SIMON RATTLE verläßt die Berliner Philharmoniker

  • Rechtzeitig wollte Sir Rattle mitteilen, dass er 2018 den Stab weitergeben wird, damit ein geeigneter Kandidat gefunden werden kann. Ich frage mich, ist dies wirklich nötig, fünf Jahre Zeit für die Suche nach einer Dirigentenpersönlichkeit aufzuwenden? Oder sind es andere Gründe? Ich kenne das Auswahlverfahren nicht, wie die frei werdende Stelle besetzt wird. Es wird ein Orchesterstatut geben, in dem beschrieben ist, wie die Wahl erfolgt.
    Ich nehme an, die frühe Ankündigung ermöglicht es den Bewerbern sich in der Karriereplanung geschickt zu positionieren. Bestehende Verträge müssen wohl auch im Kulturbetrieb erfüllt werden.

    Die Frage stelle ich mir auch. Da ich Ähnliches in einem Sinfonieorchester bereits erlebt habe, damals waren es "nur" drei Jahre, weiß ich, dass der Chef ab einer solchen Ankündigung eine "lame duck" ist. So wie hier im Forum schon unmittelbar darauf eine lebhafte Diskussion geführt wird, in der es an Spekulationen über den oder den oder vielleicht diesen nicht mangelt, so wird es ab sofort einige Zeit weitergehen. Die Messer werden gewetzt. Und auch die Musiker werden diskutieren. Den Nachfolger wird auf jeden Fall das Orchester zu wählen haben. Und da kann es, wir wissen es aus der Vergangenheit - bei Karajan angefangen - Überraschungen geben. Inwiefern die Intendanz das steuern wird, das bleibt abzuwarten. Andererseits ist der frühe Termin aber auch sehr wichtig für die internen Planungen des Hauses. Es sind ja die Berliner Philharmoniker und wenn man Spitzenkräfte verpflichten will, braucht man oft einen langen Vorlauf. So laufen bereits jetzt Absprachen und Abschlüsse für das Jahr 2017. Das ist nicht weit entfernt von Rattlles Vertragsbeendigung. Also wird man auch entsprechend lange vorher den Nachfolger bestimmen wollen.


    Ich habe persönlich einen Geheimtipp: Andriss Nelsons. Er ist jung, hat Charisma und kann sicher eigene Akzente setzen. Was ich bisher von ihm gehört oder (auf DVD) gesehen habe, überzeugte mich sehr. Nelsons ist im März Gast bei den Berliner Philharmonikern. Dieses Konzert lasse ich mir nicht entgehen. Ein interessantes Programm ohne Solisten. Da kann er eine Duftmarke abgeben.


    Andere werden andere Tipps haben. Also.. abwarten. Rattle wird aber bestimmt schnell vergessen sein.


    Mit besten Grüßen


    :hello:


    Manfred

    Wenn schon nicht HIP, dann wenigstens TOP

  • Sicherlich, autoritäre Dirigenten wie F. Reiner, A. Toscanini oder K. Böhm, meinetwegen auch Maazel, sind nicht mehr zeitgemäß (was immer das heißt). Aber die "antiautoritäre Erziehung" heutiger Orchester hat doch vielfach dazu geführt, dass sich die - vor allem in Deutschland und Österreich - überprivilegierten Orchestermusiker allzu viele Freiheiten, oft Frechheiten, herausnehmen.


    Die Berliner Philharmoniker wählen sich ihre Dirigenten selbst, räumen dem öffentlichen Hauptfinanzier, damit indirekt dem Steuerzahler und Bürger, keinerlei Mitspracherecht ein. Die Wiener Philharmoniker haben gar keinen Chefdirigenten und gebärden sich als "autonome Orchesterrepublik", obwohl sie auch überwiegend durch öffentliche Subventionen alimentiert werden.


    Chr. Thielemann hat ja die Münchner Philharmoniker deswegen im Streit verlassen, weil sich Orchestermusiker allzu viele "Freiheiten" herausgenommen haben, z.B. sich für ihre zahllosen "Nebentätigkeiten" nicht mal abgemeldet, nicht Urlaub genommen haben.


