wie oben schon erwähnt - das P.T. Publikum nicht verstören wollen....


    Aber um auch etwas Positives zum Thema beitragen zu können, nicht nur Stockhausen, sondern auch Penderecki und Romain Leleu haben zu Haydns Trompetenkonzert Kadenzen geschrieben. Alle 3 Versionen sind unter anderem auf dieser nicht gerade billigen Doppel-CD enthalten



    mfg aus Wien
    Alfred

    SPARE IN DER NOT - DA HAST DU ZEIT DAZU



  • Ich belebe diesen Methusalem-Thread aus gegebenem Anlass. Zum einen habe ich vor einer guten Stunde die Bernstein/Kremer Aufnahme des Brahms Violinkonzertes mit den Reger Kadenzen angehört - umd muss sagen - obwohl ich an sich Rege nicht mag - sie habenmir.Siemögen dereinst vielleicht ein Stilbruch gewesen sein - aber heute empfand ich das nicht so. Über die Aufnahme an sich werde ich ehebaldigst an anderer Stelle schreiben.


    Ich möchte diesen Beitrag mit einer allgemeinen Betrachtung abschliessen - mit eine kleinen Seitenhieb auf die Schnittke Kadenzen in Beethovens Violinkonzert: Immer wieder wird - zu Recht darauf hingewiesen, daß es dereinst so gewesen ist, daß vom Interpreten eigene Kadenzen -idealerweise improvisiert - gespielt werden. Allerdings wird hier ausser acht gelassen, daß die Komponisten , die das auch begrüssten, keine Vorstellung davon hatten wie der "Musikgeschmack" späterere Jahrhunderte aussehen könnte, und wie entstellend heutige Kadenzen sein können. Ich selbst bin Besitzer der einst hochgejubelten - später als geschmackliche Entgleisung gebrandmarkte Aufnahme von Beethovens Violinkonzert mit den Schnittke Kadenszen (ich glaube mich zu errinnern, daß später eine weiter Aufnahme mit diesen Kadenzen auf den Markt kam.)

    Nein ich irre mich nicht: 2020 nahm BIS das Konzert mit dem Luzerner Sinfomieorchester unter James Gaffigan auf. Solist ist Vladim Gluzman. Hier soll quasi eine Brücke zwischen Beethoven und dem - ebenfalls auf der Cd enthaltenen - Violinkonzert Nr 3 geschlagen werden. Liebhaber der Musik Schnittkes (alle 3 ?) werden vermutlich begeistert sein. (und nach der Hörprobe - siehe unten - werde ich VIELLEICHT der vierte sein - aber das gebe ich natürlich nicht zu)

    Die Aufnahmen erschienen ab 2021 und sind derzeit noch erhältlich


    Die drei Clips zeigen:

    a) einen Satz aus Schnittkes Violinkonzert Nr 3

    b) einen Satz aus Beethovens Violinkonzert mit einer Schnittke Kadenz

    c) Dirigent und Solist sprechen über die neue BIS aufnahme





    mfg aus Wien


    Alfred

    SPARE IN DER NOT - DA HAST DU ZEIT DAZU



  • Ich bin von Haus aus kein allzu großer Fan von Kadenzen, weil mir da der Dialog zwischen Orchester und Solist abgeht (für mich das spannendste an einem Konzert). Generell sollte die Kadenz eine Improvisation des Solisten sein, um so auch sein Können und seine künstlerische Fantasie zu zeigen. Wurde vom Komponisten eine Kadenz auskomponiert, ist es natürlich legitim diese zu spielen, da sie der Intension des Komponisten folgt. Spätere, von anderen Komponisten komponierten Kadenzen sehe ich eher skeptisch, weil da dem Werk die Persönlichkeit des zweiten Komponisten aufgedrückt wird und das manchmal wie ein Fremdkörper wirken kann. Beethovens Kadenz für Mozarts 20. Klavierkonzert ist so ein Fall. Sie ist natürlich gut komponiert, aber klingt dann doch eher wie Beethoven und nicht wie Mozart. Wenn dann noch Kadenzen von modernen Komponisten für Werke des 18. und (frühen) 19. Jahrhundert dazu kommen, ist das für mich nur noch schwer verdaulich. Ich mag beide Epochen, aber ich muss sie nicht unbedingt in einem Werk vermengen. Es stellt sich somit auch die umgekehrte Frage: Ist es dann legitim eine Kadenz aus dem 18. Jahrhundert für ein Konzert der Moderne zu verwenden?

