Der Musiker Gräber

  • Reynaldo Hahn - * 9. August 1874 Caracas - † 28. Januar 1947 Paris


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    Zum heutigen Geburtstag von Reynaldo Hahn


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    Der Familienname der Mutter ist im Giebel gut lesbar, der Familienname Hahn ist im weißen Feld nur noch schemenhaft zu sehen.

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    Der kleine Reynaldo konnte inmitten einer großen Kinderschar aufwachsen; er war das jüngste Kind von fast einem Dutzend, das die Eltern zu versorgen hatten, ein zwölftes Kind starb kurz nach der Geburt. Neben den Jungs gab es noch fünf Schwestern. Als der Junge drei Jahre alt war, siedelte die Familie von Venezuela nach Frankreich um, genauer gesagt in die Rue du Cirque 6, in Paris.

    Der Vater, Carl Salomon, ein jüdischer Kaufmann aus Hamburg, muss ein vielseitig begabter Mann gewesen sein, er war Ingenieur, Erfinder und erfolgreicher Kaufmann. Diese Begabungen ermöglichten ihm zum Berater des venezolanischen Präsidenten Antonio Guzmán Blanco aufzusteigen. Nach dessen Sturz 1887 befürchtete Carl Salomon Repressalien durch die politischen Gegner Guzmáns und zog, wie auch Guzmán selbst, mit seiner Familie nach Paris.

    Die Mutter, Elena Maria Echenagucia, wird als sehr kultivierte Frau beschrieben, die zur Elite der venezolanischen Bourgeoisie gehörte. Sie war zwar Venezolanerin, stammte jedoch ursprünglich aus dem spanischen Baskenland. Beide Elternteile sollen musisch interessiert gewesen sein. Wenn man im 8. Arrondissement in Paris wohnt, befindet man sich nicht in der schlechtesten Gegend, und so fand Familie Hahn ohne allzu große Anstrengungen Anschluss an die Pariser Gesellschaft. Schon der sechsjährige Reynaldo wurde dazu eingeladen in den Salons zu singen, wie zum Beispiel bei Prinzessin Mathilde, der Cousine von Napoleon III. Wenn er da sang und sich selbst am Klavier begleitete, war das eine vergnügliche Sache, führte jedoch auch dazu, dass er später im seriösen Konzertsaal nicht so richtig ernst genommen wurde. Im Alter von acht Jahren hatte er einen italienischen Klavierlehrer, vielleicht auch Lehrerin - die Literatur ist sich da nicht einig - und man brachte ihm auch das Notenschreiben bei.


    Aufgrund seiner musikalischen Begabung studierte er am Conservatoire de Paris, wo der elfjährige Rynaldo Solfége, Harmonielehre, Kontrapunkt, Komposition und Klavier studierte; und von erstklassigen Lehrern wie Emile Decombes, einem Chopin-Schüler, Antoine Marmontel, Lucien Granjanny, Albert Lavignac, Theodore Dubois, Charles Gounod und Jules Massenet Unterricht erhielt. Auch unter seinen Mitschülern findet man einen heute in der Musikwelt bekannten Namen, nämlich Maurice Ravel. Bereits in seinen musikalischen Anfängen schrieb der 13-Jährige Stücke, die über den Tag hinaus Bestand hatten, wie zum Beispiel das Lied »Si mes vers avaient des ailes«. 1894 lernte Reynaldo Hahn den um drei Jahre älteren Marcel Proust im Salon der Malerin Madeleine Lemaires bei einem Musikabend kennen. Das an sich ungleiche Paar war recht schnell füreinander entflammt und Madame Lemaires lud die beiden jungen Leute auf ihr Schloss Réveillon an der Marne ein. Im Herbst 1895 unternahmen Hahn und Proust noch eine gemeinsame Reise in die Bretagne, ein Jahr später trübte sich die Beziehung etwas ein, aber eine lebenslange Freundschaft blieb erhalten, wie ein Konvolut von Briefen beweist, welche in einem eigenartigen Sprachduktus gehalten sind; auch wenn Proust Musik beschrieb, war Freund Reynaldo ein willkommener Berater. Hahn, der kein Stubenhocker war, sondern ganz schön herumkam, informierte seinen Freund Marcel auch darüber, was in der Welt da draußen so vor sich ging.


    Hahns erste Oper »L´ île du rêve« - die Insel der Träume ist Tahiti - ist typisches französisches Fin de Siécle, wurde 1898 uraufgeführt und erreichte große Aufmerksamkeit; es sollten noch fünf weitere Opernwerke folgen.1900 erzielte er mit seinem Liederzyklus »Les Études latines« einen außergewöhnlich großen Erfolg.

    1906 erlebte man Hahn beim Mozartfest in Salzburg, das aus Anlass des 150. Geburtstags von Wolfgang Amadeus Mozart veranstaltet wurde; Gustav Mahler dirigierte damals »Die Hochzeit des Figaro« und Reynaldo Hahn »Don Giovanni«, was aufzeigt, dass Hahn auch als Dirigent einen hohen Stellenwert hatte, denn auch Richard Strauss und Felix Mottl dirigierten bei diesen Festlichkeiten. Es versetzt in Erstaunen zu sehen, welches Sänger-Ensemble Hahn hier zur Verfügung hatte: Die Titelrolle sang Francisco d´ Andrade, Lilli Lehmann (Donna Anna), Johanna Gadski (Donna Elvira), Geraldine Farrar (Zerlina). Hahn war ja ein großer Mozart-Verehrer und schrieb zwanzig Jahre später so eine Art Musical über sein Idol, wobei er sich bereits als »seriöser« Musiker verabschiedet hatte.

    Reynaldo war zwar kein Franzose, hatte aber die französische Kultur so verinnerlicht, dass er nicht nur mit Proust, sondern auch mit einer großen Anzahl anderer erstrangiger Schriftsteller befreundet war. Ab 1909 wurde er offiziell zum Franzosen gemacht; er nahm die französische Staatsbürgerschaft an. Hahn betätigte sich auch literarisch, schrieb Essays, sogar Bücher - eines über Gesang - und arbeitete ab seinem 23. Lebensjahr bis zu seinem Lebensende als Musikkritiker, wobei er für sechs Zeitungen schrieb, zum Beispiel auch über die Pariser Erstaufführung des »Parsifal« im Januar 1914, als sich alle Welt die Freiheit nahm, das heißbegehrte Werk aufzuführen. Als im Juli des Jahres die friedlichen Jahre zunächst mal vorbei waren, tat Reynaldo seine patriotische Pflicht und trat, obwohl bereits in den Vierzigern, in die Armee ein und soll auch ganz vorne in den Schützengräben mit dabei gewesen sein, es gibt auch ein Foto von ihm, das ihn mit einer Waffe zeigt. Aber er soll auch ein Klavier in seinem Zelt gehabt haben und es wird berichtet, dass an der Front ein Liederzyklus nach Gedichten von Robert Louis Stevenson entstanden sei.


    Nach dem Ersten Weltkrieg, ab 1920, wurde Hahn Professor an der Ecole Normale de Musique in Paris. Einen überwältigenden Erfolg errang Hahn am 7. April 1923 im Théâtre des Variétés mit seiner Operette »Ciboulette«, was dann aber auch einen musikalischen Wendepunkt für ihn bedeutete, denn er wandte sich nun den leichteren Sachen zu und schuf wenig später in Zusammenarbeit mit Sacha Guitry die Comédie Musicale »Mozart«. Als 1940 die deutsche Wehrmacht in Frankreich einmarschierte, orientierte sich Reynaldo Hahn nach dem Süden des Landes, zunächst nach Cannes, dann nach Monte Carlo, und kehrte erst wieder 1945 nach Paris zurück, wo er Direktor der Pariser Oper wurde; 1946 unternahm er zusammen mit Magda Tagliaferro, mit der er befreundet war, eine letzte Konzerttournee durch Europa. Als Operndirektor konnte er nicht mehr viel bewirken, denn die ihm zur Verfügung stehende Zeit war zu knapp, Reynaldo Hahn starb im Januar 1947.


    Praktische Hinweise:

    Das Grabmal von Reynaldo Hahn befindet sich im hinteren Teil des Pariser Friedhofs Cimetière du Père-Lachaise / Division 85. Man geht vom Haupteingang auf der Avenue Principale eine Strecke von etwa gut 400 Metern geradeaus, bis zur querlaufenden Avenue Transversale 1, wo man sich nach links wendet und von dort dann wieder rechts abbiegend zur Avenue Transversale 2 gelangt, die das Gräberfeld 85 begrenzt. Dort findet man das Grab von Proust und noch etwas weiter Richtung Friedhofsende das Grab von Reynaldo Hahn. Wenn man den Friedhofseingang an der Rue des Rondeaux benutzt, sind es nur wenige Schritte zur Division 85, vis-á-vis dem Crématorium/Columbarium.

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  • Ernst Gruber - *20. Dezember 1918 Wien - † 24. August 1979 Berlin


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    Zum heutigen 40. Todestag des Heldentenors Ernst Gruber


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    Er war einer der letzten großen Heldentenöre, und das war sein Leben und Wirken:

    Als der kleine Ernst kurz vor Weihnachten in Wien geboren wurde, hatte er das »ideale« Datum nur um wenige Tage verfehlt, um als echtes Christkind gelten zu können. In seinem Geburtsjahr waren auch in Österreich gewaltige Dinge geschehen. Wien war zum Jahresanfang noch das Zentrum der Habsburgermonarchie gewesen und dann zur Hauptstadt einer geschrumpften Republik geworden und die Bevölkerung litt bittere Not; in diese äußeren Umstände wurde Ernst Gruber hineingeboren, drei Brüder waren schon vor ihm angekommen. Der Vater war Besitzer eines Hotels, die Mutter hatte die vier Jungs zu betreuen. Über die Volksschule gelangte Ernst zum Gymnasium und absolvierte dann zunächst eine Lehre in der traditionsreichen Wiener Kaffeefirma Meinl, welche schon damals auch soziales Engagement für ihre Angestellten zeigte und so auch einen betriebseigenen Gesangverein ermöglichte, in dem Ernst Gruber - man darf vermuten mit Kräften - mitsang; der Wunsch Sänger zu werden, war bei Gruber schon früh erwacht. Er ließ sich zunächst privat unterrichten. Diese erste Ausbildung erfuhr eine Unterbrechung als Gruber zum Militärdienst eingezogen wurde, wo er bis 1943 als Sanitätsunteroffizier Dienst tat. Im Anschluss daran setzte er sein Gesangsstudium an der Hochschule für Musik in Wien fort, wo seine Lehrer Karl Rössel-Majdan und Hans Depser waren.1945 schloss er sein Hochschulstudium ab.


    Sein Operndebüt absolvierte Gruber 1947 in der Rolle des Max im »Freischütz« am Grazer Opernhaus; schon damals konnten sich Fachleute vorstellen, dass hier ein Wagner-Sänger heranreift. Bereits in seinen Anfängerjahren gastierte Gruber international in der Schweiz und in Ungarn. Der Dirigent Hermann Abendroth war auf den jungen Tenor aufmerksam geworden und Gruber sah darin eine künstlerische Chance und siedelte nach Deutschland über, wie dies sein Landsmann Otmar Suitner dann Jahre später auch tat, bei dem es auch künstlerische Gründe waren, die ihn dazu bewogen in den östlichen Teil Deutschlands zu gehen. Gruber begann seine Sängerkarriere 1949 am Nationaltheater Weimar, wo er für drei Jahre blieb.
    Seit 1953 stand er dann auf der Bühne des Opernhauses in Leipzig als 1. Heldentenor, wobei ihm die Gelegenheit geboten wurde sich ein seiner Stimme zuträgliches Repertoire zu erarbeiten, und allmählich wurde er auch international bekannt. Damals gab es auch eine Gruppe Leipziger Gymnasiasten, die nach ihrem Unterricht um das Leipziger Opernhaus schlichen, um auch mal einen Blick auf den privaten, ungeschminkten und stattlichen 193-Zentimeter-Mann werfen zu können; als Indikator für die Anwesenheit ihres Idols im Opernhaus, diente der stattliche Horch P 240 »Sachsenring«, welcher vor der Oper parkte...


    In den 1950er Jahren hörte man Gruber zwar ein paar Dutzend Male als Don José oder auch als Pedro in »Tiefland«, wo er 41 Mal sein heldisches Timbre einsetzte, aber meist war er mit seiner kernigen Stimme als Heldentenor gefragt. Der bekannte Kapellmeister und Opernregisseur Joachim Herz stellte die Situation in der damaligen DDR so dar:


    »Wenn man über Wagner in der DDR spricht, muss der Name Ernst Gruber genannt werden. Wagner in der DDR hieß Ernst Gruber. Wo Ernst Gruber war, fand Wagner statt, und wo Ernst Gruber nicht war, fand Wagner nicht statt. Das galt für Leipzig, Dresden, die Berliner Staatsoper und die Dessauer Festspiele«, und Herz stellte weiter fest, dass Ernst Gruber allerdings für das Musiktheater nicht zu gewinnen war.


    Ab 1964 gehörte er zum Ensemble der Deutschen Staatsoper Berlin. Die Zahlen seiner Auftritte in den ganz großen Rollen sind beeindruckend (insgesamt trat er in 45 Opern auf): 143 Mal gab er den Florestan, Radames 133, Tannhäuser132, Max 119, Stolzing 108 ... - aber auch als Tristan tat Gruber 88 Mal Schwerstarbeit, gab 86 Mal einen strahlenden Lohengrin und war noch in vielen bekannten und auch weniger bekannten Rollen, wie zum Beispiel in Ermanno Wolf-Ferraris »Sly« zu hören, wovon es sogar noch eine Gesamtaufnahme als CD gibt. Aber man findet Ernst Gruber auch in der »Zauberflöte«, wo er 71 Mal als 1. Geharnischter auftrat. Die nüchterne Darstellung, dass Gruber ab 1964 der Deutschen Staatsoper Berlin angehörte, verbirgt jedoch, dass Ernst Gruber schon weit früher an der Staatsoper ein gefragter Tenor war; eigentlich schon im Ausweichquartier Admiralspalast, wo er Ende 1949 als Gast in der Rolle des polnischen Jesuiten Tschernikowski in einer festlichen Aufführung von »Boris Godunow« zu hören war; keine tragende Rolle, aber immerhin Staatsoper. Im November 1953 hörte man Gruber dann als von der Leipziger Oper kommenden Gast in der anspruchsvollen Rolle des Florestan und er hatte auch Elisabeth Rose, seine Leonore, zur Staatsoper Berlin mitgebracht. Eine Woche später stand Ernst Gruber bereits wieder auf der Staatsopernbühne, diesmal als Stolzing. 1954 gastierte er dann mehrmals als Stolzing und Florestan in Berlin.1959 wurde ihm als erstem Opernsänger der Kunstpreis der DDR verliehen.


    Gewiss hätte Ernst Gruber unter anderen politischen Gegebenheiten eine Weltkarriere gemacht, die so nicht stattfand, auch wenn er 1967 in Amerika sang; dass diese Stimme auch nach Bayreuth gehörte ist keine Frage, Leute, die etwas von der Sache verstehen, sahen in Gruber den legitimen Nachfolger von Max Lorenz. Einhard Luther, ein Insider in Sachen Wagner-Tenöre, gibt in seinem Buch »Keiner wie er« einen Einblick in die Bayreuther Vorgänge, als es dort um das Engagement Grubers ging. Luther berichtet als Zeitzeuge, dass auf dem grünen Hügel eine gewisse Anspannung herrschte, weil der Leipziger Rundfunk just zur Festspielzeit seine neue »Tannhäuser«-Aufnahme mit dem Titelhelden Ernst Gruber herausgebracht hatte. Der erfahrene und hervorragende Max Lorenz sah in Ernst Gruber einen legitimen Nachfolger, und so geschah es, dass Gruber an einem Vormittag eine hinreißende Romerzählung im Festspielhaus gestaltete. Luther schildert den Ablauf des Folgenden so:


    »Wieland Wagner bemühte sich auf die Bühne, murmelte einige wohl anerkennend gemeinte Worte und fragte nach einer fast peinlichen Pause, ob Gruber sich vorstellen könne, in Bayreuth Loge zu singen. Der hochgewachsene, schlanke Tenor sah den wesentlich kleineren Wagner-Enkel zunächst verblüfft, dann jedoch ironisch an, lachte schließlich verhalten auf und meinte, er messe gut zwei Meter; wie groß wohl die Riesen sein müssten? Der sichtbar beleidigte Wieland drehte sich wortlos um und verließ die Bühne«.
    Nach dieser Szene, die Lorenz aus der Kulisse beobachtet hatte, vertrat dieser dem Regisseur unerwartet den Weg und sprach ihm Kompetenz, Fachwissen und Urteilsvermögen ab und warf ihm kindische Eitelkeit sowie übersteigertes Geltungsbedürfnis vor; Wieland Wagner floh in sein Büro, wo die Tür geräuschvoll geschlossen wurde. Und Max Lorenz meinte dazu lapidar:


    »Was rege ich mich auf? So war Wieland schon vor zehn Jahren seiner Mutter, Heinz Tietjen und Wilhelm Furtwängler gegenüber: autoritär und diskussionsunfähig. Nur bei Onkel Wolf hat er gekuscht, der typische Schreibtischtäter: prädestiniert für heutige Opernregie«.

    Nach vielen groß gestalteten Gastspielen an der Berliner Staatsoper, hatte man Gruber dann fest an das Haus geholt, im Oktober 1962 sang er dort unter Heinz Fricke eine »Tannhäuser«-Premiere und gastierte immer wieder auch an anderen bedeutenden Häusern.


    Nachdem Gruber 1964 festes Ensemblemitglied der Berliner Staatsoper geworden war, lag es nahe auch den Lebensmittelpunkt nach Berlin zu verlegen. Der Sänger hatte in dem noch im Brandenburgischen gelegenen Neuenhagen, etwa knappe 25 Kilometer östlich von Berlin, am Ortsrand ein Haus erworben. In Leipzig hatte man Gruber zwar in Würdigung seiner Verdienste den Titel Kammersänger verliehen, es aber 1960 fertiggebracht zur Eröffnung des neuen Hauses mit »Die Meistersinger von Nürnberg« einen Stolzing aus dem sozialistischen Ausland zu holen, was bei vielen ständigen Besuchern des kriegsbedingten Ausweichquartiers im Haus Dreilinden einiges Unverständnis hervorrief, denn Gruber hatte hier einiges geleistet und war Publikumsliebling, auch jenseits des Wagner-Repertoires. Wenn er zum Beispiel als Manrico im »Troubadour« auf der Bühne stand, herrschten italienische Verhältnisse und die Bühnenregie musste stets den Szenenapplaus nach der spektakulären Arie einplanen. Oft musste am Ende solcher Vorstellungen der Eiserne Vorhang das Publikum vom Sänger trennen.


    Bedauerlich ist, dass man heute weder am Opernhaus Leipzig noch an der Berliner Staatsoper über den Sänger Ernst Gruber etwas weiß, Nachfragen waren ergebnislos. Ernst-Armin Pickert, der am Leipziger Opernhaus Ernst Gruber oft in seinen Paraderollen erleben konnte, blieb es vorbehalten, bei der lokalen Presse anlässlich des 100. Geburtstags des Sängers zu bewirken, dass eine öffentliche Würdigung stattfand.


    Ernst Gruber war 1970 durch den damaligen Ministerrat der DDR deutscher Staatsbürger geworden; einer Partei hatte er nie angehört. Wenn er neben seinem Beruf rein private Zeit abzweigen konnte, widmete er diese dem Fotografieren, wobei er Schmalfilme herstellte und Dias produzierte; die Herstellung solcher Erinnerungen war damals weit aufwendiger als heute. Ernst Gruber war Familienvater und hatte zwei Töchter. Ruth Gruber begleitete ihren Mann zu fast allen Gastspielen im In- und Ausland und führte genauestens Buch über seine Auftritte in Opern und Konzerten und dokumentierte Rundfunkaufnahmen ihres Mannes. Im Deutschen Rundfunkarchiv Wiesbaden sind zum Beispiel 43 Aufnahmen archiviert. Es war auch eine Schallplattenaufnahme von »Tristan und Isolde« geplant, in der Gruber als Tristan vorgesehen war, die jedoch wegen des Todes von Franz Konwitschny, der 1962 auf einer Konzertreise starb, nicht mehr realisiert werden konnte. Der Tristan war Grubers Paraderolle; wie die Fachpresse das sah, kann man in »Sächsisches Tageblatt« vom 29.03.1961 nachlesen:


    »Ernst Gruber erfüllt als Tristan jetzt höchste künstlerische Anforderungen. Gruber beeindruckt nicht nur durch den Glanz hoher Töne. Sein in allen Lagen ausgeglichener und tragender Tenor befähigt ihn zu einer expressiven Kraft, die sich noch im Aufflackern und den Fiebervisionen des todkranken Tristan im dritten Akt zu großartiger seelischer Bewegtheit entfaltet«.