    Die Münchner Philharmoniker sind auch ein Beispiel dafür, dass es häufig kunstfremde Erwägungen in die Wahl des Dirigenten mit einfließen. So war es die Hoffnung nach zusätzlichen Geldeinnahmen durch CD-Aufnahmen (nachdem Celibidache keine zugelassen hat), dass J. Levine engagiert wurde und nicht Thielemann, Salonen oder Metzmacher.


    "Sachfremd" kann die Ablehnung eines Dirigenten auch sein, wenn die Musiker allzu viel Arbeit und Disziplin vom Kandidaten befürchten.


    Abgesehen von meinen bösartigen, unkünstlerischen Bemerkungen: letztlich kommt es darauf an - wie Altkanzler Helmut Kohl so schön formulierte - "was hinten raus kommt". Und da bietet S. Rattle mit den Berliner Philharmoniker oft nur gepflegte Langweile auf hohem Niveau.



    Zu JOSEPH II: Sind die Berliner Philharmoniker überhaupt noch ein "deutsches Orchester". Glaube, es ist inzwischen ein sehr internationaler Klangkörper geworden. Es gibt allerdings Auffassungen, dass ein Orchester dennoch seine Tradition, Eigenart, vor allem seinen Klang bewahren könnte. Meine, dass eher die Staatskapelle Dresden (vielleicht ist Thielemann deshalb dort hin gegangen) und das Leipziger Gewandhausorchester noch "deutsche Orchester" sind, was sicherlich mit einer gewissen Isolierung während der DDR-Zeit zusammenhängt.

  • Ein sehr guter Beitrag, lieber schiral, der zum Nachdenken anregt.


    Meine persönliche Meinung ist es mitnichten, dass ein autoritärer Dirigent heute überholt ist. Wäre es nach mir gegangen, wäre 1989 Maazel gewählt worden — und 2018 würde es eben Thielemann.


    Die großen Freiheiten (bis hin zu Frechheiten, wie Du schreibst), die ein Orchester unter einem "Orchesterversteher" genießt, sollte man in der Tat mal kritisch hinterfragen. Unter den Dirigenten Abbado und noch mehr Rattle kamen nur sehr wenige wirkliche Weltklasseaufnahmen zustande. Wenn ich das Revue passieren lasse, fiele mir in den mittlerweile immerhin elf Jahren Rattle nur die vervollständigte Neunte von Bruckner als herausragend ein, evtl. noch sein gelungener Brahms-Zyklus. Zahlreiche vielversprechende Live-Mitschnitte wie die kompletten Berliner Zyklen von Mahler und Sibelius kamen unverständlicherweise nie auf CD heraus, sondern sind nur in dieser digitalen Mediathek als Videos abrufbar. Das Management der Berliner Philharmoniker scheint hier einige Fehlentscheidungen zu treffen, da es nach wie vor Leute gibt, die diese Aufnahmen nicht nur virtuell anschauen wollen.


    Bzgl. deutscher Orchester: Das mag stimmen. Die Berliner Philharmoniker sind heute sicher viel internationaler als unter Karajan, von Furtwängler ganz zu schweigen. Ob der spezifische Berliner Klang darunter gelitten hat, ist eine Frage für sich.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Die Berliner Philharmoniker waren bei ihren Personalentscheidungen immer für eine Überraschung gut. Ob das im Einzelnen gut oder schlecht war, das wage ich nicht zu beurteilen. So gilt ja heute die Ära Karajan als das "goldene Zeitalter" (und ich sehe das auch so) - aber wer will heute schon wissen, wie sich das Orchester unter Celibidache entwickelt hätte ? Oder unter Karl Böhm ? (viele der berühmten Aufnahmen wurden ja mit Böhm gemacht) Wir wissen es nicht - aber es ist interessant darüber nachzudenken.
    Zurück in die Gegenwart - und zurück zum Subjektiven:
    Sollte ich heute einen Chefdirigenten für die Berliner aussuchen, dann wäre es ChristianThielemann, Franz Welse-Möst oder Bertrand de Billy. Natürlich konnten wir keinen der hier Genannte befragen ob er denn überhaupt Interesse hätte - und jeder von ihnen, dem taktisches Kalkül nicht fremd wäre - würde jegliches Interesse an dieser Position leugnen.....


