Der Musiker Gräber

  • Marietta Alboni - *6. März 1826 Cittá die Castello - † 23. Juni 1894 Ville d´Avray


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    Marietta Alboni kann als eine der größten Opernsängerinnen der Geschichte bezeichnet werden; zusammen mit Rosmunda Pisaroni, deren Organ sich auch zu einer Altstimme entwickelt hatte, waren sie die herausragenden Rossini-Sängerinnen ihrer Zeit in diesem Stimmfach.


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    Im dritten Grab von links hat Marietta Alboni ihre letzte Ruhe gefunden - heute ist ihr Geburtstag


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    Eine Grabstätte mit sehr umfangreichem Text


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    Der Geburtsort von Marietta Alboni, die eigentlich als Maria Anna Marzia Alboni geboren wurde, liegt im nördlichen Zipfel der italienischen Region Umbrien, also nahe der Toscana. Der Vater, Leutnant Eustachio Alboni, war beim päpstlichen Zoll beschäftigt und kam also beruflich in diese Gegend, er wurde nach Cesena versetzt.
    Marietta war das jüngste von sieben Kindern. In Überlieferungen wird dargestellt, dass das erste tiefgreifende musikalische Erlebnis Mariettas 1829 ein Theaterbesuch mit den Eltern gewesen sei, wo eine Oper Rossinis aufgeführt wurde. offenbar hatte man die Besonderheit ihrer Stimme schon recht früh erkannt, so dass sie sich vor Gästen produzierte und schon die Neunjährige soll in der Basilika Madonna del Monte aufgetreten sein. 1839 wurde für Marietta ein Konzert organisiert, dessen Erlös es ermöglichte ein Studium am Liceo Musicale in Bologna zu beginnen, wo sie von Alessandro Mombelli ausgebildet wurde. Auch Rossini hatte an dieser Altstimme Gefallen gefunden und Marietta früh unterstützt; er war der Sängerin lebenslang verbunden und studierte mit ihr Rollen in seinen Opern ein.


    Am 3. Oktober 1842 debütierte Marietta Alboni am Teatro Comunale in Bologna als Climene in Giovanni Pacinis populärster Oper »Saffo«. Noch im gleichen Jahr konnte man sie an der Mailänder Scala als Neocle in Rossinis »L´Assedio di Corinto« hören und 1843 übernahm sie an der Scala die Titelrolle in »Lucrezia Borgia« von Donizetti. Sie wirkte auch in Uraufführungen von Opern mit, welche heute keine große Bedeutung mehr haben. Zwischendurch war sie auch wieder in Bologna und Brescia erfolgreich, kehrte aber wieder an die Scala zurück.


    Nun folgten Auftritte in Wien, wo sie 1844 bis 1845 an der italienischen Oper engagiert war, und sie bereiste auch deutsche Städte und gab Konzerte in Dresden, Leipzig und Hamburg, aber auch im fernen St. Petersburg machte sie ihre Aufwartungen. 1847 ließ sie sich in der Erfolgsoper »Saffo« in Rom feiern.


    Dann ging es nach Paris, dem damaligen Dreh- und Angelpunkt des musikalischen Geschehens, das wiederum von Giacomo Rossini in weiten Teilen beherrscht wurde. Dort war ihr erster Auftritt am Théâtre Italien, wo sie die Titelrolle in »La Cenerentola«, die Rosina im »Barbier von Sevilla« und den Malcolm in »La Donna del Lago« von Rossini vortrug. Als sie ein Konzert an der Grand Opéra in Paris gab, war ihr Auftritt so erfolgreich, dass dieses Konzert drei Mal wiederholt werden musste. Wenn man dieses Jahr 1847 überblickt, gewinnt man den Eindruck, dass es das erfolgreichste in ihrer Karriere war, denn da startete sie auch als erste Altistin an die Covent Garden Oper London. Dort hatte Benedict Albano das Royal Italian Opera House in Rekordzeit neu gestaltet, das am 6. April 1847 eröffnet wurde. Marietta Alboni trat in der Eröffnungsvorstellung mit der Rossini-Oper »Semiramide« als Arsace, einem General der babylonischen Armee auf, dann sang sie die englische Premiere von Donizettis »Maria di Rohan« mit überwältigendem Erfolg. Dieser Erfolg war nicht nur künstlerisch, sondern auch monetär, denn die Operndirektion erhöhten die Bezüge des neuen Stars sogleich von 500 auf 2000 Pfund pro Saison. Die um sechs Jahre ältere Jenny Lind feierte in dieser Zeit ihre Triumphe an Her Majesty´s Theatre und galt als Maß der Dinge. In der Wiener allgemeinen Musik-Zeitung ist 1847 etwas zu lesen, das die damalige Konkurrenzsituation etwas beleuchtet:


    »Im Koventgarden-Theater ist indeß die divina Marietta Alboni Gegenstand allgemeiner Bewunderung. Die Alboni ist ein unvergleichlicher Kontrealt, ein wunderbares Talent, wie die Lind Schooßkind des Londoner Publikums und (sagen wir es nur frei) als Sängerin über die Lind zu erheben. Mit jedem Tag wächst sie in der Gunst des Publikums, und es könnte sich sehr leicht ereignen, daß am Schlusse des Feldzuges sich der Krieg zu Gunsten des Koventgarden-Theaters entscheidet«.


    Nicht nur Gioachino Rossini bemühte sich um die aufstrebende Künstlerin; Monsieur Meyerbeer war sehr daran interessiert, diese Künstlerin in einem seiner wichtigen Werke auftreten zu lassen, also erweiterte er die Rolle des Pagen und schrieb - zwölf Jahre nach der Uraufführung seiner Oper »Les Huguenots« - für den Londoner Auftritt der Contraltistin Alboni, das virtuoses Rondo: »Non, non, non, non, non, non, vous n´avez jamais, je gage«. Das war Marietta Alboni auf den Leib geschrieben, man darf vermuten, dass ihr das niemand nachmachen konnte.


    Als im gleichen Jahr an der Covent Garden Oper die Premiere von Verdis »Ernani« zu singen war - das Werk war bereits 1845 am Her Majesty´s Theatre aufgeführt worden - sang die Alboni in dem Stück die Baritonpartie des Carlos in einer eigens für sie angefertigten Transposition, nachdem die Herren Ronconi und Tamburini diese Partie zurückgewiesen hatten. Verdi selbst hatte, wie es in der Literatur heißt, »eine heftige Abneigung gegen Frauen in Männerrollen«. Mit Unterbrechungen trat die gefeierte Primadonna bis 1858 immer mal wieder in London auf, wobei sich seit 1849 ihre Auftritte mehr in Her Majesty´s Theatre verlegten. In den Jahren 1849 und 1850 gastierte sie aber auch in Brüssel, Genf, Bordeaux, Marseille, Lyon ...
    Auch in der Grand Opera Paris war sie wieder als Fides in »Le Prophéte« von Meyerbeer und als Leonore in Donizettis »La Favorite« erfolgreich. In Aubers heute kaum noch bekannter Oper »Zerline« gestaltete sie - an der Akademie der Musik - die Titelrolle bei der Uraufführung am 16. Mai 1851; die Rolle der Zerline wurde speziell für die Sängerin Alboni entwickelt. Danach schloss sich eine Spanien-Tournee an, welche die Sängerin dann auch noch für einen Abstecher nach Lissabon nutzte.


    Und Marietta Alboni zog noch weitere Kreise; 1852 begab sie sich mit dem umtriebigen musikalischen Tausendsassa Luigi Arditi, der die halbe Welt kannte, auf eine Tournee nach Amerika. Bezüglich dieser Reise gibt es eine Passagierliste, in der 135 Personen erfasst sind, darunter auch »Marietta Alboni 30 Female Artiste Italy« und »Archille Pepoli 30 Male Gentleman Italy«, wobei die »30« das Lebensalter bezeichnen soll. Nach einem Vorspann zu dieser Passagierliste müsste auch Luici Arditi an Bord gewesen sein, den man allerdings in dieser Passagierliste vergeblich sucht - der Originaltext liest sich so:


    »Fonti sicure documentate collocano Marietta Alboni in compagnia del marito, Archille Pepoli, di un impresario teatrale, Luigi Arditi e di alcuni artisti die teatro sul battello SS Hermann, partito dal porto Brema II 16 maggio 1852 e giunto nel porto di New York II 6 giugno 1852. Ne testimoniano le note del capitano del batello e la lista del passeggieri qui riportate.«


    Die meisten Publikationen überliefern die Eheschließung mit dem Grafen erst nach der Rückkehr aus Amerika - von beiden Schiffen, mit denen die Alboni zu tun hatte, existieren übrigens Fotos, also sowohl von diesem amerikanischen Schiff »Hermann« als auch vom Clipper »Alboni«.


    Über ihre Aktivitäten als Opern- und Konzertsängerin in Amerika sind nur wenige Details bekannt, zum Beispiel dass sie zusammen mit der französischen Geigenvirtuosin Camilla Urso - einem Wunderkind - auftrat. Aber Walt Whitman, der Opernfan und Autor von »Leaves of Gras«, soll am 23. Juni 1852 bei der amerikanischen Premiere von Marietta Alboni im Metropoletan Theatre in New York anwesend gewesen sein und der Sängerin auch ein Gedicht gewidmet haben, in welchem er die Primadonna »einen leuchtenden Stern« nannte.
    Im Verlauf dieser Reise wurde auch ein Segelschiff auf den Namen »Alboni«-Clipper getauft und eine Zigarrensorte in Kuba wurde nach ihr benannt. Auch das weltbekannte Lied »La Paloma« soll erstmals von Marietta Alboni während ihrer Amerika-Tournee gesungen worden sein, man kann allerdings nur darauf hinweisen, aber nicht garantieren, dass es sich tatsächlich so zugetragen hat. 1852 war die Sängerin so populär, dass sogar eine neue Rosenzüchtung nach ihr benannt wurde - »Rosa Gloire de Mousseux Madame Alboni«.


    Nach ihrer Rückkehr aus Übersee heiratete sie 1853 den Grafen Achille Pepoli, behielt jedoch ihren bekannten Mädchen- und Bühnennamen bei. Der Ehe war kein Glück beschieden; wie es heißt, machten sich bei dem Gatten schon bald ein geistiges Ungleichgewicht und Größenwahn bemerkbar; Graf Pepoli starb im Herbst 1867 in einem Pflegeheim.
    Etwa ein Jahr später, am 13. November 1868, starb Gioachino Rossini, dem Marietta so viel zu verdanken hatte. Marietta Alboni war damals 42 Jahre alt und sang zusammen mit der um 17 Jahre jüngeren Adelina Patti bei der Trauerfeier, die wegen der großen Anteilnahme der Pariser von der ursprünglich vorgesehenen Kirche La Madeleine in die größere Eglise de la Trinite verlegt werden musste. Dort sangen die beiden großen Stimmen das »Quis est Homo« aus des Meisters »Stabat Mater«.


    Der Begriff »große Stimme« lässt sich insofern konkretisieren, dass Marietta Albonis Stimme zweieinhalb Oktaven umfasste. Da es aus dieser Zeit keine Tondokumente gibt, ist man auf die Beschreibung von Zeitzeugen angewiesen. Auch aus der Übersetzung eines Pariser Kritikers lässt sich zumindest herauslesen, dass es sich um eine ganz außergewöhnliche Stimme gehandelt haben muss und der Verlauf ihrer Karriere ist ja auch ein Beweis der Sonderstellung von Marietta Alboni - aber lassen wir mal den Kritiker zu Wort kommen:


    »Ein wahres Alt, das süßeste und klangvollste. Es geht bis F im Bassschlüssel und bis C im Alt der Sopranistin, das heißt, es durchquert einen Kompass von zweieinhalb Oktaven. Das erste Register beginnt mit dem F im Bass und reicht bis zur gleichen Note im Medium. Hier liegt der wahre Körper von Albonis Stimme, und das bewundernswerte Timbre dieses Registers färbt und charakterisiert den Rest. Das zweite Register erstreckt sich vom G des Mediums bis zum F oben, und der verbleibende Kompass eines vierten darüber, der den dritten Teil bildet, ist nur eine elegante Sumptuoisität der Natur. Man muss hören, um sich vorzustellen, mit welcher unglaublichen Fähigkeit die Künstlerin dieses Instrument verwendet! Es ist die perlmuttartige, leichte und fließende Vokalisierung von Persiani, verbunden mit der Brillanz und dem Pomp des Stils von Pisaroni. Nichts kann eine Vorstellung von dieser Stimme geben, die immer vereint, immer gleich ist, die ohne Anstrengung vibriert und von welcher jede Note offen ist wie eine Rosenknospe«.


    Nach ihrer Eheschließung und der Krankheit sowie dem Tod ihres Gatten wollte sich die Sängerin von der Bühne zurückziehen, sah sich aber nach dem Tod Rossinis verpflichtet seinen hinterlassenen Werken weiter zu dienen. Da war ja noch Rossinis bedeutendes Alterswerk »Petite Messe Solennelle«, das er noch 71-jährig geschrieben hatte und so klein wie es der Name suggeriert, eigentlich nicht ist und wo sich spiritueller Ernst mit Elementen aus der Opernwelt begegnen; es ist eine Preziose. Die Entstehungsgeschichte liegt im eher privaten Bereich, wo bei der Uraufführung Größen der Musikgeschichte zugegen waren; erst einen Tag später wurde das Werk öffentlich im Théâtre-Italien aufgeführt, zu den Solisten gehörten damals die Schwestern Carlotta und Barbara Marchisio. Da dieses Werk nur mit einem Dutzend Singstimmen sowie Klavier- und Harmonium-Begleitung aufgeführt wurde, bedrängte man Rossini, dass er eine Orchesterfassung schaffen solle, welche dann auch in großen Sakralbauten entsprechende Wirkung entfalten könnte. Vier Jahre später orchestrierte er sein Spätwerk, Antrieb war ihm der Gedanke, dass das andere nach seinem Ableben tun könnten - dabei dachte er insbesondere an Sax und Berlioz - und dem wollte er einen Riegel vorschieben. Aber er verband das Ganze mit der Auflage, dass dieses Werk in der Orchester- Form erst nach seinem Tod aufgeführt werden darf.


    Und nun kommt der Einsatz von Marietta Alboni; am 24. Februar 1869, also ganz nahe an Rossinis 77. Geburtstag (*29.), wurde die Orchester-Version im Salle Ventadour in Paris mit den Solisten des Théâtre-Italien aufgeführt; an der Seite von Alboni sangen: Gabrielle Krauss, Ernest Nicolas und Luigi Agnesi. Mit dieser Orchesterfassung begab sich dann Marietta Alboni nochmals auf eine Tournee durch Europa, auch aus der Motivation heraus, das Andenken an ihren väterlichen Freund zu pflegen.


    Ihr letzter Bühnenauftritt am Théâtre-Italien soll 1872 im Rahmen einer Wohltätigkeits-Veranstaltung gewesen sein; 1877 ging sie eine zweite Ehe mit dem Offizier Charles Dénis Ziéger ein. Dieser Herr Zieger begegnet einem in der Literatur mitunter auch unter dem Namen »Ziegler« und hat wahlweise mal eine französische, mal eine italienische Nationalität ... als Grabbesucher ist man hier überfordert, die reine Wahrheit herauszuarbeiten.
    Auf die voluminöse Stimme von Marietta Alboni wurde schon ausführlich Bezug genommen, leider muss man feststellen, dass auch ihr Körperumfang voluminös war, was zahlreiche Fotografien belegen; manche Lexikonbeiträge sprechen ganz uncharmant von »Fettleibigkeit«, die bewirkt haben soll, dass die Sängerin in ihren späten Jahren auch auf einem Stuhl sitzend Konzerte gab.


    Auch wenn keine Tondokumente vorhanden sind, kann man aufgrund der Faktenlage feststellen, dass Marietta Alboni mit zu den größten Persönlichkeiten der Vokalmusik gehört. Sie starb 1894 im Alter von achtundsechzig Jahren in Ville-d´Avray bei Paris in ihrer »Villa La Cenerentola« und hinterließ den Armen von Paris einen beträchtlichen Teil ihres Vermögens. Wenn keine Tonträger vorhanden sind, verblasst der Ruhm reproduzierender Künstler in der Regel recht schnell. Aber in Albonis ursprünglicher Heimat haben sich Menschen an sie erinnert und ihr Andenken wird gepflegt. So gibt es in Cesena einen kleinen Platz der nach ihr benannt ist und man hat auch die nach ihr benannte Rosenzüchtung dort angepflanzt. Schon einige Male wurde hier auch ein Marietta Alboni-Preis an Sängerinnen übergeben. In Paris, ganz nahe am Eiffelturm, jedoch auf der anderen Seite der Seine, gibt es eine nach der Sängerin benannte Straße, die Rue de l´Alboni.


    Praktischer Hinweis:
    Das Grab von Marietta Alboni befindet sich auf dem Pariser Friedhof Cimetière du Père-Lachaise / Division 66. Man geht vom Haupteingang aus gleich links an der Toilettenanlage vorbei auf die Avenue du Boulevard, ein Weg, der direkt an der Friedhofsmauer entlang führt und biegt zwischen den Gräberfeldern 61und 62 rechts ab auf den mit chemin Gosselin bezeichneten Weg. Das sind vom Hauptausgang aus etwa 350 Meter. Noch einfacher gestaltet sich der Weg, wenn man den kleinen Seiteneingang (links vom Haupteingang) am Place Auguste Métivier benutzen kann, von dort aus sind es nur etwa 200 Meter bis zum Grab von Marietta Alboni.

    2 Mal editiert, zuletzt von hart ()

  • Lieber 'hart',


    wieder einmal verblüffst Du mich mit Deinem sehr ausführlichen Beitrag – diesmal über Marietta Alboni, einer legendären, phänomenalen Altistin, von der es natürlich leider keine Tondokumente gibt. (Im Jahre 2006 habe ich ihr Grab auf dem Friedhof Père Lachaise besucht.)


    Ergänzend zu Deinen Angaben möchte ich hinzufügen, dass sie ihre Debüts an den großen Opernbühnen der damaligen Zeit sorgfältig plante und sich dem Publikum in möglichst unterschiedlichen Rollen präsentieren wollte. So sang sie an der Mailänder Scala nach ihrem Debüt dort (30. 12. 1842) als 'Neocle' in Rossinis “L'assedio di Corinto” am 7. 1. 1843 mit dem 'Maffio Orsini' in Donizettis “Lucrezia Borgia” - die Titelrolle sang Erminia Frezzolini – und am 7. 3. 1843 als 'Rizzardo' in Marlianis “Ildegonda” lauter 'Hosenrollen'; erst am 16. 8. 1843 konnte sie mit der Titelrolle in Donizettis “La Favorita”, die in Mailand in einer dramaturgischen Bearbeitung aber 'Elda' statt 'Leonora' hieß, endlich eine Frau verkörpern. 1846 trat sie erstmals in Berlin am Königlichen Opernhaus (“Tancredi”) und 1847 in Paris am Théâtre-Italien (“Semiramide”) wieder in männlichen Rollen auf.


    Nach ihrem Sensationsdebüt (6. 4. 1847) an der Royal Italian Opera im Opernhaus Covent Garden in London – als 'Arsace' in Rossinis “Semiramide” neben Giulia Grisi in der Titelrolle – folgte am 8. 5. 1847 der 'Armando di Gondi' in Donizettis “Maria di Rohan”, am 15. 5. 1847 der 'Maffio Orsini' mit der Grisi als “Lucrezia Borgia” und am 1. 7. 1847 die für sie umgeschriebene Baritonrolle (!) des 'Carlo' in Verdis “Ernani”. Weitere Rollen im Jahre 1847 waren in London: 'Giovanna Seymour' in “Anna Bolena”, 'Cherubino' in “Le nozze di Figaro”, 'Pippo' in “La gazza ladra” und 'Malcolm' in “La donna del lago”. Alle diese Londoner Vorstellungen wurden von dem gebürtigen Italiener Michael Costa, der auch Opern komponierte, dirigiert. Ihr Debüt an der Pariser Grand Opéra, die damals im Salle Le Peletier beheimatet war, gab sie 1850 als 'Fidès' in Meyerbeers “Le Prophète”.


    Zwar war ihre schon in jungen Jahren recht füllige Figur, zumal in den für ihr Stimmfach vorherrschenden 'Hosenrollen', stets die Zielscheibe der Karikaturisten, aber das Publikum schloss die Augen und genoss ihre herrliche Stimme. Bereits mit 38 Jahren zog sie sich wegen der Erkrankung ihres Mannes langsam von der Bühne zurück, gab aber keine der damals üblichen Abschiedsvorstellungen, so dass es immer ungewiss war, wann man sie das nächste Mal noch einmal hören könnte. Durch diesbezügliche vage Mitteilungen in der Presse weckte sie das öffentliche Interesse an ihren Auftritten und trieb ihre Gage in astronomische Höhen.


    Anekdoten über die Sängerin sind m. W. nicht überliefert. Es gibt aber die Geschichte, dass sie dem Impresario Maurice Strakosch mal erzählte, dass ihrer Nichte von der Familie des Bräutigams die Hochzeit verweigert wurde, weil sie keine ausreichende Mitgift hatte. Monsieur Strakosch fragte die Alboni nach der Summe (100.000 Francs) und sagte ihr diesen Betrag als Gage zu, wenn sie – obwohl als verwitwete Contessa Pepoli nun im 'Ruhestand', aber wegen der vielen Arztkosten zur Behandlung ihres inzwischen verstorbenen Mannes nicht mehr in den besten finanziellen Verhältnissen lebend – auf einer Konzerttournee 1869 durch Frankreich, Belgien und den Niederlanden mit der Orchesterfassung von Rossinis “Petite Messe Solennelle” die vom Komponisten für sie geschriebene Alt-Partie sänge. Die Alboni sang (insgesamt 64 Konzerte), Strakosch zahlte und die Nichte konnte heiraten.


    Wenn man sich ungefähr die Art ihres Singens vorstellen möchte, sollte man sich – um Beispiele aus jüngerer Zeit zu nennen – Aufnahmen von Ewa Podlés und Marilyn Horne anhören. Besonders die Amerikanerin hat auf vielen Schallplatten Arien aus dem Repertoire von Marietta Alboni gesungen, auch ein Terzett ('Solingo, errante, misero sin da prim'anni miei') aus Verdis “Ernani” mit ihr ist erhalten, allerdings nicht mit der Bariton-Partie des 'Carlo' – wie die Alboni es in London 1847 sang – sondern sogar in der Bass-Rolle des 'Silva'! Zusammen mit 'General Horne', wie man die Sängerin spöttisch wegen ihrer vielen heroischen 'Hosenrollen' nannte, sangen Joan Sutherland und Luciano Pavarotti in einem – vom Fernsehen und von der Plattenfirma 'Decca' aufgezeichneten - Konzert in der New Yorker Avery Fisher Hall (23. 3.1981) mit dem Orchester der 'New York City Opera' unter Richard Bonynge .


    Herzlichen Dank und viele Grüße!


    Carlo

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  • Julie Schumann - *11. März 1845 Dresden - † 10. November 1872 Paris


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    Zum heutigen Geburtstag von Julie Schumann


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    Der Name SCHUMANN ist in der letzten Zeile nur noch schemenhaft zu sehen


    Auch wenn die Schumann-Kinder keine Musikgeschichte im Sinne eigener Werke geschrieben haben, so hatten sie doch einige Kompositionen veranlasst. Die Entstehung des Opus 68, zum Beispiel, ist eng mit der ältesten Tochter Marie verknüpft, für die es als Geburtstagsgeschenk geplant war und dann zu einem der finanziell erfolgreichsten Werke des Vaters wurde.
    Als bei Johannes Brahms erste Gefühle für die dritte Tochter der Schumanns - die damals 16-jährige Julie - aufkamen, entstand Opus 23, das Tochter Julie gewidmet und mit »leise und innig« überschrieben ist. Einige Jahre später schuf Brahms dann seine »Alt-Rhapsodie« unter ganz anderen Voraussetzungen, aber ebenfalls wesentlich beeinflusst von Julie Schumann.


