6. Symphoniekonzert der Bielefelder Philharmoniker 15.3.2013

  • Ausführende: Bielefelder Philharmoniker. Alexander Kalajdzik (Dir.). Solist: Philippe Graffin, Violine


    Programm:


    • Claude Debussy:
      Nocturnes für Orchester
    • Henri
      Dutillieux: Sur la même accord. Rhapsodie de concert pour violon et
      orchestre
    • Ernest
      Chausson : Poème pour violon et orchestre op. 25
    • Alexander
      Scriabin : Poème de l´extase

    Ein sehr beeindruckendes Frühlingsprogramm – bei den für Mitte März ungewöhnlichen eisigen Temperaturen und dem Schnee draußen wirkte es allerdings eher ein wenig verfrüht. Der Hornist traf zu Beginn gleich zweimal den Ton nicht – wohl weil das Instrument nicht richtig warm war. Debussys Nocturnes begleiten mich durch mein musikalisches Leben – die wahrlich außergewöhnliche Platte mit Claudio Abbado und dem Bosten SO war eine der ersten beiden mit Orchestermusik, die ich in meiner Jugend kaufte. Ich liebe diese Musik und war deshalb besonders gespannt. Kalajdzik nimmt „Nuages“ relativ zügig und insgesamt muss ich sagen fehlt mir bei seinem Debussy der Symbolismus – das ist weniger eine Musik mit geheimnisvollem Hintergrund als eine, die sich positivistisch schattenlos ganz gibt als die, die sie ist. Die quasi kammermusikalische Besetzung gewährt zudem einen Einblick in das, was dieses Orchester wirklich kann. Ohne ihre beachtliche Leistung schmälern zu wollen darf man glaube ich feststellen: Ein Spitzenorchester hat da doch mehr Klangfülle bei den Streichern, einen satteren und flexibleren Ton und nicht zuletzt die Autorität jeder einzelnen Stimme, die sich nicht im Orchesterverband verstecken muss. Auch ist Kalajdzik nicht gerade ein Detailfanatiker. Fließende Übergänge und Nuancen sind gerade nicht das, was ihm über alle Maßen wichtig wäre. Die Betonung liegt auf dem Rhythmus und der Durchhörbarkeit – was man so zu hören bekommt sind in diesem Sinne eher scharf geschnittene „Estampes“ (Holzschnitte) für Orchester als malerisch-zwielichtige Nocturnes. „Fêtes“ war sehr gut gelungen in seiner rhythmischen Lebendigkeit. Die so rhythmisch schwierige Tutti-Passage zum Ende der Prozessionsszene (an der selbst die Berliner Philharmoniker scheitern, perfekt bekommt das nur das Boston SO hin) im Takt, aber die Orchestergruppen gehen unter, so dass man das spannende rhythmische Gegeneinander gar nicht erst vernimmt. Bei „Sirènes“ hat man leider bei den meisten Aufnahmen den Eindruck, dass es sich bei diesen verführerischen Wesen nicht um göttliche Stimmen, sondern deftig-derbe Dirnen von der Reeperbahn handelt. Die Frauen des Bielefelder Opernchores machten ihre Sache sehr gut – die mystische Aura der Bostoner Chorsänger konnten sie allerdings auch nicht verströmen. Gerade hier hätte man sich vom Orchesterspiel etwas mehr klangschwelgerische Sinnlichkeit gewünscht.


