Franz Schubert – Kunstlieder modifiziert, arrangiert, manipuliert und verziert


  • Wer möglichst viele Schubert-Transkriptionen haben möchte, ist mit den Hyperion-Aufnahmen von Leslie Howard gut bedient. Die Aufnahmen stammen aus dem Jahre 1994 und Leslie Howard hat im Booklet auf immerhin mehr als acht Seiten etwas zu den insgesamt 51 Stücken – die sich auf drei CDs verteilen – geschrieben.


    Zur Information sollen einige wenige Zeilen dieses Textes hier zitiert werden:
    «Liszts Methoden und Intentionen in seinen Schubert-Transkriptionen sind sehr verschiedenartig. Es gibt einige einfache Bearbeitungen, in denen Vokallinie und Begleitung ohne viel Verzierungen auf angenehme Weise miteinander verbunden sind. Dann gibt es Werke, in denen die erste Strophe eines Liedes ohne Ausschmückungen wiedergegeben wird, worauf dann etwas folgt, was im wesentlichen eine Reihe von Variationen ist, und oft wird der Liedtext der Variation vorangestellt ( die Anzahl von Liszts Variationen ist jedoch manchmal größer oder kleiner als die Anzahl der Verse in den Schubert-Lieder.) Und schließlich gibt es eine Gruppe von sehr frei behandelten Liedern, in denen die Transkription sich bemüht, sowohl den geistigen Gehalt des Liedes als auch den musikalischen Text voll auszudrücken«
    Einigen wenigen Musikstücken liegen keine typischen Schubert-Lieder zugrunde, aber man findet 14 Lieder aus „Schwanengesang“, 12 Stücke aus „Winterreise“, einige Lieder aus „Die schöne Müllerin“ und daneben so bekannte Lieder wie zum Beispiel „Meeresstille“ oder „Die Forelle“.


    Der 1948 in Melbourne geborene Howard hat bei Hyperion das gesamte Klavierwerk von Franz Liszt aufgenommen und gilt weltweit als Liszt-Spezialist.

  • Die vom Johannes angesprochene CD mit Anne Sofie von Otter / Thomas Quasthoff und dem Chamber Orchestra of Europe unter Claudio Abbado soll hier mit der Darstellung sachlicher Aspekte kurz vorgestellt werden.[/color][/size][/font]
    Folgende Stücke werden in dieser Reihenfolge auf der CD angeboten:
    Romanze D 797 / Die Forelle D 550 (Britten) / Ellens Zweiter Gesang D 838 (Brahms) / Gretchen am Spinnrade D 118 (Reger) /An Silvia D 891 / Im Abendrot D 799 (Reger) / Nacht und Träume D 827 (Reger) / Gruppe aus dem Tartarus D 583 (Reger) / Erlkönig D 328 (Berlioz) / Die junge Nonne D 828 (Liszt)/ Tränenregen D 795 (Webern) / Der Wegweiser D 911 (Webern) / Du bist die Ruh D 776 (Webern) / Ihr Bild D 957 (Webern) / Prometheus D 674 (Reger) / Memnon D 541 (Brahms) / An Schwager Kronos D 369 (Brahms) / An die Musik D 547 (Reger) / Erlkönig D 328 (Reger)


    Ich hatte diese CD letzte Woche nochmal angehört, daher nachträglich ein kurzer Kommentar:
    Ich würde nicht behaupten, dass die Orchestrierungen (alle) wesentliche neue Aspekte der Lieder herausbringen, aber ich fand keine stilistisch unpassend oder aufoktroyiert, zumal die meisten eine eher kammermusikalische Besetzung verwenden, sondern durchweg weit geschmackssicherer als zB Schönbergs Bearbeitungen von Bachs Es-Dur-Präludium&Fuge und Brahms' Klavierquartett (so faszinierend letztere auch sein mögen). Brahms' "Jäger, ruhe" ist sehr stimmungsvoll mit reiner Horn/Fagott-Begleitung
    Beim Erlkönig finde ich die Klavierfassung jedoch u.a. überzeugender, weil das Klavier als (auch) Percussionsinstrument das durchlaufende monomanische Getrappel besser darstellt als ein Orchester, also kein Mangel an Innerlichkeit, sondern an Äußerlichkeit der Orchesterversionen. ;)

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zit. Johannes Roehl: „Beim Erlkönig finde ich die Klavierfassung jedoch u.a. überzeugender, weil das Klavier als (auch) Percussionsinstrument das durchlaufende monomanische Getrappel besser darstellt als ein Orchester, also kein Mangel an Innerlichkeit, sondern an Äußerlichkeit der Orchesterversionen.“

    Das war auch meine Auffassung, die ich oben in Beitrag 26 so formulierte:


    Ich denke da zum Beispiel an die Sechzehntel-Repetitionen im Erlkönig. Deren musikalischer „Effekt“ besteht in ihrer punktuellen Tonalität, wie sie der Klaviersatz aufweist. Nur dadurch bekommen sie dieses klanglich Bohrende, das Schubert für das, was er musikalisch sagen wollte, unbedingt brauchte.


    Schubert verstand unter „Lied“ das „Klavierlied“. Er hat kein einziges dieser Lieder orchestriert, obwohl er bekanntlich mühelos in der Lage war, einen perfekten Orchestersatz mit integrierter Singstimme zu schreiben.
    Bei der Orchestrierung wird das Schubert-Lied seiner musikalischen Substanz beraubt. Sie besteht in einem Dialog zwischen Singstimme und Klavier, wobei die jeweilige klanglich-musikalische „Sprache“ der beiden Partner ein konstitutiv-relevanter Faktor ist. Die klangliche „Eindickung“, die der Orchestersatz zwangsläufig mit sich bringt, hat einen eminenten Verlust an klanglicher Strukturierung zur Folge.


