Clément Philibert Léo Delibes (1836- 1891):
COPPÉLIA ou La Fille aux yeux d'émail[timg]http://upload.wikimedia.org/wi…s_-1870_-2.JPG;Giuseppina Bozzacchi als Swanilda, Paris 1870[/timg]
(Coppelia oder Das Mädchen mit den Glasaugen)
Ballett in zwei Akten - Libretto von Charles Nuitter und Arthur Saint-Léon nach Hoffmanns „Der Sandmann“
Uraufführung am 25. Mai 1870 in der Salle de la rue Le Peletier, Paris
DIE PERSONEN DER HANDLUNG
Swanilda - Frantz - Coppelius - Bürgermeister - Gutsherr - Nettchen - Glöckner
Bauern - Bäuerinnen - Freundinnen – Swanildas – Automaten – Wachen - Geistliche
Die Allegorien beim Glockenfest:
Morgenröte - Zwietracht - Gebet - Arbeit - Friede - Ehe - Liebe - Torheiten
Morgenstunden - Blumen - Tagesstunden - Mähmaschine - Kriegerinnen
Abendstunden - Nachtstunden
INHALTSANGABE
ERSTER AKT
Auf dem Dorfplatz einer Grenzstadt in Galizien; die Häuser in lebhaften Farben.
Der alte Coppélius träumt davon, eine seiner vielen mechanischen Puppen zum Leben zu erwecken. Sein ganzer Ehrgeiz, einen Zaubertrank zu entwickeln, der Puppen lebendig werden lässt, ist bisher erfolglos geblieben. Im Dorf ahnt übrigens niemand, was Coppélius in seinem Hause treibt. Eines Tages gefiel es besagtem Monsieur Coppélius, seine Lieblingspuppe, die er Coppélia genannt hat, mit einem Buch in der Hand ins Fenster zu setzen. Das erregte in der Nachbarschaft natürlich Aufsehen, wusste man doch bisher nichts von einer Tochter des Alten.
Auch die im Hause gegenüber wohnende Swanilda ist verwundert, eigentlich sogar enttäuscht, weil jenes wohl etwa gleichaltrige Mädchen von ihr überhaupt keine Notiz nimmt. Wohl aber glaubt sie, dass ihr Verlobter Frantz der Geschlechtsgenossin über Gebühr Aufmerksamkeit zuwendet. Auch heute versucht Swanilda, mit Coppélia in ein Gespräch zu kommen, was, wir wissen es natürlich, nicht gelingt, nicht gelingen kann. Nun beschließt Swanilda, bei Dr. Coppélius anzuklopfen; tatsächlich kommt, nach großem Lärm im Hause, der Hausherr an die Türe. Swanilda aber hat sich, ihren Frantz kommen sehend, schnell versteckt, um das weitere Geschehen zu beobachten.
Frantz bringt dann tatsächlich seine Verlobte in ihrem Versteck in Wallung: Er grüßt Coppélia, und die grüßt doch wahrhaftig zurück - oder war dss eine Täuschung? Swanilda zwingt sich im Versteck zur Ruhe. Aber Frantz wird durch die unerwartete Reaktion Coppélias mutig, und wirft ihr jetzt eine Kusshand zu. Coppélius, der das ebenfalls beobachtet, kann sich das Grinsen nicht verkneifen.
Jetzt hält Swanilda nichts mehr in ihrem Versteck, sie kommt auf den Platz gelaufen, versucht dabei einen Schmetterling zu fangen, den jedoch Frantz erwischt. Das macht sie noch wütender und sie gibt ihrem Verlobten klar zu verstehen, dass sie überzeugt ist, von ihm mit Coppélia betrogen zu werden. Seinen energischen Widerspruch, verbunden mit einem Liebesgeständnis für Swanilda, nimmt sie ihm nicht ab.
