2013 - Wer war denn eigentlich dieser Richard Wagner?

  • Holger war der Ansicht, "Das Judentum in der Musik" enthalte keine Tiraden. Ich habe mich dagegen verwehrt und Beispiele gebracht.
    Ich bin auch der Meinung, dass Wagners Pamphlet von niemandem ernst genommen werden kann, der nicht schon im Voraus seine Position in diesem Sinne bezogen hat. Daher denke ich, dass seine Wirkung überschätzt ist. Das Dritte Reich ist keine Schöpfung Wagners und ich kann mich nicht erinnern, dass der Name Wagner in den Hetzreden Joseph Goebbels´ oft zitiert wurde.

    Ich bringe demnächst mal ein Beispiel, wo Du den stilistischen Unterschied sehen kannst. Wagners Stil wirkt geradezu eiskalt objektivistisch (um nicht zu sagen zynisch) gegen die emotional-gefühlsbetonten Eskapaden der Leser und Bewunderer seiner Schrift. Wagner hat mit diesem Text Politik betrieben und auf diese Weise die Anhänger und Deutschnational-Gleichgesinnten um sich versammeln und für seine Sache einnehmen wollen. Das ist schlimm genug und duldet keine Verharmlosung. Ein totalitäres Regime lebt von der Schnittmenge ansonsten weit auseinander driftender Weltanschauungen und kaum vereinbarer Meinungen. Eine dieser Schnittmengen war die Bewunderung für Wagner und seinen Antisemitismus - wozu Bayreuth in dieser Zeit einiges beigetragen hat.


    Beste Grüße
    Holger

  • Der Teilnehmer an dieser Diskussion mit dem Namen "Yorick" qualifiziert diese als „uferlos“ und plädiert mit der Frage „Was soll man da noch diskutieren? für eine Beendigung derselben. Das wäre in der Tat längst angebracht gewesen, da die Tatsache, dass Richard Wagner laut Aussage einschlägiger Publikationen ein Antisemit war, dies aber die musikalische Qualität seiner Kompositionen in keiner Weise tangiert, für jeden um Objektivität bemühten Teilnehmer an den Beiträgen zu diesem Thread längst klar war und als „abgehakt“ betrachtet werden konnte. Zur „Person Richard Wagner“ ist schließlich noch mehr zu sagen, als dass er Antisemit war.


    Warum das hier nun - zunächst einmal - aber wirklich kein Ende finden kann und darf, das hat allein das Tamino-Mitglied „Yorick“ zu verantworten. So jedenfalls ist das meine Sicht der Dinge, der ich den Verlauf dieses Threads sehr aufmerksam verfolgt habe. Der Grund liegt – ebenfalls wieder aus meiner Sicht – in einer gleichsam doktrinären Wiederholung einer immer gleichen Deutung und Beurteilung von Wagners Antisemitismus, die auf eine Entlastung von persönlicher Schuld hinausläuft. Dies mit dem Argument, dass Wagner in eben dieser fragwürdigen Haltung einer von vielen, ja einer Mehrheit der Deutschen, gewesen sei, und dieser sein Antisemitismus deshalb, weil er in keinerlei Kontinuität zum historisch späteren sog. „eliminatorischen Antisemitismus“ stehe, nicht wirklich verwerflich, weil ohne große Folgewirkung sei.


    Diese Deutung und Beurteilung von Wagners Antisemitismus ist historisch nicht haltbar. Ich möchte hierbei nicht die radikale Position eines Daniel Goldhagen einnehmen, sondern stütze mich auf die geschichtswissenschaftliche Literatur, die sich von allen politischen Implikationen freizuhalten versucht. Und da ergibt sich folgendes Bild.


    Es ist richtig, dass ein Richard Wagner die Position eines eliminatorischen Antisemitismus noch nicht vertreten hat. Gleichwohl lässt sich eine historische Kontinuität in der Entwicklung desselben feststellen. Es ist also keineswegs so, dass man diesbezüglich gleichsam einen Schnitt vornehmen könnte, - in dem Sinne, dass der eine Antisemitismus mit dem anderen nichts zu tun habe. Die Sachlage stellt sich vielmehr folgendermaßen dar.


    Nach 1860 kommen zu dem – schon sehr alten – Antijudaismus drei neue Faktoren hinzu. Dieser wurde
    - mit den Elementen der neuen Rassentheorie auf eine pseudowissenschaftliche Ebene gehoben, damit rassistisch und in einer neuen Qualität gefährlich;
    - über den Pogrom hinaus in Gestalt von Verbänden und Parteien politisch organisiert;
    - mit dem Prinzip des „Sündenbocks“ für alle angeblich gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Fehlentwicklungen verknüpft.


    Genau in diesem letzten Punkt enthüllt sich die – hier von dem einen Diskussionsteilnehmer beharrlich geleugnete! – Kontinuität, die zwischen dem „kulturellen“ Antisemitismus eines Richard Wagner und jenem besteht, der als „eliminatorischer“ in der Zeit des „Dritten Reiches“ eine historisch singuläre Katastrophe anrichtete.


    Richard Wagner steht in der Kontinuität einer historischen Entwicklung, in der „der Jude“ zur Symbolfigur einer verhassten Modernisierung wurde, einer Rasse, der man die „Pathologie der zeitgenössischen Gesellschaft“ (H-U.Wehler) anlastete und die am Ende dieses Prozesses zum „jüdischen Parasiten“ wurde, der angeblich die Vernichtung verdient hat.


    Anmerkung:
    Ich hätte diesen Beitrag zu diesem – nun wirklich mit diesem Thema regelrecht gequälten(!) - Thread nicht verfasst, könnte ich mich mit einer hier beharrlich immer wieder aufs Neue vorgebrachten und vertretenen Deutung des Antisemitismus von Richard Wagner abfinden. Sie ist aus meiner Sicht aus guten geschichtswissenschaftlichen Gründen unhaltbar. Und deshalb muss ihr hier widersprochen werden.

  • Ich bringe demnächst mal ein Beispiel, wo Du den stilistischen Unterschied sehen kannst. Wagners Stil wirkt geradezu eiskalt objektivistisch (um nicht zu sagen zynisch) gegen die emotional-gefühlsbetonten Eskapaden der Leser und Bewunderer seiner Schrift.


