Der Musiker Gräber

  • Charlotte Huhn - * 15. September 1865 Lüneburg - † 15.Juni 1925 Hamburg


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    Zum heutigen Geburtstag von Charlotte Huhn


    Charlotte wurde als jüngstes von fünf Kindern in einfache Verhältnisse geboren; der Vater betrieb einen Friseur-Salon in der Grapengießerstraße 27 zu Lüneburg; starb aber früh, ein älterer Bruder Charlottes führte das Geschäft weiter.
    Bereits in der Schulzeit fiel Charlottes Stimme und auch ihre außergewöhnliche Musikalität auf. Hinzu kam noch ihr stattlicher Wuchs, also eine ideale Kombination für eine imposante Bühnenerscheinung.


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    Entscheidend für ihren Werdegang war, dass sie vom damaligen Oberbürgermeister Otto Lauenstein und Maria Gravenhorst gefördert wurde.
    Diese Maria Gravenhorst war eine in ihrer Zeit ungewöhnliche Frau, Gattin eines Rechtanwalts, der in Lüneburg etwas zu sagen hatte. Maria Gravenhorst wurde anlässlich eines Berlin-Aufenthalts nicht nur Kaiser Wilhelm I. vorgestellt, sondern hatte dort auch Kontakt mit den Operngrößen Albert Niemann und Pauline Lucca. Sie brachte dergestalt etwas Kultur in die Hansestadt Lüneburg, dass sie über einen repräsentativen Saal verfügen konnte, der zum Schönsten der Stadt gehörte. Hier fanden kulturell hochstehende Abende statt, die von der Dame des Hauses moderiert wurden; manchmal - so ist in alten Schriften zu lesen - ließ sie auch ihre »betörende Altstimme« bei solchen Veranstaltungen hören. Maria Gravenhorst wusste, dass es ihr zum Weltruhm nicht mehr reichen würde, setzte jedoch alles daran, dass ihre junge Mitbürgerin Charlotte Huhn diesen Status erreichen konnte. Bei den wohlhabenden und kunstverständigen Kreisen der Stadt setzte sich Marie Gravenhorst rührig dafür ein, dass für Charlotte Huhn ein Studium am Konservatorium in Köln möglich wurde.


    Dort studierte sie ab 1881 bei Karl Hoppe. Nachdem sie ihre Studien 1885 wohl außergewöhnlich erfolgreich beendet hatte - es ist überliefert, dass von 30 Schülern und Schülerinnen nur zwei das Reifezeugnis für Konzertgesang erhielten - trat sie zunächst als Konzertsängerin auf.
    1887 hatte sie das Bedürfnis ihre Studien zu vervollkommnen, ging nach Berlin und studierte bei Julius Hey und der großen Wagnersängerin Mathilde Mallinger. 1889 fühlte sie sich endlich reif für die Opernbühne und debütierte an der Berliner Kroll-Oper als Titelheld in Glucks »Orpheus und Eurydike«, wobei der Erfolg ganz außerordentlich war und sie nun unter den ersten Häusern wählen konnte, die ihr Angebote unterbreiteten. Charlotte Huhn wagte gleich einen großen Sprung und entschied sich für die Metropolitan Opera New York
    , wo sie in zwei Spielzeiten, also bis 1891 in 17 Rollen zu hören war. Zunächst sang sie am 27. November1889 dort in der Premiere von Wagners »Der Fliegende Holländer« die Partie der Mary. Die berühmteren deutschen Namen waren jedoch an der »Met« in jenen Tagen die von Lilli Lehmann und ihrem Gatten Paul Kalisch.
    Durch Gastspiele der »Met« in Chicago und Boston lernte Charlotte Huhn auch andere nordamerikanische Städte kennen. Nach Europa zurückgekehrt, studierte sie mit der sehr erfahrenen Altistin und Gesangspädagogin Marianne Brandt (*1842) in Österreich einige Wagner-Partien ein, welche dann Glanzpunkte ihrer Opernkarriere wurden.
    Als Konzertsängerin konnte man Charlotte Huhn während mehrerer Auftritte beim Elften Schlesischen Musikfest in Görlitz (in der Regel wird hier Breslau genannt) bewundern, das vom 7. bis 9. Julie 1891 unter der Leitung von Professor Dr. Franz Wüllner stattfand. Bezüglich der sechs im Programm genannten Gesangssolisten ist die Sängerin aus Lüneburg so angesagt:
    »Fräulein Charlotte Huhn, von der deutschen Oper zu New-York, Alt«. Und das Glanzstück durfte bei diesem Musikfest auch nicht fehlen: »Scenen aus Orpheus, 2. Akt ... Chr. W. von Gluck«, dargeboten von Fräulein Leisinger und Fräulein Huhn.


    Dass Fräulein Huhn anschließend ein Engagement am Opernhaus Köln annahm ist nicht verwunderlich, denn schließlich hatte sie in dieser Stadt studiert und der musikalische Leiter des Musikfestes, Professor Dr. Franz Wüllner, war eine Kölner Koryphäe. Bis 1895 sang sie in Köln recht erfolgreich, um dann jedoch einem Ruf der Hofoper Dresden zu folgen, wo Ernst von Schuch wirkte.
    Dort kam sie mit August Bungerts Tetralogie »Homerische Welt« in Berührung und sang in der Uraufführung von »Kirke« und »Nausikaa«.
    Wenn man auf Kritiken stößt, welche über die Konzertsängerin Charlotte Huhn berichten, dann liest sich das meist recht positiv. So würdigt Eberhard Bernsdorf, ein damals namhafter Kritiker der Fachzeitschrift »Signale für die Musikalische Welt«, die Künstlerin in einem Konzert, das im Oktober 1898 im Leipziger Gewandhaus stattfand, dass sie bei Schuberts »Erlkönig« den verliehenen dramatischen Schwung und das wohlgetroffene Auseinanderhalten der Charaktere des Liedes bewundernswürdig dargestellt hat. Auch als Charlotte Huhn an gleichem Ort als Zugabe »Das Meer hat seine Perlen«, eine Liedkomposition von Robert Franz, nach einem Text von Heinrich Heine sang, wurde von der Empfindungswärme ihres Vortrags sowie der Sonorität und trefflichen Behandlung Ihrer umfangreichen Alt- beziehungsweise Mezzo-Sopranstimme sehr lobend berichtet.
     
    Als Charlotte Huhn sich 1902 nach München wandte, um dort an der Hofoper zu singen, währte ihr Engagement bis zum Jahr 1906. In München wirkte sie bei der Uraufführung der Oper »Le donne curiose«, einem Lustspiel von Emanno Wolf-Ferrari, am 27. November 1903 mit. Neben diesen Festengagements gab Charlotte Huhn natürlich auch Gastspiele an den Hofopern Wien, Berlin. Mannheim ...
    Und sie war auch in Holland, Schweden, Dänemark und Norwegen zu hören und schließlich zog es sie auch noch nach Brasilien und Argentinien, was so eine Art »Auszeit« gewesen sein soll.
    Charlotte Huhn konzentrierte sich etwa ab 1906 auf ausgesuchte Gastspiele, wo sie immer noch eindrucksvoll ihr Können darzubieten vermochte. Leider lehnte sie die Aufnahme ihrer Stimme ab, was ja zu ihrer Zeit durchaus möglich gewesen wäre. Sie wandte sich nun zunehmend auch pädagogischen Aufgaben zu. So gründete sie in Köln ihre eigene Gesangsschule, bekam aber die Leitung des gesamten Gesangswesens der großherzoglichen Hochschule für Musik und Gesang in Weimar angeboten, eine interessante Position, die sie jedoch nach drei Jahren wieder abgab, um in Berlin wieder unter eigener Regie eine eigene Gesangsschule zu führen.
    Die beste Zeit hatte Charlotte Huhn nun hinter sich; mit einem ihrer Schüler, einem Tenor, trat sie in ein so enges Verhältnis, dass sie ihn und seine junge Familie, auf deren Leben kein Segen ruhte, in all dem Kummer und Elend begleitete. In Hamburg, wo sie in einem letzten Versuch nochmal eine Gesangsschule gegründet hatte, starb sie mit 59 Jahren - wie es heißt, nach einer missglückten Stimmbandoperation.


    Nach ihrem Tode erschien im Sonntagsblatt der Lüneburgischen Anzeigen am 13. Juni 1926 ein Nachruf:


    »An einer schönen Stelle im ältesten Teil des Michaelisfriedhofes ist nun das Grabmal Charlotte Huhns errichtet. Dunkle Bäume bilden einen wirkungsvollen Hintergrund für des schimmernde Weiß des Granits, und prächtig hebt sich von diesem die Bronze des Bildnisses und der Urne ab. Die drei auf dem Deckel des Aschekruges eingravierten Namen verkünden mit der in Gold aus dem Hell des Denkmals leuchtenden Inschrift, dass hier eine der großen musikdramatischen Bühnengestalterinnen von ihrer Erdenpilgerung ausruht und dass die Pilgerung ehrenvoll war ...«


    Auf dem Deckel der Schmuckurne ist zu lesen: Fides - Orpheus - Ortrud; diese Inschrift würdigt die herausragenden Stationen ihres Lebens als Bühnenkünstlerin. Die Fides in Meyerbeers »Der Prophet«, als Titelheld in »Orpheus und Eurydike« von Gluck und aus ihrer Zeit an der Metropolitan Oper New York als Ortrud in Wagners »Lohengrin«.


    Praktischer Hinweis:
    Michaelisfriedhof in 21339 Lüneburg, Lauensteinstraße 41
    Das Grab befindet sich im Feld A, das ist nahe am Eingang, man wendet sich bei der Kapelle nach rechts.

  • Carl Amand Mangold - * 8. Oktober 1813 Darmstadt - † 4. August 1889 Oberstdorf


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    Zum heutigen Geburtstag von Carl Amand Mangold


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    Hinter diesem Namen verbirgt sich ein großartiges Musikerleben und C. A. Mangold war zu seinen Lebzeiten eine hochgeachtete Musikerpersönlichkeit. Er schrieb einige Opern und Oratorien, aber auch Lieder und Ballettmusik und wirkte viele Jahrzehnte in Darmstadt als unermüdlicher Chordirigent.
    Wenn Mangolds Oratorien wie »Frithjof« oder die »Hermannsschlacht« aufgeführt wurden, saßen da schon mal 155 Mann im Orchester, aber heutzutage sind solche Dinge nicht mehr en vogue, wenngleich sein 1859 komponiertes Oratorium »Abraham« noch als CD-Aufnahme zur Verfügung steht.


    Von Geburt an war Carl Ludwig Amand - so seine exakten Vornamen - von Musik umgeben. Ursprünglich kam die Familie aus dem nahen Odenwald nach Darmstadt. Die Musiktradition der Mangolds reicht bis ins 14. Jahrhundert zurück, da waren Türmer und Stadtmusikanten, Sänger, Dirigenten, Kantoren ...
    Nun gab es in Darmstadt einen Großherzoglichen Hof, an dem musiziert wurde. Der Vater von Carl Amand, Großherzoglicher Hofmusikdirektor und Hofkapellmeister Georg Mangold, musste seinen Sohn nicht alleine in die musikalischen Kenntnisse einweisen, denn da war noch der ältere Bruder Wilhelm Mangold, ebenfalls Hofkapellmeister, und seine Schwester, die Sängerin Charlotte Mangold, immerhin Schülerin bei Carl Maria von Weber und Giacomo Meyerbeer, die dem kleinen Nachkömmling - er war der letzte der vierzehn Kinder - zeigen konnten wie Musik funktioniert.


    Als Carl Amand 1834 nach London reiste, lernte er dort Händels Oratorien kennen und bei seinem späteren Schaffen lag der Schwerpunkt seiner Kompositionen in der Vokalmusik.
    Als Vater Georg Mangold 1835 starb, trat Carl Amadeus in Darmstadt erstmals als Sänger auf, war aber auch als Violinspieler solistisch zu hören und führte eigene Kompositionen auf.
    In den Jahren 1836 bis 1839 studierte er am Pariser Konservatorium, das damals von Luigi Cherubini geleitet wurde. In Paris kam er mit den bedeutenden Musikern seiner Zeit - Frédéric Chopin, Franz Liszt, Hector Berlioz, Giacomo Meyerbeer, Jacques Fromental Halévy ... in Kontakt und trat auch schon als Dirigent und Komponist hervor.
    Zudem stand er in seiner Pariser Zeit auch mit Robert Schumann in Verbindung, den er für dessen »Neue Zeitschrift für Musik« mit Berichten aus dem Musikleben der französischen Hauptstadt versorgte. 1839 kehrte er dann wieder nach Deutschland zurück, weil sich eine ursprünglich geplante Einbürgerung nicht verwirklichen ließ.


    1841 wurde Mangold am Hoftheater Darmstadt als Korrepetitor angestellt, und in dieser Theaterluft entstand nun seine erste Oper »Das Köhlermädchen«; die Uraufführung war 1843.
    Im gleichen Jahr wurde auch sein erstes Oratorium »Wittekind oder der Sieg des Glaubens« aufgeführt.
    Interessant ist nun, dass sich sowohl Richard Wagner als auch Carl Amand Mangold fast zeitgleich mit dem gleichen Stoff für eine Oper beschäftigten, die Titel unterscheiden sich nur geringfügig - Mangold komponierte »Tanhäuser« und Wagner die Oper »Tannhäuser«.
    Die beiden Herren hatten von der Parallelität ihrer Arbeit keine Ahnung; Mangold begann seine Komposition am 8. Oktober 1843, Wagners Arbeitsbeginn war erst im November 1843. Allerdings vollendete Wagner seinen »Tannhäuser« bereits am 29. Dezember 1844 und Mangold setzte den Schlusspunkt zu seinem »Tanhäuser« erst eine Woche später, am 6. Januar 1845.
    Bei Mangolds Werk hatte der Textdichter - Eduard Duller - die Sage vom Getreuen Eckert herausgearbeitet und nicht den Sängerkrieg; Mangolds Librettist stellt die Geschichte des Minnesängers Heinrich von Ofterdingen in den Mittelpunkt.
    Mangolds »Tanhäuser« wurde mehrmals erfolgreich aufgeführt, in der »Neuen Zeitschrift für Musik« sah der Rezensent A. Müller1848 das Werk so:


    »In Darmstadt ist vor Kurzem ein Werk eines jungen deutschen Componisten zum vierten Male über die Bühne gegangen, welches so viel des Schönen enthält, daß es wohl verdient, bekannt und verbreitet zu werden; es ist die Oper: Tanhäuser von C. A. Mangold, Gedicht von Eduard Duller. Der Handlung liegt eine bekannte Sage vom dem Ritter Tanhäuser in Thüringen und dem Hörselberge zum Grunde. Der Componist hat in der Ouvertüre einen wirkungsvollen Anfang der Oper hervorgerufen und damit, so wie in dem ganzen Werke eine große Instrumental-Kenntnis und einen sehr richtigen Tact in der Verwendung der musikalischen Mittel an den Tag gelegt, welche uns zu wahrer Anerkennung und Bewunderung auffordern müssen. Die Hauptcharaktere der Oper: Tanhäuser, Innigis und Eckhard, sind in allen Situationen so wahr und trefflich gezeichnet, daß sie ihre große Wirkung nicht leicht verfehlen können. Namentlich sind hervorzuheben: die Romanze Tanhäusers im Hörselberge - die beiden Arien der Innigis - die Romanze des treuen Eckhard vor dem Hörselberge und das gleich darauf folgende Gebet (Tanhäuser, Innigis, und Eckhard), als Terzett ohne Instrumentalbegleitung behandelt. Die Parthie des Patriarchen Urban ist, besonders anfangs, so würdevoll gehalten, und ihm solch schöne versöhnende Cantabiles von trefflichen Chören unterstützt, in den Mund gelegt, daß die Behandlung des Actes gewiß großes Lob verdient. Der beiden Pilger-Chöre muß ich noch extra gedenken; auch sie zeugen von der Kraft und dem Talente des Componisten, das Beste zu leisten. Und so will ich denn mein Referat über diese Oper mit dem Bemerken schließen, daß der Componist Hoffnung hat, es baldigst auf einer der allerersten Bühnen Deutschlands zur Aufführung zu bringen. Wir wünschen ihr dort, so wie überall, das Glück, das die Oper verdient, und daß sie auch bei uns in reichem Maße gefunden hat. Die letzte dicht bedrängte Vorstellung, welche vom Componisten selbst geleitet wurde, war aber noch abgerundeter als die früheren, und ließ beinahe nichts zu wünschen übrig«.


    Die gute Besprechung und die guten Wünsche des Rezensenten halfen wenig, Mangolds »Tanhäuser« eroberte die großen Bühnen nicht, sowohl in Leipzig als auch in Berlin waren die Theaterdirektoren mit Wagner befreundet und wussten es einzurichten, dass Mangolds »Tanhäuser« außen vor blieb.


    Privat war es für Carl Amand Mangold in dieser Zeit besser gelaufen; im Herbst 1844 heiratete er die Tochter des Großherzoglichen Hessischen Ministerpräsidenten. Mangold hatte nun Zugang zu den höchsten Kreisen der Gesellschaft und die damals sehr berühmte Sängerin Jenny Lind trug oft in ihren Konzerten Mangolds »Zwiegesang« vor, es war eines von mehr als 300 Sololiedern, die Mangold komponierte.
    1848 wurde Carl Amand Mangold zum Hofmusikdirektor ernannt. Neben seinen Oratorien, die sehr erfolgreich waren und dem Zeitgeist entsprachen schuf er das Ballett »Dornröschen« und das Singspiel »Die Fischerin«.
    Auch nach seiner Pensionierung 1869 war Mangold immer noch viele Jahre als Chorleiter und Komponist tätig und hatte in der Fachwelt einen guten Namen. Aber berühmter wurden Verdi und Wagner, die ebenfalls 1813, also wie Mangold, geboren waren.
    Carl Amand Mangold hielt sich im August 1889 zu einem Erholungsurlaub in Oberstdorf im Allgäu auf, wo ein Herzinfarkt seinem Leben ein Ende setzte.


    Praktische Hinweise:
    Das Grab der Musikerfamilie Mangold befindet sich auf dem Alten Friedhof in 64285 Darmstadt, Herdweg 105. Man geht vom Eingang aus etwa 100 Meter geradeaus und findet dann die relativ große Grabanlage rechts des Weges.
    Auf diesem Friedhof befinden sich auch die Gräber der Sängerin Erika Köth und des Komponisten Friedrich von Flotow (siehe Beitrag #84).

  • Lieber hart, wieder einer Deiner Friedhofsbesuche, bei dem man Dich sehr, sehr gern begleitet. Danke. Ein diskreter Hinweis sei mir erlaubt. Vielleicht möchtest Du ja den zweiten Vornamen von Mangold, Amand, durchgängig verwenden. Die Autokorrektur spielt auch mir bei solch seltenen Namen gern Streiche.


    Mangolds »Tanhäuser« wurde mehrmals erfolgreich aufgeführt ...

    In neuer Zeit gab es übrigens eine Aufführung in Annaberg-Buchholz. Die Kritik des Online-Merker findet sich noch im Netz.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Vielleicht möchtest Du ja den zweiten Vornamen von Mangold, Amand, durchgängig verwenden

    Lieber Rheingold,
    Dein Hinweis war dringend notwendig, denn ich hatte schon vorher das vage Gefühl da irgendwas falsch gemacht zu haben - danke!

  • Auf der Suche nach Material über Egeon Wellesz fand ich den Hinweis auf sein Grab in Wien und habe die Gelegenheit zu einem virtuellen zu den Gräbern von Musikern unternommen, die sich auf dem Wiener Zentralfriedhof befinden. Anbei Orientierungskarte, die behilflich sein kann bei Suche nach Grabstätten

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    Ich fand dort außerdem die Gräber folgender Musiker (Komponisten, Sänger, Dirigenten, Instrumenbauer) geordnet nach Todesjahr bis 1991.


    Christoph Willibald von Gluck (1714-1787) (32A-49).

    Ludwig van Beethoven (1770–1827) (32A-29).

    Franz Schubert (1797–1828) (31A-28).

    Hans Rott (1858–1884) (23-2-59).

    Franz von Suppe (1819–1895) (32A-31).

    Johannes Brahms (1833–1897) (32A-26).

    Carl Zeller (1842–1898) (47B-G1-9).

    Johan Jr. Strauss (1825–1899) (32A-27).

    Carl Millöcker (1842–1899) (32A-35).

    Wilhelm Jahn (1835-1900) (0-1-26).

    Hugo Wolf (1860-1903) (32A-10).

    Anton Rückauf (1855-1903) (32A-12).

    Max Josef Beer (1851–1908) (72D-G1-31).

    Leopold Demuth (1861-1910) (33H-7-7).

    Josef Bayer (1852-1913). (0-1-66).

    Karl Goldmark (1830-1915) (52A-1-13).

    August Stoll (1853-1918) (59-A-8-23).

    Ludwig Bösendorfer (1835-1919) (17B-G1-10).

    Natalie Bauer-Lechner (1858-1921) (59B-G1-21).

    Karl Michael Ziehrer (1843-1922) (32C-1).

    Heinrich Berte (1858-1924) (59A-6-16).

    Ferdinand Löwe (1863-1925) (31B-13-9).

    Rudolf Pichler (1856-1925) (84-10-41).

    Karl Horwitz (1884-1925) (41-B-G1-36).

    Grafin Maria Misa von Wydenbrück-Esterhazy (1859-1926). (55-B-23).

    Gerhard Stehmann (1866-1926) (17-1-22).

    Franz Neidl (1855-1926) (120-5-22).

    Robert Fuchs (1847-1927) (33E-3-5).

    Hermann Theodor Gradener (1844-1929) (47F-12-7).

    Selma Kurz (1874-1933) (14C-8).

    Mathilde Fröhlich (1865-1934) (67-44-86).

    Wilhelm Kienzl (1857-1941) (32C-20).

    Alexander von Zemlinsky (1871-1942) (33G-71).

    Margaretha Rita Merlitschek-Michalek (1875-1944) (160-10-55).

    Hans Pfitzner (1869-1949) (14C-16).

    Arnold Schönberg (1874-1951) (32C-21A).

    Joseph Marx (1882-1964) (32C-29).

    Grete Wiesenthal (1885-1970) (55-A-13).

    Egon Wellesz (1885-1974) (32C-38).

    Robert Stolz (1880-1975) (32C-24).

    Lotte Lehmann (1888-1976) (32C-49).

    Ernst Krenek (1900-1991) (33G-1).

    Alles Gute und einen Gruß von Orfeo

  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner
  • Lieber Orfeo,

    zu Deinem Plan sollte man noch hinzufügen, dass sich das von Dir gezeigte Grab in der Gruppe 32 C befindet. Diese Gräbergruppe liegt links des Hauptweges.


    Die Fremdenführerin Hedwig Abraham, die auch Prominentengräber auf dem Wiener Zentralfriedhof beschreibt, bezeichnet in ihrem Beitrag Egon Wellesz als Schriftsteller, was diesem Mann nicht ganz gerecht wird.


    Schließlich war er Komponist und Privatschüler von Arnold Schönberg und verfasste 1920 die erste Monographie Schönbergs; Egon Wellesz war ein geachteter Musikwissenschaftler, was vielleicht dazu führte, dass er als Schriftsteller bezeichnet wird, was ja auch nicht falsch ist. Als Musikwissenschaftler beschäftigte er sich ganz besonders mit der italienischen Oper und byzantinischer Musik.
    Im Mai 1921 fand die Uraufführung seiner Oper »Die Prinzessin Girnara« gleichzeitig an zwei Opernhäusern statt - in Frankfurt und Hannover, 1924 folgte die Oper »Alkestis«, UA in Mannheim und »Die Bakchantinnen«, UA am 20. Juni 1931in Wien.


    Egons Interesse an Musik wurde früh geweckt; der Siebenjährige begann mit dem Klavier, und hörte als Vierzehnjähriger Gustav Mahler dirigieren, was den jungen Mann stark beeindruckte.
    Das von den Eltern gewünschte Jurastudium war von kurzer Dauer, recht bald wechselte Egon Wellesz zur Musikwissenschaft und war von 1929 bis 1938 Professor an der Universität Wien.
    1938 hatte er Österreich verlassen und ging nach England, wo er ein hochangesehener Musikwissenschaftler und Lehrer war und 1946 britischer Staatsbürger wurde.
    Dass er aber auch komponierte, zeigt ein Werkkatalog von 112 Opus-Nummern, darunter 6 Opern, 4 Ballette, 9 Symphonien, 8 Streichquartette, Konzertstücke für Klavier, Violine, Lieder, Chorwerke ...

  • Hab Dank für diesen, den vorangehenden ergänzenden und Egon Wellesz betreffenden Beitrag, lieber hart.

    Egon Wellesz ist mir, der ich gerade bis zum Hals in der Wiener Moderne stecke, wohl bekannt, und er verdient, wie ich finde, eine ihn in seiner historischen Bedeutung hervorhebende Beachtung.

    Ihm ist ja hier im Forum, völlig zu Recht, ein eigener Thread gewidmet: Egon Wellesz: Die Sinfonien und alles andere auch

  • Anna Milder-Hauptmann - * 13. Dezember 1785 Konstantinopel - † 29. Mai 1838 Berlin


    Beethovens erste Leonore - zu ihrem heutigen Geburtstag

    Anna Milder-Hauptmann hat ihre letzte Ruhe auf einem ganz außergewöhnlichen Berliner Friedhof gefunden, der 1961 zu einer nur unter Todesgefahr zu überwindenden Staatsgrenze wurde, auf dem Gelände hatte man – zum Teil mit abgebauten Grabsteinen – einen Kolonnenweg angelegt, der für die Fahrzeuge der Grenzpatrouillen genutzt wurde.
    Dem geschaffenen Todesstreifen fielen auch einige kulturhistorisch wertvolle Gräber und Kunstwerke zum Opfer und nach der Wende entstanden weitere Schäden durch Vandalismus und Diebstahl.


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    Noch immer stehen Teile der Mauer auf dem Friedhofsgelände.


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    Der unscheinbare Stein wird durch das Schattenmuster des Gitters belebt, die heutige Grabplatte soll aus dem Jahr 1927 stammen.


    Wenn man sich die Lebensdaten dieser Ausnahmesängerin anschaut ist klar, dass man auf Zeitzeugen angewiesen ist, die der Nachwelt ihre Eindrücke der außergewöhnlichen Stimme von Milder-Hauptmann berichten, denn die Entwicklung der Schallplatte lag noch in weiter Ferne.


    Diese Zeitzeugen stammen aus der ersten Reihe der Musikschaffenden: Joseph Haydn, Antonio Salieri, Luigi Cherubini, Ludwig van Beethoven, Franz Schubert ... und viele namhafte Komponisten arbeiteten mit der Sängerin auf vielfältige Weise zusammen.
    Beethoven komponierte für sie die Titelpartie seiner einzigen Oper »Fidelio« und Anna Milder sang alle drei Fassungen mit unterschiedlichen Titeln: 1805 »Fidelio oder die eheliche Liebe«, 1806 »Leonore oder Der Triumph der ehelichen Liebe« und schließlich 1814, nun mit dem Namen Anna Milder-Hauptmann, die endgültige Fassung »Fidelio«, und schrieb damit Musikgeschichte. Dass einige Jahre später - ab 1822 - Wilhelmine Schröder-Devrient Beethovens Oper zum eigentlichen Durchbruch verhalf ist eine andere Geschichte ...


    Aber auch Musik-Rezipienten wie zum Beispiel Napoleon und Johann Wolfgang von Goethe waren von Anna Milder-Hauptmann hell begeistert, was noch an konkreten Beispielen dargestellt werden soll.

    Sie war als Anna Pauline Milder geboren; der Name Hauptmann kam im Frühjahr 1810 hinzu, als sie den Wiener Hofjuwelier Peter Hauptmann heiratete, der mehr als zwei Jahrzehnte älter war als seine Angetraute, die Ehe soll nicht glücklich gewesen sein, die beiden Kinder wuchsen beim Vater auf.


    Ihr Geburtsort Konstantinopel - heute Istanbul - ist schon etwas außergewöhnlich, sie war im damaligen europäischen Stadtteil Pera geboren.


    Ziemlich nah kann man vermutlich an die Sängerin herankommen, wenn man den Aufzeichnungen des Musikwissenschaftlers Dr. Gustav Schilling folgt, der 1842 - also vier Jahre nach dem Tod von Anna Milder-Hauptmann - eine »Encyclopädie der gesammten musikalischen Wissenschaften« herausgab.
    Dieser Dr. Schilling prangert zwar Ungenauigkeiten bei der Darstellung der Jugendgeschichte von Anna Milder-Hauptmann im Lexikon an und beruft sich bei seiner Darstellung auf authentische Quellen, aber er selbst war eine umstrittene Figur; dennoch gibt es eigentlich keinen Grund seiner Darstellung zu misstrauen; er schreibt auf Seite 309 im Supplement-Band des Universal-Lexicon:


    »Besonders die Jugendgeschichte der ewig denkwürdigen Künstlerin betreffend, bedarf dieser Artikel im Lexicon mehrerer wesentlichen Berichtigungen, welche mitgetheilt hier sich auf authentische Quellen gründen. Geboren ward sie am 13. December 1785zu Constantinopel. Ihr Vater, Felix Milder, ein geborner Salzburger, war damals Conditor bei dem k. k. Gesandten, Baron Herbert, und ihre Mutter Kammerfrau bei dessen Gemahlin. Mit den Kindern des Gesandten wuchs auch die kleine Anna bis zu ihrem fünften Jahre auf. Zu dieser Zeit verließen die Eltern Constantinopel, indem der Vater als Dolmetscher Dienste bei dem Fürsten Maurojoni in Bucharest nahm. Hier verweilten sie, bis der Krieg zwischen Oesterreich und der Pforte ausbrach. Die Eroberung von Bucharest durch die Oesterreicher endigten die vielen Gefahren, denen die Familie Milder während dieses Krieges ausgesetzt war. Während des Congresses zu Listora trat Vater Milder wieder in die Dienste des Baron Herbert. Später nach Bucharest zurückgekehrt, verlebte die Familie fast noch ein Jahr im Hause eines Bojaren, bis der Ausbruch der Pest sie zur Flucht nöthigte. Ihr Weg ging durch die Quarantäne zu Herrmannstadt nach Wien, wo Anna den ersten Unterricht erhielt. Der französischen, italienischen, neugriechischen und wallachischen Sprache vollkommen mächtig, konnte sie noch kein Wort deutsch. Die erste Kirchen- und Opern-Musik, welche sie in Wien hörte, machte einem mächtigen Eindruck auf das damals zehnjährige Mädchen, und die Eltern wurden mit Bitten um Musikunterricht bestürmt. Durch das veränderte Klima aber litt ihre Gesundheit sehr, und der Vater kaufte ein kleines Landgut in Hütteldorf, eine Meile von Wien, welches sie alle bezogen, und wo Anna nun von dem Dorfschulmeister den ersten Musikunterricht erhielt. Bald darauf indeß hörte S. Neukomm, der als Salzburger Landsmann Milder besuchte, die junge Anna singen, ward von der schönen, umfangreichen Stimme überrascht und ertheilte dem nunmehr 16 Jahre alt gewordenen Mädchen zwei Jahre lang, und zwar den ersten kunstgemäßen Unterricht, wornach also nicht Schickaneder und Tomascelli oder Salieri es waren, welche die erste Entdeckung von ihrem außerordentlichen Talente machten. Durch Neukomm ward Anna M. auch mit J. Haydn, dem Lehrer jenes, bekannt. Haydn hörte sie öfters und sagte einmal in seiner treuherzigen Weise nach einer vorgesungenen Arie: ›Liebes Kind, Sie haben eine Stimme wie ein Haus.‹ Im dritten Jahre des Unterrichts von Neukomm sang die Künstlerin schon Zingarelli´s berühmte Arie ›Ombra adorata‹. Schickaneder hörte sie und beredete sie sofort zum Auftreten auf der Bühne. Ihre Eltern gaben auch die Einwilligung dazu, und nun übernahm es Mozarts Schwägerin, die Unterhandlungen mit Schickaneder einzuleiten, deren Erfolg ein Engagement mit 500 fl. W. W. war. Zum ersten Debut ward die Rolle der Juno in Süßmayers ›Spiegel von Arkadien‹ gewählt. Es war am 9. April 1803. Die 19jährige Sängerin gefiel so sehr, daß eine von Süßmayer für sie eigens componirte und noch eingelegte Arie mehrere Male wiederholt werden mußte.«


    Nach ihrem fulminanten Einstand im April 1803 eilte die junge Sängerin von Erfolg zu Erfolg. 1807 wechselte Anna Milder an das Kärntnerthortheater, wo sie mächtig Furore machte.
    Sie bewirkte eine Wiederbelebung der Opern Glucks, denn die Titelpartien von »Alceste«, »Armida« und »Iphigenie in Tauris« schienen ihr auf den Leib geschrieben, hier konnte sie ihre stimmlichen Möglichkeiten grandios entfalten. Der umtriebige Johann Friedrich Reichardt, der damals schon einiges gehört hatte, schrieb im November 1808 aus Wien - nachdem er sich über die Dekorationen im Theater mokiert hatte - bezüglich Milders Stimme:
    »Aber die herrliche Stimme der Künstlerin habe ich in ihrer ganzen Schönheit und Fülle genossen, und bin wahrlich entzückt davon. Es ist ausgemacht die schönste, vollste, reinste Stimme, die ich in meinem Leben in Italien, Deutschland, Frankreich und England gehört habe.«
    Wie bereits erwähnt, wurde diese große Stimme auch vom großen Napoléon Bonaparte bewundert, der gerade mal wieder - von Mai bis Oktober 1809 - in Wien weilte, wo er in Schloss Schönbrunn residierte.
    Napoleon hörte Anna Milder in als Lilla in der Oper »Una cosa rara« von Vincente Martin y Soler.
    Seine Begeisterung ist so überliefert: »Voila une voix, depuis longtemps je n´ai pas entendu une telle voix.« Nachdem der große Feldherr die Sängerin einige Male gehört hatte, unterbreitete er ihr ein außerordentliches, mit viel Geld und Privilegien gespicktes Angebot, wenn sie zum Engagement nach Paris kommt. Der 25-jährigen Sängerin war offenbar ihre Heirat wichtiger und so wurde aus der Fortsetzung ihrer Karriere in Paris nichts; Milders Biograf Carl von Ledebur drückt das so aus: »allein unselige Bande fesselten sie damals in Wien.«
    Auch als ihr kurze Zeit später Operndirektor Gaspare Spontini eine Jahresgage von 46.000 Francs bot, wenn sie an die italienische Oper nach Paris kommt, sagte sie ab. Der Zeitpunkt war allerdings denkbar ungünstig, denn im Februar 1811 hatte Anna Milder-Hauptmann ihr erstes Kind, eine Tochter, geboren und Spontinis briefliches Angebot trägt das Datum des 28. März des gleichen Jahres.