    Zu den Personalentscheidungen der Berliner in der jüngeren Vergangenheit (also nach Furtwängler) fällt mir ein Satz zu Papstwahlen ein "So mancher Kanditat ist als "designierter Papst" ins Konklave gegangen - und als Kardinal wieder herausgekommen"


    Wir müssen auch die Berliner Philharmoniker, und hier meine ich nicht die Institution sondern die "Belegschaft" als undurchschaubaren Machtfaktor werten. Was WOLLEN die überhaupt ?
    Kontinuität ?
    Kontrastprogramm ?
    Beharrung auf bestehenden Strukturen und Privilegien ?
    Veränderung und Reform ?
    Herausforderungen und Schwierigkeiten ?
    Ein bequemes Leben in der sicheren Position eines Spitzenorchesters?


    All diese Faktoren werden eine Rolle spielen.
    Ich weiß zudem nicht ob die Wahl des Chefdirigenten auf "demokratische Weise" oder über einen Ausschuss, eine Minderheit erfolgt...
    Alles Imponderabilien.....


    Über den persönlichen Sympathiefaktor des Orchesters zu einzelnen Dirigenten wissen wir eigentlich auch wenig (euphemistisch betrachtet) bis nichts (realistisch gesehen)........


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Diesen herrlichen (und womöglich weitsichtigen) Artikel gestern in der Münchner Abendzeitung, einem Boulevardblatt mit ambitioniertem Feuilletonteil, möchte ich Euch nicht vorenthalten :pfeif: :


    Das Dirigentenkarussell
    Wer wird Nachfolger von Simon Rattle bei den Berlinern?


    Schauen wir mal ins unsere Glaskugel, gespeist von Erfahrungen aus Nürnberg, Berlin und München: 2014 wird das ganz große Bauchribbeln bei Christian Thielemann und der Staatskapelle Dresden verflogen sein. Die ersten Musiker beginnen zu meckern, weil ihnen kein anderer Dirigent Brahms, Beethoven, Bruckner, Strauss und Wagner kapellmeistern darf.
    Im Jahr 2016 wird Thielemann in Dresden seinen zweiten Orchestermanager und den dritten Intendanten der Staatsoper verschlissen haben. Dann wird es wegen einer Bagatelle krachen. Thielemann grollt, und zwei Tage später geben die Berliner Philharmoniker bekannt, dass sie den Dirigenten in einer geheimen Orchesterversammlung zum Nachfolger für Simon Rattle gewählt haben. Der wird, wie vorgestern bekannt wurde, seinen 2018 auslaufenden Vertag nicht mehr verlängern.
    Dann wäre der Berliner und Karajan-Zögling am Ziel seiner Wünsche. Das berühmteste Orchester der Nation würde wieder einen ominösen „deutschen Klang“ kultivieren, der sich unter Simon Rattle ins Internationale verflüchtigt oder auch verfeinert hat – das ist Ansichtssache. Vielen Abonnenten aus dem Westberliner Bürgertum war der Öffnungskurs mit Jugendprojekten wie „Rythm is it“ immer ein wenig suspekt.
    Es kann sein, dass sich die Musiker nach dem Ausbruch unter Rattle wieder nach jener Gediegenheit sehnen, für die Thielemann steht. Denn über eines sollte man sich nicht täuschen: So umstritten der Bursche auch ist – alle Orchester wollen unter ihm speilen, Aber die Wahl eines Chefdirigenten, die sich in Berlin basisdemokratisch vollzieht, ist eine Richtungsentscheidung. Möglicherweise bleiben die Musiker auch den Wuschelköpfen treu und holen sich nach der ergrauten nun die tiefschwarze Variante: Mit dem venezolanischen Feuerkopf Gustavo Dudamel würde die Internationalisierung der Berliner Philharmoniker fortgesetzt.
    Die großen Alten wie Lorin Maazel, Zubin Mehta, Bernhard Haitink oder Riccardo Muti kommen als Nachfolger für Rattle kaum mehr in Frage. Mariss Jansons wäre bei einem Amtsantritt 76 Jahre alt. Nach Amsterdam und München wird er kaum einen neuen Chefposten übernehmen. Immer im Rennen sind natürlich die üblichen jüngeren Verdächtigen wie Andris Nelsons,, in der mittleren Generation bleibt Antonio Pappano ein Geheimtip für jeden musikalischen Posten.
    Aber nichts ist schwieriger, als die Kollektivpsyche eines Orchesters einzuschätzen. Die Berliner Philharmoniker bestehen aus 130 selbstbewussten Individualisten. Sie sind das Muster eines modernen Klangkörpers, bei dem junge und erfahrene Musiker in bestmöglicher Mischung zusammenspielen. Mit der Digital Concert Hall hat das Orchester auch die Bedeutung des Internets in einer Weise begriffen, von denen man in München nur träumen kann.
    Und was macht Rattle nach 2018? Er könnte den verblassten Glanz in Chicago, New York oder Philadelphia wieder aufpolieren. Eines wird er sich aber gewiss nicht antun: die Münchner Philharmoniker. Aber er wäre genau jener kommunikative Kopf, den die kapriziöse Prinzessin bräuchte, um endlich wieder wachgeküsst zu werden.