    Statt eines dreisätzigen Violinkonzerts gab es drei eigenständige Kompositionen für Violine und Orchester. Da kann man nur sagen: Hut ab vor so einem anspruchsvollen und probenintensiven Programm! Die Komposition von Dutillieux ist wahrlich sehr beeindruckend und Philippe Grafin ein ganz ausgezeichneter Geiger! Ebenso hervorragend gelungen „Tzigane“ von Ravel – hier spendete das Publikum den meisten Beifall. Nach der Pause gab es – sehr klug gewählt – Französisches mit spätromantischem Einschlag, das wunderschöne Chausson-Poème, woran sich dann der Scriabin sehr organisch anschließt. Auch dieses Stück war rundum gelungen – ein durchweg beglückendes Konzerterlebnis. Als Zugabe wählte Graffin einen musikalischen Scherz, den Johannes Brahms für Joseph Joachim komponierte (mit deutschem Text), zusammen vorgetragen mit dem Konzertmeister des Orchesters und einem Kontrabassisten. Der Höhepunkt des Abends war zweifellos Scriabins „Poème de l´extase“. Hier wuchs das Orchester über sich hinaus. Das waren reiche Klangfarben, der Wechsel zwischen Sehnsucht und Extase, das Scriabin typische „Volando“, das fliegend-beflügelte Scherzando, all das wurde hervorragend getroffen. Die großen dynamischen Abstufungen des Orchesters – sehr souverän bewältigt! Das doch leicht irritierte Publikum – wohl wegen des kühlen Wetters und der grassierenden Grippe wegen blieben wohl viele, vor allem das jüngere Publikum, zuhause – reagierte mehr mit Respekt als mit Begeisterung. Vielleicht passt die „Extase“ auch nicht so zum Naturell des Westfalen! Da kann man der mutigen Programmgestaltung nur Respekt zollen und sich wünschen, dass es auch in Zukunft so weiter geht!


    Beste Grüße

    Holger

  • Von einer so mutigen Programmgestaltung kann man (kann ich) in Nürnberg nur träumen - Hut ab vor so viel Mut!


    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Von einer so mutigen Programmgestaltung kann man (kann ich) in Nürnberg nur träumen - Hut ab vor so viel Mut!


    zweiterbass

    Lieber Horst,


    wie ist das denn bei Euch in Nürnberg? Ich finde ja, daß man unsere Orchesterkultur nicht hoch genug schätzen kann. Nirgendwo auf der Welt gibt es so viele Orchester wie in Deutschland. Man hat die Möglichkeit, überall im Land für wenig Geld ins Konzert zu gehen - das kann sich eigentlich jeder leisten. Man sollte dieses auf der Welt einmalige Angebot nutzen und dafür werben - nicht nur für schöne CDs, finde ich. Besonders auch für den "Nachwuchs". Ein Konzerterlebnis ist doch etwas Besonderes mit prägender Wirkung. Heute, wo alles nur nach Gewinnmaximierung bewertet wird, haben es die Kommunen verdient, unterstützt zu werden in dieser Hinsicht - und auch diejenigen aus der privaten Wirtschaft, die ihren Teil mit Sponsoring dazu beitragen. Im April gibt es übrigens Lutoslawski, dann das 5. Klavierkonzert von Beethoven mit Ragna Schirmer und zum Schluß das Konzert für Orchester von Bela Bartok. Auch wieder ein super Programm - wo ich natürlich dabei sein werde! :)


    Schöne Grüße
    Holger

  • Das Poem de l´extase wünsche ich mir schon lange einmal live zu hören. Ich kenne es nur von CD, mit dem Chicago-Orchester unter Boulez. Ein faszinierendes Stück, herrlich das immer wiederkehrende Trompeten-"Leitmotiv" und besonders beeindruckend die Steigerung bis zur pp-Pause vor dem Schluß-Crescendo. Prachtvoll, was einer vom "mächtigen Häuflein" da geschaffen hat, und leider ebenso selten gespielt wie der "Prometheus".


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Ich sehe gerade, ich hatte in meiner Programmaufstellung doch den Ravel vergessen, verflixt und zugenäht ;( - er wird aber in meinem Bericht erwähnt!


    Programm:


    • Debussy:
      Nocturnes für Orchester
    • Henri
      Dutillieux: Sur la même accord. Rhapsodie de concert pour violon et
      orchestre
    • Maurice
      Ravel : Tzigane für Violine und Orchester
    • Ernest
      Chausson : Poème pour violon et orchestre op. 25
    • Alexander
      Scriabin : Poème de l´extase

    Beste Grüße
    Holger

  • Debussys Nocturnes begleiten mich durch mein musikalisches Leben – die wahrlich außergewöhnliche Platte mit Claudio Abbado und dem Bosten SO war eine der ersten beiden mit Orchestermusik, die ich in meiner Jugend kaufte.


    Lieber Holger,


    was ich nun nachgeholt habe.