    Es dauerte noch ein paar Jahre, dann kamen die beiden beruflich doch noch zusammen. Milder-Hauptmanns Ruhm war bis nach Berlin gedrungen, wo sie schon 1812 und 1815 mit triumphalem Erfolg gastierte. Wie bereits in Wien, kam es durch sie auch in Berlin zu einer Gluck- Renaissance. 1816 war sie in Wien kontraktbrüchig geworden, um Mitglied der Berliner Hofoper werden zu können. Am 1. Juni 1816 wurde die Ausnahmesängerin vom König für das königliche Hoftheater engagiert; aus einem ihrer Briefe geht hervor, dass sie über diese lebenslange Anstellung sehr glücklich war. Bereits eine Woche nach ihrer Festanstellung in Berlin stand sie als Emmeline in Joseph Weigls damals überaus populärer Oper »Die Schweizer-Familie« auf der Bühne, ihr Auftritt muss routiniert gewesen sein, denn sie hatte diese Rolle schon 1809 bei der Uraufführung in Wien gesungen. Im Laufe ihres Berliner Engagements sind 380 Vorstellungen mit Milder-Hauptmann überliefert. Wie die Stimme in Berlin geklungen haben mag, ist in den Erinnerungen des Berliner Philologen und Kunsthistorikers Gustav Parthey nachzulesen, er schreibt: »Ihre Stimme vereinigte Weichheit, Reinheit und Stärke in einem noch nicht dagewesenen Grade.«


    Auch Jeanette, die spätere Frau des akademischen Malers Friedrich Leopold Bürde, war mit nach Berlin gekommen, das war Annas vierzehn Jahre jüngere Schwester, die ebenfalls musikalisch außerordentlich begabt war. Jeanette betätigte sich als Pianistin, Sängerin und Komponistin, wobei zu erwähnen ist, dass sie mehrere Hefte mit Liedern herausgab.
    Jeanette begleitete zunächst öfter den bekannten österreichischen Tenor Franz Wild, aber auch ihre Schwester, wenn diese Lieder vortrug, wie zum Beispiel 1824, als ihre Schwester in Berlin Goethe-Vertonungen von Franz Schubert vortrug; auf dem Notenblatt der Komposition von »Suleika 2« (D. 717) steht: »Frau Anna Milder gewidmet«

    Und dann kam 1820 der Ritter der Ehrenlegion, Gaspare Spontini, auf Aufforderung des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. als Generalmusikdirektor und Erster Kapellmeister nach Berlin; bereits 1817 hatte ihm der König den Titel eines »premier maître de chapelle honoraire« verliehen. Natürlich sang Anna Milder-Hauptmann auch in den vom neuen Chef komponierten Opern, wie zum Beispiel am 14. Mai 1821 in der deutschsprachigen Zweitfassung von »Olympia«, als Statira oder in der 1827 uraufgeführten Oper »Agnes von Hohenstaufen.«


    Der Beruf einer Sängerin ist anstrengend, also begab sich Anna Milder-Hauptmann mit ihrer Freundin Friederike im Sommer 1823 zur Kur nach Marienbad, wo sie Goethe begegnete. Anlässlich eines privaten Konzerts im Hause des Badearztes sang sie einige Lieder, was den alten Goethe offensichtlich sehr beeindruckte, denn er notierte in seinem Tagebuch: »Zu Dr. Heidler, wo Madame Milder unvergleichlich sang und uns alle zum Weinen brachte.«
    Dieses Konzert ist auch noch auf andere Weise dokumentiert, an seinen Busenfreund Zelter schrieb der Dichterfürst am 24. August, also neun Tage nach dem Konzerterlebnis: »vier kleine Lieder, die sie dergestalt groß zu machen wußte, daß die Erinnerung daran mir noch Thränen auspreßt.«
    Der alte Zelter drückte die Hochachtung auf seine Weise aus und meinte:»Dem Weibsbilde kömmt der Ton armsdick zur Kehle heraus!« Carl Friedrich Zelter war diesbezüglich sachkundig, denn er stand von 1800 bis 1832 als Direktor der Singakademie zu Berlin vor und organisierte noch drei Jahre vor seinem Tod am 11. März 1829 die legendäre Wiederaufführung der Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach unter dem 20-jährigen Felix Mendelssohn Bartholdy. Bei dieser Veranstaltung sang auch Anna Milder-Hauptmann und vermutlich ihre Schwester Jeanette, die ebenfalls Mitglied der Singakademie war.
    Ein Jahr zuvor, am 9. April 1828, gab es eine Feier anlässlich ihres 25. Bühnenjubiläums. Man überreichte der Jubilarin eine Vase, in der ihre wichtigsten Rollen eingraviert waren. Ein weiteres Geschenk kam von Goethe, der durch Zelter ein Prachtexemplar von »Iphigenie in Tauris« mit einer persönlichen Widmung überreichen ließ:


    »Dies unschuldsvolle, fromme Spiel,
    Das edlen Beifall sich errungen,
    Erreichte doch ein hö´hres Ziel,
    Betont von Gluck, von Dir gesungen.«


    Anna Milder-Hauptmann fühlte sich auf Augenhöhe mit den großen Komponisten ihrer Zeit, Beethoven eingeschlossen, der die Absicht hatte für Berlin eine zweite Oper zu schreiben; am 6. Januar 1816 schrieb er mit der Anrede: »Meine werthgeschätzte einzige Milder, meine liebe Freundin! - unter anderem - »Wenn Sie den Baron de la motte Fouquè in meinem Namen bitten wollten, ein großes opern Süjet zu erfinden, welches auch zugleich für Sie anpassend wäre, da würden sie sich ein großes Verdienst um mich u. um Deutschlands Theater erwerben – auch wünschte ich solches ausschließlich für das Berliner Theater zu schreiben, da ich Es hier mit dieser knickerigen Direkzion nie mit einer neuen oper zu stande bringen werde.«
    Wie man weiß, kam es zu keiner zweiten Beethoven-Oper, aber die Sängerin benutzte ihren berühmten Namen auch, um andere Komponisten darum zu bitten, für ihre Stimme etwas zu komponieren, so zum Beispiel Conradin Kreutzer, der 1819 an einen Freund schrieb:


    »Diesen Winter habe ich für die Madame Milder nach Berlin ein lyrisch tragisches Zwischenspiel – Adele von Badoy – componirt die Sie mir übersandte. Dies ist ein ungemein effectvolles Sujet – ganz auf ihr Talent – Person, und Stimme berechnet – Ich hoffe damit grosse Ehre einzuärndten.« Die Hoffnungen des Komponisten erfüllten sich nicht, denn Milder-Hauptmann hielt Kreutzers Werk nicht für so gut, dass man es in Berlin aufführen konnte, also führte sie es im Sommer 1821 während eines Gastspiels in Königsberg auf - es war ein Misserfolg.
    Musikgeschichtlich weit bedeutsamer war der Kontakt mit Franz Schubert, den sie zwar im Herbst 1824 in Wien nicht antraf, aber zur Weihnacht des gleichen Jahres bei ihm brieflich wegen der Vertonung eines Gedichts anfragte; mit dem Stück »Der Hirt auf dem Felsen« entstand Schuberts vorletzte Komposition (D 965) für Gesangsstimme, Klarinette und Klavier.
    Anna Milder-Hauptmann hatte in Berlin einige Schubert-Lieder erstaufgeführt und schrieb ihm nach Wien:
    »... wie sehr mich Ihre Lieder entzücken, und welchen Enthusiasmus sie der Gesellschaft gewähren, wo ich selbe vortrage.« Die Sängerin schrieb Schubert, dass sie sich bei der Berliner Intendanz auch für eine von ihm komponierte Oper einsetzen werde, worauf Schubert »Alfonso und Estrella« nach Berlin sandte, aber man hatte dort keine Verwendung für das Stück, welches seine Uraufführung erst 1854 erlebte.
    Wenn man diverse Quellen studiert wird nicht eindeutig klar, dass Anna Milder-Hauptmann Schubert mit der Komposition »Der Hirt auf dem Felsen« beauftragte, aber es ist denkbar, dass es ein Auftragswerk der prominenten Sängerin ist. Gesichert ist, dass Anna Milder-Hauptmann von Schuberts Bruder Ferdinand 1829 eine Abschrift der Vertonung erhielt und das Stück am 10. Februar 1830 in Riga zur Erstaufführung brachte; am 14. Dezember des gleichen Jahres bot die Sängerin dann das Stück in ihrem Berliner Publikum dar.


    Die Bühnenkünstlerin Anna Milder-Hauptman hatte natürlich auch ein Privatleben, das mit ihrer Heirat und dem Auseinanderleben der Gatten bereits dargestellt wurde. Etwa 1817 lernte sie in Berlin die etwas ältere Friederike Liman kennen, die als hochgebildete Frau beschrieben wird und nach ihrer Scheidung zunächst mit der Schauspielerin Friederike Bethmann-Unzelmann in einer eheähnlichen Beziehung gelebt hatte. Die offen gelebte Beziehung zwischen Anna Milder-Hauptman und Friederike Liman wurde offenbar von der Berliner Gesellschaft akzeptiert.


    Wie sich Anna Milder-Hauptmanns Abschied von der Berliner Opernbühne gestaltete schildert Eduard Devrient, der ja vom Theater allerhand verstand, in seinen Erinnerungen recht anschaulich:


    »Den empfindlichsten Rückschlag seiner egoistischen Rücksichtslosigkeit sollte Spontini an der empfindlichsten Stelle seiner Position, an der Anziehungskraft seiner grands ouvrages, erfahren; er büßte schon 1829 mit dem Talente der Frau Milder den größten Glanz seiner Opern ein. Sie hatte sich schon seit geraumer Zeit gegen Spontini’s Anstrengungsforderungen bei meistens unnützen Proben gesträubt, sie hatte schließlich mehrmals die Aufführung der Statira verweigert; seine Ungeduld, sein Ereifern richtete bei der majestätischen Dame nichts aus, so sah er sich in seinen Interessen verletzt, achtete darüber den Werth dieser künstlerischen Persönlichkeit für das Kunstinstitut überhaupt nicht, sondern drang auf ihre Pensionirung, die er denn auch in der Zeit des Intendanz-Interregnums im Jahre 1829, trotz ihrer Protestationen, durchsetzte. Er lebte in dem hochmüthigen Wahne, es müßten ihm die ersten Gesangscapacitäten auf seinen Wink zufliegen; er wußte nicht, daß im Gegentheile seine Opern und seine Anforderungen bei deren Ausführung von allen Gesangstalenten gescheut wurden. So erlangte er kein Talent wieder, das auch nur annähernd der Milder sich vergleichen, den grands ouvrages den verlorenen Reiz der poetischen Hoheit wiedergeben konnte. Das Theater aber hatte ein unersetzliches Talent wenigstens um fünf Jahre zu früh eingebüßt; das bewiesen die Gluck’schen Opern Armida und Iphigenia, welche Frau Milder als Gast noch 1830 und 1834 auf der Bühne sang, von der sie vorzeitig vertrieben worden. Auch die ausdauernde Stütze seiner Opern, die Darstellerin der Julia, Amazily, Olympia, vermochte nach schwerer Erkrankung im Jahre 1830 nicht mehr Spontini’s Ansprüchen zu genügen, und mußte auf ihr Verlangen 1832 pensionirt werden.«


    Nach 1829 begab sich Anna Milder-Hauptmann auf ausgedehnte Gastspielreisen und trat in Schweden, Dänemark und Russland, sowie in mehreren großen Städten Deutschlands auf; 1836 gab sie in Wien, wo sie einst begonnen hatte, ihr Abschiedskonzert.
    Ihre letzten Jahre verbrachte sie zurückgezogen in Berlin und Wien. In der Nacht vom 24. auf den 25. Mai 1838 erkrankte sie an einem »gastrich-nervösen Fieber« und verstarb in Berlin am 29. Mai, die Beisetzung fand am 1. Juni statt.


    Anna Milder-Hauptmann war vor allem im deutschen Sprachraum eine ganz herausragende Interpretin, man könnte noch eine Menge positiver Beurteilungen namhafter und sachverständiger Zeitgenossen einfügen. Carl Friedrich Rellstab, der Vater des Dichters Ludwig Rellstab, Musikkritiker und Komponist hörte die Milder 1811 in Wien und beschrieb in einem Zeitungsartikel das von ihm Gehörte bis ins letzte Detail:


    »Es kann keine Sängerin und Tonkünstlerin geben, auf welche sowohl meine Neugier mehr gespannt gewesen wäre, als meine Aufmerksamkeit in grösserer Erwartung. Bei meiner ersten Anwesenheit in Wien war sie verreist, bei meiner Rückkehr aus Italien fand ich sie aber und hörte und studirte ich ihre Stimme alle Tage. Sie hat einen Umfang von a bis 3gestrichen c. In diesem Umfange sind sämmtliche Töne gleich schön, gleich stark, gleich voll; sollte man aber doch einige vorziehen können, so wären es die bei andern Stimmen so selten schönen Mitteltöne, d[1] bis 2gestrichen d. Es ist der Ton einer wirklich echten Steiner Geige, die ich noch der Cremoneser vorziehe. Triller, Pralltriller und Mordenten macht sie nicht, aber den Doppelschlag, Schleifer und Anschlag sehr gut punktirt und gleich. Eigentlich grosse Bravour-Passagen macht sie eben so wenig, aber sanfte gute Volaten, volubel und deutlich, auch hat sie alle Nuancen der Stärke und Schwäche etc.«


    Und wie war das mit ihren Schwächen? Wenn man sich durch die Literatur liest, dann findet man schon mal die Bemerkung, dass dieser schönen Stimme die Biegsamkeit fehlte und das Organ wie ein Orgel- oder Glockenton zu mächtig war, um sich in leichten Koloraturen zu versuchen.
    Als Glucks Oper »Alceste« auf die Berliner Bühne gebracht wurde, sprach man von der geringen musikalischen Begabung der Milder, weil dazu 30 Proben notwendig waren.
    Dem steht allerdings gegenüber, dass eine Sängerin, die Haydn, Salieri, Beethoven, Schubert, Spontini ... und viele andere große Musiker beeindrucken konnte, einfach hervorragend gewesen sein muss.


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    Von der Liesenstraße kommend, geht man auf diese Kapelle zu und findet das Grab hinter dem runden Bauwerk.

    Praktische Hinweise:
    In Berlin Mitte gibt es mehrere historische Friedhöfe; die sehr schlichte und unauffällige Grabstelle von Anna Milder-Hauptmann befindet sich in der Liesenstraße 8, 10115 Berlin, Alter Domfriedhof St. Hedwig. Auf dem Friedhofsplan ist das Grab mit der Nummer 12 bezeichnet.

  • Lieber 'hart',


    es ist immer wieder eine Freude, Deine bestens recherchierten Lebensberichte zu lesen, die uns historische (wie oben Anna Milder-Hauptmann), wenig bekannte (wie Charlotte Huhn im Beitrag Nr. 781) und solche Musikerpersönlichkeiten, über die man alles zu wissen glaubt (wie Rudolf Schock im Beitrag Nr. 778), so eindrucksvoll nahe bringen.


    Die Serie "Der Musiker Gräber" zählt für mich zu den Glanzpunkten im Forum!


    Carlo

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  • Anton Schindler - * 13. Juni 1798 Meedl - † 16. Januar 1864 Bockenheim


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    Die unteren drei Zeilen weisen auf Schindler hin.


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    Früher der Alte Friedhof - heute ein kleiner Park, auch die Kirche steht auf dem ehemaligen Friedhofsgelände.


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    Wenn man hier nach rechts geht, findet man am Ende des Weges das alte Stück Mauer mit dem Gedenkstein.


    ffmeingangkirchengrun6uk98.jpg

    Das Gelände ist nicht immer frei zugänglich.


    Es gibt kein Grab Schindlers, das man im Foto zeigen kann, der Alte Friedhof in Bockenheim wurde im Laufe der Jahre im Zuge von Straßenumbauten zunächst verkleinert und dann zu einem Park umgewandelt.
    Zum Gedenken an drei bekannte Personen, deren Grab man nicht erhalten konnte, hat die Stadt Frankfurt 1909 den Bildhauer August Bischoff mit der Fertigung eines Gedenksteins beauftragt, den man in die alte Friedhofsmauer setzte; und der auch zweier Musiker gedenkt, die in Frankfurt tätig waren. Carl Wilhelm Ferdinand Guhr bewirkte in seiner Frankfurter Zeit Beachtliches in der Stadt, was auf Anton Schindler so nicht zutrifft, aber Schindler schrieb hier Musikgeschichte im wahrsten Sinne des Wortes.


    Zunächst sollte man einmal darauf hinweisen, dass der renommierte Musikwissenschaftler Joseph Schmidt-Görg erklärt, dass Anton Schindlers Geburtsjahr meist irrtümlich mit 1795 (wie auch auf dem Gedenkstein) angegeben wird, er weist anhand eines Taufzeugnisses nach, dass das Geburtsjahr 1798 war. Nun ist noch zu klären, dass der Ort Meedl heute in Tschechien liegt und nun Medlov heißt; und zu Bockenheim ist zu sagen, dass das bis 1895 eine selbständige Gemeinde war und heute ein Stadtteil von Frankfurt am Main ist.


    Anton Schindler wird in der Literatur mit einigen Titeln bedacht, wie zum Beispiel: »Eckermann der Musik«, »Witwe Beethovens« oder »ami de Beethoven« ...


    Meedl bei Mährisch-Neustadt war zu Antons Geburt ein Ort mit 147 Häusern mit etwas mehr als tausend Einwohnern. Anton hatte noch einen jüngeren Bruder und zehn Schwestern, die zum Teil aus einer zweiten Ehe des Vaters stammten. Der Vater war ein hochangesehener Lehrer, der 1835 starb. Unter der Anleitung seines Vaters hatte Anton das Violinspiel erlernt und wirkte schon als Zehnjähriger im Kirchenchor mit, etwas später wurde er Sängerknabe an der Mauritzkirche zu Olmitz und von Geistlichen aufs Studium vorbereitet. In dieser Stadt gab es auch eine Kasinogesellschaft, die ein eigenes Orchester unterhielt, und als 1812 die berühmten Brüder Romberg in die Stadt kamen, durfte Anton an der zweiten Violine mitwirken. Als der junge Mann sein Schlussexamen in Olmütz bestanden hatte, ging er nach Wien, um dort das ungeliebte Studium der Jurisprudenz aufzunehmen, befasste sich aber in Wien mit vielen anderen Dingen, die ihm interessanter erschienen, besonders mit der Musik, die dort in hoher Blüte stand. Der Olmitzer Organist August Petyrek hat der Nachwelt hinterlassen, dass der junge Schindler 1814 zu Fuß nach Pest gegangen ist, um in Budapest Paganini hören zu können.


    Nach Schindlers eigenem Bekunden machte er 1814 erstmals die Bekanntschaft Beethovens, als er ein Billet zu überbringen hatte, was für den jungen Musikenthusiasten ein besonderes Erlebnis war, denn Beethoven war eine prominente Persönlichkeit und hatte in diesem Jahr seine einzige Oper zur Endfassung gebracht.
    Als an der Wiener Universität 1815 Unruhen ausbrachen, wurde Anton Schindler von der Polizei als einer der Anführer ausgemacht und war nach Brünn geflohen, wo man ihn aufspürte und in Haft nahm, ihn jedoch schon nach einigen Wochen wieder entließ, weil man ihm nichts Schwerwiegendes nachweisen konnte.
    Beethoven hatte von den Vorgängen in Brünn gehört, wollte darüber Näheres erfahren und lud Schindler ein. Wie Schindler schreibt, soll er von Beethoven aufgefordert worden sein, sich öfter bei ihm im Gasthof einzufinden.


    Als nun 1816 an der Wiener Hochschule unter den Studenten ein entschiedener deutscher Geist erwachte und zu dessen Förderung sogar ein kleiner Verein ins Leben gerufen wurde, übernahm Schindler die Abfassung der Vereinssatzungen, die es in sich hatten, aber es würde zu ausschweifend sein, diese sechs Punkte der Satzung hier darzustellen, Schindlers Vorrede zeigt zur Genüge die Denkrichtung an; hier der Text:


    »Bereits seit langen Jahren seufzte unser verehrtes Vaterland unter dem schwersten Joche einer fremden Macht, durch welche ihm fremde, erniedrigende Gesetze aufgedrungen, seine alten löblichen Sitten und Gebräuche verworfen, die Sittlichkeit allgemein verdorben und dadurch auch der teutsche Biedersinn und die teutsche Redlichkeit beynahe ganz vernichtet wurde.
    Der Allmächtige erhörte unsere Bitten, und Teutschland wurde frey, frey durch sich selbst, triumphierend über jenes stolze Volk, das nichts als den Gräuel aller Zerstörung und Vernichtung alles Edlen und Erhabenen in unser gutes Vaterland brachte. - Von jeher hat Teutschland gezeigt, daß es selbständig für sich bestehen könne; und nie hat es den Teutschen an Muth und Kraft gefehlt, ihr Vaterland, ihre Gesetze, ihre ehrwürdigen Sitten und Gebräuche zu vertheidigen, solange sie mit vereinten Sinnen eben diesen einfachen Sitten und Gebräuchen anhingen. - Warum sollen wir uns daher noch, jetzt, als freie Teutsche, am Gängelbande Fremder, im Denken und Handeln weiter unter uns stehenden Völkern leiten lassen? - Warum zögern wir noch länger, sogleich alles zu beseitigen, was uns noch immer an die Ursache mahnt, warum wir Teutsche unsere schönste Zierde, unseren teutschen Karakter verloren haben?«


    Anton Schindler hat als Musiker einiges geleistet, aber zu Weltruhm kam er durch seine 1840 auf dem Markt erschienene Beethoven-Biografie, der 1845 und 1860 zwei weitere Ausgaben folgten. Da war zwar bereits 1828 ein seltsames Machwerk von Johann Aloys Schlosser erschienen, und die Herren Wegeler und Ries erarbeiteten 1837 bis 1838 Biografische Notizen, die im Verlag Baedeker erschienen - Franz Gerhard Wegeler war ein Jugendfreund Beethovens und Ferdinand Ries sowohl Beethoven-Schüler als auch so eine Art Sekretär. Im Gegensatz zu den vorgenannten Veröffentlichungen, machte Schindlers Werk, als es 1840 erschien mächtig Furore und wurde auch in andere Sprachen übersetzt.


    Als der amerikanische Musikschriftsteller und Bibliothekar Alexander Wheelock Thayler 1849 erstmals nach Europa kam, hatte er die Beethoven-Biografie Schindlers gelesen und betrieb nun eigene, akribische Forschungsarbeiten zu Beethovens Leben, wobei einige Unwahrheiten zutage traten, mit denen er Schindler konfrontierte als die beiden 1860 in Frankfurt zusammentrafen. So wies Thayler zum Beispiel nach, dass Schindler vor 1819 nicht »intimer« mit Beethoven verkehrt haben kann und dass er zu dieser Zeit noch nicht »Geheimsekretär ohne Gehalt« war. Seit 1822 wohnte Schindler mit Beethoven im selben Haus, so dass ein enger Kontakt gegeben war. Allerdings kam es im Mai 1824 zwischen den beiden zu Unstimmigkeiten, es ging um Erlöse aus einem Konzert, zwischenzeitlich trat Karl Holz an Schindlers Stelle, aber 1826 wurde der Streit beigelegt und Schindler wurde von Beethoven wieder in Gnaden aufgenommen.
    Im Laufe der Jahre kristallisierte sich heraus, dass sich Schindler als Freund Beethovens überproportional dargestellt hatte, einiges verschwinden ließ und sogar Fälschungen vorgenommen hatte. So ging es um die sogenannten Konversationshefte. Solche Hefte und einen Stift hatte Beethoven meist dabei, wenn er ausging
    und selbst mit dem Mund dicht am Ohr gestellte Fragen nicht mehr verstehen konnte und man sie ihm aufschreiben musste, damit er sie lesen und beantworten konnte. Da Beethoven mitunter für politische und gesellschaftliche Ereignisse drastische Formulierungen wählte, ließ Schindler einige der etwa 400 Hefte verschwinden, damit das Ansehen des Meisters nicht litt. Als sich die Mitarbeiter der der Staatsbibliothek in Ostberlin diese Hefte näher anschauten, wurden auch Manipulationen Schindlers entdeckt und später - in den 1970er Jahren - von dem Pianisten Peter Stadlen publiziert.


    Schindler wurde erster Violinist an dem nach Abriss neu gegründeten Josefstädter Theater. Als der Neubau am 3. Oktober 1822 eingeweiht wurde, leitete Beethoven selbst die Eröffnungsfeier mit seiner Komposition »Die Weihe des Hauses«, einer früheren Komposition, die er dem Ereignis angepasst hatte. Schindler war der Meinung, dass Beethoven keine größeren Orchester mehr leiten könne und die Aufführung darunter gelitten habe; das zahlreiche Publikum teilte diese Meinung nicht und war so begeistert, dass die Aufführung an den folgenden drei Tagen wiederholt werden musste.
    Nach dreieinhalb Jahren wechselte Schindler in gleicher Position zum Kärntnertortheater, wo ihm jedoch die Arbeit mit dem Ballett auf Dauer nicht behagte.


    Nach Beethovens Tod war Schindler nach Pest übersiedelt, wo seine Schwester als Sängerin am Theater engagiert war; man vermutet, dass Schindler in Pest Privatstunden gab. Im Frühjahr 1829 kehrte Schindler wieder nach Wien zurück, wo er am Kärntnertortheater Gesangseleven unterrichtete, allerdings währte diese Anstellung nur drei Jahre, dann wurde das Theater verpachtet und er musste sich nach etwas anderem umsehen und redigierte 1831 eine »Musikalische Zeitung«. Allerdings sind nur drei Nummern erschienen, in einer Nummer findet sich ein Artikel: »Geistliche Lieder von Franz Schubert«; Schindler vertrat die Meinung, dass Schubert Beethoven im Lied überflügelt habe. Schindler war für mehrere Zeitungen tätig, schrieb Konzert- und Theaterkritiken und übersetzte Erzählungen aus dem Französischen.


    Dann zog es ihn aber wieder zur ausübenden Musik und er bewarb sich an verschiedenen Orten um eine Stelle als Musikdirektor. Münster in Westfalen, aber auch Düsseldorf stellten ihm in Aussicht dorthin zu kommen. Er entschied sich für den Musikverein zu Münster, wo er die Leitung des Vereins übernehmen sollte. Im Dezember 1831 verabschiedete er sich aus Wien und reiste, nachdem er seinem Heimatort noch einen Besuch abgestattet hatte, über Prag, Dresden und Leipzig nach Münster.
    Das jährliche Gehalt des Musikdirektors betrug 400 Taler Preuß. Kour., welcher Lebensstandard damit möglich war, ist nicht bekannt. Chor und Orchester bestanden zum größten Teil aus Dilettanten, jeder leistete was er konnte.
    Schindler räumte zunächst mit liebgewordenen Gepflogenheiten auf und setzte durch, dass Handarbeiten künftig weder in den Übungsstunden, noch in Konzerten gestattet waren.
    Im Orchester wurden unfähige Musiker ausgeschieden und durch bessere Kräfte aus der Domkapelle ersetzt, die einen guten Ruf hatte.
    Einerseits machte sich Schindler damit auch unbeliebt, andererseits fand seine Leistung aber auch Anerkennung, wie aus der Vereinschronik hervorgeht. Er erklärte und analysierte Beethovens Symphonien, sodass die Musiker - es war 36-38 - staunend zu ihrem Dirigenten aufsahen.
    Allerdings berichtet ein am 26. November 1834 geschriebener Schindler-Brief an den Vorstand von Schwierigkeiten, denn er beschwert sich darüber, dass zwei Orchestermitglieder anstatt zur Probe zu kommen, zum Tanz gegangen waren.


    Als Carl Friedrich Zelter im Mai 1832 starb, bewarb sich Schindler um die Stelle des Leiters der Berliner Singakademie, aber seine Bewerbung war erfolglos, weil er in Berlin zu unbekannt war. In Münster hatte Schindler einen Kreis von Schülern, die er im Klavierspiel und Gesang unterrichtete und war bei diesen sehr beliebt, wie aus erhaltener Korrespondenz hervorgeht. In Münster verkehrte er auch mit den berühmten Brüdern Romberg, die er schon in jungen Jahren in seiner Heimat kennengelernt hatte. Obwohl Schindler zu einheimischen Familien gute Kontakte hatte, schaute er sich um, was andernorts geboten wurde; schon 1833 stand er in Verbindung mit der Stadt Aachen, die einen Musikdirektor suchten. Die Verhandlungen zogen sich bis 1835 hin, im April setzte er die Direktion des Musikvereins Münster in Kenntnis seiner Wechselabsicht. Er gab in Münster noch zwei außerordentliche Konzerte, wobei er die 3., 5. und 7. Symphonie von Beethoven aufführte.


    Am 1.Juni 1835 übernahm Schindler in Aachen sein Amt als städtischer Musikdirektor mit vielerlei Verantwortung, aber auch mit dem fast doppelten Gehalt im Vergleich zu Münster. In einem Brief Schindlers findet sich eine Passage, die aufschlussreich Einblick in seine neue Wirkungsstätte bietet:
    »Mein Gesangverein ist leider schon auf 109 Mitglieder angewachsen, die mir zwar großes Vergnügen machen durch ihren Sinn, Eifer und Geschmack für das wahrhaft Schöne; aber der Körper ist zu groß, und macht mir viel zu schaffen, nimmt auch zu viel Raum von dem Saale weg, so dass ich das Orchester nur auf 54 Mitglieder erhöhen konnte, und diese stehen noch gedrängt. Für Chor und Orchester geht beinahe die Hälfte des großen Redoutensaales verloren, was der Kassa sehr schadet, da alle Mitwirkenden kein Entree bezahlen.«
    Seine Anfangserfolge waren in Aachen großartig, was aus einem weiteren Brief hervorgeht, wo er am 29. Januar1836 schreibt: »Ich bin geachtet und geehrt, mehr als ich es verdiene. Niemand wagt es, mir auch nur mit einem Wort in mein Fach zu reden, daher auch alles durch mich geschieht. Das Komitee beschließt selbst in ökonomischen Sachen nichts, wozu ich meine Zustimmung gegeben habe ...«


    Aber bereits in diesem Jahr gab es auch schon erste Reibereien zwischen dem Aachener Cäcilienverein und dem Schindlerschen Gesangverein, und kaum war Schindler ein Jahr Musikdirektor in Aachen, da hielt er es für wahrscheinlich, dass er im folgenden Jahr von seiner geplanten Wien-Reise nicht mehr zurückkehrt. Seine Reise nach Wien solte auch dazu genutzt werden dort noch Materialien über Beethoven zu sammeln, denn er spielt bereits mit dem Gedanken eine Beethoven-Biografie zu verfassen. Aber diese Reise fand schließlich nicht statt und so wirkte Schindler zunächst weiter in Aachen, hatte aber auch im September 1839 seine Beethoven-Biografie ohne zusätzliches Material aus Wien vollendet.
    Schindler sandte sein Werk an den Wiener Advokaten Dr. Bach, der es ihm mit vielen Strichen versehen wieder zurücksandte, aber auch an Moscheles, Blahetka, Meyerbeer und andere Persönlichkeiten.
    Im Herbst 1839 kam es zu einem Streit zwischen Schindler und dem Düsseldorfer Musikdirektor Julius Rietz. Schindler fühlte sich Ende 1839 in Aachen nicht mehr wohl und er bat den Stadtrat um seine Entlassung nach dem zweiten Jahr des Kontraktes, also war Schindler im Mai 1840 von seinen Pflichten in Aachen entbunden.
    Als in Aachen das 22. Rheinische Musikfest stattfand, lernte Schindler den Direktor der Konservatoriumskonzerte in Paris, Habeneck, kennen, der zuerst Beethovens Orchestermusik in Frankreich einführte. Habeneck hatte Schindler nach Paris eingeladen, was dieser dann auch recht bald in die Tat umsetzte, 1841 unternahm er seine erste Paris-Reise, die er mit der Hälfte seines Honorars der Beethoven-Biografie finanzierte. Er reiste über Brüssel und traf am 28. Januar in Paris ein, wo er von allen Seiten mit Freibillets versorgt wurde und gleich am ersten Tag Cherubini besuchte. Stolz schreibt Schindler in seinem Tagebuch, dass Cherubini wusste, dass er Beethovens Freund und Biografen vor sich habe. In Paris traf Schindler auch andere Berühmte, wie zum Beispiel Berlioz, Chopin, Panofka ... Bei Heinrich Panofka traf Schindler auch mit Heinrich Heine zusammen, den er hernach in unguter Erinnerung hatte. In Schindlers Tagebuch findet man den Eintrag:
    »Heine war übel gelaunt, wie er seit langem sein soll; doch war er witzig und sarkastisch.«


    Was drei Monate später in der »Augsburger Allgemeinen Zeitung« aus Heines Feder veröffentlicht wurde, war für Schindler höchst unerfreulich, ein Teil des Berichts sei hier zitiert:


    »... Minder schauerlich als die Beethovensche Musik war für mich der Freund Beethovens ›L´ami de Beethoven‹, wie er sich hier überall produzierte, ich glaube sogar auf Visitenkarten: eine schwarze Hopfenstange mit einer entsetzlich weißen Cravatte und einer Leichenbittermiene. War dieser Freund Beethovens wirklich dessen Pylades? Oder gehörte er zu jenen gleichgültigen Bekannten, mit denen ein genialer Mensch zuweilen um so lieber Umgang pflegt, je unbedeutender sie sind und je prosaischer ihr Geplapper ist, das ihm die Erholung gewährt nach ermüdend poetischen Geistesflügen? Jedenfalls sehen wir hier eine neue Art der Ausbeutung des Genius, und die kleinen Blätter spöttelten nicht wenig über den ›Ami de Beethoven‹. ›Wie konnte der große Künstler einen so unerquicklichen, geistesarmen Freund ertragen!‹ riefen die Franzosen, die über das monotone Geschwätz jenes langweiligen Gastes alle Geduld verloren. Sie dachten nicht daran, dass Beethoven taub war.«


    Natürlich wehrte sich Schindler entsprechend, konnte aber auch verbuchen, dass sein Bekanntheitsgrad durch Heines Beitrag gewachsen war. In Paris standen ihm durch Cherubini alle Türen des Konservatoriums offen und er wurde als Beethoven-Experte durchaus anerkannt. Er hörte in Paris auch den zehn Jahre alten Rubinstein, dessen kraftvolles Klavierspiel er lobt und Franz Liszt, dessen Wildheit er ablehnt. Nach neunwöchigem Aufenthalt in der französischen Metropole kehrt Schindler wieder nach Aachen zurück, Ende Dezember 1841 reist er nochmals nach Paris; 1842 veröffentlichte Schindler in Münster die Broschüre »Beethoven in Paris - Ein Nachtrag zur Biographie Beethoven´s«.