    LG aus Wien.:hello:

  • Ich bin von Haus aus kein allzu großer Fan von Kadenzen, weil mir da der Dialog zwischen Orchester und Solist abgeht (für mich das spannendste an einem Konzert).

    Das ist ein Standpunkt. Allerdings fallen da doch viele Konzerte weg, wenn man die Kandenzen nicht explizit aus der Playlist entfernen kann.


    Generell sollte man ein Werk mit hinzukomponierten Kadenzen immer als etwas eigenes sehen. Komponiert ein späterer Komponist Kadenzen hinzu, entsteht ein neues Werk, bei dem die Frage ob der ursprüngliche Komponist das so komponiert hätte, obsolet ist. Wenn man das hören will, was der ursprüngliche Komponist im Sinn hatte, kann man ja problemlos dessen Komposition hören :).


    Interessant könnte zum Beispiel die Frage sein, die ich leider nicht beantworten kann, was Schnittke bewegt hat, für Beethovens Violinkonzert Kadenzen zu schreiben. Vielleicht weiß da jemand etwas.

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Vorerst mal allgemein:

    Ich bin ein großer Freund von Kadenzen, vorzugsweise solcher die von Interpreten/Fremdkomponisten kommen.

    Weil sie nämlich dadurch abwechslungsreicher werden, es lohnt sich also mehrere unterschiedliche Einspielungen zu hören, zu kaufen...

    Wurde vom Komponisten eine Kadenz auskomponiert, ist es natürlich legitim diese zu spielen, da sie der Intension des Komponisten folgt

    Natürlich. Allerding meine ich irgendwi/irgendwann in der Vergangehheit gelesen zu haben, daß "Originalkadenzen" lediglich dazu gedacht waren, das Werk auch für Interpreten aufführbar zu machen, deren schöpferischer Einfallsreichtum für eigene Kadenzen nicht ausreicht.

    Das Spielen von "Originalkadenzen" ist natürlich legitim, aber kann langweilig werden, wenn immer nud ein und dieselbe Kadenz aufgenommen/gespielt wird.

    Spätere, von anderen Komponisten komponierten Kadenzen sehe ich eher skeptisch, weil da dem Werk die Persönlichkeit des zweiten Komponisten aufgedrückt wird und das manchmal wie ein Fremdkörper wirken kann.

    Aber genau das ist es, was man dereinst wollte, dem Interpreten Spielraum zu geben durch eigene Kadenzen der Interpretation einen PERSÖNLICHEN Charakter zu geben.

    Dabei konnte man natürlich nicht vorhersehen, daß dank der Tonaufnahme auch die "Fremdkadenz" eine DAUERNDE PRägung mit sich brachte. Ebenso war es den Komponisten der Vergangenheit nicht möglich auch nur annähernd zu erahnen was künftige Generationen mit ihren Kompositionen anstellen würden, Die Werke waren für die (damalige) Gegenwart konzipiert. Und auch wenn Beethoven Kadenzen zu werken Mozarts schrieb, so war das zeitnah und stilistisch näher als neuere - bewusst verfremdende - Zusätze.


    Komponiert ein späterer Komponist Kadenzen hinzu, entsteht ein neues Werk, bei dem die Frage ob der ursprüngliche Komponist das so komponiert hätte, obsolet ist.