    Nun bezeichnet der Begriff "Tirade" ja kein Stilmittel, sondern den Inhalt einer Aussage.


    Was die Verantwortung betrifft, bin ich der Meinung, dass ein erwachsener und geistig nicht behinderter Mensch in einer freien Gesellschaft selbst für seine Handlungen verantwortlich ist, dass Wagner Schützenhilfe geleistet hat, habe ich schon erwähnt, doch in die Zukunft weisende Schuldzuweisungen sind für mich reine Spekulation. Ebenso gut könnte man Karl Marx für Stalins Schreckensherrschaft verantwortlich machen. Im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess wurde, soviel ich weiß, nicht auf Wagner verwiesen.


    Und warum sollte eine noch so fehlgerichtete Verteidigung Wagners eine Verharmlosung des Antisemitismus bedeuten? Das entspricht jedenfalls nicht meinen Vorstellungen eines logischen Schlußsatzes.


    Um noch einmal zum Thema zurück zu kommen: Die Frage, wer war eigentlich dieser Richard Wagner, findet ohne die Analyse seiner Motive keine befriedigende Antwort. Dazu habe ich schon Einiges gesagt, eine Reaktion darauf ist bisher aber ausgeblieben.


    Beste Grüße

  • Was die Verantwortung betrifft, bin ich der Meinung, dass ein erwachsener und geistig nicht behinderter Mensch in einer freien Gesellschaft selbst für seine Handlungen verantwortlich ist, dass Wagner Schützenhilfe geleistet hat, habe ich schon erwähnt, doch in die Zukunft weisende Schuldzuweisungen sind für mich reine Spekulation. Ebenso gut könnte man Karl Marx für Stalins Schreckensherrschaft verantwortlich machen. Im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess wurde, soviel ich weiß, nicht auf Wagner verwiesen.

    Schuld am Nationalsozialismus im moralischen Sinne hat Wagner sicher nicht, ebensowenig, wie Marx schuldig ist wegen Stalin. Aber doch so etwas wie historische Verantwortung kommt beiden sehr wohl zu der Folgen wegen, welche die Ideologien gezeitigt haben, welche sie in die Welt setzten. (Die Unterscheidung von Schuld und historischer Verantwortung stammt von Karl Jaspers.)


    Beste Grüße
    Holger

  • Zitat Accuphan:


    "..... nimmt meine Wahrnehmung einiger Mitglieder und das "Gefühl" zu Tamino hier eine unschöne Wendung.
    Ich werde mich in die Diskussion über Wagner nicht einmischen und überlasse das Feld allen anderen.
    Im Übrigen freue ich mich beim Lesen sehr über die Beiträge von Holger Kaletha, Felix Meritis, Helmut Hofmann."


    Nun hoffe ich ja, nicht auch noch zu den unschön wahrgenommenen Mitgliedern zu gehören.
    Ich muss zugeben, dass mein Schwerpunkt bei der Musik ist, ich also inhaltlich nicht auf dem Niveau der historisch hier ganz offensichtlich sehr bewanderten Kontrahenten mitdiskutieren kann, weshalb ich mich in diesen Bereich des Wagner-Themas ebenfalls nicht einmischen möchte. Desweiteren muss ich zugeben, dass ich trotz aller ins Persönliche ausufernden (und dann gleich auch immer so verbissenen) Streitereien durchaus auch wissenwerte und interessante Aspekte und Gedankenanstösse zur historischen Figur des Richard Wagner in diesem Thread entdecken konnte, mit allen durch die Autoren mitschwingen Färbungen natürlich.


    Mein Beitrag möchte ich als Einschub sehen, ohne die Diskussion stören zu wollen.
    Es ergeben sich für mich jedoch aus der bisherigen Diskussion eine Reihe von Fragen, deren Beantwortung zwar die Vorgaben des Threads sprengen würde, aber ggf. an anderer Stelle wieder aufgenommen werden könnten. Ich poste meine Gedanken hierzu einmal also als Anregung zum Nachdenken über das Thema Wagner, Moral und Ästhetik in der Kunst und wie man als Einzelner dazu steht- vielleicht findet es ja irgendjemand interessant:


    1. Sollte man bei der Beantwortung der Frage, wer denn dieser Wagner eigentlich war, nur sachlich und nüchtern versuchen, die relevanten Fakten zu beleuchten (und zwar sowohl aus zeithistorischer als auch aus heutiger Sicht in Bezug auf die Einflüsse und Auswirkungen Wagners auf seine Nachwelt bis heute)?
    Oder sollte bzw. müsste man hier gleich eine persönliche, moralische (also im Sinne von Gut und Böse) Bewertung mitliefern? In diesem Fall hätte der gleichzeitige Berichtende und Bewertende ja gewissermassen die Position eines posthumen Richters inne (i.S.v. "Urteil der Geschichte"), während Wagner sozusagen vor Gericht stünde, der ggf. entlastende oder belastende Argumente und Beweise von Seiten der Kläger und der Verteidiger bräuchte, die wiederum von der "Gegenseite" als nicht stichhaltig verworfen werden...
    Wäre es also legitim, die Position des moralischen Richters einzunehmen, bzw. steht uns das zu?


    2. Wenn man denn negative Aspekte an der Person Wagners sachlich anerkennen muss ( und das muss man wohl) - wie gehe ich damit um? Was für Konsequenzen hat das jetzt für mich als Musiker und Hörer?
    Ich habe irgendwo etwas von einem Historiker gelesen (weiss jetzt nicht ob es Joachim Köhler mit seiner Prophet und Vollstrecker-These war, oder ein anderer), dessen Argumentation letztlich dahinging, dass er selbst das Hören und Spielen dieser Musik für sich schon ablehnte, und - jetzt kommt es- dies auch am liebsten bei anderen Menschen gern so sähe. Wagners Anhänger würden sich gewissermassen Entlastungsargumente hinbiegen, nur um ihr Gewissen sozusagen gleich mitzuentlasten.


    3. Wenn man denn nun von der Musik Wagner begeistert ist: Warum denn eigentlich? Bin ich damit schon von Dingen begeistert, die historisch gesehen einen (wenn nicht den) grössten Verbrecher der Weltgeschichte ebenfalls begeisterten, bzw. von diesem gewissermassen als kulturideologische Grundlage zu den schlimmsten Greueltaten der Menschheitsgeschichte hergenommen wurden, und ist das schlimm?