    Da Schindler aktuell kein festes Einkommen hatte, musste er sich eine Geldquelle erschließen. Er bot dem König von Preußen den gesamten Beethovennachlass für die Königliche Bibliothek in Berlin an; aber die Abwicklung des Geschäfts zog sich hin, so dass Schindler Anfang Juni 1843 selbst nach Berlin reiste, um die Sache zu beschleunigen. Sein halbjähriger Aufenthalt brachte kein konkretes Ergebnis; er hatte lediglich Kontakt mit einer großen Anzahl von Künstlern, Gelehrten und Staatsmännern, unter anderem traf er nach 29 Jahren wieder Meyerbeer. Auf einer Reise nach Leipzig traf er mit Schumann, Lortzing, David ... und anderen zusammen.
    Anfang Dezember kehrte Schindler wieder nach Aachen zurück und gab Privatstunden, aber in vielen Briefen ist nachzulesen, dass sich Schindler in Aachen nicht mehr wohl fühlte, es gab Streit mit Ferdinand Ries und einiges mehr.
    Schließlich bekam Schindler während eines Konzertes beim Beethovenfest die Nachricht, dass in der Zeitung zu lesen sei, dass der König von Preußen Schindlers Beethovenschätze gekauft habe. Erst am 21. Januar 1846 war das Geschäft perfekt und Anton Schindler war eine Leibrente von 400 Talern bis an sein Lebensende garantiert.
    Sarkastisch schreibt Schindler, dass ihm dieselben Jahrestage verschiedenes Entgegengesetztes gebracht haben: der 21. Januar 1815 habe ihn in Brünn ins Gefängnis gebracht, und der 21. Januar 1846 habe ihn aus dem viel peinlicheren Gefängnis aus Aachen befreit. Diese 400 Taler waren ja pro Jahr gedacht, demnach also nur so eine Art Grundsicherung, also musste da schon noch etwas dazukommen.


    Nun begab sich Schindler wieder nach Münster. Der Tabakfabrikant Winkelmann hatte seine Tochter, deren Gatte im Alter von nur 44 Jahren verstorben war, mit seinen Enkelkindern aufgenommen. Da Winkelmanns Enkel, Franz Wüllner, eine außergewöhnliche musikalische Veranlagung zeigte, wurde Schindler von Winkelmann gebeten, dass er für die musikalische Weiterentwicklung des Jungen sorgt. Und das tat er gründlich, denn Schindler sah sich als einzig Berufener, der Welt den Geist Beethovens zu vermitteln und zu erhalten; dem von ihm ausgebildete Franz Wüllner sagte er: »geh nun in die Welt und überliefere durch die Tat, was Du gelernt: zeige, was es heißen wolle, Beethovens Werke in seinem ureigentlichen Geiste vorzutragen resp. darzustellen.«
    1848 ging Schindler mit Wüllner nach Frankfurt am Main, wie es heißt, »wegen der notwendig gewordenen größeren Mittel zur Bildung meines Schülers.« Zur Einführung seines Schülers in die Künstlerwelt hatte Schindler einen Aufsatz drucken lassen, der in zwei Konzerten, die Wüllner in Frankfurt gab, verteilt wurde. Als Schindler 1850 zur Sommerfrische in Heidelberg weilte, fuhr sein Schüler jede Woche von Frankfurt zu seinem Lehrer nach Heidelberg. Im November verließ Wüllner Frankfurt und begab sich zu weiteren Studien nach Berlin, wobei er seinem Lehrer das Erarbeitete zur Beurteilung nach Frankfurt schickte. Als Schindler und Wüllner im Herbst 1852 wieder in Münster zusammentrafen, hatte Schindler den Plan entwickelt mit seinem Schüler nach Paris zu gehen; Wüllner nahm unverzüglich französische Stunden.
    Franz Wüllners Brief, dass es für ihn zu früh sei, nach Paris zu gehen, traf Schindler nun wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Wüllner zog es eher nach München, wovon Schindler dringend abriet, aber Franz Wüllner war nun nicht mehr der zehnjährige Knabe und ging nun seine eigenen Wege; zudem korrespondierte der junge Mann mit seiner gleichaltrigen Sandkastenfreundin, die in Amerika weilte und schließlich dann auch seine Frau wurde. Schindler sah seine Felle davon schwimmen und kommentierte 1856, als Wüllner nicht, wie vereinbart, in Frankfurt erschien:
    »Welch ungeheure Summe Zeitverlust, für welchen noch nicht einmal eine materielle Entschädigung geleistet worden, die ihn nur zum Teil aufwiegen könnte! Hätte ich die Hälfte nur dieser verlorenen Zeit und Mühe für mich selber zur eigenen Ausbildung gewidmet ...«


    1856 zog Schindler vor die Tore Frankfurts, nach dem nahe gelegenen Bockenheim - heute ist das ein Stadtteil von Frankfurt am Main. Hier verfasste er Artikel und Rezensionen für Zeitschriften; seit 1857 war er mit der Neubearbeitung der Beethovenbiographie, die 1860 erschien, beschäftigt.
    Seit den 1840er Jahren hatte Schindler fleißig Badeorte besucht, was seiner Gesundheit offensichtlich zugutekam. In seinen letzten Lebensjahren versuchte er immer wieder den Rest des Beethovennachlasses, der noch in seinem Besitz war unterzubringen, aber in Berlin war dazu kein Geld vorhanden und mit dem Oberbürgermeister von Bonn war auch kein Geschäft zu machen. Schließlich ging Schindlers Nachlass an seine Schwester Marie und blieb in der Familie, bis Schindlers Urgroßnichte - Wilhelmine Rau in Mannheim - 1930 Schindlers Nachlass dem Beethoven-Archiv in Bonn zum Geschenk machte.


    Schindler selbst hatte als Komponist keine große Bedeutung erlangt, er komponierte zahlreiche Lieder und Kompositionen, die für Angehörige seines jeweiligen musikalischen Wirkungskreises entstanden sind.
    Großen Erfolg hatte seine »Messe Nr. 1 in d-Moll«, die im Dezember 1837 in Aachen zur Uraufführung gelangte. Der Aachener Korrespondent der Berlinischen Nachrichten meldete:

    »Eine neue große Messe von dem Concertmeister Schindler, bei deren Aufführung sämmtliche Musiker und Musikfreunde mitwirkten, hat hier große Sensation gemacht, namentlich das Credo, das allgemein bewundert wurde.«

    Diese Messe, die Schindler Papst Gregor XVI. gewidmet hatte, wurde am 4. November 1839 auch in der Wiener Karlskirche erfolgreich aufgeführt.


    Heute ist der Todestag von Anton Schindler, der 1848 mit seinem Schüler Franz Wüllner nach Frankfurt kam und ab 1856 in der Haasengasse zu Bockenheim wohnte, wo er die 3. Auflage seiner Beethovenbiographie erarbeitete; das Haus ist noch erhalten, aber aus der Haasengasse wurde inzwischen die Landgrafenstraße.


    Praktische Hinweise:
    Die Gedenktafel befindet sich heute auf dem Gelände der griechisch-orthodoxen Kirchengemeinde »Prophet Elias« an der Solmstraße 1a, das ist unmittelbar am DB-Bahnhof Frankfurt am Main West.

  • Franz Wüllner - * 28. Januar 1832 Münster - † 7. September 1902 Braunfels


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    Zum heutigen Geburtstag von Franz Wüllner


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    Franz Wüllner gehört zu den Musikern, die heute weitgehend vergessen sind, obwohl sie zu ihrer Zeit Maßstäbe setzten. Als Komponist hat sich Wüllner zu seiner Zeit mit Klavierstücken, Sonaten, Liedern sowie mit größeren weltlichen und kirchlichen Chorwerken einen Namen gemacht, sein Œvre umfasst 53 gedruckte Werke, Opern sind nicht dabei.
    Aber zum Komponieren kam Franz Wüllner in seinem 70-jährigen Leben eigentlich nicht so recht, weil er in seinen späteren Jahren vor allem Dirigent, Lehrer und Organisator war.
    Seinem Sohn schrieb er einmal:
    »Glaube mir, daß auch ich in Deinem Alter und noch viel später schwere Kämpfe in mir auszufechten hatte. Vor 25 bis 30 Jahren war ich auf dem besten Wege, ein Komponist, wenn nicht ersten Ranges, doch von anerkannter Tüchtigkeit zu werden und damit das Ideal zu erfüllen, das mir vorschwebte. Ich habe die produktive Ader eintrocknen lassen müssen - denn was ich in den letzten fünfzehn Jahren geschrieben, ist kaum der Rede wert -, zuerst, weil ich Stunden geben, später, weil ich in anderer Weise mich praktisch betätigen mußte. Ich hätte, wenn ich auf den Wege hätte fortfahren können, auf welchem ich mich in den 50ger Jahren befand, ein Klavierspieler ersten Ranges werden können.«


    Seine Altvorderen waren Bauern, die aus dem Sauerland stammten; einer von ihnen, der Philologe und Lehrer Franz Wüllner, strebte zu Höherem und erlangte als vergleichender Sprachforscher überregionale Bedeutung - er war der Vater des Musikers. Der Philologe Franz Wüllner wurde im Geburtsjahr seines Sohnes Direktor des Düsseldorfer Gymnasiums, starb jedoch 1842 und die Mutter hatte fünf Kinder zu versorgen, Wüllner Junior war da gerade mal zehn Jahre alt.
    Der Vater hatte die Begabungen seines Sohnes Franz erkannt und schon früh erhielt der Junge Violin- und Klavierunterricht; einige Jahre seiner Kindheit erlebte er in Düsseldorf. Bereits im sechsten Lebensjahr lernt der Junge Lateinisch, mit acht kommt noch Griechisch hinzu. Im Alter von zehn Jahren besucht er bereits die Quarta des Düsseldorfer Gymnasiums.
    Bereits in diesem Stadium seiner Entwicklung tritt seine außergewöhnliche Musikalität zu Tage; mit acht Jahren trat er als Geiger öffentlich auf und komponierte als Quintaner sein erstes Werk für Chor uns Streichorchester.


    Seit 1846 erhielt er Unterricht bei Anton Felix Schindler, einem Lehrer, der sich mit großem Eifer für Beethovens Werk einsetzte und zu dieser Zeit als exzellenter Beethoven-Kenner bekannt war, weil er 1840 eine Beethoven-Biografie veröffentlicht hatte, die durch Übersetzungen in englischer und französischer Sprache auch international Beachtung fand.
    Dieser musikschriftstellerische Ruhm verblasste jedoch immer mehr, weil man diesem Herrn Schindler nicht nur Ungenauigkeiten, sondern sogar Fälschungen nachweisen konnte; er hatte sich zu Beethovens Freund hochstilisiert, was er bei Lichte besehen nicht war.
    Dessen ungeachtet kam Schindler 1831 als Musikdirektor nach Münster und war dann von 1835-40 in gleicher Funktion in Aachen tätig. In der Folgezeit reiste Schindler nach Paris, wo er mit vielen bedeutenden Musikern in Kontakt kam, sich aber auch dem Gespött Heinrich Heines ausgesetzt sah. Da Schindler im Besitz einer Menge Autographe Beethovens war, versuchte er diese nun zu versilbern und war damit letztendlich in Berlin erfolgreich, die Königliche Bibliothek in Berlin bekam die Beethoven-Papiere und Anton Schindler eine Rente von 400 Talern. Danach kam Schindler wieder nach Münster zurück. wo er 1845 den Knaben Wüllner kennen lernte; ein Herr Winkelmann, Fabrikant aus Münster, hatte Meister Schindler gebeten, sich seines Enkels Franz Wüllner anzunehmen.
    Nach Schindlers Schilderung war er schon recht lange auf der vergeblichen Suche nach einem Musiker, der interpretatorisch in der Lage war Beethovens Intention der Nachwelt zu erhalten. Im Lexikon findet man dann den lapidaren Satz: »Wüllner folgte seinem Lehrer nach Frankfurt.«


    Lässt man Schindler selbst zu Wort kommen, dann liest sich das so:


    »Schon nach drei oder vier Monaten konnte ich bemessen, wohin ich mit ihm komme, wenn der Unterricht nur - die Sommerzeit nicht gerechnet - fortgeführt werden kann. Der Grund also, der mich 1846 nach Münster zog, führte mich1848 hierher nach Frankfurt wegen der notwendig gewordenen größeren Mittel zur Bildung meines Schülers, und heute ist es nicht mehr zweifelhaft, was aus dem Werke wird; es reift der Vollendung entgegen und macht bereits jene staunen, die dann und wann etwas zu hören und zu fühlen bekommen. Gleichwohl ich mit dem Knaben erst im November 1847 das erste Beethovensche Werk vorgenommen - denn alles Vorhergegangene war die Vorbereitung zum Höchsten -, bin ich mit sämtlichen Klavierwerken fertig, ja ich beginne soeben zum dritten Male die Feile der Reihe nach, das Allerschwierigste in dem ganzen Bildungsgang.
    Ist dies in gehöriger Ordnung, so kommen die großen Konzerte mit Orchester an die Reihe, die aber weder Schüler noch Lehrer in solchem Grade, wie die von tiefster Poesie durchwebten Sonaten, besonders anstrengen werden. Unter den Sonaten sind nur op. 106 und 111 jetzt übergangen worden. Jenen kolossalen Gebilden darf sich nur die höchste künstlerische Vollendung nahen, aber auch nur die ausdauernde Manneskraft. Op. 109 und 110 sind überwältigt worden. Wenn keine Störung eintritt, so kann ich für jetzt übers Jahr mit aller Zuversicht meinem Schüler sagen: geh nun in die Welt und überliefere durch die Tat, was du gelernt: zeige, was es heißen wolle, Beethovens Werke in seinem ureigentlichen Geiste vorzutragen resp. darzustellen.«


    Das alles klingt recht gut, aber Schindler bemängelte, dass die Rhetorik seines Schülers unterentwickelt war - Originalton Schindler: »Das erklärende Wort darf bei den meisten Sonaten nicht fehlen, um den Zuhörer auf den rechten Standpunkt zu stellen: allein diese Aufgabe wird der Jüngling noch lange nicht zu lösen imstande sein, denn bei viel Geist und tiefem Verstande leider die Redegabe mangelt, überhaupt laboriert er an einem Überfluß von Maulfaulheit, was gewiß sehr unvorteilhaft wäre, wenn es lange so bliebe.«


    War auch des jungen Wüllners Redegabe nicht besonders entwickelt, so erhielt er auf Veranlassung Schindlers immerhin auch von dem Frankfurter Ferdinand Kessler Unterricht im Kontrapunkt. 1849 gab der Schindler-Schüler erfolgreiche Konzerte in Frankfurt und Münster und war in seiner Heimatstadt auch 1850 erfolgreich. Im November verließ Wüllner Frankfurt, um sich in Berlin weiterzubilden, wo er mit vielen berühmten Komponisten und Virtuosen Kontakt hatte. Sein Berliner Lehrer war Siegfried Wilhelm Dehn, der auch 1846 Schindlers Beethoven-Sammlung der Königlichen Bibliothek einverleibte. Wüllner sandte das von ihm Erarbeitete zur Begutachtung zu Schindler in Frankfurt.
    Schindler hatte nun im Herbst 1852 den Plan entwickelt, dass sein Schüler mit ihm während des kommenden Winters nach Paris gehen sollte. Wüllner hatte bereits eifrig Französisch gelernt und alles schien nach Schindlers Willen zu laufen, aber im November erklärte der Musterschüler unvermittelt brieflich, dass es für ihn zu früh sei nach Paris zu gehen, weil ihm als Klavierspieler noch die Eleganz des Spiels fehle. Schon im Frühjahr 1852 hatte es zwischen den beiden offensichtlich geknirscht, was aus einem Brief hervorgeht. Die Ablehnung der Paris-Reise traf Schindler hart und er schrieb seinem Schüler einen geharnischten Brief, in dem er Wüllner sogar der Perfidie beschuldigte. Darüber soll Wüllner so erschrocken und traurig gewesen sein, dass er seinem Lehrer zurückschreiben ließ, eine Dame aus seinem Bekanntenkreis verfasste ein entsprechendes Entschuldigungsschreiben.


    Es stellte sich heraus, dass die Herren grundsätzlich unterschiedlicher Meinung waren; während Schindler Paris favorisierte, das er ja aus eigener Anschauung kannte, strebte Wüllner nach München, weil er glaubte, dass das der einzige Ort in Deutschland sei, der für ihn passend ist.
    Da Schindler München für den ungeeignetsten Ort ansah und auch Wien ablehnte, war guter Rat teuer; Schindler schlug nun Brüssel vor. Wüllner hatte seine eigenen Vorstellungen, wollte jedoch seinen langjährigen Lehrer nicht brüskieren und schrieb lange, erklärende Briefe, einer soll den Umfang von 16 Seiten gehabt haben. Wüllner blieb bis zum Frühjahr 1853 in Brüssel, wo einige seiner Kompositionen aufgeführt wurden und er als Klavierspieler in Erscheinung trat.


    Der junge Johannes Brahms kam auf seiner Rheinreise, bei der er oft zu Fuß unterwegs war, am 1. September 1853 - im Outfit eines Wanderburschen - auch nach Mehlem bei Bonn, wo der Kölner Bankier Wilhelm Ludwig Deichmann ein Anwesen hatte. Bei Deichmanns verkehrten zahlreiche Künstler, auch Franz Wüllner. Nun ergab es sich, dass Brahms in der Bibliothek des Hauses Notenmaterial von Robert Schumann fand. Wüllner verstand es zu organisieren, dass eilends der bekannte Cellist Christian Reimers zum gemeinsamen Musizieren herbeigeholt wurde. In Mehlem lernte Brahms nun Schumanns Werke besser kennen, woraus resultierte, dass er am 30. September 1853 die Schumanns in Düsseldorf erstmals besuchte.


    Der 22-jährige Wüllner ging nun im März 1853 nach München und vertraute voll auf seine Tüchtigkeit, denn er hatte keine feste Anstellung. Als Klavierlehrer ist er schon nach kurzer Zeit sehr angesehen und bald war in der Presse zu lesen:
    »Ein junger Komponist und Klavierspieler, Franz Wüllner aus Münster in Westfalen, gewann sich in letzter Zeit vielfach die Teilnahme der Münchner Musikfreunde durch seinen gediegenen und durchdachten Vortrag klassischer Klavierwerke. Es ist durch Liszt und die Neuromantiker Mode geworden, die Beethovenschen Konzertstücke in einem möglichst renommistischen, überpathetischen Charakter vorzutragen ... Im Gegensatz zu jener falschen modernen Manier sucht eben Herr Wüllner in den Beethovenschen Werken den klassischen Geist, den Geist des Maßes, und der in sich befriedigenden Schönheit klar und anspruchslos hervorzuheben.«


    Die Redaktion stimmt der Meinung ihres Referenten voll zu und ergänzt, dass Wüllners Stil nur durch den sechsjährigen Unterricht bei Schindler möglich war und im Folgenden wird Schindler über den grünen Klee gelobt.


    Während sich Wüllner in München einen guten Namen machte, reiste Anna Ludorff am 3. Oktober 1854 mit ihren Geschwistern und dem Vater nach Amerika; der Vater hatte im Frühjahr seine Frau verloren und vordem fünf Kinder. Anna und Franz kannten sich aus Kindertagen, sie waren im gleichen Jahr geboren und spielten und musizierten über die Jahre miteinander; dass der Dörnerflügel mit nach Amerika reiste, zeigt an, welchen Stellenwert die Musik in der Familie Ludorff hatte. In den nächsten Jahren kreuzten viele Briefe der ehemaligen Sandkastenkinder den Atlantik, 1858 war Anna Ludorff wieder in Deutschland und am 28. Juli wurde in München geheiratet. Die wirtschaftlichen Voraussetzungen zur Familiengründung hatte Franz Wüllner geschaffen; am 22. April 1858 wurde Wüllner zum Städtischen Musikdirektor in Aachen gewählt, er hatte unter fünfzig Bewerbern den Vortritt erhalten.


    Schindler war gegen die Verlobung: »Wir haben den sonst sehr verständigen Wüllner eines solchen Schrittes für unfähig gehalten ... denn daß sich ein 20 jähriger Jüngling verlieben könne, ist ebenso oft dagewesen, als daß ein solcher von dem frühzeitigen Traum nicht erwacht wäre und sich Zeit gelassen hätte, Mann im eigentlichen Wortsinn zu werden und vor´m Heiraten ein tüchtiges Stück Lebensschule durchgemacht zu haben ...«.
    Schindler war gegen die Übersiedlung nach München und Schindler hatte auch die Position in Aachen nicht gutgeheißen, Schindler war gegen vieles ...
    Während Wüllner an Brahms und dem großen Geiger Joachim großen Gefallen gefunden hatte, ist Schindler auf die beiden schlecht zu sprechen und fürchtet, dass sie seinem Schüler »Kopf und Sinn« verrückt hätten. Franz Wüllner verehrte seinen Lehrer zeitlebens, ging aber seinen eigenen Weg und machte sich von den Vorstellungen seines Lehrers frei, sich gänzlich der Reproduktion des Beethovenschen Klavierwerks zu verschreiben. Schließlich erreichte er 1854 sein angepeiltes Ziel München und erhielt dort 1856 eine Anstellung als Klavierlehrer an der Musikschule, wo er bis 1858 blieb, um dann anschließend in die weit wichtigere Position eines Musikdirektors in Aachen zu gelangen, wo ihm über viele Jahre hinweg namhafte Dirigenten folgten. In seiner Aachner Zeit leistete er Beachtliches, wobei ihm zugutekam, dass seine Musiker städtische Angestellte geworden waren; das Aachner Orchester galt im Rheinland als vorbildlich.


    1864 zog es Wüllner wieder nach München. Er wurde mit der Leitung der Königlichen Vokalkapelle betraut und war 1867 auch Leiter der Chorgesangsklassen an der Königlichen Musikschule, 1868 folgte die Gründung der Konzerte der Vokalkapelle.
    Die »Chorübungen der Münchner Musikschule« erreichten hohe Auflagen und wirkten weit in das 20. Jahrhundert hinein.


    Franz Wüllner wurde in München auch zum Ersten Hofkapellmeister ernannt, aber zuvor war Gewaltiges geschehen. König Ludwig II. war so musikbesessen, dass er nicht abwarten wollte bis Richard Wagner sein Monumentalwerk »Der Ring des Nibelungen« abgeschlossen hatte, also erteilte er den Befehl, die bereits fertiggestellten Teile des Zyklus am Münchner Nationaltheater aufzuführen. Aber Meister Wagner wollte dies unbedingt verhindern und hatte den Dirigenten Hans Richter und den Sänger Franz Betz auf seiner Seite, die ihre Mitarbeit bei der in München geplanten Uraufführung verweigerten. König Ludwig II. tobte: »Wahrhaft verbrecherisch und schamlos ist das Gebaren von ›Wagner‹ und dem Theatergesindel; es ist dies eine offenbare Revolte gegen meine Befehle, und diese kann ich nicht dulden ...« und die Schimpfkanonade ging weiter: »Wagt ›Wagner‹ sich neuerdings zu widersetzen, so ist ihm das Gehalt sogleich zu entziehen und nie mehr ein Werk von ihm auf der Münchner Bühne aufzuführen.«
    Auch Meister Wagner griff zur Feder und schrieb dem vom König beauftragten Dirigenten Franz Wüllner: »Hand weg von meiner Partitur! Das rat ich Ihnen Herr, sonst soll Sie der Teufel holen!« Gegen den Protest und in Abwesenheit Wagners ging am 22. September 1869 die Uraufführung von »Das Rheingold« über die Bühne. Wie Walter Hansen in seiner Wagner-Biografie schreibt: »schlecht dirigiert, schlecht inszeniert, vernichtend rezensiert.«
    Ganz anders schildert das der Wüllner-Biograf Franz Ludwig: »Der große Erfolg, von dem diese Aufführungen begleitet waren, bewies, daß Franz Wüllner Verständnis und Bewunderung für die Kunst Wagners hatte.«

    Auch als am 26. Juni 1870 »Die Walküre« in München aus der Taufe gehoben wird, steht Wüllner am Pult.


    1877 ging Wüllner nach Dresden, wo er als Professor mit der Leitung des Konservatoriums betraut und Hofkapellmeister war. Ernst Schuch war bereits 1872 nach Dresden gekommen und machte sich Hoffnungen in die Position des im September 1877 verstorbenen Ersten Kapellmeisters Julius Rietz zu kommen. Seine Hoffnungen wurden jedoch nicht erfüllt, weil Intendant von Platen Franz Wüllner in diese Position berief, wohl deshalb, weil dieser schon in herausragenden Positionen tätig war. Einen kleinen Einblick in die Situation vermittelt das »Musikalische Wochenblatt« von 1878; da ist nämlich davon die Rede, dass Wüllner »seine Untergebenen mit einer Art kleinlicher Gewissenhaftigkeit peinigt.«
    Die Schuchs waren ja so eine Art »Gesamtkunstwerk«, denn Gattin Clementine betörte die Dresdner mit ihrer prachtvollen Stimme. Auch Schuch hatte sich allgemein beliebt gemacht und wurde am 13. Oktober1879 zum Ersten Kapellmeister ernannt, womit sein Einfluss auf die Spielplangestaltung und die Auswahl seiner Dirigate zunahm. Schuch war nun in gleicher Position wie Wüllner für die Opern- und Konzertleitung verantwortlich. Das Ringen zwischen beiden um die Gunst des Publikums wie auch um diejenige von König Albert und Intendant von Platen verschärfte sich. Schuchs Einfluss auf Opern- und Konzertveranstaltungen wuchs ständig, was logischerweise zu Wüllners allmählicher Abseitsstellung führte. Letztendlich sollte Wüllner nach dem Wunsch des Intendanten nur noch für die Kirchenmusik und die Leitung des Konservatoriums zuständig sein. Mit Schreiben vom 14. April teilte Franz Wüllner Chorleiter Carl Riccius mit, dass er sich unwohl fühle und längere Zeit dienstunfähig sein werde. Zwei Jahre später demissionierte Wüllner; Schuch hatte im verdeckten Kampf und auf diplomatischen Wegen gesiegt.


    1882 kam Franz Wüllner wieder nach Berlin, wobei zu erwähnen ist, dass zu dieser Zeit Berlin in Sachen Musik noch im Schatten von Leipzig stand. Im März 1882 hatten sich 50 Orchestermusiker der Kapelle des Musikdirektors Benjamin Bilse geweigert ihre neuen Kontrakte zu unterscheiben, weil sie der Meinung waren, dass sie mit dieser Lohngestaltung in die Nähe von Tagelöhnern kämen; diese Musiker beschlossen nun sich selbständig zu machen und auf eigenes Risiko zu arbeiten. Diese neue Orchesterformation war dann unter Dirigenten wie Ludwig von Brenner, Ernst Rudorff und vor allem Franz Wüllner sehr erfolgreich.


    Über die Vermittlung von Johannes Brahms und die Empfehlung Ferdinand Hillers, der von 1849 bis 1884 Direktor der Rheinischen Musikschule war, kam Franz Wüllner 1884 wieder in die Nähe seiner angestammten Heimat. Hiller hatte einst mit siebzehn Schülern angefangen, und 1884 zählte das Kölner Konservatorium 152 Studierende.
    Franz Wüllners Aktivitäten in Köln waren beachtlich und nachhaltig. Es wurde eine berufsbildende Orchester- und Opernschule (mit Vomblatt-Singstunden oder wahlweisem Musikdiktat für alle Studierenden), ein Klavierseminar und einiges mehr eingerichtet ... in der Fachliteratur findet man die Formulierung: »Zu Wüllners Zeiten trugen seine Kölner Einrichtungen Modellcharakter für Musiklehranstalten von Wien bis London.«
    Mit Wüllners Druck war auch 1888 die Gründung eines ständigen Berufsorchesters der Stadt Köln zustande gekommen, das Gürzenich-Orchester, welches zunächst mit 43 Planstellen ausgestattet war und für Oper und Konzert zur Verfügung stand.


    Gürzenichorchester und Konservatoriumschor gelangten unter Franz Wüllner in den 1890er Jahren zu hohem Ansehen. Johannes Brahms überließ dem Chor seine drei doppelchörigen Motetten und Richard Strauss brachte mit dem Kölner Orchester 1895 »Till Eulenspiegel« zur Uraufführung. Dem folgte 1898 »Don Quixote«.
    Wüllner hatte schon den ganz jungen Strauss gefördert und am 27. November 1882 durch die Bläser der Hofkapelle Dresden die Serenade für dreizehn Blasinstrumente zur Uraufführung gebracht.

    Als sich der 70-jährige Franz Wüllner verabschiedete, hatte er als Direktor der Rheinischen Musikschule wahrlich Großartiges geleistet. Das Lehrerkollegium war auf mehr als 50 Dozenten angewachsen und die Zahl der Studierenden hatte die 500 überschritten, und da waren klangvolle Namen darunter.
    Schon nach seinem 70. Geburtstag stellten sich bei Wüllner gesundheitliche Probleme ein, aber trotz dieser Beeinträchtigungen dirigierte er weiter; sein letztes Konzert gab er Mitte April, es war die V. Symphonie von Beethoven, dann begab sich das Ehepaar zur Linderung eines vermeintlich leichten Darmleidens zur Kur nach Wiesbaden und man wähnte sich auf dem Weg der Besserung. Zur Nachkur nach Braunfels an der Lahn ging man in bedrückter Stimmung, weil sich der Zustand verschlechtert hatte. Die Ärzte stellten eine karzinomatöse Neubildung am Darm fest und später kam noch eine Lungenentzündung hinzu.
    Bei Franz Wüllners Trauerfeier im Gürzenich spielte man unter der Leitung von Konzertmeister Willy Heß das Requiem von Cherubini.


    Praktischer Hinweis:
    Das Grab befindet sich auf dem Melaten-Friedhof in Köln. Vom Eingang an der Pius Straße, wo sich die Trauerhalle befindet, aus gesehen, liegt Wüllners Ruhestätte etwa im letzten Drittel des Friedhofs, in Flur 82. Man geht den breiten Hauptweg bis zu der großen Querspange und wendet sich dort bei den Feldern 76 nach rechts. Natürlich gibt es auch noch andere Möglichkeiten, der Friedhofsplan hilft hier weiter.

  • Ludwig Wüllner - * 19. August 1858 Münster - † 19. März 1938 Kiel


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    Ludwigs Vater war berühmt, ein Komponist und Dirigent (wurde im Beitrag # 792 gewürdigt); sein Großvater, der den gleichen Namen wie Ludwigs Vater trug, hatte sich als Philologe einen Namen gemacht, war aber schon 1842 gestorben.


    Als Ludwig zur Welt kam, waren die Familienverhältnisse nicht optimal, denn die Eltern waren - von München kommend - berufsbedingt getrennt; Franz Wüllner hatte in Aachen eine neue Stelle angetreten, aber die Kindesmutter wohnte in dieser Zeit bei Verwandten in Münster. Zur Geburt seines Sohnes kam Franz Wüllner für einige Tage vom etwa 200 Kilometer entfernten Aachen angereist, musste dann jedoch wieder zu seinem Dienst nach Aachen zurück. Im September ist die junge Familie dann in Aachen vereint.
    1865 verließen die Wüllners Aachen und gingen wieder nach München, wobei Vater und Sohn vorausreisten und einige Besuche absolvierten, unter anderem bei Clara Schumann.


    Die in Aachen begonnene Schulzeit setzte Ludwig zunächst in der Domschule in München fort, um dann auf die Lateinschule zu wechseln. Ab Oktober 1868 besuchte er die Sexta des Maximilian-Gymnasiums; als Belohnung für die bestandene Aufnahmeprüfung durfte er erstmals mit ins Theater, was wir aus einem Brief wissen, den er an seine Großmutter in Münster schreibt:
    »Ich durfte mit der Mama einmal in den ›Josef von Ägypten‹, eine Oper in drei Aufzügen, gehen. Du kannst Dir nicht denken, wie groß da meine Freude war.«


    In München wächst der Knabe auf ganz natürliche Weise in ein soziales Milieu der besonderen Art hinein; durch die Position des Vaters kommt er als Kind und Heranwachsender ständig mit Musik in Berührung, das Geigenspiel erlernt er erst von Lehner, später von Franz Brückner, die Ausbildung am Klavier übernimmt der Vater selbst.
    Schon als Gymnasiast zeichnet sich sein späterer Lebensweg ab, recht früh ist er an künstlerische Auftritte gewöhnt. In einem Kinder-Hauskonzert bei Wüllners bietet er zusammen mit drei Quartettgenossen Werke von Haydn und Mozart, was den Erlös von 46 Gulden bringt, die zum Besten von Verwundeten aus dem deutsch-französischem Krieg erspielt wurden.


    Die Ferienzeit verbringt die Familie im reizvollen Voralpenland, vor allem in Tutzing am Starnberger See, aber auch in Kochel und am Schliersee. Da horcht auch schon mal die Hofopernsängerin Mathilde Mallinger auf, wenn sie Ludwigs Stimme hörte; zu Ludwigs Spielgefährten gehörten auch die Kinder des Dichters Paul Heyse, da kann man schon von gehobenem Milieu sprechen.


    Bei öffentlichen Veranstaltungen seines Gymnasiums war Ludwig häufig in herausragender Form zu hören und zu sehen, denn die Wüllners waren von Haus auch groß gewachsen. Damals war es auch noch nichts Aufregendes, wenn er »Das Negerweib«, ein Gedicht von Emanuel Geibel, rezitierte, das war 1871.Vier Jahre später trug er schon ein eigenes Gedicht vor und es folgten Auftritte mit der Violine.
    Im häuslichen Bereich führte Ludwig mit seinen Schwestern und Freunden Theaterstücke auf. Da Vater Wüllner inzwischen auch Kapellmeister der Königlichen Oper geworden war, standen im Theater immer zwei Dienstplätze im rechten Parkett zur Verfügung, sodass der heranwachsende Ludwig überreich Gelegenheit hatte professionelle Abläufe am Theater zu studieren. Ludwig Wüllner hatte alle seine Theaterbesuche penibel aufgelistet und kommentiert, wobei zu bemerken ist, dass anfangs nur reine Begeisterung war, dann jedoch allmählich auch kritische Bemerkungen einflossen.


    Im Musiktheater ist er von Wagner hell begeistert; die Mutter warnt: »Dein Enthusiasmus schlägt über die Schnur, lieber Ludwig, vergiss mir die ›Zauberflöte‹, den herrlichen Mozart nicht, rühre mir nicht an den unvergleichlichen ›Fidelio‹.«
    Im Sprechtheater war er von »Faust« geradezu überwältigt, das war ein Jahr vor seinem Abitur, das er im August 1876 mit guten und sehr guten Noten besteht.
    Die Begabungen des jungen Mannes sind vielfältig, natürlich sollte studiert werden; aber was?
    Ludwig hängt zwar mit Lust und Liebe an der Musik, aber nach der strengen Beurteilung seines Vaters ist das Talent nicht ausreichend, um Bedeutendes zu leisten. Der Onkel rät - da in diesem Beruf selbst erfolgreich - zur Physik. Der Suchende steht immer noch unter dem Eindruck des »Faust« und meint:
    »Ich glaube, der Faust hat mir einen Fingerzeig gegeben, was ich werden soll, - nämlich Ästhetiker und Literarhistoriker. Ich weiß zwar noch nicht, ob das anhaltend bei mir ist, jedoch ich hoffe es. Jedenfalls will Papa einmal mit Herrn Professor Bernays reden, dass der mir ein kräftig Wörtchen über die Wissenschaft sagt.«
    Ab Herbst des Jahres1876 war er nun an der Universität eingeschrieben, aber insgeheim träumte er davon Schauspieler zu werden. Wie ernst es ihm damit war zeigt, dass er den allgewaltigen Ernst von Possart aufsuchte und ihm aus Schiller »Kassandra« vorsprach. Possart erkannte einerseits eine gewisse Sprachbegabung, gab jedoch zu bedenken, dass sich Stimme und Brust noch kräftigen müssten - und, man mag es kaum glauben, Ludwig Wüllner stotterte.
    Professor Rudolf Denhardt, eine Kapazität auf diesem Gebiet, konnte weiterhelfen.
    Die beruflichen Umstände von Franz Wüllner führten dazu, dass dieser nach Dresden wechselte und nun war Ludwig Wüllner in München auf sich alleine gestellt, losgelöst von Eltern und Geschwistern.


