Der Musiker Gräber

  • Bedřich Smetana - * 2. März 1824 Litomyšl - † 12. Mai 1884 Prag

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    Zum heutigen Geburtstag von Bedřich Smetana


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    Eigentlich wurde der Knabe als Friedrich Smetana geboren; als sich jedoch im Erwachsenenalter sein tschechisches Nationalbewusstsein entwickelte, erlernte er die tschechische Sprache - sein erster tschechischer Brief stammt aus dem Jahre 1856, in seinen Tagebüchern verwendet er die deutsche Sprache sogar bis 1861 - und richtete auch seinen Vornamen tschechisch aus.
    Sein Geburtsort liegt im Ostböhmischen und ist etwa 170 Kilometer von Prag entfernt. Friedrichs Mutter war die dritte Ehefrau seines Vaters und hieß Barbora Smetanová, der Altersunterschied der Eheleute betrug vierzehn Jahre. Nachdem dem Vater von drei Ehefrauen zehn Töchter geboren worden waren, erschien 1824 der Stammhalter, da kann man wohl das Wort »endlich« hinzufügen.
    Der Kindesvater, František Smetana, ein Bierbrauer der Schlossbrauerei, war zu Ansehen und Vermögen gekommen und gehörte zu den Honoratioren des Städtchens.
    František Smetana spielte amateurhaft Geige und pflegte die Hausmusik, wobei ihm sein Söhnchen sehr interessiert folgte und sich auf seiner kleinen Geige schnell auskannte. Das Klavierspiel eignete sich der Junge dann mehr oder weniger autodidaktisch an.
    Als Sechsjähriger spielte er der staunenden Öffentlichkeit die Ouvertüre zu Aubers Oper »La Muette de Portici« vor.
    Obwohl der Vater ein musisch veranlagter und intellektuell interessierter Mensch war, ging er davon aus, dass der Filius in seine Fußstapfen treten oder eine Beamtenlaufbahn anstreben werde. Doch als Gymnasiast in verschiedenen Schulen - Neuhaus, Iglau, Deutschbrod, Prag - entwickelte der Sohn keinen Fleiß, der den Vorstellungen seines Vaters entsprach.
    Friedrich mochte im Alter von etwa sechzehn nicht mehr Gymnasiast sein und verließ die Schule, was zum Zerwürfnis mit dem Vater führte.
    Ein Verwandter, sein 23 Jahre älterer Cousin František Smetana, der am Gymnasium in Pilsen als Professor lehrte, nahm den jungen Mann unter seine Fittiche. Auf diese Weise konnte der junge Smetana in den Jahren 1840 bis 1843 seine Schullaufbahn ordentlich beenden. Pilsen bot dem musikbegeisterten Smetana einige Entfaltungsmöglichkeiten als Pianist, was durch Zeitungsartikel aus jener Zeit zu belegen ist. Er spielte bei geselligen Zusammenkünften, auf Hochzeiten und in Salons; sein frühes kompositorisches Schaffen, das bereits in seiner Gymnasialzeit begann, galt vor allem Klavierwerken, so auch das zum Ende seiner Schulzeit entstandene Klavierstück »Erinnerung an Pilsen«.


    Und an was erinnerte sich der Komponist? Da ist von aufregenden Romanzen die Rede, wie viele das waren hat niemand gezählt, aber sicher ist, dass er für seine Cousine Luise Smetana entbrannte, aber auch für Kateřina Kolářová, die wohl auch der Grund war, dass er in dieser Zeit so viel für Klavier komponierte; Kateřina wurde 1849 seine Ehefrau.
    Schon in diesen Jahren war für den jungen Mann - mit seinen lokalen Erfolgen im Rücken - klar, dass er sein Leben als Musiker verbringen wird; seinem Tagebuch vertraut er am 23. Januar 1843 selbstbewusst an: »Mit Gottes Hilfe und Gnade bin ich einst in der Mechanik ein Ltszt, in dem Componieren ein Mozart«.


    Nach Abschluss seiner Schulzeit, nach der er auf keine finanziell Unterstützung aus dem Elternhaus hoffen kann, geht er wieder nach Prag. Dort war dem jungen Mann der Direktor des Konservatoriums wohl gesonnen und vermittelte ihm im Hause des Grafen Leopold Thun eine Stelle als Musiklehrer. Aber er spielte nicht nur den Musiklehrer im Hause Thun, sondern begab sich selbst in die Position des Lernenden und nahm bei dem Prager Musikpädagogen Josef Proksch bis 1847 ernsthaften Kompositionsunterricht. Proksch vermittelte nicht nur drögen Unterricht, sondern weckte bei Smetana auch Begeisterung für Beethoven, Mendelssohn, Schumann und Berlioz. Diese Namen hatten damals ja längst nicht den Stellenwert, den sie heute einnehmen, das war neue Musik.
    Dass Smetana überhaupt zu Proksch kam, war seiner mütterlichen Freundin und späteren Schwiegermutter Anna Kolářová zu verdanken; Kateřina studierte nämlich auch bei Proksch und an dessen Institut hatte er mitunter zusammen mit Kateřina in öffentlichen Konzerten mitgewirkt. Nach Beendigung seiner Studien bei Proksch, wollte Smetana als freier Künstler arbeiten und kündigte seine Stelle beim Grafen Thun. Eine Konzerttournee, die er 1847 durch Westböhmen unternahm brachte jedoch nicht den erhofften Erfolg.
    Nun spielte er mit dem Gedanken ein eigenes Musikinstitut zu gründen, aber es fehlten ihm die finanziellen Mittel, dies in die Tat umzusetzen.
    Also schrieb er im März 1848 an Franz Liszt in Weimar und bat diesen um ein Darlehen von 400 Gulden. Den Geldbetrag hätte Smetanas Vater, der inzwischen seine Brauerei verkauft hatte, vermutlich auch zur Verfügung stellen können, aber diesen Weg mochte der junge Smetana nicht gehen. Der Post an Liszt hatte er sein Opus 1, den Klavierzyklus »Six Morceaux caractéristiques«, den er Liszt widmete, beigefügt und dem noch die Bitte angehängt, einen Verlagskontakt herzustellen. Aus Weimar floss zwar kein Geld, aber eine Portion Lob für Smetanas Komposition und eine Empfehlung an den Leipziger Verleger Friedrich Kistner.
    Es sei hier schon eingefügt, dass sich aus diesem Kontakt eine lebenslange Künstlerfreundschaft zwischen Liszt und Smetana entwickelte.


    1848 wurde es in Europa so unruhig, dass auch Musiker zu kämpfenden Revolutionären wurden; die Ereignisse 1848/49 zeigen ja auch Richard Wagner auf den Barrikaden. Smetana selbst stürzte sich in Prag nicht ins Kampfgetümmel, sondern zog sich in die Gegend von Melnik zurück, aber er komponierte für die freiwilligen Truppen revolutionäre Märsche.


    Obwohl von Liszt kein Geld gekommen war, verfolgte Smetana immer noch die Idee eine Musikschule zu eröffnen, wobei er das Prok´sche Vorbild vor Augen hatte. Im August 1848 setzte er seine Idee in die Tat um und eröffnete seine Musikschule trotz finanzieller Sorgen, wobei er auch noch als Veranstalter tätig war. Seine Klientel bestand auch aus Schülern adliger Kreise.
    Im August 1849 heiratete er Kateřina Kolářová und hatte damit künftig für eine Familie zu sorgen; in diesem Jahr entsteht die »Jubel-Ouvertüre D-Dur, Hochzeitsszenen Allegro capriccioso h-moll«. Im Januar 1851 wurde die erste Tochter geboren, der rasch noch weitere Geschwister folgten, aber die Familie wurde bald von großem Unglück heimgesucht; von den vier Töchtern des Paares starben drei zwischen 1854 und 1856.


    »1856 verließ Smetana aus politischen Gründen seine Heimat« - so ist das manchmal zu lesen, aber in der Darstellung wohl zu einfach, da spielten auch noch finanzielle, künstlerische und familiäre Gegebenheiten eine Rolle.
    Am 10. Juni 1856 war Tochter Kateřina gestorben, am 11. Oktober des Jahres reiste Smetana - auf eine Empfehlung des Pianisten Alexander Dreyschock - zunächst alleine nach Schweden, am 16. Oktober traf er in Göteborg ein, am 23. Oktober konzertiert er das erste Mal in der Stadt.
    Mit an sich unwesentlichen Unterbrechungen fungiert Smetana hier bis 1861 als Musikdirektor, leitet die Abonnementskonzerte und übt seine pianistische Profession aus.
    Über die Vorgänge in der Heimat war Smetana durch die Zeitung BOHEMIA informiert, die er sich nach Göteborg schicken ließ.


    Mit Fröjda Benecke, eine Schülerin von ihm, die allerdings verheiratet war, hatte er in der fremden Stadt eine Muse gefunden. Nach einem Jahr kommt auch Kateřina mit der einzig verbliebenen Tochter Sofie nach Göteborg. Aber Frau Kateřina war kränklich, litt an Lungentuberkulose und ihr Zustand verschlimmert sich, sie möchte zurück in die Heimat, noch einmal nach Prag. Ihr Wunsch ging nicht in Erfüllung; auf der Rückreise stirbt sie am 19. April 1859 im Alter von 32 Jahren in Dresden, und Smetana schreibt in sein Tagebuch:


    »Es ist vollbracht - Käthe, mein teures, innig geliebtes Weib ist heute früh gestorben. Sanft, ohne dass wir etwas wussten, bis mich die Stille aufmerksam machte. Lebe wohl Engel!«
    Am 22. April wurde Kateřina Smetanová auf dem Prager Friedhof Olšany beigesetzt.


    Erstaunlich schnell nach diesem traurigen Ereignis schreibt der Witwer flammende Liebesbriefe an eine Bettina, die auch Betty genannt wird; es ist Barbora Ferdinandiová, eine Schwägerin seines Bruders, sie wird als gebildete höhere Tochter beschrieben, die eine gute Sängerin ist und fast professionell malt. Bereits im Sommer des Jahres ist Verlobung, am 10. Juli 1860 wird geheiratet und 1861 wird Tochter Zdeňka geboren, 1963 folgt Tochter Božena.
    Mit seiner neuen Frau reist Smetana am 5. September 1860 wieder Richtung Göteborg, aber bald wieder wird er für immer in seine Heimat zurückkehren, das ist Mitte Mai 1861.


    Als einen wichtigen Wendepunkt im Schaffen Smetanas kann man ein Streitgespräch sehen, welches sich 1857 im Beisein Liszts - im Rahmen eines Hauskonzertes in Weimar - zwischen dem österreichischen Dirigenten Johann Ritter von Herbeck und Smetana entwickelte. Herbeck, kein Freund der Tschechen, meinte zu Smetana gewandt: »Was habt ihr bisher zustande gebracht?« Und er ereiferte sich weiter und legte dar, dass das Böhmerland lediglich Fiedler und fahrende Musikanten hervorbringt, die als gute Handwerker nur die technische Seite der Musikkunst beherrschen; zum Fortschritt der Musikkunst hätten sie bisher nicht das Geringste beigetragen. Und der jüngere Herbeck krittelte weiter, dass sie kein einziges Werk hätten, das vom tschechischen Geist beseelt wäre und seiner Originalität wegen als ein Beitrag und eine Bereicherung der europäischen Musikkultur angesehen werden könnte.


    Das setzte dem damals 33-jährigen Smetana mächtig zu, aber er hatte ja noch einige Jahre vor sich, um diesen Zustand zu ändern. Franz Liszt gelang es Herbeck und die Gesellschaft zu besänftigen; er schnappte sich ein Notenbündel und trug Musik von Smetana vor und meinte dann: »Hier haben sie den Komponisten mit dem echt tschechischen Herzen, den begnadeten Künstler«.
    Als Friedrich Smetana, war er ins Habsburgerreich hineingeboren worden, das seit Jahrhunderten Bestand hatte; der gebildete Teil der Bevölkerung sprach Deutsch, Friedrichs Eltern und ihr soziales Umfeld gehörten zu diesen »besseren Kreisen«, also war ihm das Tschechische von Kindesbeinen an weitgehend fremd.
    Nun regte sich bei ihm Vaterlandsliebe und nationaler Stolz, welcher durch politische Gegebenheiten noch beflügelt wurde.


    Als er am 19. Mai 1861 wieder nach Prag kommt, gibt er Konzerte und unterrichtet. Am 25. September wird sein Töchterchen Zdĕnka Marie geboren; Ende Oktober bis Mitte Dezember ist Smetana auf Konzertreise durch Holland und das Rheinland.
    Noch in Göteborg hatte er durch Zeitungslektüre und Korrespondenz mit der Heimat in Erfahrung gebracht, dass Graf Horrach für die beste originär tschechische Oper historischen Inhalts einen Preis ausgesetzt hatte. Das war ein wesentlicher Grund zurückzukehren, aber er hoffte auch einen Verleger für seine bisherigen Kompositionen zu finden, von denen bisher nur eine im Druck erschienen war. Er hatte nämlich drei Sinfonische Dichtungen, eine Sinfonie, eine Orchesterouvertüre, zwei Chorlieder, ein Streichtrio, eine Fantasie für Violine und Klavier sowie einige für Piano Solo geschrieben.
    Mit »Die Brandenburger in Böhmen« hatte Bedřich Smetana den ausgelobten Preis gewonnen; die Oper wurde 1862/63 geschrieben und Am 5. Januar 1866 mit großem Erfolg am im Prager Interimstheater erstmals aufgeführt; schon am 30. Mai des gleichen Jahres folgte die Uraufführung von Smetanas wohl bekanntestem Opernwerk »Die verkaufte Braut«.
    Es war ein fruchtbares Jahr, denn Bedřich Smetana wurde auch zum Kapellmeister des Interimstheaters ernannt.
    Die Grundsteinlegung fürs Nationaltheater erfolgte erst 1868 und zum Anlass dieses Ereignisses wurde »Dalibor«, das als reifstes der ernsten Bühnenwerke Smetanas gilt, im Neustädter Theater, das 4.000 Besucher fasst, aufgeführt.
    Der Bau des Nationaltheaters zog sich bis 1881 hin und wurde dann mit der Uraufführung von »Libuše« eröffnet.


    Wenn man diese Aneinanderreihung von Ereignissen so herunterliest, könnte man meinen, dass das ein paradiesisches Komponistendasein war, was jedoch nicht den Tatsachen entspricht. So wurde schon Smetanas dritte Oper »Dalibor« von der konservativen Kritik als unnational und wagnerisch bezeichnet, ein Vorwurf, der von seinen Gegnern fast gebetsmühlenartig wiederholt wurde.
    Etwa zwei Jahre vor seinem Tod, schrieb er in einem Brief vom 4. Dezember 1882:


    »Ich ahme keinen berühmten Komponisten nach, ich verneige mich nur in Bewunderung vor den Großen und nehme dankbar alles entgegen, was ich in der Kunst für gut und schön erachte, und vor allem für wahr [...] Andere begreifen es nicht und denken. dass ich den Wagnerismus einführe! Ich bin zur Genüge mit dem Smetanismus beschäftigt, und dieser Stil genügt mir, wenn er nur ehrlich ist.«


    Bedřich Smetana schrieb insgesamt acht vollendete Opern und »Die verkaufte Braut« ist die populärste, hatte aber auch einer »Aufhübschung« bedurft. Smetana schuf dieses Werk fast parallel zu »Die Brandenburger in Böhmen« und »Die verkaufte Braut« war zunächst als Einakter geplant und wurde im Interimstheater als »Singspiel« mit gesprochenen Dialogen aufgeführt. Bei der weiteren Umarbeitung wurden diese durch Rezitative ersetzt; die Tänze fehlten auch noch und der den zweiten Akt einleitende Chor auch. Der Erstaufführung war - unabhängig vom künstlerischen Wert - kein großer Erfolg beschieden, weil die Preußen in Richtung Prag unterwegs waren und die Leute andere Sorgen hatten, während der kurzen Besetzung Prags waren Preußische Offiziere in Smetanas Wohnung einquartiert, der Hausherr war stiften gegangen.
    »Die verkaufte Braut« in der endgültigen Fassung wurde dann im September 1870 erstmals im Interimstheater gespielt. Das Werk wurde zwar schon ein Jahr später in St. Petersburg gegeben, aber eine Aufführung in Deutschland fand zu Smetanas Lebzeiten nicht statt; erst zehn Jahre nach seinem Tod wurde »Die verkaufte Braut« unter Felix Weingartner an der Berliner Hofoper aufgeführt. »Die Brandenburger in Böhmen« - man glaubt es kaum - erlebten ihre deutsche Erstaufführung erst 1994.
    Obwohl es heute weltweit üblich geworden ist, Opern in der Originalsprache aufzuführen, macht Smetanas Meisterwerk in der Regel die Ausnahme und wird in den jeweiligen Landessprachen in Szene gesetzt.


    Ab 1873 beschäftigte sich Smetana mit seiner heiteren Oper »Die zwei Witwen«, deren Uraufführung im Interimstheater er am 27. März 1874 selbst dirigierte. Diese Aufführung gehörte zu den letzten großen Ereignissen in denen Bedřich Smetana im Zentrum des Jubels stand.
    Im Herbst des nächsten Jahres, wo er etwas verspätet aus dem Sommerurlaub kam, begann er mit Eifer an seiner nächsten Oper »Der Kuss« zu schreiben und die Arbeit ging ihm flüssig von der Hand und zu diesem Zeitpunkt bahnte sich eine verstärkte Zusammenarbeit mit seiner literarischen Mitarbeiterin Eliška Krásnohorská an. Die Uraufführung der Oper »Das Geheimnis« folgte 1878. Die Arbeit an der nachfolgenden Oper »Die Teufelswand«, deren Entstehung sich von Januar 1880 bis April 1882 hinzog, war von schweren gesundheitlichen Einschränkungen begleitet. Seine Librettistin hatte noch einen Shakespeare-Stoff in Angriff genommen, aber dieses Projekt blieb ein Fragment, das nach dem 365. Takt endet.


    Nachdem sich bei Smetana schon im Sommer 1874 Schwierigkeiten mit dem Gehör zeigten, konsultierte er zunächst den Prager Arzt Dr. Zoufal und reiste dann im April und Mai 1875 zu Ohrspezialisten nach Würzburg und Wien, die Ruhe anrieten, aber keine Besserung herbeiführen konnten. Als Smetana am »Kuss« begann, hatte er noch die Hoffnung, dass er sich seine Schaffenskraft erhalten könnte, bei der Arbeit an der »Teufelswand« wurde ihm im Wortsinn schmerzlich bewusst, dass sich sein Zustand, den er in Briefen beschrieb, zusehends verschlechterte, was er zum Beispiel so zum Ausdruck brachte:


    »Sausen und Brausen im Kopf, als ob ich unter einem großen Wasserfall stünde, blieb bis gestern und bleibt Tag und Nacht ohne Pause, stärker, wenn das Gemüt bewegt ist, schwächer bei ruhiger Stimmung. Beim Komponieren wird das Brausen stärker.«


    Im Oktober musste er sich eingestehen »Ich bin vollständig taub, höre überhaupt nichts«. Damit tauchte dann die Frage auf, wovon er nun leben solle, denn er konnte nicht mehr dirigieren, seine Arbeit am Theater ist unter diesen Umständen nicht mehr möglich; er muss all seine Ämter aufgeben und unterrichten kann er auch nicht mehr.
    Man bewilligt ihm zwar eine Rente von monatlich 100 Gulden, aber gelegentlich bleibt diese Zahlung auch aus und er muss diesen schlichten Betrag dann anmahnen. Im Zusammenhang mit dieser Zahlung wird er auch noch von einer Zeitung aufs Übelste als Nassauer beschimpft.


    Es war der 3. Juni 1876, als Smetana zu seiner Tochter Žofie, die im Februar 1874 einen Förster geheiratet hatte, nach Jabkenice - nordöstlich von Prag gelegen - übersiedelte, wo der Meister mit seiner Gattin und den zwei jüngsten Töchtern im Forsthaus eine Bleibe fand und Smetana in aller Ruhe noch bedeutende Werke schaffen konnte, soweit es seine sich weiter entwickelnde Krankheit zuließ. Dort draußen in der landschaftlichen Idylle entstanden unter anderem immerhin drei Opern und sein großartiger Orchesterzyklus »Mein Vaterland«, wobei er bei den Kompositionen von »Vysehrad« und »Die Moldau« noch keineswegs an einen größeren Zyklus dachte, das ergab sich erst später.


    Den Zyklus »Mein Vaterland« komponierte Smetana zwischen 1874 und 1879 und die Uraufführung fand am 5. November 1882 in Prag statt.
    Vltava, wie die Moldau in der Landessprache heißt, mit einer Spieldauer von etwa zwölf Minuten, ist wohl das bekannteste Stück aus diesen sechs sinfonischen Dichtungen, welche in etwa 75 Minuten gespielt werden. Vltava wurde bereits am 4. April 1875 in Prag uraufgeführt, wie schon erwähnt, war das ursprünglich nicht als Zyklus angelegt.


    Smetana selbst beschreibt Vltava so:


    »Die Komposition schildert den Lauf der Moldau, angefangen bei den beiden kleinen Quellen, der kalten und der warmen Moldau, über die Vereinigung der beiden Bächlein zu einem Fluss, den Lauf der Moldau durch Wälder und Fluren, durch Landschaften, wo gerade ne Bauernhochzeit gefeiert wird, beim nächtlichen Mondschein tanzen die Nymphen ihren Reigen. Auf den nahen Felsen ragen stolze Burgen, Schlösser und Ruinen empor. Die Moldau wirbelt in den Johannisstromschnellen; im breiten Zug fließt sie weiter gegen Prag, am Vyšehrad vorbei, und in majestätischem Lauf entschwindet sie in der Ferne schließlich in der Elbe.«


    Als der Zyklus 1882 erstmals aufgeführt wurde, stand Smetana fast am Ende seines Lebens und beanspruchte für sich, dass er der Pionier der eigenständigen tschechischen Musik, der Schöpfer des tschechischen Stils im dramatischen wie im symphonischen Bereich der Musik ist. Diese Klarstellung schien ihm wichtig, weil er natürlich bemerkte, dass ein um 17 Jahre jüngerer sich in diese Position zu bringen versuchte; die Rede ist von Antonin Dvořák.
    Als Smetana seine ersten Opern dirigierte, saß Dvořák als Bratscher im Orchestergraben, wobei der Orchesterchef seinem Bratscher noch bei dessen ersten Kompositionsversuchen wohlwollend zur Seite stand.
    Als Smetana dann 1874 sein Gehör verlor, witterte der junge und sehr produktive Dvořák seine Chance an die Stelle Smetanas zu treten, wobei er in Theaterdirektor Jan Maýer, der Smetana nicht gewogen war, einen Förderer fand. Natürlich registrierte Smetana auch, dass Dvořák in seinen jungen Jahren zu mehr internationalem Ruhm gelangte als es ihm einst möglich war. Musikinteressierte Kreise konstruierten damals eine Konkurrenzsituation zwischen dem Liszt-Protegé Smetana und dem Brahms-Schützling Dvořák.


    Der November 1883 lenkte nochmals die Aufmerksamkeit auf Smetana; am 18. November wurde das wiederaufgebaute Nationaltheater mit »Libussa« eröffnet und fünf Tage danach kam in diesem Haus erstmals »Die verkaufte Braut« zur Aufführung, die schon ein Jahr zuvor an einem anderen Ort ihre 100. Aufführung hatte.


    Smetanas Ende war schrecklich; hatte er viele Jahre selbst mit seiner Krankheit gekämpft, wurde es 1884 dann so schlimm, dass er seine Familie tyrannisierte - seine Sprache war verwirrt, er zerschlug Fensterscheiben und Mobiliar; als er seine Familienangehörige mit einem Revolver bedrohte, musste er aus dem Forsthaus gebracht werden. An einem düsteren, regnerischen Tag, es war der 23. April 1884, brachte man den Kranken in die Landesirrenanstalt nach Prag. Ein Forstgehilfe berichtete: »Alles weinte«. Am 12. Mai 1884 ist Bedřich Smetana in Prag gestorben.
    Die Beisetzungsfeierlichkeiten am 15. Mai glichen einem Staatsakt; hunderte Trauergäste begleiteten den Sarg, der vierspännig durch weite Teile der Stadt gefahren wurde, auch am Nationaltheater vorbei, wo auf dem Balkon ein Teil des Opernchors Passagen aus Smetanas Opern sang, die übrigen Sänger stimmten auf dem Friedhof einen Choral von Zvonař sowie die Nationalhymne an. Die Feierlichkeiten wurden mit einer Sondervorstellung der Oper »Die verkaufte Braut« im Nationaltheater abgeschlossen.


    Praktischer Hinweis:
    Die letzte Ruhestätte von Bedřich Smetana befindet sich auf dem Vyšehrader Friedhof in Prag, der oberhalb der Stadt liegt. Der Friedhof befindet sich in unmittelbarer Nachbarschaft der Kirche Peter und Paul. Dortselbst geht man vom Hauptweg aus zum nicht zu übersehenden Monument Slavin; das ist eine Gemeinschaftsgruft berühmter tschechischer Persönlichkeiten. Direkt rechts der Stufen dieses Denkmals befindet sich Smetanas Grab.


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    Rechts des Denkmals befindet sich Smetanas Grab, der helle Obelisk ist im Bild zu sehen


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    Vom Friedhofseingang aus wendet man sich nach rechts

  • Theodor Reichmann - *18. März 1849 Rostock - † 22. Mai 1903 Marbach (Bodensee)


    Zum Grabbesuch bei Theodor Reichmann und auch dem folgenden bei Franz Betz, passen zwei Strophen eines Liedes, das Carl Maria von Weber vertont hat:


    Meine Lieder, meine Sänge
    Sind dem Augenblick geweiht,
    Ihre Töne, ihre Klänge
    Schwinden mit der flüchtgen Zeit.


    Große Sänger sind geschieden,
    Die kein Mund jetzt mehr erwähnt,
    O wie töricht, wenn hienieden
    Ich den Nachruhm mir ersehnt.


    Text: W. von Löwenstein-Wertheim


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    Zum heutigen Geburtstag von Theodor Reichmann


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    Die 18 ist hier auch in Stein gemeißelt, aber von der Efeuranke verdeckt


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    Wo einst ein Porträt des Sängers war ist heute nur noch eine Vertiefung zu sehen, das Medaillon ging verloren ...


    Ein nachschaffender Künstler, dessen Geburtstag schon 172 Jahre zurückliegt, hat es schwer in Erinnerung zu bleiben. Es gibt keine Tonaufnahmen seiner Stimme und keine Biografie; über seine Kindheit und Jugend ist nichts bekannt, man muss sich ein Bild zusammenklauben, welches sich aus Verlautbarungen seiner Zeitgenossen und dem Radius seiner Wirkungsstätten zusammensetzt. Weiterhin muss man sich selbst am Grab davon überzeugen, dass das in diversen Lexika genannte Geburtsdatum 15. März mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht stimmt, denn der Bildhauer hat 18. III. in den Stein gehauen und die Textgestalter des Informationsschildes nennen ebenfalls den 18. 3. als Geburtsdatum.


    Auf Wunsch seiner Eltern - der Vater war Advokat - begann Sohn Theodor in Berlin eine kaufmännische Lehre. Er soll zunächst auch als Kontorist gearbeitet haben, sich dann jedoch um eine Ausbildung zum Sänger bemüht haben, wobei er seine Übungen bei Johann Elßler in Berlin begann, bei Johannes Rees in Prag weiterführte und bei Francesco Lamperti in Mailand vollendete. Seine Stationen als Sänger sind außerordentlich beeindruckend, er muss ein außergewöhnlicher Sänger gewesen sein, sonst hätten sich ihm die die großen Häuser in Europa und der Neuen Welt nicht geöffnet. Leider kann man sich kein eigenes Urteil über Reichmanns Gesangsleistungen bilden, sondern ist auf Aussagen seiner Zeitgenossen angewiesen, die mitunter auch Kritisches anmerkten, andererseits konnte er auch so prominente Zuhörer wie Richard Wagner nebst Gattin zufriedenstellen, denn bei den Bayreuther Festspielen 1882 sang er am 26. Juli in der Uraufführung des »Parsifal« den Amfortas. Ihren Eindruck während der Proben hatte Frau Cosima ihrem Tagebuch anvertraut: »Herr Reichmann [als] Amfortas ergreifend ...«.


    Aber zurück zum Debüt des Sängers. Seinen ersten Auftritt hatte Theodor Reichmann 1869 am Stadttheater Magdeburg als Ottokar in Webers »Freischütz«. Dem folgten Engagements in Berlin, Rotterdam, Köln und Straßburg. Von 1873 bis 1875 wirkte er in Hamburg, wo er seinen Einstand als Telramund in »Lohengrin« gab. Von 1875 bis 1883 war er Mitglied des Ensembles der Hofoper München und sang unter Hermann Levi, der auch der Dirigent der »Parsifal«-Uraufführung war.
    Damals war der allgewaltige Ernst von Possart Intendant der königlichen Hoftheater, der sich die Freiheit nahm den berühmten und beliebten Reichmann zu kritisieren, was er aus der hohen Warte des brillanten Schauspielers tat, der er war. Possart bewunderte das »herrliche Material« des Sängers, aber sprach von einem Defizit in Bezug auf künstlerische Auffassung und korrekte Wiedergabe.
    Ähnlich sah das Siegfried Wagner, der schon als junger Mann ein besonderes Verhältnis zu Reichmann hatte. In seinen Erinnerungen schildert dieser, was sich 1882 bei der letzten »Parsifal«-Aufführung zutrug, als im dritten Aufzug nicht mehr Levi, der Dirigent des Abends, am Pult stand, sondern Richard Wagner selbst.

    »Nur einer schien sichtlich erregt darüber zu sein, der bis jetzt unerreicht gebliebene Sänger des Amfortas, Theodor Reichmann, der nur einen Fehler hatte, dass das Musikalische ihm viel Not machte. Er rief aus: ›Mein Gott, der Meister selbst, wird er mir denn meinen richtigen Einsatz geben?«


    Cosima Wagner hatte diesen Vorgang auch notiert und bemerkt, wie anders das Orchester unter seiner Leitung gespielt habe, wie unvergleichlich anders H. Reichmann das:»Sterben, einz´ge Gnade« gesungen.

    Wilhelm Kienzl notierte Intonationsprobleme bei Reichmann, Felix Weingartner bemängelte, dass Reichmann gerne zu tief singt und Felix Mottl bemerkte »Reichmannsche Süßlichkeit«

    Es ist wohl ein natürlicher Vorgang, dass ein Sänger, der so viele Auftritte absolviert auch Kritik auf sich zieht, welche sich allerdings relativiert, wenn man bedenkt, dass das neben den wenigen Anfängerjahren in aller Regel ganz erstklassige Adressen waren, so gastierte er 1884 und 1892 in seinen großen Wagner-Partien an der Covent Garden Oper London.