Nun kommen, vom Bürgermeister gerufen, die Dorfbewohner auf den Platz. Der Dorfobere lädt die Einwohner für den kommenden Tag zu einem Fest ein, denn der Gutsbesitzer hat für die Kirche eine Glocke gespendet. Geplant sei dabei, so erzählt er den Bürgern, auch ein „Maskenspiel der Glocke“- eine Ankündigung mit Beifallseffekt bei den Einwohnern. Dass in diesem Moment aus dem Haus des alten Coppélius wieder großer Lärm ertönt, bringt die Stimmung auf dem Platz nur kurz aus dem Tritt, kennt man doch im Dorf den alten Eigenbrötler: So etwas muss man nicht beachten!
Der Bürgermeister aber wendet sich nun Swanilda zu: Er will wissen, ob sie nicht am nächsten Tag ihren Frantz heiraten möchte, denn der Gutsherr werde während des Festes Trauungen vornehmen. Außerdem habe er für jedes Paar Geschenke vorgesehen. Als ihm Swanildas ablehnende Haltung merkwürdig vorkommt, sie deshalb nach den Gründen befragt und ihn auch erfährt, rät er ihr, die Treue von Franz mit einer Kornähre zu prüfen: Rasselt sie an ihrem Ohr, ist seine Liebe echt, rasselt sie nicht...
Swanilda probiert's aus - doch die Kornähre bleibt stumm. Aber sie lässt einen von Frantz' Freunden das Orakel wiederholen, und der behauptet dann, er habe etwas gehört. Aber Swanilda bleibt dabei: Frantz ist nicht der Richtige für sie, und deshalb zerbricht sie als Zeichen endgültiger Trennung die Kornähre vor dessen Augen. Niedergeschlagen geht Frantz ab, während Swanilda sich mit ihren Freundinnen vergnügt.
Als die Dunkelheit hereinbricht und sich die Menge nach Hause begibt, beobachten die jungen Mädchen, dass der alte Coppélius das Haus verlässt, die Türe dabei sorgfältig verschließend. Kaum dass er ein paar Schritte gegangen ist, umringen ihn etliche junge Männer, um ihn zu necken, aber Monsieur kann schließlich entkommen, doch er verliert in dem Gemenge seinen Schlüssel. Den finden Swanilda und ihre Freundinnen, haben sie doch das Gerangel mit den Jungs beobachtet. Ihr Entschluss ist schnell gefasst: Sie schleichen zum Haus, um das geheimnisvolle Mädchen einmal näher in Augenschein zu nehmen. Kaum aber sind die Mädchen im Haus verschwunden, taucht Frantz auf: Er hatte den Wunsch, mit der hübschen Mademoiselle zu sprechen. Frantz geht aber nicht zur Haustüre, sondern stellt eine Leiter ans Haus, und will gerade nach oben steigen, da sieht er Coppélius kommen und nach seinem Schlüssel suchen. Frantz rennt schnell davon...
Vorkommende Tänze im ersten Akt:
Prelude et Mazurka
Valse Lente
Scène
Mazurka
Scène
Ballade de L’Epi (Ballade von der Ähre)
Thème Slave Varie (Variationen über eine slawisches Thema)
Czárdás
Finale
ZWEITER AKT
Erstes Bild: Das Atelier von Coppelius mit diversen Automaten. An einem Tisch sitzt ein alter Perser mit weißem Bart, in einem Buch lesend; ein Schwarzer Mann nimmt eine drohende Haltung ein, auf einem Kissen sitzt ein maurischer Musiker; ein Chinese hockt vor einer großen Pauke.
Swanilda und ihre Freundinnen kommen sehr vorsichtig ins Zimmer und wundern sich über die vielen Automaten. Bei ihrem Rundgang entdeckt Swanilda hinter einem Vorhang die gesuchte Coppélia; sie begreift sofort, dass es eine Puppe ist - und ist wegen Frantz beruhigt. Die Mädchen sind jetzt richtig in Fahrt und drücken auf alle möglichen Knöpfe - die Automaten beginnen sich zu bewegen. In diesem Moment steht Dr. Coppélius im Raum, stellt die Automaten ab und jagt die Mädchen voller Zorn aus dem Haus, nur Swanilda gelingt es, sich hinter einem Vorhang zu verstecken.
