Reynaldo Hahn - * 9. August 1874 Caracas - † 28. Januar 1947 Paris
Zum heutigen Geburtstag von Reynaldo Hahn
Der Familienname der Mutter ist im Giebel gut lesbar, der Familienname Hahn ist im weißen Feld nur noch schemenhaft zu sehen.
Der kleine Reynaldo konnte inmitten einer großen Kinderschar aufwachsen; er war das jüngste Kind von fast einem Dutzend, das die Eltern zu versorgen hatten, ein zwölftes Kind starb kurz nach der Geburt. Neben den Jungs gab es noch fünf Schwestern. Als der Junge drei Jahre alt war, siedelte die Familie von Venezuela nach Frankreich um, genauer gesagt in die Rue du Cirque 6, in Paris.
Der Vater, Carl Salomon, ein jüdischer Kaufmann aus Hamburg, muss ein vielseitig begabter Mann gewesen sein, er war Ingenieur, Erfinder und erfolgreicher Kaufmann. Diese Begabungen ermöglichten ihm zum Berater des venezolanischen Präsidenten Antonio Guzmán Blanco aufzusteigen. Nach dessen Sturz 1887 befürchtete Carl Salomon Repressalien durch die politischen Gegner Guzmáns und zog, wie auch Guzmán selbst, mit seiner Familie nach Paris.
Die Mutter, Elena Maria Echenagucia, wird als sehr kultivierte Frau beschrieben, die zur Elite der venezolanischen Bourgeoisie gehörte. Sie war zwar Venezolanerin, stammte jedoch ursprünglich aus dem spanischen Baskenland. Beide Elternteile sollen musisch interessiert gewesen sein. Wenn man im 8. Arrondissement in Paris wohnt, befindet man sich nicht in der schlechtesten Gegend, und so fand Familie Hahn ohne allzu große Anstrengungen Anschluss an die Pariser Gesellschaft. Schon der sechsjährige Reynaldo wurde dazu eingeladen in den Salons zu singen, wie zum Beispiel bei Prinzessin Mathilde, der Cousine von Napoleon III. Wenn er da sang und sich selbst am Klavier begleitete, war das eine vergnügliche Sache, führte jedoch auch dazu, dass er später im seriösen Konzertsaal nicht so richtig ernst genommen wurde. Im Alter von acht Jahren hatte er einen italienischen Klavierlehrer, vielleicht auch Lehrerin - die Literatur ist sich da nicht einig - und man brachte ihm auch das Notenschreiben bei.
Aufgrund seiner musikalischen Begabung studierte er am Conservatoire de Paris, wo der elfjährige Rynaldo Solfége, Harmonielehre, Kontrapunkt, Komposition und Klavier studierte; und von erstklassigen Lehrern wie Emile Decombes, einem Chopin-Schüler, Antoine Marmontel, Lucien Granjanny, Albert Lavignac, Theodore Dubois, Charles Gounod und Jules Massenet Unterricht erhielt. Auch unter seinen Mitschülern findet man einen heute in der Musikwelt bekannten Namen, nämlich Maurice Ravel. Bereits in seinen musikalischen Anfängen schrieb der 13-Jährige Stücke, die über den Tag hinaus Bestand hatten, wie zum Beispiel das Lied »Si mes vers avaient des ailes«. 1894 lernte Reynaldo Hahn den um drei Jahre älteren Marcel Proust im Salon der Malerin Madeleine Lemaires bei einem Musikabend kennen. Das an sich ungleiche Paar war recht schnell füreinander entflammt und Madame Lemaires lud die beiden jungen Leute auf ihr Schloss Réveillon an der Marne ein. Im Herbst 1895 unternahmen Hahn und Proust noch eine gemeinsame Reise in die Bretagne, ein Jahr später trübte sich die Beziehung etwas ein, aber eine lebenslange Freundschaft blieb erhalten, wie ein Konvolut von Briefen beweist, welche in einem eigenartigen Sprachduktus gehalten sind; auch wenn Proust Musik beschrieb, war Freund Reynaldo ein willkommener Berater. Hahn, der kein Stubenhocker war, sondern ganz schön herumkam, informierte seinen Freund Marcel auch darüber, was in der Welt da draußen so vor sich ging.
Hahns erste Oper »L´ île du rêve« - die Insel der Träume ist Tahiti - ist typisches französisches Fin de Siécle, wurde 1898 uraufgeführt und erreichte große Aufmerksamkeit; es sollten noch fünf weitere Opernwerke folgen.1900 erzielte er mit seinem Liederzyklus »Les Études latines« einen außergewöhnlich großen Erfolg.