    Es scheint so, dass Clara Schumann in keiner ihrer Töchter eine Nachfolgerin heranbilden wollte, doch alle hatten eine sehr solide Ausbildung am Klavier erhalten. Anfänglich jedoch nicht bei der Mutter, denn von der berühmte Virtuosin ist die Äußerung bekannt: »Marie und Else gehen in die Schule und lernen fleißig, auch in der Clavierstunde, die ich ihnen geben lasse, um mich mit den ersten Anfangsgründen nicht selbst abplagen zu müssen, da auch meine Zeit zu kostbar ist«.
    Erst später ging es dann anspruchsvoller bei der Mutter weiter; aus der Zweitgeborenen Elise wurde eine Hausmusiklehrerin und Eugenie unterstützte ihre Mutter später pädagogisch am Konservatorium in Frankfurt und ging 1891 als Klavierlehrerin nach England. Julie war diesbezüglich zwar auch sehr begabt, aber ihre stets labile Gesundheit setzte ihrem Streben Grenzen, dennoch wusste auch Julie durchaus etwas mit dem Klavier anzufangen.


    Dass das dritte der Schumann-Kinder hier Erwähnung findet ist dem Umstand geschuldet, dass ihr Grab auf einem weltbekannten Friedhof noch erhalten ist und man sich wundert, wie eine der Töchter von Clara und Robert Schumann auf einen Pariser Friedhof kommt, noch mehr wundert man sich, wenn man erfährt, dass es sich um die »Braut« von Eduard Hanslick handelt.


    Julie kam morgens um elf in Dresden zur Welt und entwickelte sich neben ihren beiden bereits vorhandenen Schwestern, die als Maßstab gelten konnten, nicht gerade optimal. Dennoch war sie Papas Liebling, weil sie ein so sensibles Pflänzchen war. Auch mit dem ansonsten eher gefürchteten Kritiker Hanslick, der bei den Schumanns zu Besuch war, verstand sich das kleine Mädchen so prächtig, dass Vater Robert zu Hanslick scherzhaft sagte: »Ich gebe sie Ihnen zur Braut«.
    Als die Schumanns dann nach Düsseldorf übersiedelten, war die Kleine fünf Jahre alt; mit neun Jahren hatte sie praktisch keinen Vater mehr, den sie lieb haben konnte. Als Robert Schumann Ende Juli 1856 gestorben war, war Witwe Clara »Alleinerziehende«, wie man heute sagt. Während die Musikwissenschaftlerin Eva Weissweiler uns Clara Schumann eher als »Rabenmutter« vermittelt, weil sie ihre Kinder überallhin in »Pension« gab, kann man, wenn man sich mit Claras Korrespondenz befasst, allerdings auch zu einem positiveren Bild gelangen. Wie hätte es die Frau mit ihren sieben Kindern - Marie *1841 / Elise *1843 / Julie *1845 / Ludwig *1848 / Ferdinand *1849 / Eugenie *1851 / Felix *1854 - denn machen sollen?


    Julie ist in diesem Beitrag zwar die Hauptperson, das konnte sie aber im Familienverband nicht sein, weil sich die vielbeschäftigte Mutter auch um die anderen Geschwister zu kümmern hatte. Wenn man nun mal in einen Brief vom 27. September 1859 hineinschaut, den Clara an Ihre langjährige Freundin Elise Pacher von Theinburg, bei der Julie untergebracht war, schrieb, wird deutlich, was da neben künstlerischem Schaffen in etwa zu bewältigen war:


    »Ich habe den ganzen Tag kaum anderes denken können, als an Julie, die mir so unendlich am Herzen liegt, und für die ich mich doch in mancher Hinsicht recht sorge. Sie darf sich doch nicht zu viel anstrengen, soll also nur zwei Stunden täglich üben; später, wo sie wieder andere Stunden weniger hat, holt sie das bald nach. Ich habe auch heute ihretwegen an Dr. Pfeufer geschrieben und sie ihm recht an´s Herz gelegt - was das Spazierengehen Juliens betrifft, da bitte ich Dich, liebste Elise, alles daran zu setzen, daß sie Jemand findet, mit Dem sie täglich geht - Wege nach der Schule nehme ich für nichts, sie muß in´s Freye!«


    In einem Brief vom 17. November 1860 kommt ebenfalls zum Ausdruck, dass die Kleine, jetzt bis fünfzehn herangewachsen, nicht einfach abgeschoben war:


    »Eure Einrichtungen, liebe Elise, sind mir Alle sehr recht, nur das Zeichnen nicht, das giebt erst recht Gelegenheit zum krummen sitzen, und ich möchte nicht, daß Julie eine Stunde mehr säße als zu ihrer Bildung nothwendig. Eine Künstlerin im Zeichnen wird sie doch nie, dann müßte sie die Musik lassen, alles Halbe aber hasse ich, laß sie diese Stunde zum "vom Blatt lesen" z. B. anwenden, das nützt ihr mehr, und kostet ihr nichts an ihrer Gesundheit, mindestens nicht so viel Augenlicht.«


    Immer und immer wieder geht es um die Gesundheit des wenig robusten Mädchens und wenn es einmal eine Besserung gibt, dann zweifelt man sogleich daran, dass das lange vorhalten könnte. Unter dem Datum des 16. Juni 1868 scheibt Clara an Mila:
    »Von Julie haben wir viel bessere Nachrichten, ach aber, ich freue mich garnicht mehr darüber, denn es schlägt ja immer wieder zum Schlimmen um!«


    Nun war Julie Schumann dem Kindesalter entwachsen. Brahms hatte der 16-Jährigen seine Variationen
    für Klavier zu vier Händen über ein Thema ihres verstorbenen Vaters gewidmet. Sechs Jahre später war Julie Schumann zu einer heiratsfähigen Frau herangereift, die nicht nur männliche Bewunderung erfuhr. Die ungarische Sängerin Aglaja Orgeni, die bei Madame Viardot studierte und zu den Besuchern des Hauses an der Oos gehörte, sprach davon, dass die Augen Julchens so blau und schwärmerisch seien und ihrem Gesicht ein ganz eigenes Zauberlicht verleihen; aber sie glaubte auch eine Schwermut des Gemüts zu erkennen.


    Diesen Umstand hatte auch der Clara stets freundschaftlich verbundene Johannes Brahms bemerkt, der, als die Kinder noch klein waren, mitunter so eine Art Vaterrolle übernommen hatte. Bei Julchen, wie sie im Familienkreis auch genannt wurde, hatten sich gegenüber Brahms keine Liebesgefühle entwickelt, er war ein Freund des Hauses, aber mehr nicht. Andersherum war das aber nicht so, denn Julie galt mit ihren blonden Haaren allgemein als die Schönste der Schumann-Töchter.
    Das alles hatte den um zwölf Jahren älteren Johannes entflammt, aber es war ihm nicht gegeben, dies in Worten auszudrücken; musikalisch gelang ihm das weit besser, also komponierte er in dieser Zeit die erste Serie seiner »Liebeslieder-Walzer«, gemäß seinem Motto: »In meinen Tönen spreche ich«.


    Anfang Mai 1869 fährt Brahms mit der Bahn von Wien nach Baden-Baden, wo man ihn die letzten beiden Jahre nicht zu Gesicht bekam, was aus einigen Verstimmungen resultierte. Clara war in Lichtenthal bei Baden-Baden in einem eigenen Häuschen mit ihren Kindern sesshaft geworden.
    Brahms erlebte nun bei seinem erneuten Besuch in Baden-Baden gleich zwei Überraschungen: Seine Wirtin hatte inzwischen das Klavier verkauft und er musste sich schleunigst einen Ersatz beschaffen, was gelang. Bei der zweiten Überraschung war die Sache tiefgreifender - Clara eröffnete ihm, dass ihre Tochter demnächst heiraten wird, eine Mitteilung, die Brahms wie ein Faustschlag traf. Konkret erfährt er, dass sich Julie mit dem italienischen Grafen Vittorio Radicati di Marmorito verlobt hat.
    Julie hatte den um einiges älteren Grafen, einen Witwer mit zwei Kindern, in südlichen Gefilden kennengelernt.

    Brahms´ Verstimmung ist nicht zu übersehen, Clara Schumann hat die Situation so beschrieben: »Johannes war von dem Augenblick an, wo ich ihm Mittheilung von Juliens Verlobung machte, wie umgewandelt, er kommt selten und ist einsilbig; auch gegen Julie, gegen die er vorher so liebenswürdig war. Hat er sie wirklich lieb gehabt? Doch er dachte ja nie ans Heirathen und Julie hatte nie Neigung für ihn«. Von Hermann Levi hat sie dann erfahren, dass Brahms »Julie ganz schwärmerisch« lieb habe«.


    Natürlich hat der Komponist auch diesen harten Schlag musikalisch verarbeitet, es entstand die »Alt-Rhapsodie« op. 53. Brahms selbst hat diese Alt-Rhapsodie in engen Zusammenhang mit der für ihn so überraschenden Verlobung von Julie Schumann mit dem Grafen Marmorito gebracht. In einem Brief aus Baden-Baden schreibt er an seinen Verleger Simrock: »Hier habe ich ein Brautlied geschrieben für die Schumannsche Gräfin - aber mit Ingrimm schreibe ich derlei - mit Zorn! Wie soll´s da werden!«.


    Auch Clara hat ihre Sicht auf das Werk und schildert ihre Gefühle:
    »Johannes brachte mir vor einigen Tagen ein wundervolles Stück, Worte von Goethe aus der Harzreise... er nannte es seinen Brautgesang, es erschütterte mich durch den tiefsinnigen Schmerz in Worte und Musik.... ich kann dies Stück nicht anders empfinden als wie die Aussprache seines eigenen Seelenschmerzes«


    Wurde bis dahin nur von der Überraschung gegenüber Brahms berichtet, so ist zu ergänzen, dass das Schicksal vorher natürlich auch eine gewaltige Überraschung für Mutter Clara bereit hielt.
    Aus Divonne, wo Tochter Julie zur Erholung weilte, hatte Clara Schumann im Oktober 1868 die Nachricht erhalten, dass Julie dort die Bekanntschaft des Grafen Vittorio Radicati di Marmorito gemacht und der Graf sich am Abend seiner Abreise - nach siebenwöchigem Beisammensein - erklärt habe, dass beide sich »innigst lieben« und auf ihre Einwilligung hofften. Clara erschreckte vor allem der Standes- und Konfessionsunterschied. Ihrem Tagebuch vertraute die Mutter an:
    »Ich habe ihr alle meine Zweifel mitgetheilt, doch mehr mir zur Beruhigung, denn Liebe lässt sich nicht abschrecken; das weiß ich ja aus meinem eigenen Leben! Selten hat wohl jemand mehr Hindernisse zu besiegen gehabt, als mein theurer Robert und ich!«
    Aus Koblenz schrieb Clara Schumann einmal: »Julie war wegen ihrer Hochzeit so in Liebe aufgegangen ...« Nun, sie muss so gefühlt haben, wie es ihr Vater 29 Jahre zuvor in seinen ersten Liedern des Opus 42 vertont hat.


    Das Weitere ging dann rasch vonstatten und die Brautmutter berichtet: »Endlich am Sonnabend den 10. kam Marmoritos formelle Anfrage wegen Julie und am Sonntag sandte ich ihm mein Jawort. - Das Herz blutete mir aber dabei, das weiß Gott.
    Am Abend überraschte uns Elise, die am 5. mit Felix gekommen war mit Champagner und so feierten wir Juliens Verlobungstag ganz unter uns«.
    Doch dann muss die Hochzeit verschoben werden, da der Großvater des Grafen in Italien starb. Wegen des Trauerfalls bittet Graf Marmorito nur um eine ganz stille Hochzeit.


    Am 22. fand die Trauung in der katholischen St. Bonifatiuskirche in Lichtenthal statt, Johannes Brahms fungierte als Trauzeuge und soll bei der Zeremonie seinen Namen so undeutlich ausgesprochen haben, dass er im Kirchenbuch als »Komponist Schrams« verewigt ist. Nach der Kirche gab es noch ein Frühstück zu Haus und dann reiste das Paar ab; das Ziel war das gräfliche Schloss Passerano bei Turin.


    Mutter Schumann kommentierte Julies Abschied so: »Sie nahm sogar einen weit leichteren Abschied von uns, als ich je für möglich gehalten hätte - jetzt ist sie dort in ganz anderen Verhältnisse gekommen ... ihre Nachrichten sind sehr gut, sie war von den Verwandten sehr liebevoll aufgenommen u. hat es nun nur mit der Schwiegermutter zu thun, deren Liebe sie sich wohl nach u. nach erwerben wird«; und in ihrem Tagebuch schreibt sie:»Wir haben jetzt keinen anderen Gedanken als unser Julchen und meine Phantasie malt mir fortwährend all das Schwere aus, dem sie entgegengeht. Das der Mann ein Italiener, mit dem ich also nie ordentlich sprechen kann, ist mir zu traurig ...«


    Aber aus Italien kam schon im nächsten Jahr eine frohe Botschaft; am 1. September 1870 schrieb Clara an ihre blinde Freundin Rosalie Leser: »In Turin ist gestern den 31ten Abends 9 Uhr ein Gräflein angekommen, Mutter und Kind sehr wohl ...« und am 22. August des folgenden Jahres war schon das zweite Gräflein angekommen; als dann die dritte Schwangerschaft ins Haus stand, machte sich die Großmutter in Baden-Baden Sorgen, weil sie die körperliche Konstitution ihrer Tochter von Geburt an kannte.


    Der Rest des kurzen Lebens von Comtesse Julie Radicati de Marmorito ist schnell erzählt. Sie wollte ihr drittes Kind in Menton, einer Stadt an der Côte d´Azur, die an der Nahtstelle von Frankreich und Italien liegt, zur Welt bringen. Von Paris aus sollte es mit ihrer langjährigen Freundin Jenny Schlumberger in klimatisch günstigere Gefilde gehen. Als Julie auf dieser Reise auch nach Lichtenthal kam und einige Zeit dort blieb, hatte sich ihre Mutter vorgestellt, dass Julchen hier einige Konzerte genießen und Zerstreuung finden könnte. Aber es war eine Zeit der körperlichen und seelischen Belastungen des familiären Umfeldes. Am 27. September erfolgte dann die Abreise nach Paris, die uns Clara Schumann so schildert:


    »Die letzten Tage im September waren furchtbar - mir blutete immerfort das Herz. Julie drängte fort nach Paris zu Frau Schlumberger, die ihr versprochen hatte, mit ihr in den Süden zu gehen - dort hoffte sie Linderung oder Genesung ... Wir sprachen so oft mit ihr, ob sie nicht ruhig in unserem Hause den Winter über bleiben wolle, ihre Niederkunft da abwarten, aber ihr Sinn stand nach dem Süden, von dort hoffte sie - das arme verlorene Kind.«


    Felix Schumann, Julies jüngster Bruder, hatte - wie ehedem sein Vater und genau so lustlos ­- in Heidelberg ein Jurastudium begonnen. Clara Schumann fuhr am 9. November nach Heidelberg, wo sie gleich zwei Dinge miteinander verbinden konnte: Schauen, was der Student Felix Schumann so treibt - und in der Stadt ein Konzert geben; keinen Soloabend, sondern - wie so oft - mit der Altistin Amalie Joachim; unter anderem gab es Stücke von Beethoven, Händel, Robert Schumann und Mendelssohn Bartholdy.


    Amalie Joachim hatte bei ihrem Gesangsvortrag keine Ahnung, dass man Clara Schumann vor dem Konzert in einem Telegramm den Tod ihrer Tochter Julie mitgeteilt hatte. Wie sich das genau zugetragen hatte, schrieb Clara an Fräulein Leser:


    »Denken Sie, das Telegramm erhielt Frau Feidel in meinem Beisein am Montag Morgen. Das Concert war nicht ohne große Verlegenheit abzuändern. Kurz, ich spielte. Niemand - auch Frau Joachim nicht - ich fand es besser, sie nicht zu erregen - wußte davon.«


    Was sich in Paris zugetragen hatte, erfährt die Nachwelt aus einem Brief, den Clara Schumann am 22. November 1872 an ihre Berliner Freundin Sarah Lazarus schrieb:


    »ich möchte Ihnen doch selbst, wenn Sie es auch schon durch die Zeitung erfahren haben, mittheilen, daß uns der große Schmerz wurde unsere heißgeliebte Julie zu verlieren. Sie ging mit Mann und Kind zum Besuch von uns aus zu ihrer wahrhaft mütterlichen Freundin Frau Schlumberger nach Paris – Diese wollte sie dann nach dem Süden begleiten, nach Mentone, wo sie ihre Entbindung abwarten sollte, da sie ihres sehr beängstigenden Hustens halber nicht nach Turin zurück durfte. Ach, es kam anders! sie wurde von einem Mädchen entbunden, welches, nur 7 Monate alt, nur eine Stunde athmete. Julie bekam einen Blutsturz und eine so völlige Entkräftung, daß sie nach 10 Tagen (am 10 Nov.) sanft in den Armen ihres trostlosen Mannes entschlief«.


    Auch wenn sich Julie Schumann - respektive Julie Radicati de Marmorito - als Musikerin keinen großen Namen machen konnte, hat ihr Leben so viel mit Musikgeschichte zu tun, dass man an diesem Grab nicht achtlos vorüber gehen sollte.


    Anmerkung: Lichtenthal wurde 1909 nach Baden-Baden eingemeindet und wird heute als Stadtteil Lichtental beschrieben.



    Praktischer Hinweis:
    Das Grab von Julie Schumann befindet sich auf dem Pariser Friedhof Cimetière du Père-Lachaise / Division 70, (nur etwa fünfzig Schritte von George Bizets Grab in Division 68 entfernt); man geht vom Haupteingang 300 Meter geradeaus bis zur querenden Avenue de la Chapelle und wendet sich auf dieser Avenue dann nach links, etwa nach 150 Metern kommt man zu Division 70, dem Division 68 gegenüber liegt.

  • Heinz Winbeck - *11. Februar 1946 Ergolding - † 26. März 2019 Regensburg


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    Rechts der Straße, hinter der Friedhofsmauer, ist das Grab eines großen Komponisten unserer Tage.


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    Zum heutigen Todestag von Heinz Winbeck


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    EIN GROSSER UNZEITGEMÄSSER - so hatte Thorsten Preuß vom Bayerische Rundfunk seinen Nachruf überschrieben, als der Komponist 73-jährig gestorben war. Den Komponisten Heinz Winbeck charakterisierte der Klassik-Redakteur des BR so:
    »Heinz Winbeck ist stets unbeirrbar seinen Weg gegangen. Nicht aus Kalkül, sondern aus innerer Notwendigkeit, nicht rückwärtsgewandt, aber in der Tradition verwurzelt, in der Gegenwart Zuhause, die Zukunft im Blick«.


    Wenn man dem Leben Heinz Winbecks nachspürt, sprechen die Quellen von ärmlichen oder bescheidenen Verhältnissen, in die das Kind in einen Arbeiterhaushalt hineingeboren wurde. Winbeck selbst erzählte ganz offen von der Armut in seiner Jugend und schildert, dass die Anschaffung eines Klaviers nur möglich war, weil nach einem unverschuldeten Unfall Schmerzensgeld ins Haus kam. Ein Pfarrer, der das Talent des Jungen erkannt hatte, war sein erster Förderer.


    1964 begann Winbeck sein Musikstudium am Richard-Strauss-Konservatorium in München, wo er unter anderem bei Magda Rusy Klavier und bei Fritz Rieger Dirigieren studierte. Dem folgte 1967 ein Studium an der Staatlichen Hochschule für Musik in München; dort ging es mit dem Dirigieren bei dem Niederländer Jan Koetsier weiter und für Komposition waren der von Hindemith geprägte Harald Genzmer und Günter Bialas zuständig; 1973 schloss Heinz Winbeck sein Studium mit dem Staatsexamen in Kompositionslehre ab.


    Im Geburtsjahr von Heinz Winbeck wurden in Hitzacker, einer kleinen Gemeinde an der Elbe, hundert Kilometer von Hamburg entfernt, die »Sommerlichen Musiktage« gegründet, 1974 erhielt der frisch Examinierte dort den ersten Preis im Kompositionswettbewerb. Seine Musik war inspiriert nach einem Text von Wolfgang Hildesheimer.1980 errang Winbeck beim vierten Kompositionswettbewerb dort einen zweiten Preis. Im gleichen Jahr bekam der jetzt 34-Jährige an der Staatlichen Hochschule für Musik in München einen Lehrauftrag und wurde 1981 mit dem Förderpreis für Musik der Stadt München bedacht. 1981/82 wurde durch ein Stipendium des Freistaates Bayern ein halbjähriger Aufenthalt in der Cité Internationale des Arts in Paris möglich.


    Dazwischen, also von 1974 bis 1978, war Winbeck Schauspielkapellmeister und -komponist in Ingolstadt und an der Luisenburg in Wunsiedel.
    1985 gab es für Winbeck den Musikpreis der Akademie der Schönen Künste Berlin. Zwei Jahre später folgte eine hauptamtliche Dozentur für Musiktheorie und Gehörbildung an der Staatlichen Hochschule für Musik in München.
    Seit 1988 war Heinz Winbeck Professor für Komposition an der Staatlichen Hochschule für Musik in Würzburg und in diesem Jahr hatte er auch mit dem in Amerika herausragenden Festival für zeitgenössische Musik in Kalifornien Kontakt als Composer in residence beim Cabrillo Musik-Festival.


    Seine Frau lernte er bereits in Studienzeiten kennen, als er die Sudetendeutsche Singgemeinschaft leitete, wo seine Eltern mitwirkten. Gerhilde, eine angehende Lehrerin, unterstützte den jungen Mann mit Einblicken in die sphärische Trigonometrie, welche dieser für seine astronomischen Interessen benötigte und sie nahm bei ihm Klavierunterricht. Aus dieser Konstellation ergab sich dann eine Eheschließung, über die sich die Brauteltern nicht so recht freuen wollten. Gerhilde Winbeck beschrieb die Situation des Studenten-Ehepaars im Nachhinein so: »Wir hatten nichts und lebten vom Suppentopf der lieben Schwiegermutter«.


    Ein ganz neuer Lebensabschnitt begann für die Winbecks 1989 - aus Frau Winbeck war längst eine Gymnasiallehrerin geworden und er hatte eine Professur in Würzburg - sie hatten in Schambach bei Riedenburg von der Kirche einen Pfarrhof mit barockem Portal von 1712 - ein sogenanntes Jurahaus - erworben und sanieren lassen, was sie sich erst mit der Professorenstellung von Heinz Wimbeck leisten konnten, vordem war das Lehrergehalt von Gerhilde Winbeck die wesentliche Einnahmequelle. Dieses Haus mit 150 Zentimeter dicken Mauern und einer Wohnfläche von gut 500 Quadratmetern steht in direkter Verbindung mit der Wallfahrtskirche Heilig Kreuz. Die behutsame Sanierung entsprach ganz der Philosophie des äußerst sensiblen Komponisten. Neben den Wimbecks lebten und leben auch noch zwei Esel, zwei Ziegen, drei Schafe sowie zwei Hunde und eine Katze auf dem ehemaligen Pfarrhof. Wimbeck sagte einmal in einem Interview:»Hier wird kein einziges Tier getötet, nicht einmal Spinnen. Sie sind genauso Geschöpfe Gottes wie wir«.


    Ein besonderes Verhältnis zu himmlischen Dingen hatte Heinz Winbeck auch durch seine Sammlung mit Steinen aus dem Weltall, die er seit den 1970er Jahren sammelte und fein geordnet in Vitrinen aufbewahrte. 1995 wurde diese private Sammlung in Zusammenarbeit mit dem Riesenkratermuseum an fünf Orten der Öffentlichkeit unter dem Thema: »Asteroiden, Meteoriten, Kometen« präsentiert worden.