    Robert Braunmüller in der Abendzeitung vom 12. Januar 2013

  • Hallo,


    allgemein, besonders aber in Hinblick auf Beitrag Nr. 59, möchte ich auf eine Sendung auf BR-Klassik, am 14.01.2013 von 19 - 21 Uhr, zum 70. Geburtstag von Mariss Jansons (Chefdirigent des Sinfonieorchester und Chores des Bayerischen Rundfunks - in 2013 erhält er den höchstdotierten Klassik-Musik-Preis - "Ernst von Siemens-Stiftung") verweisen - die Sendung kann im Internet nachgehört werden. Es ist eine höchst interessante, lehrreiche aber insbesondere sehr vergnügliche Sendung (für alle Beteiligten). Ich habe noch z. T. das Interview mit Thielemann (ebenfalls auf BR-Klassik) im Ohr - Brrrrr!
    Dieses Dirigentenprofil könnte/dürfte/sollte/müsste ein Leitbild sein für den Nachfolger von Simon Rattle.

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Ist das wirklich eine Frage des Alters, dass man sich permanent an anderen abarbeiten muss? Und man muss schon vollkommen vernagelt sein, um einen nice Guy und Homo Sympathicus wie Mariss Jansons mit einem sperrigen Charakter wie Thielemann zu vergleichen. Überdies für diesen Thread vollkommen unnütz: Der Lette wurde gerade 70 und ist nicht gesund; Thielemann wird erst 54 dieses Jahr. Wer von beiden käme also in Frage? Und was das Dirigentenprofil angeht, bestätigen deine viel zu emotionalen Einlassungen meine obigen Postings nur allzu deutlich. Nicht Thielemann ist das Problem, wird sind es: Ich warte ja auf den Tag, dass man ihm seinen Geburtsmonat vorhält!

  • Dieses Dirigentenprofil könnte/dürfte/sollte/müsste ein Leitbild sein für den Nachfolger von Simon Rattle.

    Volle Zustimmung. Aber bis 2018 ist doch noch eine so lange Zeit und und wer weiß schon, was bis dahin noch alles passiert. Die Berliner Philharmoniker haben bei der Wahl ihres Chefdirigenten immer ihren eigenen "Kopf" gehabt und so wird es auch in Zukunft sein. Da muss sich niemand Sorge machen.


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Volle Zustimmung. Aber bis 2018 ist doch noch eine so lange Zeit und und wer weiß schon, was bis dahin noch alles passiert. Die Berliner Philharmoniker haben bei der Wahl ihres Chefdirigenten immer ihren eigenen "Kopf" gehabt und so wird es auch in Zukunft sein. Da muss sich niemand Sorge machen.


    LG, Bernward


    Es ist absurd, so etwas zu postulieren! Wer bestimmt denn, welches Dirigentenprofil Leitbild ist?

  • Hallo Bernward Gerlach,


    Du bist eben nicht "vollkommen vernagelt" (wie das Andere sind!) und hast nat. erkannt, dass es sich bei meiner Meinung um ein Dirigentenprofil handelt - M. J. kommt als Rattle-Nachfolger auf Grund seines Alters freilich nicht in Frage - wie sich das Sinfonieorchester des BR für M. J. damals entschieden hat, ist in dem BR-Klassik-Beitrag - auf den ich hingewiesen habe - nachzuhören. Das Procedere bei den Berlinern kenne ich nicht - ob sie sich einen Außenseiter wie Thielemann aussuchen wollen/dürfen/müssen? - wir werden's erfahren.