    Der Sinn einer Transkription des Liedes in einen reinen Klaviersatz, wie sie Liszt vorgenommen hat, erschließt sich mir aus diesem Grund sehr wohl: wenigstens bleibt die klangliche Sprache des Klaviers erhalten, und die melodische Linie der Singstimme ist ja auch in den Klaviersatz integriert. Man muss freilich die Lieder kennen, um Liszts Transkriptionen in ihrer musikalischen Aussage voll verstehen zu können.
    Und zudem hatte das, was Liszt hier tat, aus seiner Sicht – und das zu Recht – auch einen funktionalen Sinn. Er wollte Schuberts Liedwerk bekannt machen,- was ihm ja auch gelungen ist!


    Der Sinn einer Orchestrierung will sich mir partout nicht erschließen. In der Regel läuft das für mich auf eine Verballhornung des Schubertliedes hinaus.
    Ich räume gerne ein, dass dies eine puristische Haltung ist, die niemand teilen muss. Ich kann sie freilich gut begründen und sehe mich überdies darin in guter Gesellschaft. Mit Fischer-Dieskau wäre eine solche Produktion wie die oben angezeigte nicht zu machen gewesen.

  • Nun darf ja jeder seinen Geschmack haben. Der Aussage jedoch, dass solche Orchestrierungen wie Verballhornungen wirken, kann ich für mich jedenfalls voll zustimmen, auch den übrigen reflektierten Betrachtungen im letzten Beitrag von Helmut Hoffmann.


    Ein zusätzlicher Aspekt für das Schubertlied, aber auch für andere Bereiche noch aus meiner Sicht: Wenn ein Pianist sich z.B. eine Oboe, eine Singstimme oder andere Instrumente denkt und seine Tongebung dementsprechend durch Anschlagsmodifizierungen, Artikulationen (z.B. für das singende Spiel: Legatissimo) und Fingerhaltungen/krümmungen moduliert, dann kann man diese Illusionen, die nur ein wirklich guter Klavierspieler mit einem möglichst gut intonierten Instrument hinbekommt, auch durchaus als noch reizvoller empfinden, als wenn man eine wirkliche Orchestrierung hört. Das ist vielleicht so ähnlich, als wenn man eine gut gestaltete Modellbahnlandschaft + Modelleisenbahn irgendwie schöner oder ästhetisch wirksamer empfindet, als z.B. die Luftaufnahme eines wirklichen Bahnhofs oder einer wirklichen Eisenbahnstrecke.


    Die reine Vorstellung ist manchmal gerade das Reizvolle, nicht die materielle Realisierung.
    Ein orchestraler Effekt auf dem Klavier kann -wohlgemerkt in gewissen Fällen- ergreifender sein als ein wirkliches Orchestertutti.
    Aus diesem Grund vielleicht mag ich z.B. die Haydn-Variationen von Brahms in der vollklingenden Urfassung für 2 Klaviere noch ein kleines bisschen lieber als die auch sehr schöne und meisterliche spätere Orchestrierung. Es regt mehr die Phantasie an...;-)


    Für die vierhändigen Versionen seiner Symphonien, die m.E. eher zum Kennenlernen in einer Zeit ohne CDs gedacht waren, gilt dies für mich indes auf gar keinen Fall.


    Bei den Schubertliedern kann es für mich nur eine Realisierung geben, die ich wirklich mag: Die klassische und originale, mit einem Sänger und auf dem Flügel begleitet.


    Gruss
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Zit. Glockenton: „Nun darf ja jeder seinen Geschmack haben.“

    Dem Stimme ich voll zu. Meine Beurteilung der verschiedenen Orchestrierungen ist ja rein gegenstandsbezogen und bezieht den Aspekt der Rezeption in gar keiner Weise ein. Irgendwo habe ich mal hier – nicht explizit, aber wohl indirekt auf mich bezogen – die kritische Bemerkung gelesen: „Man darf hier ja keinen Spaß haben“.
    Aber allemal darf man das. Wo kämen wir hin, wenn die Rezeption von Musik nicht lustbegleitet und –betont wäre.
    Aber darum geht es mir ja doch gar nicht bei meinen Stellungnahmen zu dem Gegenstand dieses Threads.


    Hochinteressant - und mich durchaus begeisternd, weil Ausdruck des Nachdenkens über Musik - finde ich das, was Glockenton hinsichtlich der Bedeutung der Imagination bei der Rezeption von Musik im Hinblick auf ihre instrumentale Realisierung hier anmerkt. Das verdichtet sich in dem Satz:
    „Die reine Vorstellung ist manchmal gerade das Reizvolle, nicht die materielle Realisierung.“


    Ich meine: Das ist ein im genuinen Sinne schubertischer Gedanke. Er liegt seinen Klavierliedern zugrunde. Denn die beruhen ihrem Wesen nach auf dem imaginativen Impuls, der durch das ausgelöst wird, was zwei „Instrumente“, die Singstimme und das Klavier, mit den jeweils ihnen eigenen klanglichen Ausdrucksmöglichkeiten zu sagen haben. Und dies im Zusammenspiel, - im Dialog, genauer gesagt.


    Im Grunde basiert die künstlerische Aussage des Schubertliedes – und das Klavierliedes überhaupt – auf der Reduktion von Musik auf ihre kammermusikalischen Dimensionen. Dies mit dem Ziel einer maximalen Evokation der imaginativen Fähigkeiten des Rezipienten über die klanglichen Impulse, die von nur zwei „Instrumenten“ ausgehen.