    Als Angelo Neumann weite Teile Europas mit dem Werk Richard Wagners bekannt machte, hatte er auch die wichtigsten Wagner-Sängerinnen und -Sänger in seinem Tross, wozu auch Reichmann gehörte. Neumann hatte mit Wagner im September 1881 einen Vertrag ausgehandelt , der ihm die ausschließlichen Aufführungsrechte für den »Ring« für Berlin, Leipzig, Dresden, Breslau, Prag, Belgien, Holland, Schweden, Norwegen und Dänemark einräumte; die Rechte für London, Paris, Petersburg und sämtliche amerikanischen Staaten waren schon vorher ausgehandelt worden; der Kontrakt endete am 31. Dezember 1883.
    Nun, bis Amerika kam die Truppe nicht, erst; 1889 stand Theodor Reichmann auf der Bühne der Metropolitan Opera New York.
    Angelo Neumanns Künstler hatten jeweils innerhalb einer Woche sowohl die Tetralogie als auch ein Wagner-Konzert zu bestreiten. Die Belastungen waren erheblich und man war deshalb mit zweifacher Besetzung der Ring-Partien unterwegs. Die berühmte Hedwig Reicher-Kindermann blieb buchstäblich auf der Strecke, sie starb in Triest.
    Man reiste damals mit einem Sonderzug von zwölf Waggons, das war immerhin die doppelte Länge eines normalen Zuges, wobei 134 Menschen an Bord waren, und die Schwimmwagen der Rheintöchter führte man auch mit.

    Als die gewaltige, am 1. September 1882 begonnene Neumann-Exkursion, die 55 Städte des In- und Auslandes beglückt hatte, nach 279 Tagen am 5. Juni 1883 in Graz mit einer Aufführung der »Götterdämmerung« endete, orientierte sich Theodor Reichmann neu, seine künstlerische Heimat war nun Wien geworden.
    Dort hatte er sein Debüt schon am 26. Januar 1881 als Holländer und dann noch einen Gastspiel-Block im April des Jahres als: René Ankerström (5.), Hans Heiling (8.), Don Giovanni (25.), Wolfram von Eschenbach (28.) und Hans Sachs am 30, April.
    Mehr als 700 Mal stand er in 39 verschiedenen Stücken auf der Bühne der Wiener Staatsoper, wobei 89 Aufführungen »Der fliegende Holländer« und 70 Mal »Die Meistersinger von Nürnberg«, ganz besonders ins Auge fallen.
    Dem Ensemble der Wiener Hofoper gehörte Reichmann von 1883 bis 1889 und von 1893 bis 1903 an.
    1888 erfolgte die Ernennung zum Kammersänger. In der Zeit von 1882 bis 1902 hatte er stets Verpflichtungen bei den Bayreuther Festspielen.

    Natürlich hatten sich die außergewöhnlichen Qualitäten des Baritons bis Amerika herumgesprochen; wer in Bayreuth sang, hatte in der Regel immer beste Chancen auch an der berühmten »Met« in New York gebraucht zu werden.
    In der Ära Damrosch waren neben Reichmann noch die Helden-Baritone Emil Fischer und Adolf Robinson an der »Met« engagiert, also deutschsprachige Kräfte, die für das Wagner-Fach bestens geeignet waren.

    In diesem Umfeld hatte Theodor Reichmann am 27. November 1889 sein Debüt an der Metropolitan Opera, wo er die Titelpartie in »Der fliegende Holländer« sang. am Pult stand Anton Seidl, der auch schon vor einigen Jahren bei Neumanns reisendem »Ring-Zirkus« als Dirigent verantwortlich war. Aber Reichmann sang in Amerika nicht nur das Wagner-Fach, sondern gab auch die Titelfigur in »Don Giovanni« und stand im italienischen Fach auf der Bühne, wobei noch zu bemerken ist, dass auch Verdi oder Meyerbeer damals noch in deutscher Sprache gesungen wurde.

    Dass in seiner Wiener Zeit eine Lücke klafft ist mit Differenzen der Wiener Operndirektion zu erklären; in der Zeit von 1889 bis 1891 war Reichmann an der Kroll-Oper in Berlin engagiert. 1899 war er dann wieder längst an der Wiener Hofoper tätig, wo er das neueste Werk Carl Goldmarks mit aus der Taufe hob; an den Kritiken ist erkennbar, dass er nicht nur als Wagner-Sänger besondere Leistungen erbrachte.


    Die »Neue Freie Presse» berichtete im Januar 1899 von der Uraufführung von Goldmarks zweiaktiger Oper »Die Kriegsgefangene». Bezüglich der Hauptdarsteller heißt es da:


    »Die beiden Hauptrollen - mehr schwierige als dankbare Aufgaben - werden von Fräulein Renard und Herrn Reichmann vortrefflich gesungen und gespielt«.


    Und in »Neues Wiener Journal« war zu lesen:

    »Die schwierigen Aufgaben hatten die richtigen Personen gefunden. Theodor Reichmann verkörperte den trauernden Helden Archilles mit Würde, sein herrliches Organ trug ihn über das brausende Orchester hinweg, er war gleich groß in seinem Schmerz um Patroklus wie als Liebeflehender. Fräulein Renard errang mit der Briseis, der sie alle Anmuth, alle Vorzüge ihrer Stimme lieh, reichsten Beifall«.


    Am 22. Mai 1903 - es war am 90. Geburtstag Richard Wagners - ging in einem Sanatorium am Bodensee ein großes Sängerleben zu Ende. Als Todesursache werden Schlaganfall und Herzinfarkt genannt. Das Archiv der Wiener Staatsoper verzeichnet einen letzten Bühnenauftritt Reichmanns am 18. März 1903 in der Oper »Der Trompeter von Säckingen«.


    Praktischer Hinweis:
    Die Friedhöfe am Halleschen Tor liegen im Berliner Stadtteil Kreuzberg in der Nähe des U-Bahnhofs Mehringdamm. Das Gelände befindet sich zwischen Mehringdamm (Eingang) und Zossener Straße (wo ebenfalls ein Zugang ist), an den längeren Seiten werden die Kirchhöfe von der Blücherstraße und Baruther Straße begrenzt. Da es unterschiedlich gestaltete Pläne gibt, ist es vorteilhaft, wenn man sich an den prominenteren Gräbern von Mendelssohn Bartholdy und dessen Schwester orientiert; die etwa in der Mitte des Geländes zu finden sind. Das Grab von Theodor Reichmann ist nur wenige Schritte davon entfernt.

  • Franz Betz - *19. März 1835 Mainz - † 11. August 1900 Berlin


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    Zum heutigen Geburtstag von Franz Betz


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    Das überlieferte Leben des Sängers beginnt 1835 und weist dann eine Lücke von mehr als zwei Jahrzehnten auf - erst ab seinem Debüt, das er 1856 am Hoftheater zu Hannover als Heerrufer in »Lohengrin« hatte, lässt sich seine Biografie verfolgen. Bezüglich seiner Ausbildung heißt es lapidar, dass diese in Karlsruhe erfolgte.


    In der Zeitschrift »Blätter zur Unterhaltung und Belehrung« von 1876 wird in einem Beitrag geschildert, wie Franz Betz zum Singen kam:


    »Franz Betz ist am 19. März 1835 in Mainz geboren und wollte sich dem Studium der Technik widmen. Während er die polytechnische Schule in Karlsruhe besuchte, erregte seine gewaltige Stimme und seine seltene musikalische Begabung die Aufmerksamkeit einiger Musikkenner in solchem Grade, daß man ihm zuredete, dies tat er dann von 1855 an und war schon 1856 in der Lage, sich ein Engagement an der Hofbühne in Hannover zu verschaffen ...«


    In rascher Folge sammelte der Bassbariton dann Bühnenerfahrung an den Hoftheatern in Altenburg und Gera, sowie in Bernburg, Köthen und Rostock.


    Zu seinem ersten Auftritt in Berlin erfährt man aus dem gleichen Blatt folgendes:


    »1859 traute Betz sich die Kraft zu, es in einem größeren Rahmen zu wagen, und er gastirte an der Berliner Oper, erstmals als Don Carlos in Verdi´s ›Ernani‹. Noch gefiel er aber wenig, denn seine prächtige Stimme war noch spröde und ward ganz naturalistisch verwendet, auch sein Spiel war noch ungelenk. Gleichwohl ward er um seiner trefflichen Stimmmittel willen engagirt, und diese Erwerbung bewährte sich bald glänzend, denn Betz sah jetzt durch Vergleichung mit Anderen bald ein, woran es ihm noch fehlte, und schwang sich durch anhaltenden Fleiß und rastlose eifrige Studien bald zur vollen Höhe seiner Kunst auf, erwarb sich die Achtung und den Beifall aller Musikkenner und ward ein Liebling des Publikums«.


    Learning by doing, nennt man das heute; der Gastsänger Franz Betz erhielt von dem damals führenden deutschen Opernhaus einen zeitlich unbegrenzten Kontrakt, der schließlich bis 1897, dem Ende seiner Karriere, Bestand hatte, wobei ihm noch beim Ausscheiden die Ehrenmitgliedschaft des Hauses zuerkannt wurde.


    In den fast vier Jahrzehnten an der Berliner Hofoper sang er in mehreren Uraufführungen von Opern, die längst nicht mehr in Spielplänen zu finden sind, aber er sang auch am 21. Juli 1868 den Hans Sachs in der Uraufführung »Die Meistersinger von Nürnberg« an der Münchner Hofoper. Das war damals ein Riesenereignis; wohl der größte Erfolg Wagners zu dessen Lebzeiten; bereits nach dem zweiten Akt wurde so heftig applaudiert, dass Meister Wagner sich stehend in der Königsloge verbeugte, um die Ovationen des Publikums entgegenzunehmen, während der König im Hintergrund blieb und der Hofstaat empört war.


    Franz Betz stand an diesem Sonntagabend in der Rolle des Hans Sachs - wo in fast sechs Stunden allerhand zu bewältigen ist - auf der Bühne. Wie der Komponist Peter Cornelius feststellte, war dem erst 33-jährigen Sänger ein differenziertes Rollenportrait geglückt: »Vom ersten Auftreten bis zum letzten Ton«.


    Im Laufe seiner Karriere sang Betz den Hans Sachs mehr als hundert Mal und bei der ersten Gesamtaufführung von »Der Ring des Nibelungen« stand er in Bayreuth als Wotan auf der Bühne.
    Natürlich hatte Franz Betz als Wagner-Sänger eine große Bedeutung, denn er war in Bayreuth auch in anderen Rollen zu hören. Noch 1889 sang er dort den Hans Sachs sowie den Kurwenal. Neben seinem Engagement in Berlin war der Sänger auch an anderen bedeutenden Häusern ein gern gehörter Gast, wobei er auch als Verdi-Sänger auf sich aufmerksam machte. Betz war an einigen deutschen Erstaufführungen beteiligt; so zum Beispiel 1874 als erster Amonasro in »Aida« und in der Berliner Premiere von Verdis »Falstaff« war ihm 1894 die Titelpartie anvertraut.


    In den Augustmonaten der Jahren 1872 und 1873 gab Franz Betz insgesamt dreizehn Gastspiele - in neun verschiedenen Rollen - an der Wiener Hofoper, wobei nur drei Wagner-Opern dabei waren. 1875 war Betz auch an der Hofoper in Dresden zu hören und 1878 an der Königlichen Oper in Stockholm.
    Am 13. Januar 1876 gab die damals 56-jährige Clara Schumann am Berliner Hof ein Konzert, wobei sie Beethovens Sonate cis-Moll Nr. 2 op. 27 spielte und auch andere Künstler, wie den Bariton Franz Betz auf dem Klavier begleitete.
    Auch als sich sieben Monate später der Vorhang des Bayreuther Festspielhauses zur ersten Gesamtaufführung von Wagners gewaltigem Werk »Der Ring des Nibelungen« hob, war Franz Betz dabei, wobei neben anderen Schwierigkeiten auch Betz, der in »Rheingold« den Wotan gab, von besonderem Pech verfolgt war - er ließ den Ring fallen, rannte gegen die Kulisse und erlitt einen Zusammenbruch. Wie überliefert ist, soll das Publikum dennoch begeistert gewesen sein; nach einem Ruhetag konnte es weiter gehen und am vorletzten Tag, also am 16. August, sang Betz in »Siegfried« den Wanderer.
    In England und Amerika betrat Betz keine Opernbühne, hatte aber in London unter dem Dirigenten Hans Richter 1882 Konzertauftritte im Crystal Palace.


    Bei der langjährigen Zusammenarbeit des Baritons mit Richard Wagner war natürlich nicht stetig Freude und Harmonie, da gab es schon auch Meinungsverschiedenheiten und so ist in einer Schrift von Peter Bassett zu lesen:


    »Da viele seiner Sänger für die ersten Festspiele die besten verfügbaren Kräfte waren, war es nun gleichzeitig so, dass diese aus vielbeschäftigten Karrieren in der weiten Welt der Oper kamen und mit alten Gewohnheiten behaftet waren, die nicht leicht abgelegt werden konnten. Besonders verärgert war er über den aufmerksamkeitsheischenden Franz Betz, seinen Wotan, der verärgert war, dass er keine Hervorrufe entgegennehmen konnte, wann immer er wollte, und mit dem Wagner an einigen Stellen, besonders zu Beginn der Walküre, nicht zufrieden war, so dass er ihn nicht erneut einladen wollte«


    Franz Betz engagierte sich auch als Interessenvertreter der Bühnenkünstler; in den Jahren 1872 bis 1879 und 1882 bis 1890 war er Präsident der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger.
    Die zu Lebzeiten Wagners bedeutendsten Baritone waren Carl Hill, Franz Betz, Eugen Gura und Theodor Reichmann - allesamt Rollenschöpfer, Künstler, die ganz nahe dabei waren als Wagners gewaltiges Werk entstand, schade, dass diese Geburtshelfer heute fast vergessen sind.


    Im privaten Bereich ist von Franz Betz lediglich bekannt, dass er mit der Koloratursängerin Johanna Betz, der Tochter des Direktors des Berliner Schauspielhauses, verheiratet war.


    Zum Friedhof ist zu sagen, dass man diesen erst 1896 angelegt hatte und er als Begräbnisstätte des Bildungsbürgertums gesehen wurde. So findet man etwas oberhalb des Grabes Betz auch die letzte Ruhestätte des Künstlerehepaars Amalie und Joseph Joachim.

    Die markante letzte Ruhestätte von Franz Betz wurde um 1902 im Jugendstil errichtet, das Profilrelief ist ein Werk des Bildhauers Max Fichte,


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    Rechts der Kapelle findet man dasGräberfeld E


    Praktischer Hinweis:

    Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirchhof, Berlin-Westend, Fürstenbrunner Weg 69-79, 14059 Berlin. Dieser Friedhof ist mit dem Luisenkirchhof III so eng verbunden, dass für den Besucher keine Grenze sichtbar ist.
    Das Grab von Franz Betz befindet sich auf der rechten Seite des Geländes; als Orientierungspunkt dient die weithin sichtbare Kapelle mit romanischen Stilformen; gleich rechts neben der Kapelle befindet sich das Gräberfeld E mit dem Grab des Sängers, die exakte Bezeichnung der Grablage ist E-11-5/6.

  • Hertha Töpper - *19. April 1924 Graz - † 28. März 2020 München


    Heute vor einem Jahr starb in München Kammersängerin Professorin Hertha Mixa-Töpper im Alter von 95 Jahren. In die Traueranzeige wurde der Spruch »Vita brevis, ars longa« eingefügt. Wenn man das Leben der Künstlerin betrachtet wird deutlich, dass eine große, Maßstab setzende Sängerin Abschied genommen hat - nicht ganz, denn auf Tonträgern konnte ihre unverwechselbare Stimme vielfach erhalten werden.


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    Zum heutigen Todestag von Hertha Töpper


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    Das Mädchen wurde in eine Umgebung hineingeboren, in welcher diverse Musikinstrumente stets greifbar waren, sobald die Kleine auf eigenen Beinen stehen konnte; zwar waren dann auch Klaviertasten erreichbar, aber sie interessierte sich mehr für die Streichinstrumente und war von diesen fasziniert, weil man ihnen mit den Fingern unterschiedliche Töne entlocken konnte.
    Ihr Vater war Musiker, der auch unterrichtete. Hertha hatte weniger für Puppen übrig und zog stattdessen lieber Musikinstrumente durch die Wohnung.


    Als das Kind etwa dreieinhalb Jahre alt war und nun auch Vaters Geige als ganz normales Spielgerät in Beschlag nahm, war dieser als Pädagoge gefordert und erklärte dem Töchterlein, dass man solcherart Spielzeug mit bestimmten Spielregeln handhaben muss. So kam Hertha zu einer kleinen, kindergerechten Geige und Papa lenkte das Spielen in geordnete Bahnen. Es gab jedoch keinerlei Bestrebungen ein Wunderkind heranziehen zu wollen, aber Herr Töpper plante die musikalische Entwicklung seiner Tochter so, dass zuerst Geige und Cello erlernt werden sollte, erst danach war Klavierunterricht beabsichtigt. Bevor die Kleine Lesen und Schreiben lernte, konnte sie bereits Noten lesen. Im Alter von fünfeinhalb Jahren verlor Hertha Töpper ihren Vater.


    Als Sechzehnjährige ließ sich Hertha Töpper bereits von einer Gesangslehrerin unterrichten, was jedoch nicht ihrer Idee entsprungen war; eine ihrer Mitschülerinnen, die ganz große Ambitionen hatte, eröffnete ihr: »Du, ich habe dich bei meiner Gesangslehrerin angemeldet«. Das Ergebnis dieses ersten Schrittes waren zweieinviertel Stunden Gesangsunterricht pro Woche, wie sie sich später erinnerte; der Gesangsunterricht lief parallel zu den Übungen mit der Geige.
    Gleich nach ihrer Matura hatte sie das achtzehnte Lebensjahr erreicht und da gab sie auch bereits 1942 einen Liederabend in Graz. Dann folgte das Studium am Konservatorium ihrer Heimatstadt. Bis dahin war sie in Graz oft in der Oper, wobei sich der sehnliche Wunsch entwickelte Opernsängerin zu werden, die Geige wurde zurückgestellt und die 18-Jährige besuchte die Opernschule, wo Professor Dr. Mixa ihr Lehrer war. Damals stand die junge Frau ganz im Banne Wagnerscher Musik und für »Fidelio« war auch Begeisterung vorhanden. Aber schon während ihres Studiums zeichnete sich ab, dass sie bis zum Ende ihrer Gesangstätigkeit eine Verbindung zur geistlichen Musik hatte, denn die Gesangsstudentin war ständig als Solistin bei Messen und Oratorien im Grazer Dom zu hören.
    Fräulein Töppers Enthusiasmus für die Oper erfuhr einen Dämpfer als ein Regisseur an der Opernschule die Meinung vertrat, dass eine junge Sängerin sich zuerst einmal in den Spielopern umtun sollte; Herta Töpper bekam die Rolle der Erzieherin Irmentraut im »Waffenschmied« zugewiesen.
    Dr. Mixa, der damals Leiter des Steiermärkischen Landeskonservatoriums war, erkannte die außergewöhnlichen Qualitäten der Schülerin und versuchte das in rechte Bahnen zu lenken; allerdings hatte sie nur etwa ein Jahr bei dem von ihr angehimmelten Lehrer Unterricht, dann musste Mixa zum Militär und Kontakte ergaben sich nur noch, wenn der Lehrer mal auf Urlaub kam und sie ihm Brahms Opus 63 vorsingen konnte.


    In Verehrung des attraktiven Dr. Mixa war die junge Töpper damals nicht allein, auch andere Mitschülerinnen waren in ihn verknallt, um das mal etwas salopp darzustellen. Fräulein Töpper sprach nicht von Liebe, sondern von Verehrung, was auch dem Wissen entsprang, dass der Mann schließlich verheiratet war und zwei Kinder hatte.
    Dr. Mixa war schon im Herbst1929 nach Reykjavik gekommen. Man hatte damals in Wien einen Musiker gesucht, der den musikalischen Teil der 1000-Jahrfeier des Isländischen Parlaments vorbereiten sollte; die Feierlichkeiten waren für den Juni 1930 geplant. Als man ihn nach den Festlichkeiten bat zu bleiben, sagte er unter der Bedingung zu, dass in Island eine Musikschule gegründet wird, um die im Land vorhandenen Begabungen zu fördern. So wurde Mixa Gründer des Musikkonservatoriums und Musikvereins in Reykjavik, Musikdirektor, Kammermusiker und Pädagoge; sprachliche Barrieren überwand er schnell. Durch politische Gegebenheiten ergab sich dann ein Tausch, der sinnvoll schien - der Leiter der Grazer Opernschule wollte dort weg und Mixa zog es wieder nach Graz, wo er die Leitung der Opernschule am Grazer Landeskonservatorium und das Musiklektorat an der Grazer Universität übernehmen konnte.
    Seine Frau, Kata Ólafsdóttir-Mixa, die aus Island stammte und mit ihrem Mann nach Graz gezogen war, hatte in Österreich kriegsbedingt schlimme Erlebnisse gehabt und durch Krankheit einen ihrer Söhne verloren; sie wollte unter keinen Umständen in einem besetzten Österreich bleiben und kehrte 1945 wieder in ihrer Heimat zurück. So kam es also nach dem Krieg, als Mixa 1947 aus französischer Kriegsgefangenschaft wieder nach Graz zurückgekommen war, zur Trennung im guten Einvernehmen.


    Der Komponist und Musikwissenschaftler hatte schon in Graz seine Schülerin, die sich damals für Mozart nicht begeistern konnte - weil ihr die ständigen Wiederholungen bei diesem Komponisten nicht gefielen - ermahnt und gesagt: »Gerade von dir möchte ich das nicht hören!«
    Mixa, der 1929 über das Thema »Die Klarinette zur Zeit Mozarts« promovierte, hatte natürlich zu Mozart ein anderes Verhältnis als seine junge Schülerin.
    Man näherte sich dann nicht nur musikalisch an, aus Schülerin und Lehrer wurde am 24. März 1949 ein Ehepaar, Psychologen eröffnet sich hier ein Betätigungsfeld. Der Ehegatte konnte seine Frau fachlich ausgezeichnet beraten, der Erfolg ist in der Süddeutschen Zeitung vom 25./26. August 1962 nachzulesen, wo Karl Schumann schrieb:


    »Diese Altistin, die im Spielfach wie in den schweren Partien keine Klippen kennt, faszinierte durch ein herrlich entrücktes Piano und Legato, das A und O jeder sängerischen Mozart-Interpretation«.


    Erstmals hörte man die 21-jährige Hertha Töpper als Opernsängerin an der Grazer Oper 1945, wo sie mit der Stimme von Antonias Mutter in »Hoffmanns Erzählungen« zu hören war. Als eigentliches Debüt gilt jedoch ihr spektakuläres Einspringen bei einer Aufführung im »Maskenball«, wo sie vom einen zum anderen Tag die Rolle der Wahrsagerin Ulrica übernehmen musste, was auch bestens gelang. Im Theater ihrer Geburtsstadt konnte sie dann auch an größere Rollen herankommen, was zum Beispiel am »Rosenkavalier« deutlich darzustellen ist. Im Oktober 1945 sang sie in diesem Stück noch eine adelige Waise, aber im November 1949 den Octavian, den man dann später auf der ganzen Welt von ihr hören wollte - in London sogar mal in englischer Sprache ...
    Der musikerfahrene Ehemann war hier der Ideengeber, sie selbst wäre gar nicht auf die Idee gekommen, dass das eine Rolle für sie sein könnte, aber Mixa sagte: »Du müsstest den Octavian singen«. Da dieser Rat schließlich von einer musikalischen Autorität kam, lotete sie bei ihrem Opernchef diese Möglichkeit aus. Nach einigem Hin und Her, ergab es sich, dass die vorgesehene Sopranistin erkrankte und Herta Töpper erstmals diese Rolle auf der Bühne sang - und das mit ganz großem Erfolg.
    Andersherum ging es in Graz mit der Amneris in »Aida«. In ihrem dritten Grazer Jahr erhält sie diese Rolle zugeteilt, bemerkt jedoch, dass sie damit ihre Stimme überfordert und bittet nach der zweiten Vorstellung von dieser Rolle befreit zu werde. Jahre später sang sie dann die Amneris erfolgreich an großen Häusern. Insgesamt 409 Vorstellungen von Hertha Töpper sind am Grazer Opernhaus dokumentiert; ihre letzte als Carmen im Jahr 1963 mit eingerechnet.


    Wenn man sich in der Geschichte des Gesangs etwas auskennt, dann vermutet man, dass es von Graz aus einen Schritt weiter nach Wien geht. Nach künstlerischen Gesichtspunkten wäre das auch so gelaufen, aber die Kulturbürokratie hatte an dem ausgehandelten Vertrag Anstoß genommen, die Gage schien zu hoch angesetzt.


    Das Engagement in München kam durch Umwege über Wien und Bayreuth zustande. Wie Hertha Töpper später einmal erklärte, begleitete sie eine Sopran-Kollegin nach Wien, die dort endlich ein Vorsingen bei Herbert von Karajan hatte, der sich auf der Suche nach Sängerinnen für die ersten Bayreuther Festspiele nach dem Krieg befand. Wenn man schon mal in Wien war, könnte sich Hertha von dem Geld, das ihr die Mutter zugesteckt hatte - Mama hatte nämlich einen kleineren Betrag im Fußballtoto gewonnen - einen Wintermantel kaufen. Irgendwie kam es dann jedoch durch besondere Umstände zu einem gemeinsamen Vorsingen bei Karajan. Aus dem Vorsingen bei Karajan resultierte 1951 ein Engagement im wiedererstandenen Bayreuth, natürlich nicht in einer tragenden Rolle, nicht als Brangäne, wie das mitunter zu lesen ist, sondern als Floßhilde, also eine der Rheintöchter, aber immerhin Bayreuth.( Mit Wieland Wagner, den sie sehr schätzte, erarbeitete sie sich viel später die Brangäne für Brüssel). Im zweiten Jahr, also 1952, kam der Knappe und das dritte Blumenmädchen in »Parsifal« unter Knappertsbusch dazu.
    Aber der Wien-Besuch brachte noch eine weitere Überraschung, denn inzwischen hatte man in Graz angefragt ob Frau Töpper bei Aufführungen der großen C-moll-Messe von Mozart, die Clemens Krauss im Wiener Musikvereinssaal geplant hatte, mitwirken könne.
    Zu diesem unerwarteten Vorsingen bei Krauss kam es, weil dieser für seine erkrankte Frau, Viorica Ursuleac, eine Einspringerin für zwei Aufführungen der Messe suchte. Sowohl das Vorsingen als auch die Aufführungen gelangen; binnen kurzer Zeit war die junge Sängerin aus Graz mit zwei großen Dirigenten in Berührung gekommen; vormittags Vorsingen bei Herbert von Karajan und nachmittags bei Clemens Krauss - das will erst einmal erfolgreich absolviert werden.


    Ins Ausland ging die Österreicherin Töpper ohnehin sehr zögerlich, ein Engagement nach Zürich hatte sie abgelehnt, weil sie lieber in der Nähe der Mutter bleiben wollte. Als die Bayreuth-Anfängerin jedoch - auf ihrer Reise zum grünen Hügel - in München Station machte, war sie vom Monopteros-Tempel im Englischen Garten und dem weißblauen Himmel so begeistert, dass sie sich wünschte hier zu leben. Sie konnte damals noch nicht ahnen, dass sie in Bayreuth dem Regisseur Rudolf Hartmann auffallen würde, der dann 1952 Intendant der Bayerischen Staatsoper wurde; die Begegnung trug Früchte.
    Am Dienstag, 11. Dezember 1951, steht Hertha Töpper als Octavian auf der Bühne der Bayerischen Staatsoper; an diesem Abend dirigiert auch Rudolf Kempe auf Engagement, es läuft gut und beide werden für 1952 verpflichtet.


    Unter großem Jubel hatte sich HerthaTöpper im Juni 1952 mit ihrer Paraderolle im »Rosenkavalier« vom Grazer Publikum verabschiedet. Bis zum Berufs- und Lebensende wurde nun München ihre Wahlheimat. Sie war jetzt zwar ständig in der Nähe des Monopteros-Tempels, aber von ihrem Ehemann getrennt, weil Dr. Mixa fast zeitgleich, also 1952, Direktor in Graz geworden war und München-Graz ist auch heute noch eine Tagesreise. Aber fünf Jahre später konnte man dann zusammen in München wohnen. Dr. Mixa war nicht nur Ehemann, sondern auch der kluge und erfahrene Berater seiner Frau sowohl in künstlerischen als auch theaterspezifischen Belangen.


    Während der gesamten Karriere Hertha Töppers ist zu sehen, dass neben der Oper der Konzertgesang gepflegt wurde, das waren keine gelegentlichen Ausflüge in dieses Genre, sondern entsprang einer überlegten Stimmpflege; sie selbst stellte einmal fest:

    »Ich habe das ja immer parallel gemacht, ich habe wirklich immer genau so viel Konzert gesungen wie Oper«.
    Von Lorenz Fehenberger hörte Frau Töpper, dass es an der Markuskirche in München den Organisten und Chordirigenten Karl Richter gibt und man kann dazu feststellen, dass sich Richter und Töpper nicht gesucht, aber gefunden haben und sich daraus eine äußerst fruchtbare Zusammenarbeit ergab; Karl Richter war zu dieser Zeit als Bach-Spezialist weitgehend unumstritten und hatte München zur Bach-Stadt gemacht. Damals führte man Passionen im Stile konzertanter Opernaufführungen auf. Der Nachwelt blieb eine umfangreiche Archivproduktion erhalten, die zum Teil unter abenteuerlichen Bedingungen entstand; Frau Töpper berichtete zum Beispiel, dass eine Alt-Arie nachts um 2:30 Uhr aufgenommen wurde, weil Richter sein Bach-Orchester aus den besten Musikern anderer Orchester der Stadt zusammengestellte und abwarten musste, bis diese ihre Hauptdienste beendet hatten.


    Ähnlich abenteuerlich waren für Hertha Töpper Konzertreisen mit Richter nach Moskau und Leningrad 1968 und 1970; 1968 mit Johannes-Passion und h-Moll-Messe. sie spricht von einer bedrückenden Atmosphäre, lobt aber die Begeisterung des Publikums.
    Das war in Russland natürlich ein ganz anderes Umfeld als bei den Bach-Wochen in Ansbach, wo die Künstler aufmerksam umsorgt wurden.
    Mit Hertha Töpper gab es in diesem Genre auch eine fruchtbare, aber leider kurze Zusammenarbeit mit Thomaskantor Günther Ramin, mit dem sie schon in München das »Agnus Dei« gesungen hatte und der sie dann 1955 zum Bachfest nach Leipzig einlud; damals schon musste sie, die begeisterte Autofahrerin, erkennen, dass es äußerst schwierig war diese Grenze zu überschreiten oder zu überfahren, aber schließlich erreichte sie Leipzig doch noch und bekam hier den Ritterschlag als Bach-Sängerin, was eine Zeitungskritik so darstellte:


    »Unter den Solisten überragte alle Hertha Töpper von der Münchner Staatsoper. Ihre warme, dunkeltönende Altstimme und reiche Gestaltungskraft vermittelten ein tiefes Bach-Erlebnis und ihre Arie ›Es ist vollbracht‹ war durch ihre edle, makellos strömende Stimme ein tief bewegendes Ereignis«.