    LG
    zweiterbass

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  • Ich habe die letzten Tage nochmal überlegt, wer denn so in Frage kommen könnte, und da verdichtete sich doch einiges auf den Namen Esa-Pekka Salonen. Wer dirigiert heute eine Bandbreite von Haydn bis zur Moderne in einer solch gleichbleibend hohen Qualität? Wer kann noch dazu bei Bedarf auch einen Tristan dirigieren? Dass er die Spätromantiker (etwa Sibelius, Bruckner, Mahler, aber auch Debussy oder Nielsen) sowieso drauf hat, wusste ich ja seit längerem. Aber auch mit der Wiener Klassik hat er keine Probleme, wie sein wirklich exzellenter, leider irgendwie recht untergegangener Beethoven-Zyklus mit dem Philharmonia Orchestra aus Bonn 2012 eindrucksvoll beweist. Ein Symptom dafür, dass Salonen im deutschsprachigen Raum eher unter "ferner" läuft? Dabei steht der Mann seit etwa dreißig Jahren auf dem Podium in allen wichtigen Konzerthäusern der Welt. In Fennoskandinavien sowieso, aber natürlich auch in Amerika, wo er von 1992 bis 2009 Chefdirigent der Los Angeles Philharmonic war, und in Europa, wo er seit 2008 dem Londoner Philharmonia Orchestra vorsteht. Er hatte die Ehre, mit den Wiener Philharmonikern die 2. Symphonie von Sibelius aufzuführen (seit Bernstein als erster!), und wurde tatsächlich von Bayreuth umworben, den Ring zu dirigieren (was er leider ablehnte). Wichtig: Auch in Berlin ist er kein Unbekannter. Mit den Berliner Philharmonikern dirigierte er u. a. Strawinskij, Prokofjew, Bártok, Ravel, Sibelius, Schostakowitsch und (man sollte es nicht glauben) Bach. Auch zur zeitgenössischen Klassik hat er keine Berührungsängste, er komponiert sogar selbst. Insofern könnte er die eingeschlagene Tradition von Rattle, sich auch den ganz aktuellen Werken zu widmen, mühelos fortsetzen. Wenn es heutzutage noch einen genialen Universaldirigenten der jüngeren Generation gibt, dann er. Dass er zudem eine sympathische Persönlichkeit ist, könnte man als Tüpfelchen auf dem "i" bezeichnen. 2018 wird er 60, auch das würde sich also noch ausgehen. Ich nehme jedenfalls an, dass er zumindest in der engsten Wahl ist, wenn es um die Nachfolge von Sir Simon Rattle geht.

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    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Dudamel kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Ich hoffe, die Berliner Philharmoniker setzen nicht auf den "Glamour-Faktor". Natürlich ist Dudamel in aller Munde, und ich will auch gar nicht sagen, dass er nichts könnte, aber gleich der Nr. 1-Posten in Deutschland für einen solchen "Newcomer"? Vielleicht beim übernächsten Mal ernsthaft, aber jetzt soll er erstmal Los Angeles managen, wo er 2009 übrigens Nachfolger von Salonen wurde. Aus dessen Schatten muss er erstmal hervortreten, was nicht leicht sein dürfte, weil dieser 17 Jahre dort Chef war und das Orchester auf ein erstaunliches Niveau geführt hat, was man an den neueren Aufnahmen auch eindeutig hören kann.

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    – Luís de Camões

  • ZEIT ONLINE brachte vor einigen Tagen einen interessanten Artikel dazu: http://www.zeit.de/2013/13/Che…r-Berliner-Philharmoniker


    Der Autorin zufolge ist Andris Nelsons die wahrscheinlichste Lösung. Andere Zeitungen sehen es ähnlich. Aber entsinnen wir uns an das Jahr 1989, als auch alle mit Maazel rechneten und es ganz anders kam.

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    – Luís de Camões

  • Falls man als mögliches Omen deuten will, wer in der Saison 13/14 die Berliner Philharmoniker dirigieren wird (und wer nicht), hier das Programm.


    http://www.berliner-philharmon…te/calendar/from/2013-08/


    Von eventuellen Kandidaten gastieren Dudamel, Nelsons, Harding, Bychkov, Chailly, Gilbert?, Ivan Fischer, Chung...
    Blomstedt, Maazel, Mehta und Jansons sind auch dabei, aber wohl zu alt für die Nachfolge.
    Einer, der fehlt, ist Thielemann...