    Ja und nein. Es wurde mit sicherheit erwartet, sich dem Stil der Entstehungszeit weitgehhend anzupassen. Daß dann in späterer Folge nicht immer der Fall war, mag man der Profilierungssucht der VIRTUOSEN künftiger Werke zuschreiben /Anlasten. Einen ähnlichen Effekt erleben wir im Bereich der Oper durch überbürdende Verzierungen oder "Einlegearien".Hier meine Meinung, die sich mit der von Paracelsus deckt: Die Dosis macht das Gift.


    Interessant könnte zum Beispiel die Frage sein, die ich leider nicht beantworten kann, was Schnittke bewegt hat, für Beethovens Violinkonzert Kadenzen zu schreiben.

    KI weiß indes - souverän wie immer - die Antwort:


    Übersicht mit KI

    Alfred Schnittke hat keine Kadenzen für Beethovens Violinkonzert geschrieben, sondern eher eigene Werke im Stil von Beethoven oder anderen Komponisten. Wenn es eine Anfrage nach einem Schnittke-Konzert gab, könnte es sich um ein anderes Werk gehandelt haben.

    Alfred Schnittkes Kompositionen

    • Schnittke war bekannt dafür, Werke für Violine und Orchester zu schreiben, aber seine Kadenzen bezogen sich nicht auf Beethovens Violinkonzert.

    Es ist beruhigend, daß wir mit KI nun eine Autorität haben, die die menschlichen "Dummerl" in ihre Schranken verweist und klipp und kla sagt, was Sache ist.

    Entgegen meiner unsprünglichen Absicht werde ich in Hinkunft öfter KI-Aussagen (natürlich als solche gekennzeichnet) veröffentlichen und damit die Überlegenheit dieser Algorithmen gegen über dem "menschlichen Geist" eindrucksvoll dokumentieren.:yes::hahahaha:


    mfg aus Wien

    Alfred

    SPARE IN DER NOT - DA HAST DU ZEIT DAZU



  • Wenn man das hören will, was der ursprüngliche Komponist im Sinn hatte, kann man ja problemlos dessen Komposition hören

    Wohl nicht selten haben Komponisten gar keine Kadenzen hinterlassen.

    You might very well think that. I couldn't possibly comment.“ (Francis Urquhart)

  • Das Spielen von "Originalkadenzen" ist natürlich legitim, aber kann langweilig werden, wenn immer nud ein und dieselbe Kadenz aufgenommen/gespielt wird.

    So langweilig (?) wie der Rest vom hunderte Male gehörten Werk dann auch ... ;) - klar: man erwartet die Kadenz natürlich mit Spannung als das i-Tüpfelchen ...

    You might very well think that. I couldn't possibly comment.“ (Francis Urquhart)

  • Und auch wenn Beethoven Kadenzen zu werken Mozarts schrieb, so war das zeitnah und stilistisch näher als neuere - bewusst verfremdende - Zusätze.

    Grundsätzlich und objektiv richtig. Allerdings: Mozart selbst hätte diese Kadenzen nie auf seinem Instrument spielen können, weil es noch nicht über die Oktaverweiterung(en) nach oben verfügte. Oder anders formuliert: Beethovens Kadenzen zu z.B. KV 466 sind auf einem Walterflügel der 1780er Jahre nicht spielbar. Stilistisch näher sind sie auch nur retrospektiv - eigentlich sind Beethovens Kadenzen (wie auch jene Hummels, Clara Schumanns und Brahms' usw.) stilistisch am Nabel der Zeit, in der sie jeweils entstanden, also quasi in Relation zu modernen Kadenzen genauso fremdartig.

    You might very well think that. I couldn't possibly comment.“ (Francis Urquhart)

  • Ja und nein. Es wurde mit sicherheit erwartet, sich dem Stil der Entstehungszeit weitgehhend anzupassen.