    Diese Frage könnte ich natürlich rein musikalisch beantworten, und auf die Themen Melodik, Motivik, vor allem Harmonik, Klang, Spannungsbögen (bei Wagner wirklich ein Thema!) eingehen, aber das wäre wieder ein für Musiker äusserst interessantes Thema für sich. Hier meine ich aber, was durch die Ästhetik dieser Musik (auch) ausgedrückt wird, was aus den Noten hervorgeht, also das Erhabene, Überwältigende, erfülltes und nicht hohles Pathos, das Heroische, Nebelschwaden, "Weihrauch", das Mythische, das Schwebende, das Ozeanisch-Majestätische und noch viel mehr, wie natürlich auch das Zarte, Innige, Warme, Hingebung, Liebe..... Das alles zusammen macht ja das Rauschhafte auch mit aus, das manche Wagnerianer so lieben. Hier könnte man noch die ästhetische Diskussion anschliessen, wie man generell zu geradezu tempelhaften "Klanggebäuden" steht, die ich übrigens auch bei Brucknerschen Passagen höre, nur eben doch anders und nur manchmal ähnlich.


    Und hieran schliesst sich auch die Frage an, ob ich damit ggf. schon "das Falsche" gutfinde, bzw. ob diese moralischen Kriterien der Kunst aufzuerlegen sind, eben aufgrund der Tiefpunkte in der deutschen Geschichte.
    Noch weiter kann man fragen, ob es Parallelen zur Wagnerischen Ästhetik in der Architektur gibt, und wenn ja, welche? Kann man die im Schloss Neuschwanstein sehen oder vielleicht schon bei solchen gewaltigen (und vielleicht zum Glück nie realisierten) Gebäuden wie dem Entwurf zur "Grossen Halle in Berlin" von Speer? Ist also der sozusagen schon ein schlimmer Hund, der in sich einen Geschmack für die Erhabenheit bzw. sogar das Gigantische entdeckt (ohne deswegen zwangsläufig selbst irgendwie konservativ, rechts oder gar faschistisch zu sein)?


    4. Könnte man u.a. am Beispiel Wagners festmachen, dass es Dinge in der Kunst gibt, die man mögen und lieben kann (im Bereich der Kunst also "gut" und "schön" sein können) , die aber - und das lehrt wohl die Geschichte- besser genau in jenem Bereich der Kunst verbleiben sollten, weil sie bei dem Versuch, so etwas in die Realität zu übertragen, zur Katastrophe führen können?


    Vielleicht täusche ich mich ja sehr, aber ich finde, dass diese Fragen bei den Diskussionen dieses Threads immer auch mitschwingen. Man kann hier natürlich nicht darauf im Detail eingehen, weil das die scheinbar simple Frage, wer denn nun Wagner war, übersteigt. Der Streit entstand m.E. aber auch deswegen, weil diese Aspekte im Hintergrund unterschwellig vorhanden sein mögen.


    Ich lege Wert auf die Feststellung, dass meine Fragen nicht rhetorischer Art sind, sondern schon echte Fragen, bei deren Beantwortung ich mir selbst nicht sicher bin, obwohl ich Wagners Musik sehr liebe. Ein gereiftes Meinungsbild über eine Person oder auch seine Kunst kann man aber doch nur bekommen, wenn man sich traut, sich selbst erst einmal Fragen zu stellen.


    Übrigens habe ich zum Thema "Wagner und ich" noch einen lesenwerten Link entdeckt, bei dem zwei berühmte Dirigenten ihre Erfahrungen aus der Praxis mitteilen:


    http://www.zeit.de/2013/02/Ric…mon-Rattle-Andris-Nelsons


    Gruss
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Schuld am Nationalsozialismus im moralischen Sinne hat Wagner sicher nicht, ebensowenig, wie Marx schuldig ist wegen Stalin. Aber doch so etwas wie historische Verantwortung kommt beiden sehr wohl zu der Folgen wegen, welche die Ideologien gezeitigt haben, welche sie in die Welt setzten. (Die Unterscheidung von Schuld und historischer Verantwortung stammt von Karl Jaspers.)


    Ich bin zwar kein Historiker, aber "funktioniert" der Begriff der historischen Verantwortung nicht etwas anders? - Wie könnten Wagner oder Marx für etwas verantwortlich gemacht werden, was für beide bei bestem Willen und aller Weitsicht nicht absehbar gewesen ist? Vielmehr könnte man bei den Nachfahren Wagners die Übernahme einer historischen Verantwortung anmahnen.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Wagners Größe reicht offenbar doch nicht, um seinen strategischen Antisemitismus aufzuheben in einer höheren geistigen Ordnung.


    Ich greife hier einmal Yoricks These auf, wonach Wagner in die Geschichte der abendländischen gesellschaftlichen Emanzipation gehöre. Bezogen auf den Tristan könnte man immerhin annehmen, unsere versachlichte Rechtfertigung jedweder Sexualität sei kaum denkbar ohne Wagner und Schopenhauer.


    Tatsächlich aber verzeichnet Wagner im Tristan die Auswirkung der Sexualität im Sinne einer bloß imaginierten, daher zulätzt imaginären und ästhetisch überhöhten Seelengewalt, von der loszukommen ein so tödliches wie reputierliches Unterfangen sei. Im Victorianismus, ob nun bayerisch-katholischer oder preußisch-protestantischer Prägung, mag eine Konzeption wie im Tristan zur Not überzeugen (ich fand es stets bemerkenswert, wie Ludwig II. ein so glühender Wagnerianer werden konnte). Emanzipatorisch aber scheint mir der Tristan eher suspekt, pflegt er doch eine Komplizenschaft mit dem religiösen Diskurs der Sexualitätskriminalisierung, skizziert einen dämonischen Eros, der Don Giovanni zum Waisenknaben macht, und hat zudem mit den Verächtern des Leiblichen gemein, daß das Triebhafte nicht Teil des animalisch Lebendigen ist, sondern ein (implizit bloß vorgestelltes) Produkt der Abspaltung vom Dasein, ein ins Doppelleben getriebenes Heimliches und Heilloses. Die schwarz romantische Bejahung der Hysterie schützt noch nicht vor den bekannten Folgen.