    Dieses stille Refugium in Schambach war für das Schaffen von Heinz Wimbeck sehr wichtig und er konnte mit dem Status des weithin - von der speziellen Fachwelt einmal abgesehen - unbekannten Komponisten gut leben und war auf eine Vermarktung seiner Musik nicht erpicht. Seine Introvertiertheit und Bescheidenheit war bei Leuten, die mit ihm Berührung hatten, bekannt.
    Er versuchte einen Spagat, indem er sich sowohl mit der Avantgarde beschäftigte als auch die europäische Musiktradition fortführte. In diesem Zusammenhang tauchen dann die Namen Anton Bruckner, Gustav Mahler und sogar Franz Schubert auf. Irgendwo steht geschrieben, dass Winbeck jede Note Mahlers gekannt haben soll. Sein wohl bekanntestes Werk ist die Fünfte Symphonie, die sich auf den Torso der Neunten Bruckners bezieht. Aber der Komponist stellte selbst klar, dass lediglich in 4 von 1237 Takten tatsächlich direkte Zitate von Bruckners Musik sind. Heinz Winbeck galt als Ausdrucksmusiker in der Bruckner-Mahler-Linie, aber er wollte mit seiner Symphonie keinen an Bruckner erinnernden Orchesterklang schaffen.


    Der weithin bekannte US-amerikanische Dirigent und Pianist Dennis Russell Davies, hat ganz wesentlich zur Verbreitung von Winbecks Werken beigetragen. Schon im Juni 1996 hatte er mit dem Stuttgarter Kammerorchester in der Kölner Philharmonie Winbecks Komposition »Winterreise - Stationen für 19 Solostreicher« uraufgeführt; ein Dutzend Jahre später erfuhr das Werk eine Erweiterung zum Ballett.


    An der ersten CD-Gesamtausgabe aller fünf Sinfonien von Heinz Winbeck, deren Entstehung sich über mehrere Jahre hinzog und an der Winbeck noch selbst mitgearbeitet, ja sogar noch die Cover-Bilder von seinem Malerfreund Engelbert Hilbich - der auch eine Menge von Musik verstand - ausgewählt hatte, nahm er noch regen Anteil, aber Heinz Winbeck war es nicht mehr vergönnt, die Veröffentlichung seines Hauptwerkes zu erleben. Allerdings hat man heute die Gewissheit, dass diese Aufnahmen von ihrem Schöpfer autorisiert sind.


    Die drei ersten Sinfonien schrieb er ab 1983 im Zeitraum von sechs Jahren. Muhai Tang ist der Dirigent der Ersten Sinfonie, welche im Gedenken an Sophie Scholl entstand, die Zweite wird von Dennis Russell Davies dirigiert und entstand unter dem Eindruck der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, beide sind rein instrumental.
    Die dritte Sinfonie benutzt Texte von Georg Trakl für Alt und Sprecher und trägt den Beinamen »Grodek«, was sich auf den Ort Gródek bezieht, der heute in der Ukraine liegt, wo Georg Trakl im Ersten Weltkrieg eine furchtbare Schlacht miterlebte. Diese Sinfonie wird auf der CD von Mathias Husmann dirigiert.
    Die Vierte und längste (01:21:05) Sinfonie baut auf Texten aus dem lateinischen Requiem und von Georg Trakl auf; Winbeck hat sie unter dem Eindruck des Todes seiner Mutter geschrieben; seine Vierte ist ein gewaltiges Werk, was auch in der Aufführungsdauer von etwa achtzig Minuten zum Ausdruck kommt. Dennis Russell Davies hat das Werk dirigiert, wie dann auch die Fünfte, aber es musste erst einmal zur Komposition kommen ... und das war nicht so einfach, denn Winbeck nahm keine Aufträge an, so etwas scheute er wie der Teufel das Weihwasser.
    »Mit Heinz über ein neues Werk zu sprechen war schwierig«, sagt Dennis Russell Davies, er musste versuchen dem Komponisten das Gefühl zu geben, dass der Einfall einer neuen Komposition von Winbeck selbst kam. Davis hatte sich natürlich in seiner eineinhalb Jahrzehnte währenden Zeit als Chefdirigent des Bruckner Orchesters Linz gründlich mit Bruckners Werken befasst und eruierte Möglichkeiten Bruckners hinterlassene Skizzen seiner 9. Sinfonie zu vollenden. Aus diesem Anstoß wurde dann schließlich Winbecks Fünfte geboren. Der Titel ist schon furchteinflößend: »Jetzt und in der Stunde unseres Todes«, ist Winbecks Fünfte überschrieben, da kann man sich Nachdenkliches darunter vorstellen, das sind in der Tat ganz eindringliche einundsechzig Minuten.
    Winbecks Fünfte wurde am 9. März 2011 im Brucknerhaus Linz vom Bruckner Orchester unter der Leitung von Dennis Russell Davies uraufgeführt, wozu das Orchester etwa 55 Minuten benötigte. Wikipedia nennt als Uraufführungstag zwar den 1. März und als Aufführungsort Stift Sankt Florian, aber die Quelle des Bärenreiter-Verlages scheint glaubhafter zu sein.
    Ein Vielschreiber war Heinz Winbeck nicht, Komponieren war für ihn fast etwas Heiliges und der Großteil seines Schaffens kreist um das Thema Tod. Winbeck verstand seine Musik als Auseinandersetzung mit dem Göttlichen und sagte einmal:»In allen meinen Sinfonien geht es darum und um die Frage, woher kommen wir und wohin gehen wir. Musik ist ein Gottesbeweis - der stärkste, den ich kenne«. Kurz vor seinem Tod meinte er:»Ich bringe buchstäblich nur das zu Papier, das, würde ich es nicht tun, mich zersprengte«.
    Und wie er das zu Papier brachte ... da soll es keine Skizzen am Klavier oder PC gegeben haben; der Komponist Tobias PM Schneid, ein Schüler von Winbeck, beschreibt den Arbeitsprozess seines Professors so: »Der Mann hatte die kompletten Sinfonien im Kopf. Und erst wenn diese Entwicklung abgeschlossen war, hat Heinz Winbeck die Partitur geschrieben - und zwar sofort ins Reine, in Schönschrift auf Druckfolie, so, wie man sie damals dem Verlag abliefern musste«.


    Durchgängig wird in vielen Nachbetrachtungen von Wegbegleitern Heinz Winbecks seine Bescheidenheit und Zurückhaltung besonders hervorgehoben. Er stand in geistiger Verbindung zu Anton Bruckner und Gustav Mahler, aber auch zu seinen Zeitgenossen Amadeus Hartmann und Wilhelm Killmayer, die vor ihm schon den Förderpreis der Stadt München bekommen hatten. Vier Tage vor seinem Tod hatte Heinz Winbeck noch von Russell Davies erfahren, dass er in Brünn mit großem Publikumserfolg dreimal Winbecks Orchesterwerk »Lebensstürme« mit großem Erfolg dirigiert habe; Winbeck war zu diesem Ereignis nicht nach Brünn gereist, das Reisen war ihm zu beschwerlich geworden.


    Praktischer Hinweis:
    Wenn man von Riedenburg aus Richtung Frauenhausen fährt, kommt man im rechts der Straße liegenden 93339 Schambach direkt an der Friedhofsmauer vorbei und kann dann rechts zum Parkplatz an der Kirche abbiegen, wo man direkt zum überschaubaren Friedhof kommt. In der hintersten Ecke befindet sich das Grab unmittelbar beim Kirchturm.


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    Riedenburg-Schambach Barockkirche Mariä Heimsuchung


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  • Zur abgebildeten Ausgabe der fünf Sinfonien von Heinz Winbeck gibt es einen prägnanten Beitrag unseres Tamino-Mitglieds Edwin Baumgartner in der "Wiener Zeitung", den ich hier verlinken möchte. Darin findet sich auch ein Foto des charismatischen Winbeck.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

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  • Rudolf Bockelmann - 2. April 1892 Bodenteich - † 9. Oktober 1958 Dresden


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    Zum heutigen Geburtstag von Rudolf Bockelmann


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    Rudolf Bockelmann wurde in der Lüneburger Heide, im Landkreis Uelzen als Sohn eines Dorfschullehrers geboren. In den Jahren 1902 bis 1911 besuchte er das traditionsreiche Ernestinum in Celle. Für die musikalische Komponente sorgte sein Vater, der ihm Klavierunterricht erteilte. Nach Beendigung seiner Gymnasialzeit begann er an der Universität Leipzig das Studium der klassischen Philologie, denn es war angedacht, dass er in die Fußstapfen des Vaters treten und ebenfalls den Beruf eines Lehrers ergreifen würde. In der Leipziger Universitäts-Sängerschaft St. Pauli ist - neben illustrer Namen der Musikgeschichte - auch der Name Rudolf Bockelmann zu finden.
    Die Jahreszahlen der vorgenannten Daten deuten es bereits an, dass der junge Mann in den Ersten Weltkrieg geriet, der ihm einige Blessuren einbrachte; sein Studium konnte er erst nach dem Krieg zu Ende bringen. Normalerweise hätte nun sein Referendariat beginnen sollen, aber in Bockelmanns Umgebung war seine Stimme einigen Leuten aufgefallen, die dringend empfahlen, dass sich der Dirigent Arthur Nikisch diese Stimme mal anhört, der ja bereits Elena Gerhardt entdeckt hatte. Auch der berühmte Bariton Karl Scheidemantel hatte Bockelmanns Stimme positiv beurteilt.


    Nikisch riet tatsächlich zu einem Gesangsstudium, welches Bockelmann dann in Leipzig bei hervorragenden Vertretern des Baritonfachs absolvierte; seine Lehrer waren der Schlesier Walter Soomer und der Österreicher Oscar Laßner.
    Bei so viel natürlicher Protektion war er relativ schnell bühnenreif geworden und stand bereits 1920 auf der Bühne des Celler Stadttheaters. Ein Jahr später war er dann schon in Leipzig der Heerrufer im »Lohengrin«. Im Laufe seines weiteren Sängerlebens sollten Wagner-Partien einen wesentlichen Anteil an seinem künstlerischen Schaffen haben, allerdings bei Partien, die weit über den Heerrufer hinausgingen. Am Leipziger Opernhaus reifte seine Stimme zum Heldenbariton. Ein solcher wurde in Hamburg gebraucht. 1926 war das Engagement nach Hamburg erfolgt, wo er erstmals Hans Sachs und den Wotan sang, die dann schließlich zu den erfolgreichsten Partien seines Sängerlebens werden sollten.
    Dennoch bot sich damals auch noch Raum für andere Dinge, wie zum Beispiel 1927 die Uraufführung von Korngolds Oper »Das Wunder der Heliane« und noch im selben Jahr »Die versunkene Glocke« von Ottorino Respighi. In Leipzig sang er 1930 in Ernst Kreneks »Das Leben des Orest« und an der Berliner Staatsoper Hans Pfitzners letzte Oper »Das Herz«, die fast zeitgleich auch in München aufgeführt wurde.


    Bei einem Philharmonischen Konzert sang er unter dem Dirigenten Karl Muck, der vermutlich dann auch den Kontakt mit Bayreuth herstellte, wo Bockelmann 1928 als Kurwenal im »Tristan« debütierte und in den Folgejahren auch den Holländer sowie Sachs und Wotan sang.
    Seit 1932 war er dann an der Berliner Staatsoper, welche in der Ära Tietjen ja eng mit Bayreuth kooperierte. In Berlin waren durchaus gleichwertige Stimmen für jede Rolle doppelt zu besetzen, da war zum Beispiel ein Prohaska, welcher auf gleichem Niveau sang.
    Natürlich war so eine Stimme auch international gefragt; er war 1930-32 an der Oper von Chigaco zu hören und sang 1929-30 an der Covent Garden in London und ebenfalls dort von 1934 bis 1938, vor allem als Wotan und Hans Sachs.
    Von Walter Legge ist überliefert, dass Bockelmann des Englischen nicht mächtig war, jedoch die Bedeutung des Wortes »but« kannte. Also überflog er die englischen Kritiken und suchte im Text nach dem Wort »but«; fand er eines, murmelte er: »sowieso alles Scheiße«.


    Er gab Gastspiele in Amsterdam, Antwerpen, Barcelona, Brüssel, Budapest, Paris, Prag, Rom, Stockholm, Wien... In Wien war er als Boris Godunow zu hören, aber auch als Holländer, Hans Sachs und Wolfram von Eschenbach in »Tannhäuser«.
    Als sich kriegerische Ereignisse einstellten, war eine große internationale Karriere nur noch sehr eingeschränkt möglich. Nach 1945 konnte Bockelmann seine große Karriere nicht einfach nahtlos fortsetzen, weil er vordem zu nahe bei den Größen des untergegangenen Reiches gestanden hatte. Er war auch auf der sogenannten »Gottbegnadeten-Liste» vertreten und noch 1944 wurde er als Gesangslehrer an die Reichshochschule für Musik in Salzburg berufen.
    In vielen Kurzdarstellungen erscheint Rudolf Bockelmann oft nur als der große Wagnersänger mit seinen beiden Glanzrollen, aber da waren auch noch Rollen wie der Amfortas im »Parsifal«, der Orest in »Elektra«, der Herr Fluth in »Die lustigen Weiber von Windsor«, der Amonasro in »Aida«, der Tonio im »Bajazzo«, der Valentin im »Faust« von Gounod, Wilhelm Tell von Rossini. Auch in Händels »Giulio Cesare« und Pfitzners »Palestrina« wirkte er als Borromeo mit. Daneben soll nicht vergessen werden, dass Bockelmann auch den Liedgesang pflegte, wobei ihn am Piano in der Regel Sebastian Peschko begleitete, aber in der Raucheisen-Edition sind uns zum Beispiel auch einige von ihm gesungene Loewe-Balladen erhalten.
    Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte Bockelmann noch am Hamburger Opernhaus gesungen, zum Beispiel in Henry Purcells »Dido und Aeneas«. In dieser Aufführung unter Schmidt-Isserstedt, welche im Juni 1946 unter Nachkriegsbedingungen stattfand, stand er mit Erna Schlüter und Annelies Kupper auf der Bühne, da darf man noch von hohem Niveau ausgehen. Und auch nach Frankreich kam Rudolf Bockelmann nochmal als Künstler, anlässlich eines Gastspiels in Vichy, das war im Sommer 1950. Seine Gedanken kann man in einer Publikation von DIE ZEIT im Detail nachlesen.
    Mit seiner Paraderolle des Hans Sachs beendete er 1957 seine große Karriere als Bühnendarsteller am Theater von Bielefeld.
    In den Nachkriegsjahren war er in Hamburg auch gesangspädagogisch tätig; erhielt aber dann 1955 einen Lehrauftrag für eine Gesangsklasse an der Musikhochschule Dresden.


    Hier hat er auf dem Alten Katholischen Friedhof seine letzte Ruhe gefunden, seine Frau, die Sängerin Maria Weigand, folgte ihm einige Jahre später. Es gibt eine Menge anderer Bilder von diesem Grab, aber die hier gezeigten Fotos dürften noch dem aktuellen Stand entsprechen, sie entstanden 2018.


    Praktische Hinweise:
    Das Grab befindet sich auf dem Alten Katholischen Friedhof in Dresden, Friedrichstraße 54.Man findet die Tafeln an der Friedhofsmauer.


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  • Lieber Hart!


    Wie ich schon mal geschrieben habe, lese ich Deine Texte immer wieder gern, weil sie die Erinnerung an große Künstler auf eine ganz eigene Art bewahren.


    Vielleicht darf ich Dich heute auf den Thread über Maria Bjeschu hinweisen, da der möglicherweise Deiner Aufmerksamkeit entgangen ist. Dort hat unser Mitglied 'Orfeo' ein Bild von einer Trauerfeier aus Anlass des 2. Todestages der Sängerin eingestellt. Man sieht da eine ganz bemerkenswerte Grabstelle.


    Es gibt dann noch einen Link zu einer Würdigung von Maria Bjeschu aus Anlass des 4. Todestages in den Nachrichten des Moldawischen Fernsehens. Außergewöhnlich!!!


    Beste Grüße


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Man sieht da eine ganz bemerkenswerte Grabstelle.

    Lieber Caruso,
    für den Hinweis zum Grab von Maria Bieșu bedanke ich mich; Du vermutest ganz zutreffend, dass ich nicht mal eben en passant am Zentralfriedhof in Chisinau vorbeischauen kann; würde ich es können, wäre ich auch aus ästhetischen Gründen etwas traurig ...

  • Hans Richter - *4. April 1843 Raab - † 5. Dezember 1916 Bayreuth


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    Zum heutigen Geburtstag von Hans Richter


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    Aus Raab, dessen Bildstöcke, die sogenannten Raabkreuze, im westlichsten Zipfel von Ungarn und unweit Wiens, zahlreich in der Landschaft stehen, ist längst das ungarische Györ geworden. Dort kam Hans Richter als Sohn des Domkapellmeisters Anton Richter zur Welt, einem Mann, der sich auch kompositorisch betätigte.
    Schon von Geburt an war der kleine Hans von Musik umgeben und wenn ihm seine Mutter ein Schlaflied sang, dürfte da kein falscher Ton gewesen sein, denn Josefa Richter war Opernsängerin. Dass man den offenbar begabten Kleinen musikalisch recht früh auszubilden begann lag auf der Hand; mit vier Jahren wurde er mit dem Klavier vertraut gemacht, fast eine Selbstverständlichkeit bei dieser Herkunft. Daneben erlernte er die meisten Orchesterinstrumente, was natürlich für den späteren Dirigenten von großem Vorteil war.


    Als er ab 1852 Chorknabe in der Wiener Hofmusikkapelle wurde, verfügte der zehnjährige Knabe also bereits Erfahrung beim Gebrauch vieler Musikinstrumente. In der Zeit von 1860 bis 1865 schloss sich ein Besuch des Wiener Konservatoriums an. Ab 1862 ist Hans Richter als Hornist am Kärntnertortheater in Wien tätig, das war praktisch der Vorläufer der heutigen Staatsoper, also ein sehr wichtiges Haus. Hier erhielt Richter dann schließlich auch die Befähigung zum Kapellmeister.


    Richter war gerademal 23 Jahre alt als er Richard Wagner kennenlernte Es sind ja viele Briefe Wagners an Richter überliefert, wo sich dann Anfänge wie zum Beispiel »Mein guter Richter!« finden, was deutlich zeigt, dass da ein ganz enges Vertrauensverhältnis bestand, aus dem sich für beide eine typische Win-win-Situation ergeben hatte. Einerseits konnte Wagner so einen stets treu ergebenen »Diener« gut gebrauchen, andererseits erkannte Richter ganz klar, dass er hier an einer nie versiegbaren Quelle musikalischer Einfälle saß. Richters Statement wird ja häufig zitiert, wo es heißt:


    »Ich bin nicht da, um mir eine Stelle zu erschleichen, sondern um zu lernen. Und das kann ich ... Nie hätte ich woanders das erlernen können als hier, unter den Augen des genialen Mannes«.


    Als Wagners Assistent erstellte Richter die Druckvorlage der »Meistersinger«-Partitur nach Wagners Original und verrichtete die gleiche Arbeit dann auch bei der Oper »Siegfried«.


    Schließlich wurde Richter auf Wagners Empfehlung hin königlicher Musikdirektor in München, wo er auch bald zwischen den Stühlen saß und allerhöchsten Zorn bei seinem Dienstherren hervorrief. Ludwig II. hatte die Uraufführung von »Rheingold« für Ende August 1869 befohlen. Dies war jedoch nicht im Sinne Wagners, der darauf bestand, dass sein Werk zu einer Tetralogie gehört; der »Ring« sollte nach Wagners Konzept als Ganzes aufgeführt werden. Der König versuchte quasi unter seinem Oberbefehl auf Teufel komm raus eine »Rheingold«-Aufführung zusammenzuschustern. Hans Richter sah das Unheil kommen und schlug in Tribschen telegrafisch Alarm. Wagner wirkte auf Richter ein, dass er die Aufführung nicht dirigieren solle und Franz Betz, der vorgesehene Wotan, lehnte eine Beteiligung ebenfalls ab. Wütend wies der König seinen Hofsekretär an, das gesamte »Theatergesindel« zu entlassen; wie er meinte müsse Richter springen und Betz und die andern zur Unterwerfung gebracht werden.


    Besser hatte es Hans Richter in Luzern, wo er sich in Tribschen allgemeiner Beliebtheit erfreute - sanftes Gemüt, Sorgfalt und Fleiß sind seine hervorragenden Charaktereigenschaften. Diese hingebungsvolle Art Richters wird ganz deutlich, wenn man sich mit der geheimnisvollen Entstehung des »Siegfried-Idyll« beschäftigt, wo Hans Richter alle Register seines universellen Könnens zog; auch dass er bei der Trauung von Cosima und Richard Wagner als Trauzeuge fungierte, zeigt, wie intim er in die Familienereignisse mit eingebunden war.


    Nachdem Richter durch seine Entscheidung gegen König Ludwig II. den Arbeitsplatz in München verloren hatte, setzte er sich andernorts für Wagners Werke ein. 1870 leitete er die erste »Lohengrin«-Aufführung in Brüssel und war von 1871 bis 1875 Kapellmeister am Nationaltheater von Budapest. Im Anschluss an diese Tätigkeit war Richter dann bis 1900 Kapellmeister der Wiener Hofoper.
    Als Gustav Mahler in Wien auftaucht und Mahlers Dirigat von der auch politisch motivierten Presse einen dichotomen Gegensatz zwischen Gustav Mahler und »unserem« Hans Richter feststellt. In anderen Publikationen erfährt man, dass Richter den Schwung des neuen Hofoperndirektors Gustav Mahler nicht mitgehen wollte und deshalb kündigt. Dabei ist noch zu ergänzen, dass Richter in seiner Wiener Zeit auch Dirigent der Philharmonischen Konzerte war.


    1876 schrieb Hans Richter Operngeschichte, als er bei den ersten Bayreuther Festspielen die ersten Aufführungen von des »Ring des Nibelungen« leitete. Er war eigentlich schon am 17. Juli 1875 in Bayreuth zu entsprechenden Vorproben eingetroffen; Mitte August zählte man schon 150 Mitwirkende. Für die Festspiele 1876 begannen die Proben am 3. Juni, wobei das Unternehmen noch auf finanziell wackligen Füßen stand. Endlich, am 13. August 1876 ertönten in Bayreuth erstmals die Festspielfanfaren vom Balkon des Festspielhauses - »Rheingold« hatte Premiere, 150 Musiker begannen mit Konzertmeister Wilhelmj und unter der Leitung von Hans Richter mit dem Vorspiel.


    Wagner war ja meist von Geldsorgen geplagt, das war nach den ersten Festspielen nicht anders. Also kam ihm eine Konzertreise nach England sehr gelegen, um etwas Geld in die Kasse zu bringen. Er ließ sich von der Agentur Hodges & Essex zu einer Konzertreise nach London engagieren: die Konzerte sollten in der neuerbauten Royal Albert Hall mit stattlichen 10.000 Sitzen stattfinden; es war ein Reingewinn von 12.000 Pfund angestrebt, ein Betrag, der die Festspieldefizite hätte ausgleichen können. Ob dieser rosigen Aussichten hatte er außer Cosima noch Hans Richter als unterstützende Kraft mitgenommen. Man erreichte London in bester Stimmung und Königin Victoria gab einen glanzvollen Empfang, aber den konnte Wagner nicht so recht genießen, denn aus den angestrebten zwanzig Konzerten waren nur acht geblieben, und bestimmte andere Modalitäten ließen den Reingewinn auf 700 Pfund schrumpfen.


    Im Zuge dieser England-Exkursion wurde Hans Richter dort bekannt und bekam Einladungen zu einigen Konzertveranstaltungen.1885 berief man Richter zum Leiter des Birmingham Triennial Music Festival, einem Musikfest, das zwischen 1784 und 1912 veranstaltet wurde. In Anerkennung seiner sehr erfolgreichen Aufführungen verliehen ihm die Universitäten von Oxford und Manchester die Doktorwürden. Etwas später hatte er in England ab 1899 die Leitung des Hallé-Orchesters in Manchester übernommen. Am 9. Juni 1904 leitete der 61-jährige Richter das Gründungskonzert des London Symphonie Orchestra, wobei er in etwa die Qualitätsmaßstäbe der Wiener und Berliner Philharmoniker im Auge hatte. Allerdings leitete er hier nur etwa fünf Konzerte pro Jahr, ansonsten standen Gastdirigenten zur Verfügung. Der englische Trompeter Walter Morrow beschrieb seinen langjährigen Chef einmal so:


    »Sein Dirigieren war eine Offenbarung ... Er hat ein imponierendes Auftreten, eine großzügige, geniale Art, eine wunderbare Selbstzucht, ein erstaunliches Gedächtnis, eine profunde Kenntnis der Partituren. Er dirigiert mit dem Taktstock, aber darin liegt nicht seine Macht, sie liegt in seinen Augen und seiner linken Hand«.