    Nachdem er eine Seminararbeit bei Professor Bernays beendet hatte, war es der Wunsch seiner Eltern, dass er sich einen Studienort sucht, der näher bei Dresden liegt, wobei Leipzig und Berlin angedacht waren - man entschied sich für Berlin; um zu promovieren wollte Ludwig Wüllner dann wieder nach München zurück kommen. Ende Oktober 1878 trifft er in Berlin ein, wo sein Vater früher auch zu Studienzwecken weilte. Wie in München auch, besuchte er in Berlin eifrig das Theater und findet auch seinen Platz in einem Quartett. In Berlin begegnet er erstmals Eugen d´ Albert, woraus sich später eine Freundschaft entwickelt.
    So richtig überzeugt ist Ludwig Wüllner von seiner Doktorarbeit nicht und stellt fest, dass es sich um ein »langweiliges, trockenes Stück« handelt, mit dem er nur langsam voran kommt. Seinem Professor entgeht das nicht; er rät ihm, nach bestandenem Doktorat, als Rückhalt für alle Fälle, das Staatsexamen zu absolvieren, aber um zu promovieren solle er zunächst nach Straßburg gehen.
    Dort findet man ihn ebenfalls musizierend in der besseren Gesellschaft und er berichtet nach Hause: »ich lerne endlich ohne Abneigung Frack und weiße Binde tragen, d. h. ich lerne mich auf dem glatten Parkettboden bewegen, denn die höchsten Tiere kommen dahin. Einbilden aber tue ich mir darauf nicht einen Pfifferling, denn man erkennt allmählich, wie beschränkt in mancher Beziehung doch die Leute sind.«
    Die Fertigstellung der Dissertation macht ihm viel Sorge, er ahnt, dass das kein Glanzstück werden wird, denn die Begeisterung seiner Professoren hält sich in Grenzen und er gelangt zur Ansicht: »Daß ich nicht durchfallen werde, weiß ich, aber ich täusche mich nicht darüber, daß ich kein glänzendes Examen machen werde ...«
    Er fühlt sich unter seinen wissenschaftlichen Kollegen nicht wohl und ahnt, dass er wissenschaftlich nie etwas Bedeutendes zu Wege bringen wird. Dennoch läutet der Postbote am 11. Juni 1881 zu abendlicher Stunde in der Ammonstraße zu Dresden und bringt ein Telegramm:
    »Doktor gut bestanden«.


    Zum 50. Geburtstag des Vaters, am 22. Januar 1882, liegt die gebundene Doktorarbeit auf dem Gabentisch: »Das Hrabanische Glossar und die ältesten Bayrischen Sprachdenkmäler. Eine Grammatische Abhandlung« von Ludwig Wüllner.


    Im Sommer1882 erlebt Ludwig an der Seite seines Vaters erstmals Bayreuth, wo ihn »Parsifal« über die Maßen beeindruckt; die beiden werden sogar in die Villa Wahnfried eingeladen; der schon immer Wagner-Begeisterte lernt noch Wagner und Liszt persönlich kennen. Schon früh im folgenden Jahr treffen sich Vater und Sohn wieder in Bayreuth, diesmal zum Begräbnis von Richard Wagner. Ludwig Wüllner widmet dem entschlafenen Meister in der »Allgemeinen Deutschen Musikzeitung« einen Nachruf.
    Dass er sich in der Presse äußerte war nicht einmalig, da sind einige Artikel aus Wüllners Feder erschienen, wobei sein in der »Frankfurter Zeitung« Ende August unter Pseudonym erschienener Artikel »Die Königliche Oper in Berlin« sich wie ein Ausläufer der Druckwelle von Krakatau ausnahm.


    Nun kam der frisch Promovierte wieder heim in seine Geburtsstadt, haderte etwas mit der Lebenseinstellung der Münsteraner, denn er hatte auch einiges an Gläubigkeit verloren; fand dann aber Anschluss. Vater und Onkel hatten im Vorfeld sondiert, damit er als wissenschaftlich Lehrender arbeiteten konnte und nun feilte er an seiner Habilitation. Wüllners Antrittsvorlesung war durchaus erfolgreich verlaufen, aber er berichtete auch nach Hause:
    »Vielen war es natürlich schon ein Dorn im Auge, daß ich es wagte, über ›den großen Heiden‹ (so wird Goethe hier allgemein genannt) meinen Antrittsvortrag zu halten, und daß ich nun im Sommersemester über Goethe lesen will, hat schon gewisse Entrüstung hervorgerufen ...«


    Entzücken ruft er hervor, wenn er sich in Kunstsinnigen Kreisen als Rezitator produziert und mit Aufmerksamkeit und Lob bedacht wird. In einem Konzert des Münsterschen Musikvereins rezitiert er im Februar1885 erstmals in großem öffentlichen Rahmen bei der Aufführung des »Manfred« mit der Musik von Schumann, wobei Marie Seebach seine Partnerin war. Auch als Geiger und Sänger steht er oft in den Programmen des Musikvereins, sowie des akademischen Gesangvereins. Mit seiner Tenorstimme singt er auch schon mal Schumanns »Der Hidalgo« oder aus Brahms »Magelone«.
    Der Vater war allerdings nicht davon begeistert, dass sein Sohn nun die Münsteraner beglückte, indem er in Veranstaltungen gleichzeitig als Deklamator, Sänger und Violinspieler auftrat und riet zu ernsthaftem beruflichem Tun. Die Eltern sehen ihren Sohn als Wissenschaftler, der sich in Kollegenkreisen genauso einen Namen macht, wie es dem Vater in seinem Fach gelungen ist.
    Endlich, im April 1885 teilt er seinen Eltern in schonungsloser Offenheit mit, dass aus ihm nie ein rechter Wissenschaftler werden wird; der 27-Jährige schreibt in einem Brief:
    »Erst jetzt habe ich meinen Zustand und mein Wesen klar durchschaut, und da habe ich nun folgendes als unumstößlich erkannt: Seit früher Kindheit lag in meiner Seele immer all die Jahre hindurch der dunkle heiße Wunsch, Künstler zu werden.«
    Es folgt nun ein dramatisch zu nennender Briefwechsel ... Ende März 1887 verließ Ludwig Wüllner ganz unauffällig, als ob nur die Ferien ihn wegführten, nach eingeholter Dispens für die Vorlesungen des Sommersemesters, Münster, um sich neu zu orientieren.
    Aus einem Lehrer ist nun wieder ein Schüler geworden; Ludwig besucht das Konservatorium in Köln, dessen Leiter sein Vater ist.


    Kompositionsunterricht erhält er bei Gustav Jensen, Klavierunterricht bei Otto Klauwell und die Stimme wird bei dem Tenor Benno Stolzenberg ausgebildet, einem der besten Konzertsänger seiner Zeit.
    Aus diesen Kölner Jahren sind viele Konzertauftritte Ludwig Wüllners dokumentiert, die seine Vielseitigkeit zeigen. Da sind Lieder von Schubert, Schumann, Brahms ... , aber auch die Tenorpartie in Heydns »Schöpfung« oder im »Messias« von Händel sowie Stücke aus Opern, wie zum Beispiel als er in einem Konzert seines Vater mitwirkt, wo er unter dessen Dirigat eine Arie aus Méhuls Oper »Josef in Ägypten« vorträgt. Beim Winterfest des Akademischen Gesangvereins in Münster singt er 1889 Siegmunds Erzählung aus dem ersten Akt der »Walküre« und so weiter und so fort, diese Beispiele sollen nur einen kleinen Einblick in sein Tun in dieser Zeit geben.
    Aber er dirigiert auch Chorkonzerte und sein Vater hofft nun, dass in seinem Sohn ein tüchtiger Dirigent heranreift; zudem betrat Ludwig wieder pädagogischen Boden; ab Februar 1888 hatte er die Nachfolge von Engelbert Humperdinck angetreten und am Kölner Konservatorium mit acht Wochenstunden die Konzert-Ensemble Klasse übernommen.


    Mit dem Tod von Ludwigs Großmutter fühlte sich der Enkel nun befreit, denn er hatte bisher den Wunsch seines Vaters respektiert, zu Lebzeiten seiner Oma keine Theaterbühne als Schauspieler zu betreten. Vater Wüllner befand sich auf einer Italienreise als er von den Plänen seines Sohnes erfuhr.
    Ludwig Wüllner strebte nach Meiningen, einem Städtchen mit gerade mal etwa 11.000 Einwohnern, aber das Theater der Stadt zählte in allen Belangen zu den führenden Bühnen Deutschlands und machte auch international Furore; wenn die Truppe ausschwärmte, war großes Theater angesagt, von 1874 bis 1890 besuchten die Meininger 40 Städte.


    D´Albert hatte für den angehenden Schauspieler beim Herzog von Meiningen am 21. Mai 1889 eine Audienz erwirkt und auch Vater Wüllner hatte sich in einem Schreiben an den Herzog gewandt. Im Nachhinein gab der Herzog zu, dass sein erster Eindruck von dem 31-jährigen, hochgewachsenen Mann, nicht der Beste war; deshalb gedachte er diesen möglichst vom Theater abzuhalten. Nachdem Ludwig Wüllner jedoch drei Balladen Goethes rezitiert hatte, war der Herzog aufs tiefste bewegt.
    Zu diesem Zeitpunkt war die Meininger Theatertruppe mal wieder auf Tournee und es wurde folgender Plan entwickelt:
    Ludwig Wüllner sollte der Truppe, die in Kopenhagen und Stockholm gastierte, so bald als möglich nachreisen. Dort war nur der Theaterdirektor, Hofrat Chronegk, eingeweiht und wusste wer da kam, ihn hatten die herzogliche Zeilen erreichten: »Dr. Wüllner ist ein nicht gewöhnliches Talent und wird sicher noch von sich reden machen.« Wüllner sollte dort lediglich in stummen Rollen als Statist agieren und sich an das Schminken, die Theaterkleidung sowie die Bühnenabläufe gewöhnen. Seine Bühnenkollegen schüttelten über das Erscheinungsbild des Neuen die Köpfe, einer erzählt: »Eine Gestalt von einer Länge, die nur ratenweise auf der Bühne erscheinen kann, das Haupt krönt eine prächtige blonde Mähne, an die Schultern reihen sich ein Paar lange Hängearme, die ersichtlich in kein rechtes Verhältnis zum übrigen Korpus kommen können, eingehüllt in ein bescheidenes Gelehrtenröcklein«. Nach vierwöchiger Bühnentätigkeit ist er vom Theaterleben nicht mehr groß begeistert und sinnt darüber nach das Schauspiel zu verlassen um Rezitator zu werden. Aber er bekommt nochmal die Kurve; im September stand er erstmals in Breslau in einer richtigen Rolle auf der Bühne.


    In den folgenden Jahren kommen die tragenden Rollen, in denen sich Wüllner bestens bewährt und eine Sonderstellung erlangt. So ist er auch 1890 auf einer Russland-Tournee dabei, die über Königsberg, St. Petersburg, Moskau, Kiew und Odessa führt.
    Wüllner gelangen im In- und Ausland großartige Auftritte, er war zu einer Berühmtheit aufgestiegen. Dennoch war auch in Meiningen nicht durchgängig alles Friede, Freude, Eierkuchen, wie das eben so ist am Theater.
    Da Johannes Brahms öfter in Meiningen anwesend war, kam schließlich zur Sprache, dass in dem Schauspieler Wüllner auch hochentwickeltes musikalisches Talent schlummert. So ergab es sich, dass, wenn etwa ein Schauspiel auf der Bühne einen Geiger benötigte oder ein Orchestermusiker ausfiel, Ludwig Wüllner in dieser Position tätig war; in »Fidelio« übernahm er sogar einmal das kleine Tenorsolo als erster Gefangener.
    1886 kam Fritz Steinbach als relativ junger Hofkapellmeister nach Meiningen und bei Wüllners Herkunft war es nicht verwunderlich, dass sich beide anfreundeten.
    Im April 1891 ist ein Liederabend mit instrumentalen Zwischennummern dokumentiert, wobei Lieder von Schubert, Schumann, Brahms, Steinbach, Franz und Rubinstein zu Gehör gebracht wurden; im gleichen Jahr gab er einen Gesangsabend in Köln. In einem Brief an seine Eltern ist zu lesen »Mein Walkürenabend ging ganz famos, ich war brillant bei Stimme und habe alle, alle Färbungen auf der Palette gehabt. Ich möchte doch einmal Siegmund oder Tannhäuser oder Parsifal darstellen: die drei Rollen wären mir das liebste.«


    Wie man daraus ersehen kann, beobachtete Wüllner, dass er auch mit seiner Singstimme beeindrucken kann. Trotz einiger Zweifel, denen er in einem Brief Ausdruck verleiht: »... Ich unterschätze das große Risiko nicht, ich weiß wohl, daß es etwas anderes ist, im kleinen Kreise oder in der Öffentlichkeit sein Inneres zu geben, aber ich muß einmal die Erfahrung machen, ob ich als Liedersänger wirklich mich so fest bewähre, wie manche verständige Freunde glauben.« Also kündigte er für den 2. und 8. Oktober 1895 zwei Liederabende in Berlin an, wobei ihn August von Othegraven begleitete. Vom ersten Auftritt telegrafierte Othegraven nach Köln: »Großer Erfolg. Drei Lieder wiederholt.« und vom zweiten Abend depeschierte der Sänger selbst nach Hause: »Großer gesteigerter Erfolg«.


    Eine kritische Würdigung ist im »Börsencourier« vom 3. Oktober zu lesen:
    »... Herr Dr. Wüllner, von Abstammung ein echter und rechter Musiker und aus Berufswahl Schauspieler, bringt eine Reihe seltener Vorzüge für den Vortrag ernst-lyrischer Kompositionen mit. Seine Aussprache ist von unbedingter Deutlichkeit und Sorgfalt, seine musikalische Kapazität hervorragend und sein Ausdrucksvermögen von großer Wahrheit und Wärme. So könnte man von seinen Vorträgen das Höchste erwarten, wenn seine stimmlichen Eigenschaften den eben genannten bedeutsamen ebenbürtig wären. Herr Dr. Wüllner hat einen baritonalen Tenor, der gar nicht eigentlich unkräftig ist, dem aber der rechte tonische Kern fehlt. Wenn er die höchsten Töne kräftig ansetzen oder wenn er die im ganzen wenig ausgiebige Tiefe piano behandeln kann, dann klingt die Stimme am besten.«


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    Foto Selma Genthe


    Der Sänger selbst berichtet in einem Brief, dass Frau Joachim »ganz außer sich« war, eine Aussage, die man ernst nehmen sollte, denn Amalie Joachim war eine der besten Konzertsängerinnen ihrer Zeit. Aber auch der erfahrene Franz Wüllner sagt seinem Sohn:
    »ich selbst bin überzeugt, daß Du ein umfassender Konzertsänger, der auf Engagements der Konzertdirektionen rechnen kann, nie werden wirst. Für die Oratorienpartien Bachs und Händels (Evangelist, Josua, Judas, Makkabäus u. a.), selbst für die ›Jahreszeiten‹ fehlt Deiner Stimme die nötige Höhe, Helligkeit, Kraft, Glanz und Metall, desgleichen für die meisten Konzertarien. Es bleiben also nur Lieder, und von diesen auch nur ein bestimmter Kreis. Für Lieder allein engagiert eine Konzertdirektion keinen Sänger, auch ist es mir zweifelhaft, ob Du große Räume (den Gürzenich z. B.) mit Deiner Stimme ausfüllen würdest.«


    Der Vater hatte seine Befürchtungen deshalb ausgesprochen, weil er gewahr wurde, dass Ludwig mit der Schauspielerei nicht mehr so recht zufrieden war; die Unzufriedenheit resultierte aus der Unzufriedenheit mit dem neuen Intendanten, der an die Hofbühne gekommen war. Weiterhin vom Herzog und der Freifrau geliebt, schied er von Meiningen, was zunächst als Urlaub kaschiert wurde.


    Ludwig Wüllner war nun frei, was lag für ihn näher, als an seine doch erfolgreichen Liederabende in Berlin anzuknüpfen. Sein nun dritter Berliner Liederabend fand am Dreikönigstag 1886 im Saal Bechstein statt. Wenn man die Kritiken überblickt, dann wird das als Ausgang einer neuen Schule empfunden. In Weimar glänzte Wüllner mit »Manfred«, wo sich Wortgewalt und Schumannsche Musik begegnen.
    In Weimar sang er die Titelrolle in »Tannhäuser«, wobei einerseits von der Begeisterung des Publikums und andererseits von ablehnender Presse berichtet wird.
    Im April 1890 verkörperte Wüllner in Leipzig innerhalb einer Woche drei Rollen: Manfred, Lear und Tannhäuser. Den Tannhäuser sang er auch in Breslau, Bremen, Darmstadt und Frankfurt a. M.
    In Österreich und der Schweiz hatte Wüllner schon gesungen, im Frühjahr 1903 begab er sich als Künstler erstmals in ein fremdsprachiges Land; in London gab er eine Reihe von Konzerten, sang aber auch in Liverpool und Eastbourne. Am 6. Juni sang er bei der Aufführung von Elgars Oratorium »Traum des Gerontius« in der Westminster Kathedrale die Titelpartie. Der Presse ist zu entnehmen: »Herr Dr. Wüllner sang in 6 Konzerten 110 Lieder ... Er nahm alle Hörer gefangen ...«
    Im Januar 1905 gastierte er erstmals in Holland im Rahmen eines Kammermusikabends, im Herbst gab er elf Liederabende in Amsterdam, Rotterdam und Haag; in den nächsten Jahren folgten mehr als ein Dutzend Liederabende in anderen holländischen Städten.
    Der in deutscher Sprache Vortragende hatte auch in Paris Erfolg, wo er von Hermann Zilcher begleitet wurde. Auch in Dänemark und Schweden trat Wüllner erfolgreich auf; ebenso mehrmals in Russland.


    Im Herbst 1908 überquerte Wüllner an Bord des stolzen Schiffes »Kaiser Wilhelm der Große« den Ozean. Man hatte für ihn in Amerika keine erfolgreichen Auftritte gesehen, weil hier vor allem Schönheit der Stimme verlangt und geschätzt würde, er müsste sich mit Bonci, Caruso, Burian, Schmedes ... vergleichen lassen wobei sich über Wüllner bereits die Fabel vom »Sänger ohne Stimme« verbreitet hatte.
    Am 14. November 1908 gab Wüllner sein erstes Konzert in der New Yorker Mendelssohn Hall, die heute nicht mehr besteht. Auf dem Programm standen 20 Lieder von Schubert, Brahms, Wolf, Strauss und Schumann.
    Aus der durchgängig guten Kritik der »New-Yorker Staatszeitung« sei nur der Passus zitiert:
    »Es gibt da z. B. Schubertsche Lieder, mit denen bedeutende Liedsänger nichts anzufangen wissen, da sie flüchtig hingeworfen und versteckten Sinnes sind. Wüllner holt da Gold aus dem Flußsand ...«
    Die 900 Personen fassende Mendelssohn Hall war am ersten Abend mit 300, am zweiten Abend mit 800 Personen besetzt, dann erwies sie sich als zu klein. Für die weiteren Konzerte wurde die 4000 Menschen aufnehmende Carnegie Hall gewählt und auch dieser Riesenraum konnte nicht alle Einlassbegehrenden unterbringen.
    Da kommen einem doch Vater Wüllners Befürchtungen von einst in den Sinn:
    »Für Lieder allein engagiert eine Konzertdirektion keinen Sänger, auch ist es mir zweifelhaft, ob Du große Räume (den Gürzenich z. B.) mit Deiner Stimme ausfüllen würdest.«
    Im Folgenden gab Wüllner nun Liederabende - in vielen Städten mehrere - in Boston, Philadelphia, Pittsburg, Brooklyn, Chicago, Buffalo, Cleveland, St. Louis, Cincinnati, Indianapolis, Detroit, Ann Arbor, Oberlin, Rochester, Baltimore, Washington, St. Paul, Minneapolis, Milwaukee, Hartford - man darf erinnern, der Erstflug der Brüder Wright war erst fünf Jahre vorher; Wüllner konnte damals kein Flugzeug benutzen und weilte ein halbes Jahr in Amerika.
    Von Oktober 1909 bis Mitte Juni 1910 konzertierte Wüllner wiederum in der Neuen Welt, wo er unter anderem auch an der Erstaufführung von Mahlers »Kindertotenliedern« in Amerika beteiligt war; bei dieser Tournee trat er in mehr als fünfzig Städten auf.
    Schließlich überquerte Ludwig Wüllner im Herbst 1911 zum dritten Male das große Wasser, diesmal war das eine künstlerische Unternehmung der leichteren Art, ein Vaudeville-Unternehmen hatte ihn engagiert. Zum Ende seines Lebens reduzierte Wüllner seine sängerische Tätigkeit, aber in der »Deutschen Zeitung« vom November 1927 ist folgender Passus zu lesen:
    »Der neunundsechzigjährige Künstler trägt auch heute noch fünfundzwanzig Lieder hintereinander auswendig vor, ohne eine Stütze für sein Gedächtnis zu bedürfen. Wer schöpft den seelischen Gehalt der Gesänge aus dem geistlichen Teil von Hugo Wolfs ›Spanischem Liederbuch‹ bis in solche Tiefen aus, wie Ludwig Wüllner!«


    Ludwig Wüllners Stil fand beim Establishment des wilhelminischen Bürgertums Anerkennung; diese Zeit war eigentlich mit dem Kaiserreich hinuntergegangen; seine Vortragsart kann man als Widerhall bürgerlicher Weltsicht sehen, er bot seinem Publikum etwas, das es in der immer realer werdenden Welt nicht mehr gab und kam auf diese Art zu dem Prädikat »Kammersänger des deutschen Volkes«.
    Ganz große Erfolge feierte Wüllner mit Max von Schillings 1902 uraufgeführtem »Hexenlied« nach einer Ballade von Ernst von Wildenbruch, das auch nach der UA mit Possart vom Publikum angenommen wurde. 1933, wenige Tage vor von Schillings Tod, hatte man das Melodram mit dem 74-jährigen Wüllner und den Berliner Philharmonikern aufgenommen.


    Ludwig Wüllners Grab auf dem Parkfriedhof Lichterfelde war von 1956 bis 2014 ein Ehrengrab der Stadt Berlin. Inzwischen hat man die rote Tafel mit der Aufschrift EHRENGRAB LAND BERLIN entfernt.
    Um die Grabinschrift lesbar zu machen, musste eine gehörige Schicht Tannennadeln entfernt werden - natürlich ist es ein Zitat aus »Faust«, das dann sichtbar wird. Bei Steffi Line kann man zwar lesen, dass der Spruch »eingemeißelt« ist, wie man sieht, ist das nicht so, es handelt sich um aufmontierte Metallbuchstaben, von denen erfreulicherweise noch keiner fehlt. Beim letzten Blick auf das dem Verfall geweihte Grab kommt einem Kafka in den Sinn:
    »Das entscheidend Charakteristische dieser Welt ist ihre Vergänglichkeit«.


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    Friedhofseingang


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    Man geht man den Weg rechts hinter der Kapelle weiter...


    Praktische Hinweise:
    Parkfriedhof Lichterfelde in Berlin-Steglitz, Thuner Platz 2, 12205 Berlin.
    Die Grabstätte von Ludwig Wüllner befindet sich in der Abteilung: Familiengrab im Walde Nr. 227. Wenn man den Eingang vom Parkfriedhof Lichterfelde am Thuner Platz nutzt, geht man den Weg rechts hinter der Kapelle weiter bis zur Abteilung Familiengrab im Walde. Dort biegt man in den dritten Weg nach links ab und erreicht die Grabstätte nach ca. 50 Metern auf der linken Seite.

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    Als Rezitator in seiner künstlerischen Spätzeit begegnet man Ludwig Wüllner auch auf dieser CD, die ich seit Jahren in meinem Bestand habe und immer mal wieder mit Erbauung höre. Neben dem bereits genannten "Hexenlied" sind Balladen und Monologe von Goethe, Schiller und Shakespeare zu hören. Was für eine Stimme! Und was man damit machen kann! Man muss sich aber vorurteilslos in diese Art des Vortrags - hart hat in seinem guten Beitrag dazu einiges mitzuteilen - einlassen, um seine Bedeuutung erahnen zu können.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Tiana Lemnitz - * 26. Oktober 1897 Metz - † 5. Februar 1994 Berlin


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    Zum heutigen Todestag von Tiana Lemnitz


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    Man muss schon genau hinsehen, um zu erkennen wer hier zur Ruhe gekommen ist


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    Eigentlich war ihr Taufname Albertine, wie es das kleine Schildchen an ihrem großen Grab ausweist. Ihr gebührt ein großes Grab, denn sie war eine große Sängerin, die ein breites Feld abdeckte, das von Mozart bis Wagner reichte und auch als Konzertsängerin machte sie eine gute Figur, ihr besonderes Markenzeichnen war das berühmte Lemnitz-Piano.


    Sie war an der Nahtstelle zwischen Deutschland und Frankreich geboren, die Bewohner dieser Gegend wussten oft nicht so recht wo sie denn hingehören; die Familie Lemnitz wurde mit den Kriegsereignissen konfrontiert und ausgewiesen.


    Als Albertine geboren wurde, waren sie das zehnte von elf Kindern. Musik muss dem Kind wohl angeboren gewesen sein, denn der Vater war Militärkapellmeister und die Mutter soll gesangsbegeistert gewesen sein.
    Das junge Mädchen begann in ihrer Geburtsstadt bei Olga Karpinski, immerhin einer Stockhausen-Schülerin, mit »Tonstudien, Solfeggien, italienischen Übungen, die auf Beweglichkeit hinwirken», wie sie es einmal formulierte.


    Die Kriegsjahre hatten die Familie nach Frankfurt gebracht, wo Tiana Lemnitz ihre Studien an dem hochangesehenen und 1878/79 gegründeten Dr. Hoch´schen Konservatorium fortsetzte; die Schülerliste des Instituts hatte da bereits beachtliche Namen aufzuweisen wie zum Beispiel - im Fach Gesang - Hermine Spies, Else Gentner-Fischer und Richard Tauber. Ansonsten findet man noch Absolventen wie Hans Pfitzner, Otto Klemperer und Paul Hindemith - also allesamt Namen, die später einmal in der Musikwelt einen guten Klang hatten.


    Der Lehrer von Tiana Lemnitz war der aus Lemberg stammende Tenor Antoni Kohmann, ein auch auf internationalen Podien gern gehörter Sänger, der noch 1928 in einem Konzert an der Mailänder Scala auftrat, also auch eine Menge praktische Erfahrung hatte.
    Antoni Kohmann war mit der Atemtechnik seiner neuen Schülerin absolut nicht einverstanden; bis man die richtige Zwerchfellatmung beherrschte war ein Jahr vergangen.
    Laut Kesting, hatte Tiana Lemnitz ihr Bühnendebüt am 13. März 1921 in Heilbronn, bei Jens Malte Fischer stand sie bereits 1920 auf der Heilbronner Bühne, aber die Herren sind sich einig, dass ihr Debüt als Udine war. Das muss wohl so eine Art Probeauftritt gewesen sein, denn bei Kesting heißt es:»Doch ihr Lehrer entließ sie erst ins Engagement nach Aachen, als sie 25 Partien studiert hatte.«
    Als die junge Sängerin 1922 nach Aachen kam, war zwei Jahre vorher Prof. Peter Raabe Fritz Busch nachgefolgt und nach Raabe kam schließlich Herbert von Karajan, woraus zu ersehen ist, dass dieses Haus oft ein Sprungbrett für noch Größeres war - und nicht nur für Dirigenten, sondern auch für Gesangssolisten wie zum Beispiel Ludwig Suthaus, Margarete Teschemacher, Irmgard Seefried ... - Als Elisabeth Grümmer ans Haus kam war Frau Gerstung-Lemnitz (sie hatte den am Theater tätigen Bariton Ernst Gerstung geheiratet) schon weg.
    Ihre Aachener Antrittsrolle war die Woglinde in Wagners »Rheingold«; Am 17. September 1922 sang die Neue dann Waltraute in »Die Walküre«; andere kleinere Partien folgten, wobei sie sich im Ensemble über die sechs Jahre am Aachener Theater behutsam entfalten konnte und allmählich in große lyrisch-dramatische Rollen hineinwuchs.


    Nachdem sich Tiana Lemnitz in Aachen ein breites Repertoire erarbeitet und einige Male in Hannover gastiert hatte, kam es dort zu einem Dreijahresvertrag.


    1930 gastierte sie als Agathe bei den Waldfestspielen in Zoppot, das oft als »das Bayreuth des Nordens« bezeichnet wird. An der Dresdner Staatsoper sang sie 1933 die Elisabeth in »Tannhäuser« und in »Don Carlo«, wo sie offensichtlich so gefallen konnte, dass ein Gastvertrag für 40 Abende zustande kam. Das alles hatte sich bis Berlin herumgesprochen, sodass sie sich neben ihren Auftritten in Hannover und Dresden auch noch am 4. Juni 1933 als Eva an der Berliner Staatsoper vorstellen konnte.
    Als Ensemble-Mitglied der Berliner Staatsoper gab sie in einer »Aida«-Premiere unter der Stabführung von Leo Blech am 9. September 1934 ihr Debüt an der Seite von Helge Rosvaenge; für die nächsten 23 Spielzeiten sollte sie dann hier auf der Bühne agieren; wo sie praktisch die Rollennachfolgerin von Maria Müller wurde. Natürlich weitete sich auch ihre Gastspieltätigkeit aus, sie sang oft an der Londoner Covent Garten Opera, wo sie 1936 und 1938 als Eva in den »Meistersingern«, als Elsa im »Lohengrin«, als Octavian im »Rosenkavalier« und als Pamina in der »Zauberflöte« zu Gast war. Natürlich war sie auch an anderen bedeutenden Häusern in Deutschland und Europa, aber auch in Amerika zu hören. Am Teatro Colón Buenos Aires sang sie im August 1936 unter Fritz Busch die Elsa von Brabant in »Lohengrin«, ihr Gralsritter war Marcel Wittrich. Im September des gleichen Jahres war sie dann auch - wieder unter Busch - als Octavian im »Rosenkavalier« zu hören.


    In Berlin war ja alles versammelt was Rang und Namen, sowohl im künstlerischen als auch politischen Bereich hatte - all die großen Ereignisse hier zu nennen, wäre eine aufwändige Angelegenheit. 1937 wurde Tiana Lemnitz vom »Führer« zur Kammersängerin ernannt und schaffte es auch auf die sogenannte »Gottbegnadeten-Liste« und schloss sich einer damals sehr beliebten Partei an, was deutlich macht, dass die Frau Kammersängerin von Musik weit mehr verstand als von Politik.


    In dieser Zeit ist ein Wechsel ins jugendlich-dramatische Fach zu beobachten, wo zum Beispiel Sieglinde und Desdemona hinzukamen und auch immer mehr berühmte Partner und Dirigenten. So sang sie in der vielbeachteten Gründgens-Inszenierung der »Zauberflöte« unter Karajan und im gleichen Jahr entstand - mit ihr als Pamina - eine Gesamtaufnahme mit Thomas Beecham. Besonders wurde ihr spektakuläres Piano gerühmt, das der Sängerin den Namen »Piano-Lemnitz« einbrachte und von dem es heißt, dass dieses Piano immer noch substanzvollen Klang hatte - und auf Tonträgern immer noch hat.


    Bei Jürgen Kesting ist zu lesen: »Folgt man den Kommentaren, so steht sie da als eines der wenigen deutschen Gesangswunder der zwanziger, dreißiger und frühen vierziger Jahre.«
    und im Großen Sängerlexikon Kutsch/Riemens liest es sich ähnlich positiv: »Eine der schönsten Sopranstimmen ihrer Zeit; man rühmte neben der feinsinnigen, durchgeistigten Art ihres Vortrages die Subtilität ihrer Ausdruckskunst. Ihr verschwebendes Pianissimo wurde mit der Pianissimo-Technik der berühmten Claire Dux verglichen.«
    Des Grabbesuchers erster Kontakt mit Tiana Lemnitz entstand durch ein relativ selten zu hörendes Duett, das sie mit Peter Anders sang, - »Familiengemälde« von Robert Schumann.
    Tiana Lemnitz hatte ja nicht nur ein recht breites Opernrepertoire, sondern war auch eine ausgezeichnete Konzertsängerin; da gibt es eine Aufnahme der Matthäus-Passion mit dem Thomanerchor unter Günther Ramin, und Karl Erb und Gerhard Hüsch sind auch mit dabei.


    Als Liedinterpretin ist Tiana Lemnitz in der Riesenbox der Raucheisen-Edition mit über 1.000 historischen Aufnahmen, 34 Mal vertreten: Franz Schubert 13 / Hugo Wolf 4 / Robert Schumann 5 / Franz Liszt 1 und Peter Cornelius 12, wobei das drei Sololieder und neun Duette sind, die sie mit Karl Schmitt-Walter singt.
    Man reibt sich die Augen, wenn man auf das Aufnahmedatum der Cornelius-Lieder schaut - es ist der 16. November 1944 - und um die damalige Situation in Deutschland und der Welt weiß; Frauen des Arbeitsdienstes werden als Flakhelfer eingesetzt, um Soldaten für den Frontdienst freizusetzen und einige wenige singen Kunstlieder.


    Zu ihren wichtigen Lied-Aufnahmen zählen die Wesendonck-Lieder, zu denen allerdings Richard Wagner in seinen späteren Jahren uncharmant bemerkte, dass die Texte von Frau Wesendonck peinlich und abgeschmackt seien und hielt seine Vertonungen allenfalls noch für verbrauchte Sängerinnen geeignet. Von wegen verbraucht, kann man da nur sagen; von Tiana Lemnitz sind diese Lieder in drei Aufnahmen vorhanden, die in zeitlich relativ großen Abständen entstanden sind: 1937 mit Michael Raucheisen am Klavier, 1944 eine Orchesteraufnahme mit Robert Heger und 1955 eine Aufnahme, die Hermann Abendroth dirigiert.


    Auch der Film benötigt mitunter gute Stimmen; in dem 1943 in die Kinos gekommenen Film »Altes Herz wird wieder jung« benötigte man für eine Szene aus Verdis Oper »Othello« zwei Sänger, die den Darstellern Fritz Soot (Othello) und Katharina Boenisch (Desdemona) ihre Stimmen liehen. Max Lorenz und Tiana Lemnitz lösten diese Aufgabe souverän.
    Auch 1949 wurde Tiana Lemnitz wieder als Synchronsängerin gebraucht; diesmal war das ein reiner Musikfilm mit dem Titel »Figaros Hochzeit«, mit »
    Le nozze di Figaro« konnte damals in Deutschland kaum jemand etwas anfangen. Der elegante Willi Domgraf-Fassbaender spielte und sang den Figaro, aber Tiana Lemnitz lieh ihre Stimme an die Schauspielerin Sabine Peters aus, die als Gräfin Rosine vor der Kamera agierte. Domgraf-Fassbaender war ja mit Sabine Peters verheiratet und aus dieser Ehe war 1939 die spätere Mezzosopranistin Brigitte Fassbaender hervorgegangen - aber nun schweifen die Gedanken zu weit ab ...