    An ihrem Stammhaus München hatte sie es vor allem mit Dirigentenpersönlichkeiten wie Hans Knappertsbusch, Rudolf Kempe, Ferenc Fricsay und Joseph Keilberth zu tun - es wäre schwierig alle zu nennen, die hier den Stab führten.
    Zu Ferenc Fricsay sei jedoch bemerkt, dass hier zwei Künstler unterschiedlicher Arbeitsweisen zusammentrafen; Fricsay war ein Probemensch, der alles bis ins Kleinste austüfteln musste, was Frau Töpper mal recht bildhaft so übermittelte:


    »Er hat als Dirigent meinen Hals in seiner Faust gehabt«; um den Kontrast so richtig deutlich werden zu lassen, sei gleich ein weiteres Töpper-Zitat zu Karl Richter angeführt, dem sie mal sagte: »Am besten sind wir, wenn wir gar nicht geprobt haben!«.
    Gerne und viel arbeitete sie mit Keilberth, der 1959 nach München gekommen war und dessen Todessturz ins Orchester sie 1968 miterleben musste.
    Schon 1955 war Hertha Töpper Bayerische Kammersängerin geworden; 1957 wirkte sie bei der Uraufführung von Paul Hindemiths »Harmonie der Welt« mit.1978 hatte Franz Mixa bereits 65 Partien notiert, die seine Frau an der Bayerischen Staatsoper gesungen hatte. Daneben hat sie fast auf der ganzen Welt gesungen, also in Europa, Amerika und Asien.
    Ihre Rosenkavalier-Erfolge im europäischen Raum waren auch in die neue Welt gedrungen; die erste Einladung kam aus San Francisco, aber »Der Rosenkavalier« ging mit Hertha Töpper auch in Los Angeles und San Diego über die Bühne, das waren 1960 innerhalb eines Monats acht »Rosenkavalier«-Aufführungen in den genannten Städten und London, wo das gleiche Stück mit der Töpper als Octavian angesagt war; ein ständiges und intensives Kreuzen zwischen Amerika und Europa. Da wollte New York nicht hinten anstehen, im November 1962 gab es den »Rosenkavalier« an der Metropolitan Opera, wo Lorin Maazel das Werk erstmals dirigierte. Zur Premiere dort trat tatsächlich ein Claque-Chef an Frau Töpper heran; die in solchen Dingen unerfahrene Sängerin bat Rudolf Bing um einen Tipp, aber der meinte, dass das für einen Octavian keinen Sinn macht, da dieser keine Arie und keinen Solo-Aktschluss hat. Der Beifall war trotzdem groß und Lotte Lehmann, welche in die Regie eingebunden war, sagte: »was die Aufführung betrifft, waren Mrs. Töpper und Mrs. Crespin ein ganz großes Ereignis«.


    Was die Gestaltung ihrer Liederabende betrifft, wo Franz Mixa ihr Begleiter am Flügel war, ist bemerkenswert, dass Hertha Töpper - neben Schubert und Schumann - besonders gerne auch Lieder von Hugo Wolf, Max Reger und Hans Pfitzner zu Gehör brachte. Sie sang auch Lieder von Arnold Schönberg - ganz präzise (sie verfügte über das absolute Gehör) unter dem Dirigat von Michael Gielen - aber einen inneren Zugang hatte sie dazu nicht.


    Am Münchner Opernhaus fühlte sie sich im Rahmen der Inszenierungen von Prof. Rudolf Hartmann besonders wohl, und von der musikalischen Seite her fühlte sie sich von Keilberth wie auf Händen getragen. Während ihrer gesamten Tätigkeit sang sie nie über ihr Fach hinaus und bereicherte ganz besonders die Aufführung geistlicher Werke, sie war zur Bach-Sängerin par excellence geworden.


    Als Rudolf Hartmann am 20. September 1967 die Hausschlüssel des Opernhauses an Dr. Günther Rennert übergab, resultierten daraus einige Veränderungen an der Führung des Hauses. Kammersängerin Töpper wurde vom neuen Intendanten brieflich davon in Kenntnis gesetzt, dass er beabsichtigt zur Eröffnung seiner Direktionszeit Alban Bergs »Lulu« aufzuführen und er sie gerne als Gräfin Geschwitz besetzen würde. Sie lehnte höflich dankend mit der Begründung ab, dass ihr diese Rolle völlig wesensfremd sei. Zu diesem Vorgang sagte sie einmal: »Aber ich bin keine Schauspielerin, ich hab´s eben gelebt, deshalb wollte ich zum Beispiel nie die Geschwitz in Bergs ›Lulu‹ singen. Das war ich nicht«.
    Rennert mochte sein eigenes Ensemble haben und die ganze Sache umbauen, zu Hertha Töpper sagte er - was diese sehr empörte - »Sie sind so viele Jahre Alleinherrscherin gewesen«. Man sollte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass Brigitte Fassbaender schon 1961 an die Bayerische Staatsoper gekommen war und sich im Laufe der Zeit einen Namen als singende Schauspielerin machte, da war also schon eine ernstzunehmende Konkurrenz entstanden.
    Von einem »Zickenkrieg« konnte allerdings keine Rede sein, aber die Ältere klärte die Jüngere auf:


    »Ach Kindchen, auf den Octavian brauchen Sie sich nicht zu freuen. Das ist nur eine Umkleidepartie, das ist nicht sehr attraktiv«.
    In ihren späten Jahren sagte Frau Fassbaender zu den vergangenen Vorgängen an der Bayerischen Staatsoper:


    »Wie Rennert sie abserviert hat, war auch alles andere als vornehm - auch in diesem Punkt bin ich ihr gefolgt. Wie schwierig das für sie gewesen sein muss, das erkenne ich erst heute. Und wie toll die Frau war, weiß ich auch erst heute. Damals hatte man an allem herumzunörgeln; ich fand ihren Octavian zu gestellt, ihre Carmen zu sportlich. Und vielleicht war ich auch etwas eifersüchtig, ich dachte: Naja, das schaffst du nie, die Frau singt hier alles«.


    Das könnten gute Schlussworte sein, aber hierzu passt eine spannende Geschichte, die sich genau am Sonntag, 9. November 1969 zutrug. An diesem Tag war eine von Rennert konzipierte Vorstellung der Oper »Carmen« angesetzt, Brigitte Fassbaender musste kurzfristig absagen, morgens um elf klingelte bei Mixas, die gerade im Begriff waren das Haus zu verlassen, das Telefon, es wird angefragt ob Frau Töpper einspringen kann. Sie konnte, und zwei andere Hauptakteure - Robert Iosfalvy als Don José und Karl Böhm als Dirigent des Abends - konnten sich schnell auf den alten Text einigen, den sie parat hatten, natürlich verstanden sich die beiden Grazer blendend ...
    Da liegen einige Berichte vor, welche diesen Abend als etwas Besonderes darstellen; in einem privaten Schreiben spricht der Chefredakteur der »Süddeutschen Zeitung«, Hermann Proebst, von einem Triumph der Sängerin.


    Ab 1971 war Hertha Töpper ordentliche Professorin an der Musikhochschule in München, wo sie zehn Jahre ihr reichhaltiges Wissen weiter gab. Im Januar 1994 starb Franz Mixa und Hertha Töpper musste ihr Leben nach mehr vier Jahrzehnte währender Ehe alleine zu Ende bringen. In ihren späten Jahren stellten sich bei der Hochbetagten die Unbilden des Alters ein, der Tod war eine Erlösung. Ihr Abgang kann auch symbolisch für den Untergang des einst so fruchtbaren Ensemble-Theaters an den Opernhäusern gesehen werden. Der Abschied von Hertha Töpper aus IHREM Opernhaus sei abschließend ganz konkret beschrieben:


    1981 ging Hertha Töpper nach ihrer letzten Repertoirevorstellung mit ihrem letzten »Gute Nacht« an der Portierloge vorbei, stieg in ihr Auto und fuhr nach Hause. Es war ihr 1.267. Abend als Ensemblemitglied der Bayerischen Staatsoper. Kein Mensch im Hause nahm davon Notiz.


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    Der Stein zeigt das Gräberfeld 28 an, einige Schritte weiter findet man die Grabstele


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    Praktischer Hinweis:
    Das Bild zeigt den Eingang zum Waldfriedhof Solln, Warnbergstraße 2, 81479 München.
    Beim Friedhofseingang wendet man sich nach rechts und folgt dem Weg, der zwischen den Gräberfeldern 14 und 15 hindurchgeht, zum Feld 13, links des Weges, wo ein Stein das Grabfeld 28 anzeigt - dort ist die Stele von Hertha Töpper und Franz Mixa.

  • Lieber 'hart',


    herzlichen Dank für diesen sehr interessanten Bericht über Hertha Töpper und Franz Mixa. Alle Deine hervorragend recherchierten und informativen 'Nachrufe' zeichnet eine besonders empathische Art aus, uns die Persönlichkeit und das Wirken der verstorbenen (und leider auch oft längst vergessenen) Musiker nahe zu bringen.


    Ich werde im Hertha-Töpper-Thread einen entsprechenden Hinweis auf Deinen Beitrag geben.


    Carlo

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  • Wegen seiner guten Leistungen war er im Herbst 1920 in die Meisterklasse von Franz Schreker aufgenommen worden, der zu dieser Zeit schon ein bekannter Opernkomponist war und nun als Hochschuldirektor von Wien nach Berlin berufen wurde. Zu seiner Zeit bei Schreker meinte Schmidt-Isserstedt rückblickend:

    »Ich habe bei Schreker eigentlich nicht viel gelernt. Er war ein wunderbarer Instrumentator, aber im Grunde hatte ich zu seiner Musik, die sehr impressionistisch war und eigentlich, wie ich zu sagen pflege, keine Knochen hatte, nicht sehr viel Einstellung«.

    Schmidt-Isserstedt schaffte es auch auf die sogenannte »Gottbegnadetenliste«, welche 1944 von Hitler und Goebbels zusammengestellt wurde. Da waren 1.041 Künstler verschiedener Kunstgattungen aufgelistet, die man vom Kriegsdienst bewahren wollte, die als unabkömmlich galten; Schmidt-Isserstedt war einer von insgesamt16 Dirigenten.

    ich finde, es macht keinen guten Eindruck, wenn in einer Biografie eine Kritik eines offensichtlich regimefreundlichen Dirigenten an einem jüdischen Komponisten als musikalisches Werturteil darstellt.
    Zitat Wikipedia: Bereits in den späten 1920er-Jahren war Schreker Angriffsobjekt der Kulturpolitik der Nationalsozialisten. 1932 wurde auf Grund des NS-Terrors die in Freiburg geplante Uraufführung seiner Oper Christophorus von Schreker selbst zurückgezogen, und er wurde zum Rücktritt von seinem Amt als Direktor der Berliner Musikhochschule gezwungen, die er seit 1920 geleitet hatte. Von 1932 bis 1933 war er außerdem Leiter einer Meisterklasse für Komposition an der Preußischen Akademie der Künste. Einer seiner Schüler dort war Wladyslaw Szpilman. Kurz nach seiner Zwangsversetzung in den Ruhestand, die Max von Schillings verfügte, starb er am 21. März 1934 an einem Herzinfarkt, dem ein Schlaganfall vorausgegangen war, und wurde auf dem Waldfriedhof Dahlem beigesetzt.

    in diesem Zusammenhang wirkt das Zitat des Dirigenten für mich eher wie eine Rechtfertigung einer unmenschlichen Vorgangsweise.

    Ich finde, das Forum könnte auch hier Sensibilität entwickeln... Aussagen von parteitreuen Deutschen über jüdische Komponisten halte ich für entbehrlich.

    Zudem ist die subjektive Aussage: "die Musik hatte keine Knochen" viel zu vage, um künstlerisch wirklich von Bedeutung zu sein... musikanalytisch läßt sich vermuten, daß mangelnde Formstrenge gemeint ist - aber die ist ein beliebiges Kriterium und nicht entscheidend für Geschmacksurteile.
    Oder soll es eine Kritik am impressionistischen = französischen Einfluß sein, der dem linientreuen Dirigenten nicht gefallen hat.

    Ich denke, daß das Werk Franz Schrekers auf jeden Fall mehr Bedeutung hat als die Leistungen von Schmidt-Isserstedt, die Nachwelt wird letztlich entscheiden...

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)


  • Lieber tastenwolf,

    es tut mir herzlich leid, dass ich mit meinem Beitrag Deinen hohen Erwartungen nicht entsprechen konnte; stets bemühe ich mich die verstorbene Person so darzustellen, dass man sich ein Bild machen kann, soweit das in diesem begrenzten Rahmen möglich ist.


    Wenn Du schreibst:

    »Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten«.


    Dann bin ich der Ansicht, dass keinerlei Notwendigkeit besteht unter jedes Foto meinen eigenen Namen zu setzen, denn 99 Prozent der Fotos stammen selbstverständlich von mir, wenn ich in besonderen Fällen mal auf ein Fremdfoto angewiesen bin, dann wird das kenntlich gemacht. Dein Vorwurf bezüglich der Ortsangabe erledigt sich automatisch, wenn Du den Beitrag zu Ende liest ...

  • Max von Schillings - *19. April 1868 Düren (Rheinland) - † 24. Juli 1933 Berlin


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    In dieser imposanten, 1828 geschaffenen klassizistischen Gruftenhalle in Form einer Galerie aus 55 Arkaden, hat der heute fast vergessene Musiker Max von Schillings seine letzte Ruhe auf dem Hauptfriedhof in Frankfurt am Main gefunden; in der Gruft mit der Nummer 48. Unter den vielen Brentanos, die hier bestattet sind, findet man auch Johanna Antonia Brentano, geb. Birkenstock, die in naher Verbindung zu Beethoven stand.
    Und wenn man nun schon mal da ist - in naher Nachbarschaft, nämlich in der Gruft Nummer 45, ruht der Musiker Ferdinand Ries, der für einige Zeit Schüler und dann auch so eine Art Sekretär Beethovens war, aber auch mit eigenen Werken einige Bedeutung erlangte.


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    Zum heutigen Geburtstag Max von Schillings


    Bei diesem Grabbesuch muss man gegen die Forenregel verstoßen, Politik aus dem Forum herauszuhalten, denn Max von Schillings hatte einiges mit der Politik seiner Zeit zu tun, aber eben auch einiges mit Musik, stand er doch immerhin auf Augenhöhe mit seinem lebenslangen Freund Richard Strauss und war einer der Lehrer von Wilhelm Furtwängler. Ludwig Thuille ist noch zu nennen, der jedoch bereits 1907 starb.
    In den 1920er Jahren gehörte Schillings neben Strauss und Franz Schreker zu den meistgespielten Opernkomponisten. Max von Schillings spätere Tätigkeit als Präsident der Preußischen Akademie der Künste, wo er für Austritte und Ausschließungen namhafter Künstler wie zum Beispiel auch der Musiker Arnold Schönberg und Franz Schreker verantwortlich war, bewirkten, dass es um Schillings musikalische Hinterlassenschaft recht still wurde.


    Aber wie sagten die Wagner-Brüder 1951 so schön - »Hier gilt´s der Kunst». Also wer war der Musiker Max von Schillings, und wie kam er zur Kunst?


    Er war der Sohn des Gutsbesitzers Carl Schillings und dessen Ehefrau Johanna Brentano. Der Vater war Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses und von wohlhabender Verwandtschaft umgeben. Die Mutter entstammte der Dichterfamilie Brentano, so dass Max der Urgroßneffe von Clemens von Brentano und Bettina von Arnim war.
    Die Familie Schillings ist schließlich noch um den um drei Jahre älteren Bruder von Max, Carl Georg, zu ergänzen, welcher als Afrikaforscher auf andere Art Berühmtheit erlangte.
    Johanna Brentano war die zweite Gattin Carl Schillings; wie überliefert wird, sind in ihrem Wesen die Eigenheiten der Brentanos schwach angedeutet. Dazu steht der um zwanzig Jahre ältere Gatte im schroffen Gegensatz, für Feingeistiges kann er sich nicht begeistern; er fühlt sich eher zu seinem Sohn Carl Georg hingezogen, der schon frühzeitig Abenteuerlust erkennen lässt, die musische Begabung des jüngeren Muttersöhnchens Max stößt beim Vater auf Unverständnis. Mutter Johanna erkennt und fördert die Begabung ihres Jüngsten; Max sitzt schon als Fünfjähriger am Flügel, um sich an einfachen Melodien zu erfreuen.


    Mit dem sechsten Lebensjahr beginnt der geordnete Unterricht durch einen Hauslehrer; das Ziel ist die Vorbereitung zum Besuch einer höheren Lehranstalt. Der Knabe hat eine gute Auffassungsgabe und noch Zeit und Muße, um sich eine kleine Geige zusammenzubasteln, auf der er nach dem Gehör immerhin ein Volkslied zusammenbringt, das er seiner Mutter als Geburtstagsständchen darbietet. Die verwegenen Abenteuerspiele seines Bruders interessieren ihn immer weniger, aber eine richtige Geige, die er geschenkt bekommt, natürlich sehr. Der Vater lässt Mutter und Sohn stillschweigend gewähren. Über seine Mutter sagte Max Schillings einmal:
    »Soweit ich zurückdenken kann, bin ich Musiker gewesen; niemals habe ich anders wünschen und hoffen können, als dass Musik meinen Lebensinhalt bilden müsse. Meine Mutter hat den Drang zur Kunst in mir geweckt und ist mit dem Bewusstsein gestorben, mir die rechte Bahn gewiesen zu haben« - die Mutter starb 1885.
    Der Junge war kränklich, seine Nerven überreizt, die Übersiedlung vom Gut in Gürzenich nach Bonn, wo kulturell mehr geboten war, rückte näher und wurde 1878 in die Tat umgesetzt.


    Der Unterricht bei Musikdirektor Hilgers in Düren wird abgebrochen und anschließend in Bonn mit dem Studium des Violinspiels, der Harmonielehre und des Kontrapunktes begonnen. Seine Lehrer sind Otto von Königslöw, der erste Konzertmeister der Gürzenich-Konzerte in Köln und Joseph Brambach, Stadtmusikdirektor in Bonn. Die beiden vermitteln gründliche Gediegenheit der Anfangslehren. Die Mutter fördert in Bonn aber auch Theaterbesuche des Gymnasiasten und 1882 wird sogar ein Besuch der Bayreuther Festspiele ermöglicht, wobei Max dem Meister Wagner noch persönlich begegnet. Diesen Festspielbesuch, insbesondere eine Aufführung des »Parsifal«, hatte Kammersänger Carl Hill, mit dem Mutter Johanna gut bekannt war, nachdrücklich empfohlen.


    Großen Einfluss auf den jungen Mann übt Professor Dr. Karl Koester, ein Dozent am Pathologischen Institut der Universität, aus, der mit dem Musikleben in Bonn viel zu tun hat. Koester setzt sich sehr für moderne Musik ein. Nach schulischen Problemen bei der Erlangung des Reifezeugnisses muss der Vater bei Max etwas nachhelfen, sodass dann die Studierfähigkeit erreicht wird. Im Jahr 1889 kehrt er dem Rheinland den Rücken, um in München - auf Wunsch seines Vaters - Rechtswissenschaft zu studieren.
    Recht bald hat Max Schillings in München zum Mittelpunkt der musikalischen Gesellschaft Zugang und die Rechtswissenschaften treten in den Hintergrund. Er lernt den Dirigenten Hermann Levi kennen und bekommt durch diesen die Möglichkeit Proben des Hoftheaters zu besuchen; das Theater-Milieu fasziniert ihn und lässt ihn auch nicht mehr los.


    Aber Max denkt auch zurück an Gürzenich und an seine Base Carola Peill aus Römlinghoven (heute ein Stadtteil von Königswinter) Carolas Mutter wird als seltsam eigenwillige Frau beschrieben und ist die Schwester von Max Schillings Vater, eine hochgebildete Dame, die zudem noch mit Reichtum gesegnet ist. Max und Carola heiraten im Spätherbst 1891. Die Eheleute übersiedeln nun endgültig nach München, wo die gastfreie Häuslichkeit des jungen Paares zum Treffpunkt der Besten aus Gesellschaft und Künstlerwelt wird. Daneben reist man viel, ist mal im Süden, dann wieder im Rheinland und bei all dem reift der Gedanke, mal größere Kompositionen in Angriff zu nehmen, vielleicht eine Oper.
    Allerdings werden diese Gedanken zunächst hintenan gestellt, weil Max Schillings Zugang zu Cosima Wagner findet, die ihn 1892 als musikalischen Assistenten von Hermann Levi nach Bayreuth holt. Dort erhält der junge Musiker tiefe Einblicke in die Sitten und Gebräuche des Theaters, die ihm später zugutekommen; ein wesentlicher Gewinn ist für ihn auch die Begegnung mit Felix Mottl und die freundschaftliche Annäherung zu Cosima Wagner, der hochrespektierten Gralshüterin von Bayreuth, die Schillings dann für längere Zeit nach Bayreuth holen wollte, was dieser - seiner Frau zuliebe - jedoch ausschlug. Cosima Wagner verfolgte dennoch äußerst wohlwollend Schillings musikalischen Weg, aber als in München das Prinzregententheater gebaut wurde, trug man der Wagner-Witwe zu, dass Schillings den Bau befürwortend begleitet hatte, für sie war die Errichtung der Theaters in München »ein Diebstahl und ein Frevel!«; eine weitere Verbindung zu Bayreuth war für Schillings damit ausgeschlossen.


    In München war Schillings aber auch mit dem Grafen Ferdinand von Sporck bekannt geworden, der dann später die Texte zu einigen Opernkompositionen für Schillings fertigte. Auch dem Herrn Grafen wurde von Cosima Wagner brieflich die Freundschaft gekündigt, aber das ist wieder eine andere Geschichte ...
    Der unselige Biograf Wilhelm Raupp ließ kein gutes Haar an dem gräflichen Dichter und spricht von »dem Hersteller einer Anzahl spottschlechter Operntexte, die ihren Komponisten von Anfang an Misserfolge verbürgten«.
    Dessen ungeachtet wurde Schillings erste Oper »Ingwelde« am 13. November 1894 mit großem Erfolg unter der Stabführung von Felix Mottl und mit großartiger Besetzung der Hauptrollen, in Karlsruhe uraufgeführt.


    Zur Uraufführung waren viele auswärtige Autoritäten der musikalischen Kritik, der Bühne und der Literatur angereist; auch der siebzigjährige Vater Schillings wird noch Zeuge der festlichen Würdigung seines Sohnes. Die Karlsruher Zeitung nannte die Uraufführung eine bedeutsame künstlerische Tat: »Ingwelde, eines der genialsten Erstlingswerke und das erste wirklich originelle und bedeutsame Musikdrama der Wagner-Schule«.
    Mottl war davon überzeugt, den begabtesten Komponisten der Wagner-Nachfolge entdeckt zu haben. Auch viele andere Musikkenner hielten damals Schillings für vielversprechender als den um vier Jahre älteren Richard Strauss, der zu diesem Zeitpunkt seine großen Erfolgsopern - »Salome«, »Elektra«, »Der Rosenkavalier« ... - noch nicht komponiert hatte.
    Seine Majestät Kaiser Wilhelm II. war dagegen nicht begeistert, er hatte »Ingwelde« in Wiesbaden erlebt und im Gespräch mit Richard Strauss gesagt:»Das ist eine Musik, gegen die man mit aller Energie Front machen muss!«. Diese kaiserliche Empfehlung befolgte Strauss nicht, sondern förderte das Werk seines Freundes nach Kräften.


    1899, nach der Schweriner Uraufführung seiner heiteren Oper »Der Pfeifertag«, galt Schillings nach den Worten der führenden Fachzeitschrift »Allgemeine Musikzeitung« weitgehend als »augenblicklich wohl das bemerkenswertheste und eigenartigste musikalisch-dramatische Talent«.
    Seine dritte Oper »Moloch«, eine musikalische Tragödie, wurde am 8. Dezember 1906 an der Dresdner Hofoper uraufgeführt.


    Natürlich schuf Schillings auch Orchesterwerke, Streichquartette, Klavierstücke, Lieder und Melodramen, wobei das berühmte Stück »Das Hexenlied«, mit dem er durch die Lande zog, einen besonderen Platz in seinem künstlerischen Schaffen einnimmt.
    Es war für ihn etwas schwierig, die Einwilligung des Dichters Ernst von Wildenbruch, dessen glühender Verehrer er war, zu bekommen. Noch im Januar 1902 war Wildenbruch der Meinung, dass sein Gedicht durch Schillings Veränderungen verliert, gab dann jedoch nach, sodass Schillings mit der Komposition begann, Skizzen dazu hatte er schon früher gefertigt.
    Als der Komponist dann sein Werk Wildenbruch übersandte, schrieb dieser postwendend zurück: »Auf die Vorschläge, die mir heute von Ihnen zugehen, muss ich mich leider kurz fassen: sie sind unannehmbar!« Dem folgte ein längeres Hin und Her; am Ende ist Wildenbruch von dem Werk begeistert, als er es im August 1902 empfängt. Im Rahmen eines Akademiekonzertes wird »Das Hexenlied« in München uraufgeführt. die Sprechkunst Ernst von Possarts lässt die düstere Ballade in schauerlicher Lebendigkeit erstehen; der Komponist selbst sitzt am Flügel - es wird überliefert, dass es ein starker Erfolg war.


    Zu dieser Zeit unterstützte Schillings beratend den um fünf Jahre jüngeren Max Reger und man sprach bis in die 1930er Jahre von der »Münchner Schule«, resultierend aus der Freundschaft von Max Schillings, Richard Strauss und Ludwig Thuille. Auch zu dem fast gleichaltrigen Hans Pfitzner pflegte Schillings einen guten Kontakt.

     
    Schließlich war Schillings auch noch als Dirigent und Theaterleiter gefordert. 1908 ging er ans Hoftheater nach Stuttgart, wo er zunächst als musikalischer Assistent tätig war, aber bald begleitete er bis 1918 das Amt des Generalmusikdirektors und führte das Königliche Hoftheater in eine Blütezeit, was von König Wilhelm II. von Württemberg mit dem Adelstitel belohnt wurde und Schillings also zukünftig als Max von Schillings in Erscheinung trat, was durchaus zu seinen aristokratischen Habitus passte; ein Jahr vorher war er bereits mit der Ehrendoktorwürde der Universität Heidelberg ausgezeichnet worden. Von 1910 bis 1920 war er zudem Präsident des Allgemeinen Deutschen Musikvereins.


    Die Entstehung seiner erfolgreichsten Oper - »Mona Lisa« fiel in unruhige Zeiten und hatte eine längere Zeit der Vorbereitung. Der Komponist tat sich mit der österreichischen Dichterin Beatrice von Dovsky zusammen. die ihm zunächst einen anderen Stoff, nämlich die Story der »Lady Godiva« schmackhaft zu machen versuchte, aber die Sache wollte von Schillings Seite nicht so recht in Fahrt kommen. Nun übersandte Beatrice von Dovsky ein Buch mit dem Titel »Mona Lisa« und der Bitte, ihr bei der Suche nach einem Verleger behilflich zu sein und seine Meinung zu dem Werk kundzutun.
    Schillings Interesse an der Geschichte steigert sich von Blatt zu Blatt und er reist zu der Dichterin nach Wien; zwischen seiner Reise nach Wien und der Beginn der Komposition liegt ein Zeitraum von zwei Monaten, man schrieb das Jahr 1913. Die Librettistin war mit dem Stoff nahe am Puls der Zeit, denn Leonardo da Vincis berühmtes Werk war zwei Jahre zuvor gestohlen worden, sogar Pablo Picasso war in den Fall involviert, da war großes öffentliches Interesse.
    Max von Schillings zog sich nach Ende der Spielzeit nach Gürzenich zurück, in den Park seiner Kindheit, wo sich einst seine Mutter ein kleines, romantisch verträumtes Häuschen hatte bauen lassen. Für sechs Wochen zog er sich nun in das »Tempelchen« zurück, dann war »Mona Lisa« in der Skizze vollkommen auskomponiert, was schon Mitte September in der Wiener Presse zu lesen ist.


    Die Dichterin drängt, aber nun legt der Komponist mit der Instrumentationsarbeit keine Eile an den Tag. Als in Sarajewo Schüsse fallen, ergibt sich plötzlich eine andere Situation. Als der Kanonendonner von Belgien nach Gürzenich herüberdrang, fuhr er mit seinem Sohn Erich unverzüglich nach Aachen, wo sich beide als Freiwillige zum Automobilkorps meldeten. Der Theaterdirektor selbst stellte sich mit seinem Auto dem Sanitätskorps zur Verfügung und schafft Verwundete aus Lüttich nach Hause. Aber Schillings treibt sich nicht nur in der Etappe herum, sondern schafft auch Schwerverletzte aus den Gräben an der Westfront. In den Kampfpausen vollendet er im Herbst 1914 die Partitur der »Mona Lisa«. Als Orte der Uraufführung sind New York, Stuttgart, Dresden und Frankfurt am Main im Gespräch, schließlich geht »Mona Lisa« erstmals am 26. September 1915 in Stuttgart über die Bühne.
    In Wien hat Maria Jeritza mit der neuen Oper Erfolg und in Berlin die wunderbar gestaltende Sängerin Barbara Kemp. Die »Deutsche Tonkünstlerzeitung« schreibt:
    »Die ›Mona Lisa‹ ist ein vollkommenes Werk, adelig im Gehalt, hochmeisterlich in der Ausformung. Wir haben an der ›Mona Lisa‹ nicht weniger als ein klassisches Opernwerk gewonnen, das fest im Spielplan der deutschen Musikbühnen ankern wird!«


    Mit »Mona Lisa« endet das Opernschaffen Max von Schillings, aber auch in seinem privaten ändert sich einiges. Schon im Februar 1912 war in der »Oberkasseler Zeitung« ein Artikel des Königlich-Preußischen Kommerzienrats Conrad Albert Ursprung erschienen, in welchem dieser behauptete, dass der Stuttgarter Generalmusikdirektor Max Schillings gemeinsam mit seiner ihm angetrauten Cousine Caroline seit rund sechs Monaten seine Schwiegermutter und Tante Wilhelmine Peill-Schillings »unberechtigt und eigensüchtig in der Privatirrenanstalt des Sanitätsrats Dr. von Ehrenwall in Ahrweiler eingesperrt halte«. Eine solche Meldung aus der Privatsphäre, in aller Öffentlichkeit zu sehen, war natürlich peinlich.
    In den folgenden Jahren kriselte es auch in Schillings Ehe, aus der er sich lösen wollte, wobei Frau Caroline diese Verbindung als unauflöslich - das Paar hatte drei Kinder - betrachtete und keineswegs gewillt war in eine Scheidung einzuwilligen; es folgte ein viele Jahre währender und für beide Seiten schwerer Kampf.
    An der Berliner Hofoper hatte ihn die erste Berliner »Mona Lisa« mit ihrer einzigartig üppigen Stimme und bezwingender Darstellungskunst überwältigt. Die Entscheidung fiel 1916, als er mit der Sängerin, die zur Erholung in Bayern weilte, in Garmisch zusammentraf und bei Strauss angefragt hatte: »Würde es Dir angenehm sein, wenn ich heute zu Dir käme? Mit mir würde gern Frau Barbara Kemp Dich begrüßen, die morgen zur ›Afrikanerin‹ zurück muss, nachdem sie sich im Stillen hier etwas erholt hat«.
    Barbara Kemp hatte als Sängerin einige Meriten erworben; schon 1914 sang sie bei den Bayreuther Festspielen die Senta im »Fliegenden Holländer« und in den 1920er Jahren die Kundry im »Parsifal«.
    Diese Affäre sprach sich rasch herum und war auch Gegenstand von Betrachtungen am Stuttgarter Opernhaus, sodass Intendant Putlitz bei Schillings anfragte, ob er nächsten Winter noch mit ihm rechnen könne. 1918 beendete Schillings seine Tätigkeit in Stuttgart und war ab 1919 bis 1925 Intendant der Preußischen Staatsoper Unter den Linden in Berlin.
    Nach mehr als drei Jahrzehnte währender Ehe folgte 1923 die Scheidung von Carola und noch im gleichen Jahr heiratete Schillings die aus Cochem an der Mosel stammende Sopranistin Barbara Kemp; wer damals in tragenden Rollen an diesem Theater auf der Bühne stand, musste gut bei Stimme sein, Barbara Kemp war eine starke Persönlichkeit; sie sang auch die amerikanische Premiere, als »Mona Lisa« am 1. März 1923 an der Metropolitan Opera in New York aufgeführt wurde und war dort auch in einigen großen Wagner-Partien zu hören, hatte jedoch in USA keinen dauerhaften Erfolg. 1932 beendete sie ihre Gesangskarriere und war danach eine erfolgreiche Regisseurin der Opern ihres Gatten nach dessen Tod.