    Edward Elgar schreibt in seine Erste Symphonie die Widmung: »To Hans Richter, true artist and true friend ...«.
    Charakteristisch für Richters Stil ist auch die Anekdote, wonach er sich mal an das Publikum wandte - nachdem das Orchester einmal total aus dem Takt geraten war - und sagte:»Meine Damen und Herren, machen Sie nicht das Orchester für diesen Lapsus verantwortlich, es war einzig und allein mein Fehler«.


    Richters verbindende Art machte es auch möglich, dass er es als Musiker und Dirigent fertig brachte zwischen den damals unvereinbaren, ja teilweise sogar verfeindeten Musikwelten eines Johannes Brahms und Richard Wagner zu wirken. Für ein Vierteljahrhundert prägte er das Musikleben Wiens. Er leitete Uraufführungen, wie zum Beispiel im Dezember 1877 die Zweite Symphonie von Johannes Brahms, Bruckners 4. Symphonie im Februar 1881, Brahms 3. im Dezember 1883 und brachte schließlich im Dezember 1892 auch Anton Bruckners 8. mit geradezu triumphalem Erfolg zur Uraufführung.
    Edward Elgars Sinfonie in As-Dur, op. 55 wurde von Hans Richter am 3. Dezember 1908 mit dem Hallé-Orchester in Manchester uraufgeführt.


    1911 ging Richter wieder nach Deutschland zurück und wurde Bürger von Bayreuth. Er bezog ein im Rokokostil erbautes Gartenhaus am Luitpoldplatz, das er »zur Tabulatur« nannte; das aus dem Jahre 1743 stammende Haus wurde Ende der 1960er Jahre abgerissen. 1913 ernannte die Stadt Bayreuth Hans Richter noch zum Ehrenbürger.
    Ein anderes von Richter als Sommerfrische genutztes Haus steht noch; es befindet sich in dem niederösterreichischen Gemeinde Kleinzell, wo der berühmte Dirigent von 1894 bis 1913 in dem Haus auf dem Weibegg seine Sommerurlaube verbrachte - heute informiert eine Gedenktafel an diese Zeit.
    Als Hans Richter am 5. Dezember 1816 in Bayreuth starb, fand er seine Ruhestätte auf dem Stadtfriedhof von Bayreuth.


    Praktische Hinweise:
    Wenn man den Eingang an der Carl-Burger-Straße benutzt, findet man das Grab recht schnell; auf dem Friedhofsplan ist das Grab mit der Nr. 7 bezeichnet.

  • Lieber Caruso,
    für den Hinweis zum Grab von Maria Bieșu bedanke ich mich; Du vermutest ganz zutreffend, dass ich nicht mal eben en passant am Zentralfriedhof in Chisinau vorbeischauen kann; würde ich es können, wäre ich auch aus ästhetischen Gründen etwas traurig ...

    Ja, lieber Hart, ästhetische Konzepte für Grabmäler sind sehr unterschiedlich!

    Da kann man auf den eigenen Friedhof in der Nähe gehen und trifft auf eine ganz erstaunliche Varianz.

    Aber nach Chișinău wirst Du wohl ohnehin nicht vorbeischauen.

    Schade. Deinen Bericht hätte ich gern gelesen.


    Liebe Grüße

    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

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  • Theobald Boehm - *9. April 1794 München - † 25. November 1881 München


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    Eine Gedenktafel, die 1964 - 170 Jahre nach der Geburt von Boehm - auch auf Anregung des Flötisten Karl Bobzien, am Geburtshaus von Theobald Boehm am Altheimer Eck 15 angebracht wurde, zeigt an, dass hier THEOBALD BÖHM zur Welt kam, und man kann gleich anfügen, dass er hier auch 87 Jahre später gestorben ist. Auf dem Grabmal der Familie wird der Name übrigens stets mit oe geschrieben.
    Etwas erstaunt kann man feststellen, dass am Altheimer Eck 16 einige Jahre später der Komponist Richard Strauss geboren wurde, welcher immerhin schon als 15-jähriger Gymnasiast ein kammermusikalisches Werk für Klavier und Flöte schuf.


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    Zum heutigen Geburtstag von Theobald Boehm


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    Theobald war der Erstgeborene von elf Kindern der Familie; sein Vater war ein aus Württemberg eingewanderter Goldschmied. Das Wort »Kinderarbeit« gab es damals noch nicht, also war Theobald, nachdem er für drei Jahre eine private Elementarschule und danach eine zweijährige »Höhere Schule« besucht hatte, bereits im Alter von vierzehn Jahren ein ausgebildeter Goldschmied.
    Schon als Sechsjähriger hatte sich Theobald mit Hilfe eines Nachbarn etwa für zwei Jahre mit dem Flageolett befasst, um dann wiederum zwei Jahre später zur Flöte zu wechseln. 1807 stieg er in das Juweliergeschäft seines Vaters ein, behielt jedoch seine musikalischen Interessen im Auge; verkaufte aber 1810 seine Flöte, weil er sich eine vierklappige Eigenentwicklung gebaut hatte, bei deren Entwicklung er sich an der Dresdner Instrumentenwerkstatt Grenser orientierte. Von Boehm ist überliefert:
    »Nachdem ich mit großen Kosten von beynahe allen berühmten Meistern Flöten habe kommen lassen und niemals Eine ohne bedeutende Fehler erhielt, entschloß ich mich, selbst Flöten zu verfertigen«.


    Ab 1812 war er nun neben seiner Tätigkeit als Goldschmied auch noch Flötist am Isarthor-Theater. Ein Nachbar, der Münchener Hofmusiker Johann Nepomuk Capeller, lehrte ihn das Flötenspiel, wobei er mit diesem auch an Flötenverbesserungen arbeitete. Als 1818 die Goldschmiedewerkstatt seines Vaters geschlossen wurde, musste Boehm-Junior zunächst den Flötenbau aufgeben; weitere Spieltechnik erwarb er sich als Mitglied der königlichen Hofkapelle, wo er 1. Flötist war, so dass in ihm der Wunsch reifte so eine Art Paganini der Flöte zu werden. Neben seiner Orchestertätigkeit widmete er sich auch dem Studium der Komposition und der Instrumentation. Am 11. Dezember 1820 trat er in München mit seinem ersten eigenen Flötenkonzert an die Öffentlichkeit.


    Im Herbst 1820 hatte sich der Vielbegabte auch noch verheiratet. So gerüstet begab sich der junge Ehemann im Folgejahr auf eine Konzertreise durch Deutschland. Fast bilderbuchmäßig war die Familienplanung - 1822 wurde Tochter Maria und 1823 Sohn Ludwig geboren. Der Kindersegen bei Familie Boehm hielt an, insgesamt war Theobald Boehm Vater von einer Tochter und sieben Söhnen, von denen allerdings keiner Musiker oder Instrumentenbauer wurde. Schon 1824 absolvierte der Familienvater eine zweite Konzertreise durch Deutschland, die er diesmal mit dem Geiger Bernhard Molique absolvierte. Boehm unternahm weitere Konzertreisen; 1826 zunächst durch die Schweiz und Süddeutschland. Seine wohl größte Tour unternahm er 1831, als er über Paris nach London reiste, wo er sich von März bis August aufhielt und die fruchtbare Bekanntschaft mit dem englischen Flötisten Charles Nicholson machen konnte. Im September 1831 kehrte Boehm von seiner letzten großen Virtuosenreise nach München zurück. Boehm kam zwar in späteren Jahren auch noch nach England, aber da lagen dann seine Hauptinteressen auf einem ganz anderen Gebiet.


    Im Herbst dieses Jahres gründete Theobald Boehm dann eine Flötenwerkstatt, wo schließlich 1832 auch die Ringklappenflöte hergestellt wurde und die Zusammenarbeit mit dem Schweizer William Gordon für diese Entwicklung sehr fruchtbar war.
    Mit seiner neu entwickelten Flöte (mit korrektem Lochabstand, mit Ringklappen an Längsachsen und dem dazugehörigen neuen Griffsystem) trat Boehm nun in München öffentlich auf.


    Nachdem die Flötisten des Pariser Théâtre Italien von dieser neuen Flöte schon seit längerer Zeit so sehr begeistert waren, stellte Boehm im Mai 1837 dieses wunderbare Instrument direkt der Pariser Akademie der Wissenschaften vor, was für den Erfinder natürlich ein außerordentlich großes Ansehen bedeutete, worauf sich aufbauen ließ. Boehm hatte die Tonlöcher der englischen Flöten übernommen, aber diese nach rein akustischen Erfordernissen auf der Flöte angeordnet, sein Ringklappenmechanismus erlaubte es, in allen Tonarten zu spielen.


    Zu Hause wird Boehm 1839 zwar mit der Ernennung zum Ritter 1. Klasse des bayerischen Verdienstordens vom Heiligen Michael geehrt, aber er musste schließlich feststellen, dass auch auf ihn das alte Sprichwort zutraf, wonach der Prophet im eigenen Land nichts gilt; so wurden in führenden deutschen Orchestern noch Flöten anderer Systeme verwendet; manchen Musikschaffenden in Deutschland waren diese Neuerungen etwas suspekt. Während man in Frankreich, England und USA seinen Erfindungen weit mehr Interesse entgegenbrachte, als dies in Deutschland der Fall war. Richard Wagner bezeichnete Boehms neues Instrument als »Eine wahre Gewaltröhre«. Als Boehm 1847 seine Flöte mit der Einführung der zylindrischen Bohrung noch weiter verbessert, vergibt er Lizenzen an wichtige Flötenbauer in England und Frankreich, wodurch die neuen Instrumente einen Siegeszug ohnegleichen antreten. In dieser Zeit erscheint auch seine Publikation »Über den Flötenbau und die neuesten Verbesserungen desselben«.


    Die Interessen Boehms waren sehr weitreichend; so reiste er im Juni 1834 wieder über den Kanal, um dort die in England üblichen Verfahren der Eisenerzverhüttung kennenzulernen, hatte aber dabei auch schon die Idee im Kopf, dieses Verfahren zu verbessern. Im Herbst folgte ihm dann sein Freund Carl Schafhäutl. In Sheffield führten die beiden nun bei einem Fabrikanten, der mit Boehm befreundet war, entsprechende Experimente durch. Während Schafhäutl für sechs Jahre in England blieb, kehrte Boehm schon im Juli 1835 wieder nach München zurück, um sich ein bayrisches Patent zu sichern - und es blieb nicht nur bei dem bayrischen Patent, Boehm ließ da nichts anbrennen und beglückte auch noch andere Länder mit seiner Erfindung. Und sein Forscherdrang ist noch nicht am Ende, denn er interessierte sich auch noch für die bessere Nutzung von Hochofengasen, was darin gipfelte, dass er vom bayrischen König zum Spezial-Kommissar für diese Aufgabe bestellt wurde.
    Seit 1844 ging Theobald Boehm aber wieder seinem ursprünglichen Beruf als königlicher Hofmusiker nach und gab sein Wissen an Schüler weiter, auch an seine Söhne, was er schriftlich fixierte.


    Als der mit zwei Doktortiteln dekorierte Schafhäutl aus England zurückkehrte und in München zum Professor der Geologie, Bergbaukunst und Hüttenkunde berufen wurde, hatte dieser bei Boehm eine Wohnung bezogen und brachte sein theoretisches Wissen ein, damit Boehm sein Instrument weiter entwickeln konnte. Dokumentiert ist, dass Boehm im April 1847 in München »eine in akustischen Verhältnissen und Material neue Art von Flöten« zum Patent anmelden konnte. Schon im Juli des gleichen Jahres, begab er sich höchstpersönlich nach Paris, um dort einen weiteren Patentantrag einzureichen. Seine neu entwickelte Flöte stellte er dann noch bei Rudall & Rose in London vor, die ein britisches Patent darauf nahmen. Wieder in heimatliche Gefilde zurückgekehrt, richtete Boehm noch im Herbst 1847 in München eine neue Werkstatt zur Herstellung seiner Silberflöten mit parabelförmig verjüngtem Kopfteil ein.
    Schon in jungen Jahren entwickelte Boehm neue Ideen für Spieldosen und den Klavierbau und sogar ein spezielles Fernrohr zur Brandlokalisierung gehört zu seinen Erfindungen. Auf diversen Ausstellungen im In- und Ausland wurden seine Produkte ausgezeichnet und bei der ersten Pariser Weltausstellung 1855 war Boehm natürlich auch dabei. Auch 1862 legte er noch zur Londoner Weltausstellung eine Schrift vor, die allerdings erst posthum Anerkennung fand. Auch seine beiden letzten Lebensjahrzehnte waren mit Arbeit unterschiedlicher Art ausgefüllt; er unterrichtete, betrieb umfangreiche Korrespondenz, bei der ein Enkel hilfreich zur Seite stand, weil sein Augenlicht gelitten hatte und stellte immer wieder Überlegungen zur Verbesserung des Flötentons an.


    Dem so vielseitig Aktiven war auch außergewöhnliches privates Glück beschieden, denn ein so hohes Alter wurde damals nur selten erreicht, die Lebenserwartung lag zu dieser Zeit bei etwa 35 Jahren. 1870 konnte er noch im Kreise von acht Kindern und 21 Enkelkindern seine goldene Hochzeit feiern; seine Frau starb 1875.


    Theobald Boehm hat in seinem 87 Jahre währendem Leben auf unterschiedlichen Gebieten sehr viel geleistet; er war zunächst ein ausgezeichneter Handwerker, dann einer der besten Flötisten, der große Erfolge als Virtuose hatte. Heute gilt Boehm als einer der größten Erfinder in der Geschichte des Musikinstrumentenbaus. Dazu hinterließ er noch eigene Kompositionen und Schriften, welche noch zu seinen Lebzeiten in deutscher, französischer und italienischer Sprache veröffentlicht wurden. In einem seiner Briefe schrieb er einmal:

    »Sie sehen, dass ich, obwohl ich fast 75 Jahre alt bin, nicht in meinen Bemühungen nachgelassen habe, meine Instrumente so perfekt wie möglich zu machen«.


    Praktischer Hinweis:
    Das Grab von Theobald Boehm befindet sich auf dem Alten Südfriedhof in München. Man benutzt am besten den Seiteneingang gegenüber dem Klinikgebäude Thalkirchner Straße 48. Das Grab befindet sich im Gräberfeld 12. Als Orientierung kann die Büste von Franz Lachner hilfreich sein. Von Lachners Grab sind es nur wenige Schritte zur Ruhestätte der Familie Boehm.

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    Beim Aufräumen in meinen Regalen fiel mir wieder dieses schöne Buch "Gräber unsterblicher Komponisten" von Peter Andreas und Michael Fischer (Bärenreiter) in die Hände. Die Verfasser führen zu den letzten Ruhestätten von Ludwig van Beethoven, Alban Berg, Hector Berlioz, Johannes Brahms, Ferruccio Busoni, Luigi Cherubini, Frederic Chopin, Gaetano Donizetti, Anton Dvorak, Friedrich von Flotow, Christoph Willibald Gluck, Karl Amadeus Hartmann, Paul Hindemith, E.T.A. Hoffmann, Gustav Mahler, Felix Mendelsson Bartholdy, Giacomo Meyerbeer, Clkaudio Monteverdi, Wolfgang Amadeus Mozart, Jacques Offenbach, Hans Pfitzner, Gioacchino Rossini, Camille Saint-Seans, Franz Schmidt, Arnold Schönberg, Franz Schubert, Robert Schumann, Bedrich Smetana, Johann Strauß (Vater, Johann Strauß (Sohn), Josef Strauß, Igor Stravinsky, Carl Maria von Weber, Anton Werbern, Hugo Wolf, Ermanno Wolf-Ferrari, und Friedrich Zelter.


    Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass wir einige dieser Grabstätten längst aus diesem Thread kennen.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Beim Aufräumen in meinen Regalen fiel mir wieder dieses schöne Buch "Gräber unsterblicher Komponisten" von Peter Andreas und Michael Fischer (Bärenreiter) in die Hände. Die Verfasser führen zu den letzten Ruhestätten von Ludwig van Beethoven, Alban Berg, Hector Berlioz, Johannes Brahms, Ferruccio Busoni, Luigi Cherubini, Frederic Chopin, Gaetano Donizetti, Anton Dvorak, Friedrich von Flotow, Christoph Willibald Gluck, Karl Amadeus Hartmann, Paul Hindemith, E.T.A. Hoffmann, Gustav Mahler, Felix Mendelsson Bartholdy, Giacomo Meyerbeer, Clkaudio Monteverdi, Wolfgang Amadeus Mozart, Jacques Offenbach, Hans Pfitzner, Gioacchino Rossini, Camille Saint-Seans, Franz Schmidt, Arnold Schönberg, Franz Schubert, Robert Schumann, Bedrich Smetana, Johann Strauß (Vater, Johann Strauß (Sohn), Josef Strauß, Igor Stravinsky, Carl Maria von Weber, Anton Werbern, Hugo Wolf, Ermanno Wolf-Ferrari, und Friedrich Zelter.


    Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass wir einige dieser Grabstätten längst aus diesem Thread kennen.

    Hier noch der Link zum Werbepartner .....



    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Danke, lieber Fiesco, für die stets hilfreiche Verlinkung. In diesem Falle hatte ich aber darauf verzichtet, weil ich das Buch zu mickrig dargestellt fand und es auch nur noch auf dem Markplatz angeboten wird. Es geht nicht so in die Tiefe und in die Details wie die Beiträge unseres Freundes hart. So erfahren wir beispierlsweise nicht, warum Hoffmann auf seinem Grabstein mit den Initialen E.T.W. verewigt ist, was dem aufmerksamen Betrachter natürlich sofort ins Auge sticht. Das waren die Abkürzungen seiner bürgerlichen Vornamen Ernst Theodor Wilhelm. Und diese mussten auch auf dem Stein stehen. Dafür gibt es schöne literarische Texte zu den jeweiligen Gräbern.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Lieber Rüdiger, ich habe es mir trotzdem bestellt! ;)


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

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  • Franz Mazura - *22. April 1924 Salzburg - † 23. Januar 2020 Mannheim


    Zum letzten Osterfest - das war im letzten Jahr am 21. April - feierte Franz Mazura in Berlin noch fröhlich in seinen 95. Geburtstag hinein, das hätte er heuer nicht machen können; schön, dass er das nochmals so richtig genießen konnte.


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    Er war in Salzburg geboren, dann aber mit Leib und Seele »Mannheimer« geworden; in Edingen-Neckarhausen steht sein Häuschen unmittelbar an der Bahnlinie, er wohnte in der Eichendorffstraße, was ihm wohl eine angenehme Adresse war, denn er befasste sich gerne mit Lyrik. Bei der Trauerfeier in der Mannheimer Jesuitenkirche war seine Stimme noch einmal vom Band zu hören - »Wotans Abschied« und dann als Sprechstimme »Es schläft ein Lied in allen Dingen«.
    Von seinem Haus aus sind es nur 15 Kilometer zum Nationaltheater, seinem langjährigen Arbeitsplatz, den er außergewöhnlich wohltuend empfand. Er war schon zwischen1958 und 1963 hier zu hören, war in dieser Zeit aber auch Mitglied der Deutschen Oper Berlin. Von 1964 bis 1986 war Mazura dann Ensemblemitglied des Nationaltheaters Mannheim.
    Er, der praktisch alle Opernhäuser dieser Welt kannte, verlebte - nach eigener Aussage - seine schönste Zeit am Mannheimer Nationaltheater, wo er noch echtes Ensembletheater erleben konnte und, wie Kollege Jean Cox auch, einen ganz besonders gestalteten Vertrag hatte, so dass die beiden international Tätigen nicht daran dachten woanders hinzugehen; sie konnten lange im Voraus planen, denn Auslandsgastspiele und Festspiele, zu denen sie eingeladen wurden, hatten stets Vorrang vor den Verpflichtungen am Stammhaus. Ab 1981 durfte sich Franz Mazura Kammersänger nennen und wurde 1990 Ehrenmitglied des Hauses.


    Franz Mazura verbrachte die ersten acht Jahre seiner Kindheit bei seinen Großeltern in Salzburg, wo er unter dem Namen »Deisl-Hansi« die Volksschule besuchte. Das soziale Umfeld des Kindes mag wohl die Grundlage für seine späteren Interessen gebildet haben, denn sein Großvater war ein Büchernarr und in der Nachbarschaft lebten einige Musiker, denen der Junge beim üben zuhörte. In dieser fruchtbaren Umgebung wurde wohl seine Liebe zur Literatur und besonders zur Lyrik und Musik geweckt. Erst im Alter von neun Jahren kam er zu seinen Eltern und Geschwistern nach Eisenstadt. Mit 15 ging er auf eine Ingenieurschule in Wiener Neustadt, um sich auf ein Maschinenbaustudium vorzubereiten; in dieser Zeit war er nur noch zum Schlafen zu Hause. Dann kam der Krieg - er meldete sich zur Marine, »weil man von dort entweder ganz zurückkommt oder gar nicht«.


    Bei den Engländern geriet er in Gefangenschaft, wo er sich durch seine Zeichenkünste extra Essensrationen und etwas Taschengeld beschaffen konnte, als er zum Beispiel die Wände des Offizierscasinos bemalte. Aber auch sein Unterhaltungstalent kam zum Tragen; Franz Mazura wirkte bei bunten Abenden mit, wo er auch mal einige Schlager sang. Dabei fiel einer Gesangslehrerin auf, dass das eine ausbaufähige Stimme war und sie erteilte dem jungen Mann Gesangsunterricht. Nach Wien zu seiner Familie konnte er nach dem Krieg nicht zurück, da sie in der sowjetischen Zone lebten und so baute er sich seine Zukunft alleine »mit nichts als dem Hemd auf dem Leibe«, wie er immer sagte, in Deutschland auf. Das einmal angedachte Ingenieurstudium war schnell vergessen und es reifte die Erkenntnis, dass er doch lieber etwas mit der Bühne zu tun haben wollte. Viel schwerer fiel dagegen die Entscheidung ob er sich dem Schauspiel- oder dem Sängerberuf zuwenden sollte. Seine Doppelbegabung - eigentlich Mehrfachbegabung, denn er zeichnete auch - führte dazu, dass er während des Studiums an der Musikhochschule Detmold gelegentlich auch am Landestheater Detmold als Schauspieler tätig war.


    In Veröffentlichungen ist man sich darüber einig, dass Mazura in Kassel als Bassist debütierte, wobei querbeet die Jahreszahlen 1949 und 1955 genannt werden, es war wohl vier Jahre nach dem Krieg, als er seine Sängerkarriere am Staatstheater Kassel begann. Die folgenden Stationen seiner Engagements waren Mainz und Braunschweig - dann die ersten Kontakte zum Nationaltheater, wo 1957 eine neue, moderne Spielstätte zur Verfügung stand, ein Theater, welches traditionell für seine Wagner-Pflege bekannt war und in den folgenden Jahren zu einer Art Reservoire für Bayreuth wurde; für Franz Mazura ein ideales Sprungbrett in die große Welt der Oper. Als Mazura mal gefragt wurde, in welchem deutschen Opernhaus er noch nicht gesungen habe, fiel ihm keines ein, aber er versicherte glaubhaft, dass er auch in fast allen französischen Häusern schon gesungen hat. Weltweit betrachtet sind da nur Defizite im östlichen Teil, was den politischen Gegebenheiten geschuldet war. Bei diesem Sänger lässt sich sagen, dass er praktisch an allen wichtigen Häusern und Festspielen präsent war. Bereits 1960 gab der geborene Salzburger sein Debüt bei den Salzburger Festspielen als Cassandro in Mozarts »La finta semplice« und sang dort 1970 den Don Pizzaro im »Fidelio«.