    Oben wurde bereits auf Lemnitz´ Aufenthalt in Südamerika hingewiesen, dass sie nicht auf die Bühne der Metropolitan Opera New York gelangte, war den politischen Verhältnissen jener Jahre geschuldet, denn 1938 war an Tiana Lemnitz bereits eine Einladung von der »Met« ergangen, aber das große Weltgetöse stand dem entgegen.
    Einen großen Auftritt hatte sie dann 1939 als Agathe im »Freischütz« unter Knappertsbusch bei den Salzburger Festspielen.
    Bei Kutsch-Riemens findet sich die Passage:»
    Denkwürdige Interpretationen waren weiterhin ihre Desdemona unter de Sabatas Leitung an der Berliner Oper, sowie ihre Rollenkreation der Philomene in Wagner­ Regenys Oper »Die Bürger von Calais‹ (Berlin 1939).«
    Der Erfolg dürfte sich aber in Grenzen gehalten haben, denn die Uraufführung scheint Marta Fuchs gesungen zu haben, die den Komponisten mal in der Waitzstraße besuchte - und Wagner-­Regeny schreibt:
    » ›Die Bürger von Calais‹ wurden, ohne dass uns der Grund angegeben worden wäre, nach wenigen Vorstellungen von dem Spielplan entfernt. Später erfuhren wir, daß die Schwester von Hermann Göring die ›Gefährlichkeit‹ des Stückes als erste erkannt habe und die ›Hohen Herren‹ zu der Ansicht gelangt waren, daß es (1939), wenige Monate vor Ausbruch des II. Weltkrieges (!) nicht gut sei, eine belagerte Stadt, Hunger, Kriegsnöte und den Tod dem Volke in das Bewußtsein zu stellen.«


    An eine große internationale Karriere war jetzt nicht mehr zu denken und in Deutschland wurde es nun auch immer enger; in der Nacht vom 9. zum 10. April 1941 warfen englische Bomber in der Berliner Innenstadt ihre Last ab und die Staatsoper wurde so schwer getroffen, dass man das Haus erst wieder am 12. Dezember 1942 bespielen konnte.
    Der totale Kriegseinsatz kommt in einem Ukas vom 24. August 1944 zum Ausdruck, wonach am 1. September fast alle Theater und Kulturbetriebe geschlossen werden. Am 31. August 1944 dirigierte Johannes Schüler die letzte Aufführung in der Staatsoper Unter den Linden - »Die Hochzeit des Figaro«; Tiana Lemnitz stand als Gräfin auf der Bühne.


    Man erinnert sich - am 16. November 1944, so steht oben geschrieben, nahm Tiana Lemnitz und andere noch mit Michael Raucheisen im Gebäude der Reichsrundfunkgesellschaft in der Masurenallee Lieder auf. In den Vormittagsstunden des 3. Februar 1945 erlebte die Reichshauptstadt ein wahres Inferno - Details werden ausgespart, denn das soll keine Kriegsberichterstattung werden, aber man sollte es schon beleuchten, unter welchen Bedingungen damals Kunst produziert wurde. 1945 - An drei Tagen - am 23. Januar, am 2. und 13. März - spielt Raucheisen mit Peter Anders Schuberts »Winterreise« ein, die Rote Armee ist nur noch 60 Kilometer entfernt. Jedes einzelne der 24 »schauerlichen Lieder«, die ohne Schnitte und Retuschen produziert werden, beeindrucken noch spätere Generationen.


    Man mag es kaum glauben, aber die »Ehemalige Staatsoper« gab - inmitten von Ruinen - bereits am 16. Juni 1945 das erste große Opernkonzert im Sendesaal des Funkhauses in der Masurenallee. Am 8. September 1945 führte die Staatsoper im Admiralspalast in der Friedrichstraße, der für zehn Jahre zur neuen Spielstätte der Staatsoper Berlin wurde, Glucks »Orpheus und Eurydike« auf - Eurydike Tiana Lemnitz, Orpheus Anneliese Müller.
    In dieser Zeit findet man Tiana Lemnitz auf den Besetzungszetteln, wenn »Orpheus und Eurydike«, »Hoffmanns Erzählungen« oder »Eugen Onegin« gegeben wird.
    Bei der Eröffnung des restaurierten Hauses, im September 1955, ist Frau Lemnitz nicht mehr mit dabei.


    Wie viele andere Sängerinnen, war sie vom »Rosenkavalier«-Octavian zur Marschallin gewechselt und man findet sie auch mal auf dem Besetzungszettel von Offenbachs frivolen Stück »Die Insel Tulipatan«. Aber sie war in der Nachkriegszeit auch wieder international tätig, so sang sie 1950 im Teatro Colón, wo sie bereits 1936 unter Fritz Busch gesungen hatte, nun die Sieglinde, Jenufa und Pamina unter der Stabführung von Karl Böhm.
    Tiana Lemnitz hatte ein erfülltes Künstlerleben; dennoch gehörte sie einer Generation an, die sich durch die furchtbaren Kriegsereignisse nicht so entfalten konnte wie das später wieder möglich war. In den Jahren danach drängte eine neue Sängergeneration heran, die von der Lemnitz lernen wollte und konnte.
    1953 wurde Lemnitz Leiterin des Opernstudios der Berliner Staatsoper. Ihren letzten Auftritt hatte sie 1957 ebenfalls an der Staatsoper. Nach ihrer Zeit als aktive Sängerin bildete Lemnitz als Gesangsprofessorin den Nachwuchs aus.


    Die Sängerin war mit Friedrich Scheuer verheiratet und fand ihre letzte Ruhestätte im Erbbegräbnis der Familie ihres Ehemannes.


    Praktische Hinweise:
    Das Grab befindet sich auf dem Landeseigenen Friedhof Dahlem-Dorf, im Südwesten Berlins. Der Haupteingang des Friedhofs liegt direkt an der Königin-Luise-Straße, neben dem evangelischen St.-Annen-Kirchhof. Die Bezeichnung des Grabes ist Feld 007 Nr196-200, aber die Grabfelder sind nicht klar ersichtlich.


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    Wenn man diesen Eingang benutzt, liegt das Feld sieben links.


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  • Mathilde Mallinger - *17. Februar 1847 Zagreb - † 19. April 1920 Berlin


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    Eine abgebrochene Säule, die vermutlich nicht zerstört wurde, sondern symbolisch abgebrochen ist; ein Genius soll noch bei der Säule gewesen sein, der hat sich davon gemacht ...
    Man steht hier auch nur symbolisch am Grab der Sängerin, denn die irdischen Reste sind irgendwo auf dem Gelände; man hat diesem Gottesacker übel mitgespielt; Otto Nicolai hatte da mit seinem Friedhof auf der anderen Straßenseite mehr Glück, den hatte man in Ruhe gelassen.


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    Die Inschrift ist nicht mehr klar zu erkennen


    An der rund 500 Meter langen Liesenstraße in Berlin befinden sich vier der bekanntesten Berliner Friedhöfe; ansonsten ist das Straßenbild durch die denkmalgeschützten Liesenbrücken geprägt.
    Mathilde Mallinger hat ihre letzte Ruhe auf einem ganz außergewöhnlichen Berliner Friedhof gefunden, der 1961 zu einer nur unter Todesgefahr zu überwindenden Staatsgrenze wurde, auf dem Gelände hatte man – zum Teil mit abgebauten Grabsteinen – einen Kolonnenweg angelegt, der für die Fahrzeuge der Grenzpatrouillen genutzt wurde.
    Dem geschaffenen Todesstreifen fielen auch einige kulturhistorisch wertvolle Gräber und Kunstwerke zum Opfer und nach der Wende entstanden weitere Schäden durch Vandalismus und Diebstahl.


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    Hinter der Kapelle geht man noch etwas geradeaus, etwas rechts steht die Säule.
     

    Zum heutigen 175. Geburtstag von Mathilde Mallinger 
    Eine Beschreibung ihres Lebens und Wirkens


    Ihr Vater war der Komponist Vatroslav Lichtenegger, der in der Literatur auch mal als Musikprofessor, Dozent oder Kapellmeister bezeichnet wird; von ihm soll die Tochter ihren ersten musikalischen Unterricht erhalten haben. Ab 1863 studierte sie am Prager Konservatorium bei Giovanni Battista Gordigiani und Heinrich Vogl. Schließlich erweiterte sie ihre Gesangsstudien ab 1866 noch bei dem sehr erfolgreichen Richard Lewy in Wien - Waldhornist, Opernregisseur und Gesangslehrer - , der großen Sängerinnen und Sängern zu überragenden Karrieren verholfen hatte, auch Mallingers späteren großen Konkurrentin in Berlin, Pauline Lucca.


    Nachdem Mathilde Mallinger bei Lewy den letzten Schliff bekommen hatte; engagierte sie im Oktober 1866 Hofkapellmeister Franz Lachner an die Hofoper in München, wo sie noch im gleichen Jahr als Norma debütierte.
    Wie Alfons Schweiggert in seinem Buch »Ludwig II. und die Frauen« schildert, erfuhr Mathilde Mallinger die besondere Verehrung des Königs, was auch dadurch sichtbar wurde, dass sie vom König nach Vorstellungen seiner Lieblingsopern ein offizielles Bouquett bekam.
    In besagtem Buch wird jedoch auch berichtet:


    »Privat stießen ihn jedoch die Unbildung und ihre wenig geschulten Lebensformen ab. Gleichwohl ließ er von der Sängerin eine Marmorbüste anfertigen. Seine Braut Sophie verspürte ihr gegenüber wohl so etwas wie Eifersucht, da sie nie eine Aufführung besuchte, in der die Mallinger auftrat. Nach der Entlobung schenkte der König der Sängerin ein ursprünglich für Sophie bestimmtes Klavier.«


    Die Stimmung trübte sich indes ein, weil der König mit dem nach seiner Ansicht zu lockeren Lebenswandel seiner Lieblingssängerin nicht einverstanden war. Als Fräulein Mallinger dann in dieser Sache zu einer Audienz beim König war, soll er die Audienz mit den Worten:
    »Ein Fräulein Mallinger ist mir unbekannt, ich kenne nur eine ›Sängerin‹ dieses Namens.« beendet haben.


    Aber da war ja auch noch Richard Wagner, der die Neueinstudierung des »Lohengrin« leitete und der dem Wunsch des Königs - die erst 19 Jahre alte Sängerin als Elsa für den Münchner »Lohengrin« zu engagieren - skeptisch gegenüber stand, aber von Probe zu Probe sah er die Sache positiver. Noch vor den Bouqetts seiner Majestät hatte Meister Wagner nach dem zweiten Akt der Generalprobe Blumen überreicht - die Szene ist von Fräulein Mallinger so überliefert:


    »Nach dem zweiten Akt der Generalprobe kam er mit einem Riesenstrauß in meine Loge, herzte, küsste, drückte mich und wusste nicht Worte des Dankes genug zu stammeln, dass ich ihm mit meiner Elsa so viel Freude bereitet habe. So saß ich mit einem Schlage im Herzen Wagners fest.«


    Aber nicht nur Wagner, auch die meisten Kritiker waren begeistert; der Musikschriftsteller Franz Grandaur schrieb nach der Premiere am 16. Juni 1867 in der ›Bayerischen Zeitung‹:


    »Frln. Mallinger […] entfaltete in Spiel und Gesang ihre Meisterschaft in glänzendster Weise. Mit vollem Verständniß wusste die geniale Künstlerin den Intentionen des Componisten allenthalben gerecht zu werden und bereitete so durch seelenvollen Vortrag und poetische Darstellung einen Kunstgenuss, wie man einen vollendeteren sich kaum zu denken vermag.«


    Für die im selben Jahr folgende »Tannhäuser«-Neuinszenierung, die Ludwig II. gegen die Einwände Wagners mit Hans von Bülow am Pult durchsetzte, wurde erneut Mathilde Mallinger als weibliche Hauptsolistin berufen. Nach der Premiere am 1. August beschrieb der vorgenannte Kritiker die Elisabeth der Mallinger in dramatischer wie in musikalischer Hinsicht wiederum als ›mustergiltig‹ und in den Neuesten Nachrichten hieß es: »Frl. Mallinger sang die Elisabeth mit hoher Weihe und ergreifender Kunst; ihre Stimme klang tief in das Herz der Zuhörer und wenn sie im Ensemble mitwirkte, so schwebte ihr Sopran, einer weißen Taube gleich, über den gewaltigen dunklen Tonmassen der Sängerstimmen.«


    Ein Journalist der renommierten Wiener ›Neuen Freien Presse‹ berichtete von einer im Juni 1868 stattgefundenen Probe zur Uraufführung der »Meistersinger«; auch aus diesem Bericht ist herauszulesen, welche Wertschätzung Mathilde Mallinger genoss:


    »Nur wenn Fräulein Mallinger singt, pausiert Wagner zuweilen in seinen Vorschriften, horcht mit sichtbarem Vergnügen, trippelt dann, die eine Hand in der Hosentasche, mit kurzen Schritten auf und ab und setzt sich auf den Stuhl, der neben dem Souffleurkasten steht, befriedigt und vergnügt mit dem Kopfe nickend und mit dem ganzen Gesicht lächelnd. Gefällt ihm aber etwas im Orchester nicht, was nicht selten vorkommt, so schnellt er wie von einer Schlange gestochen auf, klatscht mit den Händen, Bülow klopft ab und Wagner ruft ins Orchester: ›Piano, meine Herren, piano!‹ Das muss leise, leise, leise wie aus einer andern Welt herüberklingen.«


    Die »Meistersinger«- Uraufführung am 21. Juni 1868 war für alle Beteiligte ein großer Erfolg, natürlich auch für das Evchen. Peter Cornelius hat seine Eindrücke für die Nachwelt festgehalten: »Fräulein Mallinger bringt auch zur Partie der Eva den ganzen Zauber ihres Wesens mit, sie ist ein aus dem Rahmen getretenes Bild von Holbein, in welchem die Seele einer Amati-Geige Gestalt angenommen hat.«


    Es wurde zwar mal angedacht die Mallinger auch als Isolde einzusetzen, aber da war man sich nicht ganz sicher ob die damals noch sehr junge Stimme das bewältigen kann und in den späteren Jahren, als Wagner sich brieflich mit dem Tenor Albert Niemann austauschte, waren es dann andere Gründe, die Wagner so formulierte:
    »Es war längst mein Wunsch, der Mallinger die Isolde so einstudiren zu können, wie ich ihr vor 5 Jahren die Elsa einstudirte. Leider musste ich jetzt in ihrem Betreff bedenklich werden, da sie durch den Unfug, welchen sie mit ihrer Begabung seitdem getrieben, mir nicht mehr als unbedingt zuverlässig gelten kann: doch dürfte ich vielleicht meinen Erfahrungen und besonderen Fähigkeiten es zutrauen, mich ihrer ganz wieder zu versichern und sie auf ihre einst so glücklich betretene Bahn wieder zurückzuleiten.«


    Es sollte nicht dazu kommen; das alles liegt ein bisschen im Dunkeln, weil handfeste Überlieferungen fehlen. Angeblich soll Mathilde Mallinger abgesagt haben, als sich Richard Wagner und Gattin Cosima um die Mitwirkung der nunmehrigen Starsängerin bei den ersten Bayreuther Festspielen bemühten; man hätte sie gerne als Sieglinde auf dem grünen Hügel gesehen.


    Ab 1. Oktober 1869 war sie an die Berliner Hofoper engagiert, wo bereits seit 1861 die um sechs Jahre ältere Pauline Lucca, eine ernstzunehmende Konkurrentin, auf den Brettern stand. Beide Sängerinnen hatten Star-Status, aber die Lucca war im Besitz eines Lebenszeitkontrakts an der Berliner Hofoper.
    Die Presse berichtete nicht nur von Mallingers künstlerischen Leistungen, auch das Privatleben der Sängerin bot Stoff für die Berichterstattung. So stand die Mallinger im Mittelpunkt einer Eifersuchtsaffäre, in deren Verlauf sie in ihrem Salon von Graf Arco-Valley mit einer Pistole bedroht wurde, die ihm jedoch von seinem Kontrahenten, dem Schauspieler Otto Düringsfeld - das ist Baron Otto Schimmelpfennig von der Oye, den die Sängerin im folgenden Jahr heiratete - unter Verabreichung einer Ohrfeige entwunden wurde. Mathilde Mallinger heiratete am 17. August 1869 in München. 1878 kam Tochter Marie zur Welt, die auch Sängerin wurde, aber nicht die Berühmtheit ihrer Mutter erreichte.
    Auch Mallingers Umzug von München nach Berlin war Gegenstand öffentlicher Betrachtungen, denn sie versteigerte kurzerhand ihre Münchner Wohnungseinrichtung, darunter auch das Piano, das - wie oben bereits erwähnt - ein Geschenk des Bayernkönigs war.


    In Berlin sang die Mallinger unter anderem 1871 in der Uraufführung der Oper »Frithjof« von Bernard Hopffer, 1874 in der der Oper »Cesario« von G. Wilhelm Taubert, auch die Eva in der Berliner Premiere der »Meistersinger« (1870), ebenso die Elsa in der »Lohengrin«-Premiere (1870), und am 20. April 1874 die Aida in der deutschen Erstaufführung der bekannten Verdi-Oper.


    Die beiden Sängerinnen sangen etwa im gleichen Repertoire, aber es gab dergestalt Unterscheidungen, dass die Lucca von Meyerbeer gefördert und an die Hofoper empfohlen worden war und sich vertraglich ausbedungen hatte, keine Wagner-Rollen singen zu müssen. Während nun die Lucca als Valentine in Meyerbeers »Les Huguenots« glänzte, punktete Mallinger mit ihren Wagner-Rollen.
    Sogar der Deutsch-Französische Krieg 1870/71 spielte noch in diese Querelen mit hinein, wenn sich die beiden Lager des Publikums bekriegten.
    Lucca war schon königliche Kammersängerin, nun zog Mallinger mit dieser gleich. Da ging es dann um Vertragsverhandlungen und Verträge hin und her und Konditionen, Pensionen und Privilegien - und natürlich auch um Taler; ein kleiner Einblick sei gewährt: Lucca erhielt eine Jahresgage von 8.000 Talern; Mallingers dreijähriger Gastspielvertrag ist mit 9.000 Talern dotiert und die Bezahlung eines jeden zusätzlichen Auftritts wird mit 250 Talern angegeben.


    Die Lage war schon angespannt als im März 1871 beide Sängerinnen in »Le nozze die Figaro« auf der Bühne standen. Bei einer weiteren Vorstellung am 27. Januar 1872 kam es dann zum Eklat, der in der Literatur in verschiedenen Nuancen dargeboten wird. Lassen wir uns diese Geschichte von einer berühmten Zeitzeugin vermitteln.
    Lilli Lehmann, die auch Mitglied des Berliner Ensembles der Hofoper war, schildert in ihrem Buch »Mein Weg«, dass Direktor Hülsen schon Böses ahnte, Lehmann schreibt:


    »Für den 27. Januar 1872 war eine Vorstellung vom ›Figaro‹ mit Frau Mallinger als Susanne und Frau Lucca als Page angesetzt. Am 26. abends wollte ich nach Danzig zum Gastspiel, doch ließ mich Hülsen bitten, meine Reise auf den 28. früh zu verschieben. Er bat mich, am 27. abends in der Figarovorstellung zugegen zu sein, da ich möglicherweise die eine oder andere Rolle im Laufe des Abends weitersingen müsse. Zwischen den Damen Mallinger und Lucca war es schon öfter zu unliebsamen Szenen gekommen ...
    Nun harrte ich am 27. Januar in der Künstlerloge der Dinge, die sich ereignen sollten. Die Vorstellung war an- und aufregend genug. Als Frau Lucca-Page auftrat, johlte, pfiff und zischte man von der Galerie herunter. Kaum wurde der Versuch gemacht, ein Wort zu
    sprechen, als der Lärm von neuem begann. Auch Eckerts Intention mit dem Orchester die Pagenarie zu beginnen, mißlang vollständig. Endlich machte Frau Lucca Zeichen, daß sie sprechen wolle, worauf sich Gezisch und Applaus legten und sie echt luccaisch folgendes sprach: ›Ich weiß nicht, was man von mir will, ich bin mir keiner Schuld bewußt und frage: ob ich singen soll, oder nicht?‹ Neuer Lärm, bis schließlich der Applaus und die Zurufe: ›Singen!‹ Gezisch und Gejohle niederkämpften, die Vorstellung ihren Fortgang nehmen konnte.
    Beide Damen hatten mich oben in der Loge sitzen sehen, sonst wäre unfehlbar die eine oder andere in Ohnmacht gefallen, die Vorstellung gestört gewesen. Die Sache war aber noch nicht zu Ende. Im II. Akt soll Susanne, wie üblich, am Schluß der kleinen Arie dem Pagen einen Kuß geben. Frau Mallinger, die stets - und nicht nur an diesem Abend - nach neuen Nuancen suchte, darin oft zu weit ging, gab Frau Lucca anstatt eines Kusses einen kleinen ›Backenstreich‹. Frau Lucca beklagte sich über die ›Ohrfeige‹ und der Skandal spielte weiter bis ans Ende der Oper. Eine Schande für die Kgl. Oper und für beide Damen. Wer im Recht war, ließ sich im Augenblick nicht entscheiden und nun - hab ichs vergessen.«


    Mathilde Mallinger schloss sich nach ihrem Vertragsende zunächst einer vom italienischen Operndirektor Eugenio Merelli zusammengestellten Theatergruppe für St. Petersburg und Moskau an, erhielt aber von der Berliner Hofoper ab 1873 einen Dreijahresvertrag; blieb jedoch dem Hause bis 1882 verbunden. Dass auch Frau Lucca mit Merellis Truppe nach Russland reiste, sei am Rande bemerkt, von Zwistigkeiten ist da nichts mehr bekannt geworden.
    Ein Zeitungsbericht aus dem Jahr 1874 zeigt, dass Frau Mallinger an der Berliner Hofoper wieder zur vollen Zufriedenheit der künstlerischen Beobachter wirkte; bei der Beurteilung von Leistungen ist man auf solche zeitgenössischen Berichte angewiesen, da keine Tondokumente vorliegen.


    Die in Berlin erscheinende Zeitschrift »Der Kunstfreund«. Popular-ästhetische Zeitschrift zur Verbreitung deutscher Kunst. - Februar 1874 - erwähnt in einem Bericht auch Fr. Mallinger in folgendem Kontext:
    »Aus dem Königlichen Opernhause haben wir zunächst einer bedeutsamen künstlerischen That zu gedenken, die so schwer wiegt, dass wir dem Institute um derselben willen für diesmal nicht allzuhoch anrechnen wollen, was es im Kleinen an Begehungs- und Unterlassungssünden auf sich geladen hat. Wir meinen die Neueinstudirung des Gluck´schen Werkes ›Iphigenia in Tauris‹.- Der nahezu mustergültigen Aufführung derselben gegenüber fand die oft gehörte Klage: unsere Sänger und Sängerinnen verständen nicht mehr zu singen, der böse Wagner mit seiner ›unendlichen Melodie‹, die doch alles andere eher sei als Melodie, habe die Stimmen und die Gesangsbildung vollständig ruinirt - diese ewige Klage fand keinen Raum. Waren es doch gerade ausgesprochene ›Wagnersänger‹ - Fr. Mallinger, Hr. Diener und Hr. Betz - welchen die Hauptrollen anvertraut waren, und welche dieselben so genial auszuführen wussten.«


    Eine andere Publikation von 1875 sieht das so:


    »Es ist schmerzlich, daß Frau Mallingers, der noch jungen Künstlerin, Organ schon jetzt Jugendfrische, Schmelz, Wohllaut, den Duft der Poesie des Klanges verloren hat es ist ein ›voix cassée‹, wie die Singmeister sagen. Die Stimme hat etwas Übermüdetes, etwas Rauhes. Einzelne Töne, wie vor allem das zweigestrichene f, klingen aus der Verwüstung noch in früherer Schönheit heraus. Über Auffassung und Vortrag im Gesange ist bei der Elevin Wagners natürlich nur das Beste zu sagen und wo einmal die Stimme momentan sich besser disponirt zeigte, wie in der Balconscene des zweiten Actes, war der Genuß ein vollkommener. Es ist gar nicht warm genug anzuerkennen, daß Frau Mallinger mit einer echt künstlerischen Weihe, man könnte sagen: mit künstlerischer Keuschheit singt; - da sind keine Drucker, keine Knalleffecte - es ist eine edle Kunstleistung vom ersten Ton bis zum letzten. Was nützt es aber, wo die erste, die Vorbedingung - ein gesunder Stimmklang - fehlt? Frau Mallinger ist ein warnendes Beispiel für alle jüngeren Sängerinnen, welchen die Elsa- und Isolden-Lorbeeren schlaflose Momente verursachen.«


    An der Wiener Hofoper gab Mathilde Mallinger im Sommer 1875 drei Gastspiele, nämlich in »Die lustigen Weiber von Windsor«´, »Lohengrin« und »Tannhäuser«.
    1875 unternahm sie eine große Gastspieltournee mit Auftritten an den Opernhäusern von Hamburg, Frankfurt a.M., Köln und München; sie gastierte weiter an den Hoftheatern von Weimar, Schwerin, Coburg, Mannheim und am Theater von Graz. In ihrem Bühnenrepertoire waren auch die Titelrolle in Glucks »Iphigenie auf Tauris«, die Susanna in »Figaros Hochzeit«, die Zerline im »Don Giovanni«, die Frau Fluth in den »Lustigen Weibern von Windsor« von Nicolai, die Martha von Flotow, die Titelrollen in »Euryanthe« von Weber und in »Genoveva« von R. Schumann, die Marguerite im »Faust« von Gounod, die Juliette in »Roméo et Juliette« vom gleichen Komponisten und die Valentine in den »Hugenotten« von Meyerbeer enthalten. 1882 beendete sie ihre Karriere an der Hofoper Berlin, trat aber 1883 nochmals am Stadttheater von Basel, 1884 am Opernhaus von Frankfurt am Main und an der Berliner Kroll-Oper auf.
     

    In den Jahren 1890-1895 war sie als Pädagogin in Prag, seit 1895 am Eichelberg'schen Konservatorium in Berlin tätig. Dieses Eichelberg'schen Konservatorium ist aus der Literatur fast verschwunden. Zumindest eine konkrete Aussage über das pädagogische Wirken von Mathilde Mallinger liegt vor; weiter oben wurde in einem anderen Zusammenhang Lilli Lehmann zitiert - hier nun eine Aussage der Gesangsschülerin Lotte Lehmann, die später zu großem Ruhm kam. Die lebenslang dankbare Lotte Lehmann schildert, wie das so war, als sie bei der großen Mallinger Gesangsunterricht bekam:


    »Ich studierte ungefähr ein Jahr bei Mathilde Mallinger - und dieses Jahr erst erschloß mir meine Stimme. Sie war für mich die richtige Lehrerin. Bald fing ich an, die erste Partie zu studieren. Es war die Agathe im ›Freischütz‹. Das war ein Vorwärtsstürmen bei der Mallinger. Jede Stunde schenkte mir neuen Besitz, und wenn die Meisterin auch oft in ihrer exaltierten Art, die keinen Mittelweg kannte, fluchend das Buch hinwarf und schrie: ›Lerne Strümpfe stopfen, dumme Gans, du bist total talentlos!‹, so wußte ich: das war nicht böse gemeint. Und die Tränen, die mir immer sehr lose saßen, taten nicht weh. Denn sie wurden durch ein ebenso übertriebenes Lob getrocknet.«


    Die Spur der einst so berühmten Kammersängerin Mathilde Mallinger verliert sich im Nirgendwo ... eine abgebrochene Säule, deren eingemeißelte Inschrift in den etwas mehr als hundert Jahren ihres Bestehens nur noch ansatzweise zu entziffern ist, und uns die Information des 175. Geburtstages vorenthält. Mathilde Mallinger war Wagners erstes Evchen, unweit der Säule hat man Beethovens erste Leonore begraben und ebenfalls in Sichtweise hat man das Grabkreuz des Sohnes von Franz Liszt gerettet; David hatte seine Schwester Cosima in Berlin besucht und starb hier, im Alter von nur zwanzig Jahren. Nun, Daniel Liszt war kein Musiker, aber man sollte es kurz erwähnen. Von vielen großen Musikern, die einst hier zur Ruhe kamen, findet man heute keine Spur mehr. ...


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    Kein Musiker, aber der Sohn eines bekannten Musikers


    Praktische Hinweise:
    Die Friedhöfe liegen in 10115 Berlin Mitte an der Liesenstraße


    Zur Orientierung noch einige Fotos vom Friedhofsgelände


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    < Die abgebrochene Säule findet man im linken Teil

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    Teile der Friedhofsmauern - innen und außen - Ästhetische Zeichen unserer Zeit ...


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  • Fromental Halévy - *27. Mai 1799 Paris - † 17. März 1862 Nizza


    Sein vollständiger Name war Jacques François Élie Fromental Halévy und seine Oper »La Juive« hat ihn unsterblich gemacht, wie man sagt, wenn jemand ein Werk schafft, das über Generationen hinweg Bestand hat. Obwohl Halévy, der 40 Opern schrieb, von seinem Zeitgenossen Richard Wagner und dem weit später geborenen Gustav Mahler sehr bewundert wurde, ist sein Name heute nicht mehr so geläufig wie die der Vorgenannten.

    Halévy konnte sein letztes Opernwerk »Noé« nicht mehr vollenden, das besorgte dann sein Schüler und Schwiegersohn Georges Bizet und Halévys letztes Werk gelangte erst zehn Jahre nach seinem Tod zur Uraufführung - am 5. April 1885 in Karlsruhe.


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    Zum heutigen Todestag von Fromental Halévy


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    Das Grab des Komponisten



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    Fromental Halévy hatte deutsche Wurzeln; sein Vater, der Kantor Élie Halfon Halévy, stammte aus Fürth in Bayern und war Sekretär der jüdischen Gemeinde in Paris, Schriftsteller und Hebräisch-Lehrer; die Mutter eine französische Jüdin. Aufgrund eines neuen Gesetzes musste die Familie ihren ursprünglichen Namen Levy in Halévy ändern.


    Natürlich war Fromental ein Wunderkind, sonst hätte er nicht schon als Neunjähriger - manche Quellen sagen, dass er schon zehn Jahre alt war - in das Pariser Konservatorium eintreten können. Dort war er dann seit 1814 als Korrepetitor tätig und gilt als Schützling von Luigi Cherubini, der dort seit 1795 Inspektor war.

    Wie viele heute noch berühmte Musiker, kämpfte auch Halévy um den wichtigen Rompeis (Prix de Rome), der mit einem großzügigen Studienaufenthalt in Rom verbunden war, seine Nachfolger als Preisträger waren zum Beispiel: Hector Berlioz, Ambroise Thomas, Charles Gounod ...

    Auf Anhieb klappte das bei Fromental Halévy mit der Preisgewinnung nicht, denn zweimal reichte es für ihn nur zum zweiten Platz; erst bei der dritten Teilnahme erreichte er 1819 mit seiner Kantate »Herminie« die Erstplatzierung. Der Tod seiner Mutter verhinderte zunächst Halévys Abreise nach Rom, aber dadurch ergab es sich, dass er einen ersten Kompositionsauftrag annehmen konnte, der ihm öffentliche Anerkennung brachte; der Anlass war traurig, denn das Werk für Tenor und dreistimmigen Chor mit Orchester war für einen Trauergottesdienst für den ermordeten Herzog von Berry bestellt worden.

    Dieser Mord hatte auch etwas mit Musik zu tun, denn der Herzog war am Abend des 13. Februar 1820 aus der Pariser Oper gekommen, um seine schwangere Frau zur Kutsche zu begleiten; als er wieder zu seiner Loge zurückkehren will, nähert sich ein Mann und ersticht ihn. Das war natürlich in Paris eine große Sensation; was die besondere Aufmerksamkeit, der musikalischen Ausgestaltung der Trauerfeier am 24. März 1820 erklärt.


    Halévys weitere berufliche Herausforderung war eine Anstellung als Chorleiter am Théâtre Italien in Paris. »L´Artisan« war Fromental Halévys erstes Opernwerk, eine komische Oper, die am 30. Januar 1827 in der Opéra-Comique zur Uraufführung kam. Die Oper spielt auf einer Werft bei Nizza. Die Operngeschichte spricht von einem mäßigen Erfolg; nach vierzehn Aufführungen verschwand das Werk vom Spielplan.

    Im Pariser Musik- und Kulturleben hatte Halévy in relativ kurzer Zeit alle Ehrungen, Titel und Positionen erreicht. 1827 wurde er Chorleiter an der Académie Royale de musique und im selben Jahr am Konservatorium Professor für Harmonielehre und Instrumentalbegleitung; im Jahr 1833 dann Professor für Kontrapunkt und Fuge. Der Aufstieg an der Akademie ging noch weiter, aber es ist notwendig, dass man hier den größten Erfolg im Leben des Fromental Halévy einfügt, die Aufführung seiner Oper »La Juive«, die ihn, wie schon oben erwähnt, unsterblich machte.


    Die Uraufführung des fünfaktigen Werks mit einer etwas mehr als vierstündigen Aufführungszeit, fand am 23. Februar 1835 an der Pariser Oper - Salle Le Peletier - statt, die Opéra Garnier wurde erst vierzig Jahre später eröffnet.

    Der Erfolgsschreiber Eugéne Scribe hatte das Libretto geliefert und zur Uraufführung waren die Spitzenkräfte der Pariser Oper angetreten, der Abend wurde ein grandioser Erfolg.

    Hatte es Halévys Erstlingswerk acht Jahre vorher auf 14 Aufführungen gebracht, zählte man allein an der Pariser Oper bis zum Jahr 1893 die stolze Zahl von 550 Aufführungen.

    Und der weitere Erfolg war international und wurde nur in der Zeit des Nationalsozialismus eingeschränkt. 1999 erschien »La Juive« auf dem Spielplan der Wiener Staatsoper und 2003 war diese Produktion an der Metropolitan Opera in New York zu sehen und etwas später war das Werk dann auch wieder in Paris angekommen, das war 2007, eine Neuinszenierung an der Opéra Bastille.

    Etwas Besonderes ließ man sich im Sommer 2018 in Konstanz - dem historischen Schauplatz des Stückes - einfallen, wo man das Werk an drei Spielstätten der historischen Innenstadt aufführte.


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    Die Ehrung des Komponisten am Palais Garnier


    »La Juive« ist eines der wichtigsten Werke des französischen Genres der Grand opéra und die Arie »Rachel, quand du Seigneur« aus dem IV. Akt war eines der Paradestücke von Enrico Caruso, und ist es heute noch für die großen Tenöre.


    Ein zweiter Wurf dieser Größenordnung ist Halévy nicht mehr gelungen, aber er wurde nun auch noch Professor für Komposition und 1836 in das Institut de France, eine wissenschaftliche Vereinigung in Frankreich, aufgenommen.