    Warum kann ein Klavierlied emotional so wunderbar beflügeln und gedanklich inspirieren? Weil die klanglichen Impulse, die von ihm ausgehen, gerade durch ihre Reduktion auf die musikalische Essenz und ihre evokative Zielgerichtetheit die Phantasie, das kognitive und das emotionale Potential des Rezipienten so stark zu inspirieren vermögen.
    Die Orchestrierung zerstört dies alles.

  • Meine Beurteilung der verschiedenen Orchestrierungen ist ja rein gegenstandsbezogen und bezieht den Aspekt der Rezeption in gar keiner Weise ein. Irgendwo habe ich mal hier – nicht explizit, aber wohl indirekt auf mich bezogen – die kritische Bemerkung gelesen: „Man darf hier ja keinen Spaß haben“.

    Da hast du mich erwischt, Helmut, und ich möchte betonen, dass das keinesfalls wirklich böse gemeint war, sondern eher ein kleine Stichelei, die du mir hoffentlich nicht übel nimmst.
    Glockenton und du habt im Kern ja definitiv Recht damit, was ein Klavierlied so bedeutend und besonders macht.



    Warum kann ein Klavierlied emotional so wunderbar beflügeln und gedanklich inspirieren? Weil die klanglichen Impulse, die von ihm ausgehen, gerade durch ihre Reduktion auf die musikalische Essenz und ihre evokative Zielgerichtetheit die Phantasie, das kognitive und das emotionale Potential des Rezipienten so stark zu inspirieren vermögen.
    Die Orchestrierung zerstört dies alles.

    Würde ich alles zu tausend Prozent unterschreiben, trifft es wirklich genau, auch mein Empfinden. Nur der letzte Satz stört mich, genauso wie die Formulierung Verballhornung bezugs einer Orchestrierung. Das ist mir einfach dann doch zu abwertend gegenüber dem Gegenstand, trotz aller Oberflächlichkeit. Klar, die Orchestrierung ist auf jeden Fall Budenzauber, während Schuberts Original Pianokomposition wahre Magie ist, aber ich finde, wenn man beides kennt und beides für sich betrachtet, kann bestimmt auch Schubert damit leben (erst wo es einseitig würde, würde auch ich Alarm schlagen).

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

  • Zit. SchallundWahn: "...aber ich finde, wenn man beides kennt und beides für sich betrachtet, kann bestimmt auch Schubert damit leben "


    Und das finde ich auch. Wie Schubert auf derartige Orchestrierungen reagiert hätte, kann keiner von uns wissen. Was man wissen kann, ist, wie man selbst darauf reagiert. Und das ist natürlich eine höchst individuelle Angelegenheit und eine, die als solche ihre Legitimität in sich selber trägt.


    Ich selbst kenne diese Orchestrierungen natürlich auch, höre sie mir mit Interesse an und empfinde das als Bereicherung meiner musikalischen Hörerfahrung. Gleichzeitig denke ich aber auch über die Sinnhaftigkeit solcher Unterfangen nach. Mit "Sinnhaftigkeit" meine ich die Frage, was sie hinsichtlich des musikalischen Aussage-Plus auf dem Hintergrund des Originals bringen.
    Und da komme ich eben zu dem Ergebnis, das ich in meinen obigen Beiträgen dargestellt habe.


    Übrigens: Schubert hätte vermutlich - im Unterschied zu Hugo Wolf, mit dem ich mich gerade beschäftige - solchen Orchestrierungen durchaus vergnüglich gelauscht. Als Musik hörender und Musik machender Mensch dürfte er höchst konziliant gewesen sein, was musikalische Qualität anbelangt.
    Nur als Komponist war er es nicht. Da gab es für ihn keine Kompromisse.

  • http://www.youtube.com/watch?v=Y3ALWvtvt_U


    Noch ein Berlioz-Erlkönig, diesmal mit Otter und Thielemann. Auch Klamauk - oder ist das inzwischen geklärt? ?(

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Puristen wird man sicher verschrecken, wenn man bekennt, die Orchestrierungen zu mögen. Besonders die Berlioz-Orchestrierung des Erlkönig ist m. E. sehr gelungen und eröffnet sogar neue Facetten. Ich empfinde es als ungleich dramatischer als die Klavierfassung. Aber das mag auch daran liegen, weil ich von der romantischen Oper und Symphonik komme. Leider gibt es davon m. W. keine Aufnahme von Fischer-Dieskau.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Nur damit keine Mißvertsändnisse aufkommen: Die Aufnahme ist aus dem Studio (kein Konzertmitschnitt!) und in der Liszt-Box von Bolet enthalten - Bolets Liszt-Aufnahmen bei Decca, die er auf einem Bechstein-Flügel einspielte. Jorge Bolets Liszt zeichnet sich aus durch seinen immer sehr guten Geschmack, Ernsthaftigkeit, eine kontemplative Haltung, die den romantischen Geist trifft und einen Sinn für Kantabilität, den wirklich nur ganz wenige haben.



    Beste Grüße
    Holger

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  • „Die reine Vorstellung ist manchmal gerade das Reizvolle, nicht die materielle Realisierung.“


    Auch mich, ich gestehe es, hat diese These von Glockenton fasziniert. Sie bringt mich auf die Dikussion des imaginären Klavierklangs, ausgehend etwa von Richard Wagner, der - zunächst der Orgel - dem Klavier den höchsten Abstraktionsgrad zuerkennt, voraussetzend, daß der instrumentale Orchesterklang der sinnlich und damit auch imaginativ ursprüngliche sei. Das Klavier wird hier als ein Simulationsapparat gedacht, der gerade durch die perkussiv "andeutende" und durch alle Register hindurch gleichförmige Klangerzeugung eine das Mechanische daran übersteigende Klangsinnlichkeit im Ohr evoziert, die quasi aus der Erinnerung an lebendige Musik gespeist wird.