    Schon 1968 stand er als Jochanaan auf der Bühne der Wiener Staatsoper; in sechs verschiedenen Rollen stellte er sich bis 1984 dort vor.
    1971 war er dann unter seinem Mannheimer Dirigenten Horst Stein erstmals in Bayreuth und Kollege Jean Cox war auch mit dabei, gab den Siegfried in »Götterdämmerung«, Mazura sang damals den Gunther und Gustav Neidlinger den Alberich, eine Rolle in der später Franz Mazura oft zu glänzen wusste. 22 Festspielsommer verbrachte er als aktiver Protagonist in Bayreuth, wobei besonders auffällt, dass er in 18 Jahren - neben anderen Rollen - den Klingsor in »Parsifal« darstellte; letztmals 1995 mit Plácido Domingo als Parsifal.
    In einem Gespräch sagte er einmal: »Für mich war früh klar, dass ich mich nicht nur auf die üblichen fünf Partien meines Fachs beschränken wollte. Er hatte das Bedürfnis und den Ehrgeiz in jedem Jahr mindestens zwei neue Stücke zu lernen, wobei bei einer so ungewöhnlich langen Karriere ein womöglich konkurrenzlos breites Repertoire - man spricht von etwa 130 Rollen - zusammenkam. Dies versetzte ihn dann auch in die Lage als Einspringer so manche Vorstellung zu retten; in einer Mannheimer »Parsifal«-Vorstellung hat er einmal kurzfristig die Rollen von Gurnemanz und Klingsor an einem einzigen Abend übernommen.


    Im Alter von 56 Jahren debütierte er noch an der Metropolitan Opera New York als Dr. Schön in Alban Bergs »Lulu« und trat dann dort noch 15 Jahre lang in vielen anderen Rollen auf, darunter natürlich auch Klingsor, Gurnemanz und Alberich. Noch später war sein Debüt in Buenos Aires, da war er gar schon 69 Jahre alt. Aber zu diesem Thema sagte er einmal: »Ich habe nie altersmäßig gedacht, mein ganzes Leben nicht«. Eine ungewöhnliche Leistung erbrachte Mazura auch als er es fertigbrachte sowohl in Aribert Reimanns Oper »Lear« als auch im Shakespeare-Stück den gebrochenen König darzustellen, seine schauspielerische Leistung erbrachte er 1990 am Staatstheater Stuttgart unter dem Regisseur Jürgen Bosse, der einige Jahre vorher an Mazuras Stammhaus in Mannheim war.


    Da war aber nicht nur die Doppelbegabung als Sänger und Schauspieler, welche auf der Bühne ideal genutzt werden konnte; Franz Mazura befasste sich auch mit Malen und Zeichnen, wobei letzteres in Karikaturen zum Ausdruck kam, die sogar in einem kleinen Büchlein veröffentlicht und auch im Mannheimer Nationaltheater anlässlich seines 95. Geburtstages gezeigt wurden. Dazu kam noch das Einfangen von Bildern mit der Kamera, wobei es ihm der Central Park in New York, unweit der »Met«, besonders angetan hatte, in Franziska Kirchners Buch über diesen Park findet man eine Menge großformatiger Fotos, die Mazura zu allen Jahreszeiten eingefangen hat.


    Bei einem so langen und reichen künstlerischen Leben ist es kaum möglich die vielen Stationen nach ihrer Wichtigkeit zu sortieren, aber sein Auftritt beim Israel Festival 1974 im antiken Theater von Caesarea, wo er den Moses in Schönbergs Oper »Moses und Aron« gestaltete, war so ein Punkt, der festgehalten werden sollte. Auch sein Dr. Schön, den er in Paris unter Pierre Boulez und der Regie von Patrice Chéreau sang, sollte in Erinnerung bleiben. 2015 wurde sein Lebenswerk bei einer Feier im Staatstheater Saarbrücken mit dem renommierten FAUST ausgezeichnet.


    In seinen späten Jahren widmete er sich zunehmend den modernen Werken, die nicht den ganz großen Stimmeinsatz fordern. So war er zum Beispiel als unheilvoller Voland 1991 am Kölner Opernhaus an der deutschen Erstaufführung von York Höllers »Der Meister und Margarita« beteiligt. Als er 2017 in Hannover in der Uraufführung von Giorgio Battistellis Oper »Lot« als Abraham auftrat, schrieb die Presse: »Franz Mazura überzeugte im Prolog nicht nur mit einer staunen machenden Körpersprache und Präsenz, sondern mit seinem sonoren und textlich gut verständlichen Bass gab er der Rolle auch das nötige Gewicht«.
    In der folgenden Spielzeit agierte Franz Mazura in Hannover auch noch in Henzes komischer Oper »Der junge Lord«, er gab den Sir Edgar, eine stumme Rolle, Onkel Edgar lässt sprechen.


    Auch mit 95 sang er noch an der Berliner Staatsoper, hier mal wieder im Wagner-Fach. »Die Meistersinger von Nürnberg« standen am Gründonnerstag und Ostersonntag, 21. April auf dem auf dem Programm und man hatte ihm die Rolle des Hans Schwarz anvertraut, die er ausnahmsweise sitzend darbieten musste, weil er gefallen war, aber er war immerhin so vital, dass er nach der Vorstellung noch ganz groß in seinen 95. Geburtstag hinein feiern konnte. Er war vermutlich der älteste aktive Opernsänger der Welt, man hielt ihn in Kollegenkreisen fast für unsterblich. Als Mazura erzählte, dass seine Tante ein Lebensalter von 106 Jahren erreicht hatte, bot ihm Barenboim - scherzhaft - noch einen 15-Jahresvertrag an.
    Ende November 2019 gestaltete er noch eine Lesung zur Einstimmung auf den Advent in der Lutherkirche Neckarhausen. Am 24. Januar 2020 verbreiteten die Medien, dass Franz Mazura, wegen Herzschwäche ins Krankenhaus eingeliefert wurde und dort im Kreise seiner Familie gestorben ist.


    Praktische Hinweise:
    Seine letzte Ruhestätte hat Franz Mazura auf dem Friedhof in Neckarhausen gefunden, der sich etwas außerhalb des Ortes befindet; die im Bild gezeigte Friedhofskapelle und der Eingangsbereich kann zur Orientierung dienen. Man geht vom Eingang aus etwa 70 Schritte geradeaus und findet das Grab rechts des Weges.


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    Eingang Friedhof Neckarhausen - es gibt hier eine Haltestelle der Buslinie 46


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    Die Friedhofskapelle ist von der Straße aus ein Orientierungspunkt




  • Im Nachtrag soll noch darauf hingewiesen werden, dass Franz Mazuras Stimme zum Beispiel in diesen Aufnahmen noch der Nachwelt erhalten blieb.


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  • Hans Sommer - *20. Juli 1837 Braunschweig - † 26. April 1922 Braunschweig


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    Zum heutigen Todestag von Hans Sommer


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    »Prof. Dr. Hans Zincke gen. Sommer« - so ist es auf dem Grabstein eingraviert und im Lexikontext heißt es: »Hans Sommer war der Sohn von Otto Gustav Zincken genannt Sommer (*28. März 1809; 809; † 9. Januar 1840), einem Sohn des Braunschweiger Hofarztes und Entomologen Julius Leopold Zincken genannt Sommer, und seiner Frau Nanny geb. Langenheim (1813-1902), Tochter des Braunschweiger Rechtsanwalts und Notars Friedrich Wilhelm Langenheim«.


    Etwas knapper dargestellt kann man sagen, dass der kleine Hans 1837 in eine »bessere« Familie hineingeboren wurde und schon im frühen Kindesalter seinen Vater verlor. Als Hans acht Jahre alt war, heiratete seine Mutter den Wiener Optiker und Fotopionier Peter Wilhelm Friedrich von Voigtländer. welcher 1849 in Braunschweig eine Zweigstelle gründete, die er sukzessive ausbaute und dann 1868 den Firmensitz ganz nach Braunschweig verlegte.


    In diesen Jahren hatten Väter, in diesem Falle der Stiefvater, noch eine starke Position und bestimmten was der Nachwuchs zu tun hatte. Der Knabe lernte natürlich im Rahmen einer großbürgerlichen Erziehung Klavierspielen und sang auch in Chören, musste jedoch ansonsten seine musikalischen Interessen weitgehend verbergen, weil sein Stiefvater hier die Gefahr sah, dass der Junge dadurch von den für Voigtländer viel wichtigeren Studien in Mathematik und Physik abgehalten wird, schließlich sollte er als ältester Sohn einmal die väterliche Firma weiterführen. Also schickte ihn sein Stiefvater im Alter von 14 Jahren auf das Collegium Carolinum, eine technisch ausgerichtete höhere Schule; Praktika in der Familienfirma flankierten das Ganze und Hans Sommer beschritt den Weg zum Photooptiker. Aber noch kurz vor seinem Abitur beschloss der alte Voigtländer, dass sein leiblicher Sohn sein Nachfolger als Firmenchef werden sollte.


    Hans musste nun in Göttingen Mathematik und Physik studieren und sich um eine akademische Karriere bemühen. Noch bevor er sein Studium in Göttingen begann, nahm er bei dem Braunschweiger Mathematiker Richard Dedekind Privatunterricht. So gerüstet begab sich der Siebzehnjährige 1854 zum Studium, das er 1858 beendete und als Dr. phil. nach Braunschweig zurückkehrte.


    Während seines Studiums blieben jedoch die musikalischen Interessen des jungen Mannes nicht gänzlich außen vor. Bei Julius Otto Grimm erfolgten erste Gehversuche in Komposition und er trifft schon auch mal mit Musikgrößen seiner Zeit, wie zum Beispiel Johannes Brahms, Clara Schumann oder Joseph Joachim zusammen, wobei zu sagen ist, dass Brahms, damals noch nicht den großen Namen hatte, der Altersunterschied betrug ja nur vier Jahre.
    Ab 1859 war der junge Dr. Sommer am Braunschweiger Collegium Carolinum Dozent -manche Publikationen schreiben Hilfslehrer-, nachdem eine schüchterne Anfrage beim Stiefvater, ob vielleicht nicht doch ein Musikstudium möglich wäre, strikt abgelehnt wurde. Dennoch blieb der Wunsch mehr über Musik zu erfahren erhalten und so nahm Sommer Kompositionsunterricht bei dem angesehenen Braunschweiger Hofmusiker Wilhelm Meves. Von Meves war nicht nur Satztechnik und Stimmführung zu erlernen; Meves hatte ein besonderes Faible für ältere Musik und verfügte über eine beachtliche Sammlung barocker Musikhandschriften und -drucke, die er schließlich später, als sein Lehrer starb, käuflich erwarb; und er nahm diese Blätter nicht nur in Besitz, sondern engagierte sich in dieser Sache in den folgenden Jahren sehr. Sommers musikwissenschaftliche Bildung, insbesondere der Operngeschichte, war außergewöhnlich.


    Aus dem Collegium Carolinum, an welchem Sommer seit 1866 eine Professur für elementare Mathematik hatte, war unter seiner tatkräftigen Mitwirkung eine Technische Hochschule geworden.
    In den Jahren zwischen 1858 und 1876 veröffentlicht Sommer zahlreiche naturwissenschaftliche Arbeiten, wobei Linsensysteme einen besonderen Raum einnehmen. Sommer bringt also einiges an wissenschaftlicher Arbeit in die Firma Voigtländer ein.


    Aber während dieser naturwissenschaftlich so fruchtbaren Zeit, findet man Sommer 1863 auch als Mitbegründer beim »Verein für Konzertmusik« und er war auch, nachdem er 1875 das Ehepaar Wagner in Braunschweig kennen gelernt hatte, Gründer vom Braunschweiger »Richard-Wagner-Verein«. 1876 besucht er erstmals Bayreuth.
    Im Zuge seiner Hochschulkarriere wird Sommer 1875 Direktor des Polytechnikums, dessen stellvertretender Direktor er schon seit 1872 war.


    1881 beginnt Sommers beruflicher Rückzug mit der Beendigung des Direktorats; 1884 zieht er sich aus dem Lehramt ganz zurück, um mit 47 Jahren wegen schwerer Migräneanfälle ohne Pensionsbezüge in den vorzeitigen Ruhestand zu gehen; für den Rest seines Lebens hat er sich dann nie wieder mit Mathematik und Optik beschäftigt.
    Zunächst folgen einige Monate Kuraufenthalte, um wieder zu Kräften zu kommen, danach geht er nach Weimar, um an einem Meisterkurs bei Franz Liszt teilzunehmen, dem er auch frühe und neuere Kompositionen vorlegt; bei den jüngsten Arbeiten handelte es sich um Opus 6, »Sapphos Gesänge«. Meister Liszt ermutigte Sommer: »Die Lieder sind freilich sehr dramatisch gehalten, aber mit Verstand und Geschmack. Fahren Sie nur so fort!«
    Es bietet sich nun geradezu an, hier eine gegensätzliche Meinung des Musikkritikers Rudolf Louis einzufügen, der als Zeitgenosse auf Sommers Kompositionen blickte; er schreibt in dem Buch »Die Deutsche Musik der Gegenwart« folgendes:
    »Hans Sommer, von dessen Liedern in Wagnerianerkreisen unverdient viel Aufsehen gemacht wurde, weil er gleichfalls nicht frei von dilettantischen Zügen ist ...« und in einem anderen Zusammenhang bezeichnet er Sommer gar als »modernen Bänkelsänger«.


    Mit Kompositionen von Liedern und Balladen war Sommer bereits 1882 an die Öffentlichkeit getreten, als in rascher Folge bei Henri Litolff´s über hundert Werke dieses Genres erschienen. Von Weimar aus zog es ihn nun nach Berlin, das einiges an kultureller Lebendigkeit bot. Dort heiratete Sommer 1885 die verwitwete Tochter seines langjährigen Freundes Carl Hill, das war der Uraufführungs-Alberich und Klingsor von Bayreuth.
    Sowohl Hill als auch Leo Slezak gehörten zu den Interpreten, die Sommers Lieder sangen, von Slezak existiert sogar noch eine Schellack-Aufnahme des Liedes »Ganz leise« (op. 14/2). Sommers guter Ruf als Liedkomponist verbreitete sich recht schnell und zwar nicht nur in Deutschland, er war auch in Amsterdam und Wien im Gespräch und sogar George Bernhard Shaw berichtete von einem Konzert mit Liedern von Hans Sommer.


    Mit dem so erworbenen Renommee wagte sich Sommer an sein Ziel eine erfolgreiche Oper zu schreiben, was ihm mit der romantischen Oper »Lorelei«, die am 11. April 1891 in Braunschweig uraufgeführt wurde, auch glänzend gelang. Schon 26 Jahre früher hatte er in diesem Genre komponiert - unter dem Pseudonym »E. T. Neckniz« - und das Singspiel »Der Nachtwächter«, ein Werk, das im Stile Lortzings entstanden war, auf die Bühne des Braunschweiger Hoftheaters gebracht.


    Seine Oper »Lorelei« konnte sich also sehen und hören lassen - Hans Sommer begab sich wieder nach Weimar, wo der junge Richard Strauss gerade Kapellmeister geworden war. Obwohl Strauss fast um dreißig Jahre jünger war, freundeten sich die Männer an und Strauss führte die »Lorelei« am 3. Juni 1892 auch in Weimar mit großem Erfolg auf. Das »Musikalische Wochenblatt« äußerte sich damals so:
    »Für Weimar war es sozusagen Pflicht- und Ehrensache, sich des interessanten und für die neuere Opernentwicklung immerhin bedeutsamen Werkes ohne Rücksicht auf den äußeren Erfolg anzunehmen ...«; aber wie gesagt, diese Aufführung hatte durchaus diesen äußeren Erfolg. Nun lag es natürlich nahe, diesem Opernerfolg weitere folgen zu lassen. Hans von Wolzogen schrieb nach einem Bühnenstück von Alexandre Duval ein Opernlibretto für die einaktige Oper »Saint Foix«, Hans Sommer selbst hatte den Text aus dem Französischen übersetzt. Richard Strauss war von der Sache enthusiastisch begeistert und sah in dem neuen Werk schon ein Pendant zum Barbier von Sevilla und Figaros Hochzeit. Als am 31. Oktober 1894 Generalmusikdirektor Hermann Levi an der Münchner Hofoper den Taktstock zur Uraufführung hob, waren die Erwartungen hochgespannt. Feuilletonisten waren aus ganz Deutschland angereist, aber kaum einer fand lobende Worte für das neue Werk und noch heute lässt sich nachlesen, dass diese Uraufführung ein Theaterskandal ersten Ranges war, was übrigens der erfahrene Levi in keiner Weise nachvollziehen konnte, er äußerte sich beschämt über das Münchener Publikum. Später wurde »Saint Foix« zwar noch in Weimar und Stuttgart aufgeführt, konnte sich jedoch nicht etablieren.


    Humperdinck war mit »Hänsel und Gretel« weit erfolgreicher; ebenso Eugen d´Albert mit seiner Oper »Tiefland«, um einmal einen Blick in diese Zeit zu tun.
    1896 erlebte Sommers Oper »Der Meermann«, eine nordische Legende, in Weimar ihre Uraufführung, die vom Publikum angenommen wurde und auch an anderen Spielorten zur Aufführung kam, so auch in Amsterdam.
    Strauss hatte den Dichter Eberhard König empfohlen und es kam zu einer Zusammenarbeit mit Sommer, woraus sich die Oper »Rübezahl« ergab, wobei die beiden Protagonisten versuchten den Begriff »Oper« zu umgehen und bei der Geschichte vom Berggeist aus dem Riesengebirge von einer »Dichtung mit Musik« sprachen. Die 1904 erfolgte Uraufführung in Braunschweig fand bei den Kritikern Anerkennung und Strauss war insbesondere von der Bühnenwirksamkeit des zweiten Aktes begeistert und wollte die Oper auch in Berlin dirigieren. Dass das Werk an der Berliner Hofoper angenommen wurde, war auch »spielplanpolischen« Gründen geschuldet, Intendant von Hülsen empfand die Annahme von Sommers Werk eher als notwendiges Übel, so dass es in einer gekürzten Fassung erschien, woraus ein mäßiger Erfolg resultierte. Später erschien »Rübezahl« in der vollständigen ungekürzten Fassung erfolgreich in Weimar; dies war ein glanzvoller Erfolg, der jedoch von Weimar nicht so ausstrahlen konnte, eine glanzvolle Aufführung in Berlin, wäre optimal gewesen. Insgesamt hatte Hans Sommer zehn Opern geschrieben, seine letzte, »Der Waldschratt«, kam 1912 in Braunschweig zur Uraufführung, ohne großes Aufsehen zu erregen. Hans Sommer war nun 75 Jahre alt, seine Frau war schon 1904 gestorben.


    Auf seine alten Tage wandte er sich wieder dem Liedschaffen zu; zwischen 1919 und 1921 entstanden 23 Goethe-Vertonungen, die er größtenteils auch instrumentierte, wozu uns seine Gedanken überliefert sind: »In meinen Versuchen, wunderbare Goethe-Gedichte ... so zu vertonen, dass auf sinfonisch gehaltener Unterlage der Sänger den anschaulichen poetischen Gehalt besser zur Geltung zu bringen vermag, als es unseren grossen Meistern da möglich war, wo sie sich in engen musikalischen Formen bewegten, habe ich fortgesetzt, habe auch durch Orchesterbegleitung die mannigfaltigen Stimmungen noch eindringlicher zu gestalten versucht.«
    Dass der Komponist Hans Sommer heute nur relativ wenigen Musikfreunden bekannt ist, hat mehrere Gründe. Da ist zunächst sein später Einstieg in die Musikwelt zu nennen, denn als er als freier Komponist in Erscheinung trat, steuerte er bereits auf das fünfzigste Lebensjahr zu. Er war auch ein Quereinsteiger, der nie zum Interpret seiner eigenen Werke wurde, weder als Pianist noch als Dirigent. Etwa die Hälfte seiner rund 300 Lieder veröffentlichte der Verlag Litolff, der allerdings 1940 aufgelöst wurde; andere Teile seines Schaffens hatte Sommer im Selbstverlag veröffentlicht, so dass kaum jemand für eine Wiederbelebung der Sommerschen Werke eintrat; viele seiner Lieder sind nun aber wieder auf modernen Tonträgern erhältlich.


    Seine letzte Ruhestätte fand Hans Sommer auf dem Braunschweiger Hauptfriedhof, aber 2010 erschien in der Braunschweiger Zeitung ein Artikel mit der Überschrift »Unruhe um Hans Sommers Ruhestätte«. Erstaunt konnte man da lesen: »Die Gema will das Grab ihres Gründungsvaters nicht länger finanzieren und hat mittlerweile die Einebnung beantragt«.
    Die Nachfahren des Komponisten hatten nun den Versuch unternommen, dass die Stadt Braunschweig Sommers Grab als Ehrengrab führt, was der Kulturausschuss jedoch einmütig ablehnte - mit Kultur ist das eben so eine Sache ..., bei meinem Friedhofsbesuch im Sommer 2019 war das Grab des Komponisten Hans Sommer noch da.


    Praktischer Hinweis:
    Der Hauptfriedhof Braunschweig befindet sich in der Helmstadter Straße 38. Man geht auf die Friedhofskapelle zu und wendet sich zwischen Feld 11/12 nach rechts. Weiter geht es dann zwischen den Feldern 28/29, 32/30, 31/33. Das Grab von Hans Sommer befindet sich im Feld 40A, welches man zwischen 34 und 34A findet.


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    Bei der Friedhofskapelle wendet man sich rechts ...

  • Albert Krafft-Lortzing - *10. April 1893 Breslau - † 14. Mai 1974 Braunschweig


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    Zum heutigen Todestag von Albert Krafft-Lortzing

    Man geht über einen Friedhof und entdeckt plötzlich auf einem Grabstein einen bekannten Musikernamen, der an Opern erinnert, die in unserer globalisierten Welt heute kaum noch Platz haben - »Zar und Zimmermann«, »Wildschütz«, «Undine«, »Waffenschmied« ...


    Wer war der Tenor Albert Krafft-Lortzing?

    Er war ein Sohn des Dirigenten Carl Krafft-Lortzing († 1923), ein Enkel von Lina Krafft-Lortzing, der Tochter des Komponisten Albert Lortzing (1801-51). Er begann seine Bühnenkarriere 1913 am Stadttheater von Steyr (Oberösterreich), war 1915-16 am Stadttheater von Dortmund, 1916-17 als erster Tenor-Buffo am Stadttheater von Augsburg und 1917-18 am Hoftheater von Karlsruhe engagiert. In den folgenden drei Jahren 1918-21 trat er in München als Operettensänger auf. Er blieb im Operettenfach und hatte hier zuerst in Köln, dann in Berlin (Theater am Nollendorfplatz) und in Braunschweig, wo er Direktor des Operettentheaters im Wintergarten wurde, seine Erfolge. Von den vielen Partien, die er auf der Bühne übernahm, seien der Wenzel in der »Verkauften Braut«, die vier Charakterrollen in »Hoffmanns Erzählungen«, der Basilio in »Figaros Hochzeit«, der Zitterbart im »Evangelimann« von W. Kienzl, der Beppo in »Fra Diavolo« von Auber, der Monostatos in der »Zauberflöte«, der Pietro in »Boccaccio« von F. von Suppé und der Eisenstein in der »Fledermaus« erwähnt.


    [Lexikon: Krafft-Lortzing, Albert. Kutsch/Riemens: Sängerlexikon, S. 13098 (vgl. Sängerlex. Bd. 3, S. 1896) (c) Verlag K.G. Saur]


    Praktischer Hinweis:
    Hauptfriedhof Braunschweig, Helmstedter Straße (Haupteingang). Man geht wenige Schritte vom Haupteingang auf die Kapelle zu, biegt dort rechts ab und erreicht nach wenigen Schritten das Gräberfeld 33, wo sich das Grab befindet.