    Bei solchen Leistungen ist der Körper eines Sängers hoch beansprucht; möchte ein Sänger vor Publikum und dem Dirigenten bestehen, muss er Interpretationen dieser Art immer und immer wieder abrufen können. Bei Ernst Gruber traten in den 1970er Jahren Herzprobleme auf, so dass er sich von den ganz großen Rollen langsam zurückzog. Diese Herzprobleme waren vermutlich Herzinfarkte, die als solche von den Ärzten nicht erkannt und behandelt wurden. Von einer kleinen Operation am Ellenbogen, die unter Vollnarkose stattfand, erwachte Ernst Gruber nicht mehr und verstarb. Die Ursache konnte nicht geklärt werden.

    An seiner Beisetzung auf dem kleinen Friedhof in Neuenhagen nahmen neben seiner Familie nur seine engsten Freunde und Bekannten teil, aber auch zwei seiner Bühnenpartnerinnen vom Leipziger Opernhaus. Von der Berliner Staatsoper wurde ein Kranz geschickt. Einen Nachruf in der Zeitung gab es nicht, weil die Verantwortlichen keine Information an die Presse gegeben hatten.



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    Friedhofseingang.


    Praktischer Hinweis:
    Friedhof 15366 Neuenhagen, Rudolf-Breitscheid-Allee 15. Linker Hand der Eingangstür erreicht man das an der Friedhofsmauer gelegene Grab
    .


    Anmerkung:
    Mein Dank gilt Rüdiger Winter, der mir den entscheidenden Tipp gab, wo das Grab zu finden ist.


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  • Das ist der mit großem Abstand beste Artikel, den ich jemals über Ernst Gruber gelesen habe.

    Herzlichen Dank dafür.

    Bist du, lieber hart, am Ende selbst einer jener Gymnasiasten gewesen?


    Danke auch für den Bericht über den Grabbesuch von Hans Beirer etwas weiter hinten.

    Weil du schreibst, dass über seine Jugendzeit wenig bekannt ist: Ich bekam eine Kassette, auf der Hans Beirer selbst über seine Jugendzeit erzählt. In den 80er-Jahren war anscheinend einmal eine Biographie geplant. Ich werde zu dem Thema bald etwas veröffentlichen.

  • Herzlichen Dank für diesen sehr lesenswerten Beitrag zu Ernst Gruber, zu dem ich jedoch noch einige kleine Anmerkungen habe:



    Im November 1953 hörte man Gruber dann als von der Leipziger Oper kommenden Gast in der anspruchsvollen Rolle des Florestan und er hatte auch Elisabeth Rose, seine Leonore, zur Staatsoper Berlin mitgebracht.

    Oder sie ihn? Schließlich hat die Rose schon seit 1947 (Debüt Antonia in "Hoffmanns Erzählungen") im Admiralspalast gastiert. Im Januar 1953 sang sie dort die Amelia im "Maskenball", Im April 1953 gastierte sie bereits als "Fidelio"-Leonore, Günther Treptow war ihr Florestan.

    1962 sang er dort unter Hans Fricke eine »Tannhäuser«-Premiere

    Bitte korrigieren in Heinz Fricke! Danke!

    Ernst Gruber war 1970 durch den damaligen Ministerrat der DDR deutscher Staatsbürger geworden

    Gab es damals noch eine "deutsche Staatsbürgerschaft"? In den 1980ern (früheres weiß ich nicht) stand in den DDR-Ausweisen: "Staatsbürgerschaft: DDR, Nationalität: deutsch". Er ist also Bürger der DDR geworden und hat einen DDR-Ausweis bekommen, richtig?

    Von der Berliner Staatsoper wurde ein Kranz geschickt. Einen Nachruf in der Zeitung gab es nicht, weil die Verantwortlichen keine Information an die Presse gegeben hatten.

    Nun sollte man auch nicht ungerecht sein: Als Gruber starb, waren noch Theaterferien. Auf der Rückseite der Besetungszettel der ersten Vorstellungen der neuen Spielzeit war dann ein ausführlicher Nachruf der Intendanz abgedruckt. Als die Information dann mit mehrtägiger Verspätung an die Presse ging, war sie den Zeitungen möglicherweise nicht mehr aktuell genug, zumal Gruber in den letzten Jahren seiner Ensemblezugehärigkeit ja mehr oder weniger ein Schattendasein fristete.


    Grubers Wechsel ins Ensemble der Deutschen Staatsoper Berlin 1964 erfolgte eigentlich zu spät. Hauptrollen hat er noch als Gast häufiger gesungen als danach. Schon die Übernahme der beiden Siegfried-Partien binnen weniger Tage überforderten ihn. Dann muss 1969 das berühmt-berüchtigte "Tristan"-Gastspiel in Warschau stattgefunden haben, bei dem er völlig einbrach. Danach durfte er keine großen Rollen mehr singen, zunächst noch den Geharnischten, aber die Rollen wurden immer kleiner, zuletzt stand in Partien wie Samiel und Haushofmeister, also reinen Sprechrollen, auf der Bühne.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

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  • Gab es damals noch eine "deutsche Staatsbürgerschaft"? In den 1980ern (früheres weiß ich nicht) stand in den DDR-Ausweisen: "Staatsbürgerschaft: DDR, Nationalität: deutsch". Er ist also Bürger der DDR geworden und hat einen DDR-Ausweis bekommen, richtig?

    Lieber Stimmenliebhaber,

    in Sachen Staatsbürgerschaft bin ich kein Spezialist, die von mir wiedergegebene Formulierung stammt von Ernst Grubers Tochter, mit der ich mehrmals sprach.

  • Dies weiß Wikipedia dazu:

    Zitat


    Die Staatsbürgerschaft der DDR wurde am 20. Februar 1967 durch das Gesetz über die Staatsbürgerschaft der Deutschen Demokratischen Republik (Staatsbürgerschaftsgesetz) eingeführt, das von der Volkskammer der DDR beschlossen wurde.

    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
    (Spruch über der Eingangstür des Rathauses zu Wernigerode)

  • Naja, dann ist ja klar, dass er die DDR-Staatsbürgerschaft erhalten hat. War ja eigentlich im Beitrag von hart klar, dass es nur die DDR-Staatsbürgerschaft sein konnte.


    Ernst Gruber war 1970 durch den damaligen Ministerrat der DDR deutscher Staatsbürger geworden

    Der Ministerrat der DDR hätte ja schlecht eine "gesamtdeutsche Staatsbürgerschaft" aussprechen können, sondern nur eine DDR-Staatsbürgerschaft. Und da das 1970 war und die DDR-Staatsbürgerschaft seit 1967 existierte, wie du dankenswerterweise durch deinen Beitrag klar gemacht hast, ist nun wirklich alles klar. :hello:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Inge Borkh - *26. Mai 1921 Mannheim - †26. August 2018 Stuttgart


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    Heute vor einem Jahr starb Inge Borkh


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    Heute ist es genau ein Jahr her, dass Inge Borkh nach einem langen und sehr erfüllten Leben starb. Sie wurde als Tochter eines Schweizer Diplomaten in Mannheim geboren und hatte auch dort ihre Kindheit verlebt. In einem Interview sagte sie einmal: »es ist meine Heimat, aber ich bin von dort vertrieben worden und musste mir unterwegs neue Freunde suchen. Mannheim hat heute überhaupt keine Bedeutung mehr für mich. Eigentlich wurde sie als Ingeborg Simon geboren, ihre Mutter, Grete Neumann, hatte bis zu ihrer Heirat zwei Jahre als Koloratursoubrette am Mannheimer Nationaltheater gesungen. Weil ihr Vater, Konsul Franz Simon, jüdischer Abstammung war, musste Inge nach vier Jahren Gymnasium Mannheim verlassen.


    Die Familie ging zunächst nach Genf; es waren keine armen Flüchtlinge, die da in die Schweiz kamen, der Vater war ein begüterter Kaufmann; man konnte sich einiges leisten und so bekam die vielseitig interessierte Tochter dann bei dem Schweizer Komponisten und Musikpädagogen Émile Jaques-Dalcroze Unterricht in Rhythmik, Improvisation und Klavier. Als die Familie nach Wien ging, wurde das verwöhnte Einzelkind wiederum von renommierten Leuten unterrichtet: Bei der Burgschauspielerin Margit von Tolnai gab es Schauspielunterricht, von Grete Wiesenthal wurde das Mädchen ans Ballett herangeführt und den Klavierunterricht übernahm die Pianistin Gertrud Wiesenthal. Bleibt zur Rundumausbildung noch der Gesang; das übernahm - zunächst - die Mutter, deren Mutter auch schon Sängerin war. Aber während kolportiert wird, dass es eigentlich schon vor der Geburt feststand, dass das Mädchen mal eine Sängerin werden wird, möchte Ingeborg nicht in die Fußstapfen von Mutter und Großmutter treten, obwohl sie schon seit vielen Jahren stets ihre Mutter gesanglich nachahmte und mit ihrer Naturstimme schon die Königin der Nacht drauf hatte.


    Genau passend zu ihrem Alter, beschloss das Kind nicht Sängerin, sondern Schauspielerin zu werden; 1936 bestand sie die Prüfung zum Artistenpass. Als freie Schauspielerin zog sie durch die Lande und trat bei privaten Veranstaltern auf. Das erste feste Engagement als Schauspiel-Elevin - noch als Inge Simon - trat sie in der Spielzeit 1937/38 am Theater in Linz an, wo man ihr Rollen zuwies, bei denen nur zwei oder drei Sätze zu sprechen waren. Schließlich kam noch eine Saison am Stadttheater Basel hinzu, denn mit dem Anschluss Österreichs musste die Familie wieder in die Schweiz zurück. Der Traum von einer großen Schauspielkarriere war dort bald ausgeträumt, der Regisseur des Hauses machte dem Vater deutlich, dass seine Tochter an einer Kochschule besser aufgehoben wäre.

    Es war der damals in Basel am Anfang seiner Karriere stehende Bassist Fritz Ollendorff, dem die gute Singstimme der Kollegin aufgefallen war und der den Eintritt in die Kochschule verhinderte. Ollendorff, der den Eltern dazu riet, ihre Tochter zu seinem Gesangslehrer Vittorio Moratti nach Mailand zu schicken. Zu diesem Zeitpunkt nahm Ingeborg neben ihrem Theaterengagement noch bei der Oratoriensängerin Helen Ott Gesangsunterricht und sagte in der Rückschau, dass das eigentlich ihr erster richtiger Gesangsunterricht gewesen sei und Frau Ott ihre wunderbare Technik auch an die Schülerin vermitteln konnte; aber Oratoriengesang war nun mal Ingeborgs Sache nicht.


    Also ging sie zu Moratti nach Mailand und war von ihrem Lehrer begeistert, der alles über Operngesang wusste, aber eigenartigerweise darauf bestand mit ihr Deutsch zu sprechen. Moratti war kein Technikfanatiker, seine Spezialität war es, die Leute »vorsingfertig« zu machen. Mit kräftiger Mitwirkung ihres Vaters kam es 1940 zu einem Vorsingen in der Tonhalle Zürich, woraus ein dreimonatiger Probevertrag in Luzern resultierte, was bedeutete, dass der Vertrag einfach auslaufen würde, falls sich für Inge Borkh - wie sie sich nun als Sängerin nannte - am Haus keine passende Rolle finden würde. Nach längerem Warten fand sich zumindest eine Rolle, wenn auch nicht ideal passend - nämlich die Czipra im »Zigeunerbaron«, eine alte Zigeunerin in entsprechend alter Stimmlage. Das Groteske dabei, die jüngste am Haus - Inge Borkh war damals 19 - schlüpfte in die Rolle der Ältesten auf der Bühne. In den folgenden Spielzeiten gab es dann anspruchsvollere Rollen, wie zum Beispiel: Pamina in »Die Zauberflöte«, Eurydike in »Orpheus und Eurydike«, Martha in »Tiefland«, Senta in »Der fliegende Holländer« ...


    Von 1945 bis 1951 war Inge Borkh Ensemblemitglied des Stadttheaters Bern, wo sie unter anderem die Lady in Verdis »Macbeth«, die Marie in »Wozzeck«, die Leonore in »Fidelio« und auch schon die die Titelrollen in Richard Strauss´ »Salome« und »Elektra«, die in ihrem späteren künstlerischen Leben eine so große Bedeutung haben sollten, sang. Bei einer »Salome«-Aufführung in Bern war sogar Richard Strauss anwesend und sprach von einer hervorragenden neuen Salome - von solchen Lobeshymnen machte Strauss ja reichlich Gebrauch -, gab aber auch den Hinweis: »aber sie soll net so viel machen, das ist ja all´s schon komponiert!«.


    In dieser Zeit war die junge Frau frisch mit einem Schweizer Rechtsanwalt verheiratet, den auch Inges Mutter akzeptierte, weil er Katholik war. So viele Rollen Inge Borkh auch beherrschte, die der Hausfrau und Mutter war ihr nicht auf den Leib geschneidert und sie spürte, dass das wohl nicht lange gut gehen würde.

    Während ihrer Berner Zeit hatte sie auch einige Male in Basel gastiert. So kam Inge Borkh zu der Rolle der Magda Sorel bei der Schweizer Erstaufführung von Menottis noch junger Oper »Der Konsul«. Namhafte Kritiker waren zu diesem Ereignis angereist und waren von der Darstellung dieser Magda Sorel so angetan, dass dies bis nach Berlin drang. Unter anderem kam auch von Heinz Tietjen eine Einladung zum Vorsingen. Es wurde eine »Fidelio«-Vorstellung auf Engagement, ihr Vater war begeistert und begleitete die Tochter nach Berlin. Veni, vidi, vici war da nicht; der damalige GMD der Städtischen Oper meinte zu der aufstrebenden Sängerin bei den Proben: »Singen Sie nur die Noten, das Gefühl machen wir!«.

    Tags darauf meinte Tietjen: »Also, besonders gut gesungen hast du gestern nicht, aber ich weiß, dass du mehr kannst. Und deshalb biete ich dir 40 Abende an.«


    Die Probearbeiten zum Berliner »Konsul« verliefen nicht ganz unproblematisch, aber letztendlich stand ein Werk hoher Qualität auf der Bühne und im »Münchner Merkur« war am 11. September 1951 zu lesen:


    »...und durch die Leistung der aus Zürich gekommenen Inge Borkh, der tosender, trampelnder Beifall auf offener Szene für ihre Darstellung dankte. Es bedurfte zum Schluss erst einer längeren Atempause, bis sich das Publikum aus seiner Erschöpfung löste und mit donnerndem Applaus dankte. Die Vorhänge waren fast nicht mehr zu zählen.«


    Heinz Tietjen baute Borgh in Berlin auf; eine »Salome« war enorm erfolgreich, in »Die Welt« vom 13. Mai 1952 brachte Werner Götting folgendes zu Papier:


    »Inge Borkhs Salome ist wohl das Großartigste, was man je auf einer Bühne erlebte: vom ersten Erscheinen auf der Szene bis zum Tod unter den Schildern der Soldaten formt diese Frau eine Gestalt von erschütternder Wahrhaftigkeit. Dieses Weib kann gar nicht anders, sie muss töten aus perverser Gier nach dem Unerreichbaren. Und wie ›singt‹ die Borkh diese eminent anspruchsvolle Partie! Da ist jeder Ton selbst in der Raserei der schauspielerischen Extase, selbst in der exponiertesten Höhe, selbst im Schrei schön. Schön im Sinne eines italienischen Belcanto-Tones, schön im Sinne einer berückend ausgesponnenen Gesangsphrase. Selbst die abgebrühtesten Theaterhasen erschauderten vor so viel Herrlichkeit.«


    Mit diesem Bravourstück gab die Berliner Oper ihr erstes Auslandsgastspiel in Paris. Inge war mit ihrem Vater vordem schon öfter in Paris gewesen und hatte durch ihren Genfer Lebensabschnitt auch keinerlei Schwierigkeiten mit der Sprache, aber es sollte ihr erster Auftritt außerhalb des deutschen Sprachraums werden. Max Lorenz erhielt von Inges Eltern den Auftrag auf die Tochter aufzupassen, Marcel Wittrisch und Margarete Klose waren mit von der Partie, Paul Schöffler sollte den Jochanaan singen, der jedoch erkrankte. Man suchte nach einem Ersatz, der jedoch nicht gefallen konnte, dann kam für diesen ein Ersatzmann, der nicht nur den musikalischen Ansprüchen genügte, sondern auch die verheiratete Salome-Darstellerin ganz privat beeindruckte.

    Der aus Stuttgart angereiste Ersatz- Jochanaan war der Mazedonier Alexander Welitsch; Inge Borkh teilte ihrem Ehemann mit, dass sie nicht mehr zu ihm zurückkehren wird, ein Entschluss, der schon während ihrer Berliner Erfolge gereift war, der Rechtsanwalt und die Sängerin lebten in zu unterschiedlichen Welten. Der wütende Ehemann übergab alle Alben, welche die stolze Mutter mit Kritiken und Erinnerungsstücken über die Jahre gesammelt hatte, dem Feuer.


    Für den gut katholischen Ehemann kam eine Scheidung eigentlich nicht infrage; das wurde eine langwierige Sache. Inge Borkh und Alexander Welitsch lebten in einer sogenannten »wilden Ehe«, was in den 1950er Jahren nicht so einfach war, einige Male verweigerte man dem Paar das Hotelzimmer. Sascha, wie sie ihn nannte, ging in seiner Männerrolle als Beschützer und Bestimmer voll auf. Er bestimmte wann ihre Autogrammstunde beendet wurde und drängte sie zu einer Absage an Karajan, weil er sich keinen anderen Jochanaan vor die Nase setzen lassen wollte. Problematisch war auch mitunter sich im Doppelpack zu »verkaufen«, denn sie war natürlich mit einigem Abstand die Gefragtere. Die beiden hatten viele Domizile, aber meistens war man ja unterwegs.


    Wie die Sängerin selbst sagte, habe sie »immer und überall und fast zu viel« gesungen; wollte man dies alles darstellen, würde es schnell unübersichtlich werden, aber einige wichtige Punkte seien zum bisher Genannten noch hinzugefügt: Debüt in München als Senta, 1953 als Elektra unter Solti in San Francisco , 1955 sang sie die Silvana in Respighis »La Fiamma« an der Mailänder Scala und im selben Jahr die Partie der Cathleen bei der Salzburger Uraufführung von Werner Egks »Irische Legende«. Nach einigem Hin und Her dann 1958 endlich das Debüt als Salome an der Metropolitan Opera New York. Inge Borkhs New Yorker Debüt fand nicht an der »Met« statt, sondern im Metropolitan Museum und in der Town Hall in einer konzertanten »Fidelio«-Aufführung. Dass es mit einem Engagement an die »Met« haperte lag daran, dass Rudolf Bing sie schon lang als Salome an sein Haus holen wollte, aber sich Inge Borkh davor fürchtete mit der legendären Ljuba Welitsch verglichen zu werden, weshalb sie sich an der »Met« lieber als Elektra vorstellen wollte, was wiederum daran scheiterte, dass Bing diese Oper überhaupt nicht mochte. Also war es erst im Januar 1958, als Inge Borkh - nun doch als Salome - unter dem Dirigat von Dimitri Mitropoulos ihr erfolgreiches Debüt an der Metropolitan Opera New York hatte und 1961 konnte sie schließlich doch noch ihre erste Elektra an der »Met« präsentieren. Es hatte sich für Inge Borkh so ergeben, dass sie immer mehr für die Darstellung hochneurotischer Frauengestalten gefragt war und viel Richard Strauss sang, was nicht alle Opernfreunde begeistert. Gerne hätte sie mehr Verdi gesungen, wodurch sie einem breiteren Publikum bekannt geworden wäre.


    Zu ihren Stimmlichen Möglichkeiten meinte sie einmal: »Ich war an sich eine lyrische Sängerin, mit Durchschlagskraft, mit einer gutsitzenden, weittragenden Höhe, aber ohne Hochdramatik, wie etwa die Nilsson sie besaß«. Sie erkannte, dass ihre Stimme von der Höhe kommt und ihr die profunde Mittellage fehlt, die für Wagner unbedingt notwendig ist. Obwohl Wieland Wagner aus ihr eine Isolde machen wollte, blieb es im Wagner-Fach bei Senta und Sieglinde; die kleine Partie der Freia kann man auch noch erwähnen, aber das war´s dann auch. Am meisten Aufsehen erregte sie in Bayreuth vermutlich, wenn sie mit ihrem Sportwagen und aufgedrehtem Radio den grünen Hügel hinauf sauste. Zu dieser Zeit tat sie bei den Proben nur das Notwendigste, um nur wieder recht schnellwieder zu ihrem Geliebten nach Stuttgart zu kommen.


    Da Inge Borkh viel Strauss sang, war sie als Sängerin häufig in ihrer Muttersprache unterwegs, war aber der Meinung, dass Opern wie zum Beispiel »Figaro« oder »Falstaff« in der Übersetzung beim Publikum besser ankommen und Über- oder Untertitel eher vom Bühnengeschehen ablenken, als dass sie eine wirkliche Hilfe wären. Die in Mode gekommenen Regieleistungen sah sie sehr kritisch und sprach von Kaputtmachern unserer Kulturlandschaft, war jedoch mit Harry Buckwitz ein Herz und eine Seele; Borkh wollte vom Musealen weg, keine leeren Gesten und Rampensingerei; ihr Markenzeichen war ja das der singenden Schauspielerin.