    Gewiß hat R.W. dabei die Funktion pianistischer Salonarrangements vor Ohren, die nicht zuletzt durch Liszt verkörperte "Übersetzungsleistung" ganzer Partituren ins zweihändige Spiel. - Aber auch im pianistischen Schaffen selbst, von Schubert bis Chopin zumal, spielt ja - hierauf zielte Glockenton zuletzt ab - eine hinzugedachte Orchestralität des Klangs eine nicht unbeträchtliche Rolle.


    In diesem Zusammenhang müßte eine Emanzipation des pianistischen Klangs diskutiert werden, die sich ganz frei zu machen hätte von allem Hybriden und Abgeleiteten ("a flute is a flute is a flute"). Ich bezweifle allerdings, daß dies möglich ist.


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Wäre man als Alleinschreiber in diesem Thread chronologisch vorgegangen, müsste diese CD zusammen mit der »Winterreise« (siehe Beitrag 21) vorgestellt werden, weil das künstlerische Konzept bei beiden Aufnahmen ähnlich ist – die Singstimme wird durch ein Instrument ersetzt.


    Im Booklet sagt Reinhard Beuth: “Wort und Ton sind im Lied eine Ehe eingegangen, die der Musiker nicht ohne Not scheiden soll.“


    Aber es wird auch gesagt: „Denn die Stimme des Sängers kann sein Instrument mühelos übernehmen, und zuweilen beschleicht einen der Eindruck, dass er auf dem Cello farbenreicher und akzentuierter zu singen vermag als manch anderer Musiker aus seiner eigens dazu geschulten Kehle. An Schuberts Noten braucht jedenfalls nichts geändert zu werden: Der Klavierpart bleibt der Klavierpart, und Maiskys Cello übernimmt die Gesangsstimme.“


    Mischa Maisky (*1948) ist ein lettischer Cellist, der als einer der besten seiner Zunft gilt. Maisky hat sowohl bei Rostropowitsch als auch Piatigorsky studiert.


    Auf der gezeigten CD werden außer der Sonate für Arpeggione und Klavier a-moll D821 folgende Schubert-Lieder vorgetragen:
    Der Neugierige D 795 Nr. 6 / Lied der Mignon D 877 Nr. 4 / Täuschung D 911 Nr. 19 / Der Leiermann D 911 Nr. 24 / Nacht und Träume D 827 / Am Meer D 957 Nr. 12 / An die Musik D 547 / Die Forelle D 550 / Ständchen D 957 Nr.4 / Der Einsame D 800 / Der Müller und der Bach D 795 Nr. 19 / Heidenröslein D 257 / Litanei auf das Fest Allerseelen D 343 / Du bist die Ruh D 776


  • Das wird OT und vielleicht mangelt es mir auch an Fantasie, aber ich finde es extrem offensichtlich, dass ein typischer und charakteristischer Klavierklang/-satz niemals adäquat von einer Orchestrierung erfasst wird und umgekehrt natürlich genauso.
    Bei idiomatischen Klavierwerken denkt man nur sehr selten an andere Instrumente, von mehr oder minder kruden Imitationen wie etwa den Trommelwirbeln und Trompeten im Trio des Trauermarsches aus Beethovens op.26 mal abgesehen (und selbst hier hat diese unvollkommene Imitation eine Qualität, die vermutlich bei einer Orchestrierung in Banalität umschlüge).
    Mein Musterbeispiel: Weingartners Orchesterfassung von Beethovens op.106. Man könnte meinen, dass ein so monumentales Werk nach einer Orchestrierung schreit oder ohnehin so "abstrakt" wäre, dass man es ebensogut vom Orchester hören könnte, aber das Arrangement ist eine bloße Kuriosität und Weingartners Einspielung scheint seit 80 Jahren die einzige geblieben zu sein. Ebenso die Liszt-Sonate (hat sich da mal jemand mit Orchestrierung versucht). Was ich an Orchesterfassungen Chopinscher Klavierwerke gehört habe, wirkt auf mich abstoßend-banal oder kitschig.


    Das schließt natürlich nicht aus, dass es bei weniger idiomatischen Stücken, die das Klavier tatsächlich als eine Art Orchesterersatz behandeln oder bei sehr "abstrakten" (Kunst der Fuge u.ä.) anders ist. Und so manche Bearbeitung kann bestimmte Qualitäten (aber trivialerweise keine spezifisch klangfarblichen) deutlicher machen als das Original.


    Und wer meint, in Klavierversionen ein Orchester zu hören, verknüpft m.E. schlicht in seiner Fantasie den erlebten mit dem erinnerten imaginierten Klang.

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  • Unter dieser Threadüberschrift darf natürlich diese im Jahre 2001 entstandene CD nicht fehlen. Eine Winterreise, bei der vier Streichinstrumente den Klavierpart übernehmen. Wie man aus dem Booklettext erfährt, stammt diese Idee von dem Tenor Christian Elsner (den ich eigentlich als Sänger schon seit Jahren schätze).


    Im Begleitheftchen zur CD liest man unter anderem auch:


    „Der Reiz in einer Bearbeitung besteht vor allem darin, dass das Original auf eine neue Weise gehört werden kann. Scheinbar neue Farben, mitunter sogar neue Klänge, die im Original verborgen liegen, treten auf einmal um so plastischer hervor, werden anders »beleuchtet«.“


    Der angesprochene Reiz ist für mich hier nicht erkennbar. Wenn schon experimentiert werden soll, finde ich es weit reizvoller, wenn die Singstimme durch ein Instrument ersetzt wird, wie es bei Honing und Maisky zu hören ist, weil Schuberts Musik in diesen Fällen erhalten bleibt. Zumindest empfinde ich es so.