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Einer, der fehlt, ist Thielemann...


    Es wäre aus der Sicht Thielemann vermutlich ein strategischer Fehler dieses Orchester zu dirigieren.
    SEIN Orchester ist in etwa eben so gut - dazu ideologisch besser zu ihm passend.
    Dazu hat er BAYREUTH und die Salzburger Opernfestspiele, die Sympathie der Wiener Philharmoniker.
    Mehr lässt sich wohl nicht erreichen. Ich würde an seiner Stelle nicht die Nähe zu einem Orchester suchen, das schon mit Karajan im Clinch lag und derzeit einen (angeblich ?) non-autoritären Führungsstil gewöhnt ist - zudem der Moderne nicht abgeneigt ist.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Bis 2018 ist Sir Simon Rattle (58) Chefdirigent bei den Philharmonikern. Doch bis spätestens 2015 will der weltberühmte Klangkörper einen Nachfolger präsentieren.


    Das sagte Orchestervorstand Stefan Dohr (47) bei der Vorstellung der nächsten Spielzeit: „Wir haben uns ein Zeitlimit bis Ende der Saison 2014/15 gesetzt. Es wird eine Vielzahl von Vorschlägen kommen, dann wird diskutiert und abgestimmt.“


    Quelle: http://www.bz-berlin.de/kultur…erden-article1670435.html

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    – Luís de Camões

  • Vielleicht sollten wir ja im nächsten Jahre ein entsprechendes Tamino-Ranking veranstalten und somit den geplagten Philharmonikern eine Entscheidunghilfe an die Hand geben.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Meine Vorredner haben ja schon einige Namen ins Spiel gebracht. Bei vielen spielen vielleicht auch ein wenig persönliche Wunschszenarien mit. Ich glaube, dass es diesmal wirklich nicht ganz leicht wird. Es dürfte keine "Alter" sein. Jansons, den ich sehr schätze, fällt da wohl wirklich aus und ist für die Berliner keine Zukunftsperspektive. Und Jansons hat schon 2 absolute Spitzenorchester (SO BR, Concertgebouw Orchester). Was will er dann noch mehr. Auch Chailly ist wohl schon etwas zu alt und scheint mir wohl keine intensive Beziehung zu den Berlinern entwickelt zu haben.


    In den jungen Dirigentengeneration zeichnen sich m.E. wirklich absolute Top-Dirigenten ab, zu denen ich auch Dudamel und Nelsons zähle. Ich glaube, dass Nelsons den Berlinern eher liegen würde als Dudamel, der zwar sehr viel Feuer und Dynamik zeigt, aber doch wohl etwas zu glamourös daherkommt. Unter den ganz Jungen sehe ich weiterhin den wohl noch nicht erwähnten Yannick Nezet-Seguin. Bei ihm spürt man, dass er absolut authentisch musiziert (es geht ihm um die Musik im besten Sinne, nicht um Vorführeffekte) und dass er in der Lage ist, alles aus einem Orchester heraus zu holen. So jedenfalls habe ich es mehrfach in Konzerten mit ihm erlebt und war immer wieder tief beeindruckt. Er ist vielleicht nicht ganz so medienwirksam wie Dudamel, mit Nelsons kann er da mithalten. Esa Pekka-Salonen, auch schon erwähnt, kommt glaub ich nicht in Frage. Da fehlt doch einigen an musikalischer Ausstrahlung und m.E. auch Können.