    Der Umschlag der liebestollen Isolde zur Assunta erinnert an den Umschlag der brünstigen Brünnhilde zur schwarzen Witwe. Wagners Humanismus hat einen Beigeschmack.


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Wem bei „Rienzi“ lediglich sofort einfällt, dass die Oper laut „Mein Kampf“ den Führer bewog, eine politische Laufbahn einzuschlagen; wem die „Götterdämmerung“ suspekt ist, weil es die Lieblingsoper Hitlers war und er sie regelmäßig in Bayreuth mit Winifred zusammen sah; wer den „Lohengrin“ ablehnt, weil er Führerfiguren propagierte, obwohl man nach der Logik auch die „Ilias“ des Homer (Achill, Hector etc.) verbieten müsste; wem beim „Ring“ das mythologisch-germanische Element verdächtig ist, obwohl er genauso gut griechischen und christlichen Mythen verpflichtet ist; wer den „Meistersingern“ Deutschtümelei vorwirft und dem „Parsifal“ christlich-reaktionäre Tendenzen – ja dem ist dann wirklich nicht mehr zu helfen.

    Rienzi: einzige deutsche Grand Opera, von der immer noch eine wirkliche GA fehlt.
    Götterdämmerung: die schwächste Ring-Oper
    Lohengrin: das Lied vom gebratenen Schwan aus den Carmina Burana
    Der Ring: ein allegorisches Welttheater, das sowohl als Opernzyklus, als auch als auch rein literarisch funktioniert.
    Die Meistersinger: ein viereinhalb Stunden langer Witz ohne Pointe.
    Parsival: das Hohelied der Sozialdemokratisierung


    Das ist das, was mir zu diesen Opern einfällt. Erstaunlich ist eigentlich nur, was dir dazu immer einfällt! :hahahaha:



    John Doe

  • Noch weiter kann man fragen, ob es Parallelen zur Wagnerischen Ästhetik in der Architektur gibt, und wenn ja, welche? Kann man die im Schloss Neuschwanstein sehen oder vielleicht schon bei solchen gewaltigen (und vielleicht zum Glück nie realisierten) Gebäuden wie dem Entwurf zur "Grossen Halle in Berlin" von Speer? Ist also der sozusagen schon ein schlimmer Hund, der in sich einen Geschmack für die Erhabenheit bzw. sogar das Gigantische entdeckt (ohne deswegen zwangsläufig selbst irgendwie konservativ, rechts oder gar faschistisch zu sein)?


    Lieber Glockenton,


    das sind viele wichtige und Ernst zu nehmende Fragen, die ich alle nicht auf einmal beantworten kann - deshalb mache ich es peu a peu. Der Vergleich von Wagners Musik mit der Architektur ist in der Tat gemacht worden, und zwar von dem berühmten Kunsthistoriker und Barockforscher Heinrich Wölfflin. Er vergleicht die Wirkung einer Barockfassade, ihre dynamische Lichtführung mit Wagnerscher Chromatik und zieht natürlich auch Parallelen zur erhabenen Monumentalität. Zwischen Architektur und Musik sind in der Tradition immer wieder Vergleiche angestellt worden, das ist nicht neu. Mit kitschiger Monumentalität wie der von Speer würde ich Wagner nicht vergleichen. Da halte ich es mit Wölfflin: Barocke Monumentalität muß nicht Kitsch bedeuten und Wagners Musik erlebe ich auch nicht so. Dann wäre ja eine Bruckner-Symphonie noch kitschig-monumentaler, was natürlich absurd ist. :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Ich bin zwar kein Historiker, aber "funktioniert" der Begriff der historischen Verantwortung nicht etwas anders? - Wie könnten Wagner oder Marx für etwas verantwortlich gemacht werden, was für beide bei bestem Willen und aller Weitsicht nicht absehbar gewesen ist? Vielmehr könnte man bei den Nachfahren Wagners die Übernahme einer historischen Verantwortung anmahnen.

    Schon Aristoteles argumentiert: Man ist nur für die Folgen einer Handlung schuldhaft verantwortlich, die man auch absehen kann. Den Begriff der historischen Verantwortung hat Jaspers auf uns als Deutsche bezogen, die wir in Bezug auf den Holocoust Nachgeborene sind. Das ist Teil unserer Geschichte und damit müssen wir gewissenhaft umgehen und es verpflichtet uns für unser zukünftiges Handeln. Genauso muß ein Politiker oder Autor oder Satiriker, der um die Wirkung seiner Werke weiß, das verantwortlich berücksichtigen. In einer aufgeheizten Stimmung kann die Veröffentlichung einer Satire u.U. Tote nach sich ziehen. Da muß sich der Künstler fragen: Kann ich das verantworten? Dasselbe gilt für Wagner. Er muß davon ausgehen, daß eine solche antisemitische Schrift politisch wirkt und wenn er sie in die Welt setzt, dann kann man ihn davon auch nicht freisprechen, wenn sie Andere für ihre Zwecke benutzen. Das hat er dann billigend in Kauf genommen.


    Beste Grüße
    Holger

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  • Ich habe irgendwo etwas von einem Historiker gelesen (weiss jetzt nicht ob es Joachim Köhler mit seiner Prophet und Vollstrecker-These war, oder ein anderer), dessen Argumentation letztlich dahinging, dass er selbst das Hören und Spielen dieser Musik für sich schon ablehnte, und - jetzt kommt es- dies auch am liebsten bei anderen Menschen gern so sähe.


    In einer Dokumentation über einen Dirigenten (war es Barenboim?), in der jener trotz israelischer Wurzeln über seine Liebe zu Wagner sprach; interviewte man auch Joschka Fischer und der sprach genau so, dass er Wagner deswegen nicht hören könne und auch anderen davon abrate. Nun verwundert das bei so einem Salonlinken und Wohlstandsgrünen, einem Ableger der doppelmoralischen 68er und Verräter an seinen eigenen Idealen wenig; aber es verweist auf eine Tendenz.


    Deine Ausführungen übrigens sind ganz hervorragend; du bist doch noch gar nicht so alt und schreibst und argumentierst dennoch schon meisterlich. Allerdings bezweifle ich, dass ihnen viel Erfolg beschieden sein wird. Übrigens brauchst du keine Unterwürfigkeits- und Demutsgesten vorschalten, das hast du nicht nötig.