  • Zit. aus dem letzten Beitrag von hart: "Scheinbar neue Farben, mitunter sogar neue Klänge, die im Original verborgen liegen, treten auf einmal um so plastischer hervor, werden anders »beleuchtet«.“"


    Eine solche Äußerung verrät die Haltung, die hinter solchen Produktionen steht. Es geht nicht um die Rezeption dessen, was Schubert an Musik- also allen klanglichen Elementen, die sie ausmachen - in seine Komposition eingebracht hat, um das, was er künstlerisch zu sagen hatte, zum Ausdruck zu bringen. Es geht primär um den klanglichen Reiz, der von Musik ausgeht. Und dieser wird gleichsam absolut gesetzt, ohne nach seinem Sinn und seiner Funktion zu fragen.


    Rezeption von Musik wird also auf den schieren Genuss des klanglichen Reizes reduziert. Das kann ein Komponist so nicht wollen, weil bei dieser eindimensionalen Rezeption seines Werkes verloren geht, was es und er künstlerisch zu sagen hat. Die Behauptung, das "das Original auf neue Weise gehört werden könne", ist sachlich unzutreffend. Das Original liegt in Form des Notentextes von Schubert vor. Man kann es nur in seinen verschiedenen sängerischen und pianistischen Interpretationen "neu hören". Eine solche Produktion, wie die hier angezeigte, hat mit dem Original nicht das Mindeste zu tun.


    Mich erstaunt, dass ein Sänger - hier Christian Elsner - hinter einem solchen Konzept steht.

  • Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich in meinem Beitrag zwar nur zu einem Satz aus dem Booklet der Winterreise-CD mit Christian Elsner Stellung nahm, aber dies, ohne die Aufnahme selbst zu kennen. Jedoch man sollte sich, so denke ich, hier im Forum über eine Sache erst äußern, wenn man sich gründlich mit ihr befasst hat.


    Nun denn also. Ich kann feststellen, dass ich ein Urteil nicht revidieren muss. Und ich stimme hart zu, wenn er meint: „Der angesprochene Reiz ist für mich hier nicht erkennbar.“

    Der entscheidende Sachverhalt ist der, dass die instrumentenbedingte klangliche Konturierung und Strukturierung der Original-Winterreise hier nicht zu vernehmen ist. Streicher sind eben keine perkussiv sich artikulierenden Instrumente. Die „Winterreise“ lebt aber in ihrer künstlerischen Aussage von dem im Grunde ja klanglich sehr kargen, aber sich im Dialog mit der Singstimme in höchst differenzierter und deutlich konturierter Weise artikulierenden Klaviersatz.
    Nur mit solchen Partnern ist dieser – von Schubert so gewollte - musikalische Dialog überhaupt erst möglich.


    Streicher können ihn mit der Singstimme nicht führen. Im Grunde bieten sie nur ein klangliches Bett für sie. Womit verloren geht, was Schubert künstlerisch sagen wollte.

  • a..... zeigt an Keine Ergebnisse für B00475F3JM (Anmerkung moderato)


    Von all meinen Winterreise-Aufnahmen ist diese die eigenartigste, weil die Lieder einerseits von einer ausgebildeten Sängerin gesungen werden, andererseits jedoch so klingen als würde eine Hausfrau beim Staubwischen die Winterreise singen.
    Die zweite Eigenart dieser Aufnahme: Das sonst übliche Klavier wird durch eine Drehleier ersetzt, was natürlich Bezüge zum letzten Lied des Zyklus herstellt.
    Im Booklet findet sich auch ein Absatz über die Drehleier zu Schuberts Zeit.


    Einleitend stellt das Booklet diese CD so vor (Textausschnitt):
    »Frevel! Ein Monument bürgerlicher Konzertkultur wird niedergerissen! Wo sonst Kunst-Connaisseure zu dunkel romantischen Klängen den Untiefen der eigenen Seele nachspüren, bleibt diesmal kein Raum für Sentimentalität. Denn die Winterreise in der Fassung von Nataša Mirković-De Ro und Matthias Loibner ist ein Skelett. Sie führt Text und Musik zum Wesentlichen zurück, zu einer Haltung, die zwischen Lakonik und Pathos changiert und von Schubert bereits in dieser Ambivalenz angelegt wurde«


    Matthias Loibner führt unter anderem aus (Textausschnitt):
    »Die Verbindung zu Schuberts Winterreise zur Drehleier entstand ganz selbstverständlich durch den Leiermann, der im letzten Lied des Zyklus meist als Sinnbild für Wahnsinn, Tod oder Erstarrung verstanden wird.«


    Das Ganze ist eine Idee des Grazer Regisseurs Ernst M. Binder und die Sängerin Nataša Mirković-De Ro sagt unter anderem: »… weckte in mir eine Begeisterung und unwiderstehliche magische Anziehung, diese Reise durch den Winter der Gefühle anzutreten. Und schon nach wenigen Worten Müllers und einigen von Schuberts Tönen entstand das Bedürfnis, diese Gefühle fragil und nackt und von unnötigem Schmuck befreit zu erzählen, um so dem Zuhörer mit der Stimme als Spiegel zu dienen, und ihn teilhaben zu lassen an der intimen Kommunikation zwischen Müller und Schubert, die im ganzen Zyklus einmalig aus der Tiefe leuchtet.«


    Es wurde viel zitiert, weil ein eigener Kommentar schwer fällt, denn ich habe fast alle Interpretationen der Winterreise und da hat man gut ausgebildete schöne Stimmen im Ohr, die man hier nicht aufzählen muss. Wer Schöngesang erwartet, wird von dieser CD enttäuscht sein; wie man aus den zitierten Stellen erfährt, ist schöner Gesang jedoch in keiner Weise beabsichtigt, das Werk wird unüblich interpretiert und das irritiert. Aber Interessierte können ja einmal rein hören ...

  • Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich in meinem Beitrag zwar nur zu einem Satz aus dem Booklet der Winterreise-CD mit Christian Elsner Stellung nahm, aber dies, ohne die Aufnahme selbst zu kennen. Jedoch man sollte sich, so denke ich, hier im Forum über eine Sache erst äußern, wenn man sich gründlich mit ihr befasst hat.


    Nun denn also. Ich kann feststellen, dass ich ein Urteil nicht revidieren muss. Und ich stimme hart zu, wenn er meint: „Der angesprochene Reiz ist für mich hier nicht erkennbar.“

    Der entscheidende Sachverhalt ist der, dass die instrumentenbedingte klangliche Konturierung und Strukturierung der Original-Winterreise hier nicht zu vernehmen ist. Streicher sind eben keine perkussiv sich artikulierenden Instrumente. Die „Winterreise“ lebt aber in ihrer künstlerischen Aussage von dem im Grunde ja klanglich sehr kargen, aber sich im Dialog mit der Singstimme in höchst differenzierter und deutlich konturierter Weise artikulierenden Klaviersatz.
    Nur mit solchen Partnern ist dieser – von Schubert so gewollte - musikalische Dialog überhaupt erst möglich.


    Streicher können ihn mit der Singstimme nicht führen. Im Grunde bieten sie nur ein klangliches Bett für sie. Womit verloren geht, was Schubert künstlerisch sagen wollte.


    Lieber Helmut,


    ich kenne die CD nicht und kann deshalb über die Qualität auch nichts sagen. Aber es gibt ja nun auch das Beispiel Gustav Mahler, wo etliche Lieder als Fassung für Klavier und auch als Orchesterlieder existieren. Ich glaube kaum, daß man Mahlers Orchesterliedfassung gerecht wird, wenn man behauptet, sie biete nur mehr Sinnesreize als die Klavierfassung oder weiche den Klang auf. Ich verstehe deshalb nicht ganz, warum die künstlerische Aussage im Prinzip verlorengehen soll, nur wenn man aus einem Klavierlied ein Orchesterlied macht. Ist nicht vielmehr entscheidend, wie es ganz konkret gemacht ist - ob gut oder schlecht? Meintest Du letzteres?


    Schöne Grüße
    Holger

  • Ich verstehe deshalb nicht ganz, warum die künstlerische Aussage im Prinzip verlorengehen soll, nur wenn man aus einem Klavierlied ein Orchesterlied macht.

    Das muss nicht zwangsläufig dahin führen, tut es aber in den meisten Fällen. Ich gehe davon aus, dass der Komponist bei der Wahl der Instrumente sich Einiges gedacht hat und dass unberufene Änderungen die Ursprungsidee verfälschen.
    Möglicherweise fällt man bei der diesbezüglichen Beurteilung seinen eigenen, althergebrachten Vorstellungen zum Opfer, denn es ist vermutlich leichter eine Orchesterfassung eines Mahler- oder Straussliedes zu akzeptieren als die Transkription bei einem Liederzyklus von Schubert, das Letztere aber auch aus "objektivem" Grund, weil der Klavierpart bei Schubert keine Begleitung sondern eine eigenständige Stimme darstellt. Instrumente haben eben einen eigenen Charakter. In dieser Hinsicht empfinde ich wie Helmut Hofmann.


    Bei Mussorgskijs Bilder einer Ausstellung sind jedoch meine Gefühle gespalten und gestern hat mich überraschenderweise die zum ersten Mal gehörte Klavierfassung des Zauberlehrlings von Dukas mehr fasziniert als die Orchesterversion, wobei ich allerdings nicht weiß, welche die ursprüngliche ist.

  • Zit. Dr. Holger Kaletha: "Ich verstehe deshalb nicht ganz, warum die künstlerische Aussage im Prinzip verlorengehen soll, nur wenn man aus einem Klavierlied ein Orchesterlied macht. "


    Diese Auffassung, dass die künstlerische Aussage im Prinzip verloren gehe, vertrete ich doch gar nicht. Das Beispiel Gustav Mahler ist nicht ein wirkliches Argumente gegen das, was ich gegen Orchestrierungen von Schubertliedern einzuwenden habe. Mahler-Lieder unterscheiden sich vom Schubertlied ganz wesentlich darin, dass sie einen wesentlich höheren Grad an Musikalisierung aufweisen. Sie sind vom liedkompositorischen Konzept so angelegt, dass der Komponist sie orchestrieren kann, weil sie von vornherein orchestral gedacht sind. Er arbeitet mit dem Orchesterklang ohnehin nur heraus, was in ihnen als Klavierliedern schon angelegt ist.


    Das Schubert-Lied ist ein genuines Klavierlied. Seine künstlersiche Aussage wird im Dialog von Singstimme und Klavier gleichsam generiert. Das Klavier ist dabei - eben weil es eine ganz bestimmte musikalische Sprache spricht - durch kein anderes Instrument zu ersetzen, Durch den komplexen Sound eines Orchesters schon gleich gar nicht. Es sollte doch nachdenklich machen, dass Schubert nicht einmal einen Ansatz dazu gemacht hat, eines seiner Liedern zu orchestrieren. Er wäre mühelos dazu in der Lage gewesen.