    Sie brachte eine Naturstimme mit in die Welt, Stimmkrisen kannte sie nicht; als sie dreißig war, konnte Inge Borkh auf allen großen Bühnen der Welt singen. Der hochdramatischen Isolde ging sie aus dem Wege, Kundry und Ortrud lehnte sie ebenso ab, weil sie der Meinung war, dass sie keine klassische »Hochdramatische« sei; schon Turandot fand sie für ihre Stimme grenzwertig, aber irgendwelche Ängste vor Tönen kannte sie lange nicht. Aber es kam der Tag, wo sie bei ihrer absoluten Paraderolle als Elektra bemerkte, dass es ihr Mühe bereitete die Cs zu produzieren; das war eine neue Erfahrung, die sie mit der Erkenntnis verknüpfte, unter diesen Umständen die Opernbühne zu verlassen. Nach einer ungewöhnlich stürmischen Überfahrt von Neapel nach Palermo, im März 1973, sang sie im Teatro Massimo unter dem Dirigat von Wolfgang Rennert noch sieben Vorstellungen ihrer Glanzrolle, dann verkündete sie, dass nun Schluss sei. Während andere Kolleginnen mit zunehmendem Alter ihre Rollen etwas anpassen - die Küsterin in »Jenufa« hätte sie noch lange singen können - zog Inge Borkh mit 52 Jahren einen Schlussstrich, nachdem sie 33 Opernjahre hinter sich gebracht hatte; diese ansehnliche Zahl kam zustande, weil sie sehr jung angefangen hatte.


    Für die nächsten zwei Jahre war sie nun frei von beruflichen Verpflichtungen und genoss das weitgehend freie Privatleben. Wie sie selbst sagte, vermisste sie die Bühne nicht, war aber noch so aktiv, dass sie noch kein Leben als Müßiggängerin führen mochte. Da kam es gelegen, dass der Lyceumclub in Basel - ein Zusammenschluss von Frauen, welche auf den Gebieten der Künste und sozial tätig sind - anregte einen Brecht-Abend zu geben, der mit Hilfe Ihres alten Freundes Buckwitz, welcher ein kompetenter Brecht-Kenner war, ein großer Erfolg wurde. Dieser Erfolg hatte sich dann bis zum Intendanten des Basler Stadttheaters herumgesprochen, der Inge Borkh beauftragte, ein Programm zur Eröffnung des neuen Stadttheaters auszuarbeiten; zur Vorbereitung stand ein ganzes Jahr zur Verfügung. Auch diese Sache wurde ein voller Erfolg, sodass der bekannte Kabarettist Emil Steinberger für eine Woche sein Theater in Luzern zur Verfügung stellte. Es war ihr gelungen den passenden Sprechgesang hinzubekommen und das Ganze wurde noch gesteigert, als ein neues Programm mit dem Titel: »Inge Borkh singt ihre Memoiren« aufgelegt wurde, das waren dann keine bekannten Chansons mehr, sondern eigens für sie komponierte Lieder, welche sie bei Werner Kruse und Gerhard Bronner bestellt hatte.


    In der Ausgestaltung ihres Lebensabends hatte das Künstlerpaar unterschiedliche Ansichten; während sich Inge auf den nun anders gearteten Bühnen pudelwohl fühlte, war Alexander froh, endlich seine Ruhe zu haben. Aber seine Gattin trat etwa nicht nur auf dem Brettl auf, ihr öffnete sich 1977 nach dem Tod von Elisabeth Flickenschildt auch noch das Thalia-Theater, und Boy Gobert wollte sie sogar mit nach Berlin ans Schiller-Theater nehmen. Von solchem Tun riet Sascha ab, also ließ sie es sein; aber etwas musste sie ja tun, also widmete sie sich der Nachwuchsförderung. Allerdings erteilte sie keinen Gesangsunterricht im üblichen Sinne, sondern es ging ihr um die Verbindung von Singen und Darstellen. In dieser Art arbeitete sie zunächst für einige Semester am Basler Konservatorium, dann wechselte sie zu August Everdings Münchner Singschule und taucht auch mal für kurze Zeit als Gast-Lehrerin am Mozarteum in Salzburg auf.


    Alexander Welitsch starb im Oktober 1991; das Paar wohnte in Stuttgart und der Schweiz. Mehr als drei Jahrzehnte wohnte sie im Stuttgarter Augustinum, war jedoch relativ selten dort anzutreffen, weil sie auch noch im hohen Alter sehr reisefreudig war. Natürlich hatten diese Reisen meist etwas mit Musik und Theater zu tun, sie hatte einige Lieblinge in der aktuellen Musikszene, denen sie nachreiste; die Dirigenten Waleri Gergijew und Mariss Jansons gehörten dazu, aber auch der Pianist Jewgeni Kissin und der Geiger Maxim Vengerov. Um auch noch eine Singstimme zu nennen - ein Liederabend von Christian Gerhager war ihr ebenfalls eine Reise wert. Viele hochbetagte Jahre durfte sie noch bei relativ guter Gesundheit erleben, aber als das Sehvermögen erheblich nachließ, war das schon eine erhebliche Einschränkung. An einem Sonntagmorgen ist Inge Borkh, die wohl berühmteste »Elektra«, im gesegneten Alter von 97 Jahren gestorben. Ihre letzte Ruhe hat sie auf dem Stuttgarter Ostfilderfriedhof gefunden, wo sie neben ihrem Mann bestattet wurde.


    Praktischer Hinweis:

    Ostfilderfriedhof Sillenbuch 70619 Stuttgart, Kirchheimer Straße 125A

    Am Eingangsbereich steht linker Hand die Trauerhalle, an der man vorbei geht und sich dann links hält, wo man nach wenigen Schritten zum Gräberfeld 76 kommt, die Felder sind mit gut sichtbaren Nummern gekennzeichnet.


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    Man geht an der Trauerhalle vorbei und hält sich links


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    Solche Steine bezeichnen die Gräberfelder

  • Lieber 'hart',


    ich lese Deine Beiträge stets mit großer Freude und staune über die vielen Details, die uns die Verstorbenen posthum so nahe bringen.


    Herzlichen Dank dafür!


    Carlo

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  • Auf der Rückseite der Besetungszettel der ersten Vorstellungen der neuen Spielzeit war dann ein ausführlicher Nachruf der Intendanz abgedruckt.

    Lieber Stimmenliebhaber,

    bei mir wurde nachgefragt, ob der Text dieses Nachrufs noch irgendwo zugänglich ist - also reiche ich diese Anfrage einfach an Dich weiter ...

  • Tja, ich fürchte, ich habe den damals beim Erfassen der Besetzungszettel nicht abgeschrieben (ich komme auch vorläufig nicht hin), aber wenn man sich in der Berliner Staatsbibliothek (Ost) die "Programme" (Besetzungszettel) der Deutschen Staatsoper Berlin für die Spielzeit 1979/80 in den Musiklesesaal bestellt, müsste man ihn relativ bald beim Blättern finden und lesen können.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Rudolf Wagner-Régeny - *28. August 1903 Sächsich Regen - †18. September 1969 Berlin


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    Zum heutigen 50. Todestag des Komponisten


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    Der Geburtsort des Komponisten liegt in Siebenbürgen und wird in vielfältiger Schreibweise, wie zum Beispiel »Reghin«, »Reen«, Szász-Regen ... angeboten; der Ort von etwa 8000 Einwohnern bestand aus einem transsylvanischem Völkergemisch und als Rudolf geboren wurde, hatte man noch kein elektrisches Licht in der Stadt; heute liegt der Ort im Zentrum von Rumänien.


    Der Musiker Rudolf Wagner hatte also einfach seinen Herkunftsort an seinen Namen angehängt und somit kundgetan, dass er der aus Regen stammende ist. Dieses Gemisch aus Deutschen, Ungarn und Rumänen hatte durchaus Einfluss auf seine Musik, als Beispiel seinen hier Bearbeitungen von »Zigeunerliedern aus der Tatra« und seine Oper »Johanna Balk« angeführt.


    Stolz schreibt Wagner-Régeny in seinen biografischen Aufzeichnungen: »Das Jahrhundert war drei Jahre alt, als ich an Goethes Geburtstag, am 28. August 1903 in Sächsisch Regen geboren wurde«.

    Als Rudolf zur Welt kam, war sein Vater 33 Jahre alt und die Mutter um zehn Jahre jünger; Rudolf war der Erstgeborene, es folgten ihm dann noch drei Brüder. Bis zu seinem fünften Lebensjahr bewegte sich das Kind primär im ungarischen Sprachraum, denn Rudolf wurde von den ungarischen Mägden betreut, weil die Mutter mit seinen ihm nachgeborenen Brüdern zu tun hatte. Der Vater hatte sich offenbar einen gewissen Wohlstand erarbeitet und ein größeres Haus erworben, in welchem dem Zehnjährigen auch ein Flügel zur Verfügung stand - Wagner-Régeny schildert das rückblickend so: »Das Klavier gehörte nicht mir, ich gehörte ihm«. Seine Gymnasialzeit absolviert er in Schäßburg (heute Sighișoara), einer auch heute noch dreisprachigen Stadt, die inzwischen zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt.


    Während seiner Schülerzeit trug der Klavierunterricht insoweit Früchte, dass der Knabe bei der sogenannten besseren Gesellschaft als Klaviervirtuose aus und ein ging. Inzwischen war der Krieg ausgebrochen und der Orgel spielende Lehrer war Soldat geworden, sodass man dem Jungen das riesige Instrument der evangelischen Kirche anvertraute, wobei er körperlich bedingte Schwierigkeiten hatte die tiefen Pedaltöne zu spielen. Das Violinspiel lernte er autodidaktisch auf der Geige seines Bruders. Am Gymnasium war nach den Kriegswirren 1918/19 ein »da capo« notwendig geworden, was jedoch den jungen Mann nicht groß grämte, weil für ihn feststand, dass er Musik studieren würde.

    Es ergab sich, dass er 1919 an seinem Geburtsort die Tochter des neuen Stadtpfarrers kennen lernte, die bei Robert Teichmüller in Leipzig Klavier studierte. Sie nahm sich des jungen Mannes an, wurde seine Lehrerin und bereitete ihn auf die Aufnahmeprüfung in Leipzig vor. Natürlich kam er in Teichmanns Klasse, aber die Nachkriegssituation in Leipzig war armselig und trist. Als der Student in den Weihnachtsferien in Berlin einen Freund seines Vaters besuchte, fand er dort weit attraktivere Verhältnisse, ein international geprägtes Flair vor.


    Also nichts wie da hin, um dort weiter zu studieren. In Berlin wandte er sich vom Klavierspielen ab und dem Dirigieren zu. Wagner-Régeny war nun unter anderen Schüler von Rudolf Krasselt, Friedrich Ernst Koch, Siegfried Ochs, Hermann Scherchen und Emil Nikolaus von Reznicek, aber nicht von Franz Schreker, wie oft zu lesen ist, Schreker hatte zwar das Rektorat der Hochschule übernommen, war aber dort eher selten anzutreffen, wie die Schüler bemerkten, welche sich ob seines dandyhaften Gehabens amüsierten.

    In dieser Zeit hatte Wagner-Régany im Grunewald ein behagliches Zimmer bei einer Akademikerwitwe. Seine Studien schließt er mit Auszeichnung und einem Kapellmeisterdiplom ab, ein Papier, für das sich nach dieser Prüfung niemand mehr interessierte. Rudolfs Vater hatte inzwischen sein Vermögen eingebüßt und auch die Inflation sorgte für groteske finanzielle Verhältnisse, die Aussichten waren nicht rosig. An eine große Musiker-Karriere war zunächst nicht zu denken, der Diplomierte fand sich als Tanz- und Kino-Pianist wieder, was auch einer finanziellen Durststrecke gleichkam.

    Für einige Zeit war Wagner-Regeny auch Mitglied der Großen Volksoper geworden, wo er es vom Vorhangzieher zum Ballettrepetitor, zum Solorepetitor und zuletzt bis zum stellvertretenden Chordirektor brachte; dann war das Haus pleite.


    Zum Ende seiner Studienzeit, es war im Mai 1923, hatte der Musiker eine um zehn Jahre ältere Frau auf einem Künstlerball im Völkerkunde-Museum kennen gelernt; es war die Malerin und Bildhauerin Léli Duperrex. Er zog in ihrer geräumigen Dachwohnung in der Berliner Waitzstraße ein und sie nannten ihr Domizil hochtrabend »Schloss Dachstein«, das sie bis zur Zerbombung 1943 bewohnten. Die Ehe mit Léli gab dem sehr sensiblen jungen Mann einen gewissen Halt.

    Lélis Vater war Franzose, die Mutter entstammte einer jüdischen Wiener Familie. Wenn die Dame des Hauses Gäste empfing, war es ihr möglich sich mehrerer Sprachen zu bedienen, ihr Französisch konnte der Gatte in späteren Jahren gut verwenden.


    Ein Anruf unterbrach jäh diese Lebensphase; es wurde angefragt, ob Wagner-Régeny Kapellmeister bei Rudolf von Labans Truppe werden wolle. Als sich dann beide im Berliner Ortsteil Halensee erstmals gegenüber standen, muss das so eine Art »Liebe auf den ersten Blick« gewesen sein. Also unternahm er mit Labans »Kammertanzbühne« Reisen, die ihn durch ganz Europa führten. Als Pianist begleitete er Laban am Flügel, komponierte aber auch Ballette, wenn das ganze Ensemble auftrat.

    In Gera traf Wagner-Régeny auf den theaterbegeisterten Erbprinzen Reuß, der ihm den Auftrag erteilte zwei Kurzopern für das Haus zu schreiben. Auf den Spielplänen standen damals schon Frühwerke von Weill. Im Dezember 1928 erlebten dann »Moschopulos« und »Der nackte König« ihre Uraufführung am Reußischen Theater zu Gera. Den 25-jährigen Komponisten streifte ein Hauch von Berühmtheit, denn aus allen Teilen Deutschlands wurde über die Aufführung berichtet, was Wagner-Régeny beflügelte sich weiter mit diesem Genre zu beschäftigen. In dieser Situation lernte er Brecht, Weill und Neher kennen. Wagner-Régeny war dann auch als musikalischer Berater bei der Verfilmung der »Dreigroschenoper« engagiert.


    Aus der ersten Begegnung mit Caspar Neher resultierte keine spontane Begeisterung füreinander, die Sache gedieh langsam, aber stetig. Die Anregung zur Zusammenarbeit kam von Kurt Weill, der seine Oper »Die Bürgschaft« nach einem Libretto von Neher komponiert hatte. Der Bühnenbildner und Schriftsteller Caspar Neher war ein Klassenkamerad von Bertolt Brecht, mit dem er dann später auch zusammenarbeitete. Nun kam es in den Folgejahren zu einer künstlerisch fruchtbaren Zusammenarbeit von Wagner-Régeny und Neher.


    Der Künstlerische Durchbruch gelang Wagner-Régeny mit seiner Oper »Der Günstling«, die am 20. Februar 1935 durch Karl Böhm an der Semperoper in Dresden erfolgreich zur Uraufführung gebracht wurde. Der Text stammte von Caspar Neher, welcher sich wiederum an Georg Büchners Übertragung von Victor Hugos »Marie Tudor« orientiert hatte. Neher hatte auch das Bühnenbild entworfen. Wagner-Régenys erste große Oper war in den folgenden sieben Jahren so erfolgreich, dass so um die 140 Aufführungen (die Angaben in der Literatur sind unterschiedlich) an hundert Bühnen in sechs Ländern gezählt wurden.

    Auch das Deutsche Landestheater in Rumänien führte diese Erfolgsoper im Naturtheater in Hermannstadt unter der Leitung eines Dirigenten, der sich Carl Gorvin nannte (und eigentlich Glückselig hieß), auf. Carl Gorvin war in Hermannstadt geboren und dann in späteren Jahren Kapellmeister an der Berliner Staatsoper.

    Zu dieser Aufführung lud man den Komponisten des Werkes, der inzwischen eine gewisse Berühmtheit erlangt hatte, ein. Wagner-Régeny verbrachte zusammen mit seiner Frau einige Monate in seiner alten Heimat. In Hermannstadt beendete er auch seine Komposition »Orchestermusik mit Klavier«, welche  durch Karl Böhm in Dresden erstmals aufgeführt wurde, mit dem Komponisten als Solist am Klavier. Es dürften die erfolgreichsten Jahre des Komponisten Wagner-Régeny gewesen sein.


    In den Jahren 1936 bis 1938 entstand die Oper »Die Bürger von Calais«, ein Werk in drei Akten, wobei Caspar Neher ein Libretto nach der »Chronique de France« schrieb. Die Uraufführung fand am 28. Januar 1939 an der Berliner Staatsoper unter der Leitung von Herbert von Karajan statt. Die politischen Verhältnisse waren damals so, dass man von Seiten der Kulturbehörde den pazifistischen Charakter des Werkes eher kritisch sah, was sich unter ganz anderen politischen Voraussetzungen 1952 wiederholte, als Ernst Legal, der Intendant der Berliner Staatsoper, Wagner-Régenys Werk, also »Die Bürger von Calais«, aufführen wollte. Hiermit ist dann auch schon thematisiert, dass Wagner-Régeny seine künstlerische Arbeit unter zwei totalitären Staatsformen der Öffentlichkeit präsentieren musste, aber diese Feststellung eilt der Zeit weit voraus.


    Wagner-Régeny war zu einem der führenden Komponisten aufgestiegen und stand auf Augenhöhe mit Werner Egk und Carl Orff. »Die Bürger von Calais« waren noch in Friedenszeiten aufgeführt worden, ein paar Monate später war Krieg, und in der Kriegszeit, nämlich am 4. April 1941, erlebte die Oper »Johanna Balk« in Wien ihre Uraufführung, ein Stoff nach einer Siebenbürger Chronik. Glaubt man Presseberichten, dann soll es der größte Theaterskandal der Hitler-Ära in Österreich gewesen sein; natürlich handelte es sich um ein Politikum, Goebbels wollte diese Aufführung unbedingt verhindern und Baldur von Schirach setzte die Premiere durch.


    Im Februar 1943 brachte der Briefbote schlechte Nachricht, man wollte aus dem sensiblen Musiker einen strammen Soldaten machen, der Stellungsbefehl war eingetroffen. Da war dann nicht nur das Kasernenleben und die Grundausbildung, bei der Wagner-Régeny eine denkbar schlechte Figur machte, sondern auch die Angst eines kommenden Fronteinsatzes.

    Dass die Dienstreise dann für ihn überraschend nach Paris ging, erschien ihm wie ein Wunder, aber es war keines, denn im Hintergrund hatte Baronin Gerta Louise von Einem, die Mutter des Komponisten-Freundes Gottfried von Einem - eine schillernde Persönlichkeit - die Fäden gezogen.

    In Paris erfuhr er, dass Werner Egk in Leipzig sein Ballett dirigieren wird und es wurde ihm ermöglicht bei der Uraufführung dabei zu sein. Es stand auch etwas über ihn in der Zeitung und sein Ansehen wuchs sowohl bei den niederen als auch den hohen Rängen. Aus medizinischen Gründen wurde er vom Schießen befreit.

    Nach Kriegsende fand man sich in Mecklenburg unter ärmlichen Verhältnissen wieder, die ersten Adressen waren Teterow, dann Güstrow; seine Frau Léli war schon seit einiger Zeit schwer erkrankt und starb 1946.

    In einem Brief vom 1.Januar 1948 konnte Wagner-Régeny an Caspar Neher von einer bejubelten Premierenaufführung seiner Oper »Johanna Balk« in Rostock berichten, bei der es 48 Vorhänge gab. Ansonsten hatte er sich - nach seiner eigenen Darstellung - vom Theater abgewandt und schrieb konzertante Stücke.

    Von 1967-1950 war der Komponist Direktor des Konservatoriums Rostock, das eine berufsausbildende Einrichtung, also eine Musikhochschule war.

    Wagner-Régeny strebte wieder nach Berlin und erhielt an der dortigen Musikhochschule eine Kompositionsklasse sowie eine Meisterklasse an der Akademie der Künste. Seine Opern wurden in der DDR wieder aufgeführt; es entstehen die späten Werke, wie zum Beispiel die Kantaten »Cantica Davidi Regis« und »Genesis« sowie das szenische Oratorium »Prometheus«, das seine Uraufführung 1959 anlässlich der Neueröffnung des Staatstheaters Kassel erlebte.


    Die Uraufführung seiner vorletzten Oper, »Das Bergwerk zu Falun«, fand bei den Salzburger Festspielen 1961 statt - drei Tage nach dem Mauerbau. Die Presse war nicht gut; der »Münchner Merkur« stellte fest, dass es der langweiligste unter allen Theaterabenden war und DER SPIEGEL berichtete über die Intensität des Publikumsbeifalls: »es klatschte nach Wagner-Régenys Premiere im Hinausgehen gerade lange genug, um sich aufzuwärmen und dem Komponisten Gelegenheit für eine eilige Verbeugung zu geben.« In der Presse fragte man auch scheinheilig: »Wer hat dieses Werk angenommen?« Es war eine rein rhetorische Frage, denn den Kulturjournalisten war wohlbekannt, dass das Herbert von Karajan war.