    Unumstritten war Schillings Intendantenposten in Berlin nicht; da gab es böses Blut, weil sich der Eindruck aufdrängte, dass die einflussreiche neue Gattin des Intendanten im Hintergrund die Fäden gezogen hatte. Es ist wohl grundsätzlich schwer so ein Haus zu leiten, aber als besondere Beschwernis kam die eigenartige Wirtschaftslage hinzu, welche Auswüchse dergestalt zeitigte, dass man für eine Eintrittskarte zum Besuch der Lindenoper dreistellige Milliardenbeträge ausgeben musste.


    Einerseits konnte Schillings nicht jedem Urlaubsgesuch seiner berühmten Ensemblemitglieder stattgeben, andererseits strebten diese zu Auslandsgastspielen, um sich dort harte Währung zu ersingen. Susanne Geißler formulierte die Berliner Situation treffend einmal so: »Der undiplomatische Schillings setzte sich mit seiner Intendanz zwischen alle Stühle«.
    Schillings bezichtigte das Kultusministerium der Einmischung in die Angelegenheiten seiner Oper, und das Ministerium sah in ihm einen Störer; 1925 folgte die Entlassung, nach ihm kam dann der weit diplomatischere Heinz Tietjen, der zwar auch zwischen allen Stühlen saß, aber damit recht elegant umzugehen wusste.


    1924 bis 1932 leitete Max von Schillings die Festspiele der Waldoper Zoppot und war 1926 Generalmusikdirektor in Riga. In diesen Jahren ist er aber auch als Gastdirigent in Europa und Amerika unterwegs.
    Mit den neueren kulturellen Bewegungen und den politischen Verhältnissen konnte er sich nicht anfreunden; Max von Schillings war ein erklärter Gegner der Weimarer Republik und Antisemit. Als die Politik dann eine andere Richtung nahm, muss das für ihn ein recht positives Signal gewesen sein, denn im April 1933 trat er in die NSDAP ein. Schon 1932 löste Schillings den langjährigen Präsidenten der Preußischen Akademie der Künste, Max Liebermann, ab, der zwar zum Ehrenpräsidenten gemacht wurde, aber die neue Richtung konsequent ablehnte und im Mai 1933 aus der Akademie austrat.
    Zahlreiche namhafte Künstler verließen in dieser Zeit die Akademie und Schillings betrieb auch die Entlassung seiner Fachkollegen Arnold Schönberg und Franz Schreker.
    Schließlich hatte er Verbindungen nach ganz oben und beriet noch im Juni 1933, zusammen mit anderen, Adolf Hitler bezüglich von Kunstwerken, die von den neuen Machthabern als »entartet« eingestuft wurden.


    Zu einer Abreise nach Zoppot kommt es im Sommer 1933 nicht mehr, Schillings körperliche Beschwerden sind so besorgniserregend, dass man telegrafisch Robert Heger nach Zoppot bestellt.
    1933 war noch - wenige Tage vor seinem Tod - eine Tonaufnahme von Schillings Melodram »Das Hexenlied« mit den Berliner Philharmonikern und dem mit großem Pathos vortragenden 74-jährigen Wüllner entstanden. Die ärztliche Diagnose ist niederschmetternd, unheilbarer Krebs, aber man verschweigt dem Kranken den wahren Sachverhalt und rät zu einer Operation. Da ist auch Professor Sauerbruch machtlos.


    Wilhelm Raupp hatte kurz nach von Schillings Tod eine 304-seitige - heute schwer zu lesende - Biografie über den Komponisten, Dirigenten und Theaterintendant geschrieben, die ganz im Sinne der damaligen Staatsführung war, die Schilderung der Totenfeier sei hier zitiert:


    »Am 27. Juli versammeln sich die Mitglieder der Akademie der Künste zur Gedenkfeier. Um die Mittagszeit wird die sterbliche Hülle Max von Schillings´ den Flammen übergeben. Unter der Kuppel des Krematoriums in Wilmersdorf ruht der Katafalk, flankiert von Ehrenwachen der SA und der SS. Den Weg von der Straße bis zur Halle säumen die Erzgestalten der SS. Wie aus weltfernen Höhen erklingt ein langsamer Streichquartettsatz, Gerhard Hüsch sendet dem Verewigten klagende Weisen nach. Ludwig Wüllner, der dem ›Hexenlied‹ bis in sein biblisches Alter unerreichbarer Ausdeuter war, nimmt erschüttert Abschied. Über dem hinabgleitenden Sarg senken sich die umflorten Fahnen des Dritten Reiches«
    .

    Praktischer Hinweis:
    Der Haupteingang befindet sich an der Eckenheimer Landstraße 194, 60320 Frankfurt am Main. Direkt zum Gruftenweg kommt man am Ein- und Ausgang an der Rat-Beil-Straße.


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    Auf dieser CD befinden sich außer dem »Hexenlied« auch Ausschnitte aus den Opern »Pfeifertag«, »Moloch« und »Mona Lisa«, die von Barbara Kemp und dem Tenor Josef Mann gesungen werden.

  • Lieber hart,


    mit Freuden stelle ich fest, dass du dich durch eine so sinnbefreite Aussage, wie jener in #756 nicht aus der Reserve locken lässt.


    Wie kann man so eine völlig aus dem Zusammenhang gerissene, unpassend politisierende und polemische Äußerung an dieser Stelle im Forum platzieren? Ein Jahr nach dem Beitrag! Und was will man damit erreichen? Moralisieren? Provozieren?


    Vielmehr erfreust du, lieber hart, uns wieder mit einem Porträt einer weiteren hochinteressanten Persönlichkeit.

    Lieber 'hart',


    dieser 'Thread' ist wie eine wunderschöne Blume, die im Verborgenen blüht. Ich lese Deine äusserst informativen und sehr lebendig geschriebenen Aufsätze - die uns die heute etwas 'entrückten' Musiker-Persönlichkeiten früherer Zeiten nahe bringen - stets mit großer Freude.


    Natürlich habe ich auch den mehrfach preisgekrönten Film "Die Gezeichneten" von Fred Zinnemann (1948) mit der ergreifenden Darstellung des kleinen Ivan Jandl neben Montgomery Clift (Oscar als bester Hauptdarsteller) und mit einer eindrucksvollen Jarmila Novotná als Mutter auf der Suche nach ihrem Kind im zerstörten Nachkriegsdeutschland.

    So kann ich mich wieder einmal nur dem anschließen, was Carlo so schön ausgedrückt hat. Und zu Jamila Novotna und "Die Gezeichneten" möchte ich noch sagen, dass sie in diesem Film im Rahmen einer familiären Hausmusik auch singt. Und ironischerweise gehört das zu den am wenigsten beeindruckenden Stellen dieses Films.


    Leider hat "Monty" gar keinen Oscar gewonnen, er war nur viermal nominiert, z.B. für diesen Film.


  • Nach mehr als drei Jahrzehnte währender Ehe folgte 1923 die Scheidung von Carola und noch im gleichen Jahr heiratete Schillings die aus Cochem an der Mosel stammende Sopranistin Barbara Kemp; wer damals in tragenden Rollen an diesem Theater auf der Bühne stand, musste gut bei Stimme sein, Barbara Kemp war eine starke Persönlichkeit; sie sang auch die amerikanische Premiere, als »Mona Lisa« am 1. März 1923 an der Metropolitan Opera in New York aufgeführt wurde und war dort auch in einigen großen Wagner-Partien zu hören, hatte jedoch in USA keinen dauerhaften Erfolg. 1932 beendete sie ihre Gesangskarriere und war danach eine erfolgreiche Regisseurin der Opern ihres Gatten nach dessen Tod.

    Barbara Kemp starb am 17. April 1959 in Berlin und wurde auf dem Kirchhof an der St. Annen-Kirche in Berlin-Dahlem, Königin-Luise-Str. 55, beigesetzt. Leider existiert ihre Grabstätte nicht mehr.

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  • Nachtrag zu Jarmila Novotná (Beiträge Nrn. 749, 750 und 759):



    Lieber 'greghauser2002',


    Du hast Recht, den 'Oscar' als bester männlicher Hauptdarsteller gewann 1949 Laurence Olivier für seinen „Hamlet“-Film (Ehre, wem Ehre gebührt!); Montgomery Clift - „Die Gezeichneten“ ('The Search') war sein Film-Debüt – war nur nominiert.


    Ivan Jandl, der als Zehnjähriger den kleinen Karel spielte, erhielt 1949 einen 'Ehren-Oscar' und auch einen 'Ehren-Golden Globe' als bester Nachwuchsdarsteller; er durfte aber nicht die CSSR verlassen, um die Preise persönlich entgegen zu nehmen. Die Aussenaufnahmen des Films entstanden im Sommer 1947 im kriegszerstörten Nürnberg; die Anfangs- und die Schluss-Szene wurde im ausgebrannten Hauptbahnhof von Ingolstadt gedreht, während die Innenaufnahmen später in Zürich gemacht wurden.


    Dass Jarmila Novotná im Film auch singt – bei der Hausmusik der kleinen Familie Malik – war mir gar nicht mehr bewusst. Ich werde mir das Video mit diesem berührenden (und in seiner Thematik hoch aktuellen) Film demnächst wieder anschauen.


    Carlo

  • Sieglinde Wagner - * 21. April 1921 Linz - † 31. Dezember 2003 Berlin


    Zum heutigen 100. Geburtstag von Sieglinde Wagner


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    Sieglinde Wagner wurde am Konservatorium in Linz an der Donau ausgebildet und studierte dann noch bei Luise Willer und Carl Hartmann in München. Sie debütierte in der Kriegszeit schon 1942 am Landestheater in Linz als Erda im »Rheingold«. Danach setzte sie ihr Studium an der Münchner Musikhochschule fort.
    Das Große Sängerlexikon führt aus: »1947 wurde sie an die Wiener Volksoper verpflichtet, der sie bis 1952 angehörte.«
    Wirft man jedoch einen Blick ins Archiv der Wiener Staatsoper, stellt man fest, dass Sieglinde Wagner dort schon im November 1946 als Mercédés in »Carmen« auf den Brettern stand, aber natürlich nicht in dem Opernhaus von heute, sondern im Ausweichquartier, dem Gebäude der Volksoper. Tatsächlich sind hier von 1946 bis 1952 beachtliche 469 Auftritte in dreißig verschiedenen Stücken registriert, allerdings nicht in tragenden Rollen, sondern - um Beispiele zu nennen, welche die große Zahl der Auftritte erklären - 57 Mal als Phyllis in »Orpheus in der Unterwelt« oder 69 Mal als Piroska oder Czipra im »Zigeunerbaron«.


    Ab der Spielzeit 1952 gehörte sie zum Ensemble der Städtischen Oper Berlin; dass sie aus Österreich kam versteckte sie beim Reden nicht. Aus der Städtischen Oper wurde später das Deutsche Opernhaus Berlin; in ihrem ersten Berliner Auftritt sang sie die Rolle der Maddalena in »Rigoletto«.
    Zu dieser Zeit wurde an den Opernhäusern noch der Ensemblegedanke hochgehalten, natürlich auch in Berlin, wo zum Beispiel Sieglinde Wagner und Elisabeth Grümmer - in einer Inszenierung von Carl Ebert - ein hörenswertes Schwesternpaar in »Cosi fan tutte« sangen. Aber auch in der Oper »Carmen« war Sieglinde Wagner schon im Dezember 1952 auf der Berliner Bühne zu hören, jedoch nicht als Mercédés, wie noch in Wien, in Berlin hatte man ihr die Titelpartie anvertraut. In den 1950er Jahren entstand auch mit dem Dirigenten Wilhelm Schüchter ein »Carmen«-Querschnitt, wo neben Sieglinde Wagner als Carmen, Rudolf Schock, Josef Metternich, Anny Schlemm und Lisa Otto die wichtigsten Szenen zu Gehör bringen.


    Aber Sieglinde Wagner, die unter vielen berühmten Dirigenten sang, machte sich auch außerhalb Wiens einen Namen bei diversen hochrangigen Festspielen und gastierte an berühmten Häusern. So musizierte sie bereits 1949 unter Wilhelm Furtwängler bei den Salzburger Festspielen; bei einer Aufführung von Beethovens 9. Symphonie, sang sie zusammen mit Irmgard Seefried, Anton Dermota und Josef Greindl. Bei einer Aufführung der »Zauberflöte« wirkte sie als zweite Dame mit; Josef Greinndl gab damals den Serastro, Wilma Lipp war die Königin der Nacht und Walter Ludwig sang den Tamino - Sieglinde Wagner war also schon damals in Tuchfühlung mit ganz großen Namen. So auch ein Jahr später, im März 1950, an der Scala in Mailand bei »Der Ring des Nibelungen« als Flosshilde neben den großen Namen von Kirsten Flagstad, Max Lorenz, Ferdinand Frantz ...
    Bei der Salzburger Uraufführung von Boris Blachers Kammeroper »Romeo und Julia«, am 9. August 1950, war Sieglinde Wagner auch die Darstellerin der Lady Capulet und bei den Festspielen1952, wo die kriegsbedingt verschobene Uraufführung der Strauss-Oper »Die Liebe der Danae« stattfand, war sie als Leda dabei. Und auch 1959 sowie 1961 ist Sieglinde Wagner in Salzburg bei den Uraufführungen der Opern »Julietta« von Heimo Erbse und »Das Bergwerk zu Falun« von Wagner-Régeny in Erscheinung getreten. Auf CD gibt es einen Salzburger Aufnahmemitschnitt von »Julietta« vom 17.08.1959.


    Bei den Festspielen in Bayreuth war Sieglinde Wagner dann von 1962 bis 1973 in unterschiedlichen Rollen beteiligt und sang auch in Edinburgh und Glyndebourne.
    Aber sie blieb beachtliche 34 Jahre lang am Deutschen Opernhaus in Berlin; 1963 wurde ihr vom Berliner Senat der Titel einer Kammersängerin verliehen. Man hörte sie auch bei selten gespielten Stücken wie zum Beispiel Georg Friedrich Händels Oratorium »Belsazar«, wo sie als Cyrus in der Spielzeit 1959 / 1960 eine gute Figur machte. Als Konzertsängerin gestaltete Sieglinde Wagner Liederabende und war eine anerkannte Interpretin der Werke von Johann Sebastian Bach, wovon noch Tondokumente existieren.


    Klaus Geitel hat in DIE WELT in seinem Nachruf das Berliner Wirken von Sieglinde Wagner recht treffend beschrieben; unter anderem heißt es hier:


    »Sieglinde Wagner war eine Unentbehrlichkeit, und bezaubernd kollegial war sie noch dazu. Alle Divahaftigkeit lag Ihr fern. Sie war eine Dienerin der Musik auf die lauterste Art, stets zur Stelle, gut gelaunt, hilfsbereit, ob nun vorn an der Rampe, wie als Dorabella in der unvergesslichen »Cosi fan tutte«, die Carl Ebert und Jean-Pierre Ponelle mit heiter vereinten Kräften ausrichteten, stimmluxuriös assistiert dabei von Elisabeth Grümmer, der köstlichen Lisa Otto, Ernst Haefliger und Josef Greindl - das war noch hausgemacht Berliner Oper«.


    Sieglinde Wagner starb am Silvestertag 2003 in einem Berliner Krankenhaus, auf dem Kirchhof Nikolassee in Berlin fand sie ihre letzte Ruhe.


    Praktischer Hinweis:
    Der Evangelische Kirchhof Nikolassee befindet sich im Berliner Ortsteil Nikolassee östlich des Kirchweges. Der Friedhofseingang befindet gegenüber der Kirche, das Grab befindet sich im Feld E ganz in der Nähe der Kirchhof-Kapelle.


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    Der Eingang zum Kirchhof

  • Max von Schillings - *19. April 1868 Düren (Rheinland) - † 24. Juli 1933 Berlin

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    Lieber hart, liebe Leser dieses Beitrages, das Krematorium, in dem Max von Schillings 1933 verbrannt wurde, gibt es noch. Es liegt fußläufig von meiner Wohnung in Berlin-Wilmersdorf, wird aber seit 1990 nicht mehr als solches genutzt. Nur die Trauerhalle, in der der Komponist unter viel Aufhebens der Nationalsozialisten aufgebahrt gewesen ist, dient noch ihrem ursprünglichen Zweck. So ist man voller Gedanken bei regelmnäßigen Spaziergängen über das Gelände und den sich anschließenden Friedhof.


    Wilhelm Raupp hatte kurz nach von Schillings Tod eine 304-seitige - heute schwer zu lesende - Biografie über den Komponisten, Dirigenten und Theaterintendant geschrieben, ...

    Inzwischen habe ich mir dieses Buch kommen lassen. Man sollte, wie ich finde, auch solche Quellen lesen. Ich finde immer Bemerkungen von fremder Hand in alten Büchern. Auf dem Vorsatz schreibt ein gewisser Dieter Frobeen: "Meinem Jungen zum Wiedersehen am 15. VIII. 1942 in Kassel". Das Buch macht durchaus einen gelesenen, wenn auch sehr gepflegten Eindruck. Was mag einen Vater bewogen haben, ausgerechnet dieses Buch zu verschenken?

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Antonín Dvořák - * 8. September 1841 Nelahozeves - † 1. Mai 1904 Prag


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    Zum heutigen Todestag von Antonín Dvořák


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    František Dvořák wurde im Alter von 27 Jahren Vater, seine fünf Jahre jüngere Ehefrau Anna hatte ihr erstes Kind, den Knaben Antonìn, geboren, dem im Laufe der Jahre noch eine wachsende Zahl von Brüdern und Schwestern folgten.
    František Dvořák übernahm von seinem Vater die Metzgerei des Dorfes und pachtete die Dorfgaststätte dazu. Antonin war noch im Säuglingsalter als die Gaststätte abbrannte; einige Jahre später wurde der Pachtvertrag nicht verlängert; wohlhabend war die Familie nicht, man kann von kärglichen Verhältnissen sprechen.
    Das heutige Nelahozeves hieß zu Zeiten der Habsburger Monarchie noch Mühlhausen. Das kleine böhmische Dorf an der Moldau hatte damals knapp fünfzig Häuser, welche von etwa fünfhundert Einwohnern bewohnt waren, im Haus Nr. 12 wurde Antonìn geboren.


    Antonín wuchs in eine Zeit des erwachenden tschechischen Nationalbewusstseins und großer technischer Fortschritte hinein. Man muss hier unbedingt erwähnen, dass ab 1845 eine durchgehende Eisenbahnstrecke von Berlin nach Wien gebaut wurde und die Strecke Dresden - Prag nahe dem Wohnort Antonins vorbeiführte; dies ist wichtig, um zu erklären, dass der spätere Komponist ein lebenslanges Faible für Eisenbahn und Fahrpläne hatte.


    Dass man in Böhmen mit Musik aufwuchs war nicht ungewöhnlich, Musik gehörte zum täglichen Leben. Antonis Vater soll ein ganz passabler Zitherspieler gewesen sein; da er ein Gasthaus betrieb, ist es naheliegend, dass nicht nur im Kreis der Familie musiziert wurde. Neben Volksliedern und Tanzmusik ist auch noch die Kirchenmusik zu nennen.
    Dieses musikalische Milieu hatte Dvořák 1885 in einem Interview mit der »Sunday Times« in London mal so beschrieben:
    »Alle Slaven lieben die Musik. Mögen sie auch den ganzen Tag auf den Feldern arbeiten, so singen sie doch stets ... Und wie sie den Tanz lieben! Am Sonntag, wenn die Kirche vorüber ist, beginnen sie mit ihrer Musik und ihrem Tanzen, was oft ohne Pause bis zum nächsten Morgen dauert ...«.


    1847 kam Antonìn in die einzige Schule am Ort, wo der Lehrer auch gleichzeitig Kantor der Dorfkirche war. Bei diesem Lehrer lernte der Junge das Geigenspiel, welches er nach einiger Zeit so gut beherrschte, dass er in der Dorfkapelle mitspielen durfte und auch in der Kirche sein erstes Geigensolo spielte, was ihm die allgemeine Bewunderung im Dorf einbrachte.
    Ende Juli 1853 - er hatte sein zwölftes Lebensjahr noch nicht vollendet - beendete er seine Schulzeit im Dorf, um dann in die Obhut seines Onkels, dem Bruder seines Vaters, ins fünfzehn Kilometer vom Heimatort entfernte Slonitz (heute Zlonice) überzusiedeln. Ob er dort nach alter Familientradition eine Metzgerlehre absolvierte ist wissenschaftlich umstritten; der tschechische Musikwissenschaftler Jarmil Burghauser ist der Meinung, dass es sich bei einem mal kurzfristig aufgetauchten Gesellenbrief um eine plumpe Fälschung handelt.
    Die Vermutung liegt nahe, dass Antoníns Eltern ihren ältesten Sprössling zum Onkel schickten, weil an diesem Ort die Möglichkeit bestand die deutsche Sprache zu lernen, was damals die Voraussetzung war, um ein Studium zu beginnen.
    In Zlonice hatte Antonín in dem Lehrer Antonín Liehmann nicht nur einen Deutschlehrer; Liehmann war gleichzeitig Kantor, Organist, Kapellmeister und Komponist, der als Musiker einen ausgezeichneten Ruf hatte. Diesbezüglich war der junge Dvořák zwar an eine gute Adresse gelangt, aber Liehmanns pädagogische Methoden waren rustikal, wer etwas nicht spielen konnte, bekam so viele Rippenstöße, als Noten auf dem Papier standen. Dessen ungeachtet setzte Dvořák später in seiner Oper »Der Jakobiner« dem Lehrer ein musikalisches Denkmal.


    Bei allen Qualitäten Liehmanns als Musiker, mit der deutschen Sprache ging es nicht so recht voran, weshalb die Eltern 1856 beschlossen, ihren Sohn nach Böhmisch-Kamnitz zu schicken, das damals etwas über dreitausend Einwohner hatte, die fast alle Deutsch sprachen. Eine kleine Bemerkung zu dem Ort: auch Christoph Willibald Gluck lebte als Kind mal für kurze Zeit in diesem Städtchen. Antonín Dvořák besuchte hier die dritte Klasse der Stadtschule.


    Als fast Sechszehnjähriger kehrte er zunächst ins Elternhaus zurück, allerdings nur zu dem Zweck, um sich von dort nach Prag zu begeben, wo er an der Orgelschule eine Ausbildung zum Musiker anstrebte. Heutzutage bewältigt man die Strecke Nelahozeves-Prag in etwa einer halben Stunde; damals wurde das Gepäck auf einen Leiterwagen verstaut, dann machten sich Vater und Sohn zu Fuß auf den Weg. Prag hatte damals etwa 100.000 Einwohner und besaß eine 1830 gegründete Orgelschule. Diese Schule hatte zwar einen guten Ruf, war jedoch in einer schlichten Bürgerwohnung mit vier Räumen untergebracht, wobei einer der relativ kleinen Räume die Behausung des Schuldieners war.


    Am Ende der zweijährigen Ausbildung stand ein öffentliches Prüfungskonzert, das am 30. Juli 1859 von einem Dutzend Prüflingen absolviert wurde, wobei Dvořák als Zweitbester abschnitt. Das Zeugnis war an sich hervorragend formuliert, aber der Musikschuldirektor fügte den sehr guten Einzelbewertungen noch hinzu: »Vorzügliches, doch fast mehr praktisches Talent. Praktisches Wissen und Können scheinen sein ganzes Streben zu sein; in der Theorie leistet er weniger«.
    Die Zeit in Prag nutze Dvořák, um sein Deutsch zu verbessern, also besuchte er neben der Orgelschule auch noch eine allgemeine Stadtschule. Zudem versuchte er aktiv im Prager Musikleben Fuß zu fassen; er trat in den Cäcilienverein ein, wo der 42-jährige Anton Apt Leiter eines Orchesters war, das immerhin mit 54 Streichern besetzt war. Dort wurde wöchentlich geprobt und zweimal im Jahr präsentierte sich das Orchester der Öffentlichkeit.
    In diesem Rahmen hörte Dvořák erstmals Instrumentalwerke Mozarts, Beethovens und Mendelssohns. Er konnte in Prag noch Louis Spohr und Franz Liszt erleben, als diese dort konzertierten und als Bratschist im Orchester des Cäcilienvereins wurde er auch mit der Musik von Richard Wagner und Hector Berlioz vertraut.


    Dvořák konnte nun nicht mehr auf finanzielle Unterstützung der Eltern hoffen, weil diese dazu nicht mehr in der Lage waren. Als er sich 1859 um eine freigewordene Organistenstelle in Prag bewarb, hatte er trotz des guten Zeugnisses keinen Erfolg.
    Zum Zwecke des Gelderwerbs war er gleich nach seiner Prüfung in die Kapelle von Karel Komzák als Bratscher eingetreten; das war eine Truppe von etwa zwanzig Mitgliedern, die in Kaufhäusern und auf Plätzen Tänze, Potpourris und Ouvertüren zum Besten gaben.
    Man kann hier von einer guten Bezahlung sprechen, denn der Jahresverdienst war nahe am Verdienst eines Pfarrers und weit besser als der eines Lehrers.


    In den 1860er Jahren war in Böhmen eine eigene tschechische Kulturszene im Entstehen, was auch für Musiker wie Dvořák Vorteile mit sich brachte. Es wurden Opern in tschechischer Sprache aufgeführt. So wurde auch die Komzák-Kapelle zur Verstärkung bei Theateraufführungen herangezogen, letztendlich spielte Dvořák unter Smetana. Dvořáks Orchesterengagement währte etwa elf Jahre, in denen er die Großen seines Fachs kennenlernen konnte, was seine Entwicklung entsprechend förderte.


    Natürlich hatte Dvořák auch schon komponiert, das war im Kindesalter und ohne jegliche Anleitung; als reifer Musiker bezeichnete er in der Nachschau diesen Versuch als »katastrophal«.


    Dagegen waren seine Kompositionsversuche, die er als Kontrapunkt-Schüler in Prag schrieb schon weit professioneller und als Orchestermitglied schrieb er auch kleinere Stücke für den täglichen Bedarf.
    Sein Qualitätsempfinden sagte ihm, dass da noch mehr zu machen sei, aber er war als Autodidakt auf sich alleine gestellt, so dass er fleißig für den Ofen produzierte. 1861 entstand dann ein Streichquartett, das er akzeptieren konnte und mit »Opus 1« bezeichnete, das allerdings erst sechs Jahrzehnte später seine Uraufführung erlebte. 1865 schrieb er seine erste Symphonie, die unter dem Titel »Die Glocken von Zlonice« bekannt ist und nach wechselvoller Geschichte 1936 in Brünn uraufgeführt wurde.
    Dvořák komponierte mit großem Eifer weiter, quasi im Verborgenen, denn nur seine engsten Freunde wussten, dass er komponierte; es entstanden mehrsätzige Kammermusikwerke, eine weitere Symphonie und sogar eine Oper. In diesen Jahren besaß er weder eine eigene Wohnung, noch ein eigenes Klavier. Dvořák wohnte bei Verwandten und auch mal in so einer Art Wohngemeinschaft. Es wird von häufigen Wohnungswechseln berichtet; der Grund ist wohl darin zu suchen, dass er sich bei nächtlichen Einfällen spontan ans Klavier setzte, ohne Rücksicht auf seine Mitbewohner zu nehmen.


    1871 war in einer Prager Musikzeitschrift erstmals etwas von den kompositorischen Aktivitäten eines Antonín Dvořák zu lesen, der als Orchestermitglied des Interimstheaters an einer Oper schreibt, die von der Direktion des Hauses bereits zur Aufführung angenommen sei. Nachdem Dvořáks Opernerstling »Alfred« noch in der Schublade verschwunden war, hatte es sein zweites Opernwerk »König und Köhler« an die Öffentlichkeit geschafft, aber es wird berichtet, dass das Werk zunächst als »unspielbar« angesehen wurde und erst nach gründlicher Umarbeitung schließlich 1874 auf die Bühne kam; 1887 erfolgte dann noch eine Straffung, aber das Stück gehört zu den selten gespielten Opern. Wobei zu dieser Oper immerhin zu bemerken ist, dass kein Geringerer als Bedřich Smetana die Ouvertüre zu »König und Köhler« bereits im April 1872 bei einem Prager Philharmonischen Konzert dirigierte.
    Von den insgesamt zehn Opernwerken Dvořáks hat sich eigentlich nur sein Spätwerk »Rusalka« die Welt erobert, ein Werk, das auch als »tschechische Undine« bezeichnet wird; ihre Uraufführung war am 31. März 1901 im Nationaltheater Prag.


    Einige Aufmerksamkeit erregte in Prag sein Hymnus für Chor und Orchester »Die Erben des weißen Berges«, op. 30, weil er damit genau den patriotischen Zeitgeist traf. Dieser Erfolg beflügelte ihn in Richtung Selbständigkeit und er gab im Sommer 1871 seine Stelle als Bratscher im Interimstheater auf; nach neun Jahren in einem Opernorchester mochte er nun freier Komponist sein; den notwendigen Lebensunterhalt wollte er sich mit Klavierunterricht verdienen. Das Unterrichten war für ihn nichts Neues, damit hatte er schon Mitte der 1860er Jahre begonnen. Zu den ersten Klavierschülerinnen gehörten zwei der fünf Töchter des wohlhabenden Prager Goldschmiedes Ĉermák, die 16-jährige Josefina und ihre elf Jahre alte Schwester Anna. Der damals 24-jährige Dvořák kannte Josefina vom Theater her, wo sie schon mit fünfzehn ein umjubeltes Debüt hatte. Antonín Dvořák hatte sich in die junge Dame verliebt, aber diese Gefühle wurden nicht erwidert; dennoch resultierte aus diese Begegnung eine lebenslange Freundschaft und dann wurde man sogar miteinander verwandt, Zudem setzte Dvořák in seinen älteren Tagen Josefina ein musikalisches Denkmal, indem er 1894 im langsamen Satz seines Cellokonzerts eine Lieblingsmelodie Josefinas zitierte.