  • Ich greife hier einmal Yoricks These auf, wonach Wagner in die Geschichte der abendländischen gesellschaftlichen Emanzipation gehöre.


    Also daran, lieber Farinelli, würde ich mich erinnern! :) So etwas habe ich nicht einmal ansatzweise geschrieben! 8-) Oder habe ich da den Deutobald Symbolizetti Allegoriowitsch Mystifizinsky geweckt? ;)

  • Damit wäre doch alles zu deiner Kompetenz hier gesagt;: es ist schön, dass du sich selbst demaskierst! :) Beim "Rienzi" muss ich dir freilich beinahe Recht geben ...

  • In diesem Fall hätte der gleichzeitige Berichtende und Bewertende ja gewissermassen die Position eines posthumen Richters inne (i.S.v. "Urteil der Geschichte"), während Wagner sozusagen vor Gericht stünde, der ggf. entlastende oder belastende Argumente und Beweise von Seiten der Kläger und der Verteidiger bräuchte, die wiederum von der "Gegenseite" als nicht stichhaltig verworfen werden...
    Wäre es also legitim, die Position des moralischen Richters einzunehmen, bzw. steht uns das zu?

    Selbstverständlich steht uns das zu - freilich nicht im juristischen Sinne (Wagner ist schließlich keine lebende Person), sondern im moralischen Sinne. Wenn wir unterstellen können, daß dieselben moralischen Prinzipien, die für uns gelten und einsichtig sind, auch für Wagner und seine Zeit einsichtig waren und gegolten haben, dann darf unsere Vernunft sagen: Wagner hat sich moralisch in diesem oder jenem Fall den Dokumenten nach zu urteilen schuldig gemacht, gelogen usw. Es ist also nicht illegitim, solche moralischen Bewertungen in eine historische Betrachtung einfließen zu lassen.


    Schöne Grüße
    Holger

  • 3. Wenn man denn nun von der Musik Wagner begeistert ist: Warum denn eigentlich? Bin ich damit schon von Dingen begeistert, die historisch gesehen einen (wenn nicht den) grössten Verbrecher der Weltgeschichte ebenfalls begeisterten, bzw. von diesem gewissermassen als kulturideologische Grundlage zu den schlimmsten Greueltaten der Menschheitsgeschichte hergenommen wurden, und ist das schlimm?

    Das hat mal Marcel Reich-Ranicki gehen Yehudi Menuhin eingewandt, daß er die Wirkung von Musik zu idealistisch-humanistisch sieht. Es ist in der Tat irritierend, daß sich solche Verbrecher an dieser Musik berauscht haben. Aber Musik an sich ist eben nicht moralisch, sondern "jenseits von gut und böse". Es gibt Komponisten, die daraus Konsequenzen gezogen haben und deshalb Musik komponiert haben, die ganz bewußt "abstrakt" ist und auf jede Art von Wirkungsrhetorik verzichtet. Das ist die serielle Musik nach dem 2. Weltkrieg.


    Beste Grüße
    Holger

  • Erschwerend tritt hinzu, dass das zumindest öffentlich gebetsmühlenartig postulierte Selbstverständnis unserer offenen, demokratischen, freiheitlichen mulitkulturellen Gesellschaft den Grundlagen Wagnerscher Musik nicht ferner sein könnte, weil jener natürlich in Strömungen des 19. Jahrhunderts wurzelt, die man heute nur noch ungern als Teil des zivilisatorischen Prozesses anerkennt, der ohne viele Um-und Irrwege auch zu uns führt.


    Darauf bezog ich mich, verehrter Yorick...


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!


  • Den schon krankhaft zu nennenden Wahn, im User Yorick den Alleinschuldigen für alles sehen zu wollen, kann man beinahe als Symbol für unser Problem hier nehmen. Das erinnert fatal an diverse Schuldzuweisungen an Kriegsausbrüchen! Und nein, HH, du hast eben nicht Recht! Deine hier behauptete Kontinuität ist unwissenschaftlich und ahistorisch und wer nach wie vor behauptet, eine objektive Sicht Wagners laufe auf Entlastung hinaus, hat trotz seines Alters immer noch nichts begriffen. Was mich aber wirklich amüsiert, ist die Dreistheit, anderen doktrinäre Wiederholung vorzuwerfen, während man selbst nicht anderes tut, als immer wieder das Gleiche zu behaupten und noch dazu das Falsche!

  • Erschwerend tritt hinzu, dass das zumindest öffentlich gebetsmühlenartig postulierte Selbstverständnis unserer offenen, demokratischen, freiheitlichen mulitkulturellen Gesellschaft den Grundlagen Wagnerscher Musik nicht ferner sein könnte, weil jener natürlich in Strömungen des 19. Jahrhunderts wurzelt, die man heute nur noch ungern als Teil des zivilisatorischen Prozesses anerkennt, der ohne viele Um-und Irrwege auch zu uns führt.


    Darauf bezog ich mich, verehrter Yorick...


    :hello:


    Ah, ich verstehe; das ist interessant: Zunächst glaubte ich, dass wir unterschiedlich deuten, was man unter gesellschaftlicher Emanzipation zu verstehen hat; aber auf den zweiten Blick habe ich wohl weitergedacht, als zunächst angenommen. 8-) Du bist mir der rechte Geburtshelfer! Danke! :)

  • Und hieran schliesst sich auch die Frage an, ob ich damit ggf. schon "das Falsche" gutfinde, bzw. ob diese moralischen Kriterien der Kunst aufzuerlegen sind, eben aufgrund der Tiefpunkte in der deutschen Geschichte.

    Ein ästhetisches Erlebnis ist als solches autonom und nicht nach moralischen Kriterien zu beurteilen. Es gibt keine "unmoralische" Musik, wenn sie nicht selber irgendwelchen unmoralischen außermusikalischen Zwecken dient, was natürlich vorkommen kann durch die Wahl der Texte z.B. Wenn Wagners Texte antisemitische Konnotationen haben, dann ist es Sache der Regie, das kritisch offenzulegen. Und auch ein bestimmtes rhetorisches Pathos kann "falsch" werden durch den historischen Kontext der Rezeption, dann muß der Interpret das eben so interpretieren, daß es nicht mehr hohl klingt. Das geschieht ja auch faktisch.