    Ich bleibe dabei: Das Schubertlied geht durch eine Orchestrierung seiner künstlerischen Aussage verlustig, und zwar deshalb weil es als genuines Klavierlied gedacht und komponiert wurde. Das gilt übrigens gleichermaßen auch für die Lieder Schumanns und all der anderen Komponisten, die bei der Erschaffung ihrer Lieder gleichsam klavierliedmäßig gedacht haben. Es gilt nicht für Mahler. Der dachte a priori orchestral, - auch beim Klavierlied-Komponieren. Was zur Folge hatte, dass das Klavier bei ihm von vornherein eine andere Funktion übernimmt als bei Schubert.

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  • Lieber Helmut,


    im Prinzip gebe ich Dir natürlich recht. Das Problem der Transkription ist aber sowohl musikhistorisch als auch ästhetisch ein hoch kompliziertes. Vor dem 17. Jhd. rechnete man die Orchestrierung überhaupt nicht zum Werk, sondern zur Aufführungspraxis. Das erklärt letztlich, warum selbst J. S. Bach sehr skrupellos alles Mögliche transkribierte (aus einem Orchester- wurde ein Orgelstück usw.) - sogar Transkriptionen von anderen Komponisten (Vivaldi) als Eigenkompositionen ausgab. Ferruccio Busoni, dessen Bach-Transkriptionen berühmt sind, war der Auffassung, daß die Partitur eines Komponisten selber schon eine Transkription sei - die nämlich eines musikalischen Gedankens. Deswegen darf man diese erste Transkription auch weiter transkribieren - so Busoni. Für ihn war das Werk also eine "Idee", welche in einer Partitur nur erscheint, mit dieser also nicht identisch ist. In diesem Geiste instrumentierte Gustav Mahler Schumanns Symphonien neu, weil er so glaubte, damit der "Idee" von Schumanns Werken gerechter zu werden. Die konkrete Instrumentierung hielt er wie Busoni für ein vergängliches historisches Kleid. Gegenüber seinen eigenen Symphonien dachte er übrigens genauso: Kommenden Generationen hat er ausdrücklich erlaubt, die Instrumentierung zu verändern. Eine Transkription ist natürlich so etwas wie eine Übersetzung in eine andere Sprache - d.h. verlangt immer sehr überlegte Veränderungen, weil es keine wörtliche Übersetzung gibt, die Sinn nur reproduziert. Bei einem Lied (einem Sonderfall) scheint mir das Problem zu sein, daß die Transkription ja auch die Singstimme einschließen müßte. In diesem konkreten Fall wird einfach nur das Klavier durch das Orchester ersetzt, die Singstimme aber unverändert gelassen. Das ist natürlich problematisch, denn Singstimme und "Begleitung" sind eng miteinander verzahnt, da kann man nicht einfach eine Seite "herausbrechen". Das hat wohl etwas Gewaltsames.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Der angesprochene Reiz ist für mich hier nicht erkennbar. Wenn schon experimentiert werden soll, finde ich es weit reizvoller, wenn die Singstimme durch ein Instrument ersetzt wird, wie es bei Honing und Maisky zu hören ist, weil Schuberts Musik in diesen Fällen erhalten bleibt.

    Lieber Hart,


    das setzt aber voraus, dass der Hörer mit dem Text sehr gut vertraut ist, sonst geht etwas von Schuberts Meisterschaft, Worte in Musik zu verwandeln, verloren.


    Und wenn schon, wie anscheinend für Einige hier, die Wahl der Tonart den Charakter des Liedes bestimmt, dann muss wenigstens die Wahl der Instrumente stimmen.
    Freilich, sollte das Hauptziel das Experiment sein, könnte man ja einen Sopran durch ein Fagott ersetzen und hören, was dabei rauskommt.


    Wer weiß, ein Hörer, der das Lied nicht kennt, urteilt vielleicht überraschen positiv darüber.

  • Ich glaube, verstanden zu haben, was hart meint, wenn er sagt: "...finde ich es weit reizvoller, wenn die Singstimme durch ein Instrument ersetzt wird,..."


    Es geht ihm um die Vernehmbarkeit der melodischen Linie, wie die Singstimme sie artikuliert. Die ist bei einem - im Klang der menschlichen Stimme ja sehr ähnlichen - Cello weitaus besser gegeben, als dies etwa bei einem Streichquartett der Fall ist. In diesem Fall wirkt die melodische Linie eher klangflächig und verliert auf dese Weise an der Kontur, die ihr Schubert verliehen hat.


    Gleichwohl gilt das, was hami1799 einwendet: Man muss den Text der Lieder kennen. Ist das nicht der Fall, bleibt eine solche Version der Lieder, wie Mischa Maisky sie präsentiert, ganz einfach stumm. Das gilt ja auch für die Klaviertranskriptionen von Franz Liszt. Der setzte übrigens bei seinen Aufführungen derselben voraus, dass den Hörern die Texte bekannt waren!

  • Es geht ihm um die Vernehmbarkeit der melodischen Linie, wie die Singstimme sie artikuliert. Die ist bei einem - im Klang der menschlichen Stimme ja sehr ähnlichen - Cello weitaus besser gegeben, als dies etwa bei einem Streichquartett der Fall ist.

    Richtig, lieber Helmut. Ich wollt Hart auch keinesfalls widersprechen.


    Das Cello (übrigens eines meiner Lieblingsinstrumente neben der Klarinette und dem Waldhorn) ist wie Du sagst, am ehesten dazu geeignet, eine Singstimme zu ersetzen.


    Ein großer Vorteil kommt noch hinzu: es klingt meistens sauberer.