    Die Zeit verging und Josefinas Schwester, Anna Ĉermáková, war nun 19 Jahre alt und hatte sich in den dreizehn Jahre älteren Komponisten verliebt. Dieser Verbindung stand der Brautvater, Goldschmied Ĉermák, zwar reserviert gegenüber, aber er starb bald und das junge Paar heiratete im November 1873 etwas in Eile, weil man schon im April des nächsten Jahres Nachwuchs erwartete; insgesamt wurde dem Paar neun Kinder geboren.
    Kein geringerer als der ewige Junggeselle Brahms lobte Anna in den höchsten Tönen: »als ein Muster von Frau, die alles tut, um ihrem Mann jedes Ungemach des Lebens auf die Seite zu räumen«. Von Verleger Simrock wissen wir, dass Dvořáks Frau sehr musikalisch war und »eine prächtige Mezzosopranstimme« besessen habe, so dass sie in Kirchenkonzerten und bei verschiedenen Uraufführungen von Werken ihres Gatten mitwirkte.


    Antonín Dvořák hatte nun eine Familie zu versorgen und der damaligen Zeit entsprechend, war damit zu rechnen, dass sich die Familie in absehbarer Zeit vergrößert, also mussten Geldquellen erschlossen werden. Antonín Dvořák begann nun noch zusätzlich in einer privaten Musikschule zu unterrichten. Zudem bewarb er sich nun zum zweiten Mal - nachdem sein erster Versuch 1859 gescheitert war - um eine Organistenstelle; diesmal war seine Bewerbung erfolgreich. Für die nächsten drei Jahre war er nun Organist in der Pfarrkirche St. Adalbert. Somit konnten dem Familienbudget ab 1874 jährlich 126 Gulden für den kirchlichen Dienst hinzugefügt werden, etwa 60 Gulden gab es monatlich für das Unterrichten.
    Ein warmer Geldsegen kam aus Wien, wo schon vor Jahren beschlossen worden war, dass mittellose, aber vielversprechende Künstler eine finanzielle Unterstützung erhalten können.
    Eine solche Unterstützung musste entsprechend beantragt werden und dem Antrag waren Arbeitsproben beizufügen. Dvořák fügte fünfzehn seiner Kompositionen bei, darunter auch seine neue 3. Symphonie.
    Die darüber zu beratende Musikkommission bestand aus Eduard Hanslick, Friedrich Herbeck und Otto Dessoff, also allesamt musikalische Autoritäten.
    Die Herren erkannten Dvořáks Talent und gingen dabei näher auf die eingereichten Musikstücke ein; am Schluss bemerkte das Dreiergremium: »Der Bittsteller, welcher bis heute nicht einmal ein eigenes Klavier sich anschaffen konnte, verdient durch ein Stipendium in seiner erdrückenden Lage erleichtert und zu sorgenfreiem Schaffen ermuntert zu werden«.
    Dieses erste Stipendium brachte 400 Gulden in die Familienkasse, natürlich bewarb er sich in den folgenden Jahren wiederum um das Stipendium, so wurden ihm 1776 noch hundert Gulden mehr bewilligt und 1877 wurde das Stipendium sogar auf 600 Gulden erhöht.
    Weitreichende Folgen zeitigten die Klavierstunden und Hausmusiken im Hause des Prager Kaufmanns Neff. Neff sang recht gerne und bat Dvořák etwas Volkstümliches zu komponieren. Diese Neukompositionen wurden unter dem Titel »Klänge aus Mähren« zusammengefasst.
    Inzwischen war Dessoff aus der Wiener Kommission ausgeschieden und Johannes Brahms war an dessen Stelle getreten. Von diesen »Klänge aus Mähren« war Brahms ganz besonders angetan. Und so begnügte sich der damals schon berühmte Brahms nicht mit der abermaligen Gewährung des Stipendiums, sondern empfahl diese neuen Stücke sogleich seinem ebenfalls berühmten Verleger Fritz Simrock in Berlin. Die besondere Brahmssche Wertschätzung wurde Dvořák von Hanslick übermittelt, der empfahl Kontakt mit Johannes Brahms aufzunehmen. Dieser Kontakt erfolgte in Form eines etwas »barocken« Briefes, den Dvořák an Brahms schrieb, man kann schon hier einfügen, dass es letztendlich zu einer lebenslangen Freundschaft zwischen Brahms und Dvořák kam.
    Zwar fanden die »Klänge aus Mähren« auch Simrocks Gefallen, aber es war nun nicht so, dass der Verleger Dvořák unverzüglich mit Geld überschüttete.
    Der Korrespondenz ist zu entnehmen, dass der Verlag einstweilen die Zahlung eines Honorars nicht bewilligen kann; aber es wurde in Aussicht gestellt, dass - sollten die Stücke Anklang finden - eine angemessene Entschädigung gezahlt werden würde


    So vielversprechend die Anerkennung einflussreicher Persönlichkeiten wie Brahms, Simrock und Hanslick in dieser Zeit auch waren - das private Glück hatte die Dvořáks verlassen. Während der ersten drei Jahre ihrer Ehe hatten sie einen Sohn und zwei Töchter, die alle im Kindesalter starben.
    Der jungen Familie war im Sommer 1875 das zweite Kind geboren worden, aber Josefa hatte die Welt schon nach zwei Tagen wieder verlassen und im August 1877 verloren sie Ruzena, ihr drittes, knapp einjähriges Kind, weil es in einem unbeobachteten Augenblick aus einer Flasche Phosphorsäure getrunken hatte, welche im Haushalt in Gebrauch war. Nur wenige Wochen später starb auch das dreieinhalbjährige Söhnchen Otakar an Windpocken, das war am 8. September 1877, dem Geburtstag des Vaters.


    In dieser kaum vorstellbaren, traurigen Situation vollendete Dvořák sein großes Chorwerk »Stabat Mater«, welches aber erst drei Jahre nach Abschluss der Komposition zur Aufführung gelangte.
    Da Brahms in seiner Empfehlung für Dvořák keine Bewegung sah, intervenierte er bei Simrock, aber nun stellte sich heraus, dass er beim Verleger offene Türen einrannte, denn Simrock hatte längst Dvořáks Qualität erkannt. Auf Simrocks Anregung entstanden in wenigen Wochen acht »Slavische Tänze«, die auch sogleich gedruckt wurden und dem Komponisten 300 Mark einbrachten, diese neuen Stücke kamen zusammen mit den »Klänge aus Mähren« im Sommer 1878 heraus. Als der Musikkritiker Louis Ehlert eine Lobeshymne auf Dvořáks Stücke veröffentlichte, war der Name des 37-jährigen Antonín Dvořák im deutschen Sprachraum schnell zu einem Begriff geworden.
    Diese Entwicklung war auch anderen bekannten Verlagen nicht entgangen, aber Simrock mochte seine Entdeckerrolle ausspielen, was ihm auch weitgehend gelang.
    Der Bekanntheitsgrad Dvořáks brachte es nun mit sich, dass er sich übers Jahr mehrmals auf Reisen begab, zum Beispiel nach Berlin und Wien, um Simrock und Brahms endlich persönlich kennenzulernen. Aber er lernte auch viele andere wichtige Leute der Musikszene kennen: Hans Richter, den Dirigenten der Wiener Philharmoniker, Hans von Bülow, Joseph Joachim ... , ja, mit diesem war es ein bisschen mühsam. Aus dem großen Streit zwischen den »Neudeutschen« und »Traditionalisten« wollte er sich möglichst heraushalten.
    Ernster war es mit dem Nationalitätenzank, welcher Spannungen zwischen Tschechen und Deutsch-Böhmen erzeugte; da gab es unter anderem auch Gespräche bezüglich der Schreibweise seines Namens.
    Als 1882 seine Oper »Dimitry« in Prag, Dresden und Hamburg aufgeführt worden war, stellte Kritikerpapst Hanslick fest, dass »Dvořáks musikalische Begabung sich ... viel bedeutender als sein specifisch dramatisches Talent« zeigt.
    Dvořáks finanzielle Situation hatte sich nun soweit gebessert, dass er ab 1879 auf das Wiener Stipendium verzichtete. Nun konnte sich die Familie sogar Sommerferien auf dem Land leisten, bevorzugte Plätze waren da Sychrov und Vysoká, etwa achtzig Kilometer von Prag entfernt. Die Familie bekam sukzessive Nachwuchs; 1878 kam Tochter Otilie zur Welt, 1881 Anna und Magdalena, 1883 Antonín, 1885 Otakar und 1888 schlossen sich Otakar und Aloisie an, die alle das Kindesalter überlebten.


    Anfang 1884 verließ Dvořák erstmals den deutschsprachigen Raum; die Londoner Philharmonic Society hatte ihn eingeladen. Dvořák war von den Londoner Verhältnissen tief beeindruckt, die Größe der erst 1871 eröffneten Royal Albert Hall und die Möglichkeiten des Orchesters faszinierten ihn - 24 erste Geigen, 20 zweite Geigen, 16 Violen, 16 Celli und 16 Kontrabässe und andere Superlative hatte er seinem Vater nach Hause berichtet. Das von ihm hier dirigierte »Stabat Mater« wurde in London mit seiner Oratorientradition begeistert aufgenommen. England war für Dvořák ein künstlerischer und finanzieller Erfolg, denn von hier aus kamen nicht nur Dirigiereinladungen, sondern auch Kompositionsaufträge.
    In sieben aufeinanderfolgenden Jahren besuchte er England, dann folgte eine Pause und schließlich kam es 1896 zu seiner neunten und letzten England-Tournee; Anlass war die Vorstellung seines Violoncellokonzerts op. 104, ein Werk, das er ein Jahr zuvor in den USA geschrieben hatte.


    Der Berliner Verleger Simrock forderte von Dvořák stets kleinere und vor allem »gängige« Stücke und dachte auch in der Honorarfrage klein. Da war der Londoner Novello-Verlag, der Dvořáks große Sachen herausbrachte, die weit bessere Adresse, da bekam der Komponist mitunter das doppelte Honorar.
    Der finanzielle Erfolg wurde in einem Häuschen, das sich die Familie in Vysoká, einer ländlichen Idylle, erwarb, sichtbar. Man kannte den Ort schon seit Jahren und der Komponist hielt sich bevorzugt dort auf, um sich von anstrengenden Reisen zu erholen und fühlte sich unter der Landbevölkerung recht wohl.
    Eine seiner Reisen, die er auf gutes Zureden Tschaikowskis unternommen hatte, führte ihn im Frühjahr 1890 sogar nach Russland. In dieser Zeit wurde Dvořák mit Auszeichnungen überschüttet und eine Professur am Prager Konservatorium bot man ihm auch an, was er erst nach einigem Sträuben akzeptierte, aber dann engagiert bei der Sache war. Nach noch nicht einmal einem halben Jahr in dieser Tätigkeit erhielt er ein Telegramm aus Paris. Jeanette Thurber, die sich gerade auf einer Europa-Reise befand, fragte an, ob er daran interessiert sei, ab Herbst 1892 den Posten des Direktors am National Conservatory of Music in New York anzutreten. Mrs. Thurber hatte einen reichen Gatten und das Institut 1885 gegründet und es war 1891 staatlich anerkannt worden. Intuition war, eine eigenständige amerikanische Kunst-Musik voranzubringen.
    Das Angebot von 15.000 Dollar pro Jahr, das waren in österreichischer Währung mehr als 30.000 Gulden, konnte man praktisch nicht ablehnen. Dazu kam, dass die älteste 13-jährige Tochter, Otilie, von der Idee hell begeistert war und Mutter Anna ebenso. Mitte September stach man mit dem Schnelldampfer »Saale« in Bremen in See. Der Komponist wurde von Frau und Tochter begleitet und der neunjährige Sohn Antonìn war auch dabei. Der 22-jährige Geiger Josef Jan Kovařìk, der wieder nach Hause wollte, hatte sich der Familie angeschlossen. Nach neun Tagen hatte man die Seereise bewältigt und war von New York überwältigt.
    Die Arbeitsbedingungen am Institut waren so gut, dass auch noch frei verfügbare Zeit übrig blieb. Bei öffentlichen Konzerten in New York und Boston stellt Dvořák eigene Werke vor. Das Orchester fand er ausgezeichnet, die meisten Musiker waren Deutsche und ihr Dirigent war der damals 37-jährige Artur Nikisch.


    Mrs. Thurber hatte Dvořák im Vorfeld um die Vertonung eines patriotischen amerikanischen Textes oder einer der traditionellen Hymnen, des »Te Deum« oder des »Jubilate« gebeten, man blickte bereits auf das Jahr 1892 - vor vierhundert Jahren hatte Columbus Amerika entdeckt.


    In Amerika war Dvořák sowohl mit indianischen Melodien als auch mit den Spirituals der Schwarzen in Berührung gekommen und erkannte hier die Basis auf der eine typisch amerikanische Musik aufbauen müsse.
    Zunächst beendete er jedoch das Auftragswerk »American Flag«, um jedoch schon wenige Tage später an einer großen Symphonie zu beginnen, die bereits am 15. Dezember 1893, also ein gutes Jahr nach seiner Ankunft in Amerika, ihre Uraufführung durch die New Yorker Philharmoniker erlebte, Dirigent war Anton Seidl, der mal Assistent bei Richard Wagner war. Kurz vor der Aufführung hatte der Komponist sein Werk mit dem Titel »Z Nového svĕta« versehen, hierzulande als »Aus der Neuen Welt« bekannt. Die amerikanische Presse schrieb begeistert von »Dr. Dvořák´s Great Symphonie«, der Applaus muss bei der Uraufführung gigantisch gewesen sein; Dvořák selbst schrieb an einen Freund »ganz Amerika in Aufruhr«.


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    Der Plan, nach Ende des Schuljahres in die Böhmische Heimat zurückzukehren, wurde fallen gelassen und man beschloss, stattdessen den beachtlichen Rest der Familie - die vier Kinder mit ihrer Tante und dem Dienstmädchen - nach Amerika kommen zu lassen, um den Sommer 1893 gemeinsam in Amerika zu verbringen.
    Etwa 2000 Kilometer von New York entfernt, im Staat Iowa, gab es eine tschechische Siedlung mit dem Namen Spillville, die 1860 von überwiegend Böhmischen und Schweizer Einwanderern gegründet worden war. Dort erlebte die wieder vereinte Familie die von Vysoká gewohnte Sommerfrische, welche mit der Komposition des Streichquartetts op. 96 auch musikalische Früchte trug. Zweimal verließ Dvořák die Sommeridylle, da dirigierte er eigene Werke am »Tschechischen Tag«, anlässlich der Weltausstellung in Chicago und ein andermal besuchte er Bekannte in Nebraska. Und einige Abstecher zu touristisch interessanten Punkten, wie zum Beispiel den Niagara-Fällen, waren ihm auch noch möglich. Im zweiten Schuljahr war dann der bereits erwähnte Erfolg im Dezember1893.


    Wirtschaftliche Umstände brachten es mit sich, dass Mrs. Thurber finanziell klamm wurde und Dvořáks Gehalt nicht wie gewohnt ankam. Trotzdem kehrte er nach seinem diesmal in der Heimat verbrachten Sommerurlaub, im Herbst 1894 noch einmal mit Frau und dem Sohn Otakar nach New York zurück. Kompositorisch stand in dieser Zeit sein Konzert für Violoncello und Orchester im Mittelpunkt seines Schaffens, es entstand zwischen November 1894 und Februar 1895. Die Inspiration kam von Cellisten Victor Herbert, einem jüngeren Konservatoriumskollegen.
    Einvernehmlich verabschiedete sich Dvořák mit Gattin und Sohn im April 1895 aus den USA, obwohl der Vertrag noch nicht erfüllt war. Er genoss zunächst den Sommer in Vysoká.
    Im Dezember besuchte er Brahms in Wien und zwei Monate später saßen Brahms und Dvořák in der Direktionsloge als »Die Neue Welt« in Wien durch die Wiener Philharmoniker unter Hans Richter unter großem Beifall aufgeführt wurde. Auch eine Übersiedlung Dvořáks nach Wien mit der Übernahme einer Kompositionsklasse am Konservatorium war angedacht, was sich allerdings zerschlug. Kompositorisch wandte er sich zunächst kleineren Formen zu, Symphonie und Kammermusik waren für ihn nun nicht mehr interessant.
    Aber sein Opernschaffen lebte noch einmal auf, zwischen November 1899 und März 1904 erlebten drei Opern Dvoraks ihre Uraufführungen, wobei natürlich »Rusalka« - Uraufführung am 31. März 1901 - besonders zu erwähnen ist, ein Bühnenwerk, das bis auf den heutigen Tag erfolgreich ist, es war der größte Bühnenerfolg in Dvořáks Karriere.


    Schon bei der Uraufführung von »Armida«, der letzten Oper Dvořáks, am25. März 1904, zwangen ihn gesundheitliche Probleme die Aufführung zu verlassen; nachfolgend kam eine Erkältung hinzu, die Bettruhe erforderlich machte. Als man den Patienten auf dem Weg der Besserung glaubte und er am familiären Mittagstisch mit gutem Appetit teilnahm, wurde ihm unwohl. »Mir dreht sich der Kopf, ich werde mich lieber niederlegen ...« - das sollen die letzten Worte von Antonín Dvořák gewesen sein.


    Am 5. Mai 1904 wurde Antonín Dvořák unter großer Anteilnahme der Prager Bevölkerung auf dem Vyšehrad-Ehrenfriedhof beigesetzt. Aber es war nicht die letzte Ruhestätte des Komponisten.
    Es ist erstaunlich, dass man heute trotz intensiver Nachforschungen sehr wenige gesicherte Daten über die Entstehung dieses außergewöhnlichen Grabmals hat.
    Die Bronzebüste am Grabmal ist eine Nachbildung einer Büste, die der Bildhauer Ladislav
    Šaloun in den Jahren 1902-1904 für das Pantheon des Nationalmuseums in Prag schuf.
    Man nimmt an, dass es vor dem 1. Mai 1906 gestaltet wurde, als
    Dvořáks Überreste feierlich aus dem provisorischen Grab in eines der damals gerade fertig gestellten Gräber in den nordwestlichen Arkaden des Vyšehrad-Friedhofs überführt wurden.


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    Praktischer Hinweis:
    Die letzte Ruhestätte von Antonín Dvořák befindet sich auf dem Vyšehrader Friedhof in Prag, der oberhalb der Stadt liegt. Der Friedhof befindet sich in unmittelbarer Nachbarschaft der Kirche Peter und Paul. Unmittelbar beim Kirchenportal befindet sich der Eingang zum Friedhof; dort geht man geradeaus auf die Arkaden zu und wendet sich nach rechts.

  • Otto Nicolai - * 9. Juni 1810 Königsberg - † 11. Mai 1849 Berlin


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    Zum heutigen Todestag von Otto Nicolai


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    Die Beschriftung im Randbereich ist nur noch zu erahnen ...



    Folgt man den Aufzeichnungen des 1834 geborenen Musikschriftstellers Hermann Mendel, dann hatte Otto Nicolai eine schlimme, ja teilweise geradezu grausame Kindheit. Er schrieb seine Biografie 1857 und war damit sehr nahe an der Lebenszeit Otto Nicolais dran, indem er auf Veröffentlichungen in Journalen und mündliche Mitteilungen zurückgreifen konnte. Aber gerade die mündlichen Mitteilungen von Justizrat Adler wurden dann später kritisch gesehen, als eine Menge liebevoller Briefe des Sohnes an den Vater publiziert wurden.


    Hat man alle möglichen Quellen studiert, stellen sich die Fakten so dar, dass Otto noch eine jüngere Schwester hatte (später kam noch eine Halbschwester dazu) und der Vater Musiklehrer war. Die Eltern trennten sich, was Mendel so darstellt:


    »Wir erwähnen bei dieser Gelegenheit, dass die Hand der Gerichte durch eine Scheidung dem häuslichen und ehelichen Zwiste der beiden Gatten ein Ende gemacht hatte; die Mutter zog nach Breslau, später nach Warschau ...«


    Wenn beschrieben wird, dass Vater Carl Ernst Daniel Nicolai Musiklehrer war, dann ist das eine zu einfache Erklärung seiner beruflichen Aktivitäten - er war ein Hansdampf in allen Gassen; so geriet er auch in eine für ihn ungute Situation - man hatte ihn, seiner Vielsprachigkeit wegen, für einen Spion gehalten - als Staatsgefangener nach Russland, so dass der kleine Otto in die Pflege eines Klavierbauers und dessen Ehefrau gegeben werden musste, die Otto später noch in guter Erinnerung hatte. Auch ein Onkel des Kindes nahm sich für einige Zeit des Knaben an.
    Als der Vater wieder aus Russland zurückkehrte, wurde Otto im August 1819 in ein altehrwürdiges Gymnasium aufgenommen. Zum vorzeitigen Schulabgang von Otto Nicolai vermerkt der Gymnasial-Direktor folgendes:
    »Otto Nicolai wurde 1825 seinem Vater zurückgegeben, der ihn zum Bedienten benutzte, zu Hause zu stark beschäftigte und ihm keine Zeit und Lust zu den Studien ließ«.
    Vater Carl Nicolai hatte am 31. August 1824 seine 24-jährige Schülerin geheiratet. Die häusliche Situation war so, dass sich im Hause des Vaters jede Woche ein Gesangverein zu Proben traf, denen der Knabe aufmerksam lauschte; wurde er vom Vater ins Bett gewiesen, lauschte Otto heimlich weiter. Otto war dann durchaus in der Lage das Gehörte mit bewundernswürdiger Genauigkeit nachzusingen oder nachzuspielen. Natürlich bemerkte Ottos Vater diese außergewöhnliche Begabung seines Sohnes.
    Aber der Musiklehrer dachte nicht nur an die natürliche musikalische Förderung seines Kindes; er entwickelte die Idee aus dem Knaben ein musikalisches Wunderkind zu machen, mit dem man auf Reisen gehen kann, um Ruhm und Geld zu erwerben. Zur Gestaltung des väterlichen Unterrichts bemerkt Mendel:


    »Dem Charakter des Lehrers gemäß, waltete dabei eine unbarmherzige Strenge ob, die sich vermehrte, als, trotz der reißenden Fortschritte des Knaben, dennoch nicht die Absicht in Verwirklichung zu bringen schien, ein musikalisches Wunderkind aus ihm zu machen ...«


    Neben dem Vater war auch noch Tante Jeanette fürs Üben tätig, so dass Otto, wenngleich auch kein Wunderkind, das Klavierspiel in einiger Perfektion beherrschte; schwierige Kompositionen vom Blatt zu spielen bereiteten ihm keine Probleme, er kopierte auch Notenblätter für den väterlichen Unterricht und den Gesangverein - der Schuldirektor hatte diese Tätigkeit des Jungen ja auch erwähnt.


    Anfang Juni 1826, als ihn sein Vater wieder einmal körperlich misshandelt hatte, verließ er spontan sein Zuhause - ohne Legitimationspapiere, ohne Geld, ohne Nahrungsmittel und mit der Kleidung, die er gerade auf dem Leibe trug. Ganz ziellos war der Ausreißer nicht; mühsam und kräftezehrend schlug er sich über einige Tage und Nächte zu dem Städtchen durch, in dem seine Mutter nach der Scheidung mit ihrer Tochter vorübergehend wohnte; seinen 16. Geburtstag verbrachte er im Wald.
    Pläne hatte der junge Mann schon, ihm schwebte vor, dass er Konzerte geben und sich auf diese Weise den Lebensunterhalt sichern kann. Die Mutter war zwar überglücklich, ihren Sohn in die Arme schließen zu können, war aber zu arm, um als geschiedene Frau zwei Kinder durchzubringen. Im Ort war man an allem möglichen interessiert, nicht jedoch an einem Klavierkonzert eines unbekannten 16-Jährigen.


    So griff Otto also wieder zum Wanderstab, ihm schwebte vor, dass für ihn die Möglichkeiten in einer größeren Stadt wie etwa Stettin oder Berlin besser sein könnten. Dennoch hatte er kein gerades Ziel vor Augen, sondern irrte so lange herum, bis er zu Tode erschöpft in ein Dorf in der Nähe von Stargard in Pommern kam. Der Pfarrer des Ortes war ein echter Christenmensch und betätigte sich als Samariter, indem er den völlig erschöpften jungen Mann wieder zu Kräften brachte.
    Der Pfarrer reichte jedoch nicht nur Speise und Trank, sondern entwickelte auch einen Plan, wie die ziellose Wanderung in eine gute Richtung führen könnte. Der Geistliche hatte Autorität und einen entsprechenden Freundes- und Bekanntenkreis.


    Da war im benachbarten Stargard der Auditeur August Adler, eine allgemein geachtete Persönlichkeit, ein Mann, der nach Ansicht des Pfarrers weiterhelfen konnte, denn Adler war auch für seine uneigennützige Kunstliebe bekannt. Kunstmäzen Adler wollte natürlich eine Kostprobe des Könnens hören und war etwas erstaunt, dass Otto Nicolai nichts auswendig zu spielen vermochte. Man hatte nun ein Hummelsches Klavierkonzert zur Verfügung, welches Nicolai einwandfrei und mit bewundernswerter Technik vom Blatt spielte, allerdings wird bemängelt, dass das Stück »ohne eine Spur tieferer Auffassung oder feinerer Nüance« vorgetragen wurde. Adler fand die Kostprobe ausreichend, um eine Abendunterhaltung zu veranstalten, die einen unbedeutenden Gewinn für den Interpreten abwarf. Adler mietete seinen Schützling in eine Stube bei einer Witwe ein und sorgte dafür, dass der Jung-Pianist Zugang zur besseren Gesellschaft bekam. Da Adler auch über einen eigenen Wagen verfügte, war es ihm möglich, den Jungen in die Städtchen des Umlandes zu schicken, also beispielsweise in die westpommerschen Städtchen Soldin (Myślibórz), Arnswalde (Choszczno), Pyritz (Pyrzyce) ... , die heute polnische Städte sind.
    In diesen Kleinstädtchen gab es kunstsinnige Freunde Adlers, die gerne einen kleinen Obolus entrichteten, wenn Nicolai aufspielte. Das eingenommene Geld floss zunächst in Adlers Beutel, der das Erspielte treuhänderisch verwahrte. Diese Art der Lebensgestaltung hätte sich so auch auf längere Sicht fortführen lassen, aber es folgte eine plötzliche Zäsur.


    Eines Morgens erschien Nicolai bleich und fast atemlos bei seinem Gönner und bat dringend um den angesparten Geldbetrag, da er auf der Stelle nach Stettin reisen müsse, um dort Konzerte zu geben. Alle Warnungen und Mahnungen Adlers fruchteten nichts, etwas widerstrebend händigte er dem Fortstrebenden seine Barschaft aus, der sich mit eiligen Dankesworten aus dem Staub machte.
    Kaum war der junge Gast aus dem Haus, erschien die lamentierende Witwe und berichtete, was der Untermieter bei ihr angerichtet hatte; man muss hier nicht ins Detail gehen, unter anderem war das Bett abgebrannt ...
    Adler beruhigte die Witwe und versprach für den Schaden aufzukommen, dann schickte er zur Verfolgung des Flüchtenden einen Wagen und übermittelte die Botschaft, dass Nicolai unverzüglich zu ihm zurückkehren sollte, wobei ihm Straffreiheit und Verzeihung zugesichert wurde. Adler hatte nämlich die Befürchtung, dass es für Nicolai schlimm werden könnte, wenn sich erst mal die Behörde mit dem Fall befassen würde.
    Nach der reumütigen Rückkehr Nicolais erfuhr Adler nun Details der Vorfälle; zusammen mit seinem Freund hatte er weit mehr Punsch getrunken als er vertragen konnte, sodass irgendwann das Bett abbrannte. Der unerfahrene Jugendliche schätzte den verursachten Schaden so unermesslich hoch ein, dass er in Panik nur einen Ausweg sah; die Flucht ins Ungewisse.


    Nun war für Otto Nicolai, den nur das Ansehen Adlers vor Nachforschungen der Polizei geschützt hatte, eine Generalbeichte fällig, Adler wollte jetzt alles wissen. Als Adler hört, dass der Junge seinem Vater entlaufen war, ist ihm klar, dass der Junge unter allen Umständen zurückkehren muss. Als ihm Nicolai die noch deutlichen Spuren der väterlichen Misshandlungen zeigt und sagt, dass er sich bei einer Rückkehr sogleich ins Wasser stürzen würde, verspricht ihm Adler, umfassende Hilfe zu versuchen.
    Also nahm er ihn zunächst mal in sein Haus; dann nahm er mit einem Freund in Königsberg Kontakt auf - man sollte daran erinnern, dass Adler damals weder eine E-Mail senden, noch telefonieren konnte -. der vor Ort mit Vater Nicolai die Möglichkeit erörterte, dass Sohn Otto fürderhin in der Obhut Adlers bleibt. Tatsächlich trafen die Legitimationspapiere und der »Freibrief« ein, indem sich der Vater für die Zukunft aller Rechte auf seinen Sohn begab.


    Auch die Mutter sandte aus Breslau einen Dankesbrief an Adler. Der alte Nicolai verweilte danach nicht mehr lange in Königsberg, sondern begab sich - wie auch früher schon - auf sogenannte Kunstreisen nach Insterburg, Gumbinnen, Graudenz und anderen kleinen Städten Preißens, um für die von ihm verfasste und für praktisch ausgegebene Klavierschule Propaganda zu machen.


    August Adler machte nun Nägel mit Köpfen und sorgte endlich für eine den Anlagen des jungen Mannes entsprechenden Ausbildung. Das begann bei der Vermittlung der Konfirmation und setzte sich beim geregelten wissenschaftlichen Unterricht fort. Automatisch verkehrte Adlers angenommener Sohn jetzt auch in den besseren Kreisen der Stadt und es wurde auch weiter konzertiert. Dem weiterblickenden »Ersatzvater« war jedoch klar, dass Stargard nicht der Mittelpunkt der Welt ist und man ein überdurchschnittliches Talent nur in einer Musikmetropole adäquat fördern kann - Adler wusste, dass Berlin eine solche Adresse war. Also legte er noch etwas auf die bisher erspielten Honorare drauf, damit die runde Summe von 200 Thalern (eine fünfköpfige Familie verbrauchte damals etwa 3½ Thaler pro Woche) erreicht war und empfahl seinen Schützling zur weiteren Ausbildung nach Berlin. Nachdrücklich riet Adler von einer unsicheren Laufbahn als Virtuose ab, was auch eine weitere Ausbildung erfordert hätte; ein gründliches Studium der Theorie sollte die Grundlage für eine sichere Existenz sein.