  • Fritz Uhl - *2. April 1928 Wien-Matzleinsdorf - † 21. Mai 2001 München


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    Zum heutigen Todestag von Fritz Uhl


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    Es dürfte in der Operngeschichte wohl einmalig sein, dass aus einer Gymnasialklasse drei Opernsänger hervorgingen, welche es dann alle zu einer überdurchschnittlichen Sängerkarriere brachten; die beiden anderen Kollegen waren Eberhard Waechter und Waldemar Kmentt, die man hier nicht vorstellen muss, weil sie entsprechend bekannt sind.


    Und das Trio blieb zunächst insofern zusammen, dass sie alle bei einer sehr renommierten Wiener Gesangslehrerin studierten, das war Elisabeth Radó, eine lebende Legende in Sängerkreisen; des Weiteren studierte Uhl auch noch bei Ferdinand Grossmann und an der Musikakademie bei Hermann Gallos und Hubert Marischka. Noch bevor er seine Studienzeit beendet hatte, bereiste er mit einer Operettentruppe die Niederlande.


    Fritz Uhl debütierte im Theater der Stadt Loeben in der Steiermark, einem Haus, das über knapp 300 Sitzplätze verfügt, in der Titelpartie von Gounods Oper »Faust«. Seine nächste Station ist dann schon Graz, wo er in den Jahren 1952 bis 1953 sang. Im Folgejahr ging es für den jungen Sänger ans Stadttheater von Luzern, wo man ihn von 1953 bis 1954 hörte. Seine weiteren Stationen waren das Stadttheater in Oberhausen, 1956-1958, und das Opernhaus Wuppertal, wo sich der stimmliche Wandel hin zum Heldentenor vollzog.


    1956 war Fritz Uhl Mitglied der Staatsoper München geworden, hatte aber auch Gastspielverträge mit den Staatsopern Stuttgart und Wien. An der Wiener Staatsoper hatte Fritz Uhl immerhin 120 Auftritte in 16 verschiedenen Rollen. Erstmals trat er dort am 6. November 1959 bei der Opernaufführung »Jenůfa« in der Rolle des Števa Buryjain in Erscheinung, das war im Rahmen von Gesamtgastspielen der Württembergischen Staatsoper unter Ferdinand Leitner.
    Als »Jenůfa« in den Jahren 1972-1974 in Wien wiederaufgenommen wurde, fand man Uhl inmitten Wiener Kollegen immer noch an seinen angestammten Platz. In Wozzeck gab er an der WSO 22 Mal den Tambourmajor, aber er war auch mehrmals als Stolzing, Erik, Florestan und Parsifal zu hören. Sein letzter Auftritt an der WSO war als Aegisth in »Elektra« am 15. Oktober 1975.


    Kaum war Fritz Uhl Mitglied der Staatsoper München, stand er auch schon auf der Bayreuther Festspielbühne, erstmals 1957 bis 1958 sang er dort in »Die Meistersinger von Nürnberg« den Kunz Vogelgesang, 1957-59 den Melot in »Tristan und Isolde«, 1958 den Loge in »Das Rheingold«. 1959 bis 1961 gab Uhl den Erik in »Der fliegende Holländer« und in den Jahren 1961 bis 1963 war Fritz Uhl in Bayreuth als Siegmund in »Die Walküre« zu hören.
    Einige Quellen sagen, dass Fritz Uhl bei den Salzburger Festspielen 1958 den Florestan in »Fidelio« gesungen hat, aber im Salzburger Archiv sind Auftritte 1968 notiert, die James King und Fritz Uhl unter dem Dirigat von Karl Böhm nennen. Ebenfalls unter Böhm war der Tenor 1971/72 als Tambourmajor im »Wozzeck« an der Salzach zu hören.
    Fritz Uhl gab beachtliche Gastspiele in Europa, wie zum Beispiel am Théâtre de la Monnaie in Brüssel, an der Grand Opéra Paris, an der Londoner Covent Garden Oper, in Barcelona, Lissabon, Amsterdam und Stockholm, aber auch in Nizza, Straßburg, Lyon, Touluse ... pauschalierend kann man eigentlich feststellen, dass er in ganz Europa sang, denn es ließen sich noch einige bedeutende Spielorte hinzufügen. Und auch die überseeischen Häuser standen ihm offen, so die Oper in San Francisco und des Teatro Colón Buenos Aires und in Mexiko City sang er auch.
    1962 wurde Fritz Uhl nicht nur zum Bayerischen Kammersänger ernannt, eine bedeutende Sache war in diesem Jahr auch die japanische Erstaufführung der Strauss-Oper »Salome« in Osaka, wo Fritz Uhl neben der damals hervorragenden Christel Goltz als Salome und Josef Metternich als Jochanaan, den Herodes gab.


    Wenn man das künstlerische Wirken dieses Sängers überblickt, der ein gutes Dutzend Jahre so gut bei Stimme war, dass seine Auftritte an so vielen Häusern immerhin etwas Besonderes waren, dann nötigt das großen Respekt ab und man kann sich als Nachlebender nur wundern, wie schnell solche Persönlichkeiten aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwinden. Man muss erst einmal bei Festspielen wie Bayreuth oder Salzburg bestehen, so etwas kann man nicht aus dem Ärmel schütteln; da wäre bei manchen der schreibenden Zunft durchaus etwas mehr Respekt und vielleicht auch ein Quäntchen Demut angebracht. Fritz Uhl war nicht der schwere Heldentenor, wie sie eine Generation zuvor noch auf der Bühne standen, aber ein glänzender Stolzing und Lohengrin oder auch Florestan.


    Da reiht man Städtenamen auf, weiß jedoch nicht was an den einzelnen Abenden eigentlich geschah, sicher ging auch mal was schief. Aber da war zum Beispiel so ein Abend in München, es war der 1. Dezember 1963, da dirigierte Herbert von Karajan im Rahmen der Neueröffnung des Nationaltheaters »Fidelio«, die vokalen Hauptprotagonisten waren an diesen Abend Christa Ludwig und Fritz Uhl; da war sogar der Kritiker Joachim Kaiser stark beeindruckt.


    Wenn man Uraufführungen singt schreibt man zwar Musikgeschichte mit, aber das sind heutzutage dann meist Werke, die nicht wie früher - zum Beispiel »Rigoletto« oder »La Boheme« - um die Welt gehen und sich jahrzehntelang auf den Spielplänen halten, also ist damit auch nicht so viel Nachruhm verbunden.
    Uhl wirkte bei Uraufführungen wie »Das Spiel von Liebe und Tod« (Ján Cikkers) / »Der Aufstand« (Helmut Eder) » / »Die Versuchung« (Josef Tal) / »Le roi Béranger« (Heinrich Sutermeister) mit; allesamt Werke, deren Bekanntheitsgrad eher gering ist.

    Ab 1981 war Fritz Uhl Professor am Konservatorium Wien; am Montag, den 21. Mai 2001 erlag er im Alter von 73 Jahren einem Krebsleiden.


    Praktischer Hinweis:
    Das Grab von Fritz Uhl befindet sich auf dem Ostfriedhof in München. Man benutzt am besten den Seiteneingang, der mit der Nr. 41 gekennzeichnet ist. In unmittelbarer Nähe ist eine S-Bahn Station. Man geht von hier aus etwa drei Minuten bis zum Krematoriums-Gebäude und biegt dann links zum Gräberfeld 146 ab (Reihe 6, Grabnummer 26)
    Und wenn man schon mal da ist - im Gräberfeld 147 ist das Grab von Georg Hann.


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  • Lieber Karl Georg,

    über Deinen Beitrag zum Todestag von Fritz Uhl haben sich Ingrid und ich sehr gefreut. Fritz Uhl war über 10 - 15 Jahre ein international sehr gefragter Sänger. Uhl ein Tenor,der sogar als Trista nals Partner von Birgi Nilsson respektabel bestehen konnte, wovon eine Gesamtaufnahme zeugt. Wie ich in einem anderen Thread bereits berichtete bestand zu Gottlob Frick eine Art Vater -Sohn Beziehung. Besonders Termine im Ausland wurden so weit wie möglich koordiniert. Nach Fricks Tod war Fritz Uhl ein engagiertes Mitglied der Gottlob Frick Gesellschaft und es entstand eine Freundschaft, die mit seiner zweiten Frau Traudl bis heute fortbesteht. Ihr werde ich noch heute Deinen Beitrag zusenden. so segensreich wirken Deine Beiträge zum Erhalt des Sängergedenkens. Besonderen Dank, weil wir hier am gleichen Strang ziehen.

    Herzlichst

    Ingrid und Hans

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Kann man schöner die Sinnhaftigkeit dessen erfahren, was man hier tut?l

    Lieber Helmut,

    kaum und wenn wir dann solche kleinen Dinge sensibel wahrnehmen, wie Du das tust und uns gegenseitig verstärken, dann können den Worten sogar Taten folgen, denn "an ihren Taten sollt ihr sie erkennen." Danke für Deine Reaktion.

    herzlichst

    Operus

    Hans

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Hans Schmidt-Isserstedt - * 5. Mai 1900 Berlin - † 28. Mai 1973 Holm


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    Zum heutigen Todestag des Dirigenten Hans Schmidt-Isserstedt


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    Am 5. Mai dieses Jahres jährte sich der Geburtstag des Dirigenten zum 120. Male. Er kam mit dem vollständigen Namen Paul Hans Ernst Schmidt als Sohn des Brauereidirektors Paul Schmidt und dessen Ehefrau Therese, geborene Isserstedt, zur Welt. Der väterliche Name ist überall inflationär verbreitet, so auch in Berlin; die Familie beschloss ihren Familiennamen etwas exklusiver zu gestalten und fand dann 1928 die Lösung darin, einfach den Mädchennamen der Mutter an den väterlichen Namen dranzuhängen; so entstand der später so berühmte Name Hans Schmidt-Isserstedt, dem dann später noch der Doktortitel vorangestellt werden konnte.


    Für den kleinen Hans gab es auf dem Brauereigelände viel zu sehen und zu erleben, da waren Pferde, Bierkutscher, eine Schmiede mit Werkschlosserei und vieles mehr, was für den Jungen einem Abenteuerspielplatz gleichkam. Eine Polio-Erkrankung in früher Kindheit war der Grund für eine leichte Behinderung am Bein, die den lebendigen Kleinen jedoch in seinem kindlichen Übermut kaum bremste.
    Neben all dem gab es aber auch einen sogenannten Kaffeegarten mit einer Musikbühne, wo der siebenjährige Knabe die Musikkapelle bewunderte, und ganz besonders einen Sologeiger, der seine Kunst mit einer Samtjacke bekleidet darbot. Der Junge war fasziniert und wollte unbedingt in die Fußstapfen dieses Mannes treten; sein Berufswunsch stand fest, genau so stellte er sich sein Leben vor.
    Zunächst konnten die Leute vom Brauereifuhrpark dem Kleinen zu einem Instrument verhelfen, dem Töne zu entlocken waren; der Klangkörper bestand aus einer Zigarrenkiste und für den Bogen mussten die Brauereigäule einige Schwanzhaare beisteuern. Hans gelang es tatsächlich mit dieser Sonderkonstruktion Töne zu erzeugen und nun erzählte er jedem dem er begegnete, dass er ein Geiger wird. Da wollten die Eltern nicht untätig bleiben und schenkten ihrem Filius zum nächsten Geburtstag eine kindergerechte Dreiviertel-Violine.
    Sicher hatte der Sohn von beiden Eltern etwas musikalisches Erbgut mitbekommen, denn beide Eltern spielten Klavier und pflegten die Hausmusik. Die Mutter war die routiniertere von beiden, sie konnte vom Blatt spielen und besaß auch eine schöne Singstimme.
    Mit neun erlebte Hans seinen ersten Opernbesuch, Karl Muck dirigierte an der Königlichen Oper Berlin »Lohengrin«.


    Die Eltern nahmen die musikalische Ausbildung ihres Sohnes ernst und sorgten dafür, dass der Geigenunterricht von guten Lehrern erteilt wurde und achteten auch darauf, dass zu Hause ordentlich geübt wurde. So konnte Hans auch nach einer gewissen Zeit bei den Hauskonzerten mitwirken. Hier schon wurde seine Liebe zu Mozart geweckt; der langsame Satz aus dem Klarinettenkonzert von Mozart hatte ihn nachhaltig beeindruckt.


    Ab 1909 besuchte der Junge das Humanistische Königstädtische Gymnasium in Berlin. Von dort hörte man, dass der Lerneifer nicht besonders ausgeprägt sei, was dann noch durch »sehr lebhaftes« Verhalten ergänzt wurde; der Vater musste sogar hören, dass man seinen Sohn als Rowdy bezeichnete, aber dies konnte Hans Schmidt, wie er damals noch hieß, durch seine unbestrittene Virtuosität mit der Geige kompensieren. Hans Schmidt kam im Alter von vierzehn Jahren zu der Erkenntnis, dass er nun auf der Violine solche Fortschritte gemacht habe, dass es eines weiteren Schulbesuchs nicht mehr bedürfe, er wollte sogleich eine Musikerausbildung beginnen und sich zukünftig nur noch der Musik widmen. Die Eltern wollten ja ihrem Sohn den Musikerberuf nicht ausreden, meinten jedoch, dass er mit Abitur abschließen sollte, dann würden sie ihm gerne ein Musikstudium finanzieren. Im November 1918 legte er seine Abiturprüfung ab - sein Weg als Musiker lag vor ihm.


    Hans Schmidt ließ sich 1919 an der Friedrich-Wilhelm-Universität zu Berlin (der heutigen Humboldt-Universität) als Student der Musikwissenschaften einschreiben; seinen eigenen Angaben zufolge hat er zudem Philosophie, Literatur- und Kunstgeschichte studiert. Nach zwei Semestern wechselte er nach Heidelberg, was ihn offenbar nicht begeistern konnte, denn bereits Ende Oktober 1920 exmatrikulierte er sich wieder, um an seinen alten Studienort Berlin zurückzukehren, wo man ihm im Mai 1922 sein Abgangszeugnis aushändigte.
    Für seinen weiteren Berufsweg war vor allem das Parallelstudium an der Berliner Akademischen Hochschule für Musik wichtig; hier studierte er Violine, Klavier und Musiktheorie. Wegen seiner guten Leistungen war er im Herbst 1920 in die Meisterklasse von Franz Schreker aufgenommen worden, der zu dieser Zeit schon ein bekannter Opernkomponist war und nun als Hochschuldirektor von Wien nach Berlin berufen wurde. Zu seiner Zeit bei Schreker meinte Schmidt-Isserstedt rückblickend:
    »Ich habe bei Schreker eigentlich nicht viel gelernt. Er war ein wunderbarer Instrumentator, aber im Grunde hatte ich zu seiner Musik, die sehr impressionistisch war und eigentlich, wie ich zu sagen pflege, keine Knochen hatte, nicht sehr viel Einstellung«.
    Weit mehr für seine späteren Aufgaben, wurde er durch Arthur Nikisch geprägt, wenn er Konzerte der Berliner Philharmoniker besuchte. Die Ticketpreise für solche Konzerte waren zwar aus einem Studentenbudget kaum zu finanzieren, aber der interessierte Student fand einen idealen Weg zum Kunstgenuss, und der ging nach seiner eigenen Darstellung so:
    »Ich nahm meinen Geigenkasten unter den Arm und ging wie ein richtiger Orchestermusiker an den strengen Pförtnern der Philharmonie vorbei, hing meinen Rock und meinen leeren Geigenkasten in den Musikerraum und stieg das Podium hinab in den Saal. Das hat immer geklappt. Ich kam in jedes ausverkaufte Nikisch-Konzert mühelos hinein«.
    Diese Erlebnisse mit Nikisch bestärkten nach Studienabschluss den jungen Hans Schmidt seine Ambitionen als Geiger zu hinterfragen und er kam zu dem Entschluss eine Dirigentenkarriere anzustreben.


    Die Eltern akzeptierten zwar diese neue berufliche Ausrichtung ihres Sohnes, aber es eröffnete sich nun ein ähnliches Szenario wie beim gymnasialen Abschluss, wo Papa dringend zum Abitur riet. Der Vater vertrat die Meinung, dass der Sohn gut daran täte seinem Namen noch zwei Buchstaben voranzustellen, also als Studienabschluss den Doktor zu machen. Wie gehabt, war Hans auch in diesem Falle nicht begeistert, aber beugte sich letztendlich dem Elternwunsch und begab sich auf die Suche nach einem Doktorvater, um die vom Elternhaus gewünschte Promotion zu erlangen.
    In Münster War der Komponist und Dirigent Prof. Dr. Fritz Volbach Generalmusikdirektor und eine das Münsterland prägende Musikerpersönlichkeit. Volbach lehrte an der Hochschule Münster, also immatrikulierte sich der Doktor in spe zum Wintersemester 1922/23 an der Westfälischen Wilhelms-Universität. Der Dissertationstitel war: »Die Einflüsse der Italiener auf die Instrumentation der Mozartschen Jugendopern«.
    Der prüfende Professor lobte zwar die Arbeit, ließ aber bei seiner Beurteilung durchblicken, dass man diese Arbeit noch vertiefen könne und riet dem Verfasser, dies zu einem späteren Zeitpunkt zu tun. Dazu kam es nicht, aber ein Sohn des frisch gebackenen Doktors, hatte später seinen Vater bezüglich Mozart-Kenntnis überholt, was Hans Schmidt-Isserstedt selbst zu Protokoll gab und neidlos anerkannte.
    Am 16. November 1923 verlieh die Universität Münster Herrn Hans Schmidt aus Berlin - in schönster Beamtenschrift - den Doktor der Philosophie.


    Während seines Studiums in Berlin wurde Schmidt Mitglied des seit1908 bestehenden Berliner Akademischen Orchesters, eines Studentenorchesters der Berliner Universität. Aufgrund seiner Fähigkeiten brachte er es hier schon zum Konzertmeister und durfte auch bereits einige Gehversuche als Dirigent machen.


    So richtig in die Praxis ging es bei den vereinigten Stadttheatern Barmen-Elberfeld. An diesem jungen Theater hatte man den jungen Doktor 1923 als Korrepetitor engagiert, wo er in der Hauptsache die Aufgabe hatte das Ballett für Opernaufführungen vorzubereiten und mit dem singenden Personal Rollen einzuüben. Ein Traumjob war das für ihn nicht und er meinte auch selbstkritisch, dass er wohl kein guter Korrepetitor war. Diese ihn nicht befriedigende Tätigkeit wurde allerdings dadurch etwas aufgelockert, dass er auch im Orchester als Geiger mitspielte und so in vielen Opernaufführungen und Konzerten eine Menge Erfahrungen sammeln konnte, die für seine spätere Tätigkeit enorm wichtig waren. Unvorbereitet musste er nun einen »Rosenkavalier« dirigieren, der ihm so gelang, dass er dafür viel Lob bekam.
    In Barmen-Elberfeld begann er auch wieder in größerem Umfang zu komponieren; schon in den Vorjahren hatte er Lieder nach Texten von Heine, Dehmel und Nietzsche vertont; nun wagte er sich an größere Sachen. Sein Anstellungsvertrag sah vor, dass er auch Bühnenmusiken zu Schauspielen zu liefern hatte. Die von ihm aufgeführten Eigenkompositionen fanden bei der Presse Anerkennung und schon bald wurde auch eine Opernuraufführung angekündigt, die am 17. Oktober 1928 am Stadttheater Barmen-Elberfeld erfolgreich über die Bühne ging. »Hassan gewinnt«, war der Titel des Werkes. Die Aufführung wurde am Haus mehrfach wiederholt und die Oper wurde auch an anderen Bühnen erfolgreich aufgeführt. Allerdings reifte in Schmidt-Isserstedt der Gedanke, dass ihm die alten Meister überlegen waren. Er unterließ nun weitere Kompositionsversuche und konzentrierte sich darauf ein guter Dirigent zu werden.
    Als der Intendant des Rostocker Stadttheaters eine Opernaufführung unter Schmidt-Isserstedt anhörte, bot er ihm unmittelbar nach der Vorstellung an die Ostsee zu kommen. Auch dort hatte er Erfolg und brachte eigene Kompositionen zur Aufführung, natürlich auch seine Oper. Aber das Publikum fand auf den Programmen nun auch Werke von Paul Hindemith, Alban Berg, Béla Bartók, Igor Strawinsky ... Das führte bei Teilen des Publikums zu Irritationen. Dennoch sah man in Rostock auch mit etwas Stolz, dass der Dirigent öfters zu Gastspielen von anderen Häusern eingeladen wurde. Die wirtschaftlichen Verhältnisse wurden allgemein schlechter, natürlich auch am Rostocker Theater und neue politische Verhältnisse warfen bereits ihre Schatten.
    Privat ergab sich für Schmidt-Isserstedt in Rostock insofern eine Veränderung, dass er zusammen mit Gerta Herz, die einer angesehenen und musikliebenden Rostocker Familie entstammte, in den Ehestand trat. Bald hatte das Paar zwei Söhne, Erik-Georg und Peter-Wolfgang.


    Vom Hessischen Landestheater Darmstadt kam ein attraktives Angebot, Schmidt-Isserstedt konnte dort der jüngste Generalmusikdirektor Deutschlands werden, wo er sich mit Karl Maria Zwißler als Erster Kapellmeister die musikalische Leitung teilte. Die beiden jungen Dirigenten hatten in Darmstadt einen Vorgänger zu ersetzen, der es später zu großer Berühmtheit brachte, das war Dr. Karl Böhm. Darmstadt war damals eine Hochburg avantgardistischer Bühnenkunst


    Der Musikkritiker Stuckenschmidt schrieb damals: »Das Hessische Landestheater gilt als die modernste Bühne Deutschlands. Von hieraus haben die gewagtesten Versuche zeitnaher Opernregie ihren Weg nach Berlin gefunden«.
    Schmidt-Isserstedt leistete in Darmstadt gute Arbeit bei der Einstudierung von Werken Bruckners, und der bekannte Pianist Wilhelm Kempff vertraute den jungen Dirigenten die Uraufführung seines Violinkonzertes an.
    Von politischer Seite war zum einen Schmidt-Isserstedts moderne Musikpflege nicht gerne gesehen und zum andern führte er mit der Jüdin Gerta Herz eine sogenannte Mischehe, was in Rostock noch kein großes Thema war aber nun in Hessen eines geworden war, also verfügte das Hessische Kultusministerium 1933 seine Entlassung.
    Der Dirigent ließ sich dann 1935 von seiner Frau scheiden, was zunächst als Gentlemen´s Agreement gedacht war. Frau Gerta flüchtete 1936 zunächst nach Florenz und die Söhne kamen in ein Internat nach St. Moritz, wo sie vor allem Englisch lernen sollten, denn als eigentliches Fluchtziel war England vorgesehen. Nun, die Eheleute kamen nicht mehr zusammen, aber das Familienband war nicht gänzlich zerschnitten; mit seinem 1931 noch in Rostock geborenen Sohn - der sich dann Erik Smith nannte -, produzierte der Vater in späteren Jahren noch die Stereo-Gesamtaufnahme der Mozart-Oper »Die Gärtnerin aus Liebe«. Aus Erik Smith war bei DECCA und PHILIPS eine herausragende Persönlichkeit und ein ganz vorzüglicher Mozart-Kenner geworden.