    Beste Grüße
    Holger

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Dessen Reaktion gibt auch eine andere Seite der Folgen des Wagnerschen Antisemitismus wieder. Sie lässt auch vermuten, dass, wie schon gesagt, Wagner in seinen Ausfällen eher von Neid als von Überzeugung getrieben wird.
    Wie könnte man sonst jemandem, dessen Äußeres, Sprechweise und Gesinnung einem unerträglich ist, ausgerechnet die Uraufführung des Parsifal anvertrauen?
    Es ist auch nicht konsequent, Halévy in den Himmel zu loben und gleichzeitig den Juden jedwede Kreativität abzusprechen und ihnen zu bescheinigen, sie taugten allenfalls zum Nachäffen

    Lieber Hans,


    die Motivation für Wagners Antisemitismus im Detail aufzudröseln, wird uns wohl nicht gelingen. Selbstverständlich war Wagner auch von Neid getrieben, vor allem auf Meyerbeer, der ihm im Gegensatz zu Mendelssohn als erfolgreichster und beliebtester Opernkomponist Europas (als bekennender orthodoxer Jude!) auch im Wege stand. Der tatsächliche Anlass für die Erstpublikation von "Das Judenthum in der Musik" könnte tatsächlich auf seinen Ärger über die Entscheidung seiner Nichte (die er als Sängerin schätzte), nicht mehr für ihn sondern für Meyerbeer zu singen, zurückzuführen sein. Aber: der Anlass nicht der Grund. Wagner war bereits vorher Antisemit, wie seine antisemitische Operette "Männerlist größer als Frauenlist", die er 1838 in Riga komponierte, beweist. Zudem publizierte Wagner seine Schrift Ende der 1860er Jahre noch einmal, also zu einem Zeitpunkt als Meyerbeer nicht mehr lebte. Weiters versuchte er wiederholt Ludwig II. zu einer antisemitischen Politik zu überreden. Nein, Wagner war "Überzeugungstäter". Da helfen auch sporadische positive Aussagen über Halévy nicht. Über Mendelssohn hat sich Wagner übrigens sehr häufig positiv geäußert. Aus Cosimas Tagebüchern wissen wir, dass Wagner Mendelssohns Konzertouvertüren über alle Maßen schätzte (er zitiert diese auch immer wieder in seinen Opern oder Orchesterwerken). Was Mendelssohn "als Jude" angeblich nicht konnte, war Menschen und menschliche Schicksale darzustellen.

  • Damit wäre doch alles zu deiner Kompetenz hier gesagt;: es ist schön, dass du sich selbst demaskierst!

    Das gleiche hätte ich zu dir auch im entsprechenden Verdi-Thread sagen können.


    Ich kenne alle Wagner-Opern und erlaube mir den Luxus, dass mir von ihnen nicht jede gleich gut gefällt. Mehr noch, gerade die, die am höchsten besungen werden, sagen mir am wenigsten zu! Mein Nichtgefallen ist dabei völlig unbeeinflusst von irgendwelchen ideologischen oder moralischen oder sonstigen äußeren Elementen, sondern rein aus der Musik begründet. Ich lass mir nicht vorschreiben, was mir zu gefallen hat, genau so wenig, wie ich mir vorschreiben lasse, was mir nicht zu gefallen hat. Rienzi beispielsweise und Spaghetti mit Tomatensauce, die bekanntlich einem anderen, den ich gar nicht nennen mag, auch gut gefallen haben.


    Wenn du nun Wagner gleichsam zu deiner heiligen Kuh machst, bitte! Kein Problem! Aber für mich sind heilige Kühe halt auch nur Rindviecher, die man schlachten und verwerten oder sonst wie nutzen kann.


    Und weil ich so inkompetent bin, hier ein ganz inkompetenter Buchtipp auf eine Frage von dir:



    bei Amazon erhältlich für 1,70 EUR.


    Viele Grüße
    John Doe


  • Das gleiche hätte ich zu dir auch im entsprechenden Verdi-Thread sagen können.

    Ich habe nie behauptet, Verdi-Kenner zu sein; ich mag nur seine Musik nicht!



    Zitat

    Ich kenne alle Wagner-Opern und erlaube mir den Luxus, dass mir von ihnen nicht jede gleich gut gefällt. Mehr noch, gerade die, die am höchsten besungen werden, sagen mir am wenigsten zu! Mein Nichtgefallen ist dabei völlig unbeeinflusst von irgendwelchen ideologischen oder moralischen oder sonstigen äußeren Elementen, sondern rein aus der Musik begründet. Ich lass mir nicht vorschreiben, was mir zu gefallen hat, genau so wenig, wie ich mir vorschreiben lasse, was mir nicht zu gefallen hat. Rienzi beispielsweise und Spaghetti mit Tomatensauce, die bekanntlich einem anderen, den ich gar nicht nennen mag, auch gut gefallen haben.

    Das sei dir unbenommen, das steht dir frei! Ich habe aber auch nichts anderes behauptet!



    Zitat

    Wenn du nun Wagner gleichsam zu deiner heiligen Kuh machst, bitte! Kein Problem! Aber für mich sind heilige Kühe halt auch nur Rindviecher, die man schlachten und verwerten oder sonst wie nutzen kann.

    Du wirst nirgends einen Beleg dafür finden, dass Wagner für mich eine Heilige Kuh ist! Ich muss ihn nur leider mehr verteidigen, als mir lieb ist. Und wenn, wäre er ein Hund für mich!



    Zitat

    Und weil ich so inkompetent bin, hier ein ganz inkompetenter Buchtipp auf eine Frage von dir:



    bei Amazon erhältlich für 1,70 EUR.

    Tausend Dank, das hilft mir sehr weiter! Hatte mich schon gewundert, dass niemand einen Tipp hatte! Ich hatte das schon gesehen, hielt das aber für so etwas wie mein Buch von Dahlhaus über Wagners Musikdramen. Du hast einen gut bei mir!

  • Du wirst nirgends einen Beleg dafür finden, dass Wagner für mich eine Heilige Kuh ist! Ich muss ihn nur leider mehr verteidigen, als mir lieb ist. Und wenn, wäre er ein Hund für mich!