    Als die Postkutsche 1827 an einem heiteren Oktobertag mit Otto Nicolai auf Berlin zurollte, kam er in eine Metropole, die keine Wünsche offen ließ. Gaspare Spontini und Goethe-Freund Carl Friedrich Zelter, waren die prägenden Leute der musikalischen Szene.
    Nicolai nahm vor allem Kontakt zu Ludwig Berger auf, der damals in Berlin der gesuchteste Klavierpädagoge der Stadt war, dem Komponisten Bernhard Klein und Carl Friedrich Zelter. Die fruchtbarste Zusammenarbeit gab es mit Zelter, der die Bass-Stimme von Nicolai so weit entwickelte, dass dieser bei einer Aufführung von Bachs »Matthäus-Passion« am 27. März 1831 die Bass-Partie des Jesus sang. Dass die Verbindung zu Zelter recht gut war, wurde sichtbar, wenn man die beiden bei gemeinsamen Spaziergängen sah.
    Während seines Berlin-Aufenthalts versuchte Nicolai auch seine lange vernachlässigte Gymnasialbildung etwas aufzupolieren. Bald aber war Nicolai selbst lehrend aktiv und erwarb sich einen guten Ruf als Klavier- und Gesangslehrer. Aber fast gleichzeitig erwachte auch die Freude am Komponieren, so dass Erstlingswerke im Druck erschienen, wobei Vokalkompositionen im Vordergrund standen.
    In Nr. 78 der Berlinischen Zeitung »Der Freimüthige« ist 1833 über ein Konzert Nicolais zu lesen:


    »Otto Nicolai´s Concert war gut besucht und gut ausgestattet. Der junge Concertgeber zeigte sich als Componist, Sänger und Klavierspieler, und in allen drei Fächern als sehr beachtenswerthes Talent. Daß er außer seinen Compositionen Musikstücke von Mozart und Beethoven gewählt hatte und nicht, wie gewöhnlich, dem Tagesgeschmack ein Opfer auf Kosten der Kunst brachte, verdient Beachtung.«


    Bezüglich seiner Berliner Zeit muss auch das 1832, noch unter dem Einfluss Kleins entstandene »Te Deum« erwähnt werden, welches als Dankfest für den Abzug der Cholera aus Preußen gedacht war. Nicolai überreichte dem Preußischen König Friedrich Wilhelm III. ein in Leder gebundenes und mit Gold verziertes Prachtexemplar der Partitur. Aber auch seinem Vater berichtete er stolz und selbstbewusst von seinem neuen Werk: »Freu Dich, dass Du Großvater eines für alle Ewigkeiten bestehenden Te deums geworden bist«.
    Der Vater veräußerte dieses Werk nach dem frühen Tod seines Sohnes an den Verlag Bote & Bock, wo es erst 1938 wieder im Archiv entdeckt wurde, es galt viele Jahre als verschollen.


    Als Nicolai im Haus des berühmten Theologen Schleiermacher als Musiklehrer tätig war, lernte er dort Ritter Karl von Bunsen, den damaligen Preußischen Gesandten und Ministerresidenten am päpstlichen Hofe in Rom kennen. Dieser erkannte sofort das künstlerische Talent des aufstrebenden Künstlers und gewann ihn für die Organistenstelle an der Gesandtschaftskapelle in Rom, wobei Bunsen beim König einiges tun musste, damit man schließlich Nicolei mit guten Wünschen am 8. Dezember 1833 ziehen ließ.
    In Rom kam der junge Mann aus dem Staunen nicht mehr heraus, unter anderem studierte er in der Sixtina den Kirchengesang, man kann nicht alles nennen, was Nicolai hier beeindruckte ...


    Von Rom aus schreibt er am 2. October 1835 auch Robert Schumann an, weil ein Gustav Nicolai - »Er ist ein großer Dilettant« - einen Artikel veröffentlicht hat, und Otto Nicolai großen Wert darauf legt, mit diesem Mann nicht verwechselt zu werden. Er schreibt aber auch in einem Aufsatz von 1837 an Schumann, beziehungsweise an dessen Zeitschrift: »Einige Betrachtungen über die italienische Oper im Vergleich zur deutschen« und vertritt die Ansicht, dass eine Mischung beider Schulen nach den Vorbildern von Mozart und Gluck anzustreben sei - es ist überliefert, dass Schumann dieses Ansinnen Nicolais ablehnend und kopfschüttelnd zur Kenntnis nahm.


    Hatte Nicolai noch 1834 einen größeren Aufsatz an Ludwig Rellstab in Berlin gesandt, der eher gegen die italienische Oper gerichtet war, aber nicht veröffentlicht wurde, so konvertierte er in Italien allmählich zum Bewunderer italienischer Musik, wobei es ihm die Gesangsstücke Rossinis, Bellinis und Donizettis angetan hatten - dass Nicolai und Donizetti später in Wien mächtig miteinander stritten, ist eine andere Geschichte - ganz besonders jedoch verehrte er Vincenzo Bellini, nach dessen Tod Nicolai einen »Trauermarsch« komponierte.
    Aber er bewunderte nun neuerdings den italienischen Opernstil allgemein und liebäugelte nun damit, auch in dieser Richtung zu arbeiten; er hatte ja schon in seiner Berliner Zeit Opern dieser Komponisten kennen gelernt. Wie bereits erwähnt, schwebte ihm eine Verbindung der beiden unterschiedlichen Stile vor.
    In seinem Amt hatte Nicolai Hemmungen Bunsen vor den Kopf zu stoßen, aber ab April 1837 konnte er sich vom Organistenamt befreien und ein knappes Jahr später wurde Bunsen ohnehin aus Rom abberufen.
    1837 bis 1838 war Otto Nicolai Kapellmeister am Wiener Kärntnertortheater, ging dann aber wieder nach Italien zurück, um Opern zu komponieren. Im Februar 1840 gelang ihm mit der Uraufführung seiner dreiaktigen Oper »Il templario« ein sehr großer Erfolg, welcher ihm sogleich Folgeaufträge einbrachte. So erhielt er bereits im Herbst 1840 den Auftrag »Il proscritto« für die Mailänder Scala zu komponieren, zu Deutsch heißt das Werk »Die Heimkehr des Verbannten«, welches später in Wien aus der Taufe gehoben wurde, wobei die Oper eine weitgehende Veränderung erfuhr und bei der Prämiere 1848 in Berlin soll nur noch etwa fünfzehn Prozent der Musik der Mailänder Uraufführung erklungen sein. Eine andere Quelle - Hermann Mendel - sagt dagegen:


    »Überhaupt waltete über diesem Werk ein, wir können sagen, unverdienter Unstern. Denn als es in Berlin unter Nicolai´s eigener Leitung, im Jahre 1848, bereits vollständig einstudirt war, zog er selbst es in einer edlen Aufwallung künstlerischer Unzufriedenheit mit sich selbst, wohl auch nicht befriedigt von der nicht besser zu ermöglichenden Besetzung und von den stürmischen Zeitverhältnissen, zurück, allerdings mit der Absicht, seine eben vollendete und mehr in deutschen Anschauungen wurzelnde Oper »Die lustigen Weiber von Windsor« als Ersatz dem Berliner Publikum vorzuführen. Dennoch gelangte das zurückgelegte Werk nach seines Schöpfers Tode als Festoper am 19. November 1849, dem Namenstag der Königin, unter dem Titel ›Der Verbannte‹ zur Aufführung«.


    Die Mailänder Uraufführung litt unter dem privaten Zwist zwischen Signora Frezzolini und dem Komponisten; zum Beginn der Kompositionsarbeiten waren beide noch ein Paar, dann ging die Sache auseinander. Bei der Uraufführung markierte die Sängerin nur, was beim Publikum natürlich entsprechende Reaktionen auslöste.


    Frustriert verließ Nicolai nun Italien und ging 1841 wieder nach Wien. In diese Zeit fällt auch eine kleine Reise, die ihn über Krakau nach Warschau führte, wo es zu einem Wiedersehen mit seiner Mutter kam, die er jetzt mit einer monatlichen Pension unterstützen konnte.
    Nicolai war nicht nur als Kapellmeister an der Hofoper tätig, sondern rief auch 1842 die »Philharmonischen Konzerte« ins Leben. Es galt damals als Novum, dass er alle neun Sinfonien Beethovens in einem Zyklus aufführte. Sein Wiener Vertrag umfasste drei Jahre und seine Dienste wurden pro Jahr mit 2000 Gulden vergütet, wobei er noch verpflichtet war eine deutsche Oper zu liefern. So entstand aus Nicolais italienischer Oper »Il proscritto« das deutsche Werk (nach einem Libretto von Siegfried Kapper) »Die Heimkehr des Verbannten«, die im Februar 1844 erstmals in Wien aufgeführt wurde.


    1844 traf bei Nicolai eine Einladung des Magistrats seiner Geburtsstadt Königsberg ein; die Stadt wollte Ende August ihr 300-jähriges Bestehen feiern. Otto Nicolai mochte nicht ohne Geschenk zu den Festlichkeiten reisen und komponierte eine kirchliche Festouvertüre. Im Verlauf dieser Reise kam er nach zehnjähriger Abwesenheit im Juli auch wieder nach Berlin. Als König Friedrich Wilhelm von der Anwesenheit des Komponisten erfuhr, ordnete er unverzüglich die Veranstaltung eines Hofkonzerts geistlichen Charakters an. Das Konzert fand allerhöchsten Beifall und der König führte mit Nicolai ein längeres Gespräch über altitalienische Kirchenmusik und die Sixtinische Kapelle, nach deren Prinzipien er seinen neugegründeten Domchor eingerichtet wünschte. Nicolai gab jedoch zu erkennen, dass er eher dramatische Werke vertonen wollte, eine Ansicht, die sich rasch ändern sollte.


    Nicolai hatte seine Reiseroute so eingerichtet, dass er auch in Stargard mit Justizrat Adler zusammentraf, in Danzig besuchte er seine Schwester; und er kam auch nach Marienwerder, wo sich sein Vater aufhielt. Schließlich traf er am 20. August mit dem Dampfboot in Königsberg ein. Nicolai, sonst ein Vorbild an Pünktlichkeit, traf im September etwas verspätet in Wien ein, wo ihm der Theaterpächter deswegen 60 fl. von der Monatsgage abzog.


    In Wien sieht man den Komponisten einerseits mit Eifer nach einem Opernstoff suchen, andererseits ist aber auch überliefert, dass Nicolai in dieser Zeit seine Aufmerksamkeit und Kompositionslust den geistlichen Gesängen zuwandte. Die Sache bekommt einen realen Hintergrund, wenn man durch die Korrespondenz weiß, dass Generalintendant Graf von Redern, damals einer der Schlüsselfiguren des kulturellen Lebens in Berlin, ihm eine Stelle beim Berliner Domchor angetragen hatte.


    Wie im Theaterleben nicht unüblich, war natürlich auch in Wien nicht alles harmonisch und manche Auseinandersetzungen wurden nur notdürftig gekittet. Eigentlich wollte Nicolai schon am 1. Juli 1845 seinen Dirigentenstab in Wien niederlegen, was die Presse bereits kolportierte, aber hochgestellte Persönlichkeiten und Freunde redeten ihm das aus. Am 1. April 1847 kam es zu einem für Nicolai vorteilhafteren Kontrakt. Nicolais Situation war insofern unglücklich, dass der Besuch des Kärntnertortheaters in der deutschen Saison bis auf ein Minimum sank, während der des Theaters an der Wien stieg. Nicolai, dessen Name in der Musikwelt einen guten Klang hatte, fühlte sich zurückgesetzt, dazu kam noch Krankheit und aus all dem resultierte eine allgemeine Verdrießlichkeit.
    Am 1. April 1847, als die italienische Saison in Wien begann, stellte Otto Nicolei sein Amt zur Verfügung, nachdem er noch mit den Gesangs- und Orchesterkräften ein feierliches Abschiedskonzert gegeben hatte.
    Abschied nahm der scheidende Kapellmeister in einem Schreiben vom 9. Mai 1847 auch von einem J. P. Schmidt, mit dem er sich mehrmals in der »Wiener allgemeinen Musik-Zeitung« konträr ausgetauscht hatte. In diesem Diskurs ging es um die nachträgliche Instrumentierung der »recitativi parlanti« in Mozarts Opern, wobei Nicolai vehement die Meinung vertrat, dass die Instrumentierung in Irrtum sei.
    Ungeachtet dieser Diskussion verfasste J. P. Schmidt 1849 in der »Neuen Berliner Musikzeitung« einen ehrenvollen Nachruf auf Otto Nicolai.

    Nach seinem Abgang in Wien berichteten die Zeitungen davon, dass Nicolai aus gesundheitlichen Gründen wieder zurück nach Italien wollte, aber auch von Berlin und Paris war die Rede. Schließlich ging er auf ärztlichen Rat hin zur Kur, was ihm jedoch nicht sonderlich behagte. Die Umstände in Berlin waren für Nicolai so günstig, dass er hier wieder sesshaft werden mochte, nachdem im angetragen wurde, am Domchor die Nachfolge Mendelssohns anzutreten; etwas später trat er auch an das Dirigentenpult der Königlichen Oper. Einem königlichen Wunsch entsprechend, sollte der neue Kapellmeister in Berlin nun eines seiner eigenen Opernwerke aufführen. Er hatte schon Vorbereitungen zu einer Aufführung der »Verbannten« getroffen, als er seinen Plan plötzlich änderte und sich dazu entschloss, seinen »lustigen Weibern« noch den letzten Schliff zu geben und damit ein ganz neues Werk anzubieten. In seinem letzten Lebensjahr hatte Otto Nicolai begonnen, seine heute populärste Oper einzustudieren; die Uraufführung fand am 9. März 1849 unter großem Beifall statt. Das Libretto hatte Hermann Mosenthal nach einer Komödie Shakespeares verfasst. Der Dirigent stellte sein neues Werk selbst vor und dirigierte es auch nochmal am 11., 20. und 25. März.
    Anfang des Jahres 1849 vollendete Nicolai mit der Vertonung des 31. Psalms seine letzte Komposition; durch seine berühmte Oper ist er als Kirchenmusiker fast vergessen worden.


    Nicolais gesundheitliche Konstitution war zeitlebens nicht die Beste, am Nachmittag des 11. Mai 1849 verstarb Otto Nicolai in Berlin an einer Gehirnblutung.


    Otto Nicolai wurde am 15. Mai 1849 auf dem Doroteenstädtischen Friedhof II bestattet. Der Königliche Domchor und das Theaterpersonal der Königlichen Schauspiele erwiesen ihm die letzte Ehre und sangen gemeinsam den Chor »Rasch tritt der Tod den Menschen an«, aus Schillers »Wilhelm Tell«. Neben anderer Prominenz war auch der König beim Trauergottesdienst. Carl Nicolai, der Vater, blieb dem Begräbnis fern.
    Eine Woche später fand an der Sing-Akademie eine Trauerfeier statt, bei der Nicolais frühes »Agnus Dei« gesungen wurde.


    Der Berliner Tonkünstlerverein sorgte zwei Jahre nach dem Begräbnis dafür, dass das Grab eine repräsentative Granitplatte erhielt, die im Mai 1851 feierlich enthüllt wurde, wobei der Domchor Nicolais 31. Psalm sang.
    Auf der Steinplatte sind ein Eichenkranz und die Lebensdaten des Verstorbenen zu sehen. Dass auf den drei Randseiten der Grabplatte die drei Hauptopern Nicolais stehen und auf der vierten Seite die Widmung des Vereins, muss man altem Schriftgut entnehmen, dem Grabbesucher bleibt das fast gänzlich verborgen, ein gärtnerischer Fauxpas, einen solchen Gedenkstein auf diese Weise einzurahmen. An der vorderen Seite könnte man ahnen, dass das »Die lustigen Weiber von Windsor« heißen könnte. Also sollte an den Seiten »Il Templario« und »Die Heimkehr der Verbannten« stehen. Der heiße Sommer hatte 2020, deutlich sichtbar, auch dieser Hecke stark zugesetzt; wer weiß, vielleicht wird die Schrift auf diese Weise mal wieder sichtbar gemacht ...


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    Der Friedhofseingang


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    Praktischer Hinweis:
    Das Grab befindet sich auf dem Kirchhof II der Dorotheenstädtischen Gemeinde Berlin. Der Haupteingang ist in der Liesenstraße. Man geht vom Eingang etwa 60 bis 70 Meter geradeaus, dann etwa zwanzig Schritte nach links, und steht vor Otto Nicolais Grab.

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Lieber hart, ganz gerührt lese ich Deinen schönen Beitrag. Der Zufall wollte es, dass ich vor einigen Wochen selbst am Grab von Nicolai gestanden habe und ähnliche Eindrücke gewann wie Du. Mir ist er ein ganz wichtiger Komponist. Danke. Gleich "um die Ecke" im benachbarten Französischen Friedhof I liegt Theodor Fontane an der Seite seiner Frau. Das dürfte Dir nicht entgangen sein.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Rafael Kubelik - * 29. Juni 1914 Býchory (Böhmen) - † 11. August 1996 Kastanienbaum


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    Zum heutigen Geburtstag von Rafael Kubelik


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    Vater und Sohn waren hervorragende Musiker und sind hier wieder vereint


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    Auf den Tafeln am Ehrenmal Slavin des Vyšehrader Friedhofs in Prag stehen die berühmten Namen von Vater und Sohn und Smetanas Grab ist ganz nahe.
    Vater Jan hatte seinem Sohn davon abgeraten auch Geigenvirtuose zu werden, aber die beiden verstanden sich wunderbar und waren voneinander geradezu begeistert. In Zeiten wirtschaftlicher Not soll Jan Kubelik einmal zu seinem Pianisten Alfréd Holeček gesagt haben: »Das einzige was mir wirklich geglückt ist, ist mein Sohn, ist Rafel«.
    Und das Kompliment des Sohnes an seinen Vater lautete: »Mein Vater hat mir die ganze Welt der Musik erschlossen. Ich verdanke ihm alles. Bei seinem Tod wusste ich, dass er nicht gestorben war, dass er in mir weiterlebt. Kein Wort über ihn ist umfassend genug, schön genug, kein Wort ist wahr genug, heilig genug, ich kann nur das eine sagen: ohne ihn wäre ich nicht«.


    Der kleine Rafael wurde einerseits in eine schlimme Welt hineingeboren, denn etwa einen Monat nach seiner Geburt begann der Erste Weltkrieg. Andererseits kam er in einem imposanten viergeschossigen Schloss mit Türmen und Zinnen zur Welt, das seinem berühmten Vater - dem Violinisten Jan Kubelik - gehörte, der es 1904 erworben hatte, wohl in der Ahnung, dass es mit der Eheschließung zu einer stattlichen Familie kommen würde.
    Die Heirat mit der Countess Anna Julie Marie Széll von Bessenyö gestaltete sich zwar etwas kompliziert, konnte jedoch im August 1903 in Debrecen stattfinden.


    Das Erscheinen von Rafael muss in der Familie eine kaum vorstellbare Freude gewesen sein, denn er wurde als sechstes Kind nicht nur von seinen Eltern, sondern auch von immerhin fünf Schwestern erwartet; die Nachricht »es ist ein Sohn« wurde am Mittagstisch verkündet.
    Schloss Horskysfeld liegt am südlichen Ortsrand von Býchory, eine knappe Autostunde von Prag entfernt; dort traf sich die große Welt und Musik war allgegenwärtig, der Knabe lernte spielend im Kreis seiner Schwestern, die alle Geige spielten und von denen das Zwillingspaar Anna und Marie auch professionelle Geigenspielerinnen wurden.
    Im Dorf Býchory entstand ein Zentrum künstlerischen Lebens. Maestro Kubelik war oft auf Konzertreisen, wenn er jedoch zu Hause weilte, wurde dies durch eine gehisste Fahne auf dem Schloss angezeigt. Jan Kubelik scheint ein Faible für Schlösser gehabt zu haben, die Gatten nicht minder, sie war ja eine Gräfin.


    Jan Kubelik - oft als Paganini Nachfolger bezeichnet - war ein berühmter tschechischer Violinvirtuose und Komponist, der nicht nur in Europa, sondern weltweit auftrat, also auch in USA, Südamerika, Australien, Neuseeland, Indien, China ...
    Da kam einiges Kapital zusammen; die Gagen waren sagenhaft, als Beispiele seien 1926 ein Londoner Auftritt in der »Royal Albert Hall« mit 8000 Zuhörern und ein Konzert im New Yorker »Hippodrome« mit 5325 Besuchern genannt. Einige Jahre später spielte er am Heiligen Abend auf einem Platz in San Francisco vor 100.000 Leuten. Bis zum Jahre 1938 hatte Jan Kubelik zehn Mal die USA bereist. Eine USA-Tournee brachte eine Million österreichische Kronen, das waren 800.000 Goldmark, ein; er erzielte Höchstgagen und spielte auf der teuersten Geige der Welt, einer »Emperor« aus dem Jahre 1715.
    Der Werbeaufwand war mitunter enorm; bei Jan Kubeliks Ankunft in New York sprangen einmal 300 angeheuerte Schwarze im Hafen ins Wasser, dem einlaufenden Schiff entgegen und riefen: »Der König der Geiger kommt« - die Zugreisen absolvierte der Maestro im eigenen Waggon, das war Amerika!


    Jan Kubelik zog mit seiner gräflichen Gattin und der stattlichen Kinderzahl - insgesamt acht - von Schloss zu Schloss und anderen hochpreislichen Wohnsitzen, wie Schloss Orlová in der Slowakei oder einer Villa im kroatischen Opatija, an der Adria.
    Das Verhängnis kam mit dem Kauf des stattlichen Schlosses Rotenturm im österreichischen Burgenland. Kubeliks Gattin, auch eine famose Geigenspielerin, aber in finanziellen Dingen völlig unerfahren, hatte einen Kaufvertrag unterschrieben, während der Gatte in Australien eine gut dotierte Tournee absolvierte. Die Gräfin hatte hier einige Klauseln übersehen und die beträchtlichen Schulden des Vorbesitzers mit übernommen. Auch mit den Traumgagen von Superstar Jan Kubelik konnten diese enormen Verpflichtungen nicht erfüllt werden.
    Es kam da einiges zusammen in dieser Zeit - die Weltwirtschaftskrise und auch die nachlassende Attraktivität von Kubeliks Spiel, er spielte nicht schlechter, aber der Zeitgeschmack hatte sich verändert. Ein gerichtliches Verfahren endete für die Familie Kubelik mit einem Desaster, sie verloren ihr gesamtes Vermögen, es blieb nur noch die Geige, damit man die Ansprüche der Gläubiger weiter bedienen konnte.
    Nun wurde der geigende Vater oft von seinem Sohn Rafael begleitet, wobei man die Verträge so geschickt ausarbeitete, dass Sohn Rafael den größeren Anteil der Gage erhielt, womit dieses Geld für die Gläubiger nicht erreichbar war. 1940 starb Jan Kubelik und wurde unter überwältigender Anteilnahme am Ehrenmal Slavin beigesetzt.


    Rafael Kubelik legte in einem Interview dar, dass sein Name »Kubeliek« ausgesprochen wird. Das musikalische Fundament entwickelt sich bei Rafael praktisch automatisch im Elternhaus. Natürlich verlangt der Vater von seinem Sohn ein gründliches akademisches Studium. Er studiert in Prag und bringt bei seinem Examen eine eigene Komposition zu Gehör.
    In den 1930er Jahren begleitet er seinen Vater oft am Klavier; während der deutschen Besatzungszeit war Rafael Kubelik in den Jahren 1939 bis 1941 Chef der Oper in Brünn.
    1941 wurde er dann als Nachfolger von Václav Talich Chefdirigent der Tschechischen Philharmonie.
    Nach dem Zweiten Weltkrieg eröffnete Kubelik 1946 das Musikfestival »Prager Frühling«, aber die politischen Verhältnisse entwickeln sich so, dass er es vorzieht zusammen mit seiner Frau, der gleichaltrigen Geigerin Lála Bertlová, die er 1942 geheiratet hatte, seine Heimat zu verlassen. Von 1950 bis 1953 leitet er das Chicago Symphoniy Orchestra. Dann kam er wieder nach Europa, um von 1955 bis 1958 musikalischer Direktor der Covent Garden Opera in London zu werden. Danach wirkte er als Konzertdirigent, natürlich auch mit den Wiener Philharmonikern, wo es zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit kam.
    Als Kubelik 1961 Chefdirigent des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks und damit Nachfolger von Eugen Jochum wurde, lagen 18 Jahre ständiger Zusammenarbeit mit diesem Klangkörper vor ihm, darüber hinaus stand er dem Orchester in München noch bis 1985 als ständiger Gastdirigent zur Verfügung. 1973/74 war Kubelik kurzfristig auch musikalischer Leiter der Metropolitan Opera New York.
    Als Ludmila Bertlová 1961 nach langer Krankheit starb, widmete er seiner Frau die Komposition »Pro Memoria Uxoris«.
    Zu seiner Tätigkeit als Komponist sagte er einmal:
    »Ich habe es immer so verstanden, dass es meine private Sprache ist, dass ich damit nicht herausgehen soll ... ich habe nicht komponiert, um zu komponieren, ich habe komponiert, um das auszusprechen was ich empfinde, was ich fühle, was ich erlebt habe ...«
    Kurz bevor Ludmila Bertlová starb hatte er noch mit ihr das Dvořák Violinkonzert in Wien aufgeführt.
    In seiner Münchner Zeit hatte er die slawischen Komponisten besonders gepflegt, also Smetana, Janáček und Dvořák. Auch dirigierte er den ersten Mahler-Zyklus mit einem deutschen Orchester, der auf Schallplatten aufgenommen wurde.


    1963 heiratete Kubelik die vor allem in England bekannte australische Sopranistin Elsie Morison, die 1946 nach England kam, um ihre Ausbildung am Royal College of Music in London abzuschließen. Sie war fast zehn Jahre Mitglied der Covent Garden Oper London und beherrschte ein breites Repertoire, womit sie auch als Gast an erstrangigen Häusern und bei Festivals zu hören war. Dirigent und Sängerin hatten erstmals 1955 beruflichen Kontakt, als Kubelik Musikdirektor in Covent Garden geworden war. Einige äußere Umstände bewirkten, dass es etwas dauerte bis Kubelik erkennen konnte, dass er in Elsie Morison die ideale Marenka für die Aufführung der »verkauften Braut« gefunden hatte.
    Als Kubeliks erste Frau gestorben war trafen sich Morison und Kubelik bei einer gesellschaftlichen Veranstaltung in London, man kam sich näher und 1963 wurde geheiratet.
    In erster Ehe war Elsie Morison mit dem Bassisten Kenneth Stevenson, einem Kommilitonen, verheiratet gewesen.
    Nach der Heirat mit Rafael Kubelik reduzierte Elsie Morison - damals 39 Jahre alt - ihre künstlerischen Verpflichtungen und zog sich innerhalb von etwa fünf Jahren aus dem öffentlichen Leben zurück. Kubelik hatte in Kastanienbaum bei Luzern ein schönes Anwesen; verbrachte aber vermutlich aus gesundheitlichen Gründen - Gicht und Arthritis - die Wintermonate im trockenen Klima der kalifornischen Colorado-Wüste in Palm Springs. Kubelik wurde 1967 Schweizer Staatsbürger.


    Am 30. Mai 1986 dirigierte Kubelik in München noch einmal Mahlers IX. Symphonie, die das Abschiedskonzert seiner Dirigentenlaufbahn werden sollte. Aber die politischen Ereignisse des Jahres 1989 waren von so besonderer Art, dass er sich dazu bewegen ließ, anlässlich des »Prager Frühlings« 1990 das erste Mal nach seiner Emigration in der Heimat aufzutreten. Und er begleitete sein Orchester auch noch 1991 auf einer Japantournee.

    Jan und Rafael Kubelik hinterließen Tondokumente, die Aufnahmen des Vaters stammen aus den Anfängen der Schallplattenherstellung; Sohn Rafael ist dagegen hervorragend und in guter Qualität dokumentiert.

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    Praktischer Hinweis:
    Die letzte Ruhestätte von Rafael Kubelik befindet sich auf dem Vyšehrader Friedhof in Prag, der oberhalb der Stadt liegt. Der Friedhof befindet sich in unmittelbarer Nachbarschaft der Kirche Peter und Paul. Dortselbst geht man vom Hauptweg aus zum nicht zu übersehenden Monument Slavin.

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    Rafael Kubilek ist hier hervorragend und in guter Qualität dokumentiert.

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  • Josef Suk - * 8. August 1929 Prag - † 7. Juli 2011 Prag


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    Zum 10. Todestag von Josef Suk


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    Ähnlich wie beim vorigen Beitrag, wo es einen berühmten Vater und Sohn mit gleichem Familiennamen gab, muss man hier Großvater und Enkel auseinanderhalten, die zudem noch den gleichen Vornamen tragen, handelt es sich hier um den Grabbesuch bei Josef Suk dem Jüngeren, welcher direkt neben seinem berühmten Kollegen Josef Slavik (1806-1833), einem ganz großen Geiger seiner Zeit, bestattet wurde.


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    Rechts von Suks Grab ist die Ruhestätte von Josef Slavik


    Der tschechische Geigenvirtuose Josef Suk wurde als Sohn des Ingenieurs Josef Suk geboren, der Inhaber einer Zuckerfabrik war und im Amateurstatus Geige spielte. Sein Sohn galt als Wunderkind, aber wundern braucht man sich eigentlich nicht, denn er war der Enkel des gleichnamigen Komponisten Josef Suk (1874-1935) und der Urenkel von Antonin Dvořák (1841-1904); neben dem berühmten Großvater sollte gerechterweise auch noch die Großmutter Otilie Dvořákova-Sukova erwähnt werden, die auch eine begabte Komponistin war und von der noch Klavierstücke erhalten sind.


    Als Josef Suk sechs Jahre alt war, schenkte ihm sein Großvater eine Geige, aber es ist überliefert, dass der Opa seinen Enkel auf diesem Instrument nicht mehr spielen hören konnte. Zunächst erhält Josef Privatunterricht bei dem Geigenvirtuosen Jaroslav Kocian. Bereits1940 trat er erstmals öffentlich auf und wurde als Wunderkind gefeiert.
    In den Jahren 1945 bis 1951 studierte er am Prager Konservatorium. Bevor er 1954 seine offizielle Solistenkarriere startete, war er bereits 1948 in Paris und Brüssel aufgetreten.
    1951 war er kurz im Prager Quartett, gründete aber im gleichen Jahr das Suk-Trio, das am 5. März mit Bravour im Prager Rudolfinum sein Debüt gab und bis 1990 bestand.
    Neben Suk wirkten Jiří Hubička (Klavier) und Saša Večtomov (Cello) mit, aber es gab auch die Formation Jan Panenka (Klavier) und Josef Chuchro (Cello), welche bei den letzten Konzerten 1990 in Prag sogar eine Komposition von Rafael Kubelik zu Gehör brachte.
    Das Trio bereiste erfolgreich fast die ganze Welt und ist auf Tonträgern ausgiebig dokumentiert und wurde mit hochrangigen Schallplatten-Auszeichnungen bedacht.
    So entstand 1958 auch bei dem Label Deutsche Grammophon die erste stereophone Aufnahme dieser Firma.
    Seit den 1960ger Jahren spielte Suk mit vielen namhaften Orchestern der Welt. In den Jahren 1992 bis 2000 war Josef Suk künstlerischer Leiter und Dirigent des Suk-Kammerorchesters.


    Auch mit seinem amerikanischen Trio - Julius Katchen (Klavier) und János Starker (Cello) - gelangen dem Suk-Trio Referenzaufnahmen, die auch heute noch Geltung haben.
    Der berühmte Geigenvirtuose Josef Suk starb nach langer Krankheit im Alter von 81 Jahren in der Nacht zum Donnerstag im Krankenhaus.