    Halévys große Oper fand auch die Anerkennung seiner Kollegen, die des Lobes voll waren, wie zum Beispiel Richard Wagner, der 1842 für die »Dresdner Abend-Zeitung« eine geradezu enthusiastische Rezension des Halévy-Werkes verfasste.

    Auch Gustav Mahler schätzte »La Juive« und meinte: »... ich bin ganz hingerissen von diesem wundervollen, großartigen Werke und zähle es zu dem Höchsten, was je geschaffen worden ist.«

    Natürlich tanzte der Nichtmusiker Heinrich Heine mal wieder aus der Reihe - er glaubte zu wissen, dass Halévy zwar ein Künstler sei, aber »nicht im Geringsten ein Genie«.


    Mit »L´éclair«, »La reine de Chypre« und »Charles VI.« seien noch drei weitere Opern von

    Halévy genannt, mit denen er jedoch seinen großen Erfolg von 1835 nicht wiederholen konnte.


    Der Maler Eugéne Delacroix vertraute seinem Tagebuch die Eindrücke an, die er am 5. Februar 1855 im Hause Halévy gewonnen hatte:


    »Ich ging in Halévys Haus, in dem der Ofen eine erstickende Hitze verbreitete. Seine bejammernswerte Frau hat sein Haus mit Schnickschnack und altem Mobiliar vollgestellt, und diese neue fixe Idee wird ihn noch in die Irrenanstalt bringen. Er hat sich verändert und schaut viel älter aus, wie ein Mann, der entgegen seinem Willen weitergeschleppt wird. Wie kann er in diesem Durcheinander überhaupt eine ernsthafte Arbeit verrichten? Seine neue Position an der Académie beansprucht gewiss einen Großteil seiner Zeit und macht es ihm immer schwerer, den inneren Frieden und die Ruhe zu finden, die er für sein Schaffen benötigt. Ich verließ diese Hölle so schnell wie möglich. Die Straßenluft war danach eine wahre Wohltat.«


    Die von Delacroix erwähnte Frau, Léonie Halévys, war eine ausgebildete Bildhauerin und soll Kunst gesammelt haben. Als Fromental Halévy starb, war Tochter Geneviéve Halévy 13 Jahre alt; zwei Jahre später starb auch die einzige Schwester. In der Literatur wird berichtet, dass Mutter und Tochter immer wieder depressive Phasen durchlitten.

    Geneviéve heiratete 1869 den Komponisten Georges Bizet, den sie auf einer Soirée kennengelernt hatte und der ein Lieblingsschüler ihres Vaters war.


    Praktische Hinweise:

    Montmartre-Friedhof, 20 Avenue Rachel, 75018 Paris

    Cimetière de Montmartre ist über die Metro-Station Blance mit der Linie 2 zu erreichen

    Am Eingang befindet sich eine Informationstafel mit dem Friedhofsplan. Das Grab befindet sich in der 3. Division. Man folgt vom Eingang aus der Avenue Principale bis zum Kreisel und wendet sich auf dem breiten Weg nach links.


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  • Heinz Bongartz - *31. Juli 1894 Krefeld - † 2. Mai 1978 Dresden


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    Zum heutigen Todestag von Heinz Bongartz


    Über Kindheit und Jugend von Heinz Bongartz ist kaum etwas bekannt, das Biografische Handbuch der SBZ / DDR beginnt die Darstellung seines Lebens so:


    »Nach der Volksschule besuchte B. 1911 bis 1912 ein Lehrerseminar. An den Konservatorien Krefeld und Köln studierte er 1908 bis 1914 Komposition«.


    Wie anderen Publikationen zu entnehmen ist, waren seine Lehrer Fritz Steinbach (Dirigieren), Otto Neitzel (Komposition) und Elly Ney (Klavier).
    Erste Schritte im Musikerberuf machte der 25-jährige Bongartz als Leiter der Musikschule Düren und Leiter des Städtischen Chores.
    Hinter der kurzen Formulierung: »war ab 1923 Operndirektor des Stadttheaters Mönchengladbach«, verbirgt sich, dass Heinz Bongartz hier auf eigene künstlerische und wirtschaftliche Verantwortung arbeitete und bereits nach einer Spielzeit aufgeben musste.
    In den Jahren 1924 bis 1926 wirkte Bongartz beim Berliner Blüthner-Orchester und wurde danach bis 1930 Leiter der Landeskapelle Meiningen, die vordem eine Hofkapelle war, der so namhafte Dirigenten wie Hans von Bülow, Richard Strauss, Fritz Steinbach und Max Reger vorstanden.
    Heinz Bongartz gastierte mit dem Meininger Orchester, das noch durch andere Thüringische Orchester ergänzt wurde, auch als Kurorchester in Bad Nauheim, wobei zu erwähnen ist, dass Bad Nauheim damals einen ausgezeichneten Ruf als Weltbad hatte - weit vorher hatte Richard Strauss hier einmal ein 110-Mann Orchester dirigiert.
    Bongartz holte damals große Namen wie Dr. Karl Böhm oder den Tenor Helge Roswaenge an den Kurort.
    Ab 1933 wirkte Bongartz als Erster Staatskapellmeister am Staatstheater Kassel und in den Jahren 1937-1944 war er Generalmusikdirektor in Saarbrücken, wo am 9. Oktober1938, in Anwesenheit der Staatsspitze, der Theaterneubau mit einer Aufführung von Richard Wagners Oper »Der fliegende Holländer« glanzvoll eingeweiht wurde. Der Glanz war von relativ kurzer Dauer, schon im Sommer 1942 wurde das Theater stark zerstört und 1944 gingen auch im Gautheater Saarpfalz die Lichter ganz aus.


    Von Saarbrücken aus sind es nach Ludwigshafen nur 130 Kilometer; dort leitete Heinz Bongartz nach dem Krieg ab 1946 kurz als Chefdirigent das Pfalzorchester; übernahm jedoch bald darauf eine Professur an der Musikhochschule Leipzig, wo er eine Dirigentenklasse leitete. Sein wohl prominentester und eifrigster Schüler war Kurt Masur, der von Bongartz nach Kräften gefördert wurde. Aber Masurs Einsatz bei den Proben war ihm nicht ganz geheuer, denn einmal sagte er: »Wenn de so weijtermachst, dann fällste mal nach´m Tristan dot um!«.
    Aber Bongartz leitete die Dirigentenklasse nur im Wintersemester 1946/47, danach übernahm er die musikalische Leitung der Dresdner Philharmonie, die er dann für 17 Jahre leitete; 1955 holte er schließlich Masur als zweiten Dirigenten nach Dresden. Die musikalische Situation in Dresden wird in der Masur-Biografie von Johannes Forner sehr anschaulich dargestellt - dort heißt es:


    »Dresden gelang es, sein Image als Musikstadt wiederzubeleben. Als Kurt Masur an die Dresdner Philharmonie kam, hatte sein musikalischer Ziehvater und Förderer Heinz Bongartz bereits acht Jahre unermüdliche Aufbauarbeit als Chefdirigent geleistet. Das Orchester war inzwischen zu einem leistungsstarken Klangkörper von hoher Spielkultur gereift. Die Konzerte boten ein breites Spektrum genau durchdachter Programme in drei Richtungen: die Philharmonischen Konzerte, die Zyklusreihen und die Außerordentlichen Konzerte. Von besonderem Reiz waren dabei die thematisch gebundenen Zyklen wie ›Bach-Bruckner‹ (1948/49), ›Musik der Völker‹ (1950/51), ›Deutsche Romantiker‹ (1952/53) oder ›Meisterwerke des 20. Jahrhunderts‹ (1953/54). Prominente Solisten und Dirigenten hatten längst wieder mit den Philharmonikern, deren Repertoire sich kontinuierlich erweiterte, musiziert, und die Dresdner strömten in die Konzertsäle. Bald mussten alle Konzerte zwei- bis dreimal gespielt werden.«


    Ab der Saison 1957/58 stand der Dresdner Philharmonie der große Kongress- und Konzertsaal im Hygienemuseum zur Verfügung, der eine Kapazität von 1050 Plätzen hatte.
    Unter Bongartz wurde die Dresdner Philharmonie zu einem gefragten Reiseorchester, welches das »Musikerland DDR« international repräsentierte und auch begehrte Devisen in die Staatskasse brachte.
    Eine Reise der Superlative führte das Orchester mit 96 Musikern - anlässlich des 10. Jahrestags der Gründung der Volksrepublik China - 1959 auf einer 40-Tage-Tournee in das ferne Land, wo 20 Konzerte gegeben werden.
    Der Höhepunkt der musikalischen Feierlichkeiten bildete die Gemeinschaftsaufführung von Beethovens Neunter Sinfonie im damals neuerbauten, 10. 000 Personen fassenden Pekinger Kongresssaal mit zusätzlichen Streichern der Zentralen Philharmonie Peking und ihrem Chor sowie chinesischen Solisten.
    Allein der Streicherkörper bestand aus 150 Musikern mit 32 Ersten Geigern und 14 Kontrabässen. Die ersten drei Sätze leitete Heinz Bongartz, das Finale der erst 36-jährige chinesische Dirigent Yen-Liang Kun.


    1964 verabschiedet sich Bongartz mit seiner letzten Pillnitzer Neunten im Schlosspark von der Dresdner Philharmonie und seinem Publikum; 1966 wird er zum Ehrenmitglied ernannt.


    In der Nähe seines Lebensendes, am 17. Februar 1977, äußerte er sich einmal zum Thema zeitgenössische Musik:
    »Ein besonderes Ereignis, da erinnere ich mich besonders gern daran, das waren die Erstaufführungen von der 6. und der 9. Sinfonie von Schostakowitsch. Wir waren die ersten, die ´49 das schon spielten. Die 9. war gerade erst herausgekommen. Also das sind natürlich Werke gewesen, die. meiner Ansicht nach, gekonnt waren. Und ich muss immer wieder sagen: Wenn ich das Publikum überzeugen will mit meiner Kunst und mit meinem Werk, was ich aufführe, dann muss ich auch überzeugt sein von dem Werk.«


    Praktischer Hinweis:
    Das Grab befindet sich auf dem Friedhof Loschwitz, Pillnitzer Landstraße 80,
    01326 Dresden.
    Von der Pillnitzer Landstraße aus gesehen, findet man die letzte Ruhestätte von Heinz Bongartz im rechten hinteren Friedhofsteil. Auf dem Friedhofsplan ist das Grab mit der Nummer 73 bezeichnet.


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    Eingang zum Friedhof Loschwitz an der Pillnitzer Straße 80

  • Anna Zerr - * 27. Juli 1817 Baden-Baden - † 14. Juni 1881 Winterbach


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    Zum heutigen Todestag von Anna Zerr


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    Anmerkung zu diesem Schildchen: Der Superlativ lässt außer Acht, dass es auch noch Jenny Lind (1820-1887) und Pauline Viardot (1821-1910) gab.


    Der Name Anna Zerr, so darf vermutet werden, ist den meisten Musikfreunden heute kein Begriff mehr, obwohl sie zu ihrer Zeit ein Weltstar war, eine Bezeichnung, die nicht zu hoch greift, denn immerhin sang sie 1851 anlässlich der Weltausstellung in London und unternahm Reisen nach New York, Los Angeles, Mexiko-Stadt, Rio de Janeiro und Havanna.

    Sängerinnen und Sänger dieser Zeit konnten keine Tondokumente hinterlassen, so dass man, bezüglich ihrer künstlerischen Präsenz, auf Presseberichte angewiesen ist, die ihre besonderen Leistungen dokumentieren und der Nachwelt überliefern.


    Wenn man in alter zeitgenössischer Literatur nachschaut, findet man immer wieder Bestätigungen der nationalen und internationalen Konzerttätigkeit von Anna Zerr. Unverständlich ist dagegen, dass Wikipedia (Stand heute) als Geburtsdatum den 26. Juli 1822 nennt und auf der gleichen Seite den Grabstein mit den Lebensdaten 1817-1881 abbildet. Vermutlich wurden die offensichtlich falschen Daten aus dem GROSSEN SÄNGERLEXIKON so abgeschrieben, wobei sich diese Verfasser wahrscheinlich beim »Universal-Lexikon der Tonkunst« - Ausgabe 1849 bedient haben. Auf diese Weise werden diese Daten dann in vielen Publikationen übernommen, aber durch die Vielfalt der Nennungen nicht richtiger ...
    Befasst man sich nämlich mit der Ahnentafel der Familie Zerr, (Die Daten stammen aus Ancestry), dann findet man hier:
    Maria Anna Zerr, geb. am 27. Juli 1817. Vater Joseph Zerr, Mutter Maria Anna Wunsch.
    Es lässt sich nun feststellen, dass dieser Eintrag mit der Grabinschrift in Einklang steht;
    und es wäre nicht das erste Mal in der Musikgeschichte, dass sich Interpreten verjüngen.


    Man kann annehmen, dass Anna Zerr schon recht früh mit Musik in Berührung kam, denn ihr Vater war Leiter der städtischen Kirchenmusik. Nach dem frühen Tod ihrer Mutter kam das Kind zu den Sepulchrinerinnen in die Klosterschule vom Heiligen Grab, zu dessen Aufgaben die Mädchenbildung gehörte.


    Der Vater förderte das musikalische Talent seiner Tochter, der sie in Gesang, Orgelspiel und Kontrapunkt unterrichtete. Es ist überliefert, dass Anna bereits im Alter von zwölf Jahren die Messen von Mozart und Pergolesi und andere Sopransoli »a prima vista« singen konnte.
    Das Mädchen muss wohl von Natur aus eine wohlklingende Stimme gehabt haben, an der auch die Großherzoginnen Stephanie und Sophie Gefallen fanden, was dazu führte, dass Anna Zerr zur Ausbildung nach Paris gehen konnte. In einem alten Nachschlagewerk ist das so nachzulesen:


    »Als indeß die Sängerin und Gesanglehrerin Elena Viganó die junge Anna zufällig singen hörte, fiel ihr die herrliche Stimme sofort auf, und sie erklärte sich bereit, ihr unentgeltlich Unterricht im Gesange zu ertheilen und sie für die Bühne vorzubereiten. Dieser Antrag wurde angenommen, und Anna reiste mit ihrer Lehrerin nach Paris. Dort erkrankte sie, und nach ihrer Genesung zeigte es sich, daß sie die Stimme verloren hatte. Aber schon nach drei Monaten erhielt sie dieselbe zurück, und nun klang sie noch schöner denn zuvor. Aus den Händen der Viganó kam Anna zu dem berühmten Musiklehrer Bordogni in Paris, dessen Unterricht sie zwei Jahre genoß, und nun wurde 1840 die achtzehnjährige vollständig geschulte Künstlerin als erste Sängerin an der Hofbühne in Karlsruhe engagirt«


    Der damals etwa fünfzigjährige Marco Bodorgni war auf der Opernbühne ein erfolgreicher Tenor am Teatro alla Scala und in den 1820er Jahren an der Italienischen Oper in Paris gewesen und hatte sich im Anschluss an seine Bühnenkarriere mit der Ausbildung von Stimmen befasst, was ihm in vielen Fällen ausgezeichnet gelang; Anna Zerr war hier in besten Händen.


    Im »Universal-Lexikon der Tonkunst« - Ausgabe 1849 - ist zu Zerr, Anna, folgendes zu lesen:


    »eine ausgezeichnete Bravoursängerin, welche sich bereits großen Ruf erworben und jetzt in Wien lebt, ist geboren zu Baden-Baden am 26. Juli 1822. Sie kam im Jahre 1836 nach Paris, um bei Bordogni ihre Studien zu machen; kehrte 1839 in ihr Vaterland zurück und ward, nachdem ihren überraschenden Leistungen allgemein Anerkennung geworden, als erste Sängerin neben der dortigen Frau Fischer-Schwarzböck, bei dem Großhl. Hoftheater in Karlsruhe angestellt. In diesem Wirkungskreise erwarb sie sich die Gunst des Publikums in so hohem Grade, daß ihr Abgang nach Wien, der im Jahre 1846 erfolgte, allgemein bedauert wurde. Wenn es die Zeitverhältnisse gestatten, wird sie ihren bereits erlangten Ruf noch bedeutend vergrößern, was zu schildern einer späteren Biographie überlassen bleiben muß.«


    In dieser Zeit - es war 1838 - brachte der Franzose Jean-Jacques Bénazet die Spielbank und das Kulturleben der Stadt Baden-Baden so richtig in Schwung. Der Mann kannte sich in Paris bestens aus und subventionierte in der französischen Metropole die ersten Konzerte der aufstrebenden Künstlerin. Mit dieser Erfahrung kam die vermeintlich erst 18-Jährige wieder nach Baden, wo sie mit einer Gage von 2000 Gulden am Karlsruher Hoftheater engagiert war. Ihr Debüt war die Amina in die »Nachtwandlerin« (La sonnambula), darauf folgten die Königin der Nacht in der »Zauberflöte«, Bellinis »Norma«, Susanne in »Figaros Hochzeit« (Le nozze di Figaro), »Lucia de Lammermoor« ...


    Dass Anna Zerr nach fast sieben Jahren des Erfolgs Karlsruhe ziemlich plötzlich noch vor Ablauf ihres Vertrages Karlsruhe verließ hatte private Gründe. Erbprinz Ludwig von Baden, der älteste Sohn des Großherzogs Leopold, war in die junge Sängerin verliebt und diese Liebe wurde erwidert, in der Literatur wird von einer »schwärmerischen Liaison» gesprochen.
    Der Erbprinz litt an Depression, was zur Folge hatte, dass sich Anna Zerr weigerte zu singen, wenn Ludwig krankheitsbedingt nicht in der Hofloge erscheinen konnte; 1845 brachte man den jungen Mann auf ein Gut in der Nähe einer Heil- und Pflegeanstalt.


    Durch die Vermittlung des bekannten Tenors Franz Wild kam Anna Zerr ans Theater am Kärntnertor in Wien, wo sie in der tragenden Rolle der Lucia in Bellinis »Lucia die Lammermoor« ihren Einstand gab. Im Jahr darauf war ihr am 25. November 1847 die Titelrolle bei der Uraufführung der Oper »Martha« anvertraut und Heinrich Proch komponierte für sie Koloraturvariationen.
    Da keine Tonträger zur Verfügung stehen, muss man sich an der Literatur orientieren, wo geschrieben steht, dass Anna Zerr 40 Rollen beherrschte und ihr Stimmumfang mit drei Oktaven angegeben wird.


    Wie bereits oben erwähnt, gastierte Frl. Zerr 1851 in London. Hier wurde sie von der Herzogin von Kent gebeten zugunsten ungarischer Flüchtlinge zu singen. Obwohl der Auftritt nicht zustande kam, weil die Sängerin in letzter Minute wegen Krankheit absagen musste, wurde ihr auf Befehl Kaiser Ferdinands I. der Titel »Hofsängerin« aberkannt und sie bekam in Wien bis zum Ende ihres Vertrags Auftrittsverbot. Der kaiserliche Oberst-Kämmerer teilte ihr mit:


    »Der Anna Zerr ist das Dekret als Kammersängerin, welchen Titels sie verlustig ist, abzunehmen. Der bestehende Kontrakt, demzufolge sie beim k.k. Operntheater bis April 1852 engagiert ist, bleibt der ihr zugesicherten Genüsse in Wirksamkeit, doch darf sie unter keinem Vorwande auf diesem Hoftheater weder in einer Oper, noch in einem Konzerte auftreten. Daß sie in dieser Zeit auf keiner anderen Bühne singe, liegt in der Macht der Administration des Operntheaters, die ihr dazu von Fall zu Fall die Erlaubniß erteilen müßte, welches ihr natürlich in keinem denkbaren Fall gegeben wird.«


    Ihr Ruf war damals aber schon so gefestigt, dass ihr dieses Verdikt wenig anhaben konnte; teilweise unternahm sie mit eigenem Orchester ausgedehnte Tourneen. Musikzeitschriften berichteten von der Rückkehr der Anna Zerr aus Amerika, die sich dort fast ein Jahr aufgehalten hatte und immer wieder findet man den Hinweis, dass sie reich zurückkehrte.
    Wieder in Europa angekommen, begab sie sich zunächst für zwei Monate ins mondäne englische Seebad Southend, um dann erst wieder in ihre Heimatstadt zurückzukommen.
    In der folgenden Zeit war sie finanziell unabhängig und konnte sich ihre Auftritte aussuchen.


    Beim Studium alter Musikgazetten wird man gewahr, dass da neben Anna Zerr noch zwei bühnentauglich singende Schwestern waren, die im Sängerlexikon nicht zu finden sind; zwei Beispiele seien eingefügt:


    Allgemeine Theater-Chronk. Organ für das Gesammtinteresse der deutschen Bühnen und ihrer Mitglieder (Leipzig, Ausgabe 1. Januar 1853):


    Unter Freiburg im Breisgau:
    »Daß das Gastspiel der Frl. Anna Zerr als Ereigniß in den Freiburger Theaterannalen betrachtet werden kann, versteht sich von selbst, indem Frl. A. Zerr alle möglichen Auszeichnungen von Seite des hiesigen Publikums erwiesen werden. Von allen Orten eilen Fremde herbei, so daß bei ihrem jedesmaligen Auftreten das Haus größdentheils mit Fremden gefüllt ist, dies, wie es scheint, Blumen und Kränze aus der Heimath mitbringen, um sie hier der hochgefeierten Künstlerin zu spenden. In der ›Zauberflöte‹ betrat die Schwester der Frl. Anna Zerr, Frl. Minna Zerr zum ersten Male die Bühne als Pamina und hat durch ihre wunderschöne Stimme und ihr bescheidenes anmuthiges Wesen das ganze Publikum für sich eingenommen. Frl. Minna Zerr hat eine bedeutende Zukunft vor sich und wird durch fortgesetzten Fleiß gewiß bald das gewünschte Ziel erreichen.«


    Ähnlich lautende Beiträge finden sich in anderen Publikationen:


    Neue Zeitschrift für Musik 1856 (Band 44.) in der Rubrik Tagesgeschichte:


    »Anna Zerr hat bei ihrem Gastspiel in Basel (in welchem sie als Lucia, Martha, Nachtwandlerin, Donna Anna, Königin der Nacht und Isabella unter frenetischem Beifall auftrat) ihre jüngste Schwester Pauline, ein junges Mädchen von 18 Jahren, auf der Bühne eingeführt. Sie sang die ›Zerline‹ und ›Pamina‹, und zeigte dabei ungewöhnliche Sicherheit, viel Talent und gute Stimmmittel. Auch die ältere Schwester der Anna Zerr, Minna Zerr, welche im vorigen Jahr in Freiburg im Breisgau ihren ersten theatralischen Versuch machte, hat es dabei wohlweislich bewenden lassen und vorgezogen in den Stand der Ehe zu treten.«


    Auch Anna Zerr trat am 21. Juli 1857 in der Stiftskirche zu Baden-Baden - wo damals noch zwei Silbermann-Orgeln erklangen - in den Stand der Ehe; Alfred Rosenberg, ein k. u. k Hauptmann, der im nahen Rastatt stationiert war, wurde nun ihr Ehegatte; aber diese Verbindung hatte nicht lange Bestand, dann kam es zur Scheidung. Anna Zerr soll danach nur noch ab und an Kirchenkonzerte gegeben haben. 1874 kaufte sie sich ein Landgut in Winterbach bei Oberkirch im Renchtal und lebte dort bis zu ihrem Tod am 14. Juni 1881. Am 16. Juni wurde das Grab erworben, die Beisetzung fand am 17. Juni 1881 statt.
    Mit der letzten Ruhe ist das so eine Sache, die ist nicht immer gewährleistet. Bei Arbeiten auf dem Friedhof beschädigte ein Lastwagen das Grab schwer; wobei man feststellte, dass das eigentlich gar nicht der rechte Standort des Grabes sein konnte. Diese Ungereimtheiten ergaben sich, weil das Friedhofsgelände mehrfach erweitert wurde.
    Heute ist man der Ansicht, dass der jetzt gewählte Platz eher der ursprünglichen Grablage entspricht.


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    Seitlicher Friedhofseingang an der Mauer


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    Praktische Hinweise:
    76530 Baden-Baden, Friedhofstraße 46. Der Grab-Standort ist auf dem Friedhofsplan am Haupteingang kenntlich gemacht. Im Feld 5 ist das Grab von Anna Zerr mit der Nr. 37 bezeichnet. Am besten ist das Grab vom nördlichen Eingang an der Friedhofstraße zu erreichen - man geht hier durch das Tor und findet gleich rechts das Grab.

  • Ruggero Leoncavallo - * 23. April 1857 - † 9. August 1919 Montecatini


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    Zum heutigen Todestag von Ruggero Leoncavallo


    Der Komponist Ruggero (eigentlich Ruggiero) Leoncavallo, Schöpfer der Oper »La Bohéme«, hat hier relativ spät seine letzte Ruhe in Sichtweite des Lago Maggiore und im Schatten der alten Kirche Madonna di Ponte gefunden.
    Musikfreunde mögen nun argwöhnen, dass hier mit wenig Sachverstand geschrieben wird, aber mit diesem Einstieg sollte darauf aufmerksam gemacht werden, dass Leoncavallo eben nicht nur die heute noch aktuelle Oper »Pagliacci« (Der Bajazzo) komponiert hat; insgesamt sind ihm 19 Bühnenwerke gelungen.
    Der etwas geringfügig jüngere Puccini, Ende 1858 geboren, stand durchaus in Konkurrenz zu Leoncavallo und gerade am Beispiel »La Bohéme« lässt sich das gut beleuchten. Leoncavallo war literarisch sehr begabt und schrieb - wie der von ihm bewunderte Richard Wagner - seine Libretti selbst; auch er strebte nach dem organischen Gesamtkunstwerk, und von ihm ist der Ausspruch überliefert: »L'uniti di concetto che ne risalta e, a mio avviso, uno dei piu grandi vantaggi per chi si propone di creare un'opera d'arte veramente organica.«
     
    Da »La Bohéme« auf dem Roman »Scénes de la vie de bohéme« von Henri Murger basiert, der zunächst von 1845 bis 1849 als Fortsetzungsroman in einer Pariser Zeitschrift erschien und erst 1851 als Buch herauskam, war der Stoff beiden Komponisten bekannt. Während Puccini sein Werk bereits im Februar 1896 auf die Bühne bringen konnte, schaffte das Leoncavallo erst zum 6. Mai 1897. Puccinis Librettisten, Luigi Illica und Giuseppe Giacosa, hatten die Romanhandlung stark gestrafft, aber der studierte Literat Leoncavallo hielt sich weit mehr an die literarische Vorlage, wodurch seine Oper auch länger wurde als die seines Kollegen Puccini.
    Dass Puccinis »La Bohéme« ein Welterfolg wurde und zum Standard-Repertoire der Opernwelt gehört ist allgemein bekannt. Arien aus Leoncavallos »La Bohéme« haben diesen Bekanntheitsgrad nicht, werden aber immer mal wieder in italienischen Konzertsälen zu Gehör gebracht.


    Ruggero Leoncavallo wurde in einem wohlhabenden Elternhaus zu Neapel geboren; sein Vater war Richter und Magistrat, die künstlerische Ader soll er von seiner Mutter geerbt haben, sie war Malerin; in seiner Heimatstadt besucht er Gymnasium und Konservatorium; zum Abschluss seines Musikstudiums komponierte er 1876 sein erstes Opernwerk, »Chatterton«, das jedoch nicht aufgeführt werden konnte, weil sich der Veranstalter mit dem Geld davon machte; eine zweite Fassung der Oper konnte erst zwanzig Jahre später in Rom aufgeführt werden, aber es war kein großer Erfolg, dennoch gibt es davon eine 1907/8 entstandene Schallplatte und 2005 erschien das weithin unbekannte Werk sogar auf CD.


    1876 übersiedelt Leoncavallo zum Literaturstudium nach Bologna, wo er ab 1877 beim großen Giosue Carducci Literaturgeschichte studierte und mit der jungen italienischen Dichtergeneration zusammentraf. Aber in Bologna traf er auch auf Wagnersche Musik; hier wurde zum Beispiel 1871 - also schon vor Leoncavallos Anwesenheit in Bologna - erstmals »Lohengrin« auf italienischem Boden aufgeführt und in den folgenden Jahren waren dann auch andere Werke Wagners hier zu hören.
    Trotz dieses interessanten musikalischen Umfeldes, verlässt Leoncavallo den europäischen Kontinent in Richtung Ägypten; was es damit auf sich hatte schildert Leoncavallo später in einem 1902 erschienenen Zeitungsartikel:
    »Ich wurde nicht zum Militärdienst verpflichtet, da mein Bruder zum Zeitpunkt der Einberufung bereits in der Armee war. So begann ich meine Wanderung als Konzertpianist in Ägypten, wo ich zu jener Zeit einen Onkel hatte, Leoncavallo Bey, der Leiter der Pressestelle des Auswärtigen Amtes war. Dort spielte ich am Hof, und Mahmoud Hamdy, der Bruder von Viceroy Tewfik, stellte mich als seinen privaten Musiker an.«


    Im Jahr 1882 gab es in Alexandria und Kairo antieuropäische Aufstände, weshalb er das Land fluchtartig verließ und sich nach Paris durchschlug, das in dieser Zeit musikalisch als der Mittelpunkt der Welt galt; wer etwas erreichen wollte, musste nach Paris gehen.
    Aber Leoncavallo eroberte nicht die Pariser Opernhäuser, sondern macht sich in kleinerem Rahmen einen Namen als idealer Begleiter bei vorstädtischen Café-Konzerten. In diesem Milieu lernte er auch die Sängerin Berthe Rambaud kennen, seine spätere Frau.
    Unter den vielen Musikern, die Leoncavallo in Paris kennenlernte, waren nicht nur Charles Gounod und Jules Massenet, sondern auch der Bariton Victor Maurel, ein bekannter Wagner-Interpret, der ihn mit dem renommierten Mailänder Verlagshaus Ricordi in Verbindung brachte, denn Leoncavallo hatte die Idee entwickelt eine Renaissance-Trilogie namens »Crepusculum« zu komponieren, das sollte vermutlich ein italienisches Gegenstück zu Wagners »Ring-Zyklus« werden. Das Libretto zum ersten Stück - »Medici« hatte der versierte Schreiber bereits verfasst, was Maurel offenbar beeindruckte. Innerhalb eines Jahres stellte der Komponist »Medici« fertig, aber der Verlag zögerte die Publikation des Werkes hinaus, weshalb Leoncavallo nach dreijähriger Wartezeit sein nächstes Werk dem Mailänder Konkurrenzverlag Sonzogno anbot - es war »Pagliacci«.
    Leoncavallo hatte sehr wohl den Siegeszug von Pietro Mascagnis Kurzoper »Cavalleria rusticana« beobachtet, die im Mai 1890 in Rom geradezu triumphal, erstmals aufgeführt wurde; die Aufführungsdauer des Einakters - etwa 70 Minuten - soll der Länge des Schlussapplauses entsprochen haben.
    Am 21. Mai 1892 wurde am Mailänder Teatro Dal Verme »Pagliacci« von Ruggero Leoncavallo an die Öffentlichkeit gebracht, Arturo Toscanini war der Dirigent und der schon erwähnte Victor Maurel sang den Tonio.
    Leoncavallos Werk hat zwei Akte, stellt einen Prolog voran und hat eine Aufführungsdauer von etwa 1¼ Stunden.
    In der Regel werden die beiden Stücke des Verismo zusammen aufgeführt.


    Während Leoncavallo gerne kundtat, dass es sich bei der Geschichte um einen Kriminalfall handelt, den sein Vater einmal zu verhandeln hatte, weist die Musikwissenschaft darauf hin, dass der von Vincenzo Leoncavallo verhandelte Fall kaum Ähnlichkeit mit der Opernhandlung hat. Dagegen wurde eine Ähnlichkeit mit dem Stück »La femme de Tabarin« festgestellt und dessen Autor, Catulle Méndes, warf Leoncavallo 1894 Plagiat vor; aber da setzte der Komponist noch einen drauf und behauptete, dass er selbst Zeuge des Mordes gewesen sei und garnierte die Geschichte noch mit einigen Details. Irgendwie verlief der Streit dann im Sande.


    Mit dem Erfolg von »Pagliacci« im Rücken war Leoncavallo nun ein gefragter Mann, denn der Erfolg war weltumspannend und das Werk wurde in alle möglichen Sprachen übersetzt, der deutsche Titel »Der Bajazzo« stammt von Ludwig Hartmann.
    Allerdings sollte man den Begriff Erfolg hier aufschlüsseln, denn die professionelle Kritik hinkte der Publikumsbegeisterung gewaltig hinterher und lehnte das Werk lange Zeit eher ab.
    Erst als der französische Dirigent René Leibowitz sich fachlich anerkennend für die Oper einsetzte, bewegten sich die Kritikermeinungen in die positive Richtung.


    Auch seine Majestät, Kaiser Wilhelm II., war von Leoncavallos Opernschaffen beeindruckt; 1894 hatte er in Berlin einer Aufführung von »Medici« beigewohnt, wobei er sich vorstellen konnte, auch die Geschichte des Herrscherhauses Hohenzollern in ähnlicher Weise als Bühnenwerk zu präsentieren. Im November 1900 erlebte Leoncavallos Oper »Zazá«, eine Oper in vier Akten, in Mailand ihre Uraufführung und war auch in Berlin aufgeführt worden; Leoncavallo hatte sich als Komponist einen Namen gemacht und galt in diesen Jahren als erste Adresse.
    »Auf Allerhöchsten Befehl« wurde »Der Roland von Berlin« am 13. Dezember 1904 an der Königlichen Oper erstmals aufgeführt; der Komponist zeichnete auch für das Libretto verantwortlich, das er nach der literarischen Vorlage von Willibald Alexis schrieb; der in Theaterdingen sehr erfahrene Georg Dröscher besorgte die Übersetzung ins Deutsche.


    Obwohl das breite Opernschaffen Leoncavallos in den Folgejahren kaum einen Niederschlag in den Spielplänen fand, wäre heute eine Renaissance durchaus denkbar, denn so manches lässt aufhorchen, wenn man sich damit befasst.
    Das Lied »Mattinata«, das Leoncavallo für den großen Caruso komponiert hat, spielte er am 8. April 1904 für die Gramophone & Typewriter Ltd. ein. Dieses Lied gehört seither zum Standardrepertoire aller großen Tenöre. Am 8. Dezember 1905 weilte Leoncavallo als Pianist bei Welte-Mignon, um sechs eigene Stücke für das Reproduktionsklavier Welte-Mignon für die Ewigkeit festzuhalten, eine Technik, die damals als Weltwunder galt; diese Aufnahmen stehen heute als CD zur Verfügung. Leoncavallo, der oberflächlicherweise fast nur mit »Pagliacci« in Verbindung gebracht wird, hat viel Hörenswertes hervorgebracht, das auch in unseren Tagen noch auf zeitgemäßen Tonträgern zur Verfügung steht, seine Sinfonische Dichtung »La Nuit de mai«, zum Beispiel, das Werk stammt aus dem Jahr 1886.