    Nein! Das ist ja der fatale Irrtum, der diese Diskussion auf so unselige Pfade leitet und vom Wesentlichen, das z.B. von Musikwanderer in bewundernswerter Geduld mehrfach angeführt wurde, ablenkt und die Person Wagners auf den antisemitischen Aspekt reduziert. (Apropos Rechtfertigung: Wer rechtfertigt sich eigentlich mal für den Eindruck, den dieses traurige Destillat den durch den Threadtitel angelockten Mitlesern vermitteln muss?). Je vehementer du Wagner verteidigst, umso mehr werden dir die widersprechen, die ihn unbedingt verurteilen möchten. Wahre Größe indes benötigt keine Verteidigung. Das wäre nur im juristischen Fall möglich, hier wird aber diskutiert, ob es sich um eine moralische Schuld handelt. Wirst du oder werden alle anderen Tamino-Wagnerianer deshalb weniger Wagner hören? Wohl kaum! Werden sich Künstler aller Nationen (inklusive der israelischen) davon abhalten lassen, Wagner zu interpretieren? Was für ein hirnrissiger Gedanke!
    Vielleicht passt dieserArtikel, in dem auch und gerade über jüdische Wagner-Verehrer gesprochen wird, ganz gut zu dieser Debatte.

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

  • Hier treffen wir denn auf den Punkt, der unsrem Vorhaben uns näherbringt: wir haben uns das unwillkürlich Abstoßende, welche die Persönlichkeit und das Wesen der Juden für uns hat, zu erklären, um diese instinktmäßige Abneigung zu rechtfertigen, von welcher wir doch deutlich erkennen, daß sie stärker und überwiegender ist, als sie unser bewußter Eifer, dieser Abneigung uns zu entledigen."

    Diese Textpassage ist nun mehr als eindeutig und entlarvend: Wagner ist Antisemit wider besseres Wissen. Als Sozialreformer, der er eigentlich ist, weiß er ganz genau, daß der Antisemitismus historisch längst obsolet ist - in religiöser wie in gesellschaftlich-politischer Hinsicht. Was als Grundlage für den Antisemitismus übrig bleibt, ist nicht anderes als eine persönliche Animosität.

    Zum besseren Verständnis: Im 1. Absatz dieses Zitates wird Wagner selbst zitiert.
    Die "persönliche Animosität" würde wohl juristisch als indiviueller Rassismus bezeichnet. Und dies sehe ich weitgehend losgelöst von seiner Musik.


    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Mit dem Verweis auf einen angeblich "harmlosen", nicht mörderischen Antisemitismus kann man gleich alle Deutschen nach 1933 die Generalabsolution erteilen, sie hätten schließlich von Auschwitz nichts gewußt und das auch nie so gewollt. So einfach kann man es sich nun wirklich mit der Geschichte nicht machen.

    Ein totalitäres Regime lebt von der Schnittmenge ansonsten weit auseinander driftender Weltanschauungen und kaum vereinbarer Meinungen. Eine dieser Schnittmengen war die Bewunderung für Wagner und seinen Antisemitismus - wozu Bayreuth in dieser Zeit einiges beigetragen hat.

    Der Teilnehmer an dieser Diskussion mit dem Namen "Yorick" qualifiziert diese als „uferlos“ und plädiert mit der Frage „Was soll man da noch diskutieren? für eine Beendigung derselben. Das wäre in der Tat längst angebracht gewesen, da die Tatsache, dass Richard Wagner laut Aussage einschlägiger Publikationen ein Antisemit war, dies aber die musikalische Qualität seiner Kompositionen in keiner Weise tangiert, für jeden um Objektivität bemühten Teilnehmer an den Beiträgen zu diesem Thread längst klar war und als „abgehakt“ betrachtet werden konnte. Zur „Person Richard Wagner“ ist schließlich noch mehr zu sagen, als dass er Antisemit war.
    Warum das hier nun - zunächst einmal - aber wirklich kein Ende finden kann und darf, das hat allein das Tamino-Mitglied „Yorick“ zu verantworten. So jedenfalls ist das meine Sicht der Dinge, der ich den Verlauf dieses Threads sehr aufmerksam verfolgt habe. Der Grund liegt – ebenfalls wieder aus meiner Sicht – in einer gleichsam doktrinären Wiederholung einer immer gleichen Deutung und Beurteilung von Wagners Antisemitismus, die auf eine Entlastung von persönlicher Schuld hinausläuft.

    Den Begriff der historischen Verantwortung hat Jaspers auf uns als Deutsche bezogen, die wir in Bezug auf den Holocoust Nachgeborene sind. Das ist Teil unserer Geschichte und damit müssen wir gewissenhaft umgehen und es verpflichtet uns für unser zukünftiges Handeln.

    (Incl. sagen und schreiben - meint zweiterbass)



    Es gibt keine "unmoralische" Musik, wenn sie nicht selber irgendwelchen unmoralischen außermusikalischen Zwecken dient, was natürlich vorkommen kann durch die Wahl der Texte z.B. Wenn Wagners Texte antisemitische Konnotationen haben, dann ist es Sache der Regie, das kritisch offenzulegen.

    (Oder "Deutschtümmelei" (Meistersinger) - die Regie in der Nbg.-er Inszenierung hat das getan - meint zweiterbass)



    :jubel::jubel::jubel: über die Zitate


    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Ich bin zwar kein Historiker, aber "funktioniert" der Begriff der historischen Verantwortung nicht etwas anders? - Wie könnten Wagner oder Marx für etwas verantwortlich gemacht werden, was für beide bei bestem Willen und aller Weitsicht nicht absehbar gewesen ist? Vielmehr könnte man bei den Nachfahren Wagners die Übernahme einer historischen Verantwortung anmahnen.

    Ich würde Dich gerne für diese Aussage zurechtweisen, finde aber beim besten Willen keinen Ansatz.