    Josef Slavik - * 26. März 1806 Jince (Böhmen) - † 30. Mai 1833 Pest (Ungarn)


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    Detail des Grabes von Josef Slavik


    Wie bereits erwähnt, haben die beiden großen Geiger auf dem Friedhof Vyšehrad in Prag zueinander gefunden. Ganz einfach war das anscheinend nicht, denn in Wikipedia steht geschrieben, dass Josef Slavik am 1. Juni 1833 zunächst in Ungarn auf dem Leopold-Friedhof beigesetzt wurde und später dann seine Gebeine auf einen anderen Budapester Friedhof umgebettet wurden. Zur Gründung der Stadt Budapest kam es erst 1873, weshalb Pest als Sterbeort angegeben wird.
    Dennoch hatte er noch nicht seine letzte Ruhe gefunden, denn anlässlich seines 100. Todestages wurden seine sterblichen Überreste 1933 nach Vyšehrad gebracht.


    Als Sohn eines Lehrers, der mehrere Instrumente spielen konnte und auch in der Lage war Stücke für den lokalen Gebrauch zu komponieren, kam Josef Slavik schon recht früh mit der Musik in Berührung, mit dem Geigenspiel soll er schon im Alter von vier Jahren begonnen haben. Die Lehrer-Familie zog 1815 in das nahegelegene Hořovice, - etwa 70 Kilometer von Prag entfernt - wo sein Vater unterrichtete. Kaum dort angekommen, gab es auf dem Schloss Festlichkeiten, in dessen Verlauf ein lokales Quartett auftrat und Graf von Würben, der in der Gegend um Jince das Sagen hatte, erstaunte, dass hier ein neunjähriger Knabe die erste Geige spielte. Der Graf erkannte und förderte die außergewöhnliche Begabung des Jungen und sorgte dafür, dass Josef bereits im Alter von zehn Jahren ins Prager Konservatorium aufgenommen wurde. Nach vier Jahren musikalischer Schulung entstanden erste Kompositionen. Es erfolgte noch eine einjährige Verlängerung des Studiums, dann wurde der inzwischen 17-Jährige Violinist im Prager Ständetheater, einem Haus das Musikgeschichte geschrieben hat. Allerdings erschien ihm die Tätigkeit als Orchestermusiker nicht attraktiv genug, so dass es bereits 1824 wieder ins Vaterhaus zurückkehrte.
    1925 gab er im Prager Redoutensaal ein Konzert, das vom Publikum begeistert aufgenommen wurde, wobei er auch eine eigene Komposition aufführte; man verglich ihn mit dem damals 34-jährigen Niccoló Paganini. Konzerte in Wien, Teplitz, Karlsbad ... folgten.
    Nach einem sehr erfolgreichen Konzert, das Josef Slavik 1826 im Wiener Musikverein gab, plante er eine Europatournee, deren Beginn er etwas verschob, weil Paganini nach Wien unterwegs war, um hier erstmals ein Konzert im Ausland zu geben; dem Paganini-Konzert am 29. März 1828 folgten noch fünf weitere, Wien war im Paganini-Fieber; natürlich ließ sich weder Schubert noch Slavik dieses große Ereignis entgehen. Slavik war so entbrannt, dass er den Teufelsgeiger einfach im Hotel aufsuchte, wobei es während Paganinis viermonatigem Aufenthalt in Wien zu mehreren fruchtbaren Kontakten gekommen sein soll.


    Während seines Wiener Aufenthaltes lernte Slavik, durch den aus Prag stammenden Musiker Carl Maria von Bocklet, auch Franz Schubert kennen.
    Die Literatur sagt, dass Franz Schubert zu seinen virtuosesten Violinwerken durch Josef Slavik inspiriert wurde. In den Jahren 1826/27 schrieb er die große C-Dur-Fantasie und das Rondeau brillant in h-Moll für Klavier und Violine.
    Aber die von Schubert im Dezember 1827 komponierte C-Dur-Fantasie - D 934 - war für das Publikum der Uraufführung am 20. Januar 1828 durch ihre ungewöhnliche Länge gewöhnungsbedürftig; einer der Kritiker soll sogar vorzeitig den Saal verlassen haben.


    Eine Woche nachdem Josef Slavik Wien in Richtung Paris verlassen hatte, starb Franz Schubert im Alter von 31 Jahren; damals war nicht abzusehen, dass der Geiger Slavik Schuberts Alter nicht erreichen würde.
    Zu Slaviks Aufenthalt in Paris werden in der Literatur unterschiedliche Angaben gemacht; einmal heißt es: »1828/29 hielt er sich mit Pixis und H. Sontag in Paris auf, konnte sich dort aber nicht durchsetzen«. Andere Publikationen berichten, dass er in Paris trotz Intrigen erfolgreich war.
    Als sicher gilt, dass sich Slavik nach seiner Rückkehr aus Paris in Wien mit Chopin 1830 anfreundete, Josef Slavik war inzwischen ein bekannter Künstler.
    Mit einem spektakulären Konzert Verabschiedete sich Josef Slavik am 28. April 1833 von seinem Wiener Publikum und reiste zu einem Konzert in die ungarische Metropole. Da sich Slavik krank fühlte, rieten ihm Freunde von der Reise ab.

    Der Arzt in Ungarn diagnostizierte Typhus, nach fünf Tagen starb Josef Slavik.


    Praktischer Hinweis:
    Die Gräber der beiden großen Geiger Josef Suk und Josef Slavik befindet sich auf dem Vyšehrader Friedhof in Prag - in unmittelbarer Nähe vom Monument Slavin
    .

  • Ludwig Schnorr von Carolsfeld - * 2. Juli 1836 München - † 21. Juli 1865 Dresden



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    Zum heutigen Todestag von Ludwig Schnorr von Carolsfeld - dem ersten Tristan


    Heute ist der Todestag des Heldentenors Ludwig Schnorr von Carolsfeld, der völlig überraschend im jungen Alter von nur 29 Jahren starb, aber dennoch Musikgeschichte geschrieben hat, wobei erwähnt werden muss, dass auch seine Frau Malwine Wesentliches dazu beigetragen hat. Beide entstammten angesehenen Elternhäusern und lernten sich am Karlsruher Hoftheater kennen, wo sie in mehreren Opernaufführungen zusammen auf der Bühne standen. Im April 1860 wurde aus dem Bühnenpaar ein Ehepaar, wobei der Bräutigam um zehn Jahre jünger war.


    Ludwig kam in einer Künstlerfamilie zur Welt; nicht nur sein Vater - Julius Schnorr von Carolsfeld - war ein berühmter Maler, auch sein Großvater hatten diesen Beruf ausgeübt und andere Familienmitglieder ebenfalls.
    Aber der kleine Ludwig hatte nicht nur berühmte Altvordere, sondern auch einen berühmten Taufpaten, das war nämlich kein Geringerer als König Ludwig der II. von Bayern, daher wohl auch der Name des Kindes.
    Ludwig war der zweite Sohn und hatte drei Schwestern und fünf Brüder, man darf annehmen, dass es bei neun Kindern ein recht lebendiges Haus war. Seine Kindheit verbrachte Ludwig in München. Nachdem sein Vater 1846 nach Dresden berufen wurde, besuchte Ludwig dort das Vitzhum-Gymnasium, dessen Leiter sein Onkel, der Reformpädagoge Karl Justus Blochmann war, und hospitierte an der altehrwürdigen Kreuzschule. Ab 1854 folgte ein Studium am Konservatorium Leipzig, welches noch durch ein Studium als Eleve an der Karlsruher Hofbühne ergänzt wurde, wobei es sich ergab, dass der dort tätige Eduard Devrient mit dem Dresdner Elternhaus freundschaftlich verbunden war.
    Der angehende Sänger konnte so erste behutsame Schritte auf der Bühne tun, wobei er auch in kleineren Schauspielrollen zum Einsatz kam; im Bereich der Oper waren es Rollen wie zum Beispiel des Nephtali in der Oper »Josef« von Méhul oder den Soldaten Bois Rosé in Meyerbeers »Hugenotten«, dem recht bald die Titelrolle in diesem Stück folgen sollte.


    Nach relativ kurzer Einführungszeit am Karlsruher Haus hörte man den aufstrebenden Tenor zunehmend in großen Rollen, wobei er oft mit seiner zukünftigen Frau, die ihm an Bühnenerfahrung überlegen war, das Publikum begeistern konnte. Seine stimmlichen Qualitäten hatten sich bei den Intendanten herumgesprochen, so dass es zu zahlreichen Gastspielen kam. Seit 1858 hatte der Sänger einen Zweijahresvertrag in Karlsruhe, aber bald lagen Vertragsangebote der Theater in Berlin und Dresden vor; Schnorr von Carolsfeld entschied sich aus familiären Gründen für Dresden und übersiedelte im Frühjahr 1860 dorthin und sang an der Hofoper.


    In Dresden ergab sich nun die Situation, dass mit dem Engagement von Ludwig Schnorr von Carolsfeld zwei Prachtstimmen für das gleiche Rollenfach zur Verfügung standen. Platzhirsch war hier der Tenor Joseph Aloys Tichatschek, der in den Jahren 1838-1863 an der Dresdner Hofoper 1.445 Mal in 67 Rollen aufgetreten ist.
    Hieraus ergab sich, dass Schnorr von Carolsfeld seine Paraderollen oft an anderen großen Häusern in Deutschland präsentierte. So führte ihn auch 1862 ein Gastspiel wieder an die Spielstätte seiner Anfängerjahre; zusammen mit seiner Gattin gastierte er in Karlsruhe als Tannhäuser / Malwine als Elisabeth und Lohengrin / Malwine als Ortrud. Die »Lohengrin«- Aufführung interessierte auch Richard Wagner, »der aus dem nahen Biebrich herbeikam«, wie man lesen kann, man sollte dazu anmerken, dass zwischen beiden Städten etwa 150 Kilometer liegen. Wagner wohnte damals den Sommer über in Biebrich am Rhein, das heute ein Stadtteil von Wiesbaden ist. Wagner war von der Darbietung des Sängers begeistert und nun davon überzeugt, in Ludwig und Malwine Schnorr von Carolsfeld die Idealbesetzung für seine Oper »Tristan und Isolde« gefunden zu haben. 1859 hatte er das nicht so positiv gesehen und Fräulein Garrigues - die spätere Malwine Schnorr von Carolsfeld - als stimmlose Sängerin bezeichnet.
    Als man »Tristan und Isolde« zum 1. Oktober 1861 in Wien zur Uraufführung bringen wollte, scheiterte das Unternehmen nach 77 Proben kläglich; auch in Dresden und Weimar kam nichts zustande, schließlich galt die Oper zunächst als unspielbar.


    Als im Sommer 1862 die Bülows und Schnorrs in Biebrich eingetroffen waren, studierte das Sängerpaar unter der Klavierbegleitung Bülows »Tristan und Isolde« ein. Wagner war von dem Gebotenen so angetan, dass er verwundert feststellt: »Dies ging in meinem Zimmer vor, während auf keinem Theater mir die Möglichkeit, das Gleiche zu tun, geboten werden konnte«.
    Und diese Studien trugen Früchte, wenn auch der Weg zur Uraufführung 1865 in München mit einigen Imponderabilien gepflastert war. König Ludwig II. von Bayern hatte die Voraussetzungen geschaffen, dass das Werk an der Münchner Hofoper aufgeführt werden konnte. Der Generalprobe am 11. Mai wollte der König beiwohnen und mit ihm 600 geladene Gäste. Kurzfristig musste Ludwig Schnorr unter Tränen Meister Wagner mitteilen, dass seine Frau wegen einer Erkältung und Heiserkeit nicht auftreten kann.
    Das Sängerpaar begab sich zur Kur nach Bad Reichenhall, wohin Richard Wagner einige aufmunternde Briefe sandte..
    Am 10. Juni 1865 fand die Uraufführung statt, wobei die sängerischen Leistungen allgemein gelobt wurden, aber es gab auch Kritiken, die das neue Werk als »unanständig« bezeichneten.


    Der Hauptdarsteller war sich seiner Heldentat voll bewusst; Ludwig Schnorr von Carolsfeld schrieb an seinen Vater:


    »Die Wirkung war eine immense, eine vom ersten bis zum letzten Akt sich unablässig steigende [...] Neben dem höchsten Glück empfinden wir aber auch eine tüchtige Portion Stolz; ich werde heute öfters stolpern, das weiß ich, denn mein Blick wird sich auf die gemeine Erde nicht so leicht bald wieder senken. Wir haben etwas vollbracht, was uns so bald niemand nachmacht; wir haben es endlich erreicht, das große, große Ziel.«


    Nach der Uraufführung gab es noch zwei Vorstellungen am 13. und 19. Juni, danach erholte sich das Sängerpaar am Tegernsee von den Strapazen der Vorbereitungen und Aufführungen. Aber eine längere Erholungsphase war ihnen nicht vergönnt, denn am 23. Juni traf ein Telegramm von allerhöchster Stelle ein; der König forderte, dass binnen acht bis zehn Tagen eine vierte »Tristan«-Aufführung anzusetzen sei. Diese Depesche versetzte den ansonsten eher ruhigen Heldentenor in helle Aufregung, aber auch Wagner puschte die wichtigen Protagonisten zu einer vierten Aufführung und meinte »wer A sagt, muss auch B sagen«. Und diese vierte Aufführung muss wirklich ausgezeichnet gewesen sein, denn von Malwine Schnorr von Carolsfeld ist überliefert: »Es war die vollendetste Aufführung, und wir - was selten vorkam - mit uns zufrieden.« Auch Richard Wagner war im Überschwang der Gefühle.
    Das Sängerpaar wurde königlich entlohnt, für die vier »Tristan«-Aufführungen gab es Bares in Höhe von 2.600 Gulden (ein Feldwebel beim bayerischen Militär bekam damals im Monat 9 Gulden); zudem bekam Ludwig Schnorr noch Bilder aus den Nibelungensälen der Residenz und Gattin Malwine durfte sich an einem wundervollen Armband erfreuen.


    Die Zeiten waren so - am 12. Juli ordnete der König eine separate Vorstellung an, bei der Auszüge aus Wagner-Opern vorgetragen wurden, wobei Ludwig Schnorr von Carolsfeld vier Tenorstücke aus noch nicht aufgeführten Werken vortrug.

    Am 15. Juli 1865, es war ein Samstag, sang Ludwig Schnorr von Carolsfeld noch einmal die Rolle des Erik im »Fliegenden Holländer« schon bei angegriffener Gesundheit. Am 21. Juli 1865 starb der erste »Tristan«, nur wenige Wochen nach den triumphalen Vorstellungen an der Münchner Hofoper, im Alter von nur 29 Jahren.
    Der Vater, Julius Schnorr von Carolsfeld, zeichnete seinen Sohn in den letzten fünf Jahren seiner Bühnenlaufbahn in 14 Rollenbildern, wobei er keine Porträtähnlichkeit anstrebte, sondern eher das Charakterische der Bühnengestalten zeigte; realistischer sind Fotos, die den Sänger mit massiger Gestalt zeigen.


    Malwine Schnorr von Carolsfeld - * 7. Dezember1825 Kopenhagen - † 8. Februar 1904 Karlsruhe


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    Der Name Malwine ist hier noch deutlich zu erkennen


    In der gängigen Literatur wird der Vorname der Sängerin häufig »Malvina« geschrieben, aber in diesem Beitrag wird auch ganz bewusst die Schreibweise auf dem Grabstein verwendet, weil diese wohl näher an der Lebenswirklichkeit der Künstlerin ist. Auch die Berichterstattung zu ihrer Zeit verwendet den Vornamen »Malwine«, so nachzulesen in »Signale für die musikalische Welt« von 1849, wo es heißt:
    »Die Sängerin Fräulein Malvine Garrigues gastirt noch immer mit großem Erfolg auf der Braunschweiger Bühne und steigt mit jeder neuen Rolle in der Gunst des dortigen Publikums«.


    Als Eugénia Malvina Garrigues geboren wurde, waren bereits fünf Geschwister da und zwei kamen noch nach ihr zur Welt. Ihr Vater war der Kommerzienrat Jean Antoine Henri Garrigues, ein Hugenottennachkomme, daher der französische Name. Er war in Dänemark sesshaft geworden und wurde zum portugiesischen Konsul in Dänemark ernannt. So kam es dazu, dass die kleine Malvina im portugiesischen Konsulat in Kopenhagen getauft wurde.


    Malvina Garrigues studierte bei dem Bariton Manuel Garcia in Paris, einem Gesangslehrer der Extraklasse, der den Kehlkopf kannte wie kein anderer und einer unvergleichlichen Sängerfamilie entstammte.
    Über die Länge des Studiums ist nichts bekannt, aber ihr erstes Engagement hatte sie in Breslau, wo sie 1841, also sehr jung, in Meyerbeers »Robert der Teufel« debütierte. Nach acht Jahren wechselte sie zum Herzoglich sächsischen Hoftheater, wo sie sowohl in Gotha als auch in Coburg auftrat. 1854 wurde Malvina Garrigues an das Großherzogliche Hoftheater in Karlsruhe verpflichtet, wo sie bald Bühnenpartnerin ihres späteren Ehemanns wurde und dem sie in punkto Bühnenerfahrung auch Lehrerin war, denn da waren nicht nur ihre Breslauer Bühnenjahre, sie gab auch Gastspiele in Braunschweig, Hamburg, Frankfurt ...


    Wie Malwine Schnorr von Carolsfeld zu ihrem Ruhm als erste Isolde der Musikgeschichte kam ist oben beschrieben; der frühe und plötzliche Tod ihres noch jungen Ehemannes traf sie außergewöhnlich hart, sie fiel in eine tiefe Depression und entwickelte fortan verwunderliche Eigenarten, welche fast unglaublich klingen, aber belegt sind.
    Sie hatte sich nach dem Tod ihres Mannes von der Bühne zurückgezogen und erteilte Gesangsunterricht in Frankfurt am Main, wo auch der Tenor Heinrich Gudehus ihr Schüler war, der dann erstmals den Tristan auf der Bayreuther Festspielbühne sang.


    Ganz andere Auswirkungen zeitigte der Unterricht mit der Gesangsschülerin Isodore von Reutter, die vorgab eine Kommunikation mit dem verstorbenen Ehemann herstellen zu können; sie bot sich als Medium an und hielt spiritistische Séancen mit ihrer Gesangslehrerin ab. Malwine schrieb an ihren Mann lange Briefe, die in Form von Träumen beantwortet wurden. In all dem jenseitigen Getümmel waren die beiden Damen zu der Ansicht gelangt, dass König Ludwig Isodora zur Gattin nimmt und Malvine die Gattin Richard Wagners wird; Wagners Frau war ja im Januar 1866 gestorben.
    Im November 1866 reisten die Witwe Schnorr von Carolsfeld und die Gesangsschülerin Isodore von Reutter tatsächlich zu Richard Wagner nach Luzern, um ihm ihre Planungen zu unterbreiten. Die Situation war äußerst peinlich und sollte ein böses Nachspiel haben.
    Richard Wagner hatte zwar seit den Proben in Biebrich ein gutes Verhältnis zu der Sängerin,, dachte aber nicht m Traume daran die Witwe zu ehelichen, hatte er doch mit Cosima genug zu tun, mit der er in einer »wilden Ehe« lebte.


    In München war Wagners Verhältnis zu Cosima von Bülow kein Geheimnis mehr, aber König Ludwig II. hatte davon keine Ahnung, bis ihn Malwine Schnorr davon brieflich in Kenntnis setzte, worauf ihr der König antwortete:


    »Ich kann und will es nicht glauben, dass Wagners Beziehungen zu Frau von Bülow die Grenzen der Freundschaft überschreiten. Das wäre furchtbar!«


    Der König wies Malwines Informationen zurück, aber die Sängerin legte mehrmals nach und zwischen Malwine und Cosima entwickelte sich ein permanenter verbaler Schlagabtausch; Malwine soll Cosima sogar auf offener Straße beschimpft haben. Auch Wagner selbst bedrängte seinen König, dass er der Witwe Schnorr doch mit der Suspendierung der ihr verliehenen Pension oder mit der Ausweisung drohen solle, wenn sie nicht endlich aufhöre, über ihn und Cosima schlecht zu reden.
    Als des Königs Minister seinem obersten Dienstherrn brieflich die Wahrheit mitteilte, antwortete dieser: »Ich bin wie aus den Wolken gefallen.« Noch 1866 hatte Majestät - auf Bitten Wagners - Cosima von Bülow ein Zeugnis ausgestellt, dass sie einen moralisch einwandfreien Lebenswandel führt. Für Wagner hatte dies die Konsequenz, dass sich König Ludwig zurückzog und schwieg. Für die nächsten fünf Monate war der Briefverkehr unterbrochen und Ludwig II. lehnte alle Erklärungsversuche des Komponisten ab.


    Irgendwann war Gras über die Sache gewachsen und Malwine Schnorr von Carolsfeld spielte in dieser Sache keine Rolle mehr. Malwine hielt sich 1880 in einem Münchner Sanatorium auf, wo Paranoia diagnostiziert wurde; aber es ist auch überliefert, dass sich die Patientin dabei äußerlich vollständig beherrschen konnte und durchaus gesellschaftsfähig war.


    Vermutlich in ihrer Karlsruher Zeit, waren Malvina und Ludwig von Carolsfeld auch schöpferisch tätig, denn Malvina - so ist der Name auf der Publikation geschrieben - war Herausgeberin von Liedkompositionen, die sie der Großherzogin Luise von Baden gewidmet hatte. Sängerin und Sänger hatten neun Lieder nach Gedichten von Andersen, Burns, Heine und Geibel vertont, wobei auffällt, dass bei Malvina die Vortragsanweisungen sehr wehmüthig / sehr schwermüthig / sehr klagend / sehr sanft und klagend ... lauten.


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    Malwine Schnorr von Carolsfeld hatte ihren Mann weit überlebt und starb am Montag, den 8. Februar in Karlsruhe im Alter von
    78 Jahren; ihre Asche wurde nach Dresden gebracht.


    Christiane Wilhelmine Wagner

    Christiane Wilhelmine Wagner, auch »Minna« genannt, geborene Planer, war zwar keine Musikerin, aber wenn man schon einmal hier ist, sollte man zumindest erwähnen und optisch dokumentieren, dass Richard Wagners erste Frau ganz nahe beim Grab der Familie Schnorr von Carolsfeld zu ihrer letzten Ruhe kam. Wenige Monate bevor Malwine und Ludwig von Carolsfeld 1862 mit Wagner in Biebrich zusammen »Tristan« einstudierten, war Frau Wagner an den Rhein gereist, wo die endgültige Trennung des Ehepaares Wagner erfolgte, wenngleich sich Richard Wagner nie scheiden ließ, die Scheidung erfolgte durch den Tod am 25. Januar1866.


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    Hinter dem weißen Kreuz ist das Grab der Familie Schnorr von Carolsfeld zu sehen


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    Praktische Hinweise:
    Man findet die Gräber auf dem Alten Annenfriedhof, Chemnitzer Straße 32, 01187 Dresden-Südvorstadt.

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    An der Kapelle orientiert man sich nach links, wo sich die Grabfelder K und L befinden.




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  • Lieber 'hart',


    auch ich möchte mich für Deine stets sehr lebendig geschriebenen und faktenreichen Lebensbilder vergangener Musikergrößen bedanken, die für mich eine lesenswerte Alternative zu den 'trockenen' Lexika-Eintragungen sind. Die oft stimmungsvollen Bilder ihrer Grabdenkmäler sind dazu eine schöne Ergänzung.


    Carlo


    P. S. Das Grab 'Minna' Wagners befand sich ursprünglich an anderer Stelle auf dem Dresdner Annenfriedhof; 1920 sollte es aufgelassen werden. Siegfried Wagner bezahlte die Umbettung und die Pacht für die nächsten 40 Jahre. Das verloren gegangene eiserne Kreuz auf dem Grabstein wurde später durch ein Steinkreuz ersetzt.

  • P. S. Das Grab 'Minna' Wagners befand sich ursprünglich an anderer Stelle auf dem Dresdner Annenfriedhof; 1920 sollte es aufgelassen werden. Siegfried Wagner bezahlte die Umbettung und die Pacht für die nächsten 40 Jahre. Das verloren gegangene eiserne Kreuz auf dem Grabstein wurde später durch ein Steinkreuz ersetzt.

    Lieber Carlo,

    von diesem Sachverhalt hatte ich bisher keine Ahnung, das ist eine wertvolle Ergänzung!

    Auf diesem Friedhof habe ich übrigens auch das Grab von Heinrich Gudehus gesucht, das gut zu Malwine Schnorr von Carolsfeld gepasst hätte, der - wie oben erwähnt - ein Schüler von ihr war. Es muss ursprünglich auch im linken Bereich gewesen sein, ist aber vermutlich aufgelassen worden.

  • Lieber Carlo,

    von diesem Sachverhalt hatte ich bisher keine Ahnung, das ist eine wertvolle Ergänzung!

    Auf diesem Friedhof habe ich übrigens auch das Grab von Heinrich Gudehus gesucht, das gut zu Malwine Schnorr von Carolsfeld gepasst hätte, der - wie oben erwähnt - ein Schüler von ihr war. Es muss ursprünglich auch im linken Bereich gewesen sein, ist aber vermutlich aufgelassen worden.

    Das Grab von Heinrich Gudehus ist im rechten Bereich direkt hinter der Kapelle zu finden.

  • Das Grab von Heinrich Gudehus ist im rechten Bereich direkt hinter der Kapelle zu finden.

    Lieber Heiko,

    wann hast Du das gesehen? Natürlich hatte ich explizit dort gesucht und der rote Stein mit goldener Schrift ist ja kaum zu übersehen ... irgendwie ist mir das rätselhaft, aber es kursiert ein Foto von 2017, das den Stein zeigt.

  • Lieber Heiko,

    wann hast Du das gesehen? Natürlich hatte ich explizit dort gesucht und der rote Stein mit goldener Schrift ist ja kaum zu übersehen ... irgendwie ist mir das rätselhaft, aber es kursiert ein Foto von 2017, das den Stein zeigt.

    Hallo Hart, den Friedhof habe ich seit den 1990-er Jahren mehrfach besucht und dabei auch das Grab von Heinrich Gudehus aufgesucht bzw. fotografiert - zuletzt 2007. Dieses Foto habe ich auch veröffentlicht unter https://www.knerger.de/html/gudehusmusiker_63.html.

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  • Leo Borchard - * 31 März 1899 Moskau - † 24. August 1945 Berlin


    Also wenn man die amtliche Sterbeurkunde vom 13. September1945 zugrunde legt, dann ist Leo Borchard nicht - wie es oft zu lesen ist - am 23. August verstorben, sondern am 24. August 1945 um 0 Uhr 20 Minuten in Berlin-Schöneberg im Auguste-Viktoria-Krankenhause.


    Das Nachrichtenblatt der britischen Militärbehörde meldete am 25. August 1945:


    »Leo Borchard, der Dirigent des Berliner Philharmonischen Orchesters, wurde am 23. August 1945, gegen elf Uhr nachts, von einem amerikanischen Posten versehentlich angeschossen und getötet. Borchard fuhr in Begleitung eines Offiziers der britischen Militärregierung in einem offiziellen britischen Wagen durch den amerikanischen Sektor von Berlin. Der Unglücksfall ereignete sich in der Kaiserallee, in der Nähe des Kaiserplatzes. Der britische Offizier bemerkte zu spät, daß der Posten ihn zum Halten aufforderte, worauf der Posten auf den Wagen feuerte«.


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    Das rote Tonschild am unteren Bildrand zeigt, dass es sich um ein Ehrengrab der Stadt Berlin handelt.


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    Nur in der Vergrößerung ist die archaisch wirkende Grabinschrift lesbar.


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    Das Grab ist von diesen beiden Bäumen flankiert, wo auf den kleinen weißen Schildchen die Grabfeld-Nummer steht.


    Zum heutigen Todestag von Leo Borchard


    Der Dirigent Leo Borchard wurde als Lew Ljewitsch Borchard geboren, in Königsberg wurde 1933 aus ihm ein Deutscher mit dem Namen Leo Karl Otto Borchard - und in Berlin dann einfach Leo. Nach dem bei seiner Geburt gültigen julianischen Kalender ist Borchert am 18. März 1899 geboren, er war das zweite Kind seiner Eltern.
    An Geld mangelte es der Familie nicht, Borchards Mutter Eugenie bekam schon bei ihrer Geburt fünf Millionen Rubel in die Wiege gelegt, das waren immerhin 12 Millionen Goldmark.


    Die Familie war von 1865 bis 1917 in Russland ansässig und fühlte sich sehr russisch, auch noch nach dem Ende der Zarenzeit; so wurde die Familienkorrespondenz zum Beispiel russisch geführt; selbst seine Partitur-Eintragungen sind 1935 noch in russischer Sprache gehalten. Die Kinder wurden mit mindestens vier Sprachen groß.
    Die handelnden Personen im familiären Umfeld waren Offiziere und Kaufleute, allein Leos Mutter, eine geborene Kirchner, war aus der Art geschlagen und soll eine ausgezeichnete Pianistin gewesen sein - und sie war eine tief gläubige Frau.


    Leo besuchte in Moskau eine deutsche Schule und stand während seiner Schulzeit ansonsten im privaten Bereich unter dem Einfluss von Frauen, also seiner älteren Schwester, der Mutter, Großmutter und Stiefgroßmutter.
    Die Mutter hat das künstlerische Element in die Familie gebracht, also erhält die Tochter Klavier- und Gesangsunterricht; Sohn Leo beginnt mit sieben am Klavier, was jedoch nicht besonders konsequent betrieben wird; der Geigenunterricht bei Professor Rywkind, der immerhin auf einer Stradivari spielt, hat zur Folge, dass Leo zum ersten Mal in das Umfeld der Berliner Philharmoniker gerät.


    Als im Januar 1916 Vater Leopold Borchard stirbt, lehnt sich Leo an seinen englischen Erzieher und an seinen Vetter Wladimir von Genter an. Die nun folgende Revolution hatte natürlich für die begüterten Familien gewaltige Folgen. Gemildert wurde das Ganze, weil die Kirchners, also die Familie der Mutter, an der »finnischen Riviera« - in Terijoki - Besitztümer hatten. Im Herbst 1918 gelang es - einem Bericht Borchards zufolge - durch eine gefahrvolle Fusstour größere Familienwerte aus Petersburg und Moskau nach Finnland zu schaffen; dabei wurde auch eine wertvolle Violine mitgeführt.


    In Finnland war es nun durch neue Gesetzgebung nicht mehr so einfach den Grundbesitz zu behalten, aber erst mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs geht dieser Besitz endgültig verloren. Leo Borchard studiert an der Hochschule in Helsinki Musik, wobei sich seine Studien hauptsächlich auf das Fach Komposition beziehen, einen Studiengang »Dirigieren« gab es damals in Helsinki nicht.
    Borchards Lehrer an der Hochschule statten den Musikstudenten im März 1920 mit Empfehlungsschreiben aus, welche ein 1½ jähriges Musikstudium bestätigen. In dem Schreiben vom Kapellmeister der Staatsoper Helsinki, Prof. Franz Mikorey, heißt es:
    »Da es nicht möglich ist, hier ein Musikstudium zu vollenden, so wäre es sehr zu wünschen, daß Herrn B. im Interesse seiner Studien die Reise nach Deutschland (Berlin oder Dresden) ermöglicht werde«.