    Die fristlose Kündigung war mit einem einjährigen Berufsverbot verbunden. Eine neuerliche Dirigiermöglichkeit ergab sich jedoch, als Schmidt-Isserstedt Heinrich XLV. Erbprinz Reuß kennenlernte, der ein Tourneetheater leitete, das sich »Deutsche Musikbühne« nannte. Das war für den Dirigenten eine kurze Betätigung, bei der auch schon mal »Die Walküre« mit einem 30-Mann-Orchester in Szene gesetzt wurde.
    In Hamburg war Heinrich Karl Strohm, ein gebürtiger Elberfelder, 1933 Intendant geworden und hatte dort die Möglichkeit erkannt, einen erstklassigen Mann an sein Haus zu holen.Von1935 an war Schmidt-Isserstedt Erster Kapellmeister an der Hamburgischen Staatsoper und 1938 wurde er ausgerechnet am Führergeburtstag mit dem Titel Staatskapellmeister geschmückt.
    Am Deutschen Opernhaus in Berlin war der bekannte Bariton Wilhelm Rode Intendant und Josef Goebbels oblag als oberster Dienstherr die Aufsicht über das Haus. Politisch hatte Goebbels am Intendanten nichts auszusetzen, aber an Rodes Haus war einiges an künstlerischer Qualität zu bemängeln, weil dort Leute zur Bühne drängten, die da eigentlich nicht hingehörten; Vetternwirtschaft gehörte zum Tagesgeschäft an der Bismarckstraße. Seinem Tagebuch hatte der Minister anvertraut: »Nun fahre ich aber dazwischen«!
    Intendant Rode leitete zwar das Haus dann noch fünf Jahre, bekam jedoch mitten im Zweiten Weltkrieg, im Sommer1943, den sehr erfolgreichen Hamburger Dirigenten Hans Schmidt-Isserstedt zur Seite gestellt, der ja waschechter Berliner war. Irgendwo wurde das Verhältnis der beiden mit »Eiseskühle« beschrieben. Etwas später hatte es sich hier ohnehin ausgefiedelt, weil das Haus in der Nacht vom 22. auf den 23. November 1943 zerbombt wurde. Man spielte danach zwar noch im Admiralspalast weiter, aber bald darauf fiel der Vorhang an allen deutschen Theatern. Schmidt-Isserstedt schaffte es auch auf die sogenannte »Gottbegnadetenliste«, welche 1944 von Hitler und Goebbels zusammengestellt wurde. Da waren 1.041 Künstler verschiedener Kunstgattungen aufgelistet, die man vom Kriegsdienst bewahren wollte, die als unabkömmlich galten; Schmidt-Isserstedt war einer von insgesamt16 Dirigenten.


    Als dieser furchtbare Krieg zu Ende gegangen war, hatten die verschiedenen Besatzungsmächte von Hamburg bis Wien großes Interesse die Kultur wieder zum Laufen zu bringen, aber einige berühmte Dirigenten-Namen fand man auf den Konzertplakaten nicht mehr, weil sie mit einem Berufsverbot belegt waren. Diesbezüglich hatte Schmidt-Isserstedt nichts zu befürchten; zwar brachte es sein Job mit sich, dass er sich in Berlin vor den Größen des »Tausendjährigen Reiches« verneigt hatte, aber Parteimitglied war er nie gewesen.


    Nun saß der ausgebombte Dirigent im März 1945 mit seiner kleinen Familie bei einem Bauern im Haartje-Hof in Holm bei Wedel in der Elbmarsch. 1936 war Schmidt-Isserstedt eine zweite Ehe mit der Ballettmeisterim Helga Swedlund eingegangen, die von Geburt her eigentlich Vogt hieß und aus Iserlohn stammte; auch sie hatte ihren Namen verändert und den schwedischen Geburtsnamen ihrer Mutter angenommen. Helga Swedlund war eine Künstlerin von einiger Bedeutung und im damaligen Deutschland mit 20 Jahren die jüngste Ballettmeisterin; und sie hatte - 28-jährig - 1932 erstmals die Hamburger Ballettdirektion übernommen. Helga Swedlund hatte allein an der Wiener Staatsoper in den Jahren 1939 bis 1947 mehr als 200 Auftritte absolviert.
    So ganz zufällig war das Künstlerpaar nicht nach Holm gekommen; die Sängerin Elisabeth Ziegler fuhr alle vierzehn Tage dorthin, um mit dem Großbauern Henry Haartje zu musizieren, der ein begeisterter Klavierspieler und Musikfreund war. Natürlich war ihm der Name Schmidt-Isserstedt ein Begriff, was die Aufnahme der Flüchtlinge erleichterte. In diesen Zeiten war das der bestmöglichste Standort, direkt an der Quelle erzeugter Lebensmittel.


    Urplötzlich standen dann am 10. Juni 1945 in der Elbmarsch ein paar Offiziere der englischen Besatzungsmacht vor der Tür; Major Jack Bornoff führte alsbald in der Bauernküche mit Schmidt-Isserstedt ein Gespräch und fragten den nun 45-jährigen Dirigenten ob er gewillt sei für Radio Hamburg ein Orchester aufzubauen; das war in dieser Situation wohl eher eine rhetorische Frage.
    Für Schmidt-Isserstedt begann nun die Suche nach geeigneten Musikern, die auf teils abenteuerliche Wegen nach Hamburg kamen; der ehemalige Konzertmeister der Berliner Philharmoniker - um ein Beispiel zu nennen - war mit seiner Familie vor den Sowjets zu Fuß geflüchtet und konnte im Kinderwagen seines Sohnes eine seiner Geigen mitbringen. Aber manch erstklassiger Musiker konnte nicht engagiert werden, weil er Mitglied einer vordem beliebten Partei war, und da waren die Briten unerbittlich, solche Leute hatten keine Chance, gefragt war höchste musikalische Qualität ohne Parteibuch.


    Auf der Suche nach geeigneten Musikern durchstöberte man nun auch die Gefangenenlager Norddeutschlands. Dabei kam es zu grotesken Situationen: der Erste Posaunist wurde zum Beispiel vom Heumachen herbeigeholt und absolvierte sein Probespiel sogleich in der Scheune. Des Dirigenten Streifzug war insofern erfolgreich, dass das erst am 13. Juni 1945 gegründete Orchester bereits am 20. Juni im Studio des NWDR Tschaikowskys »Romeo und Julia« einspielen konnte; im November 1945 fand in der Musikhalle ein erstes öffentliches Konzert statt, auf dem Programm standen u. a. Beethoven, Brahms, Tschaikowsky ...


    Rasch wurde das Ensemble zu einem Orchester, das auch Neider und Kritiker auf den Plan rief, denn es gab da auch noch das Hamburger Philharmonische Orchester, welches befürchten musste durch die Rundfunk-Musiker an den Rand gerückt zu werden; denn während die Philharmoniker von der Stadt finanziert wurden, wo es Finanzprobleme gab, war das Rundfunkorchester von der britischen Besatzungsmacht weit besser ausgestattet. Man versuchte die öffentlichen Auftritte des Rundfunkorchesters zu reduzieren. Teile von Presse und Politik vertraten die Ansicht, dass es nicht Aufgabe des Rundfunks sei öffentliche Konzerte zu veranstalten.
    In der Nachkriegszeit war Schmidt-Isserstedt auch wieder gastweise im Hamburger Opernhaus zu hören und Helga Swedlund war in der Staatsoper wieder als Ballettmeisterin tätig.


    Die Rundfunkmusiker wurden über die Grenzen Hamburgs hinaus bekannt; bereits 1949 begab sich das Orchester auf eine Deutschland-Tournee und schon im folgenden Jahr war der junge Klangkörper auch in Paris zu hören; zum ersten Mal nach dem Krieg gastierte ein deutsches Orchester in Frankreich; der Erfolg beim Publikum im Théâtre des Champs-Elysées war groß. 1951 kam es zu einem Gastspiel in mehreren englischen Städten, wobei der Auftritt in der wiedereröffneten Free Trade Hall in Manchester mit etwas Beklemmung absolviert wurde, denn dieser Konzertsaal war 1940 von der deutschen Luftwaffe zerstört worden. Bevor die beiden Hymnen erklangen hielt der Dirigent eine kurze Ansprache - hier wurde nicht nur vorzüglich musiziert, es wurde auch Völkerverbindendes geleistet. Die Bekanntheit des Dirigenten wuchs sowohl in Europa als auch Übersee stetig 1953 fuhr er erstmals nach Australien, 1954 dirigierte Schmidt-Isserstedt das neugegründete Orchester des Südafrikanischen Rundfunks in Johannesburg und Pretoria. Ein Jahr später gab er Konzerte in Santiago de Chile und Valparaiso, wozu ihn das chilenische Kulturministerium eingeladen hatte. Einladungen führten ihn auch nach Buenos Aires und Rio de Janeiro, wo er das Argentinische und das Brasilianische Staatsorchester leitete. Aber er leistete in diesen Jahren auch Hilfe in Bremen, als es 1954 dort Schwierigkeiten gab.
    Ab der Saison 1955/56 leitete Schmidt-Isserstedt das Philharmonische Orchester Stockholm, das er aber schon zuvor mehrmals dirigiert hatte, erst 1964 endete dieses Engagement mit einer schönen Abschiedsgeste. Aber in gleichem Maße wie Schmidt-Isserstedt nun dirigierend durch die Welt zog, standen in diesen Jahren auch viele prominente Dirigenten vor dem NDR Sinfonieorchester: Wilhelm Furtwängler, Sergiu Celebidache, Eugen Jochum, Karl Böhm, Ferenc Fricsay, GeorgSolti, George Szell, Leopold Stokowski, Otto Klemperer, Erich Kleiber ...

    1956 änderte sich der Orchestername; als aus dem NWDR die beiden Rundfunkanstalten NDR und WDR entstanden, wurde das Orchester im August 1956 in »NDR-Sinfonieorchester« umbenannt; international trat es unter dem Namen »NDR Symphony Orchestra of Hamburg« auf.


    Im Rahmen des deutsch-sowjetischen Kulturaustauschs gastierte Schmidt-Isserstedt im Frühjahr 1961 mit seinem Sinfonieorchester in Moskau und Leningrad. Im Rückblick war Schmidt-Isserstedt von der Intensität wie hier Musik gehört wurde und der großen Begeisterung des Publikums tief beeindruckt. Der Jubel steigerte sich frenetisch, wenn der Solo-Cellist, ein Musiker, der aus Odessa stammte, die obligaten Zugaben auf Russisch ansagte.
    1963 machte das NDR-Orchester seinen Antrittsbesuch in USA: die Freundschaft des Chefdirigenten des Philadelphia Orchestra, Eugene Ormandy, war der Anlass zu dieser Reise, unter großen Anstrengungen wurden mehrere Städte besucht. 1969 kam es zu einem da capo in USA, diesmal gab es 20 Konzerte in 19 Städten. Muss man erwähnen, dass Schmidt-Isserstedt auch in Japan war? - der Mann, den heute nicht allzu viele Musikfreunde mehr kennen, war auf der ganzen Welt zuhause.


    Und einen Herzinfarkt hatte er auch, ein solch anstrengendes Leben mit ständiger Anspannung hinterlässt Spuren. Ein besonderes gesundheitliches Problem war die ständig zunehmende Sehschwäche. Dessen ungeachtet war auch nach 1971 kein endgültiger Ruhestand geplant, er wollte nun all die Einladungen annehmen, für die er bisher keine Zeit hatte. Dort, wo ihr neues Leben nach dem Zweiten Weltkrieg begonnen hatte, in Holm, erwarb die Familie schon 1954 ein 20.000 Quadratmeter großes Grundstück und ließen sich darauf ein Heim errichten, das man 1955 bezog. Ein schönes Refugium, auf dem sich leben ließ.
    Von Sohn Erik, dem exzellenten Mozartkenner aus erster Ehe, wurde bereits berichtet; ein Sohn aus zweiter Ehe war Axel, der von 1955 bis 1960 an der Hamburger Musikhochschule studierte. Axel, der seinen Namen in Axel Isserstedt änderte, um sich vom Vater zu unterscheiden, war zunächst Korrepetitor an der Hamburgischen Staatsoper, wandelte also auf den Spuren seines Vaters. Axel Isserstedt schlug dann die Dirigentenlaufbahn ein, was der Vater einerseits kritisch sah, andererseits aber mit gewissem Stolz dann auch förderte. 1964 leitete der junge Dirigent am Opernhaus Dortmund erfolgreich eine Ballettaufführung und erhielt so gute Kritiken, dass er hier eine Festanstellung erhielt. Er wollte vermutlich diese frohe Botschaft möglichst schnell nach Hause bringen, setzte sich noch spät abends in seinen roten Porsche - ein Geschenk des Vaters - um nach Holm zu fahren, das er aber nicht erreichte. Auf der Bundesstraße bei Lünen verlor er die Herrschaft seines Wagens und starb auf dem Transport ins Krankenhaus.


    Der Dirigierstil Schmidt-Isserstedts war unprätentiös, für Shows am Pult hatte er kein Verständnis und war nicht bereit das Publikum in dieser Richtung spektakulär zu bedienen. In einem Interview hatte er das einmal so ausgedrückt:


    »Es wird doch von Dirigenten so viel an Rumgehüpfe, Rumgespringe und Getanze veranstaltet. Ich möchte das als Unsinn bezeichnen. Es wirkt auf mich furchtbar komisch. Das Orchester sitzt todernst da und spielt seinen Part, aber vor ihm steht ein Showman und macht Gott weiß was für Verrenkungen und hat dabei die tollsten Gefühle!«


    Wenn man den musikalischen Lebenslauf von Schmidt-Isserstedt studiert, fällt auf, dass er immer und immer wieder in seinen Programmen zeitgenössische Komponisten berücksichtigte; versucht man tiefer in seine Gedankenwelt einzudringen, wird jedoch deutlich, dass er die alten Meister weit höher schätzte. Sein Sohn Peter brachte es einmal auf den Punkt als er meinte: sein Vater sei »nicht gerade wild auf moderne Musik« gewesen. Der Konzertkritiker Peter Dannenberg stellte einmal fest:»Zur jüngsten Musik, wie sie sich etwa von 1955 an entwickelte, hat Schmidt-Isserstedt keine engeren Beziehungen gewonnen«.


    All zulange konnte er seinen Unruhestand nicht genießen; er dirigierte noch einige Konzerte im Norden, auch das NDR Festkonzert in Kiel im Rahmen des Kulturprogramms der Olympischen Segelwettbewerbe - er selbst war ein begeisterter Segler.
    1972 führten ihn Auslandsreisen nach Genf, Zürich, Lausanne, Basel, Paris, London und Amsterdam. Als er am 28. Mai 1973 von einer Schallplattenaufnahme aus Amsterdam zurück kam, trank er auf der Terrasse eine Tasse Tee und seine Frau begab sich zum Schwimmbecken und bemerkte bald, dass der Hund aufgeregt am Beckenrandauf und ab lief. Helga Schmidt-Isserstedt fand ihren Mann zusammengesunken im Sessel, ein weiterer Herzinfarkt war die Ursache, wie die Ärzte feststellten. Am 2. Juni 1973 wurde Hans Schmidt-Isserstedt auf dem Friedhof in Holm an der Seite seines Sohnes Axel beigesetzt. Einen Tag später fand in der Hamburger Musikhalle eine öffentliche Trauerfeier statt. Montserrat Caballé sang das »Laudate Dominum« von Mozart und am Ende spielte das Orchester die »Haydn-Variationen« von Brahms


    Praktischer Hinweis;
    Das Grab befindet sich auf dem Friedhof in 25488 Holm (Kreis Pinneberg). Der Friedhof ist überschaubar, so dass sich eine Wegbeschreibung erübrigt

  • Siegfried Wagner - * 6. Juni 1869 Tribchen bei Luzern - † 4. August 1930 Bayreuth


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    Zum heutigen Geburtstag von Siegfried Wagner


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    Es war im Hause Wagner - einem stattlichen Gebäude am Vierwaldstättersee - eine außerordentliche Freude, als der Stammhalter geboren wurde und natürlich nahm der stolze Vater dieses Ereignis zum Anlass, ein zunächst nur für den privaten Gebrauch gedachtes Musikstück zu kreieren, das »Siegfried Idyll«; auf der Partitur notiert Richard Wagner: »Tribschener Idyll mit Fidi-Vogelgesang und Orange-Sonnenaufgang, als Symphonischer Geburtstagsgruß. Seiner Cosima dargebracht von Ihrem Richard«

    .
    Richard Wagner hatte dieses Werk in aller Heimlichkeit im November und Dezember des Jahres 1870 in Erinnerung an die Geburt des gemeinsamen Sohnes, der auch »Fidi« genannt wurde, komponiert. Am 4. Dezember übergab Wagner die Partitur seinem Sekretär Hans Richter, der rasch Kopien fertigte und unverzüglich nach Zürich eilte, um dort aus dem städtischen Orchester einige Musiker auszuwählen, mit denen das Stück im Theaterfoyer geprobt wurde; dem folgte dann noch eine Probe, die in einem Luzerner Hotelsaal abgehalten wurde. Die Uraufführung fand anlässlich des 33. Geburtstages von Frau Cosima am 25. Dezember 1870 im Treppenhaus zu Tribschen statt, wobei zu bemerken ist, dass Richard Wagners Frau zwar am 24. Dezember geboren wurde, es aber im Hause Wagner Usus war, dass man Weihnachten am Heiligen Abend und Cosimas Geburtstag erst am 25. Dezember feierte.
    Am Weihnachtstag wurde es in Tribschen spannend: Die Instrumente wurden in der geräumigen Küche gestimmt, dann nahm das kleine Orchester im Treppenhaus Aufstellung - Wagner ganz oben, dann die Violinen, Bratschen, Holzbläser, Hörner und unten Violoncello und Bass, Der vierkantige Taktstock aus Holz, den Meister Wagner bei dieser Uraufführung schwang, ist übrigens heute noch erhalten und ein Indikator für die Bedeutung des Werkes, denn auf einer Seite wurde damals »Tribschen-Idyll« eingraviert und auf der anderen Seite »Den 25. December 1870«. Am 2. Februar 1871 notiert Frau Cosima in ihrem Tagebuch: »Ankunft des gravierten Taktstocks des Idyll«.


    Die Ankunft von Siegfried Wagner war sehr früh; am 6. Juni 1869, morgens gegen vier Uhr, rief das Hausmädchen Vreneli: »Ein Sohn ist da!«
    Auch Friedrich Nietzsche weilte vom 5. bis 7. Juni in Tribschen und war damals noch so nahe bei der Familie Wagner, dass sich der von Nietzsche angehimmelte Richard Wagner vorstellen konnte, seinen einzigen Sohn von Nietzsche erziehen zu lassen, aber schließlich blieb das nur ein Gedankenspiel, aus dem nichts wurde.
    Der kleine Siegfried konnte seine Situation ja noch nicht einschätzen, aber aus Erwachsenensicht hatte das schon etwas: Der Vater ein berühmter Komponist, Großvater Liszt nicht minder berühmt und dann noch König Ludwig II. als Taufpaten, der sich allerdings beim Taufakt am 4. September 1970 durch François Wille vertreten ließ. Dass die Taufe Siegfrieds - Siegfried Helferich Richard - so lange nach seiner Geburt stattfand ist darin begründet, dass seine Eltern erst am 25. August 1870 in Luzern getraut wurden.


    Der Vater setzte große Hoffnungen in seinen Sohn Siegfried, seine Mutter nicht minder; Siegfried war dazu bestimmt, das Werk Richard Wagners und den Mythos Bayreuth wachzuhalten. Der dreijährige Knabe konnte vielleicht noch die Ereignisse bei der Grundsteinlegung zum Bayreuther Festspielhaus in seinem Gedächtnis abspeichern; von seinen Eltern wurde er bestimmt als der natürliche »Thronfolger« gesehen, man sagt ja, dass die Wagners eine Art »Ersatz-Royals der Deutschen« sind. Bei der Eröffnung der ersten Festspiele war Siegfried Wagner dann sieben Jahre alt und wuchs sukzessive in das Geschehen hinein. In seiner Kindheit war der Junge von einer Menge weiblicher Wesen umgeben - da war seine dominante Mutter, seine Halbschwestern Daniela und Blandine und seine Schwestern Isolde und Eva. Musikwissenschaftlern fiel auf, dass der kleine Siegfried auf keinem seiner Kinderfotos lächelnd zu sehen ist, sondern stets mit ernstem Gesichtsausdruck in die Kamera blickt. Als Richard Wagner starb, war Siegfried 13 Jahre alt. Mutter Cosima dachte nie daran, dass aus ihrem Sohn einmal ein Komponist werden könnte, aber musikalische Kenntnisse sollte er natürlich schon haben.
    Noch als Richard Wagner lebte, auf einer Familienreise, welche die Wagners bis Neapel führte, hält Siegfried Wagner architektonische Eindrücke in Skizzenbüchern fest. Auch auf einer Italienreise, die er 1885 mit seiner Mutter und seinen Schwestern unternimmt, fertigt er wieder Architekturskizzen.
    Als sein Großvater, Franz Liszt, 1886 stirbt, entwirft Siegfried eine Kapelle im Stil der italienischen Frührenaissance für eine Grabstätte auf dem Stadtfriedhof Bayreuth, die jedoch nicht zur Ausführung kommt.


    Während Siegfried vordem in Wahnfried privat unterrichtet wurde, besucht er ab Herbst 1883 das Bayreuther Gymnasium. 1889 beendet Siegfried Wagner mit der Abiturprüfung seine Schulzeit. Danach geht er - auf Wunsch seiner Mutter - nach Frankfurt am Main und beginnt zunächst eine musikalische Ausbildung bei Engelbert Humperdinck. In Frankfurt begegnet er Clement Harris, einem 18-jährigen Engländer, dessen Vater ein vermögender Londoner Schiffsmakler ist, Dieser Clement Harris war Kunst- und Musikstudent und soll übrigens der letzte Klavierschüler von Clara Schumann gewesen sein; man darf vermuten. dass dieser Harris wesentlichen Anteil daran hatte, dass Siegfried sein Architekturstudium zugunsten der Musik aufgab.


    Am 28. Juli 1890 tritt Siegfried Wagner ins Berliner Polytechnikum - eine damals übliche Bezeichnung für Ingenieurschulen - ein, um sich dem Architekturstudium zu widmen, aber er besucht in Berlin auch Musikveranstaltungen, die von Hans von Bülow geleitet werden, dieser sorgte auch dafür, dass Student Siegfried in den Besitz von Ehrenkarten kam. Aber Siegfried bleibt auch in dieser Zeit aktiver Komponist und vertont unter anderem auch Gedichte von Uhland und Lenau.
    1891 setzt er sein Architekturstudium in Karlsruhe zwar fort, begibt sich dann jedoch im Januar 1893 mit Clement Harris auf eine bis zum Juli des Jahres währende Ostasien-Reise, wobei er zu Beginn dieser Tour auch Oscar Wilde kennenlernt. Diese Reise ist durch ein Tagebuch gut dokumentiert, dem auch Zeichnungen und Aquarelle beigefügt sind.
    In Frankfurt hatten sich die beiden nicht nur kennen, sondern auch lieben gelernt. Die jungen Herren waren nicht etwa mit einem Passagierdampfer unterwegs, sondern reisten auf einem Frachtschiff, wo sie als einzige Passagiere an Bord waren.


    Auf der Schiffsreise entsteht Siegfrieds Tondichtung »Sehnsucht« und Clement schreibt »Paradise Lost«. Eigentlich hätte es eine Weltreise werden sollen, zu der ihn Harris eingeladen hatte, aber nach einem halben Jahr wird Siegfried Wagner unruhig, weil er weiß, dass in den nächsten Wochen in Bayreuth die Proben zu den Festspielen beginnen.
    So verlässt er am 26. Juli 1892 in Port Said das Schiff, um auf schnellstem Wege wieder nach Bayreuth zu kommen. Man sollte hier noch anfügen, dass Siegfried Wagner sein auf dem Schiff entstandenes Werk, die symphonische Dichtung »Sehnsucht«, am 6. Juni 1895 in London zur Uraufführung brachte. Er wird schmerzlich erlebt haben, dass dort kurz zuvor Oscar Wilde zu zwei Jahren Zwangsarbeit verurteilt und ganz tief gefallen war, eine zu Beginn seiner Seereise noch hochangesehene Persönlichkeit.