1906 erlebte man Hahn beim Mozartfest in Salzburg, das aus
Anlass des 150. Geburtstags von Wolfgang Amadeus Mozart veranstaltet wurde;
Gustav Mahler dirigierte damals »Die Hochzeit des Figaro« und Reynaldo Hahn
»Don Giovanni«, was aufzeigt, dass
Hahn auch als Dirigent einen hohen Stellenwert hatte, denn auch Richard Strauss
und Felix Mottl dirigierten bei diesen Festlichkeiten. Es versetzt in Erstaunen
zu sehen, welches Sänger-Ensemble Hahn hier zur Verfügung hatte: Die Titelrolle
sang Francisco d´ Andrade, Lilli Lehmann (Donna Anna), Johanna Gadski (Donna
Elvira), Geraldine Farrar (Zerlina). Hahn war ja ein großer Mozart-Verehrer und
schrieb zwanzig Jahre später so eine Art Musical über sein Idol, wobei er sich
bereits als »seriöser« Musiker verabschiedet hatte.
Reynaldo war zwar kein Franzose, hatte aber die französische Kultur so verinnerlicht, dass er nicht nur mit Proust, sondern auch mit einer großen Anzahl anderer erstrangiger Schriftsteller befreundet war. Ab 1909 wurde er offiziell zum Franzosen gemacht; er nahm die französische Staatsbürgerschaft an. Hahn betätigte sich auch literarisch, schrieb Essays, sogar Bücher - eines über Gesang - und arbeitete ab seinem 23. Lebensjahr bis zu seinem Lebensende als Musikkritiker, wobei er für sechs Zeitungen schrieb, zum Beispiel auch über die Pariser Erstaufführung des »Parsifal« im Januar 1914, als sich alle Welt die Freiheit nahm, das heißbegehrte Werk aufzuführen. Als im Juli des Jahres die friedlichen Jahre zunächst mal vorbei waren, tat Reynaldo seine patriotische Pflicht und trat, obwohl bereits in den Vierzigern, in die Armee ein und soll auch ganz vorne in den Schützengräben mit dabei gewesen sein, es gibt auch ein Foto von ihm, das ihn mit einer Waffe zeigt. Aber er soll auch ein Klavier in seinem Zelt gehabt haben und es wird berichtet, dass an der Front ein Liederzyklus nach Gedichten von Robert Louis Stevenson entstanden sei.
Nach dem Ersten Weltkrieg, ab 1920, wurde Hahn Professor an der Ecole Normale de Musique in Paris. Einen überwältigenden Erfolg errang Hahn am 7. April 1923 im Théâtre des Variétés mit seiner Operette »Ciboulette«, was dann aber auch einen musikalischen Wendepunkt für ihn bedeutete, denn er wandte sich nun den leichteren Sachen zu und schuf wenig später in Zusammenarbeit mit Sacha Guitry die Comédie Musicale »Mozart«. Als 1940 die deutsche Wehrmacht in Frankreich einmarschierte, orientierte sich Reynaldo Hahn nach dem Süden des Landes, zunächst nach Cannes, dann nach Monte Carlo, und kehrte erst wieder 1945 nach Paris zurück, wo er Direktor der Pariser Oper wurde; 1946 unternahm er zusammen mit Magda Tagliaferro, mit der er befreundet war, eine letzte Konzerttournee durch Europa. Als Operndirektor konnte er nicht mehr viel bewirken, denn die ihm zur Verfügung stehende Zeit war zu knapp, Reynaldo Hahn starb im Januar 1947.
Praktische Hinweise:
Das Grabmal von Reynaldo Hahn befindet sich im hinteren Teil des Pariser Friedhofs Cimetière du Père-Lachaise / Division 85. Man geht vom Haupteingang auf der Avenue Principale eine Strecke von etwa gut 400 Metern geradeaus, bis zur querlaufenden Avenue Transversale 1, wo man sich nach links wendet und von dort dann wieder rechts abbiegend zur Avenue Transversale 2 gelangt, die das Gräberfeld 85 begrenzt. Dort findet man das Grab von Proust und noch etwas weiter Richtung Friedhofsende das Grab von Reynaldo Hahn. Wenn man den Friedhofseingang an der Rue des Rondeaux benutzt, sind es nur wenige Schritte zur Division 85, vis-á-vis dem Crématorium/Columbarium.
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