    »Persische Episode« ist die letzte Oper, die Wagner-Régeny nach einem Text von Caspar Neher komponierte, aber dazu ist zu bemerken, dass Brecht dieses Werk mächtig modifiziert hatte, wobei ihm die Politik intensiv beratend zur Seite stand - in der Literatur findet man die Meinung, dass diese Oper bis zur Unkenntlichkeit »verschlimmbessert« wurde. Als Wagner-Régeny und Neher das Stück 1940 konzipierten, hatten sie den Titel »Die Darmwäscher« gewählt. Die Uraufführung fand am 27. März 1963 in Rostock nun unter dem Titel »Persische Späße« statt.


    Wagner-Régenys Opernschaffen passte meist nicht in die politische Landschaft. So waren beispielsweise »Die Bürger von Calais« zur Zeit der Erstaufführung nicht opportun und die Kulturpolitik sorgte dafür, dass das Stück schleunigst von den Spielplänen verschwand.

    Wenn dann mal etwas Staatskonformes geschaffen wurde, war es kein Glanzstück und der Komponist war damit so unglücklich, dass er das Stück nicht in sein Werkverzeichnis aufnahm.

    Die Rede ist von einem Auftrag der NS-Kulturgemeinde im Jahre 1934; man war bestrebt die bekannte Bühnenmusik von Mendelssohn Bartholdy zu Shakespeares »Sommernachtstraum« durch ein neues Werk zu ersetzen, weil die Mendelssohnsche Musik »aus völkischen Gründen« nicht mehr haltbar sei. Man hatte bei den Komponisten Werner Egk, Gottfried Müller, Hans Pfitzner und Julius Weismann angefragt, aber nur Wagner-Régeny und Weismann machten sich ans Werk. Wagner-Régenys Version wurde am 6. Juni 1935 in Düsseldorf aufgeführt.


    Im neuen Staat erhielt Wagner-Regeny eine Professur, war ein angesehener Mann und wurde 1955 mit dem Nationalpreis der DDR für sein kompositorisches Gesamtwerk und seinen Beitrag zur künstlerischen Nachwuchsbildung ausgezeichnet. Allerdings zeigt das Procedere um die Aufführung seiner letzten Oper auch deutlich, welche Grenzen der künstlerischen Entfaltung ihm gesetzt waren.

    Im März 2018 war in der OSTSEE-ZEITUNG in großer Überschrift zu lesen: »Musikschule will Namen los werden«; und in einer Unterzeile zur Headline hieß es dann weiter: »Zu lang, heißt es im Konservatorium: ›Rudolf Wagner-Régeny‹ soll gestrichen werden«


    Zu dieser Namensgebung war es 1978 gekommen, weil damals alle Bezirks-Musikschulen aufgefordert wurden sich mit einem Namenspatron zu schmücken. Der damalige Direktor entschied sich für »Rudolf Wagner-Régeny«, weil berühmtere Namen wie »Johannes Brahms« bereits vergeben waren. In den maßgebenden Gremien gab es nun unterschiedliche Meinungen und entsprechende Diskussionen. Die Änderungsbefürworter argumentierten, dass Wagner-Regeny nur für drei Jahre in der Stadt war und daher keine Tradition zu begründen sei. Weiterhin wurde argumentiert, dass die heutige Schülergeneration den Namen überhaupt nicht mehr kennt ..., eine doch verwunderliche Argumentation!


    Der angesehene Musikwissenschaftler Professor Helmut Albert Fiechtner sagte einmal über Rudolf Wagner-Régeny: »Seine künstlerische Anständigkeit macht ihn allen Herren suspekt«.


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    Friedhofseingang


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    Lutherstandbild


    Praktische Hinweise:

    Dorotheenstädtischer Friedhof 10115 Berlin, Chausseestraße 126

    Der angebotene Flyer mit Friedhofsplan verzeichnet als einzigen Musiker nur das Ehrengrab von Hanns Eisler, aber das Grab von Rudolf Wagner Réneny ist leicht zu finden, wenn man vom Friedhofseingang aus auf das gut sichtbare Lutherstandbild zu geht. Dort wendet man sich nach links und steht nach knappen fünfzig Metern am Grab.

  • Lieber "hart",


    sei bedankt für deinen ausführlichen Beitrag zu Rudolf Wagner-Régeny.


    Drei kurze Anmerkungen meinerseits:


    Wagner-Régenys erste große Oper war in den folgenden sieben Jahren so erfolgreich, dass so um die 140 Aufführungen (die Angaben in der Literatur sind unterschiedlich) an hundert Bühnen in sechs Ländern gezählt wurden.

    140 Aufführungen an 100 Bühnen würde ja bedeuten, dass die meisten Bühnen nur eine einzige Vorstellung dieser Oper gespielt hätten, die wenigeren eine zweite (und wohl nicht viel mehr) - wenn diese Zahlen so tätsächlich stimmen sollten(!), hielte sich die daraus resultierende "Ehre" ja doch eher in Grenzen...

    Hiermit ist dann auch schon thematisiert, dass Wagner-Régeny seine künstlerische Arbeit unter zwei totalitären Staatsformen der Öffentlichkeit präsentieren musste

    Abgesehen davon, dass ich eine solch suggerierte Gleichsetzung zwischen dem "Dritten Reich" (das den Zweiten Weltkrieg, den schlimmsten Krieg in der Geschichte der Menschheit, begonnen hat und mit dem Holocaust den schlimmsten Völkermord in der Geschichte der Menschheit zu verantworten hat) und der DDR für höchst problematisch halte, stimmt diese Aussage auch sonst nicht: Wagner-Régeny MUSSTE nicht in der DDR leben und arbeiten, er hätte wie andere in den Westen gehen können. Er WOLLTE in der DDR leben und arbeiten!

    Der angebotene Flyer mit Friedhofsplan verzeichnet als einzigen Musiker nur das Ehrengrab von Hanns Eisler, aber das Grab von Rudolf Wagner Réneny ist leicht zu finden

    Erstaunlich, zumal Paul Dessau auch dort liegt - und mindestens ein halbes Dutzend andere Komponisten! Aber ich habe dieses Grab immer problemlos gefunden, es liegt ja im zentralen Bereich des Dorotheenstädtischen Friedhofs, unweit der Gräber on Brecht, Becher, Eisler und Dessau.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Mein lieber Stimmenlibhaber,

    zugegeben, der Begriff »Erfolg« kann durch einzelne Personen unterschiedlich interpretiert werden und das an Zahlen festzumachen ist immer etwas problematisch. Problematisch wäre es auch - des Umfangs wegen - alle meine Quellen hier auszubreiten, weshalb ich das mal auf eine Publikation beschränke.


    In dem Buch von Claudia Maurer Zenck:

    Neue Opern im »Dritten Reich« Erfolge und Misserfolge,

    wird bezüglich des Werks »Der Günstling« auf Seite 44 von einem großen Erfolg gesprochen, der sowohl dem Libretto als auch der Komposition zugeschrieben wurde. Dort heißt es dann weiter:»So erlebte ›Der Günstling‹ in drei Spielzeiten, d. h. bis zum Ende der Saison 1936/37, 136 Aufführungen; danach wurde es drei Spielzeiten lang auf keiner Bühne gegeben. Die Oper wurde aber auch nach Kriegsbeginn noch gegeben: im Oktober 1940 in Kassel (insgesamt 3 Aufführungen). Anfang Mai 1942 mit großem Erfolg (fünfmal im selben Monat) in Wuppertal und sogar noch einmal im März 1944, wenn auch sozusagen weit vom Schuss, nämlich in Teplitz-Schönau ...«


    Zum Punkt »totalitäre Staatsformen«

    In einem anderen Thread wurde kürzlich in einer von mir als widerlich empfundenen Art politisch diskutiert, so dass ich das hier nicht kopieren möchte. Wenn Du glaubst, dass dieser Staat ein Hort der Freiheit war, dann sollte Dir diese persönliche Sicht gestattet sein. Mir ging es übrigens nicht darum ob Wagner-Régeny die DDR hätte verlassen können oder nicht, klar hätte er in Salzburg bleiben können ... mir ging es um primär Künstlerisches, zum Beispiel an der »Herumfriemelei« seiner letzten Oper, was ich mit dem Passus:»wobei ihm die Politik intensiv beratend zur Seite stand« äußerst zurückhaltend beschrieben hatte.


    Aber ich habe dieses Grab immer problemlos gefunden

    Das glaube ich Dir aufs Wort, aber vielleicht gibt es andere Menschen, die von irgendwo her kommen und damit etwas anfangen können ...

  • Lieber "hart",


    Wenn Du glaubst, dass dieser Staat ein Hort der Freiheit war, dann sollte Dir diese persönliche Sicht gestattet sein.

    Das glaube ich nicht und ich habe ähnliches nie behauptet. Ich verwahre mich nur gegen eine Gleichseitzung von NS-Staat und DDR aus den beiden von mir bereits erwähnten Gründen (Weltkriegstreiberei und Holocoust). Dass der eine Staat im Gegensatz zum anderen ein "Hort der Freiheit" war, habe ich wie gesagt nicht behauptet und ich bitte doch sehr darum, mir nicht Aussagen zu unterstellen, die ich so nicht getätigt habe! Vielen Dank!

    mir ging es um primär Künstlerisches, zum Beispiel an der »Herumfriemelei« seiner letzten Oper, was ich mit dem Passus:»wobei ihm die Politik intensiv beratend zur Seite stand« äußerst zurückhaltend beschrieben hatte.

    Dieser Hinweis von dir war und ist auch sehr berechtigt. Andere "Staatskünstler" wie Hanns Eisler waren doch viel übler dran, der durfte seine geplante "Faust"-Oper nämlich nicht komponieren, weil schon der Text abgelehnt wurde, weshalb Eisler ein opernloser Komponist blieb. (Soviel zum Thema, ich hielte die DDR für einen "Hort der Freiheit"...)

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Célestine Galli-Marie - *15. März 1837 Paris - †22. September 1905 Vence


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    Zum heutigen Todestag der »Ur-Carmen« Célestine Galli-Marié


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    Mit den exakten Lebensdaten von Célestine Galli-Marie tut man sich schwer, denn dazu liegen die unterschiedlichsten Verlautbarungen vor. Das Sängerlexikon Kutsch/Riemens nennt als Geburtsdatum der Sängerin zum Beispiel: »November 1840« und viele Publikationen schreiben das da ab; entsprechend weit ist das dann auch verbreitet.

    Nach Durchsicht vieler französischer Quellen muss man jedoch zu der Ansicht gelangen, dass der 15. März 1837 stimmend sein könnte. In der Hauptsache geht es aber schließlich um die Bedeutung dieser Person in der Musikgeschichte und hier kann man sich darauf verlassen, dass die Überlieferungen stimmen und sich nur in Nuancen unterscheiden.


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    Die »Ur-Carmen« in einem Bild von Henri-Lucien Doucet aus dem Jahr 1884


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    Célestine Galli-Marié privat


    Célestine war die Tochter des Sängers Félix Mécène Marié de l´Isle; eine Urkunde gibt den Hinweis, dass die Mutter aus Frankfurt am Main stammte und dass die Eltern zum Zeitpunkt der Geburt ihrer Tochter Célestine noch nicht verheiratet waren. Félix Mécène Marié de l´Isle, welcher sich in Paris sowohl an der Opéra-comique als auch an der Grand Opéra als Tenor einen Namen gemacht hatte und später als Bariton seine erfolgreiche Karriere fortsetzte, bildete seine Tochter Célestine selbst aus. Auch Célestines Schwestern waren Sängerinnen in unterschiedlichen Genres geworden; Schwester Paola war ebenfalls eine bekannte Opernsängerin und Irma war Operettensängerin.


    Unter dem Namen Célestine Marié debütierte die Sängerin 1859 in Straßburg, heiratete aber bald darauf den Bildhauer Galli und führte dann den Bühnennamen Célestine Galli-Marié. Die Ehe hatte nur relativ kurze Zeit Bestand, der Gatte verstarb zwei Jahre nach der Eheschließung.


    Am Opernhaus in Rouen sang sie 1860 die Rolle der Léonor de Gusmann in Donizettis »La favorite« und war aber auch am Teatro Nacional de São Carlos in Lissabon zu hören, wo sie in den Jahren 1860/61 tragende Rollen in Werken von Donizetti, Flotow, Pacini, Rossini und Verdi in italienischer Sprache sang.

    Danach war Célestine Galli-Marié wieder an der Opéra de Rouen zu hören, wo sie unter dem Dirigat des damals zwanzigjährigen Jules Massenet in der französischen Erstaufführung von »La Bohémienne« die Rolle der Zigeunerkönigin sang - im Original trägt diese Oper des irischen Komponisten Michael William Balfe den Titel »The Bohemien Girl«. Dass sie einmal eine ganz berühmte Zigeunerin-Darstellerin werden wird, konnte damals noch niemand ahnen.


    Èmile Perrin - eigentlich Maler von Beruf und in Rouen geboren - war für einige Zeit Direktor der Opéra-comique und hatte die Sängerin in seiner Heimatstadt entdeckt und an seine Oper nach Paris engagiert. Als Serpina in »La Serva padrona« von Pergolesi konnte sie ein glänzendes Debüt feiern und stieg rasch zur Primadonna des Hauses auf. In diesem Status wirkte sie 1864 in der Uraufführung der Oper »Le Capitaine Henriot« von Francois-Auguste Gevaert und einigen anderen Opern mit, die heute kaum noch bekannt sind.


    Einen bedeutenden künstlerischen Schritt tat Marié-Galli in der Rolle der Kindfrau Mignon in der gleichnamigen Oper von Ambroise Thomas; es war die 17. und erfolgreichste Oper des Komponisten und Galli-Marié konnte diesen überwältigenden Erfolg mit genießen, was natürlich auch ihren Bekanntheitsgrad förderte. Die Uraufführung von »Mignon« fand am 17. November 1866 an der Opèra-comique statt.

    Ihren musikgeschichtlich bedeutendsten Beitrag leistete sie als erste Darstellerin der Carmen in Georges Bizets gleichnamiger Oper, die 1875 in Paris zur Uraufführung kam. Eigentlich war vorgesehen, dass die Titelrolle von der renommierten Sängerin Marie Roze gesungen wird, aber diese nahm von der Rolle drei Monate vor der Uraufführung Abstand; so wie die Sache zunächst lief, darf man vermuten, dass die Dame um ihren guten Ruf fürchtete, denn Bizet brachte etwas völlig Neues auf die Bühne; siebzehn Jahre später sang Madame Roze - nachdem die Oper enorm erfolgreich war - die Rolle der Carmen an der Kroll-Oper in Berlin.


    Im Vorfeld der Aufführung war Operndirektor Camille du Locle alles andere als begeistert und fragte: »Mérimées Carmen? Wird sie nicht von ihrem Liebhaber umgebracht? - Ein Tod auf der Bühne der Pariser Opéra comique. So etwas hat es noch nie zuvor gegeben. Nie!«

    Die Oper basierte auf einer Novelle von Prosper Mérimée.


    Bizet hatte im Frühjahr 1874 die Komposition der »Carmen« abgeschlossen. Am 2. Oktober hält er die erste Verständigungsprobe mit der nach vielem Zureden neu gewonnenen Hauptdarstellerin Célestine Galli-Marie, welche durch ihre Titelrolle in Ambroise Thomas »Mignon« ein gewisses Renommee mitbrachte, ab. Als José war der prominente Tenor Lhérie vorgesehen. Man ging also nicht leichtfertig an diese neue Oper heran, sondern versuchte beste Qualität abzuliefern. So wird von Hunderten von Proben berichtet, davon 81 mit den Sängern. Es war so Usus, dass die an der Opéra-comique aufgeführten Werke etwas schlichterer Art waren als die an der Grand Opéra, weshalb es zu Protesten von Chor und Orchester kam, die sich überfordert fühlten, also sah sich der Komponist genötigt, einige Chorpassagen zu streichen.

    Georges Bizet war 36 Jahre alt und hatte neue Ideen eingebracht, hatte echte Menschen auf die Bühne gestellt, die Publikum und Kritikern nur schwer zu vermitteln waren. Der überwiegende Teil der Kritiker - und auch das Publikum - monierte, dass die Carmen-Darstellerin ihre Rolle viel zu realistisch verkörpert, was man nicht schicklich fand und viele empfanden auch die Musik zu schwierig und intellektuell.

    Aber gerade diese Art der Darstellung forderte Bizet von seinen Protagonisten: »mehr Realismus, zu einem Mittelweg kann ich mich nicht verstehen«, meinte er. Bizet war nicht gewillt, Details an seiner Oper oder der Inszenierung zu ändern, um dem Publikum zu gefallen. Der Oper »Carmen« war bei der Uraufführung kein großer Erfolg beschieden, die anfängliche Begeisterung nahm von Akt zu Akt rapide ab, was für die beifallsgewohnte Marié-Galli sicher auch eine unangenehme Situation war. »Carmen« war zwar nicht durchgefallen, aber das neue Werk wurde mit einer reservierten Kühle aufgenommen. Dessen ungeachtet folgen noch vor der Sommerpause - bei steigenden Besucherzahlen - 37 weitere Aufführungen. Am Tag der 33. Aufführung, es war sein Hochzeitstag, der 3. Juni 1885, stirbt Georges Bizet. Es wurde erzählt, dass die Carmen-Darstellerin während der 33. Aufführung nach der Kartenszene die Bühne verließ und ohnmächtig wurde.


    Der eigentlich große Erfolg der Oper begann dann am 23. Oktober 1875 in Wien, nachdem der Verlag eine neue Fassung mit Ballett und Rezitativen von Ernest Guiraud erstellen ließ. An diesem Tag lief es in Wien gerade umgekehrt als bei der Pariser Uraufführung, denn die Begeisterung steigerte sich von Akt zu Akt. Aber die Rezitativfassung dürfte nicht der ausschlaggebende Grund der enthusiastischen Aufnahme in Wien gewesen sein, und die moderne Forschung meint sogar, die Rezitativfassung sei nicht vor 1880 eingeführt worden. Wie dem auch sei, das Stück eroberte die Welt und ist populär bis in unsere Zeit.


    Die Rolle der Carmen wurde bald zur Traumrolle aller weiblichen Stimmlagen, blieb also nicht nur den Mezzosopranistinnen vorbehalten, wie ursprünglich vorgesehen. Während nun »Carmen« außerhalb Frankreichs immer mehr gespielt wurde, war in Paris nach fünfzig Vorstellungen zunächst einmal Schluss. Erst acht Jahre später erschien »Carmen« dann wieder auf der Bühne der Opéra-comique mit der Koloratursopranistin Adele Isaac, was eine Fehlbesetzung war, die es nur auf siebzehn Aufführungen brachte.

    In der Zwischenzeit war Célestine Galli-Marié in Europa als gefeierte Sängerin unterwegs gewesen. Als sie dann am 27. Oktober 1883 wieder die Bühne der Opéra-comique betrat, feierte man schon 1885 die hundertste »Carmen«-Aufführung an der Opéra-comique; es war eine Gala-Aufführung. In diesem Jahr beendete sie eigentlich ihre große Karriere an diesem Haus; kehrte jedoch fünf Jahre später noch ein letztes Mal zurück, um George Bizet zu ehren.


    Am 11. Dezember 1890 stand die Crème de la Crème auf der Bühne; neben Célestine Galli-Marié als Carmen, sang Nellie Melba die Micaela, Jean de Reszke gab den Josè und Jean Lassalle war in die Rolle des Escamillo geschlüpft. Die Künstler hatten sich zusammengefunden, um einen Beitrag zur Errichtung eines Denkmals für Georges Bizet zu leisten.

    Das Sängerlexikon Kutsch/Riemens schreibt zu Célestine Galli-Marié:


    »Sie galt als eine der größten Darstellerinnen unter den Opernsängerinnen ihrer Zeit. Ihre Gestaltung der Carmen hat Maßstäbe gesetzt, die bis in die Gegenwart gültig geblieben sind« - allerdings wurde das vor ein paar Jahren so formuliert ...


    In den diversen Kurzbiografien - eine ausführliche gibt es nicht - steht in aller Regel, dass sie sich nach Vence bei Nizza zurückzog. Einmal heißt es: »Sie starb an einer Herzkrankheit in ihrer Villa in Vence«.

    Da gibt es aber eine französische Zeitschrift vom 19. März 2017, die in fetter Überschrift auf das Schicksal der einst so Gefeierten in ihren letzten Jahren hinweist. Zunächst wird in dem Artikel das wohl richtige Sterbedatum, nämlich der 22. September 1905, genannt. Weiterhin ergab die Recherche, dass die Sängerin dort für alle unbekannt im »l`hospice des Dominicaines à Vence« starb. Sie lebte unter dem Namen Madame Delaur und war die letzten Jahre mittellos.