    Ich denke aber, dass die Berliner Mid-Ager bevorzugen, sozusagen als goldene Mitte. Thielemann ist mit seiner Musizierweise nicht unbedingt wirklich zukunftsweisend und scheint mir auch als Persönlichkeit eher umstritten. An ihm würden sich die Geister im Orchester und auch bei den Zuschauern und Zuhörern scheiden. Ist als Gast und Abwechslung sicher gern einmal willkommen, aber als Chefdirigent??? Die Mid-Ager scheinen sich ansonsten gar nicht so aufzudrängen. Habe manchmal das Gefühl, dass es da ein kleines Loch an wirklich guten Dirigenten gibt. Hier würde mir aber noch Thomas Hengelbrock einfallen, der z.Zt. das SO NDR leitet und dort so richtig glänzt. Er stellt sich als sehr guter Kommunikator nach innen (Orchester) und nach außen (Zuschauer, Zuhörer) dar, hat eine sehr einnehmende Persönlichkeit, hat ein sehr ideenreiche Programmgestaltung, ohne aber den Bogen zu überspannen, und holt auch aus großen und anspruchsvollen Orchestern wie dem NDR SO alles heraus. Neben Hengelbrock würde mir sonst in dieser Altersklasse noch Paavo Järvi einfallen. Was er in Bremen und in Frankfurt auf die Beine gebracht hat, ist grandios und hat die Musikwelt tief beeindruckt. Allerdings geht er schon sehr an die Grenzen und musiziert in einer Weise, die nicht immer jedermanns Geschmack ist. Das wäre dann sicher eine sehr mutige Entscheidung.


    Bin einmal gespannt zu sehen, wann die Nachfolgediskussion in der Öffentlichkeit so richtig Fahrt aufnimmt. Da werden sicherlich auch die Medien mitspielen. Wünschen den Berlinern aber, dass sie sich von keinem Medienrummel beeindrucken lassen und den aus ihrer Sicht besten und richtigen Weg gehen.

  • Andris Nelsons ist neuer Chefdirigent des Boston Symphony Orchestra, wie bereits an anderer Stelle erwähnt. Damit dürfte er — auch nach Meinung einiger großer Zeitungen — ausscheiden. Dass eine "Spitzenorchesterpersonalunion" nicht immer für erlesenste Qualität bürgt, zeigt doch gerade der benannte Jansons, dessen neuer Beethoven-Zyklus allenfalls "überdurchschnittlich" daherkommt. Ein Wahnsinn, Concertgebouw-Orchester und das BRSO gleichzeitig zu leiten, aber das führt jetzt zu weit.


    Jetzt bin ich, ehrlich gesagt, erstaunt: Esa-Pekka Salonen sollen Ausstrahlung und Können fehlen? Soviel wie Sir Simon Rattle kann er allemal, sein Beethoven ist ungleich inspirierter (selbst live gehört), sein Mahler mindestens genauso gut, sein Sibelius besser. Bruckner kann er ebenso, auch nicht gerade eine Domäne von Rattle. Und er hat einen Draht zur klassischen Musik des 20. Jahrhunderts. Nein, dem kann ich nun wirklich nicht beipflichten. Ein "Nichtskönner" hält sich nicht Jahre lang in Los Angeles und London bei Spitzenklangkörpern.


    Aber eigentlich ist unsere Diskussion eh recht müßig. Letztlich entscheiden es die Berliner Philharmoniker alleine. Ob uns die Entscheidung gefallen wird, wird sich noch zeigen.


    Beste Grüße
    Joseph

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    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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  • Wenn wir jemand aus der mittlereren Generation suchen, dann sollte man Bertrand de Billy in Erwägung ziehen. Mit 48 ist er genau im richtigen Alter - und den Beruf hat er von der Pike auf gelernt. Kein "shooting-Star - sondern ein harter Arbeiter. Vielseitig, nach allen Richtungen hin offen, ein vorzüglicher Dirigent klassischen als auch modernen Repertoires, erfahrener Orchesterchef, etc etc. Man sehe sich seinen Lebenslauf bei Wikipedia an.
    Es ist natürlich nicht gesagt, daß er an dieser Position überhaupt interessiert wäre........


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred Schmidt

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Andris Nelsons ist neuer Chefdirigent des Boston Symphony Orchestra, wie bereits an anderer Stelle erwähnt. Damit dürfte er — auch nach Meinung einiger großer Zeitungen — ausscheiden.

    Kann sein und auch nicht. Er ist vorderhand bis zur Saison 19/20 in Boston engagiert. Das schließt ein Engagement in Berlin nicht notwendigerweise aus. Es ist überhaupt die Frage, ob sich in Zeiten wie diesen ein Spitzenmann findet, der sich exklusiv den Berlinern widmen will.



    Ein Wahnsinn, Concertgebouw-Orchester und das BRSO gleichzeitig zu leiten, aber das führt jetzt zu weit.