    Bislang war ich immer vom "Nachmittag eines Fauns" fasziniert. Aber was hier an Klangzauber erzeugt wird, unglaublich.
    Nuages: Diese Eindrücke (bei geschlossener Wolkendecke und Neumond) des nächtlich Unsichtbaren, nur Erfühlten, die dadurch erzeugte Konzentration des Hörens, dieses sich überlassen Müssens (ich habe früher manche Nacht solo im Wald zugebracht und kenne z. B. den nur leisen Windhauch eines knapp überfliegenden Kauzes).
    Fetes: Nun kommen zum Klangzauber auch noch die schon fast polyphone Rhythmik und die gegensätzliche Dynamik hinzu - wenn sich aus dem pp wieder die vollen Orchesterfarben entwickeln.
    Sirenes: Und um die Klangmagie auf die Spitze treiben zu können - da muss ein (vokalisierender) Chor her! Ich verbinde dass nun nicht mit feenhaften Fabelwesen u. ä. - es versinnbildlicht mir eben in Musik besser, was Wort und Bild nicht beschreiben können - das Wesen der Nacht, wenn ich nicht schlafe und mich ungestört diesem Zauber - in der Natur - hingeben kann.


    Viele Grüße
    zweiterbass


    Nachsatz: Ich will mit meinem Beitrag keine Programmmusik beschreiben, es geht mir um den individuellen Eindruck, den die Musik erzeugt.

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Bislang war ich immer vom "Nachmittag eines Fauns" fasziniert. Aber was hier an Klangzauber erzeugt wird, unglaublich.


    Lieber Horst,


    das freut mich, daß ich Dir doch einen musikalischen Glücksmoment habe bescheren können! Jeder, dem ich bisher diese Aufnahme empfohlen habe und der sie nicht kannte, war begeistert - von der einzigartigen Musik und der Aufnahme gleichermaßen! :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Lieber Holger,
    einer der wenigen Fälle, in denen ich inzwischen mit einer 2. Aufnahme - Cleveland O. unter V. Ashkenazy - vergleichen kann.


    Tempounterschiede 1. und 2. Satz unbedeutend - 3. Satz Abbado 45 sec. langsamer, was nach meinem Empfinden an seinen ausgeprägteren Unterschieden zwischen string. und rit. liegt.


    Die Aufnahme mit Cleveland O. aus 1987 klingt dumpf und ist mit Boston SO nicht zu vergleichen (auch der Chor kommt da viel besser raus), obwohl aus 1970 - was remastering so bewirken kann?!


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Lieber Horst,


    meinst Du diese Aufnahme, die habe ich auch:



    Das "Poeme de l´extase" dirigiert hier Lorin Maazel. Ashkenazy hat es auch dirigiert, aber nicht mit dem Cleveland-Orch., sondern in seiner Zeit, wo er Chef des Deutschen Symph. Orch. in Berlin war:



    Die Maazel-Aufnahme von "Poeme de l´Extase" habe ich schon lange nicht mehr gehört. (Prometheus und cis-moll Klavierkonzert mit Ashkenazy als Solisten sind nach wie vor meine Referenzen!) Es stimmt aber, daß die Abbado-Aufnahmen, die neu remastered wurde, deutlich besser klingt als die vormals schon auf CD erschienenen. Besonders die Räumlichkeit ist erheblich besser (ich habe beide!).


    Inzwischen habe ich ja auch das 7. Symphoniekonzert in Bielefeld erlebt. Zum Schluß gab es das wunderbare "Konzert für Orchester" von Bartok - ein wirklich sehr attraktives Stück, eine Freude, das im Konzert zu hören!


    Schöne Grüße
    Holger


  • Es tut mir leid, ich habe vergessen die CD einzustellen die ich meinte.
    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

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  • Es tut mir leid, ich habe vergessen die CD einzustellen die ich meinte.

    Verstehe, Du meintest die Nocturnes! :) Die Ashkenazy-Aufnahme habe ich leider nicht, so daß ich auch nicht vergleichen kann! Eigentlich erstaunlich, daß die Decca-Aufnahmetechnik hier nicht so berauschend ist. Die Saalakustik spielt natürlich auch eine entscheidende Rolle!


    Schöne Grüße
    Holger