    Zur Zeit Beethovens und Mozarts, lieber Alfred, gab es noch die Personalunion Komponist-Spieler (Interpret). Da hat sich das Problem der Stilanpassung schlicht gar nicht gestellt. Der Komponist hat natürlich im seinem Stil das Stück geschrieben wie die Kadenz. Später hat sich diese Personalunion aufgelöst. Und dann erst entsteht das Problem überhaupt, dass die Kadenz im Stil vom Stück abweichen kann.


    In der Kadenz, die eigentlich ein freies, dem Ursprung nach improvisatorisches Fantasieren über Motive des Konzerts ist, kann der Interpret doch die Musiksprache seiner Epoche einfließen lassen. Dann ist sie - um einen Begriff aus der Musikwissenschaft zu verwenden - ein "exterritoriales Feld". Deshalb ist auch finde ich nicht so ohne weiteres einsehbar, warum da das Prinzip der Stileinheit ästhetisch gelten soll. Das ist dann letztlich eine Frage, wie man die Kadenz auffasst, als immanenter Bestandteil des Werkes oder ein exterritorialer "Durchbruch". :hello:


    Schöne Grüße

    Holger

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Banner Interviebanner 1 Gelbe Rose
  • Übersicht mit KI

    Alfred Schnittke hat keine Kadenzen für Beethovens Violinkonzert geschrieben, sondern eher eigene Werke im Stil von Beethoven oder anderen Komponisten. Wenn es eine Anfrage nach einem Schnittke-Konzert gab, könnte es sich um ein anderes Werk gehandelt haben.

    Alfred Schnittkes Kompositionen

    Schnittke war bekannt dafür, Werke für Violine und Orchester zu schreiben, aber seine Kadenzen bezogen sich nicht auf Beethovens Violinkonzert.

    Es ist beruhigend, daß wir mit KI nun eine Autorität haben, die die menschlichen "Dummerl" in ihre Schranken verweist und klipp und kla sagt, was Sache ist.

    Lieber Alfred, ich weiß nicht, welche KI Du da immer abfragst. Aber im wesentlichen hängen die Ergebnisse natürlich von der Größe des Modells und seinem Training ab. Hier mal ein Beispiel von ChatGPT Modell5

    Meine Frage:

    Du bist jetzt Musikspezialist für neuere Musik. Kannst Du mir etwas über Alfred Schnittkes Kadenzen zum Violinkonzert von Beethoven sagen und was Schnittkes Motivation dafür war?

  • Aber im wesentlichen hängen die Ergebnisse natürlich von der Größe des Modells und seinem Training ab.

    Das darf aber nicht der Fall sein. „Experten“ gefragt: Experten antworten. Wenn man sich darauf nicht verlassen kann, was soll das dann? Wenn ich zu einem Rechtsanwalt gehe und der erzählt mir was vom Pferd, ist der auf lange Sicht RA gewesen ...

    You might very well think that. I couldn't possibly comment.“ (Francis Urquhart)

  • Wenn ich zu einem Rechtsanwalt gehe und der erzählt mir was vom Pferd, ist der auf lange Sicht RA gewesen ...

    Das ist doch bei Menschen genau dasselbe. Wenn Du zu einem Rechtsanwalt gehst, kannst Du genauso gut bei einer Pflaume, wie bei einem Könner landen. Häufig drückt sich das im Preis aus, aber leider nicht immer :P

  • Lieber Alfred, ich weiß nicht, welche KI Du da immer abfragst.

    Ich frage überhaupt keine KI ab, sondern google nur. KI gibt dann meist zusätzlich oder an Stelle von - ungefragt Antworten....


    LG Alfred

    SPARE IN DER NOT - DA HAST DU ZEIT DAZU



  • Ich frage überhaupt keine KI ab, sondern google nur. KI gibt dann meist zusätzlich oder an Stelle von - ungefragt Antworten....