    Leoncavallo war als Literat und Musiker eine Doppelbegabung. Seine literarische Kompetenz war so groß, dass er auch am Textbuch zu Puccinis Oper »Manon Lescaut« in den 1890er Jahren beteiligt war, an dem sage und schreibe - neben Puccini selbst - noch sieben andere Schreiber beteiligt waren. Etwas später - 1898 - schrieb er dann auch den Text für Augusto Machos Oper »Mario Wetter«.


    Leoncavallo hatte keinerlei Berührungsängste mit den neuen Medien seiner Zeit; die Schallplatte und auch sein Freund Enrico Caruso sorgten für eine weltweite Verbreitung von »Pagliacci« und »Mattinata«. Carusos »Vesti la giubba« war ein Millionenbestseller und man präsentierte 1907 die erste Gesamtaufnahme einer Oper. Auch seine ausgedehnten Tourneen durch die USA, die er 1906 und 1913 unternahm steigerten seine Popularität.
    Seinen anderen Opern war jedoch kein anhaltender Erfolg beschieden, da war Kollege Puccini weit erfolgreicher. Als sich Leoncavallo zum Ende seines Lebens der Operette zuwendet, begibt er sich sogar auf eine ausgedehnte Konzertreise nach Kanada und Amerika, um seine Operette »La Jeunesse de Figaro« bekannt zu machen, was ihm auch viel Beifall einbringt, aber bei vielen Kritikern auch auf wenig Gegenliebe stieß.
    Mit zunehmendem Alter stellten sich Gesundheitsprobleme ein; die Zeit des Ersten Weltkrieges verbrachte Leoncavallo in der Toscana, wo er die patriotische Oper »Goffredo Mameli« komponierte, ein von Pathos, Patriotismus und kämpferischem Geist geprägtes Werk, das am 27. April 1916 am Teatro Carlo Felice in Genua uraufgeführt wurde; in dieser Zeit entstanden auch einige Operetten.
    Es war eine schwere Zeit geworden; der inzwischen an Luxus Gewöhnte - in seiner Residenz hatte er stets prominente Leute zu Gast und auch den Bau eines Luxushotels am Seeufer hatte Leoncavallo mit angeschoben - hatte sich auch aus finanziellen Gründen mit den leichteren musikalischen Dingen befasst. Nun war Krieg und erhebliche gesundheitliche Probleme kamen hinzu. Schweren Herzens beschloss der Komponist 1916 sich von seiner Brissagheser Villa zu trennen, um in den toskanischen Kurort Montecatini Terme umzuziehen.


    Wenn man sich auf die Aussagefähigkeit von Dokumenten stützt, war Leoncavallo schon 1893 auf Brissago aufmerksam geworden, als er zu einem Kuraufenthalt in Cannero Riviera weilte. In der Folgezeit logierte er immer mal wieder in dem Ort und bewohnte ab 1896 ein Haus am See. Gegen 1902 reifte der Gedanke sich in dem Ort ein eigenes Refugium zu schaffen.1903 ließ er sich hier über dem See die Villa Myriam erbauen, eine imposante Residenz, in dessen Architektur sich viele Stilarten begegneten. Die Villa war von einem schönen Park umgeben, der sich zum Lago Maggiore hin öffnete und mit Statuen bestückt war, die unter anderen auch Figuren aus dem Opernschaffen des Meisters darstellten; die Figuren der Zaza und des Roland von Berlin sind noch heute beim Museum zu sehen.

    Das Gebäude selbst wurde in den 1970er Jahren über einen längeren Zeitraum zum Kauf angeboten, konnte jedoch keinen Käufer finden und auch die Gemeinde war damals nicht imstande das Gebäude für 700.000 CHF zu erwerben, so dass die Villa am 13. März 1978 zugunsten eines Mehrfamilienhauses abgerissen wurde.


    Am 16. Dezember 1904 hätte man sich diese Entwicklung wohl nicht vorstellen können, denn damals wurde Ruggero Leoncavallo Ehrenbürger von Brissago. Im Kanton Tessin hatte Leoncavallo fast zwei Jahrzehnte seines Lebens verbracht; in seiner überlieferten Dankesrede zur Ehrenbürgerschaft findet sich der Passus: »Ich liebe dieses Dorf, das Zeuge ist meiner Träume und meiner Kämpfe, und ich bewundere dieses freie und republikanische Volk. Ich kann nicht sagen, dass ich es liebe wie eine Schwester oder wie das Blut, das in den Venen strömt, wie das Herz, das in meiner Brust schlägt, aber ich werde es lieben, bis ich zum ewigen Schlaf in Eurem bescheidenen Friedhof gerufen werde.«


    Am 9. August 1919 starb Ruggero Leoncavallo in Montecatini Terme und wurde zwei Tage später auf dem monumentalen Friedhof Cimitero delle Porte Sante in Florenz, im Grab seiner Schwiegermutter beigesetzt. Es ist überliefert, dass Hunderte an der Beerdigung teilgenommen haben, darunter auch Pietro Mascagni und Giacomo Puccini.
    Aber die letzte Ruhe war das noch nicht.
    Der Schweizer Komponist, Dirigent und Musikwissenschaftler Graziano Mandozzi wies immer wieder auf die musikalische Bedeutung Leoncavallos hin und setzte sich für Aufarbeitung und Neubewertung des Komponisten ein. 1987 erinnerte man sich in Brissago wieder an den einstigen prominenten Mitbürger und einzigen Ehrenbürger und benannte die Hauptstraße um, die zur Via Ruggero Leoncavallo wurde. Und man erinnerte sich auch an die Dankesrede des Geehrten, die auch den Wunsch ausdrückte in Brissagheser Erde begraben zu sein. Nachdem die in Locarno wohnhafte Nichte, Piera Leoncavallo-Grand, zugestimmt hatte, konnte die Umbettung von statten gehen - wie man nachlesen kann, geschah das auch 1989 auf recht abenteuerliche und diplomatisch heikle Weise, was immer das auch bedeuten mag.


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    In dem kleinen Portikus befindet sich das Grab des Komponisten Ruggero Leoncavallo


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    Die Grabplatte ist vorne bei der Kette sichtbar


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    Kirche Madonna di Ponte zu Brissago


    An passendem Ort, nämlich der Kirche Madonna di Ponte zu Brissago, fand im Juni 2009 die Uraufführung von Leoncavallos »Requiem« statt, also neunzig Jahre nach dem Tod des Komponisten. Davon gibt es zwar eine CD, trotzdem ist das Stück auch unter Musikfreunden weitgehend unbekannt. Als der italienische König Umberto I. im Juli 1900 in Monza durch ein Attentat zu Tode kam, erhielt Leoncavallo vom italienischen Ministerium für öffentliche Angelegenheiten den Auftrag für ein Requiem und entwarf eine komplette Skizze, plante alle Sequenzen, machte Ausführungen über die erforderliche Besetzung und komponierte einige Sätze vollständig. Bis heute ist kein Grund bekannt, warum das Werk nicht fertiggestellt wurde. Der ungarische Pianist und Organist József Ács hat das Werk in akribischer Arbeit rekonstruiert und versichert, dass jede Note von Ruggero Leoncavallo stammt.


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    Kirche und Grab sind von der durch den Ort führenden Straße aus gut erreichbar

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  • Lieber "hart",


    wie so oft habe ich von deinen Ausführungen stark profitiert. Ich freue mich, dass du dem Komponisten Leoncavallo, von dem ich viel mehr als nur seinen "Bajazzo" bewundere, mit diesem und dem parallel in "Der Musiker Ehrenplätze" geposteten Artikel ein Denkmal in unserem Forum gesetzt hast.

    In einem Konzert von 1980 singt Carreras übrigens eine Arie aus "Chatterton". Das muss damals wohl eine gewaltige Rarität gewesen sein.

    Domingo war 1971 allerdings wieder einmal schneller gewesen:

    Chatterton: Act II: Non saria meglio; Tu sola a me - YouTube

  • Leoncavallo, der oberflächlicherweise fast nur mit »Pagliacci« in Verbindung gebracht wird, hat viel Hörenswertes hervorgebracht, das auch in unseren Tagen noch auf zeitgemäßen Tonträgern zur Verfügung steht ...

    Schön, dass Du das »Non saria meglio; Tu sola a me« hier als akustischen Beweis meiner Aussage eingestellt hast - danke!

  • Zum heutigen Geburtstag des Komponisten Heinrich Marschner

    Heinrich Marschner - * 16. August 1795 Zittau - † 14. Dezember 1861 Hannover


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    Heinrich Marschner wurde im Sächsischen Zittau geboren und schon früh von seinem Vater, der aus Böhmen eingewandert war und das Handwerk eines Horndrechslers ausübte, in die Musik eingeführt und begann noch im Kindesalter zu komponieren. Vater Franz Otto Marschner soll sich auch als Flötist und Harfinist sowie als Dirigent - bei der Kapelle der Bürgerschützen - einen Namen gemacht haben; so ist zu erklären, dass er seinen Sohn musikalisch unterrichten konnte, auch die Mutter soll musikalisch gewesen sein. Noch während Heinrichs Kindheit verabschiedete sich der Vater wegen ehelicher Zwistigkeiten und die Überlieferung sagt, dass der Vater der Schuldige gewesen sei. Die Mutter musste sich nun alleine um den Sohn kümmern und blieb in dem kleinen giebelständigen Häuschen zurück, das heute die Adresse Franz-Könitzer-Straße 49 hat und mit einer Gedenktafel darauf hinweist, dass Heinrich Marschner hier geboren wurde.


    Musik scheint in der Familie Marschner eine Selbstverständlichkeit gewesen zu sein, eigentlich fast logisch, denn, wie bereits erwähnt, war der Vater aus Böhmen eingewandert. Dass der Knabe einmal beruflich Musik machen sollte, war nicht angedacht, die Eltern hatten vielmehr die Vorstellung, dass ihr Sohn Rechtsgelehrter werden sollte, weshalb der Junge ab November 1804 das Gymnasium besuchte. Da fügte es sich gut, dass an dieser Anstalt reges musikalisches Leben herrschte, was dem jungen Marschner natürlich hochwillkommen war. Marschner sang prima vista und hatte es auch außerhalb des Gymnasiums zu einem gewissen Bekanntheitsgrad gebracht. Das Musikalische war an diesem Gymnasium so ausgeprägt, dass der Rektor vor dieser Einseitigkeit warnte »über die Kunst die Schulstudien nicht zu vernachlässigen«.
    1807 kam Marschner auf das Gymnasium nach Bautzen, etwa 50 Kilometer von seiner Heimatstadt entfernt. Dort wirkte ein tüchtiger Komponist und Organist - August Bergt - der Heinrichs Eltern animierte nach Bautzen zu kommen, der Junge war begehrt, weil er eine wunderschöne Sopranstimme besaß und ein vortreffliches Gehör hatte. Die Eltern hatten sich erhofft, dass der renommierte Bergt die theoretischen Musikstudien leiten werde, aber diese Hoffnung erfüllte sich nicht.


    In der niederrheinischen Musikzeitung ist Marschners Entwicklung beschrieben und 1857 in der Zeitschrift »Neue Wiener Musik-Zeitung« veröffentlicht:


    »Diese Hoffnung erfüllte sich zwar nicht, allein Marschner legte doch dort den Grund zu seiner wissenschaftlichen Bildung, kehrte, nachdem er die Tertia durchgemacht, wieder nach Zittau zurück, besuchte fleißig die Schule und komponirte frisch drauf los, weil er mußte, weil der angeborene Drang zum musikalischen Schaffen mächtiger in ihm war, als das Bewußtsein mangelhafter Vorkenntnisse. So schrieb er schon damals eine Menge Lieder und Motetten, auch Rondo´s und Sonaten für das Clavier, auf welchem er es schon zu bedeutender Fertigkeit gebracht hatte, ja sogar Stücke für das ganze Orchester, wenn auch nur Tanzmusik.«


    Als einmal von einer reisenden Theatergruppe ein Ballett Marschners aufgeführt werden sollte, wollte er inkognito bleiben, schlich sich jedoch zu den Proben, um zu hören wie seine Musik klingt und musste in seinem Versteck erleben, wie der Hornist lospolterte: »Was für ein Esel hat das denn gemacht? das kann kein Mensch blasen!« Man hatte den Hornisten beruhigt, der das Stück dann in der höheren Oktave blasen konnte, aber die erfolgreiche Aufführung bekam der junge Komponist nicht mehr mit, denn die rüde Attacke des Hornisten führte dazu, dass er einen Zusammenbruch erlitt und sieben Wochen im Bett verbringen musste. In Verbindung mit seiner Krankheit verlor er seine schöne Stimme, die er auch nie wieder erlangte.


    Noch 1816 befasste sich Marschner mit dem Gedanken die Rechte zu studieren und hörte Vorlesungen an der Universität Leipzig, wobei er nachts Klavier spielte und komponierte, was einige Wohnungswechsel zur Folge hatte. Nun war die Situation so, dass einerseits sein vorzügliches Klavierspiel in Musikerkreisen sehr geschätzt wurde, aber er andererseits immer noch an seinem Talent zweifelte.
    Johann Gottfried Schicht, aus der Nähe von Zittau stammend, gab ihm nun Unterricht in Theorie und Kompositionslehre. Er studierte die Werke von Haydn und Mozart und hatte das Erfolgserlebnis, dass mehrere seiner Kompositionen von Leipziger Verlegern gedruckt wurden, das waren Lieder, kleine Klavierstücke und auch schon ein paar Sonaten; sogar an eine Oper tastete er sich damals schon heran.


    Mit ganz großem Enthusiasmus reiste er 1817 nach Karlsbad, mit dem Vorsatz dort ein aufsehenerregendes Konzert zu geben, das einen entsprechenden Ertrag abwirft.
    Da ergab es sich, dass Marschner in den ersten Tagen seines Aufenthalts den musikbegeisterten Grafen Thadé von Amadé traf, der ein recht tüchtiger Musiker war und sich sogar im Komponieren versuchte. Die beiden jungen Männer schlossen Freundschaft, was als Wendepunkt in Marschners Leben gelten kann.
    Durch die Empfehlung und Teilnahme des Grafen kam dann in Karlsbad tatsächlich ein ansehnliches Konzert zustande. Marschner folgte den Einladungen des Grafen nach Wien und Ungarn, Marschner blieb bis 1821 im Dunstkreis des Grafen.
    In diese Zeit ist noch einzufügen, dass Marschner sich am 26. November 1817 verheiratet hatte, aber die 24-jährige Frau bereits am 3. April 1818 starb.
    Im Januar 1820 ging er eine zweite Ehe mit Franciska Jaeggi ein, die eine gute Pianistin war und auch einen Sohn gebar, aber auch Franciska verabschiedete sich bereits am 12. Dezember 1825 für immer; in relativ jungen Jahren war er zum zweiten Mal Witwer geworden.
    Die dritte Ehe ließ nicht lange auf sich warten, am 3. Juli 1826 heiratete er die Sängerin Marianne Wohlbrück (*1806). Marianne war nicht irgendeine Sängerin, sie hatte sich einen ausgezeichneten Ruf erworben. Diese Verbindung hatte fast 28 Jahre Bestand, dann starb Frau Marianne - sieben ihrer Kinder waren vor ihr gegangen, sie hinterließ ihrem Gatten nur eine Tochter und einen Sohn. Im privaten Leben Marschners war einiges zu ertragen.


    In Wien hatte Marschner auch Begegnungen mit Beethoven, dem er einige Manuskripte zur Begutachtung mitbrachte, die der große Meister nach flüchtiger Durchsicht mit einem »Hm!« gewürdigt haben soll; und gleichzeitig gab Beethoven zu verstehen, dass er wenig Zeit habe - Marschner solle nicht zu oft kommen, aber immer etwas mitbringen. Es folgten weitere Begegnungen, wobei Beethoven immer umgänglicher wurde, aber ein freundschaftliches Verhältnis resultierte daraus nicht.
    Von einem freundschaftlichen Verhältnis kann man eher bei der Begegnung mit Dr. Hornbostel aus Wien sprechen, der den Text zu »Heinrich IV. und d´Aubigné«, der ersten bedeutenden Marschner-Oper, gedichtet hatte. 1818 sandte Marschner die Partitur an Carl Maria von Weber, der 1817 als Kapellmeister nach Dresden gekommen war, aber zu diesem Zeitpunkt seinen später so berühmt gewordenen »Freischütz« noch nicht komponiert hatte.
    Webers Antwort war freundlich und Marschner war hocherfreut, dass der Kapellmeister aus Dresden sich nicht nur lobend zu der Komposition aussprach, sondern gleichzeitig auch in Aussicht stellte, das Werk auf die Dresdner Bühne zu bringen.


    Ohne Anwesenheit des Komponisten wurde Marschners Erstlingsoper aufgeführt und Weber übersandte im Auftrag des Grafen von Bitzthum zehn Dukaten Honorar.
    Im Folgenden schrieb er einige Sachen, die nicht im Druck erschienen und wirkte einige Zeit als Musiklehrer in Preßburg.


    Im Jahr 1821 verließ Marschner Ungarn und wandte sich nach Dresden, wo der 35-jährige Carl Maria von Weber tätig war; altersmäßig trennten die Komponisten zehn Jahre an Lebensalter. In der Literatur wird das Verhältnis der beiden recht unterschiedlich beschrieben, glaubhaft ist, dass Weber gerne seinen Jugendfreund Gänsbacher in dieser Position gesehen hätte, aber bald war Marschner durch hohe Protektion und gegenden Willen Webers,1823 königlicher Musikdirektor bei der italienischen und deutschen Oper in Dresden.

    Da gab es zwar Anlaufschwierigkeiten, aber da die beiden Kapellmeister Weber und Morlacchi oft durch gesundheitliche Gründe an ihren Diensten verhindert waren, ergaben sich für Marschner viele Gelegenheiten sich im Dirigieren zu üben.
    Es erschien auch die Operette »Der Holzdieb«, von der man heute nicht mehr viel weiß. Als Weber 1826 nach London reiste, war damit für Marschner eine erhebliche Zunahme an Arbeit verbunden.


    Marschner hatte mit seiner Fraui Marianne künstlerisch glanzvolle Jahre gehabt; nachdem Marschner die erhoffte Nachfolge Carl Maria von Webers nicht antreten konnte, begaben sich die Marschners auf Reisen durch die Metropolen des damals noch weit größeren Vaterlandes. Der dichterisch begabte Bruder von Marschners Gattin, Wilhelm Wohlbrück, hatte auf Drängen Marschners endlich das Libretto zur Oper »Der Vampyr«, die am 29. März 1828 in Leipzig uraufgeführt wurde, fertiggestellt. Die Aufführung war ein ganz großer Erfolg, der einzige Wermutstropfen war, dass Marschners Gattin wegen besonderen Umständen nicht die Rolle der Malwina singen konnte. Das Werk eroberte die Bühnen in Deutschland und auch in London war man aufmerksam geworden; dort wurde die Oper mit englischem Text und Zuschnitt mehr als sechzig Mal gegeben; Marschner war auch eingeladen nach London zu kommen, um dort eine Oper zu schreiben, es wäre die Nachfolge von Carl Maria von Weber gewesen; Marschner lernte bereits intensiv Englisch und wollte die Reise im Januar 1829 antreten; aber ein Brand des Covent Garden Theaters verhinderte die Unternehmung zunächst.
    Im März 1829 las Marschner Walter Scotts Roman »Ivanhoe« und erkannte in der Lektüre einen dramatischen Opernstoff. Wieder wandte er sich an seinen Schwager Wohlbrück, der so flott arbeitete, dass der Komponist die Partitur der großen romantischen Oper »Der Templer und die Jüdin« im Juli des gleichen Jahres vollendet hatte. Die Uraufführung fand unter großem Beifall am 22. Dezember 1829 in Leipzig statt; Marschner leitete die Aufführung selbst. Weil mitunter die komplizierte Handlung kritisiert wurde, hat man das Werk modifiziert und dann verbreitete sich die Oper rasch und war auf den Spielplänen bedeutender Häuser zu finden.


    Der nun allgemein bekannte Heinrich Marschner erhielt von Hannover den wiederholten Antrag dort die Stelle eines Hofkapellmeisters zu besetzen; zum 1. Januar 1831 nahm er dann dieses Amt an. Trotz der vielfältigen Aufgaben in der neuen Stellung, interessiert sich Marschner weiter für literarische Werke, aus denen eine Oper werden könnte. 1831 wurde Marschner nun anonym »Hans Heiling« zugesandt; hinter dem Absender verbarg sich Eduard Devrient, ein Mehrfachtalent, der im Laufe seines Lebens als Dichter, Sänger und Schauspieler hervortrat. Seine Dichtung war schon 1827 entstanden und eigentlich für Felix Mendelssohn Bartholdy gedacht, der jedoch kein Interesse zeigte. Von Devrients Bruder erfuhr Marschner schließlich, wer der geheime Absender war. Dem folgte eine intensive Korrespondenz zwischen Dichter und Komponisten, also zwischen Berlin, dem Wirkungskreis Devrients und Hannover. Die Uraufführung war dann am 24. Mai 1833 in Berlin, wobei Devrient in der Titelrolle zu erleben war. In alten Schriften ist zu lesen: »Das Werk fand beim Publicum großen Beifall, weniger bei der Kritik«.


    In einer anderen Publikation wird die Situation etwas umfangreicher beschrieben und das liest sich so:


    »Am Schlusse des Jahres 1832 war die Oper vollendet und wurde zum ersten Male im Mai 1833 in Berlin gegeben, wo Ed. Devrient den Heiling sang. Der Erfolg war weder beim Publikum noch bei der Kritik ein so durchschlagender, wie ihn Marschner erwartet hatte, der wohl wußte, daß er diese Musik mit seinem Herzblute geschrieben hatte. Anders in Leipzig, wo er die Proben und die ersten 3 Vorstellungen selbst leitete. Die Oper wurde mit einem unbeschreiblichen Enthusiasmus aufgenommen, Marschner mit Ehrenbezeugungen überhäuft. Die Universität ernannte ihn zum Doktor der Musik und ehrte sich selbst durch diese Anerkennung seines Verdienstes um die Kunst.«


    In der Tat handelte es sich hier um einen Riesenerfolg, denn das neue Opernwerk war an allen deutschsprachigen Bühnen begehrt, aber auch im Ausland. Marschner wurde damals mit seiner Gattin von einer jubelnden Menge und Blumen am Hafen von Kopenhagen empfangen und die beiden brachten mehr als sechs Wochen in der dänischen Metropole zu, wo ihm vom König die Stelle eines kgl. Hofkapellmeisters und Generalmusikdirektors angeboten wurde. Nach seiner ebenfalls umjubelten Rückkehr nach Hannover schloss er einen Wechsel nach Kopenhagen aus.


    Marschner hatte nun den Höhepunkt seines Schaffens erreicht, die Theaterlandschaft in Deutschland wandelte sich. Von Marschner kamen noch Opernwerke wie »Der Bäbu«, »Adolph von Nassau«, »Austin«; allesamt Werke, denen kein nachhaltiger Erfolg beschieden war; Bellini und Donizetti wanderten in die Spielpläne ein und wussten zu gefallen.


    Marschner fühlte sich als echter deutscher Komponist und seine Opern hatten ihn in den Jahren zwischen 1830 und 1850 auch zu einem der bedeutenden deutschen Komponisten gemacht. Für die aufstrebenden italienischen Komponisten hatte er kein Verständnis und dem Phänomen Richard Wagner, der um 18 Jahre jünger war und zunehmend mit »Rienzi«, »Holländer« und »Tannhäuser« in den Zeitungen und auch auf den Spielplänen erschien, stand er ebenfalls fassungslos gegenüber. Über all dem schwebte dann noch Meyerbeer, der in Berlin das Rennen um die Spontini-Nachfolge gemacht hatte.
    Heinrich Marschner hatte nicht nur damit zu kämpfen, dass seine erfolgreichen Opern nicht mehr den ersten Rang einnahmen, sondern es gab auch am Opernhaus immer wieder Querelen um Anstellungsmodalitäten und Besoldungsfragen. Ein geborener Diplomat war Marschner nicht, so dass ihm manche rustikale Bemerkung auf die Füße fiel und höhere Kreise daran interessiert waren ihn aus dem Amt zu drängen. Solange sein langjähriger Vorgesetzter, der vornehme Graf von Platen schützend die Hand über ihn hielt, hatte Marschner nichts zu befürchten. Als jedoch 1852 der alte Orchesterchef nach langjähriger Tätigkeit von seinem Sohn abgelöst wurde, begann das Klima ungemütlich zu werden. Marschner hatte es nun mit einem schneidigen Offizier zu tun, der sich dem theatererfahrenen Älteren gegenüber als Autorität gebärdete. Am 9.September 1852 reichte Marschner sein Entlassungsgesuch ein. Der forsche Graf empfahl, Marschner nach 22 Jahren mit einem Bettelsold von 300 Talern zu entlassen. Diese Angelegenheit erregte in der Öffentlichkeit Aufsehen, das weit über Hannover hinaus ging und auch König Georg V. stellte sich auf die Seite des Komponisten. Seine Konditionen wurden auf allerhöchsten Befehl verbessert; Marschner hatte zwar obsiegt, aber dadurch verbesserte sich das allgemeine Klima nicht, man versuchte Marschner bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu kränken. Sein 25. Dienstjubiläum »vergaß« man einfach und gab an diesem Abend »Lohengrin«, der von Fischer, dem Marschner-Konkurrenten, dirigiert wurde.


    Marschners Stimmung war am Tiefpunkt angelangt, denn er hatte schließlich auch im privaten Bereich einiges durchgemacht. Wie in »Lohengrin« nahte dann ein rettender Schwan, sie kam tatsächlich übers Meer, aus London; es war die Sängerin Therese Janda, eine schöne Wienerin, die an das Theater in Hannover kam. Marschner hatte gerade seinen »Orientalischen Liederschatz« beendet und Therese Janda weihte die neuen Kompositionen ein. Man kam sich näher und es gab Gerede, viele Anhänger Marschners sahen hier eine Pietätlosigkeit und wandten sich von ihm ab.
    Der Sechzigjährige war fest entschlossen, nochmals eine Ehe einzugehen und erreichte tatsächlich, dass Therese den Antrag eines Grafen ausschlug, um am 10. Juni 1855 die vierte Ehefrau von Heinrich Marschner zu werden.


    1859 zeichnete sich das Ende von Marschners Theaterkarriere ab. Fischer war erkrankt und Marschner lehnte es ab, die von Fischer bisher geleiteten italienischen Opern zu dirigieren; »Tannhäuser« und »Lohengrin« sowie die zwei Mayerbeer-Opern »Hugenotten« und »Prophet« fielen ebenfalls Marschners Dirigierstreik zum Opfer.
    Unter diesen Umständen musste eine neue Kraft engagiert werden, was mit Kosten verbunden war. Nun war man fest entschlossen, den sich noch immer weigernden Marschner zu entlassen, aber dem ganzen Procedere einen würdigen Anstrich zu geben. Die Pension wurde etwas angehoben und zudem durfte sich der Abgänger mit dem schon lange ersehnten Titel »Generalmusikdirektor« schmücken.
    Am 10. November 1859 dirigierte Marschner zum letzten Mal - Mozart.


    Nun frei von Amtsgeschäften reisten die Marschners 1860 nach Paris, um dort Verknüpfungen zur großen Musikwelt zu bekommen, aber in Paris entfaltete bereits der fast allgegenwärtige Richard Wagner seine Aktivitäten. Enttäuscht kehrten sie 1961 wieder zurück. Es stellten sich vermehrt seelische und körperliche Beeinträchtigungen ein, der Lebensmut sank langsam dahin. Am Abend des 14. Dezember 1861 ging das Leben des Heinrich Marschner zu Ende.


    Bei seiner Beisetzung am 18. Dezember war das Publikumsinteresse groß, obwohl das Wetter denkbar schlecht war.
    Die Überlieferung spricht von pomphaften Trauerkundgebungen und dass 279 Briefe und Depeschen eingetroffen sind.



    Es muss auf dem Andreasfriedhof in Hannover einmal eine der kulturellen Bedeutung des Komponisten angemessene Grabstätte gegeben haben; das beigefügte SW-Foto stammt aus »Die Gartenlaube« von 1903.


    Vom Fotografen Axel Hindemith gibt es im Internet eine Aufnahme der Grabplatte aus dem Jahr 2005, wo der Text noch gelesen werden kann.


    Die weiteren Farbaufnahmen wurden im Sommer 2022 gemacht, da sind die Buchstaben nur noch schemenhaft zu erkennen, aus meiner Sicht sind das traurige Bilder aus einer Landeshauptstadt - so etwas wäre in Wien undenkbar.


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    Text zum obigen Foto aus der Gartenlaube:


    Das Grabdenkmal Heinrich Marschners in Hannover.
    »Auf dem Andreasfriedhofe zu Hannover hatte sich am 12. April, dem Ostersonntage, eine stattliche Sängerzahl aus den norddeutschen Bundesliedertafeln versammelt, um die neue Porträtbüste Marschners nach Sängerart zu weihen. Mitglieder der Städtischen Kollegien, des Künstlervereins und ein zahlreiches Publikum standen um die mit Blumen reich geschmückte Grabstätte. Unter Musikdirektor Zerletts Leitung sangen die Liedertafeln gemeinsam den stimmungsvollen Bardenchor von Silcher: »Stumm schläft der Sänger«, worauf der Liedervater der alten hannoverschen Liedertafel, Hofjuwelier Lameyer, namens der vereinigten norddeutschen Liedertafeln einen mit rot-weißer Schleife geschmückten Lorbeerkranz auf das Grab des berühmten hannoverschen Komponisten niederlegte. Dann dankte Herr Lameyer dem Magistrat und dem Bürgervorsteherkollegium, welche gemeinsam mit dem Künstlerverein das vor einiger Zeit von ruchlosen Händen zerstörte Grabdenkmal in so würdiger Weise wieder herstellen ließen. Mit dem schönen Liede Heinrich Marschners »Frei wie des Adlers mächtiges Gefieder« schloß die Feier. - Das Grabdenkmal macht nach der Wiederherstellung, die sich auch auf das Sandsteinmonument erstreckt hat, wie unsere Abbildung zeigt, einen schönen und würdigen Eindruck.«


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    Foto: Axel Hindemith (2005)


    Nachfolgende Fotos - August 2022

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    Praktischer Hinweis:
    Den Neustädter Friedhof, der längst kein Friedhof mehr ist, sondern eine Grünanlage, in der noch einige alte Grabsteine belassen wurden, befindet sich im Innenbereich der Stadt Hannover an den Otto-Brenner-Straße.

  • Marie Schumann - * 1. September 1841 Leipzig - † 14. November 1929 Interlaken


    Heute ist der Geburtstag von Marie Schumann - mit ihr ruhen in diesem Grab ihre Schwester Eugenie und die Sängerin Marie Fillunger.


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    Freunde klassischer Musik kennen den Komponisten Robert Schumann und seine schon im Kindesalter berühmt gewordene Ehefrau, die Pianistin - und auch Komponistin - Clara Schumann. Dem Musikerpaar wurden acht Kinder geboren, drei Mädchen und vier Jungs, wobei das vierte Kind, der Sohn Emil, bereits nach 16 Monaten starb.


    Marie war das erstgeborene Kind und die Eltern ob dieses Ereignisses entsprechend aufgeregt, von der Kindesmutter ist überliefert:
    »Sorgen macht so ein Kind auch, besonders ein Erstes, mit dem man noch gar nicht recht umzugehen weiß«.
    Bei der kleinen Tochter wurden dann auch die kleinsten Regungen notiert.
    Vater Robert hatte ja nicht irgendeine Frau geheiratet, die nun voll in ihren Mutterpflichten aufgeht, Ehefrau Clara war schließlich eine vielbeachtete Künstlerin und Robert Schumann beobachtet:
    »Jetzt ist Klara am Ordnen ihrer Lieder und mehrerer Claviercompositionen. Sie will immer vorwärts; aber rechts hängt ihr Marie am Kleid.«


    Marie ist Widmungsträgerin einiger Kompositionen ihres Vaters und soll »Liebling und Ebenbild« des Vaters gewesen sein. Unter anderem widmete er ihr die dritte der »Drei Klaviersonaten für die Jugend«; und zu ihrem ersten Weihnachtsfest komponierte er für Marie und Mutter Clara »Das Schlummerlied«.
    Als Marie ihren siebten Geburtstag feierte, beschenkte sie der Vater mit »Stückchen für´s Klavier«, einer Sammlung von acht Klavierkompositionen, aus denen dann später Opus 68 wurde: »Album für die Jugend«, immerhin Robert Schumanns finanziell erfolgreichste Kompositionen. Mutter Schumann erläuterte die Arbeit ihres Gatten so:
    »Die Stücke, die Kinder gewöhnlich in den Klavierstunden lernen, sind so schlecht, daß Robert auf den Gedanken kam, ein Heft (eine Art Album) lauter Kinderstückchen zu komponieren und herauszugeben. Bereits hat er schon eine Menge reizender Stückchen gemacht.«
    Robert Schumann beobachtete seine heranwachsende Kinderschar und versuchte deren Gebaren aufzugreifen, er wollte damit kein klassisches Lehrwerk schaffen, sondern in erster Linie die Lust der Kinder am Klavierspiel sinnvoll fördern.


    Da gibt es ein Foto der Schumann-Kinder, das von 1854 stammen soll, wobei die Bildbeschreibungen der dargestellten Personen nicht immer nachvollziehbar sind, denn Marie ist zum Aufnahmedatum um die 13 Jahre alt und in der Darstellung ihrer Person wird deutlich, was sie zeitlebens war, nämlich eine wesentliche Stütze ihrer Mutter, sozusagen ihr verlängerter Arm.


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    Marie Schumann erspielte sich keinen berühmten Namen als Pianistin, war ja auch schlecht möglich, im Schatten dieser Mutter. Aber vom Klavierspiel verstanden die Schumann-Töchter etwas. Ab Herbst 1847 besuchte Marie die Elementarschule; Klavierunterricht bekam sie jedoch bereits vor der Einschulung, aber nicht von ihren Eltern, wenn man einmal davon absieht, dass Papa Schumann seinem Töchterchen Marie mal die Klaviertasten erklärte. Von Clara Schumann wissen wir:
    »Marie und Elise gehen in die Schule und lernen fleißig, auch in der Clavierstunde, die ich ihnen geben lasse, um mich mit den ersten Anfangsgründen nicht abplagen zu müssen, da auch meine Zeit zu kostbar ist.«
    Als Schulkind bekam Marie zunächst Unterricht von Clara Schumanns Halbschwester Marie Wieck. 1848 übernahm dann in Dresden die Klavierlehrerin Friederike Malinska den Unterricht der beiden Schumann-Töchter. Nachdem die Schumanns nach Düsseldorf umgezogen waren, wurden die Mädchen an eine Lehrerin namens Dupré weitergereicht.
    Auch Johannes Brahms trat mal zwischenzeitlich als Lehrender auf den Plan und es gab sogar Unterricht in Harmonielehre und Kontrapunkt von Woldemar Bargil, das war der Stiefbruder von Clara Schumann, die Familie hatte eben ein großes Reservoire von Leuten, die etwas von Musik verstanden.