    Als Siegfried von seiner Seereise nach Bayreuth zurückkehrt, wird er sogleich in die Festspielproben einbezogen. Wohl spricht Felix Weingartner - ein Aristokrat am Pult - von der »oft kindlichen Unbeholfenheit des jungen Mannes», aber schließlich dirigiert der Fünfundzwanzigjährige1894 erstmals eine »Lohengrin«-Probe im Festspielhaus, wobei der Linkshänder mühsam lernt mit der rechten Hand zu dirigieren. Als Dirigent hatte er hier natürlich die besten Namen als Konkurrenz: Hans Richter, Hermann Levi, Felix Mottl, Karl Muck ... Seine als Festspielleiterin tätige Mutter - die »Hohe Frau« - lässt ihren Sohn 1896 erstmals den »Ring« dirigieren, der mit einem großen Schmiss im »Rheingold« beginnt.
    Heutzutage werden die Dirigierkünste Siegfried Wagners unterschiedlich beurteilt, aber dies trifft ja auf alle Künstler zu, immerhin ist noch einiges auf Tonträgern zu hören.


    Siegfried entwickelt sich unter der hohepriesterlichen Strenge seiner Mutter allmählich zum Alleskönner, der auch in Fragen der Regie, Bühnenbild. Beleuchtung und Architektur ein gewichtiges Wort mitredet. Einerseits vergöttert Cosima ihren Sohn schon von Geburt an, andererseits wachte sie über jedes Kulissenteil, auf dem noch »das Auge des Meisters« ruhte, Veränderungen waren ihr suspekt.


    Nun begann Richard Wagners Sohn mit der Komposition von Opern, wobei er seinen Vater quantitativ überflügelte. Sein erstes Werk, »Der Bärenhäuter«, wurde am 22. Januar 1899 in München aufgeführt. Das war kein Erfolg für einen Tag, Siegfrieds Erstling wurde in der Spielzeit 1899/1900 mit177 Aufführungen zur meistgespielten Oper. Genau wie sein Vater Richard, schrieb auch er das Libretto selbst. Es sei auch noch erwähnt, dass Gustav Mahler das Werk bei der Aufführung in Wien dirigierte.
    Als Schüler Humperdincks hatte er zwei Märchen der Brüder Grimm zusammengefasst und daraus einen eigenen Text verfasst. Wie Meister Humperdinck, hatte auch der Kompositionsschüler Siegfried Wagner eine Märchenoper zur Welt gebracht und wurde sogleich als Märchenoper-Komponist abgestempelt.
    Nicht nur musikalisch unterschied sich der Sohn vom alten Wagner, schon die Operntitel kamen mitunter etwas komisch daher, wie zum Beispiel: »An allem ist Hütchen schuld!«. Er schrieb insgesamt 17 Opernwerke von denen drei nicht vollendet sind.
    Wenn man sich mit dem Opernschaffen Siegfried Wagners befasst, gewinnt man den Eindruck, dass das offizielle Bayreuth über diese Entwicklung nicht ganz glücklich war und nach Siegfried Wagners Tod scheint seine Gattin Winifred und Sohn Wolfgang einiges dafür getan zu haben, dass diese Opern nicht mehr an die Öffentlichkeit kamen. Eine große Streiterin für ihren Vater war dagegen Tochter Friedelind.
    Zu Lebzeiten Siegfrieds konnte jedoch keine Rede davon sein, dass sich die Opernhäuser etwa um die Aufführung der Opern des jungen Wagner gerissen hätten, es blieb bei dem einen großen Erfolg in der Spielzeit 1899/1900.
    Siegfried Wagner hatte sich - zur Abgrenzung von seinem Vater - vorgestellt »Volksopern« zu schreiben; eine solche gelang ihm auch mit »Der Bärenhäuter«, Allerdings täuschen die Titel seiner anderen Opern oft infantile Harmlosigkeit vor, aber der Schein trügt, denn dahinter verbergen sich häufig verstörende Themen und komplexe Geschichten. Er sah seine Erfolglosigkeit als Opernkomponist ja selbst und gelangte zu der Überzeugung nur noch für »das Schubfach« zu komponieren.


    Cosima war 1906 krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage die Festspiele zu leiten und 1907 gab es keine Festspiele; ab 1908 ist nun Siegfried alleinverantwortlich für Organisation, technische Weiterentwicklung, Finanzierung und steht auch selbst am Pult. Als Festspielchef machte er nach der Meinung der meisten Beobachter eine sehr gute Figur. Behutsam tastet er sich an Erneuerungen heran, weil seine der alten Tradition anhängende Mutter sich ja nicht gänzlich aus allem heraushält, sondern da schon noch ein Auge drauf hat.


    Im Jahr 1914 wurden die Festspiele am 22, Juli mit dem »Fliegenden Holländer« eröffnet. In dieser Aufführung stammte nicht nur die Inszenierung und das Bühnenbild von Siegfried Wagner, sondern er dirigierte das Werk auch. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 bedeutete, dass die Festspiele bereits nach acht von 20 geplanten Aufführungen abgebrochen werden mussten.


    In dieser Zeit entwickelte sich auch im Privatleben Siegfried Wagners Bedeutendes. Das Privatleben prominenter Leute bleibt ja in den meisten Fällen nicht wirklich privat. Da waren nicht nur die »Flitterwochen« mit Clement Harris auf der Schiffsreise; Siegfried reist auch häufig nach Berlin, das sich zu einem Paradies für Homosexuelle entwickelt hatte und lebte seine Neigung zu sorglos aus. Schließlich wurde solches Tun im Deutschen Reich als Straftat verfolgt, und nicht nur da, wie er 1895 in England am Beispiel von Oscar Wilde mitbekommen hatte.


    Da gab es nun in Berlin einen erfolgreichen Journalisten, der sich Maximilian Harden nannte und seine Zeitschrift »Die Zukunft« in immer höher werdenden Auflagen herausbrachte und sich den Beinamen »Homosexuellen-Jäger« erworben hatte. Tucholsky beschrieb das Arbeitsfeld Hardens so: »Zu Harden floss der breite Strom der Information, die Abwässer des Klatsches, die Springbäche der witzigen Verleumdungen ... er wusste alles. Und er verwertete es auf eine geradezu meisterhafte Weise«.
    Und Tucholsky meine weiter: »Wenn Schriftsteller Analogien im Tierreich haben - dieser war eine Schlange. Schön, gefährlich, giftig, böse ...«


    Es ist anzunehmen, dass dieser Journalist auch dem Hause Wahnfried ein Begriff war, denn als während der Vorbereitungen der Festspiele 1914 ein Zeitungsartikel erschien, der zunächst Cosima Wagners Selbstdarstellung aufs Korn nahm, und sich dann deren Sohn vornahm, bemerkte man, dass hier höchste Gefahr im Verzuge war. »Siegfriedchen«, wie Harden den Festspielleiter nannte, sei ein »Heiland aus andersfarbiger Kiste«. Von Homosexualität schrieb Harden nichts. Aber auch die »Deutsche Montags-Zeitung hatte sich des Themas angenommen und bemerkte: »Herr Siegfried Wagner ist bekanntlich aus irgendwelchen Gründen unbeweibt«. Und weiter heißt es da: »Siegfried aber schreitet weiterhin tänzelnd und parfümiert, mit etwas zu hohem Kragen, auf etwas zu hohen Absätzen, über diese schöne Erde«.
    Das Thema hätte Fahrt aufnehmen können, aber die Wagners hatten Glück, weil - einen Tag nach Erscheinen dieses Artikels - in Sarajevo ein großes Unglück geschah, welches dazu führte, dass die weltgeschichtlichen Ereignisse urplötzlich im Vordergrund standen. Aber der Schuss vor den Bug saß; Houston Stewart Chamberlain begab sich für Siegfried auf Brautschau. Mit einer Dame aus Prag und einer Sopranistin aus Oslo klappte es nicht, aber Ende Juli 1914 tauchte eher zufällig eine 17-jährige Engländerin in Bayreuth auf, die an der Seite ihres Pflegevaters Karl Klindworth die Festspiele besuchte. Winifred Williams Vater war gestorben als sie noch im Säuglingsalter war und wenige Monate später starb auch ihre Mutter. Das arme Kind wurde zunächst in der Verwandtschaft herumgereicht, dann erbarmte sich das kinderlose Ehepaar Klindworth und nahm die Kleine auf. Im April 1907 begann für Winifred Williams in Berlin ein anderes Leben.
    Ihre neuen »Eltern« waren schon betagt; Karl Klindworth - ein Freund Richard Wagners - war bereits 77 Jahre alt und seine Frau hatte die 70 gerade überschritten. Die alten Herrschaften hatten es nun mit einem knapp zehnjährigen Waisenkind zu tun. Wohlhabend waren die Klindworths nicht, der alte Herr - ein Liszt-Schüler - musste noch im hohen Alter Klavierstunden geben. Winifred erhielt eine solide schulische Ausbildung, die damals Haushaltsführung und Säuglingspflege einschloss.


    Anlässlich einer Pauseneinladung stand nun die junge Dame vor Siegfried; war hin und weg, es muss Liebe auf den ersten Blick gewesen sein, obwohl der Altersunterschied beträchtlich war, er betrug 28 Jahre. Siegfrieds Schwester Eva schob ihn auch noch an als sie ihrem Bruder schrieb: »Finde also Dein Katerlieschen und bringe junges Leben in unser teures Wahnfried! S´ist Zeit!«.
    Am 22. September 1915 gaben sich der 46-jährige Bräutigam und die 18-jährige Braut das Ja-Wort. Es war eine Kriegstrauung, die in der Halle von Wahnfried im kleinen Kreis stattfand - Frau Cosima, die »Hohe Frau« saß mit erhobenen gefalteten Händen in ihrem Sessel.


    Für die junge Frau Wagner war der Einzug in Wahnfried nicht so einfach, weil hier die ungeschriebenen Gesetze der »Hohen Frau« galten. So war zum Beispiel das Entsetzen groß, als sich Cosimas Schwiegertochter ausgerechnet in den Sessel des »Meisters« setzte, was streng verboten war ... - um hier bestehen zu können, musste man auch wissen, dass in diesem »Hohen Hause« der Name Giuseppe Verdi nicht ausgesprochen werden durfte.
    Als Grundregel galt vor allem, dass sich alles nach den Bedürfnissen von Cosima und Siegfried zu richten hatte. Der Herr des Hauses stand morgens um sechs auf und begab sich in sein einstiges »Junggesellenhaus«, einem Nebengebäude der Villa. Dort arbeitete er an seinen Kompositionen und kam erst zum Frühstück zurück.
    Winifred funktionierte als perfekte Sekretärin ihres Gatten und hielt ihm eine Menge Unangenehmes vom Leib, erledigte Post, studierte Fahrpläne und organisierte die vielen Reisen, auf denen sie ihn auch oft begleitete.


    Am 5. Januar 1917 stellte sich im Städtischen Krankenhaus zu Bayreuth der Stammhalter ein - Wieland Adolf Gottfried, hieß der Knabe. Im März 1918 folgte Tochter Friedelind, im August 1919 Wolfgang und im Dezember 1920 Verena.
    Die Kinderschar hatte dann wenig Ehrfurcht vor den vielen Devotionalien im Haus und brach reihenweise früher geltende Tabus.
    An Mutterliebe mangelte es Winifred Wagner sicherlich nicht, aber sie war so pragmatisch, dass sie, als ihre Kinder im jugendlichen Alter waren, sich primär ihrem Gatten widmete. So wurde für den Nachwuchs ein Kindermädchen engagiert, damit die Eltern unbeschwert auf Reisen gehen konnten. Die Kinder wuchsen ziemlich frei heran und hatten zu Hause nur mit ihren strengen Tanten ihre liebe Not; rächten sich aber für deren Maßregelungen, indem sie auf dem Grammophon das Vorspiel zu »Orpheus in der Unterwelt« oder den »Badenweiler Marsch« abspielten, was für die Tanten der Gipfel der Ungezogenheit war.


    Die Bayreuther Festspiele konnten kriegsbedingt erst wieder 1924 über die Bühne gehen, wobei Siegfried bereits mit Stilisierungen und Lichtführungen arbeitet, die sein Sohn Wieland nach dem Zweiten Weltkrieg ausbaut und zu seinem Markenzeichen macht.
    Der dänische Tenor Lauritz Melchior erlaubt uns einen Blick in die damalige Probensituation zu tun:

    »Da war ein kleiner Saal mit einer Galerie. Und oben saß eine weißgekleidete Dame wie ein Gespenst. Blass war sie; bleich und mit Schleier ... wenn wir unten arbeiteten, Siegfried und ich, hörten wir es husten und rascheln. Sofort ging Siegfried zur Galerie hinauf. Kehrte er zurück, so sagte er: ›Mama will ...‹ Und das alles waren keine schlechten Anweisungen«.


    Siegfried Wagner gab sich einige Mühe, als Festspielleiter politisch neutral zu erscheinen, was man allerdings von seiner Gattin nicht sagen konnte. Aus wirtschaftlichen Erwägungen konnte er es sich nicht leisten für ihn wichtige Teile des Publikums zu vergraulen. Als er im Januar1924 mit Winifred eine Werbetour für die Festspiele durch einige Städte der USA unternahm: Detroit, Baltimore, Chicago, New York ... traten die beiden dort allerdings von einem Fettnäpfchen ins andere, indem sie gerade in New York, wo viele potenzielle Spender jüdischer Herkunft waren, antisemitische Sprüche von sich gaben und der Korrespondent einer Berliner Zeitung wusste zu berichten, dass jüdische Künstler wie Bruno Walter wüst beschimpft wurden.


    Eine besondere Situation entstand, als 1924 nach fast zehnjähriger Festspielpause Siegfried Wagners Inszenierung der »Meistersinger« aus dem Jahre 1911 wieder aufgenommen wurde, wobei sich das Publikum erhob und das Deutschlandlied sang. Der Festspielleiter war irritiert und ließ im folgenden Jahr plakatieren: »Das Publikum wird herzlich gebeten, nach Schluss der Meistersinger nicht zu singen. Hier gilt´s der Kunst!«


    Arturo Toscanini hatte schon 1899 eine Ansichtskarte von Richard Wagners Grab in Bayreuth nach Hause geschickt und geschrieben: »Das ist das Grab des größten Komponisten des Jahrhunderts«. Dass ein Italiener einmal in Bayreuth dirigieren könnte, war damals nicht vorstellbar. 1924 konnte sich das zwar der Dirigent Fritz Busch vorstellen, der einen entsprechenden Vorschlag machte, aber Siegfried Wagner meinte damals, dass ein Ausländer nicht nach Bayreuth passt, und mit dieser Meinung stand er nicht alleine.

    Aber 1929 reiste Siegfried Wagner nach Mailand, um Toscanini die Neuproduktion des »Tannhäuser« und die Leitung von »Tristan und Isolde« anzubieten. Der 67-jährige Toscanini sagte zu, wobei er zugleich auf jedes Honorar und die Spesen verzichtete, für ihn ging ein Dirigententraum in Erfüllung; für die Orchestermusiker war es ein Trauma, denn Toscanini nahm es genau, sehr genau!
    Schlussendlich kam im Juli 1930 ein von Toscanini dirigierter »Tannhäuser« in Verbindung mit der Regie Siegfried Wagners auf die Bühne, der beeindruckend war und entsprechend bejubelt wurde


    Aber 1930 war für das Haus Wahnfried auch ein Trauerjahr; am 1. April verstarb Cosima Wagner im Alter von 92 Jahren. Siegfried und Winifred wollten von diesem epochalen Ereignis Abstand gewinnen und begaben sich mit dem Auto auf eine Italienreise; der Tod seiner Mutter hatte Siegfried stark mitgenommen.
    Am 16. Juli brach Siegfried Wagner nachmittags während einer Probe der »Götterdämmerung« auf offener Bühne zusammen. Seit Tagen hatte er über Atemnot geklagt und nun einen Herzinfarkt erlitten; erst gegen 23:00 Uhr konnte der Patient ins Bayreuther Krankenhaus gebracht werden. Sechs Tage nach diesem Ereignis, am 22. Juli, eröffnete Toscanini mit geradezu sensationellem Erfolg die Bayreuther Festspiele 1930.
    In der Nacht zum 29. Juli kam es erneut zu einem schweren Herzinfarkt; dem Kranken ging es immer schlechter; am Nachmittag des 4. August starb Richard Wagners einziger Sohn, nur 126 Tage nach seiner Mutter. Die Beerdigung fand am 8. August statt und war einem Staatsbegräbnis vergleichbar; Tausende standen am Straßenrand als der Ehrenbürger der Stadt zu Grabe getragen wurde.


    Praktische Hinweise:
    Stadtfriedhof Bayreuth, Gräberfeld A 1b. Wenn man den Eingang an der Carl-Burger-Straße benutzt, findet man das Grab recht schnell; auf dem Friedhofsplan ist das Grab mit der Nr. 15 bezeichnet. Eine Beschilderung weist auf die Gräber der Familie Wagner hin.


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  • Lieber hart, sei ganz herzlich bedankt für diese gerechte Würdigung von Siegfried Wagner, der als Komponist noch immer ziemlich unbekannt ist. Solche Texte lese ich immer wieder sehr gern. Bin in ich in Bayreuth gewesen, versäumte ich nie, das Gab zu besuchen. Ich bin gespannt, wie er in der neu konzipierten Wahnfried-Gedenkstätte, die ich noch nicht aus eigener Anschauung kenne, bedacht ist. Für mich stellt das oben abgebildete CD-Album die beste Würdigung des Festspielleiters Siegfried Wagner dar. Es ist auch sein Vermächtnis. Immerhin wurde ja 1930 in Bayreuth die so genannte Pariser Fassung, die eigentlich eine Wiener Fassung ist, geboten. Das ist für sich genommen schon einmal eine kühne Tat. Die Aufnahme großer Szenen in für damalige Verhältnisse sehr gutem Klang, gibt uns davon eine rasante akustische Vorstellung. An neuartigen szenischen Lösungen soll es ja auch nicht gemangelt haben. Für Toscanini, der rechtlich anderweitig gebunden war, steht Karl Elmendorff bei der Plattenproduktion am Pult. Was wir hören, ist aber nach meiner tiefsten Überzeugung Toscanini. Wenn der nicht gar doch selbst dirigiert hat. Zumindest dürfte er aber hinter Elmendorff oder neben Elmendorff gestanden haben. Es ist für mich schier unvorstellbar, dass das Orchester, mit dem Toscanini die nicht sehr verbreitete Fassung intensiv geprobt hatte, für die Aufnahmesitzungen plötzlich auf Elmendorff hätte umschalten können.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Was wir hören, ist aber nach meiner tiefsten Überzeugung Toscanini.

    Lieber Rheingold,

    Christian Thielemann schreibt zu dieser Aufnahme:

    »Erhalten hat sich ein Mitschnitt vom August 1930 (Naxos), allerdings mit Karl Elmendorff am Pult, dem Ring-Dirigenten der Saison, der hier offenbar einsprang. Toscaninis fanatische Genauigkeit im Umgang mit dem Notentext mag im Orchester spürbar sein, trotzdem ist Elmendorff aus anderem Holz geschnitzt.«


    Um sich von Toscaninis fanatischer Genauigkeit mit dem Notentext ein Bild machen zu können, gibt Thielemann den Tipp, sich bei YouTube eine Aufnahme von 1948 anzuhören, wo Toscanini seine NBC-Symphoniker dirigiert und bei der Ouvertüre äußerstes Piano fordert.


    Klar, dass die Aufnahme wie Toscanini klingt; lass uns mal ins Tagebuch von Gertrud Strobel schauen ... Es war die Frau des Musikwissenschaftlers Dr. Otto Strobel, sie war als Altistin im Festspielchor engagiert:


    »Er probiert mit dem Orchester Tag für Tag und kommt nicht von der Stelle, da er jeden Takt abklopft. Die Musiker sind bereits übernervös. Graf [Gilbert] Gravina, der den Dolmetscher spielen muss, hat gesagt, dass der Maestro Ausdrücke gegen das Orchester gebrauche, die er unmöglich wiedergeben könne. Es hat bereits eine Sitzung des Vorstandes mit Siegfried Wagner stattgefunden«.


    Auch sonst war da allerhand los ...

    In dem hier gezeigten Buch schildert Christian Thielemann die aufregende »Tannhäuser«-Inszenierung von 1930 und berichtet, dass neben dem Bacchanal auch mehrere Pferde und 32 Hunde auf der Bühne für Aufregung sorgten; eine andere Quelle präzisiert und zeigt im Foto, dass die Hundemeute des Landgrafen aus reinrassigen englischen Fuchshunden bestand.


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  • Lieber Hart, mein lieber Karl-Georg,


    Gratulation zu dem hervorragenden, mit soviel neuen Details gespickten Bericht über Siegfried Wagner. Es erstaunt mich immer wieder mit welcher Akribie und Genauigkeit Du Deine Berichte schreibst. Das geht meist weit über das hinaus, was aus allgemein zugänglicher Literatur zu recherchieren ist. Hast Du geheime Quellen? Da es das kaum gibt steckt hinter Deiner Arbeit enormer Fleiß und Kleinarbeit. Genau dafür danke ich Dir herzlich, denn dadurch bereichern mich Deine Arbeiten hier im Forum mit am meisten. Mach' bitte weiter so!


    Herzlichst

    Operus (Hans)

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Lieber Rheingold,

    Christian Thielemann schreibt zu dieser Aufnahme:

    »Erhalten hat sich ein Mitschnitt vom August 1930 (Naxos), allerdings mit Karl Elmendorff am Pult, dem Ring-Dirigenten der Saison, der hier offenbar einsprang. Toscaninis fanatische Genauigkeit im Umgang mit dem Notentext mag im Orchester spürbar sein, trotzdem ist Elmendorff aus anderem Holz geschnitzt.«

    Lieber hart, ich habe mir dieses Buch von Thielemann, das ich bisher nur dem Titel nach kannte, kommen lassen. Heute traf es ein, und ich suchte mir sofort diese Stelle heraus. Schade, dass nicht näher auf die Frage einegangen wird, ob ein Dirigent in der Lage ist, binnen kürzester Zeit aus einem Orchester die Interpretation eines anderen maßgeblich wieder herauzszunehmen und durch ein eigenes Konzept zu ersetzen. Der Hinweis von Thielemann, dass Elmendorff aus anderem Holz geschnitzt sei, bleibt vage und für mich auch unverständlich.


    ... lass uns mal ins Tagebuch von Gertrud Strobel schauen ... Es war die Frau des Musikwissenschaftlers Dr. Otto Strobel, sie war als Altistin im Festspielchor engagiert:

    Eine Frage noch: Wo findet sich denn das Tagebuch von Gertrud Strobel? Ihr Mann Otto Strobel war ja bis zu seinem Tod 1953 Leiter des Archivs in Bayreuth. Seine Witwe übernahme das Amt nahtlos. Ich könnte mir vorstellen, dass sie Toscanini nicht sonderlich gewogen gewesen ist.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Entschuldigung - für einege Tage war ich nicht im Forum, weshalb meine Antwort nicht unmittelbar erfolgt.



    Wo findet sich denn das Tagebuch von Gertrud Strobel?

    Lieber Rheingold,
    es ist also nicht so, dass ich Frau Strobels Tagebücher auf meinem Schreibtisch liegen habe; die Sache wird in dem Buch »Cosimas Kinder« von Oliver Hilmes publiziert, das ich als E-Buch verwende. Nun weiß ich allerdings nicht genau, ob meine Seitenangaben mit der Druckversion identisch sind.


    Auf Seite 242 heißt es da:
    »Besonders aufschlussreich sind die Tagebuchnotizen der 1898 geborenen Gertrud Strobel. Sie war die Ehefrau des Musikwissenschaftlers Dr. Otto Strobel, der 1932 zum Wahnfried-Archivar avancierte. Nach dem Tod ihres Mannes 1953 übernahm sie selbst für viele Jahre diese Aufgabe. Gertrud Strobels Tagebücher sind deshalb so interessant, weil die Schreiberin damals - im Sommer 1930 - noch gar nicht zum engeren Kreis der Wagners gehörten«.


    Hilmes führt dann weiter aus, dass Frau Strpobel im Festspielchor als Altistin wirkte und eine Vorliebe für Künstlerklatsch und Familientratsch hatte. Alle Informationen soll sie mit pedantischer Genauigkeit in ihrem Tagebuch notiert haben. Oliver Hilmes hebt den besonderen Wert dieser in Sütterlin beschriebenen Kladden hervor.

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