    Als sie bemerkte, dass ihre stimmlichen Kräfte schwanden, zog sie sich in den Süden zurück, um dort nach all dem Trubel ihrer spektakulären Auftritte ihren Ruhestand zu genießen. Sie hatte zum zweiten Male geheiratet und führte den Namen Delaur; niemand in ihrer Umgebung wusste, dass das einmal eine berühmte Sängerin war. Monsieur Delaur frönte dem Glücksspiel, war ruiniert und starb 1901.

    Anscheinend hatte man ihre Familie gefunden, die sie nach Paris brachte, in die Stadt ihrer großen Triumphe, wo sie auf dem Cimetiére Pére Lachaise bestattet wurde, in unmittelbarer Nachbarschaft von Bizet. Aber das war nicht ihre letzte Ruhestätte, sondern nur die vorletzte. In den 1990er Jahren hatte man ihre Grabstätte aus Versehen aufgelassen und die sterblichen Überreste in ein Ossuaire (Beinhaus) verbracht. Man steht hier also nicht vor dem Grab der »Ur-Carmen«; die Inschrift bezeichnet ein Kenotaph, also ein Scheingrab. Hier erinnert man sich an Psalm 103, 15-16.


    Praktischer Hinweis:

    Der Gedenkstein für Célestine Galli-Marié befindet sich im vorderen Teil des Pariser Friedhofs Cimetière du Père-Lachaise / Division 57. Man geht vom Haupteingang aus auf der breiten Avenue Principale eine Strecke von etwa gut 100 Metern geradeaus, und wendet sich dann etwa 30 Schritte nach links, um gleich wieder rechts in die Avenue latérale Nord, die zunächst am Gräberfeld (Division) 58 entlang führt und dann am Feld 57 bis zur quer laufenden Avenue Neigre kommt, wo man sich nach links wendet und nach wenigen Schritten vor dem Kenotaph in der zweiten Reihe steht. Die Gesamtstrecke vom Haupteingang aus beträgt etwa 300 Meter.


    Ergänzende Informationen:

    Einhundert Meter Luftlinie vom Grab Georges Bizets entfernt, hatte man 1905 seine erste Carmen bestattet. Auch das Grab von Bizet, welches sich gegenüber dem Feld 57 in Division 68 befindet, ist nicht mehr das, was es einmal war. Dort, wo nun Blumendekor zu sehen ist, war bis 2006 eine Büste, die gestohlen wurde.


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    So sah das Grabdenkmal bis 2006 aus.

  • Rudolf Wagner-Régeny


    50. Todestag des Komponisten

    Letzten Sonntag war ich mal wieder auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof und habe auch wieder beim Grab von Wagner-Régeny vorbeigeschaut, das übrigens auch ein Ehrengrab ist. Auf dem Grab lag ein Blumengebinde mit zwei Schleifen, eine in den Farben schwarz-rot-gold und eine mit Berliner Fahne (inklusive Bär). Auf einer Schleife stand "Der Regierende Bürgermeister der Stadt Berlin". Offenbar wurde dieses Blumengebinde am 50. Todestag auf das Ehrengrab gelegt.

    Ob der Regierende Bürgermeister selbst am Grab war und ob er überhauüt weiß, wer Wagner-Régeny war bzw. überhaupt schon mal eine Note Musik von ihm gehört hat, das wage ich alles zu bezweifeln.

    Der angebotene Flyer mit Friedhofsplan verzeichnet als einzigen Musiker nur das Ehrengrab von Hanns Eisler, aber das Grab von Rudolf Wagner Réneny ist leicht zu finden, wenn man vom Friedhofseingang aus auf das gut sichtbare Lutherstandbild zu geht. Dort wendet man sich nach links und steht nach knappen fünfzig Metern am Grab.

    Wenn man mit Friedhofseingang den linken am Brechthaus meint (meistens wird doch der des Französischen Friedrichstadtfriedhofes, hinter dem direkt Gräber liegen un düber den man auch auf den Dorotheenstädtischen kommt, als eigentlicher Eingang wahrgenommen), dann führt diese sandige Weg in der Tat auf dieses Lutherstandbild, insofern ist dieses in der Tat eine gute Orientierung, wenn man tatsächlich gerade dieses Grab sucht und bewusst ansteuern möchte. Die "knapp fünfzig Meter" scheinen mir aber stark übertrieben, ich würde behaupten, dass es nicht mal 30 Meter sind, eher 20 als 30.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Wenn man mit Friedhofseingang den linken am Brechthaus meint

    Mein lieber Stimmenlibhaber,

    um ganz deutlich zu machen, welcher Friedhofseingang gemeint ist, hatte ich keine Mühen gescheut und von diesem ein Foto gemacht und diesem Beitrag beigefügt.


    Die "knapp fünfzig Meter" scheinen mir aber stark übertrieben, ich würde behaupten, dass es nicht mal 30 Meter sind, eher 20 als 30.

    Sag´ mal - soll das Satire sein?

    Wenn Du vermutest, dass der Regierende Bürgermeister überhaupt nicht weiß, wer Wagner-Régeny war bzw. überhaupt schon mal eine Note Musik von ihm gehört hat, dann darf ich vermuten, dass Du auf zu großem Fuße lebst ...

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  • Sag´ mal - soll das Satire sein?

    Nein, das sollte der Versuch einer sachlichen Reaktion auf deinen Beitrag zum Komponisten sein, nachdem ich selbst am Grab war - aber ich merke leider einmal mehr, dass es nahezu unmöglich ist, mit dir zu kommunizieren, weil du hinter jedem Satz einen Angriff witterst. :no:


    Dein eingestelltes Foto vom Friedhoseingang hatte ich in der Tat übersehen, sorry, aber mein Hinweis, dass es für den Französischen Friedrichstadtfriedhof einen zweiten Eingang gibt, der als eigentlicher Eingang wahrgenommen wird und von den meisten genutzt wird, um auf den Dorotheenstädtischen Friedhof zu gelangen, ist deshalb trotzdem nicht falsch.


    Und was der Quatsch mit dem "auf zu großem Fuße" soll? Oder glaubst du, der Regierende kennt das Werk des Geehrten? Egal, es hat einfach keinen Sinn...

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Bei meinem letzten Besuch in Paris zum Besuch von La Traviata habe die Gelegenheit genutzt, das Grab von Rose Alphonsine Plessis > Marie Duplessis > Marguerite Gautier > Violetta Valery zu besuchen. Dort haben noch einige andere Berühmtheiten die letzte Ruhestätte gefunden


    bdsmlr-419703-hEPaUax7cF.JPG Montmarte Friedhof


    bdsmlr-419703-2OgdDvTuU2.PNG Marie Duplessis

    https://cdn09.bdsmlr.com/uploads/photos/2019/10/419703/bdsmlr-419703-aTTMlxpLf1.PNG


    bdsmlr-419703-KpedDBO6eB.PNG Familie Adolphe Sax

    bdsmlr-419703-G2DCxlMBZ9.PNGDer Erfinder des Saxophons


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    Es grüßt Vera

  • Liebe Vera,

    schön, dass auch andere Friedhofsbesucher hier mal Fotos einstellen und diesen Thread mit am Leben halten. Da ich die meisten Pariser Friedhöfe recht gut kenne, ist es mir ein Bedürfnis, zu den eingestellten Bildern noch einige nützliche Details hinzuzufügen, die vielleicht allgemein interessieren könnten.


    Fangen wir mal bei Alphonsine Plessis an, die 1824 in einem Dorf der Normandie in Armut geboren wurde. Als 15-Jährige kam sie nach Paris, wo sie sich zunächst als Wäscherin und Putzmacherin durchschlug und ein gänzlich anders Umfeld kennenlernte, ein Kontrastprogramm zu dem ärmlichen kleinen Dorf in der Normandie.

    Ein wohlhabender Pariser Kaufmann fand das Mädchen begehrenswert und richtete ihr eine kleine Wohnung ein; erstmals schnupperte sie am Luxus. Aber sie tat auch etwas für ihre Bildung und lernte nicht nur Männer kennen, sondern auch Lesen und Schreiben. Zudem lernte sie auch Klavierspielen. Nun änderte sie noch ihren Namen und war fortan Marie Duplassis; sie war in der Pariser Gesellschaft angekommen.

    Als Franz Liszt 1845 nach Paris kam, lernte er auch Madame Duplassis kennen. Als Liszt die Dame kennenlernte, war sie zwar schon schwer an Tuberkulose erkrankt, aber der Pianist, damals Mittdreißiger, beschrieb seine neue Geliebte als die vollkommenste Verkörperung der Frau, die es jemals gegeben habe. Ihre Zeitgenossen rühmten ihr ovales, blasses Gesicht, ihre schwarzen Haare und überroten Lippen; ihre ganze Erscheinung sei zart wie chinesisches Porzellan gewesen. Über einige Monate sollen die beiden unzertrennlich gewesen sein. Gerne hätte sie Liszt noch auf einer langen Konzerttournee begleitet, was dieser jedoch ablehnte.


    Als Marguerite Gautier hat sie ihren großen Auftritt im Roman »Die Kameliendame« (La dame aux camélias) von Alexandre Dumas dem Jüngeren. Im realen Leben von Alexandre Dumas war sie vor Franz Liszt für etwa ein Jahr dessen Geliebte gewesen. Der Roman erschien 1848, da war Dumas 24 Jahre alt. 1852 wurde die Geschichte in ein Bühnenstück umgearbeitet und hatte ebenso großen Erfolg. Schließlich interessierte sich auch noch Giuseppe Verdi für den Stoff, denn er hatte die Uraufführung des Stückes bei seinem Aufenthalt in Paris erlebt. Nicht so erfolgreich war dann die Uraufführung von »La traviata« im März 1853 in Venedig, denn dass eine Kurtisane, die an Tuberkulose leidet, zur Hauptfigur einer Oper wird, war der damaligen Gesellschaft nur schwer zu vermitteln. Dass diese Oper bis heute immer wieder erfolgreich aufgeführt wird, braucht man hier eigentlich nicht zu betonen.


    Wer das Grab von Alphonsine Plessis besuchen möchte, benutzt am Cimetiére Montmartre am günstigsten den Eingang Avenue Rachel. Man wendet sich gleich am Eingang (WC) nach links, wobei man sowohl den Weg Chemin Saint-Eloy als auch die Avenue Saint-Charles benutzen kann. Beide Wege führen zunächst am Gräberfeld (Division) 16 entlang, dann kommt man zum Gräberfeld 15 und findet dort das Grab von Alphonsine Plessis. Auch Alexandre Dumas ist auf diesem Friedhof bestattet, aber ein ganzes Stück weg, in Division 21, am Weg Avenue de Montmorency.


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    Adolphe Sax, der eigentlich Antoine-Joseph Sax hieß, wurde in Dinant, einem kleinen Städtchen mit imposantem Felsen, im wallonischen Belgien, am Ufer der Maas, 1814 geboren. Er war eines von 11 Kindern. Der Vater war Kunsttischler; 1835 zog die Familie nach Brüssel, etwa hundert Kilometer von seinem Geburtsort entfernt. Dort eröffnete der Vater eine Instrumentenbau-Werkstatt. Der Filius studierte am Brüsseler Konservatorium. In der väterlichen Werkstatt widmete sich der Sohn vorrangig der Weiterentwicklung vom Klarinette und Bassklarinette. Eine finanzielle Goldgrube war die Werkstatt nicht, denn das Experimentieren mit neuen Instrumenten kostete Geld. Also machte sich Sax Junior 1842 auf nach Paris, nahm ein neues, von ihm entwickeltes Sopransaxophon mit und erregte damit bei bekannten Musikerpersönlichkeiten wie Halévy, Auber und Berlioz einiges Aufsehen. Durch diese Herren bestärkt, baute Sax nun Saxophone in acht verschiedenen Größen, wobei er auch auf Erfahrungen seines Vaters zugreifen konnte. Es entstanden Trompeten, Hörner, Tuben ...

    Das alles war auch Giuseppe Verdi zu Ohren gekommen; so entstand speziell für Verdis neue Oper die »Aida-Trompete«, ein etwa 1,5 Meter langes Instrument mit durchdringendem Ton, wie Opernbesucher wissen.


    1846 erhielt Sax in Frankreich für seine Instrumente ein Patent und machte Furore als sein Instrument in die französische Militärmusik eingeführt wurde. Das alles sieht nach einer Erfolgsgeschichte aus; seine Werkstatt soll an die hundert Mitarbeiter gehabt haben, die 20.000 Instrumente fertigten. Ein dauerhafter wirtschaftlicher Erfolg war ihm jedoch nicht beschieden.

    1857 wurde Sax Saxophon-Lehrer am Pariser Konservatorium und ab 1858 wurde er Direktor des Bühnenorchesters der Pariser Oper.


    So erfolgreich das Saxophon auch in der Militärmusik war - König Louis Philippe hatte einen Wettstreit zwischen einer herkömmlichen und einer mit Sax-Instrumenten ausgestatteten Militärkapelle ausgerufen, bei dem sich Sax-Instrumente durchsetzten - durch den Niedergang des französischen Militärs ging die Nachfrage nach Saxophonen ab 1870 erheblich zurück. Die Sax-Instrumente hatten sich auch unter militärischen Gegebenheiten besser bewährt, denn sie waren robuster gegen Temperatur- und Feuchtigkeitsschwankungen. Dieser Erfolg rief eine Menge Neider auf den Plan, sodass Sax in viele Prozesse gegen die neidische Konkurrenz verwickelt wurde, die er zwar immer gewann, aber auch finanziell geschwächt aus diesen hervor ging. Die Aktivitäten seiner Gegner gingen sogar so weit, dass sie seinen Diener umbrachten, der das Pech hatte, seinem Herrn ähnlich zu sehen. All dies beeinträchtigte seine Gesundheit. Schon viele Jahre vor seinem Lebensende, es war 1867, schrieb er:

    »Ich beklage, dass ich nur einige Stunden des Friedens in einem von Sorge verschlungenen Leben erreichen konnte«.


    In der breiten Gesellschaft stieß das Instrument lange dergestalt auf Ablehnung, dass die Töne als Gewinsel, Geschnarre und Gequäke empfunden und mit etwas anrüchigen Milieus assoziiert wurden. In Deutschland war zum Beispiel während der Nazizeit die Situation so, dass einerseits der »Deutsche Frauenbund gegen die Entartung des Volkslebens« ein Verbot des Instruments forderte, aber andererseits das Musikkorps der stolzen Luftwaffe das Saxophon mit höchster Billigung zum Klingen brachte. Den eigentlichen Durchbruch erzielte das Instrument mit der Entwicklung der Jazz-Szene in den 1930er Jahren vor allem in Amerika.


    Dieser durchschlagende und anhaltende Erfolg seines Instrumentes kam für Adolphe Sax zu spät; er starb am 7. Februar 1894 verarmt in Paris.


    Wer das Grab von Adolphe Sax auf dem Cimetiére Montmartre besuchen möchte, findet dies in Division 5, das ist praktisch diagonal gegenüberliegend von Division 15 am äußersten Ende des Friedhofs. Vom Eingang an der Avenue Rachel geht man auf den Kreisel zu und wendet sich nach links zur Avenue de la Croix, dann weiter geradeaus zur Avenue Travot. Von dort aus wendet man sich nach rechts und geht die Avenue du Tunnel bis fast zur Friedhofsgrenze. Aus gegebenem Anlass verzichte ich auf Entfernungsangaben.



    Zum Grab von Hector Berlioz findet man Angaben im Thread-Beitrag Nr. 604

  • Zum 170. Todestag


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    Frédéric Chopin - *1. März 1810 Zelazowa Wola - † 17. Oktober 1849 Paris

    Zwar ist der Geburtstag nicht eindeutig geklärt und es wird auch noch der 22. Februar genannt, was der offiziellen Eintragung im Geburtsregister entspricht, aber in der Familie wurde stets Fryderyks Geburtstag am 1. März gefeiert und Fryderyk gab auch immer dieses Datum als seinen Geburtstag an. Offensichtlich hatte sich Vater Mikolaj, der selbst die Formalitäten in der Gemeinde erledigte, mit dem Datum verheddert; er soll sich sogar in seinem eigenen Geburtsdatum geirrt haben. Dies alles rückt den Vater scheinbar in kein gutes Licht, aber er war kein Hallodri, wie man vermuten könnte, sondern immerhin Hauslehrer der besseren Gesellschaft und fand später eine Anstellung als Professor an einem Warschauer Lyzeum, das in der Stadt den besten Ruf hatte.

    Auch mit dem Taufpaten des kleinen Fryderyk gab es Schwierigkeiten, weil dieser zum Zeitpunkt der Taufe, die erst am 23. April stattfand, als Student in Paris weilte und sich bei der Zeremonie vertreten lassen musste. Vom Geburtsort ist bekannt, dass das kleine Dörfchen im damaligen Herzogtum Warschau lag. Der Vater war Franzose und Justyna, seine Frau, war Polin.


    Nur wenige Monate nach Fryderyks Geburt zog die Familie nach Warschau. Fryderyk war kein Einzelkind; schon drei Jahre vor ihm war eine Schwester geboren und 1811 kam noch eine Schwester hinzu, und 1812 eine weitere Tochter, die Chopins waren nun zu sechst. In Warschau lebte die Familie in einem Palais unter gehobenen Verhältnissen und in unmittelbarer Nachbarschaft von Universitätsprofessoren und Wissenschaftlern.

    Die Kinder lernten im Rahmen des Unterrichts zwar die französische und deutsche Sprache - des Vaters Wurzeln reichten ja nach Lothringen - aber im täglichen Umgang sprach man in der Familie Polnisch.

    In der Familie wurde Hausmusik gepflegt, wobei Justyna am Klavier saß und auch mal ihren Sopran erklingen ließ, Vater Mikolaj nahm Geige und Flöte zur Hand; das Repertoire bestand aus populären Tänzen, Liedern und leichten klassischen Stücken.

    Natürlich wurden auch die Kleinen von den Eltern an die Musik herangeführt. Zunächst weinte der kleine Junge zwar, wenn seine Mutter Klavier spielte, aber recht bald erwachte sein Interesse an den Tasten so stark, dass er kaum von dem Instrument wegzubringen war. Als »Frycek« sechs Jahre alt war, hatte er alle seine Geschwister an Fingerfertigkeit und dem Nachspielen gehörter Melodien überflügelt. Diese Entwicklung blieb den Eltern nicht verborgen und sie engagierten einen sechzigjährigen Musiklehrer, der in die Häuser kam und Privatunterricht erteilte. Der Siebenjährige bewältigte den Unterricht mühelos und ging oft über die ihm gestellten Aufgaben weit hinaus. Bald zeigte sich auch seine ungewöhnliche Begabung zum Komponieren. Dennoch reiften bei den Eltern keinerlei Ambitionen aus dem Knaben ein Wunderkind zu machen. Der erste öffentliche Auftritt des Jungen resultierte aus einem Vorschlag der Gräfin Zofia Zamoyska, dass der Junge bei einem Konzert zugunsten der Armen in Warschau sein Talent zeigen sollte, wo der nun Achtjährige neben anderen Instrumentalisten und Sängern in einem bunten Programm auftrat. Dieses erste öffentliche Auftreten fand am 24. Februar 1818 auf der Theaterbühne des Razewill-Palastes in Warschau statt. »Chopinek«, wie man ihn nun zu nennen begann, fand in den besten Gesellschaftskreisen Beachtung und wurde von der aristokratischen Elite als schmückendes Beiwerk ihrer Salons benötigt. Vor seinem Elternhaus fuhren elegante Wagen vor, um den Jungstar in die Paläste zu bringen. Sein Bekanntheitsgrad in der Hauptstadt stieg enorm und man verglich ihn bald mit Mozart. Wenn wichtige Personen in die Stadt kamen, wurde »Chopinek« ihnen vorgestellt, er war zu einer Attraktion der Stadt geworden. Das alles geschah in einer finanziell und kulturell gut ausgestatteten Blütezeit, in welcher Warschau auf mehr als 100.000 Einwohner gewachsen war. Auch der junge Chopin war gewachsen und überragte seinen alten Lehrer Zywny nun auch musikalisch, sodass dieser ab 1822 zu der Ansicht gelangte, dass er seinen Schüler nicht noch weiter voranbringen konnte; er stellte den Unterricht ein und blieb dem Hause Chopin freundschaftlich verbunden.


    Im Hause der Chopins verkehrten eine Menge Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Kunst, darunter auch erstklassige Musiker, wie zum Beispiel Wilhelm Würfel, der den interessierten Jungen deutlich weiter brachte, auch indem er ihn mit dem zeitgenössischen Klavierrepertoire vertraut machte, das er unter seinem ersten Lehrer nicht kennenlernen konnte; der »Style brillant« hatte das Interesse des jungen Chopin geweckt. In diesem Stile stellte er ein Konzertprogramm zusammen und beeindruckte zum Beispiel Anfang 1822 mit einem Klavierkonzert von Ferdinand Ries, wobei zu erwähnen ist, dass er nicht zum Gelderwerb auftrat, auch hier war es eine Konzertreihe für wohltätige Zwecke.