    Erst als die Töchter mit den Grundfertigkeiten am Klavier vertraut waren, nahm Mutter Clara im Sommer 1851 die Sache selbst in die Hand, war aber nicht immer mit dem Ausbildungsstand ihrer Töchter zufrieden, was sie so zum Ausdruck brachte:


    »Mit meinen Kindern, Marie und Elise, geht es so langsam vorwärts; ich gebe ihnen wöchentlich Jede zwei Stunden, mehr kann ich nicht, und das ist freilich nicht viel, und doch immer Geduldsprobe genug. Leider haben sie so viel Schule, daß sie nicht gar viel üben können, und auch ist der Eifer, zu meiner Betrübnis, gering, doch Robert meint, mit dem Verstande werde sich das ändern. In dieser Hoffnung bleibe ich auch immer standhaft mit dem Unterricht - ich kann ihnen ja weiter nichts für´s Leben geben!«.


    Man könnte nun vermuten, dass Clara Schumann aus ihren Töchtern große Pianistinnen machen wollte, aber diese Absicht war nicht vorhanden; ganz im Gegenteil, es waren weder pianistische Karrieren noch ein Musikstudium der Töchter angedacht. Wie aus einem Brief hervorgeht, wünschte Clara Schumann, dass ihren Töchtern eher ein zurückgezogenes Leben beschieden sein möge und sie fügte an, dass sie dafür ihre Gründe habe; erst ihre jüngsten Tochter, Eugenie, kam in den Genuss vieler mütterlicher Klavierstunden.
    Diese Gründe sind leicht zu erraten, vermutlich wusste sie, dass sie im Grunde keine gute Mutter im üblichen Sinne sein konnte. Als Marie im Säuglingsalter war schränkte Clara Schumann zwar ihre Konzerttätigkeit etwas ein, reiste aber schon im Frühjahr 1842 wieder nach Kopenhagen und musste das Kind einer Amme und dem Vater überlassen. Auch als sich das Künstlerpaar im Januar 1844 für fünf Monate auf eine Reise nach Russland begab, hatte Marie keinen Kontakt zu ihren Eltern.


    Nach Robert Schumanns Tod war Clara Schumann »Alleinerziehend«, wobei dieser Begriff damals noch keinen Eingang in die Sprache gefunden hatte. Marie war damals fast 16 Jahre alt und fortan eine wesentliche Stütze der Familie und der verlängerte Arm von Mutter Schumann, welche die Familie finanziell über Wasser halten musste. Marie Schumann hatte ein breites Arbeitsfeld: ihr oblag die Erziehung der jüngeren Geschwister; sie kümmerte sich um den Haushalt und half der Mutter bei Noteneditionen.
    1861 sieht Clara Schumann ihre Tochter Marie - wie das in einem Brief zum Ausdruck kommt - so:
    »Ich habe jetzt Marie in der Wirtschaft eingerichtet, und zeigt sie sich sehr geschickt zu Allem.«


    Nachdem Clara Schumann über Jahrzehnte hinweg auf Konzertreisen unterwegs war, übersiedelte sie im Jahr 1878 nach Frankfurt am Main, wo sie als »Erste Klavierlehrerin« des neu gegründeten Dr. Hoch´s Konservatorium berufen worden war. Für das Institut war so ein Name Gold wert, ein Aushängeschild.
    Aus dieser Position heraus konnte die damals 59-jährige Clara Schumann bei den Vertragsverhandlungen Forderungen stellen. So bestand sie darauf, dass Hilfslehrerinnen angestellt werden, die ihr zuarbeiten, denn die berühmte Pianistin hatte keine Lust sich mit Anfängern herumzuplagen. Aber es war nicht so, dass sie etwa »Pfründe« für ihre Töchter suchte; Marie war zunächst entschieden dagegen, weil sie befürchtete, dass die Familie noch mehr an die Schule gefesselt würde und das Gleiche kann auch von Eugenie gesagt werden, man entschloss sich demnach recht zögerlich hier offiziell einzusteigen.
    Also bereitete Marie Schülerinnen und Schüler auf den anspruchsvolleren Unterricht bei der Mutter vor. Das hatte sie schon ab 1878 getan, aber ab 1880 war sie nun ganz offiziell Hilfslehrerin am Konservatorium; ein Jahr später folgte dann auch Schwester Eugenie, so dass die beiden Schumann-Töchter jeweils eine eigene Vorbereitungsklasse leiteten. In diesen Vorbereitungsklassen wurden Kenntnisse und Fertigkeiten vermittelt, die Mutter Clara voraussetzte, wenn man von ihr unterrichtet werden wollte.


    Nachdem Clara Schumann 1896 gestorben war, oblag der jetzt fünfundfünfzigjährigen Marie Schumann die Aufgabe den Nachlass zu verwalten. Marie Schumann war bestrebt ihren Eltern ein literarisches Denkmal zu errichten, insbesondere ihrer Mutter, mit der sie als das älteste der Kinder viele Jahrzehnte intensiv zusammengearbeitet hatte. Der Nachwelt sollten möglichst die positiven Seiten der Familie Schumann präsentiert werden. Die Konflikte der Eltern, negative Kritiken an der Pianistin Clara Schumann, politische Ansichten oder wenig schmeichelnde Aussagen über Künstlerkollegen, sollten nicht an die Öffentlichkeit kommen.
    Marie Schumann beauftragte den Germanisten Berthold Litzmann aus dem von ihr zur Verfügung gestellten lückenhaften Material eine Biografie von Clara Schumann zu fertigen, was Litzmann dann zwischen 1901 und 1908 in drei Bänden bewerkstelligte. Aus Clara Schumanns Tagebüchern ist mehrfach herauszulesen, dass sie fürchtete noch zu Lebzeiten vergessen zu werden, ihre Tochter Marie hat dafür gesorgt, dass das Andenken an ihre Mutter bis heute lebendig ist.


    Ab 1897 lebte Marie Schumann in Interlaken, wo sie ein Grundstück erwarb und sich unverzüglich ein Chalet erbauen ließ. Den Schumanns war das Berner Oberland nichts Neues; Robert Schumann war bereits Ende August, Anfang September 1829 hier gewesen, Felix Mendelssohn Bartholdy, Maries Pate, hatte die Gegend mehrfach besucht und gezeichnet und in alter Literatur ist nachzulesen, auf welche Weise sich Clara Schumann zur Familie Wach auf das Ried begab:
    »In Lisabeths Elternhaus stand im Gang ein Bergstuhl mit vier Griffstangen. Vermögende Reisende setzten sich auf diese Sänfte und wurden von vier Männern auf die Schynige Platte oder andere Berge getragen. Vier weitere Männer gingen als Ersatz mit. Eine der Kundinnen war Clara Schumann ...«


    Als sich Marie Schumann für den Rest ihres Lebens hier niederließ, war ihr die Gegend schon seit vielen Jahren vertraut. Ihre jüngste Schwester, Eugenie Schumann, die in England gelebt hatte, kam 1918 in die Schweiz, um ihrer hochbetagten Schwester nahe zu sein; diese Nähe war Matten bei Interlaken, wo sich dann auch ein Jahr später Eugenies langjährige Freundin, die Sängerin Marie Fillunger hinzugesellte. Die beiden Frauen hatten sich bereits 1873 in Berlin kennengelernt und Marie Fillunger lebte in Frankfurt mehr als ein Jahrzehnt in der Schumannschen Hausgemeinschaft. Marie Fillunger war weit in der Welt herumgekommen; nach Konzerttourneen in Australien und Südafrika betätigte sie sich als Gesangslehrerin in England und in ihrer Heimatstadt Wien; eine dem Grabstein unten beigelegte Tafel zeigt den Namen und die Lebensdaten der auf dem Grabstein genannten Freundin.


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    Der heute sichtbare Bau der Kirche beim Friedhof stammt aus dem 12. Jahrhundert, man geht hier rechts nach oben.


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    Praktischer Hinweis:
    Man findet das Grab auf dem Friedhof Gsteig bei Wilderswil, etwa 3 Kilometer südlich von Interlaken. In Gsteig führt eine alte gedeckte Holzbrücke, die mit dem Auto überfahren werden kann, über die Lütschine. Jenseits der Brücke befindet sich eine kleine Parkmöglichkeit. Links des Gasthofs Steinbock führt eine breite Treppe zum oberen Teil des Friedhofs, wo man sich nach rechts wendet.

  • Marianne Brandt - * 12. September 1842 Wien - † 9. Juli 1921 Wien


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    Heute ist der 180. Geburtstag von Marie Bischof, die sich als Künstlerin Marianne Brandt nannte.


    Die Sängerin hatte den Namen ›Marianne Brandt‹ als Pseudonym gewählt, als Marie Bischof stand sie im Taufregister und so steht der Name auch auf dem Obelisk im Friedhof Hadersdorf-Weidlingau im XIV. Wiener Bezirk.


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    Über Eltern und Kindheit der Sängerin ist nichts bekannt, die Nachschlagwerke beginnen damit, dass Marianne Brandt von 1862 bis 1866 das Konservatorium der Stadt Wien besuchte und dort Schülerin von Therese Janda-Marschner und von Zeller war.


    Sie debütierte 1867 am Stadttheater Olmütz als Rachel in Halévys Oper »Die Jüdin« (La Juive). Über ihr erstes Gastspiel in Graz ist in der Zeitung am 28. Mai 1873 ein größerer Beitrag erschienen, wobei berichtet wird, dass Marianne Brandt nach Meinung des Dirigenten - und auch des Rezensenten - als Rachel eine sehr gute Leistung geboten hätte, die jedoch vom Publikum nicht entsprechend gewürdigt worden sei: »Das Publikum verhielt sich der Sängerin gegenüber entsetzlich kühl«, heißt es da und die Künstlerin sei dadurch so verunsichert gewesen, dass sie zum Ausdruck brachte der Bühne ade zu sagen.
    Erst beim zweiten Gastspiel als Acuzena [sic] in »Troubadour«, sei das Publikum aus sich herausgegangen.


    Nachdem Marianne Brandt ein zehnmonatiges Gastspiel in Graz gegeben hatte, wollte sie nach Hamburg gehen, aber vermutlich war man inzwischen in Berlin aufmerksam geworden; Marianne Brandt stellt das so dar:


    »Nach zehnmonatlichem Aufenthalte in Graz sollte ich mein dortiges Engagement mit einem in Hamburg vertauschen, wurde aber auf dem Weg dahin April 1868 an die Berliner Hofoper engagiert, wo man schon lange eine Altistin suchte. Meine Stimme reichte für das Berliner Haus und die Gastrollen waren auch mit gutem Erfolge absolviert worden, aber es fehlte noch vieles, um mich neben Größen wie Lucca, Riemann, Wachtel, Betz etc. behaupten zu können.
    Kapellmeister Eckert riet mir daher, zu Madame Viardot-Garcia nach Baden-Baden zu gehen, um meine großen Rollen mit ihr noch auszuarbeiten. Ich benutzte also meinen Sommerurlaub 1869 für die Studienreise und danke noch heute aus vollem Herzen dieser einzigen Frau für das, was ich bei ihr gelernt habe. Neben dem reichen Schatz ihrer dramatischen Gesangskunst gab mir Madame Viardot noch etwas Unschätzbares mit auf den Weg: Selbstvertrauen, an dem es mir trotz raschen Vorwärtsgehens in der Carriere noch immer mangelte.
    ›Sie sind das größte Talent‹, sagte sie, ›das mir seit meinem Abgang von der italienischen Oper vorgekommen ist. Wenn Sie fleißig fort studieren, können Sie in kurzer Zeit die beste dramatische Sängerin Deutschlands werden.‹ Solch ein Ausspruch spornt zum Studium an.«


    Noch stand in Baden-Baden das kulturelle Leben in voller Blüte und bei den Soireen der Madame Viardot war einiges geboten, unter anderen lernte sie hier auch Turgenjew kennen, der sie auch schon mal später in Berlin besuchte, wenn er auf der Durchreise nach St. Petersburg war. Bei ihrem ersten Aufenthalt in Baden-Baden traf sie auch die Schwestern Anna (die Sängerin) und Julie (die Pianistin) von Asten, die sie bereits von Wien kannte.
    Lichtenthal war damals noch eine kleine ländliche Gemeinde bei Baden-Baden; hier wohnte Marianne Brandt und ganz in ihrer Nähe Clara Schumann mit ihren Kindern; da war natürlich auch Johannes Brahms nicht weit.


    1870 reiste Marianne Brandt abermals zu Madame Vioardot nach Baden-Baden, um Stücke aus Opern von Christoph Willibald Gluck im Detail mit ihr durchzuarbeiten.
    Auch Clara Schumann kam auf Fräulein Brandt zu, weil sie diese als Sängerin bei einem Konzertabend in Kreuznach - heute Bad Kreuznach - dabei haben wollte, welches am 14 Juli erfolgreich stattfand. Marianne Brandt: »Ich war stolz auf das Zusammenwirken mit der großen Künstlerin und genoß dankbaren Herzens den engeren Verkehr mit der edlen Frau«.
    Auf der Rückreise trennten sich die Damen, weil Clara Schumann nach Frankfurt am Main fuhr. Als Marianne Brandt in Baden-Baden ankam, fand sie die Stadt gänzlich verändert, der Deutsch-Französische Krieg warf nicht zu übersehende Schatten voraus, auf den Bahnhöfen sah man Militär...


    Pauline Viardot, die am 18. Juli Geburtstag hat, gab rasch noch einige gesangstechnische Tipps; am 19. verließ Marianne Brandt Baden-Baden Richtung München, um dort das Ereignis der Saison zu hören - »Das Rheingold« - und den jungen und schönen König Ludwig in seiner Loge zu bewundern.


    Als Fidés in Meyerbeers Oper »Der Prophet« (Le prophéte) sowie Azucena in »Troubadour« hatte sie Aufsehen erregt, was zum Engagement an die Berliner Hofoper führte, wo sie von 1868 bis 1886 engagiert war und offensichtlich mit ihrer Kollegin Lilli Lehmann ein recht gutes Verhältnis hatte, denn diese schreibt in ihrer Biografie:
    »Es ist nicht zu hoch gegriffen, wenn ich sage, daß Marianne Brandt, die ewig Wohltätige und Gutmütige, und ich, in mindestens 25 Konzerten zum Besten der Krieger und ihrer Hinterbliebenen sangen.«


    Die Mitwirkung bei der Uraufführung von Max Bruchs Oper »Hermione« brachte der Sängerin keinen nachhaltigen Ruhm ein, aber inzwischen konnte sie auch auf erfolgreiche Gastspiele in England zurückblicken, wo sie an der Londoner Covent Garden Opera 1872 als Leonore in »Fidelio« erfolgreich debütiert hatte. Zehn Jahre später gab sie dann am Londoner Drury Lane Theatre die Brangäne in der englischen Erstaufführung von »Tristan und Isolde«.
    Von einigen Uraufführungen am Berliner Haus sei die Mitwirkung bei der Erstaufführung von Anton Rubinsteins Oper »Die Makkabäer« in April 1875 erwähnt, ein Werk, das damals von den Bühnen gut angenommen wurde und sich über Jahre - als Lea - zu einer Glanznummer für Marianne Brandt entwickelte.
    Fast zwei Jahrzehnte war sie in beeindruckenden Rollen an der Berliner Oper tätig gewesen. In dieser Zeit kam sie auch mit Richard Wagner in Berührung, der dort eine »Tristan« -Aufführungsserie betreute. 1876 war sie als Waltraute bei Wagners Festspielen.


    Die Zeitschrift »Signale für die musikalische Welt« schreibt 1882:


    »Marianne Brandt, die treffliche Altistin, welche ihr Berliner Engagement aufgibt, hat nunmehr den anderweitigen Theaterleitungen angezeigt, daß sie bereit sei, Gastspielanträge anzunehmen, und schon hat sie eine Reihe von Einladungen erhalten und mehrere derselben angenommen. Im Frühjahre, Mai und halben Juni, singt die Künstlerin sechs Wochen hindurch im Hof-Operntheater in Wien; dann zwei Wochen lang in London, im Juli und halben August in Baireuth [sic], wo sie in Wagner´s ›Parsifal‹ zuerst die Kundry darstellen wird. Im October und November gastirt Marianne Brandt im Münchner Hof-Theater, für December d. J. und März k. J. hat sie mit Herrn Neumann für dessen Wagner-Unternehmen abgeschlossen und für vier Wochen mit Direktor Stägemann in Leipzig, wo sie in ihrer Glanzrolle, der Lea in Rubinstein´s Oper ›Die Maccabäer‹ auftreten wird.«


    Mit dieser Rolle nahm Marianne Brandt dann auch von der Berliner Bühne Abschied, der in der Presse entsprechend umfangreich gewürdigt wurde; zum Schluss heißt es da:
    »Aber die Stimme des Fräulein Brandt klang bei dem Siegesgesang im dritten Act noch gerade so frisch und voll, wie zu Anfang dieses Abends, der Jedermann den Abschied von der Künstlerin auf´s Neue schwer gemacht hatte.«


    Am 2. Juli 1882 traf Marianne Brandt in Bayreuth ein und weilte bis Ende August dort; nur für einen Tag gab sie ein Gastspiel in Bad Kissingen; ansonsten hat sie in dieser Zeit fast alle Proben und Aufführungen miterlebt und ihre täglichen Erlebnisse unverzüglich zu Papier gebracht; man kann das fast als eine Art Tagebuch werten. Da ging praktisch jeden Tag ein Brief nach Wien heraus, indem sie ihrer Schwester Pauline über die Bayreuther Vorgänge berichtete. Der Musikwissenschaftler Stephan Mösch hat sich diese Briefe näher angesehen und dabei entsprechende wertvolle Erkenntnisse gewonnen.


    Marianne Brandt war keine typische Wagner-Sängerin und für die Rolle der Kundry waren auch noch alternierend Amalie Materna und Therese Malten vorgesehen. Von Richard Wagner wird bezüglich der Sängerin Brand die Beurteilung überliefert: »die einzige Frau, die ich kenne, die die Voraussetzungen für eine Kundry in sich hat«.


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    Marianne Brandt als Kundry


    Vermutlich ist das wieder so eine Situation, dass auch ein vorzüglicher Tonträger das auf der Bühne Gebotene nicht hundertprozentig rüberbringen kann. Man ist auch in diesem Falle auf die Schilderungen fachlich versierter Leute angewiesen, die der Nachwelt berichten, was sie gesehen und gehört haben. Felix Weingartner schreibt in seinen Lebenserinnerungen, wie er Marianne Brandt in Bayreuth erlebte:


    »Wie sollte es dieser Frau, die von Natur keineswegs mit einer schönen Erscheinung bedacht war, gelingen, uns eine Verführungsszene glaubhaft zu machen? Und es gelang ihr, ja, gelang ihr in solchem Masse, dass mir die Gestalt der Kundry in völlig neuem Lichte erschien, so dass ich vieles begriff, was mir selber noch dunkel war, und dass ich die Gefahr, in der Parsifal schwebte, unmittelbar an mir selbst empfand. Keine Kundry vermochte jemals wieder, mir diesen Eindruck hervorzurufen, wie dieses dämonisch geniale Weib. Die Brandt hat diese Rolle nur im ersten Jahr und niemals später dargestellt.«


    Nach Bayreuth entwickelte Marianne Brandt eine rege Gastspieltätigkeit, deren wichtige Stationen bereits oben in dem Zeitungsbericht genannt wurden.
    Und dann war da auch noch Angelo Neumann, der mit Wagners Werken von Stadt zu Stadt zog; in der Zeitung war zu lesen: »Der Neumann´schen Gesellschaft sind beigetreten:
    Das Ehepaar Vogl, Frau Hedwig-Reicher Kindermann, die Berliner Kammersängerin Marianne Brandt, Orlanda Rügler, Dr. Franz Krückl, Georg Unger, Julius Libau«.


    Wer damals im Opernbetrieb einen großen Namen hatte, fand sich bald in Amerika wieder, insbesondere an der Metropolitan Opera New York. Brandt sang von 1884 bis 1888 an der »Met«, wobei natürlich jeweils die Saison gemeint ist. Ihre Antrittspartie war dort am 19. November 1884 die Leonore in »Fidelio«, wobei ihr Lilli Lehmann den Vortritt gab, denn sie hätte Anspruch auf die erste Vorstellung gehabt.
    J. W. Henderson schrieb in The New York Times:
    »... Fräulein Amelia [sic] Brandt, Mezzosopranistin und Altistin, die in Deutschland seit langem ein Publikumsliebling ist, hat mit ihrem ersten Auftritt als Leonore sofort einen entscheidenden Eindruck hinterlassen. Ihre Stimme ist brillant und kraftvoll, ihre Methode elektrisch, wodurch wir vermuten würden, dass sie die energische Aussprache und den Akzent der deutschen Gesangsschule hat und nicht wenig von der Geläufigkeit und dem Geschmack des Italienischen, und als Schauspielerin ist sie intelligent, leidenschaftlich und kraftvoll.«


    Im Großen Sängerlexikon ist nachzulesen, dass sie am Metropolitan Opera House in insgesamt 160 Vorstellungen und 18 verschiedenen Rollen auftrat, darunter eine Menge amerikanische Erstaufführungen und keineswegs nur Wagner-Rollen.


    In den 1890er Jahren stellte Marianne Brandt ihre Tätigkeit auf der Opernbühne ein und trat nur noch als Konzertsängerin in Erscheinung; da auch hier keine ernstzunehmenden Tondokumente vorliegen, sei der gefürchtetste Kritiker des 19. Jahrhunderts zitiert, Eduard Hanslick:


    »Zum ersten Male begegnen wir jetzt Fräulein Brandt im Concertsaal, als Liedersängerin. Da erwies sie sich jedem Stil, jeder Empfindung gerecht; überall hatte sie die Bedeutung des Gedichtes tief in sich aufgenommen, bis ins einzelne Wort studirt, ohne das einzelne Wort mit theatralischem Nachdruck zu unterstreichen. Am vollendetsten erschien mir ihr Vortrag in der von Schubert componirten Klopstockschen Ode ›Dem Unendlichen‹. Wie plastisch trat da jeder Satz, jede Periode heraus, welche Weihe ruhiger Begeisterung lag über dem Ganzen! Mit starker Leidenschaft faßte sie das wild aufstürmende Lied von Brahms ›Weit über das Feld‹. Dieses sehr selten gehörte Lied steht in ein und demselben Heft mit dem so populär gewordenen ›Liebestreu‹ und - auffallend genug - in derselben Tonart, Es-moll«.


    Man kann die Stimme der Marianne Brandt auch heute noch bei YouTube hören; ihre Gesangsdarbietungen werden von einer schnarrenden Männerstimme angesagt:
    Einmal »Frühlingsnacht« von Robert Schumann und ein Stück aus Donizettis Oper »Lucrezia Borgia«; wie die schneidige Militärstimme ansagt, entstanden die Aufnahmen am 23. September 1905, also nach dem 61. Geburtstag der Sängerin.


    Wenn man die Gegebenheiten dieser Aufnahmen zugrunde legt, dann lassen diese Tonbeispiele keine wirkliche Beurteilung der künstlerischen Lebensleistung dieser Sängerin zu, wenn man sich aber anschaut was diese Frau gesungen hat und wo sie gesungen hat, dann bleibt festzuhalten, dass sie über eine große dramatische Altstimme von ungewöhnlichem Tonumfang verfügte, die auch Partien für dramatischen Sopran singen konnte.


    Praktischer Hinweis:
    Das Grab befindet sich auf dem Friedhof Hadersdorf-Weidlingau, Friedhofstraße 12,
    1140 Wien. Man wendet sich am Haupteingang nach links und findet das Grab etwa 15 Meter von der linken Friedhofsmauer entfernt. Auf dem Friedhofsplan orientiert man sich am Feld ›N‹.

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  • Helmut Krebs - * 8. Oktober 1913 Aachen - † 30. August 2007 Berlin


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    Zum heutigen Geburtstag von Helmut Krebs


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    Wenn man den Julianischen Kalender zugrunde legt hat Helmut Krebs mit Heinrich Schütz Geburtstag, der als Inbegriff lutherischer Kirchenmusik gilt. Als Helmut Krebs im Alter von 93 Jahren in Berlin starb, hatte er neben seiner fast vierzigjährigen Tätigkeit im Ensemble der Deutschen Oper, besonders intensiv auch als Oratoriensänger gewirkt, wo natürlich Johann Sebastian Bach im Vordergrund stand.


    Über das Elternhaus und seine Kindheit wurde in der Öffentlichkeit nichts bekannt, außer dass er mit einer Schwester aufwuchs und sich - obwohl in Aachen geboren - stets als Kind des Ruhrgebiets gefühlt haben soll, weil er in Dortmund aufwuchs, der Brockhaus nennt sogar Dortmund als Geburtsort und das Große Sängerlexikon hat das wohl von dort übernommen.
    Von 1934 bis 1937 studierte Helmut Krebs an der Berliner Musikhochschule Musikwissenschaft und Gesang. Als er 1937 zum Debüt an der Berliner Volksoper den Monostatos in der »Zauberflöte« sang und der junge Tenor erste Gehversuche auf der Bühne machte, störte der heraufziehende Krieg zunächst einmal die weitere künstlerische Entwicklung.


    Nach Kriegsende, einer furchtbaren Notzeit, findet man den Namen des Tenors Helmut Krebs zum Beispiel in einer mit der Schreibmaschine getippten Chronik der Stadt Gelsenkirchen, in der Konzerte im Winter 1946 aufgeführt sind. 1955 wird in dieser Chronik darauf hingewiesen, dass Krebs seine Nachkriegskarriere von Gelsenkirchen aus gestartet habe, aber der Zeitungsartikel »Helmut Krebs - Gast auf allen Ätherwellen«, in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung veröffentlicht, ist nicht allgemein zugänglich. Sicher ist jedoch, dass damals viel Musik direkt über das Mikrofon in die Welt gesendet wurde.
    Von 1945 bis 1947 gehörte Krebs dem Opernhaus Düsseldorf an und wurde dann Mitglied der Städtischen Oper Berlin, die auf Anregung von Ferenc Fricsay seit 1961 als Deutsches Opernhaus Berlin bezeichnet wird.

    In Berlin begann man Anfang Oktober 1946 ein gewaltiges, fast utopisch anmutendes Projekt. Elsa Schiller, die damalige Leiterin der RIAS-Musikabteilung, plante mit Karl Ristenpart eine Gesamteinspielung aller Bach-Kantaten; als Frau Schiller Ende 1952 den RIAS verließ, wurde das Vorhaben am 13. Februar 1953 mit einer letzten Kantateneinspielung beendet.


    Mit dem RIAS-Kammerorchester und dem Kammerchor wirkten seinerzeit auch Dietrich Fischer-Dieskau, Helmut Krebs und Agnes Giebel mit; der große Wurf konnte damals nicht verwirklicht werden; zwar entstanden von 1946 bis 1953 immerhin 107 Einspielungen von 78 Werken, aber es sind nur 29 Kantaten dokumentiert. In RIAS-Aufnahmen von 1950 ist übrigens auch die 1966 verstorbene Edith Berger-Krebs zu hören.


    1950 ist Helmut Krebs der erste Sänger, der Günter Raphaels humoristisches Werk »Palmström-Sonate« op. 69 für Tenor-Solo, Klarinette, Violine, Schlagwerk ad lib. und Klavier, nach Texten von Christian Morgenstern, aufführt.


    Als Bühnenkünstler wirkte Krebs vor allem in Mozart-Opern mit, also Belmonte, Ferrando, Tamino oder als Châteauneuf in »Zar- und Zimmermann«, sowie Fenton in »Die lustigen Weiber von Windsor«, wo er diese Rolle nicht nur auf der Opernbühne sang, sondern auch 1950 in einer DEFA Opernverfilmung dem Schauspieler Eckart Dux seine Stimme als Fenton lieh; das war damals Dux´ Filmdebüt.
    Helmut Krebs hat auch Musikgeschichte geschrieben, weil er an vielen Uraufführungen beteiligt war, so zum Beispiel bei den Salzburger Festspielen im August 1949 in Carl Orffs Vertonung des Trauerspiels »Antigonae«, in Hans Werner Henzes Opern »König Hirsch« (1956) und in »Der junge Lord« (1965), wo er den Professor von Mucker gab. In der Literatur wird dargestellt, dass Helmut Krebs diese Rolle so gestaltet hat, dass es wie ein ironisierendes Porträt seiner selbst wirkt. Auch bei der Uraufführung von Boris Blachers Oper »Rosamunde Floris« wirkte Krebs mit.


    Der Tenor war natürlich auch international tätig; so 1958 als er mit Eugen Szenkar in Frankreich unterwegs war, wo Szenkar das Orchestre Philharmonique de la RTF leitete. Des Weiteren ist anzufügen, dass Krebs an der Wiener Staatsoper gastierte sowie der Mailänder Scala, Covent Garden, bei den Festivals in Salzburg, Glyndebourne und Edinburgh.


    1963 wurde Helmut Krebs zum Kammersänger ernannt. Pädagogische Aufgaben übernahm er bereits 1957 an der Musikhochschule Berlin, ab 1966 hatte er an der Musikhochschule Frankfurt a. M. eine Professur für Gesang.
    Schließlich betrat er 1987 auf seine alten Tage nochmals die Berliner Bühne, wo er - schon im offiziellen Ruhestand - in Götz Friedrichs Inszenierung »Aus einem Totenhaus« von Leoš Janáček, sich noch einmal in die Rolle eines ganz alten Sträflings begab.


    Helmut Krebs war nicht nur Sänger, sondern auch Komponist und Dirigent; in den Jahren nach dem Krieg komponierte er Lieder, Klavier- und Kammermusik, wobei seine Kompositionen nicht im allgemeinen Blickpunkt stehen, wie beispielsweise sein Kleines geistliches Konzert op. 22,1 für Gesang, Oboe und Orgel. Im Laufe seines Lebens erhielt der Musiker viele Auszeichnungen, so auch 1952 - zusammen mit Arthur Rother und Giselher Klebe - den Kunstpreis Berlin in der Sparte Musik.
    Helmut Krebs war ein Oratorientenor der Maßstäbe setzte, die noch heute Bedeutung haben, wie seine Mitwirkung bei den Aufnahmen des Verdi-Requiems im September 1953 in der Jesus Christus Kirche in Berlin unter Ferenc Fricsay dokumentiert.


    Auf dem Grabkreuz findet man die Lebensdaten der beiden Ehefrauen, die ihm vorausgegangen sind.
    Wenn man auf dem relativ kleinen Friedhof das Grab von Helmut Krebs besucht, kann man auch bei seinen prominenten Kolleginnen Lilli Lehmann und Tiana Lemnitz vorbeischauen und sich das beeindruckende Grabmal
    des Baritons Ludwig Leichner ansehen. In diesem Thread findet man die bezüglichen Informationen unter # 347 (Lehmann) und # 795 (Lemnitz) sowie #291 (Leichner).


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    Praktische Hinweise:
    Das Grab befindet sich auf dem Landeseigenen Friedhof Dahlem-Dorf, im Südwesten Berlins.
    Der Haupteingang des Friedhofs liegt direkt an der Königin-Luise-Straße 57 / 14195 Berlin.
    Das Grab befindet sich im unmittelbaren Bereich der Friedhofskapelle im Eingangsbereich.


  • Lieber hart, Du hast uns an das Grab eines der für mich interessantesten Tenöre geführt. Danke. Den Friedhof besuche ich auch sehr gern. Helmut Krebs sang mit perfekter Diktion. Die Stimme mag etwas gewöhnungsbedürftig sein, oft genug gehört, kann sie süchtig machen. Aus Deinem Text geht schon hervor, dass er sehr breit aufgestellt war als Interpret. Bach und zeitgenössische Musik waren für ihn offenbar keine Gegensätze. Ich liebe auch die beiden Aufnahmen von Monteverdis "Orfeo", in denen er mitwirkte. Ganz wichtig war sein Mitwirken in frühen Berlioz-Produktionen beim Südfunks unter Müller-Krey. So gibt es mit Krebs die nach meinen Informationen einzigen in deutscher Übersetzung (Peter Cornelius) gesungenen "Sommernächte" (Les nuits d'été). Gestern erst hörte ich mir die "Schöne Müllerin" an - nachdem ich Deinen Beitrag gelesen hatte. Es ist zum Glück kein Mangel an Krebs-Aufnahmen.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Lieber ‚hart‘,


    herzlichen Dank für diesen wieder einmal sehr interessanten Beitrag (Helmut Krebs).


    Ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich schreibe, dass Helmut Krebs – vor allem durch seine unüberschaubar vielen Rundfunksendungen – einer der mit Tonaufnahmen am meisten dokumentierten deutschen Tenöre ist, vielleicht nur übertroffen von Rudolf Schock. Ich habe noch stapelweise alte Rundfunkzeitungen und es gab kaum einen Tag, an dem nicht die Stimme von Helmut Krebs bei irgendeinem Sender in der BRD zu hören war.


    Carlo

  • Lieber "Hart",


    auch von mir ein Dankeschön, vor allem für die (zum. für ein Forum) ausführliche Lebensdarstellung von Anton Schindler. Wobei ich hier auch besonders die ausgewogen und wertfreie, aber dennoch wo notwendig auch kritische Betrachtung daran schätze. Da ich mich bisher mit Anton Schindler nur im näheren Beethoven-Kontext befasst habe sind mir manche biographischen Details auch neu. Noch ein paar Anmerkungen/Ergänzungen zu Schindlers Kontakt zu Beethoven. Vor allem ist eine Anstellung als Sekretär zum. bis 1820 schon von daher nicht plausibel, da bis zu diesem Jahr noch Franz Oliva Beethovens Sekretär war (und in den Konversationsheften der betr. Zeit geht auch ein sehr reger Kontakt mit Oliva hervor) Die Beethoven-Forschung geht auch eher davon aus, dass dies erst ab 1822 der Fall gewesen sein könnte, da sich herausstellte, dass der erste für echt befundene Eintrag in einem seiner Konversationshefte im November 1822 stattfand (also etwa 7 Jahre später als von Schindler vorgetäuscht wurde). Ab 1819 ist immerhin ein oberflächlicher, gelegentlicher Kontakt denkbar, da Schindler ab 1817 vom Rechtsanwalt Dr. Johann Baptist Bach angestellt wurde, welcher wiederum ab 1819 Beethoven in rechtlichen Angelegenheit beriet. Schindler ist für mich eine tragische Figur der Musikgeschichte, denn wie die Beethovenforschung Bonn auch feststellt: "In den letzten Jahrzehnten hat sich jedoch herausgestellt, daß viele seiner Angaben nicht korrekt sind und manche Fakten von ihm sogar ganz erfunden wurden". Das ist auch von dem her bedauerlich, da er das nicht notwendig gehabt hätte. Denn er hatte zweifellos in Beethovens letzten Lebensjahren (bis auf die Zeit, bei der Karl Holz von Beethoven als Sekretär bevorzugt wurde) einen engen Kontakt mit ihm und war ohnehin ein bedeutender Zeitzeuge und darüber hinaus nach seinem Tod Besitzer bedeutender Originaldokumente (wie auch von dir erwähnt, leider teilweise vernichtet). So aber hat man verständlicherweise ein generelles Misstrauen gegenüber seinen unbelegten Angaben, selbst wenn diese in manchen Fällen stimmen sollten.


    :hello:

    „Eine Erkenntnis von heute kann die Tochter eines Irrtums von gestern sein.” (Marie von Ebner-Eschenbach)

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