Ausführende: Bielefelder Philharmoniker. Alexander Kalajdzik (Dir.). Solist: Philippe Graffin, Violine
Programm:
- Claude Debussy:
Nocturnes für Orchester - Henri
Dutillieux: Sur la même accord. Rhapsodie de concert pour violon et
orchestre - Ernest
Chausson : Poème pour violon et orchestre op. 25 - Alexander
Scriabin : Poème de l´extase
Ein sehr beeindruckendes Frühlingsprogramm – bei den für Mitte März ungewöhnlichen eisigen Temperaturen und dem Schnee draußen wirkte es allerdings eher ein wenig verfrüht. Der Hornist traf zu Beginn gleich zweimal den Ton nicht – wohl weil das Instrument nicht richtig warm war. Debussys Nocturnes begleiten mich durch mein musikalisches Leben – die wahrlich außergewöhnliche Platte mit Claudio Abbado und dem Bosten SO war eine der ersten beiden mit Orchestermusik, die ich in meiner Jugend kaufte. Ich liebe diese Musik und war deshalb besonders gespannt. Kalajdzik nimmt „Nuages“ relativ zügig und insgesamt muss ich sagen fehlt mir bei seinem Debussy der Symbolismus – das ist weniger eine Musik mit geheimnisvollem Hintergrund als eine, die sich positivistisch schattenlos ganz gibt als die, die sie ist. Die quasi kammermusikalische Besetzung gewährt zudem einen Einblick in das, was dieses Orchester wirklich kann. Ohne ihre beachtliche Leistung schmälern zu wollen darf man glaube ich feststellen: Ein Spitzenorchester hat da doch mehr Klangfülle bei den Streichern, einen satteren und flexibleren Ton und nicht zuletzt die Autorität jeder einzelnen Stimme, die sich nicht im Orchesterverband verstecken muss. Auch ist Kalajdzik nicht gerade ein Detailfanatiker. Fließende Übergänge und Nuancen sind gerade nicht das, was ihm über alle Maßen wichtig wäre. Die Betonung liegt auf dem Rhythmus und der Durchhörbarkeit – was man so zu hören bekommt sind in diesem Sinne eher scharf geschnittene „Estampes“ (Holzschnitte) für Orchester als malerisch-zwielichtige Nocturnes. „Fêtes“ war sehr gut gelungen in seiner rhythmischen Lebendigkeit. Die so rhythmisch schwierige Tutti-Passage zum Ende der Prozessionsszene (an der selbst die Berliner Philharmoniker scheitern, perfekt bekommt das nur das Boston SO hin) im Takt, aber die Orchestergruppen gehen unter, so dass man das spannende rhythmische Gegeneinander gar nicht erst vernimmt. Bei „Sirènes“ hat man leider bei den meisten Aufnahmen den Eindruck, dass es sich bei diesen verführerischen Wesen nicht um göttliche Stimmen, sondern deftig-derbe Dirnen von der Reeperbahn handelt. Die Frauen des Bielefelder Opernchores machten ihre Sache sehr gut – die mystische Aura der Bostoner Chorsänger konnten sie allerdings auch nicht verströmen. Gerade hier hätte man sich vom Orchesterspiel etwas mehr klangschwelgerische Sinnlichkeit gewünscht.
Statt eines dreisätzigen Violinkonzerts gab es drei eigenständige Kompositionen für Violine und Orchester. Da kann man nur sagen: Hut ab vor so einem anspruchsvollen und probenintensiven Programm! Die Komposition von Dutillieux ist wahrlich sehr beeindruckend und Philippe Grafin ein ganz ausgezeichneter Geiger! Ebenso hervorragend gelungen „Tzigane“ von Ravel – hier spendete das Publikum den meisten Beifall. Nach der Pause gab es – sehr klug gewählt – Französisches mit spätromantischem Einschlag, das wunderschöne Chausson-Poème, woran sich dann der Scriabin sehr organisch anschließt. Auch dieses Stück war rundum gelungen – ein durchweg beglückendes Konzerterlebnis. Als Zugabe wählte Graffin einen musikalischen Scherz, den Johannes Brahms für Joseph Joachim komponierte (mit deutschem Text), zusammen vorgetragen mit dem Konzertmeister des Orchesters und einem Kontrabassisten. Der Höhepunkt des Abends war zweifellos Scriabins „Poème de l´extase“. Hier wuchs das Orchester über sich hinaus. Das waren reiche Klangfarben, der Wechsel zwischen Sehnsucht und Extase, das Scriabin typische „Volando“, das fliegend-beflügelte Scherzando, all das wurde hervorragend getroffen. Die großen dynamischen Abstufungen des Orchesters – sehr souverän bewältigt! Das doch leicht irritierte Publikum – wohl wegen des kühlen Wetters und der grassierenden Grippe wegen blieben wohl viele, vor allem das jüngere Publikum, zuhause – reagierte mehr mit Respekt als mit Begeisterung. Vielleicht passt die „Extase“ auch nicht so zum Naturell des Westfalen! Da kann man der mutigen Programmgestaltung nur Respekt zollen und sich wünschen, dass es auch in Zukunft so weiter geht!
Beste Grüße
Holger