    LG Alfred

    Das ist die von google eingesetzte KI Gemini, die hier aber eher die Ergebnisse zusammenfasst, die sie im Internet findet. Hier gilt natürlich Sh... in sh... out ;). Das ist etwas grundsätzlich anderes, als wenn ich die KI selbst mit der Frage beschäftige

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Vielleicht noch einmal die direkte Frage an Gemini. Es handelt sich um die kostenfreie Variante 2.5 Flash


    Frage:


    Du bist jetzt Musikspezialist für neuere Musik. Kannst Du mir etwas über Alfred Schnittkes Kadenzen zum Violinkonzert von Beethoven sagen und was Schnittkes Motivation dafür war?

    Das Ergebnis ist deutlich schlechter als das von chatGPT, aber inhaltlich von der klapprigen Zusammenfassung bei google noch meilenweit entfernt. ;)

    Bei solchen Zusammenfassungen wird die "Intelligenz" eben nicht eingesetzt, selbst das Ergebnis zu produzieren, sondern nur um die priorisierten Ergebnisse zusammenzufassen. Das ist eine völlig andere Aufgabe, die natürlich auch zu anderen Ergebnissen führt.

  • Zitat

    Alfred Schnittke (1934-1998) ist eine der faszinierendsten Komponistenpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts.

    Das ist eine persönliche Wertung, die dem System m. E. nach nicht zusteht.

    You might very well think that. I couldn't possibly comment.“ (Francis Urquhart)

  • Das ist eine persönliche Wertung, die dem System m. E. nach nicht zusteht.

    Nana, zustehen ist so eine Sache. Hier sagen dauernd irgendwelche Kollegen Bewertungen über Komponisten, wo ich lieber nicht hinterfrage, aufgrund welcher Kenntnisse das passiert.


    Mir persönlich gefällt der Stil von Gemini auch nicht so gut wie der von chatGPT. Aber die Beurteilung ist sicher einigermaßen fundiert. Gemini soll offensichtlich offensiver sprechen als der openAI Konkurrent..

  • Nach so viel KI: Bleiben wir wieder beim eigentlichen Thema, bzw spezifizieren wir die Titelfrage.

    Ursprünglich - bei der Threaderöffnung habe ich ja vorzugsweise an die Aufnahme Marriner/Kremer gedacht wo eine MODERNE Kadenz gespielt wurde. Die Frage ist nun, ob eine Kadenz von Max Reger, Robert Levin, Joseph Joachim, Leopold Auer oder Fritz Kreisler etc. etc.

    als "modern" gesehen werden kann oder muß.

    Interessanterweise fanden wir auf vielen Aufnahmen keine - oder nur versteckte - Angaben zu den verwendeten Kadenzen. Erst in letzter Zeit dürfte das - vermutlich als Kauf- oder Alleinstellungsargument -wieder in den Focus des Interesses gerückt werden....


    mfg aus Wien

    Alfred

    SPARE IN DER NOT - DA HAST DU ZEIT DAZU



  • Ich sage zur Frage des Threads ja, mit der Einschränkung, wenn die Kadenz mit Geschmack und nicht mit eitler Selbstdarstellung geschrieben ist.


    Komponisten vergangener Epochen haben zum Violinkonzert Op. 61 von Ludwig van Beethoven Kadenzen geschrieben. "Modern" waren sie zur Zeit ihrer Entstehung immer.


    Auf dieser Doppel-CD der spanischen Geigerin Maria Dueñas sind neben dem Violinkonzert weitere Kadenzen von Louis Spohr, Eugene Ysaye, Camille Saint-Saens, Henri Wieniawski, Fritz Kreisler auf der zweiten Scheibe zu hören. Zudem hat sie von jedem Musiker ein weiteres Violinwerk eingespielt.


    Nicht genug: Die Spanierin hat zu den drei Sätze des Beethoven Konzertes eigene Kadenzen komponiert.


    Ich bin soweit, in meinen Beiträgen Rechtschraibfehler stehen zu lassen als menschlicher Protest gegen die perfekte KI-Welt.



  • Banner Trailer Gelbe Rose