Plötzlich taucht am Fenster Frantz auf; offensichtlich hat er seinen Schrecken überwunden und ist doch die Außenleiter hochgestiegen. Er kommt durchs Fenster, bemerkt in der Dunkelheit aber nicht, dass Coppélius auch im Zimmer ist. Als er sich Coppélia nähern will, packt ihn der Alte und Frantz gesteht dem Wüterich, dass er sich in Coppélia verliebt hat. Das Geständnis beruhigt Coppélius, ja, er lädt den jungen Mann sogar zu einem Glas Wein ein. Frantz nimmt dankbar an und trinkt das Glas in einem Zug leer; Coppélius aber schüttet seines, von Frantz nicht gesehen, aus. Nun geht mit dem verliebten Frantz eine merkwürdige Veränderung vor sich: Er torkelt zu einer Couch, fällt mehr auf sie, als dass er sich setzt, und schläft ein.
Coppélius geht zum Tisch, blättert in einem Buch, liest eine Zeitlang darin, und geht dann zu Coppélia. Er schiebt die Puppe mitsamt dem Sockel, auf dem sie ruht, Richtung Frantz und spricht dabei einige magische Worte - tatsächlich bewegt sich Coppélia plötzlich und steigt, erst unbeholfen, dann immer geschmeidiger werdend, schließlich von ihrem Sockel herab. Die Puppe beginnt, einige Tanzschritte auszuführen, und Coppélius reicht ihr eine Mantilla, was sie zu einem spanischen Tanz anregt; dann tanzt sie eine Gigue, nachdem ihr Coppélius eine schottische Schärpe gegeben hat.
In diesem Moment erwacht Frantz und Coppélius setzt Coppélia wieder auf den Sockel, schiebt sie danach an ihren Stammplatz zurück. Frantz beobachtet, immer noch etwas benommen wirkend, die Szenerie mit Staunen. Und nun geschieht etwas merkwürdiges: Alle Automaten beginnen sich zu bewegen, selbst Coppélia erhebt sich und führt wieder die eigentümlich-mechanischen Bewegungen aus. Was Coppélius jedoch nicht bemerkt hat:
Zwischenzeitlich hat nämlich Swanilda Coppélias Platz eingenommen, deren Kostüm und eine Maske angelegt und die Automaten eingeschaltet. Mit ihrem erst mechanischen, dann jedoch immer „menschlicher“ werdenden Tanz erregt sie Coppélius Aufmerksamkeit; er glaubt tatsächlich, einen Menschen erschaffen zu haben. Auch Frantz durchschaut die Posse zunächst nicht, und beginnt leidenschaftlich mit „Coppélia“ zu flirten, bis Swanilda sich voller Zorn demaskiert und davon rennt. Erst jetzt wird Frantz bewußt, mit wem er da geflirtet hat und in diesem Bewusstsein zertrümmert er wütend die Werkstatt, und flüchtet aus dem Haus. Dr. Coppélius aber begreift, was da geschehen ist - er bricht zusammen.
Vorkommende Tänze im ersten Bild des zweiten Aktes:
Entr’acte et Valse
Scène
Scène
Musique des Automates (Musik der mechanischen Puppen)
Scène
Chanson a Boire et Scène (Trinklied und Szene)
Scene et Valse de la Poupeé (Szene und Walzer der Puppen)
Scène
Bolero
Gigue
Scène
Finale
Zweites Bild: Parkanlage vor dem Schloss des Gutsherren; auf einem Holzgerüst die neue Kirchenglocke, an anderer Stelle der Bühne ein Thespiskarren mit Schauspielern.
Nach der Introduktion weiht ein Geistlicher zunächst die Glocke, dann übergibt er sie feierlich der Dorfgemeinde. Danach stellen sich die Brautpaare, darunter auch Swanilda und Frantz, die wieder zueinander gefunden haben, dem Herrn vor. Jedes der Paare erhält von ihm ein ansehnliches Geldgeschenk. Aber es hat sich im Dorf herumgesprochen, dass Frantz sich in eine Puppe verliebt hatte, nun wird er deshalb von den Mädchen ausgelacht. In diesem Augenblick erscheint Coppélius; er fordert von Frantz für den großen Schaden, den er mit seiner Wutattacke in der Werkstatt angerichtet hat, umgehende Wiedergutmachung. Swanilda bietet daraufhin dem Alten das soeben vom Gutsherrn empfangene Geldgeschenk an, doch der Landbesitzer greift ein und verhindert die Übergabe des Geldes. Stattdessen wirft er Dr. Coppélius einen Beutel voller Münzen vor die Füße. Der zeigt sich vollkommen zufrieden.