  • Zum besseren Verständnis: Im 1. Absatz dieses Zitates wird Wagner selbst zitiert.
    Die "persönliche Animosität" würde wohl juristisch als indiviueller Rassismus bezeichnet. Und dies sehe ich weitgehend losgelöst von seiner Musik.


    zweiterbass

    Das Problem im Umgang mit Wagner finde ich - das kommt hier bislang zu kurz finde ich - daß man Wagner nicht vom Wagnerianismus trennen kann. Wagner hat sich mit Bayreuth selbst eine Kult- und Pilgerstätte geschaffen. Und entsprechend dienen seine Schriften dazu, seine Musik zur Projektionsfläche für allerlei "außermusikalische" Bedürfnisse werden lassen: Stiftung eines deutschen Mythos und deutscher Musik, Bayreuth als Versammlungsort von allen möglichen antiliberalen Geistern kaisertreuer, völkisch-nationalistischer und antisemitischer Gesinnung. Bayreuth selbst hat diesen Kult gehegt und gepflegt. Weil Wagner selbst keine "absolute Musik" in diesem Sinne wollte, sondern eine, die eine kultur- und nationalitätsstiftende Funktion hat, wird man von diesen Projektionen geradezu verfolgt, man wird sie einfach nicht los. Dazu dient für mich die Auseinandersetzung mit einer solchen heiklen Schriften wie der über das Judentum in der Musik, um sich davon kritisch zu befreien - Wagner eben nur als Musiker sehen zu können. Selbst die Todessehnsucht und die Erlösung des Tristan sowie die Entsagung des Tannhäuser sind in dieser Hinsicht alles andere als unschuldig: was da in der Rezeptionsgeschichte alles an totalitären Untergangsphantasien hineinprojiziert wurde! Diese Problematik zeigt letztlich das Beispiel Barenboim und Israel: Wagner wird dort immer noch als "der" deutsche Musiker angesehen, an dem diese fatale Geschichte des NS-Verberechens klebt. Man kann da nicht so einfach sagen: Das ist doch nur Musik, weil Wagner selbst und die ihm treu dienenden Wagnerianer es partout so nicht sehen wollten, sondern eben mehr beanspruchten: Musik als Kulturstiftung. Und dann wird dieses Unternehmen unausweichlich mit den Folgen - die Stiftung einer Unkultur nämlich - konfrontiert. Das geschieht ihm auch recht so. Ich will mit dem "Deutschen" Wagner nichts zu tun haben wie die meisten Wagner-Hörer und Musiker von heute auch nicht, sondern nur mit dem Musiker (und dem bedeutenden Ästhetiker, der er auch war) - aber das geht gerade bei ihm nicht ohne "reinigende" Kritik, eine Art Katharsis. Dabei lernt man schließlich auch viel über den Ungeist und die Ursprünge der NS-Katastrophe kennen, d.h. die eigene Geschichte verstehen. Da ist der antisemitische Wagnerianismus eine Lehrstunde.


    Beste Grüße
    Holger

  • Diese Problematik zeigt letztlich das Beispiel Barenboim und Israel: Wagner wird dort immer noch als "der" deutsche Musiker angesehen, an dem diese fatale Geschichte des NS-Verberechens klebt. Man kann da nicht so einfach sagen: Das ist doch nur Musik, weil Wagner selbst und die ihm treu dienenden Wagnerianer es partout so nicht sehen wollten, sondern eben mehr beanspruchten: Musik als Kulturstiftung

    Das sehen aber bei weitem nicht alle Israelis so. 2010 ist von Jonathan Livny eine israelische Richard-Wagner-Gesellschaft gegründet worden, die sich dafür einsetzt, Wagner ein ganzes Konzert zu widmen, was in der Tat ein absolutes Novum wäre. Bisher hatte Livny, dessen Vater den Holocaust überlebte, keinen Erfolg, aber er arbeitet weiter unermüdlich daran. Sehr bewunderswert, wie ich finde.


    Hier kann man mehr dazu lesen.

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

  • Warum das hier nun - zunächst einmal - aber wirklich kein Ende finden kann und darf, das hat allein das Tamino-Mitglied „Yorick“ zu verantworten. So jedenfalls ist das meine Sicht der Dinge, der ich den Verlauf dieses Threads sehr aufmerksam verfolgt habe. Der Grund liegt – ebenfalls wieder aus meiner Sicht – in einer gleichsam doktrinären Wiederholung einer immer gleichen Deutung und Beurteilung von Wagners Antisemitismus, die auf eine Entlastung von persönlicher Schuld hinausläuft


    Lieber Helmut (und Konsorten, wie besagter "Y" in fast beleidigender Art und Weise ausführte),


    ergänzend möchte ich noch hinzufügen, daß besagte Person neben seiner Meinung keine andere duldet (was nicht falsch zu sein braucht). In der Politik hätte er sicher Veranlagung zur diktatorischen Umsetzung seiner Auffassung. Wem es aber in den Sinn kommt, abweichende Meinungen zu vertreten, dem wird keinerlei Verständnis entgeggebracht, kein Versuch wird unternommen, andere Meinungen als das zu nehmen, was sie sind - als andere Meinung. Besagter "Y" erscheint mir wie ein fanatischer Missionar, der Andersdenkenden die Inquisition auf den Hals hetzen würde.


    Mich wundert, daß keinerlei Einfluß darauf genommen wird, die Vergiftung von Teilen des Forums zu unterbinden. Andererseits sind viele ein wenig kleinbürgerlich veranlagt (ich zähle mich dazu) und haben Klatsch und Tratsch gegenüber offene Ohren. Täglich bin ich gespannt, mit wem sich "Y" heute wieder angelegt hat, es sind ja gar nicht mehr so viele übrig. Und er wird es auch nicht lassen können, mir eine am Rand der persönlichen Beleidigung liegende Antwort zu schicken, diese Zeilen werden dazu provozieren. Ich freu mich drauf!! Aber antworten werde ich nicht.


    Dabei sind seine fachlichen Beiträge lesenswert und bereichern das Forum fachlich ungemein. Ob ich diesen Satz schreibe, habe ich mir lange überlegt. Einmal habe ich schon etwas Ähnliches getan - und prompt wurde mir weinerliches Verhalten vorgeworfen, natürlich von "Y".


    Um zum Thema zu kommen - Wagner ist neben Verdi und Puccini mein absolut liebster Opernkomponist. Deshalb brauche ich seine idologischen Fehleinschätzungen nicht zu teilen. Ich liebe seine Musik, nicht seine gesellschaftlichen Marotten. Hitler liebte auch Hunde, und niemand wird heutzutage Hundezüchter deswegen verdammen.


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

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