    Ein gutes neues Jahr wünscht Dir
    hami1799

  • Deinen Beitrag, lieber hami1799, habe ich auch nicht so verstanden, als ob Du hart widersprechen wolltest. Ich meinerseits habe ja nur wiedergegeben, wie ich seinen Beitrag gelesen habe.


    Deine Liebe zum Cello kann ich sehr gut verstehen. Dieses Instrument hat einen wunderbar warmen, tatsächlich der menschlichen Stimme nahekommenden Klang.


    Ich sehe gerade: Ich habe mich wieder einmal tolpatschig benommen; ich hätte Dir auch ein gutes Neues Jahr wünschen sollen.
    Das hole ich jetzt um so inniger nach!

  • Ich habe mich wieder einmal tolpatschig benommen;

    Lieber Helmut,


    zwar drängt es mich, Dir heftig zu widersprechen, doch im Hinblick auf Deine gehaltvollen und interessanten Beiträge sowie meine eigene körperliche wie geistige Unreife, will ich diese Respektlosigkeit unterlassen.
    Auch hat einer meiner Lehrer schon vor über 60 Jahren so treffend bemerkt: "dir ist so wie so nicht mehr zu helfen".


    Übrigens, wieder kein Schubert beim Neujahrskonzert. Ist der in Österreich unbekannt?

  • Al ich den letzen Beitrag von hami1799 las, ahnte ich, dass auf seine letzte Anmerkung - jede Wette! - eine Reaktion kommen würde. Und so war´s!
    Also denn:
    Schubert - und der ist ja das Thema hier - ist natürlich in Österreich alles andere als "unbekannt". In seinem Hugo Wolf-Buch von 2003 beklagt Fischer-Dieskau dieses Unbekannt-Sein aber hinsichtlich Hugo Wolfs. Und das wohl zu Recht.


    Er merkt an:
    "In den Statistiken österreichischer Konzerte etwa rangiert Wolf erst an fünfter Stelle, nach Schubert, Brahms, Schumann und Strauss - eigentlich eine absurde Position."

    Wohlgemerkt: Dieses Zitat bringe ich hier nicht, weil mir Hugo Wolf zur Zeit am Herzen liegt, sondern mit Blick auf Franz Schubert. Er steht in dieser Statistik an erster Stelle. Und die hat er, wie ich gerne bekenne, auch verdient. Bei aller Liebe, die ich zu Hugo Wolf hege.


  • Eigentlich war es nicht beabsichtigt, dass die Musicbanda Franui einmal im Rahmen der Salzburger Festspiele auftreten sollte. Der Gründer Andreas Schett sagt: „Das Ensemble entstand ohne die Absicht, bei internationalen Festivals zu reüssieren. Wir waren ein paar Freunde, die gemeinsam Musik machen wollten." Eine Sozialarbeiterin, ein Hochschullehrer für Musik, eine Schriftstellerin und ein Münchner Philharmoniker hatten sich zusammengefunden. Mit Hackbrett, Harfe, Klarinette, Kontrabass, Akkordeon, Tuba, Geige, Posaune, Trompete und Saxofon zogen sie als junge Leute mit etwas schräg klingenden Trauermärschen über die heimatlichen Friedhöfe. Die Mitglieder von Franui. spielen seit etwa 20 Jahren zusammen.
    »Franui« heißt eine Almwiese unterhalb der Kreuzspitze in Innervillgraten (Osttirol). Die Wiese liegt auf etwa 1400 Meter Seehöhe in einem Nebental.



    Diese CD ist hier eingestellt, weil es in diesen Thread passt, aber es sei darauf hingewiesen, dass Franui sich auch der Lieder von Brahms und Mahler angenommen hat, was man dann doch auch noch optisch zeigen sollte, weil ja auch hier Schubert gespielt wird.
    Die »Süddeutsche Zeitung« schrieb über die 2007 erschienenen Schubert-Lieder: "Eine Dorfmusik bearbeitet dreist ein Herzstück der klassischen Liedkunst und führt so zurück an seine Inspirationsquellen.“[/align]

  • Zit.: "Eine Dorfmusik bearbeitet dreist ein Herzstück der klassischen Liedkunst und führt so zurück an seine Inspirationsquellen.“


    Also wenn das mal kein gewaltiger Irrtum ist. Schuberts Lieder haben mit "Dorfmusik" nichts, aber auch wirklich überhaupt nichts zu tun. Sie sind das Gegenteil, nämlich hochartifizielle Produkte mit einer in ihrer jeweiligen Faktur fassbaren künstlerischen Aussageabsicht. Das gibt´s also nichts "zurückzuführen". Dass Schubert von der "Volksmusik" im musikalischen Sinne zehrt, hat zwar Auswirkungen auf die Struktur seiner Melodik, diese ist aber dann im konketen Fall ausschließlich vom lyrischen Text geprägt und insofern auch "inspiriert". Was alles so in Zeitungen über Musik-Produktionen geschrieben wird!


    Aber ich will nicht schon wieder meckern (und hart möge sich bitte nicht kritisiert fühlen!). Ich glaube, man muss diese Muisk von "franui" so nehmen, wie sie gemeint ist: Es ist aus meiner Sicht ein Versuch, Schubertlieder mit anderen Mitteln musikalisch zu interpretieren. Man kann das deutlich hören. Es wird jeweils eine der Aussage des Liedes gemäße "Orchestrierung" gewählt. So klingt zum Beispiel "Über allen Gipfeln" wie eine ruhige Blasmusik vom Kirchturm herab, während die "Taubenpost" als lustige Tanzmusik mit Ziehharmonika-Einsatz zu vernehmen ist.


    Aber da liegt ja nun genau das Problem: So lustig ist dieses Lied doch gar nicht! Und bei einem Lied wie "Der Doppelgänger" geht die Sache völlig daneben!

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