    Den Sommer 1823 verbrachte der nunmehr Dreizehnjährige mit seinen Eltern in Zelazowa Wola, wo er geboren wurde, danach stand der Besuch des Lyzeums an, nachdem er bisher im häuslichen Umfeld unterrichtet wurde. Dennoch war das kein großer Schritt ins Unbekannte, denn er wohnte nur wenige Schritte von der Schule entfernt und die dort unterrichtenden Lehrer waren ihm seit Jahren wohlbekannt; neu war lediglich, dass er in der vorgeschriebenen blauen Uniform zu erscheinen hatte. Bei seinen Mitschülern war Fryderyk anerkannt, schon weil er öfter in der Zeitung stand, aber auch weil er parodistische Fähigkeit hatte und zudem durch zeichnerisches Talent Karikaturen zeichnen konnte. Neben all diesen schulischen Aktivitäten kam die Musik keineswegs zu kurz, üben im üblichen Sinne brauchte er nicht und widmete sich immerzu dem »Style brillant« und seinen Variationen.


    Aber schon zu dieser Zeit sind gesundheitliche Probleme bekannt; als er 1824 seine Sommerferien 150 Kilometer von Warschau entfernt mit einem Schulfreund auf dem Land verbrachte, war das mit der Auflage verbunden eine strenge Diät einzuhalten; er durfte nicht von dem im Dorf üblicherweise gebackenen Brot essen, ihm wurden im wahrsten Sinne des Wortes eigene Brötchen gebacken. und er musste Tabletten zu sich nehmen, um an Gewicht zuzulegen. Die Krankheit lag wohl in der Familie, denn Chopins hochbegabte Schwester Emilia starb mit vierzehn Jahren an Tuberkulose.

    Als er im Juli 1826 das Lyzeum beendet hatte, was nicht ganz den Vorschriften entsprach, denn eigentlich hätte er noch ein Jahr dranhängen müssen, um zu einem ordentlichen Abschluss zu kommen, begann er sein Hochschulstudium bei Józef Elsner, der eine zentrale Figur in Warschaus Musikleben war, ihn schon länger betreute und unbedingt in seiner Klasse haben wollte. Im Herbst 1826 schrieb sich Chopin in die Klasse für »Musiktheorie, Generalbass und Komposition, betrachtet in grammatischer, rhetorischer und ästhetischer Hinsicht« ein; in die Klavierklasse trat er erst gar nicht ein, weil er wusste, dass er der beste Pianist in der Stadt war. Neben seinem Musikstudium besuchte Fryderyk aber auch noch Vorlesungen in Geschichte und Literatur, wobei literarische und künstlerische Strömungen zur Sprache kamen, die man Romantik nannte.


    Inzwischen war Fryderyk achtzehn Jahre alt geworden und hatte bisher noch nichts von der großen Welt gesehen. Eine geplante Reise nach Wien, die mit dem Vater angesacht war, kam nicht zustande, aber plötzlich tat sich eine Möglichkeit auf mit einem Warschauer Professor nach Berlin zu reisen. Nach fünftägiger Reise mit einer Hochgeschwindigkeits-Kutsche (Diligence) erreichten sie Berlin. Dort hatte der Professor so viel mit seinem Fachgebiet zu tun, dass sich für den in Berlin völlig unbekannten Chopin keine Möglichkeit bot mit namhaften Musikern vor Ort in Kontakt zu kommen.


    Als Szopen Fryderyk - sein Lehrer Elsner verwendete diese polonisierte Namensform in seinem Bericht an das Ministerium - neunzehnjährig sein Hochschulstudium abschloss, bezeichnete ihn Józef Elsner - weit vorausblickend - in seinem Abschlusszeugnis bereits als Genie. Es war nun allen wichtigen Personen um ihn herum klar, dass der junge Mann sich nun im Ausland umsehen musste. Fryderyks Vater stellte beim Ministerium den Antrag, die Mittel für eine dreijährige Studienreise, die nach Deutschland, Frankreich und Italien führen sollte, zu gewähren. Nach einigen Diskussionen höheren Orts, wurde der von Mikolaj untertänigst unterzeichnete Antrag abgelehnt. Justyna und Mikolaj Chopin waren der Ansicht, dass ihr fleißiger und begabter Sohn dennoch eine Belohnung verdient habe. Mikolaj Chopin steckte seinem Sohn etwas Reisegeld zu und schickte ihn mit einem halben Dutzend Leuten aus dem Bekanntenkreis nach Wien. Seine Entourage war von dem Gedanken beseelt, dass Fryderyk in Wien unbedingt ein Konzert geben sollte, was jedoch keineswegs im Sinne Chopins war. Aber es kam zu einer Begegnung mit Tobias Haslinger in dessen Notensalon, wo ihm Fryderyk vorspielte. Haslinger war der Ansicht, dass der Notendruck nur Sinn mache, wenn sich der hier unbekannte Künstler in einem Konzert präsentiere; ein solches kam dann auch zustande und war ein beachtlicher Erfolg, was noch in Presseberichten nachzulesen ist.


    Eine weitere, länger währende und weiterreichende Abreise aus Warschau war geplant; wurde aber immer und immer wieder aus den unterschiedlichsten Gründen hinausgezögert. Dann kam der große Abschied von Warschau, es war der 2. November1830, ein Dienstag; die Presse berichtete groß davon. Fryderyk reiste zusammen mit seinem Freund Tytus Woyciechowski über Breslau, wo Chopin ungeplant konzertierte, und Dresden nach Wien, wo sie schließlich am 23. November eintrafen. In Erinnerung an sein letztes Wiener Konzert, hatte sich Chopin ausgemalt, dass man ihn hier sehnsüchtig erwarten würde - aber dem war nicht so, also sahen sich die beiden Freunde mal um, was andere Künstler so zu bieten hatten. In den ersten Dezembertagen erreichte sie die beunruhigende Nachricht, dass in Warschau eine Revolution ausgebrochen war und die beiden Freunde berieten sich, ob sie nicht nach Warschau zurückreisen sollten, aber Tytus reiste alleine zurück und Fryderyk blieb - seine Musikerkarriere im Blick - in Wien. Aber die Tatsache, dass er Pole war und dies eher herauskehrte als verbarg, erhöhten seine Chancen in Wien nicht und er sann darüber nach, dass er wohl in Paris bessere Karten hätte. Eine ins Auge gefasste Weiterreise nach Italien war auch bald kein Thema mehr, weil im Februar in Norditalien blutige Unruhen ausgebrochen waren. In Wien selbst wartete Chopin ganze sieben Monate bis endlich nach vielen Terminverschiebungen aus den verschiedensten Gründen sein Auftritt am 11. Juni im Rahmen eines Wohltätigkeitskonzertes erfolgte, also spielte er ohne Honorar, nur damit er mal wieder in Wien öffentlich gespielt hatte. Ein Honorar wäre nicht schlecht gewesen, denn die von den Eltern gefüllte Reisekasse war besorgniserregend geschrumpft. Die Abreise Chopins aus Wien gestaltete sich wegen der notwendigen Reisepapiere recht schwierig, aber schließlich konnte er mit einer Ausreisegenehmigung nach Bayern endlich losfahren. In München kam frisches Geld vom Vater und ein Konzert brachte gute Kritiken und auch etwas Geld in Chopins Reisekasse. Parallel zu dieser Reise verfolgte der stets begeisterte Pole die Ereignisse in seiner Heimat und war in Stuttgart am Boden zerstört, als er von der Niederlage erfuhr.


    Als Chopin im Herbst 1831 in Paris eintraf, war Heinrich Heine schon seit Mai des gleichen Jahres in der Stadt. Paris war gerade in dieser Zeit ein Anziehungspunkt für viele ausländische Künstler, aber die musikalische Romantik tat sich doch etwas schwer. Paris besaß drei Opernhäuser auf hohem Niveau und Rossini, Cherubini, Boieldieu, Auber, Halévy und andere gaben den Ton an. Symphonien und Kammermusik spielten keine große Rolle, aber virtuose Klaviermusik im »style brillant« fand Beachtung. Der Neuankömmling war von der Pariser Opernwelt sehr beeindruckt, ja geradezu entzückt, bezeichnete aber renommierte Musiker wie Cherubini und Reicha schon mal als »ausgetrocknete Hintern«. Mordsmäßig beeindruckt war Chopin von den pianistischen Fähigkeiten des Friedrich Kalkbrenner; da begann er sogar an der Qualität seines eigenen Klavierspiels zu zweifeln. Aber Kalkbrenner setzte seine ganze Autorität ein, um diesem jungen Polen den Weg zu ebnen. Kalkbrenner hatte sofort erkannt, dass dieser junge Mann all seine bisherigen Schüler übertraf und erwartete etwas Ruhm und Glanz für sich, wenn er Chopin als seine Entdeckung und seinen Schüler der staunenden Öffentlichkeit präsentieren konnte.

    Diese Entwicklung betrachtete sein alter Lehrer Elsner aus der Ferne mit größtem Misstrauen und drängte Fryderyk zum komponieren; zum komponieren von Opern, um sich dadurch »unsterblich« zu machen, da der Virtuosen-Ruhm irgendwann verflogen sei. Chopin sah sich schon immer primär als Komponist, aber obwohl er das Genre Oper gut kannte, galt seine Lieber der Komposition von Klavierwerken.

    Ende 1831 kam auch Mendelssohn Bartholdy nach Paris und blieb den ganzen Winter dort; zwischen Mendelssohn und Chopin entstand eine Freundschaft und eine noch engere Verbindung hatte Chopin zu dem Frankfurter Ferdinand Hiller; und wenn schon von Freundschaften die Rede ist, muss natürlich auch Franz Liszt genannt werden, der sich bereits 1825 in Paris niedergelassen hatte. Liszt und Chopin bewunderten sich gegenseitig über das was sie nicht besaßen, denn sie waren in ihrer Wesensart völlig verschieden. Chopin hatte eine Vielzahl von Kontakten in die Musikszene geknüpft; endlich sollte - im Konzertsaal des Klavierbauers Pleyel - Chopin im Kreis von vielen prominenten Musikern der Pariser Öffentlichkeit präsentiert werden, was, wie seinerzeit in Wien, zum dritten angesetzten Termin gelang, das war dann der 26. Februar1832. Sein Auftritt konnte gefallen, aber der Rahmen war zu klein, um von einem großen Durchbruch sprechen zu können. Seine zunehmende Berühmtheit resultierte eher aus den privaten Konzerten in den Salons, wo sein sensibles Spiel weit besser zur Geltung kam, als im ganz großen Rahmen. Da er keinen spartanischen Lebensstil pflegen mochte, erteilte er den Töchtern der Pariser Gesellschaft Klavierunterricht, denn das Geld von zuhause war aufgebraucht und er musste fortan sein Leben selbst finanzieren. Es kam ihm hier zugute, dass er sich schon als Knabe in Warschau in Kreisen der Aristokratie bewegt hatte, denn er unterrichtete nicht armer Leute Kinder und war ein gesuchter Pädagoge.


    Französisch war bei Chopin nur der Familienname; bedingt durch sein elterliches Umfeld, war er durch und durch Pole. Obwohl er fast fließend französisch sprach, konnte und wollte er nie verbergen, dass er kein Franzose war. Und listig war Chopin auch; er hatte - bevor er Berühmtheit erlangte - einen Vertrag mit einem kleinen unbedeutenden Verlag und wollte nun aus dieser Bindung heraus. Da mimte Chopin solange den Schlamper, bis die andere Seite den Vertag kündigte. Nun war der Weg frei - Chopin heuerte bei dem bekannten Verleger Schlesinger an, der sich wiederum mit dem Leipziger Verlagsleiter Kistner absprach, welcher den Musikverlag Probst leitete. Chopin hatte damit sein gestecktes Ziel erreicht, nun wurde seine Musik im weiten Kreis verbreitet, auch Robert Schumann war begeistert. Diese Begeisterung mochte der Kritiker Ludwig Rellstab - dessen Texte von Schubert genial vertont wurden - überhaupt nicht teilen und wurde zum erbitterten Gegner von Chopins Kompositionen, was sich aber einige Jahre später ändern sollte.

    Und die Pariser Presse? Da war zunächst nur Schweigen. Erst als Schlesinger 1834 seine eigene Zeitschrift »Gazette Musicale« herausbrachte, wurden Chopins Kompositionen auch in Paris zum Thema.


    Auch mit Berlioz, der im November 1832 wieder in die Stadt gekommen war, verstand sich Chopin ganz gut und wurde durch diesen in literarische Kreise eingeführt. Fryderyk Chopin hatte innerhalb von drei Jahren in Paris eine Position erreicht, die ihm eigentlich immer als Ideal vorschwebte; seine Werke wurden von den besten Verlagen Europas herausgegeben und er war als Pianist und Komponist ein Mann aus der ersten Reihe. In Paris hatte er keine Star-Auftritte wie zum Beispiel Franz Liszt oder Sigismund Thalberg; wenn er außerhalb der Salons öffentlich auftrat, dann spielte Chopin im Kreis seiner Freunde, wenn diese ein Konzert veranstalteten.


    Im privaten Bereich tat sich im Sommer 1835 einiges; Fryderyk konnte in Karlsbad seine Eltern überraschen, die dort zur Kur weilten und er richtete es ein, fast einen Monat mit ihnen zu verbringen. Seine Rückreise erfolgte über Dresden, wo er auf die ihm seit vielen Jahren vertraute Familie Wodzinska traf, deren Tochter Maria er noch im kindlichen Alter in Erinnerung hatte, aber nun im heiratsfähigen Alter von 16 Jahren vor ihm stand. Chopin war bis über beide Ohren verliebt und Marias Mutter stand einer Verbindung recht positiv gegenüber, war jedoch in Sorge wegen Fryderyks labiler Gesundheit und gab - ein Jahr später, nach einem erneuten Treffen - auch brieflich weise Ratschläge, wie diese durch soliden Lebenswandel zu verbessern sei. Marias Mutter war zugetragen worden, dass Fryderyks Lebenswandel sich keineswegs an ihren gutgemeinten Vorschlägen orientierte und dass der Schwiegersohn in spe wieder einmal krank war. Während sich Chopin schon Gedanken über einen Hochzeitstermin machte, kam von den Wodzinskas Post, die so interpretiert werden musste, dass aus der Sache nichts wird. Ein noch ernüchternder Brief wurde ihm nach London nachgesandt - Fryderik wickelte Marias Briefe in ein Stück Papier, machte ein blaues Bändchen drum und schrieb drauf: »Moja bieda« (Mein Elend).


    In dieser Zeit seiner Verliebtheit hatte Chopin als Durchreisender auch Kontakte zu bedeutenden deutschen Musikern. So traf er 1835 zum Beispiel in Leipzig erstmals auf Robert Schumann; Mendelssohn hatte ihn zur Wohnung von Friedrich Wieck gebracht; die Herren unterhielten sich, bis nach einer Stunde Wieck mit seiner sechzehnjährigen Tochter Clara erschien, die dem Gast zwei seiner »Etüden«, Schumanns »Sonate fis-moll« und eine eigene Komposition vorspielte. Clara Wieck hatte bereits als Dreizehnjährige Chopins »Variationen« bei ihren Konzerten im Programm. Schumann, der damals Redakteur der »Neuen Zeitschrift für Musik« war, nahm bezüglich dieses Besuchs eine kleine Notiz in sein Blatt auf, die lautete:

    »Chopin war hier, aber nur wenige Stunden, die er in engeren Zirkeln zubrachte. Er spielt genau so, wie er komponiert, das heißt: einzig«. Erst nach langem Drängen hatte er sich überreden lassen und im Hause Wieck seine »Nocturne Es-Dur« gespielt.


    Im Sommer 1837 realisierte Chopin eine seit sechs Jahren geplante Reise nach England, die nicht als Konzertreise geplant war; er suchte eher etwas Abstand von seinen zerronnenen Heiratsplänen. Am 7. Juli erreichte er zusammen mit Camille Pleyel, der hier geschäftlich zu tun hatte, London. Chopin reiste inkognito als »Monsieur Fritz«, weil er in der Musikszene kein Aufsehen erregen mochte. Diese Maskerade hielt nicht lange, als sich »Monsieur Fritz« beim Klavierbauer Broadwood ans Klavier setzte fiel der Schwindel auf. Schon Ende des Monats kehrte Chopin wieder nach Paris zurück.


    Chopin lernte George Sand erstmals bei einem Empfang kennen; das war im Jahr 1836. Die Dame wirkte nicht als solche, sie stellte sich gerne in Herrenkleidung zur Schau, rauchte Zigarren und war 32 Jahre alt. Durch ihre schriftstellerische Tätigkeit hatte sie einen großen Bekanntheitsgrad erreicht. Für Chopin war das ein echtes Kontrastprogramm zu seiner verflossenen Maria; entsprechend war seine erste Reaktion: »Was für eine abstoßende Frau, die Sand! Ist sie wirklich eine Frau? Ich neige dazu daran zu zweifeln«.

    George Sand hatte irgendwie an dem zerbrechlich wirkenden Chopin Interesse gefunden und versuchte ihn nach ihrem Landsitz Nohan, etwa 300 Kilometer von Paris entfernt, zu locken, was ihr schließlich nach einigen mühevollen Versuchen auch gelang. 1838 hatte sich das Paar zusammengefunden, denn die um sechs Jahre ältere George konnte auch sehr mütterlich und fürsorglich sein und dieser Wärme bedurfte Chopin gerade nach der Ablehnung der Familie Wodzinska; er verspürte das Bedürfnis mit George zu leben.

    Wegen ihres rheumakranken Sohnes, aber auch aus anderen Gründen, plante George Sand eine Reise in den Süden, wobei zunächst an Italien gedacht war, aber dann schilderte man ihr Mallorca in den schönsten Farben und sie landete mit ihren Kindern und Chopin schließlich in dem seit zwei Jahren von den Mönchen verlassenen Kartäuserkloster Valldemossa. wo man für wenig Geld unmöblierte Zimmer mieten konnte. Um kein Aufsehen zu erregen, waren sie getrennt zur spanischen Grenze gereist; erst die Seereise wurde gemeinsam angetreten. Alle genossen zunächst das milde Klima und die herrliche Landschaft; sie waren am 8. November 1838 in Palma angekommen. Aber dann schlug das Wetter um und es wurde kühl und ungemütlich, auch in der unbeheizten Villa, welche sie bis zum Umzug ins Kloster angemietet hatten. Chopin erkrankte und die Diagnose Tuberkulose machte die Runde, der Vermieter wurde nervös, verwies sie des Hauses und ließ seine Villa generalrenovieren. Zum 15. Dezember zogen sie im Kloster ein. Das wichtigste Möbelstück fehlte immer noch - das aus Paris verschickte Klavier erreichte erst kurz vor Weihnachten Palma, musste aber noch unter unsäglichen Mühen rauf zum Kloster geschafft werden. Erst Anfang Januar 1839 konnte Chopin wieder auf einem ordentlichen Klavier spielen und komponieren - und er hatte dazu wesentlich mehr Zeit als in Paris. Mit den Einheimischen kamen die neuen Klosterbewohner überhaupt nicht zurecht; eine rauchende Frau mit einem Mann, der ständig Klavier spielt ... und dass das Paar ohne Trauschein zusammen wohnt, stieß auch auf Ablehnung.

    Chopin wollte die Insel so schnell als möglich verlassen. Es wurde eine äußerst strapaziöse Rückreise des schwer Erkrankten; am 13. Februar verließen sie mit einem Frachtschiff, das Schweine transportierte, die Insel. Nach einem einwöchigen Aufenthalt in Barcelona reisten sie per Schiff nach Marseille, wo sie am 24. Februar wieder französischen Boden betraten. Die sofort konsultierten Ärzte diagnostizierten eine starke Lungenreizung und stellten keine Tuberkulose fest. Als Trost für die erlittenen Strapazen konnte festgestellt werden, dass der Mallorca-Aufenthalt eine ganz beachtliche kompositorische Ausbeute gebracht hat. Bis Mai blieb Chopin in Marseille, wo er sich sichtlich erholte.


    Dann, am 1. Juni 1839, kam Chopin erstmals zu Georges Landhaus in Nohant; er sollte dort noch einen Großteil seiner Werke schaffen. Bei seiner Ankunft fand er als Überraschung ein nagelneues Pleyel-Klavier vor, das George aus Paris hatte kommen lassen. Nach diesem ersprießlichen Sommer ging es dann im Herbst wieder zurück nach Paris, seit etwa einem Jahr hatte Chopin dort keinen Klavierunterricht mehr gegeben. Erst zwei Jahre später ging es im Sommer wieder nach Nohant.


    Als Chopin im Herbst 1843 Nohant in Richtung Paris verließ, war die Reise bequemer geworden, denn nun gab es eine Eisenbahnverbindung bis Orléans. 1844 war Chopin mal wieder ernsthaft krank und im Mai des Jahres traf ihn die Nachricht, dass sein Vater gestorben ist.

    Im Sommer 1845 hatte Chopin in Nohant keine besonderen gesundheitlichen Probleme, aber Georges inzwischen erwachsen gewordener Sohn Maurice - er war jetzt 22 - bereitete welche, er mochte nicht, dass sich hier so vieles nach dem Gast Chopin richtet und gab Chopin deutlich zu verstehen, dass er nicht zur Familie gehört. George Sand liebte Maurice gerade abgöttisch; das Problem, der Riss, war da.