    Wo ist da der Wahnsinn? Der Posten in München bedeutet 10 Wochen Arbeitsverpflichtung, jener beim Concertgebouw 12 Wochen. Jansons führt also zwei Weltklasse-Orchester und ist damit noch nicht einmal das halbe Jahr ausgelastet. Da hat er noch viel Zeit zur Erholung und kann sich noch die eine oder andere "Nebenbeschäftigung" suchen...


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Gut, so gesehen wäre Nelsons wieder eine Option.


    Nun, wir sind uns wohl einig, dass man wohl an einer Hand abzählen kann, wenn die Chefdirigentenposten der Top-20-Orchester der Welt über lange Jahre in Personalunion geführt wurden. Mir fiele aus dem Stegreif gar kein zweiter solcher Fall ein.


    :hello:

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    – Luís de Camões

  • Mir fiele aus dem Stegreif gar kein zweiter solcher Fall ein.


    Ich glaube, dass man da nur ein wenig suchen müsste. In meiner Erinnerung war das höchste, was ich von einem bekannten Dirigenten mitbekommen habe, Chefposten bei vier Orchestern zugleich (davon war aber eines ein Festivalorchester). Drei Chefposten sind noch recht selten, zwei heute aber schon fast die Regel. So ist z.B. Franz Welser-Möst musikalischer Leiter der Wiener Staatsoper und damit Chef des Orchesters der Wiener Staatsoper und zugleich Chef des Cleveland Orchestra. Und wie ich schon einmal dargelegt habe, bedeutet die musikalische Leitung eines Opernhauses einen größeren Aufwand als eine Orchesterleitung.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Wenn man davon ausgeht, dass die Nachfolger um die 40 bis höchstens 60 sein werden, bleiben eigentlich nur diese Kandidaten:


    Thomas Dausgaard
    Daniele Gatti
    Alan Gilbert
    Daniel Harding
    Paavo Järvi
    Vladimir Jurowski
    Andris Nelsons
    Antonio Pappano
    Vassily Petrenko
    Christian Thielemann



    :hello: LT

  • Leider muss man bei dem einen oder anderen Kandidaten noch nachbessern:


    Daniele Gatti fällt weg - fehlende Präsenz in letzter Zeit
    Alan Gilbert fällt weg - zu wenig bekannt
    Daniel Harding fällt weg - ein untergegangener Star (es sei denn, er kann sich demnächst noch profilieren)
    Antonio Pappano fällt weg - zu sehr auf Oper fixiert, warum sollte er den Posten in Covent Garden aufgeben??
    Christian Thielemann fällt weg - wenn die Berliner schlau sind, haben sie längst mitbekommen, was sich Thielemann alles so geleistet hat und haben die Eindimensionalität des Kapellmeisters längst durchschaut...



    :hello: LT

  • Wie in der "Welt" zu lesen ist, mutmaßt die "London Times", dass Sir Simon Rattle 2015 Nachfolger von Valery Gergiev als Chefdirigent des London Symphony Orchestra werden könnte. Völlig abwegig erschiene mir dies nicht, wenn derzeit freilich noch heftig dementiert wird. Als Abstieg sähe ich dies auch nicht an, ist Berlin gegen London doch fast ein "Dorf". ;)


    Quelle: http://www.thetimes.co.uk/tto/…ssical/article3863052.ece bzw. http://www.welt.de/kultur/bueh…Absprung-nach-London.html

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    – Luís de Camões

  • Es bleiben übrig:


    Thomas Dausgaard
    Paavo Järvi
    Vladimir Jurowski
    Andris Nelsons
    Vassily Petrenko


    Andris Nelsons has been appointed the 15th music director of the Boston Symphony Orchestra since its founding in 1881.
    At 34 years old, the Latvian-born conductor is the youngest music director to lead the BSO since the early 1900s. …


    Waren's nur noch … vier … :pfeif:

    Einer der erhabensten Zwecke der Tonkunst ist die Ausbreitung der Religion und die Beförderung und Erbauung unsterblicher Seelen. (Carl Philipp Emanuel Bach)


  • Bitte ergänzen mit:


    Zitat

    Pablo Heras-Casado
    Allrounder zwischen den Welten
    Der 36-jährige Andalusier Pablo Heras-Casado ist längst ein heißer Kandidat für die Pult-Nachfolge von Simon Rattle in Berlin.

    (aus: RONDO 4/2013)

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

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