Dann eröffnet der Gutsherr das angekündigte Fest, das viele wunderbare Tänze enthält, wie den „Tanz der Stunden“ beispielsweise. Allegorischen Figuren versinnbildlichen mit ihren Tänzen die unterschiedlichsten Begebenheiten: Den Ruf der Glocke zum Gebet, zur Arbeit, zur Hochzeit, den Ruf zu den Waffen und zur Verkündigung des Friedens. Und jetzt sehen wir auch Swanilda und Frantz glücklich und verliebt.
Und Coppélius? Er steht, wie vergessen, abseits des Geschehens, macht aber den Eindruck, als sei er überzeugt, seine „Zauberkräfte“ wirkungsvoll zur Geltung gebracht zu haben.
Die im zweiten Bild des zweiten Aktes vorkommenden Tänze:
Introduction
Marche de la Cloche (Marsch der Glocke)
Valse des Heures (Stundenwalzer)
L’Aurore (Die Morgenröte)
La Priere (Das Gebet)
Le Trevail (Die Arbeit)
L’Hymen (Hochzeit auf dem Lande)
Le Discorde et la Guerre (Zwietracht und Krieg)
La Paix (Der Friede)
Danse de Fete (Festtanz mit Variation)
Galop Finale
INFORMATIONEN ZU KOMPONIST UND WERK
Clément Philibert Léo Delibes wurde am 21. Februar 1836 in Saint-Germain-du-Val im Département Sarthe als Sohn eines Postbeamten und einer musikalischen Mutter geboren. Er verstarb am 16. Januar 1891 in Paris und wurde auf dem Friedhof Montmartre beerdigt.
Mit seinen einprägsamen Musik, für die er eine äußerst farbige Instrumentierung schuf, wurde er zu einem der beliebtesten Bühnen-Komponisten der Romantik. Nach Lully und Rameau muss Delibes zu den bedeutendsten französischen Ballett-Komponisten gezählt werden. Auch die Oper „Lakmé“ erfreut sich in Frankreich noch immer großer Beliebtheit.
In der Geschichte von COPPÉLIA wird nicht nur die Faszination des 19.Jahrhunderts für mechanische Puppen und Automaten deutlich, sondern auch der romantische Wunsch, sie zum Leben zu erwecken. Hoffmanns Erzählung „Der Sandmann“ war eine ideale Vorlage für Nuitter und Saint-Leon, die eine phantastische Geschichte daraus formten, wobei einige französische Musikwerke wichtigen Einfluss ausübten, darunter in erster Linie Adolphe Adams „La poupée de Nuremberg“ von 1852.
Die Autoren erzählen die Ereignisse mit einer bemerkenswert durchgehaltenen Spannung. Die Tänze fügen sich problemlos in die inhaltliche Vermittlung ein. Dass auf die zündende Wirkung von bestimmten Tänzen, wie Mazurka, Polka, Csárdás und Walzer, gebaut wurde, kam dem damaligen Musikgeschmack entgegen, vermag aber auch heute noch den Hörer (respektive das Ballett-Publikum) mitzureißen. Nicht unerheblich ist die orchestrale Plastizität und die melodische Raffinesse, mit der Delibes seine Partitur zierte.
Es verwundert also nicht, dass COPPÉLIA bis heute zu den beliebtesten Balletten weltweit gehört, wobei festzuhalten ist, dass es in Frankreich nie für längere Zeit aus den Theater-Spielplänen verschwand. Der Musikfreund findet etliche Einspielungen bei den Audio-CD's und bei DVD's.
© Manfred Rückert für Tamino-Ballettführer 2013
unter Hinzuziehung folgender Quellen:
Libretto der Erato-Einspielung unter Kent Nagano
Reclam-Ballettführer (Kieser-Schneider, 2002; Regitz 1996)
Wikipedia über Delibes und COPPÉLIA