    Als Fryderyk Chopin im November 1846 Nohant verließ, sollte er nie wieder dorthin zurückkehren; er reiste alleine nach Paris zurück, George Sand und ihre Kinder blieben noch für drei Monate auf dem Land. Obwohl ein Bruch nach außen nicht öffentlich gemacht wurde, hatte Franz Liszt im fernen Moskau davon Wind bekommen. Nach diversen massiven Streitigkeiten innerhalb der Familie von George Sand, war die endgültige Trennung besiegelt.


    Zu Beginn des Jahres 1848 konnte man Chopin zu einem Konzert überreden; seit sechs Jahren hatte es so etwas nicht mehr gegeben. Es fand im Salle Pleyel statt und versetzte das ganze musikalisch interessierte Paris in Aufregung, es fand am 16. Februar statt und war natürlich ein überwältigender Erfolg vor ausgesuchtem Publikum. Man wollte am 10. März noch ein Konzert folgen lassen - es fand nicht mehr statt, sechs Tage nach diesem Konzert brach die Revolution aus.

    Aufgrund dieser Ereignisse verließ Chopin am 19. April Paris in Richtung London und ließ offen, wann er wieder kommt. Anders als vor elf Jahren, wurde seine Ankunft mit viel Getöse propagiert, wofür Chopins Schülerin Jane Stirling, eine Schottin, die er seit acht Jahren unterrichtete, verantwortlich zeichnete. Also hatte Chopin eine Menge Termine und anschließend hetzte ihn Jane noch durch Schottland, wo er sich mit ihren Verwandten maßlos langweilte und nicht zum Komponieren kam, wie er gehofft hatte. Dennoch genoss er Janes Betreuung, die noch von ihrer Schwester unterstützt wurde. Als ihm übermittelt wurde, dass in Paris Gerüchte bezüglich einer Heirat mit Jane kursieren, schrieb Chopin retour: »... also erläutere ich Dir, daß ich dem Sarg näher bin als dem ehelichen Lager«.

    Am 21. November reiste Chopin wieder zurück nach Paris. Den Winter über verließ er kaum noch das Haus und litt unter den üblichen Beschwerden, welche in diesem Winter sehr hartnäckig waren. Die vielen Reisen und das Klima in England und Schottland hatten stark an seiner Gesundheit gezehrt. In diesem Zustand konnte er nur noch wenige Stunden geben, so dass es ihm bald an Geld fehlte. Auch die schottischen Schwestern waren wieder nach Paris gekommen und Jane Stirling versuchte ihren Meister finanziell so zu unterstützen, dass er dessen nicht Gewahr wurde. Im ausgehenden Frühjahr 1849 rieten ihm seine Ärzte mal wieder zu Sommerferien auf dem Land. Eine weite Reise wollte er nicht auf sich nehmen, also ging es nur soweit aus der Stadt weg, dass man die markanten Gebäude von Paris noch sehen konnte. Man gaukelte ihm für seinen Sommersitz eine geringere Miete vor und eine Gräfin übernahm heimlich den Rest. Chopins weiter Freundeskreis kümmerte sich auch dort draußen um ihn, sogar Jenny Lind schaute mal vorbei. Am 22. Juni alarmierte die Pflegerin das betreuende Umfeld und Fürstin Sapieha schickten sofort nach dem berühmten Arzt Jean Cruveilhier, der eine Tuberkulose im Endstadium diagnostizierte. Chopins geliebte Schwester Ludwika kam nach Paris und betreute ihren Bruder. Noch einmal zog Chopin innerhalb von Paris um; die Ärzte hatten zu einer wärmeren Wohnung mit Südfenstern geraten, die Wahl fiel auf Place Vendôme 12. Mit einigem Eifer suchte er Tapeten und Gardinen aus. Ende September war er in sein neues Zuhause gezogen und er war inzwischen so schwach, dass er seine neue Wohnung nicht mehr verlassen konnte. Am 15. Oktober sang Delfina Potocka - eine langjährige Freundin und Klavierschülerin Chopins, der er seinen »Minutenwalzer« und das »Klavierkonzert Nr. 2 f-Moll« gewidmet hatte - in unmittelbarer Nähe des Krankenlagers Werke italienischer Komponisten und ein Cello spielte die »Sonate g-moll« von Chopin.


    Chopins Zustand verschlechterte sich zusehends, als ihm Solange, die Tochter von George Sand, in der Nacht vom 16. auf den 17. Oktober Wasser reichen wollte, bemerkte sie, dass Chopin tot war, es war zwei Uhr. Auf seinem Totenbett hatte er noch den Wunsch geäußert, dass man zu seiner Beerdigung Mozarts »Requiem« spielen möge. Ein weiterer Wunsch war, dass sein Herz nach Polen gebracht werden solle. So geschah es dann auch, aber eigentlich war sein Herz schon immer in Polen ... - seit 1850 ruht es in einer Säule der Heiligkreuz-Kirche in Warschau.

    Die feierliche Enthüllung des Grabmals fand am 17. Oktober 1850, am ersten Todestag Chopins statt. Entworfen und ausgeführt hat es der Bildhauer Auguste Clésinger.


    Praktischer Hinweis:

    Das Grabmal von Frederic Chopin befindet sich auf dem Pariser Friedhof Cimetière du Père-Lachaise / Division 11. Man geht vom Haupteingang auf der Avenue Principale eine Strecke von etwa gut 100 Metern geradeaus, bis zur Avenue du Puits, wo man sich nach rechts wendet, aber schon nach ca. 25 Metern wieder nach links abbiegt. Dieser breiteren Straße, die am Rand der Grabfeldern Division 9 und 10 vorbeiführt, folgt man etwa 120 Meter bis rechts ein Weg mit der Bezeichnung chemin Denon kommt, welcher Division 11 begrenzt. Man folgt diesem schmaleren Weg knappe hundert Meter und ist am Ziel.


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  • Ginette Neveu - *11. August 1919 Paris - † 28. Oktober 1949 Saint Miguel (Azoren)


    DIE MACHT DES SCHICKSALS - ES GESCHAH VOR 70 JAHREN

    Ihr relativ kurzes Leben und auch ihr Sterben, waren von Verwechslungen der besonderen Art geprägt. Trotz hervorragender Anlagen, stand ihr künstlerisches Wirken kriegsbedingt unter keinem guten Stern und ihr freier künstlerischer Weg in die Welt war zu Ende, als er gerade beginnen sollte.


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    Als Ginette fünf Jahre alt war, erteilte die Mutter ihrer Tochter Violinunterricht; mit siebeneinhalb Jahren hatte Ginette ihren ersten öffentlichen Auftritt im Salle Gaveau, wo sie mit dem Violinkonzert Nr. 1 von Max Bruchs debütierte. Es war Ginette möglich, bereits 1930 in die Violinklasse von Jules Boucherit am Pariser Konservatorium einzutreten. Kaum war sie da, verließ sie diese Institution auch schon wieder mit dem Abschlussdiplom und einem ersten Preis; dazu hatte sie gerade mal acht Monate benötigt. 1928 machte die junge Geigerin in Berlin Furore.


    In den Jahren 1925 bis 1936, als Carl Flesch - ein Pionier des systematisierten Violinspiels - in Baden-Baden wohnte, wurde während der Sommermonate seine Villa zum Treffpunkt der Elite des internationalen Geigennachwuchses; von 1931 bis 1935 studierte auch Ginette Neveu bei dem renommierten Pädagogen, welcher als Spezialist für Tonleiterstudien galt und seine Schüler ganz schön forderte. Aber von Flesch ist auch die Aussage überliefert: »Mein Kind, dir hat der Himmel eine Gabe verliehen, und ich habe nicht die Absicht, daran zu rühren«. Bei einem Wettbewerb in Wien konnte die damals zwölfjährige Ginette zwar »nur« den vierten Platz erringen, aber Carl Flesch, der in der Jury saß, war von dem Spiel des Mädchens so angetan, dass er der Mutter anbot, die Tochter zu unterrichten. Die intensive Arbeit trug sichtbare Früchte, denn Ginettes Ausbildungsstand war so hoch, dass sie1935 in Warschau den »Henryk-Wieniawski-Wettbewerb« vor dem um elf Jahre älteren David Oistrach gewann, was ihr zu internationalem Ansehen verhalf. Aber die sich anbahnenden politischen Entwicklungen und der schreckliche Zweite Weltkrieg standen einer Weltkarriere im Wege. Die erste Schallplattenaufnahme von Ginette Neveu mit dem Pianisten Bruno Seidler-Winkler, welcher ein Pionier der Aufnahmetechnik war, stammt aus dem Jahre1938.


    Von Walter Legge ist ein Bericht überliefert, welcher die Umstände bei der Aufnahme des Violinkonzerts von Sibelius schildert und uns die Künstlerin damit näher bringt:

    »Die ersten Aufnahmen, die wir zusammen mit der Künstlerin im November 1945 herstellten, galten dem Violinkonzert von Sibelius. London war in einen derart dicken Nebel gehüllt, dass wir selbst innerhalb des Gebäudes nicht vom Aufnahmeraum aus auf das Podium im großen Saal des Studios Abbey Road sehen konnten. Es war der einzige Tag, den Ginette während einer anstrengenden Tournee freimachen konnte. Ich hatte wenig Hoffnung, das Werk in zwei Sitzungen bewältigen zu können. Das neu geschaffene Philharmonia Orchestra war zum ersten Mal zu einer größeren Aufgabe versammelt. Walter Süßkind dirigierte erstmals für das internationale Repertoire, und für uns alle war es das erste Experiment mit Ginette Neveu. Die Götter und die fantastische Konzentrationsfähigkeit der Solistin waren mit uns. Zwischen zwei und fünf Uhr hatten wir den ersten Satz beisammen. Die anderthalbstündige Pause bis zur Fortsetzung wäre von jeder Künstlerin zum Ausruhen benützt worden. Nicht so Ginette Neveu. Während der ganzen Zeit im Studio hin- und hergehend, übte sie. Um acht Uhr war die Halslinie, die Kennmarke der Geiger, eine scharlachrote Wunde und die Kinnseite dem Bluten nahe. Aber dies berührte sie nicht. Sie richtete an das Orchester die Bitte, eine halbe Überstunde zu leisten, um das Werk beenden zu können, was vor zehn Uhr der Fall war. Wir alle machten einen erschöpften Eindruck - ausgenommen Ginette Neveu. Sie kam in mein Büro und ließ sich Waltons Konzert vorspielen, das sie gerade einstudierte. Als ich sie wenige Minuten vor Mitternacht zum Piccadilly Hotel brachte, kannte sie nur ein Bedauern: dass kein Restaurant mehr offen war, wo wir uns niederlassen und weiterplaudern konnten«.


    Ginette Neveu hatte ja eine besondere Beziehung zu Baden-Baden und spielte dort bereits am 25. April 1948 mit dem ORTF Orchester ein Radio-Konzert ein. Zwei weitere Konzerte absolvierte sie dann ein gutes Jahr später, vier Wochen vor ihrem tragischen Tod. Am Sonntag, 25. September 1949 spielte Ginette Neveu mit dem neu gegründeten Sinfonieorchester des Südwestfunks unter Hans Rosbaud, wobei Beethovens D-Dur-Konzert im Mittelpunkt stand. Am folgenden Abend gab sie zusammen mit ihrem Bruder Jean dann noch ein Kammerkonzert.

    Im Publikum befand sich damals auch die noch nicht ganz sieben Jahre alte Jenny Abel und staunte, über das was sie da sah und hörte - sie hatte damals gerade mal knapp zwei Jahre Violinunterricht gehabt - und war völlig außer sich. Später noch, als erwachsene Frau und erfahrene Musikerin, erinnerte sie sich, dass sie vordem stets nur Geiger in diesem Metier erlebt hatte:

    »Ginette war für mich die erste Geige spielende Frau, die ich erlebte. Schon das allein hat auf mich einen großen Eindruck gemacht. Während des D-Dur-Konzerts stand sie wie eine Statue, wie ein Monument, da oben auf dem Podium. Sie war nicht schön im üblichen Sinne, aber sie strahlte eine Kraft aus, die sie fast wie ein Mann wirken ließ, so absolut sicher und selbstbewusst; auf jeden Fall nicht so, wie man sich unter einer Geigerin etwas Zartes, Frauliches vorstellt!«


    In einigen wenigen Publikationen wird erwähnt, dass Ginette Neveu schon 1937 in den USA und Kanada gewesen sei, aber die eigentlich in vieler Weise spektakuläre Amerikareise war für Oktober 1949 geplant. In einer dreimonatigen Tournee durch die USA und Kanada sollte Ginette Neveu in 17 Konzerten mit neun Orchestern auftreten. Einige Tage vor ihrem Auftritt in New York wollte man das Programm in Boston ausprobieren; der Auftritt in der Carnegie Hall, zusammen mit ihrem Bruder Jean, sollte am 28. November 1949 stattfinden.


    Fliegen hatte damals einen ganz anderen Status als heute, insbesondere, wenn man mit einem Flugzeug der Luxusklasse reiste, wie das bei der Lockheed 749 A Constellation der Air-France der Fall war, die als Flugzeug der Stars galt, obwohl hier nicht nur Stars an Bord gingen. Aber auch bei diesem Flugzeugtyp war damals, bei Transatlantikflügen von Paris aus, ein Zwischenstopp auf den Azoren obligatorisch. Um 20:05 Uhr hob Air-France-Flug 009 von der Piste des Flughafens Paris-Orly ab. An Bord waren 37 Passagiere und 11 Besatzungsmitglieder. Die Maschine war etwa zwei Jahre alt und wurde von dem erfahrenen Flugkapitän De la Noue geflogen. Um 01:41 Uhr meldeten sich die Piloten und teilten mit, dass sie nun 150 nautische Meilen vom Flughafen entfernt sind und die Ankunft für 02:45 Uhr geplant sei, was später auf 02:55 Uhr korrigiert wurde. Als sich die Maschine auf einer Höhe von knapp tausend Metern (3.000 Fuß) befand, setzte die Crew den Funkspruch ab: »Having accomplished first part of flight normally, ready to land in five minutes at Santa Maria. Weather clear«.


    Gleich nach diesem letzten Funkspruch, sah ein Lastwagenfahrer auf der Insel São Miguel, etwa neunzig Meilen nördlich des geplanten Zwischenziels, einen Lichtblitz an einem Hang des Monte Redondo. Eine aus der Luft eingeleitete Suchaktion konnte die Absturzstelle acht Stunden später orten. Die Maschine war völlig ausgebrannt und alle Insassen waren bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Man nimmt an, dass der Pilot die Inseln São Miguel und Santa Maria verwechselt hatte. Seine Ansage, die Landebahn sehen zu können, deutet darauf hin, denn auch São Miguel, als Hauptinsel der Azoren, verfügte über eine Landebahn.

    Wenn man von der Gemeinde Algarvia aus, an der Nordostküste von São Miguel gelegen, den 1.103 Meter hohen Pico da Vara besteigt, führt der Wanderweg an einem Gedenkkreuz vorbei, in dessen Sockel diese Inschrift in portugiesischer Sprache auf das Unglück hinweist, wobei hier mit dem 27. Oktober die Ortszeit genannt wird.


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    Ginette Neveu war mit ihrem Bruder ums Leben gekommen, aber das Schicksal hielt noch eine Überraschung bereit, von der die meisten Friedhofsbesucher wohl nichts ahnen. Und noch eine andere französische Musikerin war von dem Unglück betroffen, das war Edith Piaf. Die letzte große Liebe ihres Lebens, der französische Boxweltmeister Marcel Cerdan, saß ebenfalls in der Unglücksmaschine, und sie musste sich an seinem Tode schuldig fühlen. Eigentlich wollte Cerdan den Atlantik per Schiff überqueren, aber die in New York weilende Sängerin hatte ihn telefonisch bedrängt, das nächstmögliche Flugzeug zu nehmen, um zu ihr zu kommen. Das war jedoch zunächst so kurzfristig nicht möglich, weil die Maschine ausgebucht war. Aber der Boxweltmeister hatte scheinbares Glück, denn - vermutlich durch seinen prominenten Status bedingt - trat ein Paar, das gerade seine Hochzeitsreise antreten wollte, zu seinen Gunsten zurück. Ihre »Hymne á´lamour«, wird mit diesem Tod am Berg in Verbindung gebracht. Man soll Marcel Cerdan anhand seiner goldenen Armbanduhr identifiziert haben, es war ein Geschenk von Edith Piaf.


    Die Zeitung »Grenz-Echo«, Die führende Tageszeitung der belgischen Ostgebiete, berichtete unter dem Datum des 16. November 1949:

    »Beisetzung der Violinkünstlerin Ginette Neveu aufgeschoben. Der Sarg enthielt den Leichnam einer unbekannten Fremden«


    »Auf Antrag der Familie wurde der Sarg, der die sterblichen Reste der berühmten Violinistin Ginette Neveu bergen sollte, die bei dem Flugunfall auf den Azoren ums Leben kam, im Pariser gerichtsmedizinischen Institut nochmals geöffnet. Die Familienangehörigen der Künstlerin stellten dabei fest, dass die in dem Sarge liegende Tote ihnen unbekannt und auf keinen Fall Ginette Neveu war. Sie trug Schmuck und Kleidung, die niemals im Besitze der Geigerin waren und hatte lange zugespitzte Fingernägel, während eine Violinistin bekanntlich kurz geschnittene Nägel haben muss. Die für Donnerstag vorgesehene Beisetzung wurde aufgeschoben und die Familie hat eine weitere Untersuchung beantragt«.


    Die Tote hatte eine Kette mit einem ägyptischen Medaillon. Unter den Passagieren von Flug 009 befand sich auch die 27-jährige Amélie Ringler, aus dem elsässischen Bantzenheim, Département Haut-Rhin. Wie eine französische Zeitung berichtete, soll das Reiseziel von Amélie Ringler Detroit gewesen sein, wo sie eine Patentante hatte, die dort eine auf Nylon spezialisierte Textilfabrik besaß. Nun musste der Vater der Toten - der kein Wort französisch sprach - zum Forensischen Institut nach Paris, um dort seine Tochter zu identifizieren. Heute kann man wohl davon ausgehen, dass man am chemin Méhul tatsächlich vor dem Grab von Ginette Neveu und ihrem Bruder Jean steht.


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    Praktischer Hinweis:

    Das Grabmal von Ginette Neveu und ihrem Bruder Jean befindet sich auf dem Pariser Cimetière du Père-Lachaise (Division 11), das Gräberfeld liegt zwischen chemin Denon und chemin Méhul, etwa 300 Meter vom Haupteingang entfernt. Man geht immer geradeaus bis zur querlaufenden Avenue de la Chapelle, wo man sich nach rechts wendet. Weil Edith Piaf hier erwähnt wurde, sei darauf hingewiesen, dass sich ihr Grab auf dem gleichen Friedhof (vom Haupteingang aus gesehen) ganz hinten rechts in Division 97 befindet.

  • Nachklapp

    Die Macht des Schicksals wollte es so, dass gerade beim Einstellen des obigen Beitrags der Strom in der Stadt ausfiel. Wer sich ein akustisches Bild von Ginette Neveu und ihem Bruder machen möchte, wird hier fündig.

  • Und ich darf vielleicht diese Aufnahme aus meiner Sammlung mit dem Brahmskonzert noch anfügen, dass sie knapp anderthalb Jahre vor ihrem viel zu frühen Tod in Hamburg unter Hans Schmidt-Isserstedt mit dem Sinfonieorchester des Norddeutschen Rundfunks einspielte und mit der ich ihrer gestern auch gedachte:


    Liebe Grüße


    Willi:)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • SeionHeinrich Schütz *8. Oktober 1585 Köstritz - † 6. November 1672 Dresden


    DAS GRAB VON HEINRICH SCHÜTZ - Heute ist sein Todestag

    Übersehen kann man es nicht, denn schon weithin sichtbar erhebt sich die Dresdner Frauenkirche mit über 90 Meter Höhe. Aber der mächtige Bau war erst 2005 wieder aus der Ruine entstanden. Als ich beim ersten Rundgang in der Kirche das im Boden eingelassene polierte Bronzeband sah, dachte ich, dass dies das Grab des Komponisten Heinrich Schütz sei, also ähnlich dem Grab von Johann Sebastian Bach, das sich seit 1950 im Chorraum der Thomaskirche zu Leipzig befindet. In Dresden ist das aber heute eine gänzlich andere Situation, so dass sich heute nur feststellen lässt, dass sich das Grab von Heinrich Schütz irgendwo in der Nähe befand, aber eigentlich schon seit 1727 nicht mehr existiert.


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    Das Band ist (Länge in der Mitte gemessen) 3,13 m mit einer Bandbreite von 0,13 Meter und kann hier nur in der Zerstückelung gezeigt werden, weil beim Fotografieren kein größerer Abstand möglich war.



    Heinrich Schütz galt seinen Zeitgenossen als »Vater der Musik« und wird heute als der erste deutsche Komponist von Weltrang, oder vielleicht besser gesagt, von europäischer Bedeutung bezeichnet. Er war ein evangelisch-lutherischer Komponist und Organist, der hauptsächlich in Dresden wirkte, aber sich auch über längere Zeiträume sowohl in Italien als auch Dänemark musikalisch betätigte, wobei sein erster Aufenthalt in Venedig primär eine Fortbildungsreise war, hingegen Schütz dann in Kopenhagen schon den Status eines gestandenen und allseits geachteten Musikers hatte. Eine Blitzkarriere war es nicht; als Berufsmusiker trat er relativ spät in Erscheinung, vielleicht ahne er, dass er noch viel Zeit in seinem Leben haben würde, denn er erreichte das für seine Zeit ungewöhnliche Alter von 87 Jahren. In der Trauerrede hieß es damals, dass Heinrich Schütz verschieden sei, »Nachdem er in die 57 Jahr Churfürstlicher Sächsischer Capell=Meister gewesen und sein Alter gebracht hat auff 87 Jahr und 29 Tage«.


    Als Heinrich Schütz starb, wurde er nicht auf dem Friedhof bei seiner früh verstorbenen Frau bestattet, sondern - auf besonderen Wunsch des Kurfürsten - in einer Gruft der alten, noch im gotischen Stil erbauten Frauenkirche beigesetzt. Es ist überliefert, dass sich das Grab in der Vorhalle der Kirche befand und mit einer schwarzen Marmorplatte verschlossen war. In unmittelbarer Nähe wurde damals ein Messing-Epitaph angebracht.
    Diese gotische Frauenkirche verfiel immer mehr, war baufällig geworden und musste 1727 abgerissen werden.


    Das lange und schwere Leben des Komponisten Heinrich Schütz

    Heinrich hatte noch sieben Geschwister und kam als zweites Kind seiner Eltern in der »Oberen Schenke« zur Welt; es war der spätere Gasthof »Zum Goldenen Kranich«, der seinem Vater gehörte. Als der Junge fünf Jahre alt war, übersiedelte die Familie nach dem etwa fünfzig Kilometer entfernten Weißenfels, wo sein Vater, Christoph Schütz, den Gasthof »Zum goldenen Ring«, nahe der Saalebrücke, übernahm und Heinrich heranwuchs; der Vater nennt den Gasthof später Gasthof »Zum Schützen« und wird ein wohlhabender Mann.


    Landgraf Moritz von Hessen-Cassel war kein besonderes politisches Genie, aber man gab ihm den Beinahmen »der Gelehrte«, weil er sich mit Naturwissenschaften befasste und mehrerer Sprachen mächtig war. So beschäftigte er sich auch mit Musik und komponierte. 1598 kam nun auf der Durchreise dieser gräfliche Besuch ins Gasthaus und hatte den Knaben »so lieblich singen gehöret«, dass Ihre Fürstlichen Gnaden bewogen, den Knaben dem Hofstaat einzuverleiben, was bei den Eltern jedoch keine Begeisterung auslöste. Aber auf fürstliches Drängen war es dann am 20. August 1599 dann doch soweit, dass Heinrich Schütz sein Elternhaus verließ und von seinem Vater ins weit entfernte Kassel gebracht wurde. Den Eltern war ihre Entscheidung den Knaben ziehen zu lassen dadurch erleichtert, dass im nahen Leipzig gerade die Pest ausgebrochen war, da war es ein Aspekt, den Sohn weit weg zu wissen.


    Dort wird Schütz Schüler am Mauritianum und gleichzeitig Kapellknabe in der Hofkapelle. Bei Hofkapellmeister Georg Otto erhält er die Grundlagen für seinen späteren Beruf als Musiker; dass er ein solcher werden wird, stand jedoch längst nicht fest. Für den jungen Mann war das alles eine neue Welt; immerhin aber ein kulturelles Umfeld, das sich sehen lassen konnte, denn Kassel verfügte über den ersten feststehenden Theaterbau in Deutschland. Musik wurde in Kassel in vielfältiger Weise gebraucht; da waren: Kirche, Theater, Hoftafel, Turniere; die Musiker bei Hofe mussten entsprechend vielfältig und flexibel sein. Die Notenbibliothek der Hofkapelle war entsprechend reichhaltig bestückt. Um einen Vergleich zu den späteren miesen, kriegsbedingten Umständen in Sachsen zu haben, sei darauf hingewiesen, dass in Kassel damals dreizehn Sänger tätig waren und es die Hofkapelle in Spitzenzeiten auf bis zu zwanzig Mann brachte.

    Das Kasseler Mauritianum war vom Landesherren1595 als Ausbildungsstätte für die Kinder des Adels gegründet worden, aber auch begabte bürgerliche Stipendiaten hatten Zugang. Da kam keine Langeweile auf. Jeder Tag, der Sonntag eingeschlossen, begann morgens um fünf Uhr mit Gebeten. Musikunterricht gab es an drei Tagen der Woche, darüber hinaus von Sonntag bis Freitag je eine Stunde Übungen in Vokal- und Instrumentalmusik. Hinzu kamen noch griechische Dialektik, Rhetorik und Grammatik, Lateinunterricht und Arithmetik. Auch Leibesübungen und Reiten waren zur Ertüchtigung mit einbezogen.


    Die Hofkapelle des Landgrafen soll über ein beachtliches Repertoire verfügt haben, was heute noch erhaltene Noten belegen. 1608 lässt sich Schütz, zusammen mit zwei Mitschülern, an der Marburger Universität einschreiben und studiert zunächst Jura. Aber schon ein Jahr später lenkt Landgraf Moritz das Leben des Studenten wieder einmal in andere Bahnen und schickt ihn zu Giovanni Gabrieli nach Venedig, welcher damals ein weithin bekannter Komponist war und eine Menge Schüler aus ganz Europa an den Markusdom zog. Der 24-jährige Schütz entwickelte sogar eine Freundschaft zu Gabrieli und nutzte seine Zeit in Venedig bestens, wobei auch der intimere Stil der Madrigale gepflegt wurde. 1611 erscheint das erste Buch der Madrigale, das Schütz als sein erstes ernstzunehmendes Werk betrachtet. Von seinem großen Lehrmeister in Italien, Giovanni Gabrieli, brachte er einen neuen Klang mit, der vor allem auch durch die geschickte Aufstellung der Chorsänger entstand.


    Im August 1612 stirbt Gabrieli. 1613 taucht Schütz wieder in Kassel auf und avanciert zum 2. Hoforganisten und Prinzenerzieher, aber noch war die Entscheidung nicht eindeutig gefallen, dass er tatsächlich den Beruf eines Musikers ergreifen wird. Über viele Jahre hinweg hatte sich Schütz zwar mit Musik befasst, aber eigentlich nicht daran gedacht Berufsmusiker zu werden, der Status eines »Wunderkindes« war bei Schütz nicht vorhanden.

    Man weiß es nicht so genau - 1613 oder 1614 befindet sich Schütz im Tross seines Landgrafen am kurfürstlich-sächsischen Hof in Dresden. Bei dieser Gelegenheit müssen wohl die musikalischen Fähigkeiten von Schütz ins Rampenlicht gekommen sein, denn der sächsische Kurfürst fragt bei dem Kasseler Potentaten nach, ob die Möglichkeit besteht, diesen Schütz für die Ausgestaltung einer Kindstaufe am Hofe auszuleihen. Diese Ausleihzeiten an den sächsischen Hof wiederholen sich in den folgenden Jahren; ein letztes Bemühen den Musikus Schütz zurückzuerhalten, ist vom Grafen Moritz im Jahr 1619 notiert; wenn man die vielen Details kennt, kommt man zu dem Schluss, dass das ein jahrelanges Gezerre war, bei welchem letztendlich der höherrangige Kurfürst obsiegte. Also tritt Schütz offiziell als kurfürstlich-sächsischer Kapellmeister am Dresdner Hof Johann Georgs I. in Erscheinung; es ist sein fester Arbeitsplatz, der im Prinzip bis zum Ende seines langen Lebens währen sollte. Schützens neuer Dienstherr war gleichen Alters, also auch 1585 geboren, wird als leutseliger und trinkfester Kunstmäzen und Kraftprotz beschrieben. Im Februar 1617 wird Heinrich Schütz bei Hofe fest angestellt, zu diesem Zeitpunkt ist die Kurfürstliche Schatulle noch für Lustbarkeiten vielerlei Art gut gefüllt, woraus resultiert, dass einige groß besetzte Werke aufgeführt werden. 1619 gab man die »Psalmen Davids« heraus.


    Zu diesem Zeitpunkt - es war der 1. Juni 1619 - tritt Schütz auch in den Stand der Ehe und heiratet die 18-jährige Magdalena Wildeck. Für ihn begann ein neuer Lebensabschnitt, welcher für die junge Familie wegen des beginnenden Dreißigjährigen Krieges unter keinem guten Stern stand; seine verheerenden Folgen waren grausam und die Bevölkerung litt zudem noch unter Pestepidemien. Dem Paar wurden zwei Töchter geboren, aber das Familienglück währte nicht sehr lange, schon zwei Jahre nach der Geburt der zweiten Tochter starb die Ehefrau und Mutter am 6. September 1625; Heinrich Schütz wurde Witwer und blieb es bis zu seinem Lebensende; die Kinder sind Halbwaisen und werden von der Großmutter Wildeck aufgezogen, weil der Vater oft auf Reisen ist.

    Aber zunächst können die Neuvermählten ihre Hochzeit genießen, sie werden mit Geschenken überhäuft, sogar ein Fass Rheinwein ist dabei. Und Schütz reist in diesem Jahr auch nach Bayreuth, nicht ahnend, das dort mal eine ganz andere Musik zelebriert werden wird. Diese Schütz-Reise dient dem Zweck in Bayreuth eine neue Orgel probezuspielen. Wie so vieles, was Schütz geschaffen oder benutzt hatte, blieb auch diese Orgel nicht erhalten, sondern brannte schon zwei Jahre nach ihrer Einweihung ab.


    Allerlei politische Ränkespiele lassen unruhige Zeiten entstehen, die kriegerischen Auseinandersetzungen verschlingen eine Menge Geld, des Fürsten Kassen werden klamm. Aus dieser Situation heraus hatte Schütz nach verschiedenen Seiten sondiert, ob irgendwo ein tüchtiger Musiker gebraucht wird.

    Als des Kurfürsten fünfzehnjährige Tochter verheiratet werden soll, benötigt der Brautvater eine Hochzeitsmusik, aber der Hofkomponist sieht sich außerstande, diese Dienstleistung zu vollbringen, zu tief ist die Trauer um die verstorbene Ehefrau. So kam es dazu, dass Schütz die erste deutsche Oper schuf; seine Ballett-Oper »Dafne« war das Hochzeitsgeschenk des Vaters an seine Tochter. Das Werk wurde im Obergeschoss von Schloss Hartenfels in Torgau am 13.04.1627 uraufgeführt, worauf heute noch ein Schild hinweist, das die Schreibweise »DAPHNE« bevorzugt, aber die Noten dazu sind heute nicht mehr bekannt, was praktisch auf die gesamte weltliche Musik zutrifft, die Schütz zweifelsohne auch komponierte


    Am Todestag seiner Frau, es war der 6. September 1627, veröffentlicht Schütz ein für die damalige Zeit bedeutendes Werk, es sind Liedtexte von Cornelius Becker, die als »Becker-Psalter« für den gottesdienstlichen Gebrauch geschaffen wurden; die 159 Schütz-Vertonungen sollen im 17. Jahrhundert sein erfolgreichstes Werk gewesen sein.


    1628 reist Schütz abermals nach Italien, denn der Krieg dauert nun bereits elf Jahre, was Schütz auch an stockenden Gehaltszahlungen bemerkt. Zu großen Festmusiken besteht in der Heimat kein Bedarf. Dass er in Italien mit Monteverdi zusammentraf, wird vermutet und wird manchmal blumig dargestellt, ist jedoch nicht gesichert; hier tut sich ein ähnliches Problem auf, wie bei dem Rembrandt-Bild »Bildnis eines Musikers«. Schütz hatte in Italien auch Musikinstrumente bestellt und schrieb im Juni 1629 nach Hause, dass er alles erledigt hätte und zurück käme; die »Symphoniae Sacrae« hat er auch im Gepäck, eine Hommage an seinen verstorbenen Lehrer Giovanni Gabrieli.


    1633 sieht man Schütz abermals auf Reisen, diesmal gegen Norden, nach Kopenhagen. Dieser Reise war vorausgegangen, dass sich der dänische Prinz Christian im Frühjahr 1631 zur Brautschau nach Sachsen begeben hatte und sowohl von Prinzessin Magdalena Sybilla als auch der Musik Schütz´ angetan war. Auf diese Weise wurde Schütz dann auch 1633 zum königlich dänischen Hofkapellmeister ernannt und mit den Vorbereitungen und der Durchführungen der Hochzeitsfeierlichkeiten betraut; er übernahm die Leitung der Hofkapelle. Heinrich Schütz hatte die musikalische Gesamtleitung bei der Hochzeit des dänischen Kronprinzen Christian und der sächsischen Prinzessin Magdalena Sibylla in Kopenhagen. In Sachsen geht es etwas turbulent zu, die Hofkapelle ist stark geschrumpft, der Kurfürst hat andere Sorgen und lässt seinen Musikus ziehen; wieder einmal ist Schütz ausgeliehen. Erst 1635 ist Schütz wieder am Dresdner Hof, wo sich die Situation eher verschlechtert als verbessert hat.

    Also reist Heinrich Schütz 1637 abermals nach Kopenhagen. Inzwischen ist er im Besitz eines kaiserlichen Druckprivilegs, was bedeutete, dass er nun bessere Konditionen am Verkauf seiner Noten hatte. Das erste kurfürstliche Druckprivileg hatte Schütz schon 1618 erworben und im Laufe der Jahre immer mal wieder erneuert, aber das kaiserliche Privileg war höherwertig. Da er gute Verbindungen zu Druckern hatte, verfügte er auch über exklusives Notenpapier mit seinem Wappen (gespannter Bogen mit Pfeil = Sagittarius) und den Initialen HSC für: Heinrich Schütz, Capellmeister.


    Im Sommer 1638 stirbt seine Tochter Anna Justina im Alter von nur sechzehn Jahren. Ab Herbst 1639 tritt Schütz in den Dienst des Herzogs von Braunschweig-Lüneburg, Georg von Calenberg, wo er mit der Neuorganisation der Hofkapelle betraut wird. Als der Herzog im Frühjahr 1641 starb, musste Schütz wieder zurück nach Dresden, wo er die Kapelle ein weiteres Mal dezimiert findet - die Aussichten sind für alle Beteiligten trüb und Schütz zieht sich für ein Jahr nach Weißenfels zurück. Es entsteht der Plan die Kapelle zu verkleinern, denn was einmal war, ist nicht mehr. Nun ist in Dresden die Geburt einer Prinzessin musikalisch zu begleiten und Schütz kann das nur leisten, weil er sich aus Leipzig einige Thomaner ausleiht.

    Danach reist Schütz zum vierten Mal nach Kopenhagen und nimmt diesmal noch einige seiner Schüler mit. Während es in Sachsen für Musiker kriegsbedingt nichts zu tun gibt, steht in Kopenhagen eine Doppelhochzeit von Zwillingstöchtern ins Haus. In der Zeit als die Schweden Sachsen verwüsten - wobei sie auch in Weißenfels alles kurz und klein machen - hat Schütz im fernen Dänemark die notwendige Muße, um an seiner »Symphoniae Sacrae« II. zu arbeiten. Als Schütz im Frühjahr 1644 seinen dänischen Dienst verlässt, überreicht er dem Kronprinzen Christian die Reinschrift der »Symphoniae Sacrae« II.

    Auf seiner Rückreise hatte es Schütz nicht besonders eilig und schaute bei seinem Freund Delphin Strungk vorbei, der ein berühmter Organist im Braunschweiger Raum war. 1645 ist Schütz dann mit dem Aufbau der neuen Hofkapelle in Wolfenbüttel beschäftigt und denkt nun als Sechzigjähriger an seinen Ruhestand. Also schreibt er an seinen Dienstherrn in Dresden ein Pensionsgesuch. Dieses - wie auch ein zweites Schreiben - blieb unbeantwortet.

    Das Jahr 1648 bietet zwei erfreuliche Daten, zum Jahresanfang heiratet die Schütz-Tochter Euphrosyne, und am 24. Oktober wird in Münster der Westfälische Frieden eingeläutet, nachdem die Bevölkerung durch den Krieg so reduziert wurde, dass nur noch ein Drittel lebt - natürlich waren auch viele Musiker tot. Als sich das Leben wieder zu normalisieren beginnt, gilt Heinrich Schütz als bester deutscher Komponist.


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    Auch 1651 bittet Schütz erneut erfolglos um seine Pensionierung, bereitet sich jedoch schon einmal auf seinen Ruhestand vor und kauft sich in der Nicolaistraße in Weißenfels ein Haus.


    Untätig bleibt der alte Meister aber nicht, 1653 beginnt er mit der Lucas-Passion, einem geistlichen Chorwerk, das den ersten Teil der Choral-Trilogie bildet; Johannes-Passion und Matthäus-Passion folgen nach. Der siebzigjährige Schütz wird nun 1655 auch noch zum Hofkapellmeister in Wolfenbüttel ernannt, was mehr als Ehrung des alten Meisters zu sehen ist und keine Arbeitsbelastung bedeutet. Und wieder einmal ist Trauer angesagt, Euphrosyne, seine Tochter, stirbt im Alter von nur 32 Jahren.

    Als der Kurfürst Johann Georg I. dann 1656 stirbt, kann sich Heinrich Schütz endlich als Pensionär sehen und ist von Dienstverpflichtungen weitgehend befreit. 1657 verkauft Schütz sein Haus in Dresden und bezieht eine kleine Wohnung; in diesem Jahr vollendet er auch seine Komposition »Zwölf geistliche Gesänge«. Der fast achtzig Jahre alte Schütz macht sich auch noch an die »Weihnachtshistorie« (SWV 435), zu der ihn Johann Georg II. anregte, was Schütz ausdrücklich dokumentiert. 1661 veröffentlicht Schütz sein Opus 14, den »Beckerschen Psalter«, die revidierte Fassung eine Liedersammlung, welche über Jahrhunderte in den Gottesdiensten der evangelischen Kirche benutzt wurde.


    Obwohl Schütz sich allerlei Hochzeitsmusiken gewidmet hatte, weil die Höfe dies einforderten, war er ein tiefreligiöser und ernster Mensch, der sich in erster Linie als Kirchenmusiker sah und natürlich auch heute noch so gesehen wird; da findet man auch oft der Begriff »streng«. Schütz kam vom Wort her, und das waren in der Regel christliche Worte, welche er ohne galante Schnörkel vertonte. Auch Heinrich Schütz hatte unter den furchbaren Ereignissen des Dreißigjährigen Krieges zu leiden, denen er nur teilweise durch seine ausgedehnten Aufenthalte in Dänemark entgehen konnte. Europa war gespalten, Katholiken, Lutheraner und Calvinisten bekriegten sich so heftig, dass nicht nur die Bevölkerung, sondern auch das Hofleben erheblich darunter litt, der Tod war allgegenwärtig, der Tod wurde zu einem Leitmotiv seines musikalischen Werkes; er sprach einmal von seiner »nahezu qualvollen Existenz«. Während seiner letzten 15 Dresdner Jahre lebt Schütz im Kreis von Verwandten.


    Sein letztes Werk »Schwanengesang« komponierte Schütz 1671 im Alter von 85 Jahren. Von 1657 bis zu seinem Tod wohnte er in seinem Haus in Weißenfels, wo er in seiner Komponierstube unterm Dach seine letzten Werke schuf; das Haus istheute ein Museum.

    Ein literarisches Denkmal setzte dem Komponisten Schütz der Schriftsteller Günter Grass mit seinem 1979 erschienenen Roman »Das Treffen in Telgte«.


    Anmerkung:
    Wenn man sich bezüglich der Daten nach dem Gregorianischen Kalender richtet, wird der Todestag dort erst am 16. November angezeigt.


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    An der Heinrich Schütz Residenz am Dresdner Neumarkt ist unterm Erker eine Gedenktafel angebracht.


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  • Lieber Karl-Georg, nur eine Verständnisfrage:


    bist du sicher, dass heute der Todestag von Heinrich Schütz ist? Nach meinen Informationen ist der 6. November 1672 der Todestag nach dem julianischen Kalender, und nach dem gregorianischen Kalender, den ich ausschließlich für die Erinnerungen an tote Musiker verwende, ist der Todestag am 16. November, an dem ich auch an seinen 347. Todestag erinnern werde:

    https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Sch%C3%BCtz

    Leider verzeichnet Klassika als Todestag immer noch den 6. November:

    https://www.klassika.info/index_Todestage_November.html

    Ich habe schon verschiedentlich den Verantwortlichen bei Klassika auf diese häufiger vorkommenden Diskrepanzen aufmerksam gemacht, und er hat sich anfangs auch dafür bedankt, aber mittlerweile meldet er sich gar nicht mehr, und deswegen habe ich meine Bemühungen in Richtung Klassika auch eingestellt.

    Das Gleiche gilt auch übrigens für den Geburtstag, an dem ich auch in diesem Jahr nicht am 8. Oktober, sondern am 18. Oktober an seinen 434. Geburtstag erinnert habe.


    Liebe Grüße


    Willi:)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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