    Für Borchard war das kein Heimkommen ins Vaterland der Familie, er wollte hier dirigieren lernen. Im Juni 1920 kam er nach Berlin, die Ausstellung eines Visums zog um ein Jahr hin.
    Auch Franz Schreker war in diesem Jahr nach Berlin gekommen und hatte seine Lehrtätigkeit aufgenommen. In diesen Jahren gab es in der Berliner Musikszene mitunter gewaltige Spannungen zwischen Beharrenden und Fortschreitenden.
    Klavierunterricht erhält Borchard von dem etwas skurrilen Eduard Erdmann, einem Pianisten der Avantgarde.
    Ein besonderes Verhältnis entwickelt Borchard zu dem Dirigenten Hermann Scherchen; sowohl von der rein fachlichen Seite als auch in der gemeinsamen Liebe zu Russland. Scherchen ist ein begeisterter Chordirigent und dirigiert von 1919 bis 1922 in Berlin Chöre der Arbeiterbewegung und so kommt es, dass auch Borchard seine Laufbahn mit dem Dirigieren von Chören beginnt; dies bietet sich an, weil ein unbekannter Anfänger eher einen Chor findet als ein Orchester. Zudem kommt die Tatsache, dass der Musikstudent sich ab 1921 in einer finanziell nicht gerade rosigen Zeit befindet, ein Zustand, der etwa bis 1924 besteht.
    In diesen Jahren sind in Berlin vor allem die Dirigenten Leo Blech, Bruno Walter und Wilhelm Furtwängler Vorbilder für den jungen Borchard, der von einem plötzlichen Entschluss spricht, als er im August 1925 als Korrepetitor an die Städtische Oper Berlin geht. Er hatte die Prüfung bei Bruno Walter bestanden und wurde Walters Assistent. Aber ebenso plötzlich wie Borchard zu Bruno Walter kam, findet er sich nun bei Otto Klemperer wieder, der einen ganz anderen Stil pflegte, was dann an der Kroll-Oper zum Tragen kam.


    1929 wird Hermann Scherchen städtischer Generalmusikdirektor in Königsberg, eine Position, die auch mit der Leitung der Sendeanstalt verbunden ist. Scherchen weiß, dass er für ein breites Publikum arbeiten muss und siedelt das Königsberger Rundfunkorchester etwa zwischen Kurorchester und sinfonischem Klangkörper an; im Herbst 1928 kommt noch ein Funk-Chor hinzu. In dieser Situation erinnert sich Scherchen an seinen begabten ehemaligen Schüler und holt diesen als weiteren Kapellmeister nach Königsberg.
    Bereits am 10. und 13 Oktober 1928 stellt sich Borchard in Königsberg vor, es ist seine erste Zusammenarbeit mit einem großen Symphonieorchester. Der junge Dirigent leistet hier gute Arbeit, was auch von der Presse anerkannt wird, aber er fühlt sich in der Stadt nicht so recht wohl und hat auch keine Ambitionen sich in der Königsberger Gesellschaft einen Namen zu machen. Als es hier zu finanziellen Komplikationen kommt und das Orchester schrumpft, scheint es Borchardt gerade recht zu sein, um von hier wegzukommen. Er hatte den ostpreußischen Rundfunkhörern etwa 180 Konzerte geboten und verließ nach dreijähriger Tätigkeit die erste Station seines Wirkens als Orchesterdirigent; in der Zeitung war zu lesen: »Wir sehen Leo Borchard , den gewissenhaften Arbeiter und vollblütigen Musiker, ungern scheiden«.


    1931 lernt Borchard Ruth Andreas-Friedrich kennen, eine alleinerziehende, geschiedene Frau, die ihrer Zeit weit voraus und als Journalistin unterwegs ist. Die beiden bleiben bis zum Tode Borchards zusammen und wohnen seit 1934 in Berlin im gleichen Haus auf unterschiedlichen Stockwerken, Borchards Wohnung soll - so war in einem Zeitungsbericht zu lesen - nur 55 Quadratmeter groß gewesen sein. Das Paar heiratete aber nicht und die beiden sollen stets beim »Sie« geblieben sein.
    Leo Borchard findet sich in einem Dirigenten-Austauschprogramm der deutschen Rundfunkanstalten wieder und dirigiert in Berlin, Stuttgart, Frankfurt, Hamburg, Leipzig, München ...
    auf den Programmen erscheint er immer noch als »L. L. Borchard«; die Orchester bieten gehobene Unterhaltung und Borchard bevorzugt sowohl das nordisch-russisch-slawische Programm als auch das französische Repertoire.
    Ab 1933 ist die Musikszene immer mehr mit politischen Gegebenheiten verwoben und für Leo Borchard wird es eng, als ihn der Rundfunk - vor einem Konzert zu Führers Geburtstag - verdächtigt politisch unzuverlässig zu sein. Das Orchester weigert sich unter ihm zu spielen; die konkreten Vorwürfe gegen ihn waren, dass man ihn für einen Ausländer halte und er Juden im Orchester bevorzuge; zudem habe er vor drei Jahren mal beim Abspielen der Deutschlandhymne die Nase gerümpft.
    Die Vorwürfe gegen Borchard sind noch umfangreicher und das mit der Schreibmaschine geschriebene Protokoll - von einem Dutzend Orchestermitgliedern unterschrieben - vom April 1933 ist noch heute einsehbar. Für den Dirigenten hatte dies Folgen in Form eines halbjährigen Verbotes der musikalischen Tätigkeit am faschistischen Radio.
    Borchard hatte nun aber die Möglichkeit mit der Comedia Tonfilm GmbH einen Halbjahres-Vertrag abzuschließen, welcher dann sogar bis zum September 1934 verlängert werden konnte. In seinem Lebenslauf stellt das Borchard so dar »Von da an Festigung der materiellen Lage durch Arbeiten im Film«. Borchert sondiert auch in London und wäre gerne bei Produktionen von Tonfilmen oder bei der BBC eingestiegen, aber von dort kam stets die Antwort, dass es mit ausländischen Künstlern sehr schwierig sei ...

    Also schaute sich Leo Borchard neben seiner bisherigen Tätigkeit als Rundfunk- und Tonfilmdirigent nach anderen Orchestern um.
    Das Berliner Philharmonische Orchester bot populäre »volkstümlich« genannte Sonntag- und Dienstagkonzerte in einer umgebauten Rollschuhbahn an. Das war nicht die reine Hochkultur, das war so etwa die zweite Liga.
    Am 3. Januar 1933 steigt Borchard in diese Konzertreihe ein; auf dem Programm stehen Joseph Haydns »Symphonie militaire«, Ludwig von Beethovens Klavierkonzert Nr. 3, sowie die Symphonie Nr. 2 von Johannes Brahms. Pianist ist Karl Ulrich Schnabel.
    Aber erst wieder im Dezember 1933 leitet Borchard ein Konzert der »Populären«. Die neuen Machthaber hatten jüdische Musiker aus ihren Positionen gedrängt und somit hatte der systemkritische, aber immerhin arische Borchard eine Chance.

    In den Spielzeiten1934/35 und 1935/36 wird er Nachfolger des wegen seiner jüdischen Herkunft des Amtes enthobenen Julius Püwer und leitet in dieser Zeit die meisten populären Konzerte. Die Konzerte haben Zulauf und die Kritiken sind gut. Der angesehene Hans-Heinz Stuckenschmidt schreibt zum Beispiel:
    »Leo Borchard steht unter den Dirigenten, die für eine neue Gestaltung der volkstümlichen Philharmonischen Konzerte in Frage kommen, in der ersten Reihe«.


    Während sich zum Beispiel der Dirigent Sergiu Celibidache ziert, hat Borchard keinerlei Hemmungen in die neuen Medien von Film, Funk und Schallplatten einzusteigen, Besonders »Telefunken« interessiert sich für Borchard. Etwa ab 1934 wird erkennbar, dass Borchard aufsteigen will, was auch zum Ausdruck kommt, als ihn Reznicek beauftragt die Verhandlungen mit dem Grand Casino in Vichy zu führen, wo Borchard dann auf internationalem Parkett eine gute Figur macht , wobei er sich insbesondere als Kulturbotschafter sieht, nachdem er auch in Berlin einige Konzerte mit ausländischen Werken geleitet hatte.
    Bei den »Populären Konzerten« wird Borchard dann nicht mehr gesehen, und diese laufen dann 1937 auch aus, worüber die Musiker nicht gerade unglücklich waren, denn sie sahen diese billigen Konzerte so als eine Art »Sonderschicht«.
    Ab Herbst1936 hat der bisher so erfolgreiche Borchard Schwierigkeiten mit dem neuen Leiter der Philharmonie, Hans von Benda; am 11. März1937 endet seine feste Verpflichtung bei den Berliner Philharmonikern. Eine Bewerbung für Baden-Baden bringt für Borchard keinen Erfolg; er wird an seinem Vorgänger Herbert Albert gemessen und sein Probedirigat am 27. April 1937 löst keine enthusiastische Begeisterung aus. Im Juni des gleichen Jahres dirigiert er das Landesorchester des Gaues Berlin; eine Station von der ein aufstrebender Dirigent nicht unbedingt träumt.
    Dennoch hat Borchard im Folgenden einige internationale Auftritte: 1938 in Paris und Budapest, sowie1939 in Stockholm, Paris, Athen und Budapest.
    Ans Pult der Berliner Philharmoniker kehrt er in den folgenden Jahren nur zwei Mal zurück, 1940, mit beachtlich guten Kritiken und 1943 nochmal mit einem Sonderkonzert »Zeitgenössische Musik« - Kompositionen von: Gottfried von Einem, Hans Brehme, Werner Egk, Goffredo Petrassi und Zoltán Kodály.
    Auch der Hinweis im Konzertprogramm war zeitgemäß: »Bei Fliegeralarm müssen sich sämtliche Zuhörer in die Wandelgänge und Garderoben des Erdgeschosses begeben«.


    An sich ist die Dirigenten-Karriere Borchards 1938 erst einmal vorbei. In Berlin taucht Herbert von Karajan auf, der bei einem Sonderkonzert der Berliner Philharmoniker am 8. April 1938 begeistert gefeiert wird. Dem folgt ein weiteres Konzert im September und dann steht Karajan auch schon am Pult der Berliner Staatsoper, wo er mit »Fidelio« sowie »Tristan und Isolde« einen triumphalen Einstand feiert.


    Da es für Borchard nun kaum noch etwas zu dirigieren gab, besann er sich seiner Sprachkenntnisse und machte sich an die Übersetzung des von Nina Berberova geschriebenen Buches »Tschaikowsky«, mit dem Untertitel »Geschichte eines einsamen Lebens«.
    Dass er sich gerade diesen Stoff ausgesucht hatte ist nicht weiter verwunderlich, hatte er doch schon immer eine enge Beziehung zu diesem Komponisten.
    Borchard setzt seine Übersetzertätigkeit mit Tschechows »Geschichten vom Alltag«, insgesamt 33 kleine Erzählungen, fort.


    Wenn oben nur von einem Borchard-Konzert in Berlin im Jahr 1943 die Rede ist, dann bedeutet dies nicht, dass der Dirigent ansonsten musikalisch untätig war. Ab Herbst 1943 arbeitete Borchard für den Deutschen Europa-Sender Hilversum. Hier wurden Aufnahmen moderner und ausländischer Werke gemacht, die ausschließlich fürs Ausland bestimmt waren; diese Tätigkeit zog sich bis zum Sommer 1944 hin.


    Was Leo Borchard sonst noch trieb, war äußerst gefährlich. Bereits im Winter 1938 hatte sich mit Borchards langjähriger Partnerin Ruth Andreas-Friedrich und seiner Schwester Margarita von Kudriavtzeff eine humanitär wirkende Gruppe gebildet, der sich noch andere, meist Intellektuelle, anschlossen. Diese Widerstandsgruppe wurde später unter der Bezeichnung »Onkel Emil« bekannt und half politisch verfolgten Personen in vielfältiger Weise, zudem malten sie antinazistische Parolen an Hausfassaden und verteilten Flugblätter der »Weißen Rose«.
    Eine Gedenktafel an Borchards langjährigem Wohnsitz Hünensteig 6, Berlin-Steglitz, weist auf den ehemaligen Wohnsitz dieser Widerstandsgruppe hin, wobei eine Würdigung des Dirigenten außen vor bleibt.


    Zum Ende des Krieges hin ändert sich im privaten Bereich des Leo Borchard einiges. Etwa um den Jahreswechsel 1944/45 beobachtet Leos Lebenspartnerin Ruth eine Abkühlung des Verhältnisses, wobei sie feststellt, dass eine junge Frau - Maria - das besondere Interesse ihres bisherigen Partners auf sich gezogen hat. Die neue Dame heißt Maria von Hartlieb, ist seit 1941 geschieden, etwa zehn Jahre jünger als Ruth und schwanger.
    Borchard hat es in seinem Frauenhaushalt nun mit fünf Frauen zu tun: Mutter Eugenie, Schwester Margarita, Ruth und deren 18-jährige Tochter Karin, sowie Maria Hartlieb.
    Als Maria in den Haushalt kommt geht man zunächst davon aus, dass hier einer schwangeren jungen Frau geholfen werden muss, man war ja schließlich auf Helfen eingestellt und eingeübt.
    Schließlich muss sich der werdende Vater seinem Umfeld endlich offenbaren, was eine Reaktion auslöste, die Haydns Paukenschlag bei Weitem übertraf. Am 2. März 1945 erfolgte die Eheschließung.


    Die Russen erreichten als Erste der Siegermächte Berlin; am 2. Mai 1945 war die Schlacht um Berlin beendet; es war eine schlimme Zeit! Bei all dem Chaos ist es erstaunlich, dass der Berliner Stadtkommandant, Generaloberst Bersarin, bereits am 14. Mai führende Künstler einlud, um Pläne für den Aufbau des Berliner Künstlerlebens zu besprechen.
    Allerdings wird diese Version auch angezweifelt und ausgesagt, dass nicht einwandfrei festgestellt werden kann von wem die Einladung tatsächlich ausging.
    Borchard verfasste schleunigst einen etwas geschönten Lebenslauf in russischer Sprache.
    Das Deutsche Opernhaus und auch das Berliner Funkorchester spielen bereits am 18.Mai auf, Chronisten berichten, dass Musiker ihre großen Instrumente im Kinderwagen durch die Stadt transportierten. Das erste Konzert der Berliner Philharmoniker war für den Sonnabend des 26. Mai 1945 angekündigt; es fand im Titania-Palast statt. Der Eintritt kostete 2 bis 6 RM, die Leute strömten von überall her, das Konzert war ausverkauft. Auf dem Programm standen Werke von Mendelssohn Bartholdy, Mozart und natürlich - als Verbeugung vor der russischen Kultur - Tschaikowsky.
    Ruth Andreas-Friedrich berichtet über das Konzert und über den Zwischenfall:


    »Zauberhaft interpretierte er Mendelssohns Zauberwerk, da wurde mitten im Andante-Satz die Gangtür aufgerissen, schwere waffenklirrende Schritte schallten durch den Saal, am Türeingang erschienen finstere Gestalten in schmutzigen olivgrünen Uniformen, postierten sich und präsentierten ihre Maschinenpistolen«.


    Ja, so ganz normal war das eben doch noch nicht ... Aber für Leo Borchard scheint es nun mächtig aufwärts zu gehen. Am 2. Juni 1945 bekommt er vom Magistrat der Stadt Berlin die Bescheinigung, dass er »bis zur endgültigen Entscheidung mit der künstlerischen Gesamtleitung des Berliner Philharmonischen Orchesters und als Dirigent der Konzerte beauftragt«, ist. Allerdings gab es einige Irritationen, weil der vorher so mächtige Tietjen den jungen Dirigenten Borchard zu verhindern suchte, wogegen dieser sich entsprechend wehrte. Borchard hatte den Vorteil, dass er mit den russischen Besatzern direkt in deren Sprache verhandeln konnte.
    Die Russen weisen Borchard Anfang Juni 1945 eine Villa in Berlin-Dahlem zu, das neue Domizil befindet sich in der Hüninger Straße 37; die Sänger Peter Anders und Willi Domgraf-Fassbaender wohnen nur ein paar Schritte entfernt.


    Inzwischen sind die Russen nicht mehr die einzigen Verhandlungspartner; nun müssen auch die Amerikaner, Engländer und Franzosen berücksichtigt werden, wenn es um kulturelle Entscheidungen geht. Für den polyglotten Borchard eröffnet sich da ein weites Betätigungsfeld, zum Beispiel wenn es um die erneute Überlassung des Titania-Palast geht, den inzwischen die amerikanische Panzerdivision als Truppentheater für sich beansprucht.


    Noch ist Leo Borchard nicht der einzig denkbare Dirigent des Philharmonischen Orchesters, da wird nämlich von anderer Seite auch noch der jüngere Sergiu Celibidache ins Spiel gebracht. Borchards Konzerte finden nicht nur beim Publikum Anklang, auch in der amerikanischen Presse ist Positives zu lesen, wobei man sich vorstellen kann, dass des Dirigenten Schwester, Margarita von Kudriavtzeff, ihre traditionell guten Drähte zur amerikanischen Presse beeinflussend nutzte.


    Am 23. August kommt es unter anderem auch zu einer Annäherung zwischen Tietjen und Borchard, der Tietjen in Aussicht stellt, dass er für den ins Abseits geratenen Tietjen eine Ehrenerklärung abgeben wird.
    Abends ist Borchard mit Ruth und Jan Eland bei den Briten eingeladen. Man musste damals abends um elf zu Hause sein, weshalb Oberst Creighton anbot, die Gäste mit seinem Dienstwagen selbst nach Hause zu fahren. Borchard saß vorn neben dem Chauffeur, man unterhielt sich über das Brandenburgische Konzert von Bach und Borchard spielte gerade mit dem Gedanken, dieses Konzert anstatt mit der bekannten kleinen Orchesterbesetzung, einmal mit großer Orchesterbesetzung zu dirigieren ...
    Dann ging alles sehr schnell, es fielen Schüsse, einer traf Leo Borchard in die Schläfe.


    Ganz einfach ist der letzte Gang von Leo Borchard nicht. Das Krankenhaus drängt der großen Hitze wegen auf eine baldige Bestattung, aber man hat im Berlin dieser Tage keine Särge mehr; die Beerdigung muss verschoben werden; erst am 29. August findet der Dirigent seinen Ruheplatz auf dem Steglitzer Friedhof.
    Bei der Trauerfeier muss etwas improvisiert werden, die Friedhofskapelle war durch Bomben zerstört.


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    Einen Hinweis zur Abt. 41 gibt es in dieser Form nicht.


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    Die Allee zur Kapelle


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    Praktische Hinweise:
    Der Haupteingang zum Friedhof Steglitz befindet sich in der Bergstraße und ist mit 37 38 38A bezeichnet. Man geht auf der Allee geradeaus bis zur Kapelle. Dort gibt es die Möglichkeit zwei Gräberfelder weiter geradeaus zu gehen und dann nach rechts abzubiegen, oder sich bei der Kapelle rechts zu halten, um dann gleich wieder sich nach links wendend über die Felder 45 und 43 zum Feld 41 - also dem Borchard-Grab - zu gelangen.

  • Lieber hart, Deinen Beitrag habe ich mit großem Interesse gelesen. Danke! Über Borchard kann nicht genug geschrieben werden. Er ist noch immer ein weithin Unbekannter. Die von Dir besuchten Stätten - Grab und ehemaliges Wohnhaus mit der Gedenktafel - kenne ich auch aus eigener Anschauung. An der Stelle am Berliner Bundesplatz, wo er erschossen wurde, gibt es auch eine Erinnerungstafeln. Als ich neulich dort vorbei kam, fand ich sie nicht. Offenbar ist sie derzeit hinter einem Bauzaun verborgen. Berlin und die Philharmoniker taten sich immer schwer mit der Erinnerung an diesen interessanten Künstler. Es war auch nicht so einfach, seinen tragischen Tod in dieser geteilten Stadt historisch einzuordnen. Erschossen haben immer die anderen. Vielleicht sollte noch erwähnt werden, dass Borchard am Text für Blachers "Großinquisitor" nach Dostojewski mitarbeitete. Im Forum findet sich auch ein Text dazu.


    Besonders »Telefunken« interessiert sich für Borchard.

    Die Ergebnisse finden sich auf dieser CD zusammengestellt. Besonders zu verweisen ist auf Wotans Abschied und Feuerzauber aus der "Walküre" mit dem Bariton Hans Reinmar.



    Also wenn man die amtliche Sterbeurkunde vom 13. September1945 zugrunde legt, dann ist Leo Borchard nicht - wie es oft zu lesen ist - am 23. August verstorben, sondern am 24. August 1945 um 0 Uhr 20 Minuten


    Das zieht sich so durch viele Quellen. Nach meinem Eindruck sind die irreführenden Angaben auf den Zeitunterschied zurückzuführen. London liegt mit einer Stunde hinter Berlin. Borchard kam im englischen Sektor ums Leben. In allen Dingen hatten die Alliierten das Sagen.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Rudolf Schock - *4. September 1915 Duisburg - †13. November 1986 Düren


    Im Beitrag # 65 wurde zwar im Juni 2013 ein Bild von Schocks Grab eingestellt und im Umfang von vierzehn Zeilen etwas dazu geschrieben, aber nun liegen mehr als 700 Beiträge dazwischen, so dass es gerechtfertigt ist heute nochmals und in etwas breiterer Form auf das Leben des Ausnahmesängers einzugehen; mein Weg führte mich in diesem Sommer über Düren, da fährt man dann nicht einfach vorbei ...


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    Zum heutigen Geburtstag von Rudolf Schock


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    Rudolf Schock war ein Arbeiterkind, ein armes Arbeiterkind, ein sehr armes Arbeiterkind, wenn man das von der rein finanziellen Seite aus betrachtet, aber die Familie hatte dergestalt Kultur, dass hier gesungen wurde, was das Zeug hielt und da sollen schöne Stimmen dabei gewesen sein; der Vater Tenor und Tante Auguste mit unüberhörbarem Alt.
    Beachtlich ist, dass immerhin alle Schock-Kinder später hauptberuflich sangen.
    Der Vater war ein echter Malocher; eine 60-Stunden-Woche normal, aber da kamen auch schon mal 84 Stunden zusammen, wobei es sich um Schwerstarbeit handelte. Der Vater war der kommunistischen Partei beigetreten, die für ihn und seine Kumpels bessere Zeiten in Aussicht stellte.


    Der kleine Rudi war in den Ersten Weltkrieg hineingeboren worden, der Vater kam zum Militär und überlebte zwar den Krieg, erkrankte dann aber in den 1920er Jahren so schwer, dass er starb als Sohn Rudi sieben Jahre alt war. Nun stand Mutter Schock mit fünf unmündigen Kindern da, Helmut, der älteste Bruder übernahm eine Art Vaterrolle.
    Rudi war ein hervorragender Schüler mit immerhin sechs Einsen im Zeugnis; als da einmal ausgerechnet im Fach Gesang nur eine Zwei stand, reklamierte der Kammersänger in spe erfolgreich, sodass die Gesangsnote auf Eins geändert wurde.
    Zwar riet der Lehrer dringend zum Besuch des Gymnasiums, aber die einbestellte Mutter machte deutlich, dass er dort nicht barfuß hingehen könne; bei Schocks war es üblich, dass die Kinder zwischen März und November barfuß gingen, um die Schuhe zu schonen.
    Zwar wurde ersatzweise der Besuch einer Mittelschule angedacht, aber auch diesen Gedanken ließ Mutter Schock fallen, weil sie nicht sicher sein konnte, dass ihr die kärglich bezahlte Putzstelle erhalten blieb; auch in der Mittelschule wurden Bücher benötigt, deren Beschaffung Sache der Eltern war.
    Als Schock die Volksschule mit hervorragendem Abgangszeugnis verließ, stellte er sich beim Arbeitsamt Duisburg einer Einungsprüfung, aus der er unter 600 Bewerbern als Bester hervorging. Es war ausgemachte Sache, dass ein so guter Absolvent ins Büro gehört.
    Mutter und Sohn machten sich nun auf den Weg, um potenzielle Arbeitgeber aufzusuchen.
    Auch dort beeindruckten die guten Schulnoten und die Sache wäre gut gelaufen, wenn in dem Zeugnis nicht der Vermerk »Bkfr. Schule« gestanden hätte. Das »staatlich anerkannt« wurde nicht anerkannt, das Ungeheuerliche war bei den Firmenchefs die Bekenntnislosigkeit.
    Nach mehreren vergeblichen Vorsprachen in Firmen bemerkten Mutter und Sohn, dass ein kaufmännischer Beruf für Absolventen einer bekenntnisfreien Schule nicht möglich war.
    Damit der Junge nicht arbeitslos herumsaß, wurde auf Initiative der Mutter eine Friseurlehre begonnen; es war eine schwere Lehrzeit, bei der kleinsten Ungeschicklichkeit wurden dem Stift seine sechs Einsen vorgehalten und von einer 60-Stunden-Woche konnte er nur träumen, schließlich war er auch zum schrubben der Wäsche in der Waschküche eingeteilt.
    Dennoch brachte ihn sein Job als Friseur auch seiner zukünftigen Berufung näher. Als er in einen Arzthaushalt bestellt wurde, um dort den Kindern die Haare zu schneiden, erhielten diese gerade Klavierunterricht und die Dame des Hauses nahm das Interesse des jungen Friseurs am Klavierspiel wahr. Es kam zur Sprache, dass der junge Mann das auch gerne lernen würde, weil er gerne singt. Die Arztgattin wollte eine sängerische Kostprobe hören, die Pianistin - eine Lehrerin vom Duisburger Konservatorium - begleitete. Der Vortrag war mehr als gelungen und fortan konnte sich Schock Grundbegriffe in Musiktheorie und im Klavierspiel erwerben.


    Aber immer noch war er 16-jähriger Friseurlehrling, der auf Trinkgelder angewiesen war und insbesondere samstags, wenn im Friseursalon Hochbetrieb herrschte, bis 22 Uhr und noch später arbeiten musste. Seine Mutter kam noch später nach Hause, denn sie arbeitete nun am Duisburger Stadttheater - vormittags als Putzfrau und abends als Garderobiere.
    Die Schock-Söhne zogen als Straßensänger durch die Gegend, um ein paar Groschen zur Familienkasse beisteuern zu können.
    Eines Tages schrieb das Duisburger Stadttheater Stellen für den Chor aus; gesucht wurden Sopranistinnen und Tenöre. Schwester Elfriede, die Schneiderin, war gleich hell begeistert und Bruder Rudi konnte sich das auch vorstellen. Also nutzte Frau Schock ihren Draht zu Chordirektor Hillenbrand, der die Kinder schon vor Jahren einmal in den Kinderchor des »Wildschütz« hineingenommen hatte, aber das war eben schon eine ganze Weile her. Der Direktor hatte weder etwas gegen Schneiderinnen oder Friseure, fragte aber nach einem Musikstudium der beiden. Hier musste Mama Schock passen, aber beschwor abermals die wunderbaren Stimmen ihrer Kinder.
    Schwester Elfriede ging aus diesem Vorsingen siegreich hervor, während Bruder Rudi sich zu diesem Termin aus dem Friseursalon unter einem Vorwand weggestohlen hatte und schwer atmend am Theater ankam und sein Vorsingen in den Sand setzte - »Danke!« hieß es höflich: »Danke schön. Leider haben wir im Augenblick keine Verwendung für Sie.«


    Ein Jahr später sah die Sache ganz anders aus, denn man hatte bei Schocks ein altes Klavier angeschafft und der Opernsänger und Dirigent vom EGV Weidenau, Herr Massin, hatte ihn auf einen Teil aus »Tannhäuser« vorbereite, der auch im Vorjahr verlangt wurde. Schock musste kein zweites Stück vortragen, er war als Chorsänger engagiert und überglücklich.
    Aber er hatte im Jahr 1934 noch eine große Hürde zu nehmen, das »Politische Führungszeugnis« und das war aus damaliger Sicht miserabel, denn sein Vater war - obwohl schon seit zehn Jahren Tod - Mitglied der KPD gewesen, Sohn Rudolf Mitglied der kommunistischen Kindergruppe und anschließend Mitglied der sozialistischen Arbeiterjugend.
    Der Intendant musste mit einigen wichtigen Leuten telefonieren, dann konnte Rudolf Schock als Chorsänger die Bühne betreten; es war am 4. September, seinem 19. Geburtstag.
    Heutzutage würde man sich vom 1. September an etwas ausruhen, nicht so Schock; bis zum 3. September arbeitete er noch im Frisiersalon; für wenige Tage war er also Doppelverdiener.


    Als er bei einer »Fidelio«-Aufführung, wo er den Ersten Gefangenen sang, in der Zeitung lobend erwähnt wurde, konnte er im Kollegenkreis sowohl Begeisterung als auch Neid erfahren.
    Beim Vorsingen im Theater war er auch dem »schwarzen Bass« Robert von der Linde aufgefallen, welcher feststellte, dass da mehr als nur eine Chorbegabung vorhanden ist.
    Der erfahrene Bassist meinte, dass der Junge einen guten Gesangslehrer braucht und fuhr mit ihm nach Köln zu Professor Pilken, der dort ein Gesangsstudio unterhielt.
    Als Schock mit »Wie eiskalt ist dies Händchen ...« geendet hatte, prophezeite der Professor, dass Schock in zehn Jahren an der Staatsoper Berlin singen würde, was Schock für übertrieben hielt, dennoch hatte er dieses vom Professor vorgegebene Ziel, Berlin, schon weit früher erreicht, allerdings nicht die Staatoper, sondern - zunächst - die Städtische Oper Berlin. das Deutsche Opernhaus.


    Ähnlich wie das Chorsängerengagement in Duisburg, gestaltete sich sein und seiner Schwester Weg nach Bayreuth schwierig, nicht der Stimmen wegen, sondern der administrativen Hürden, die Aufgebaut waren. Die Festspielleitung Bayreuth hatte Chordirektor Friedel Jung rechtzeitig zu den Festspielen 1936 in deutsche Lande gesandt, um Spitzenkräfte für den Bayreuther Chor an Opernhäusern auszusuchen. Also hing auch im Duisburger Theater ein entsprechender Aufruf am Schwarzen Brett, wobei allerdings darauf hingewiesen wurde, dass nur Chorsänger berücksichtigt werden, die bereits drei volle Jahre im Engagement sind, und damit waren eben die beiden Schocks ausgeschlossen. Das mochten Elfriede und Rudi so nicht stehen lassen, suchten Herrn Jung in seinem Hotel auf und überzeugten durch stimmliche Qualität.
    In Bayreuth angekommen, bestaunte man vor allem die berühmten Solisten wie zum Beispiel: Max Lorenz, Franz Völker, Maria Müller, Frida Leider, Margarete Klose, Josef von Manowarda, Jaro Prohaska, Rudolf Bockelmann ... und es kam auch zu einem persönlichen Gespräch zwischen Franz Völker und Rudolf Schock.
    In Bayreuth hatte man »Lohengrin« aus der Versenkung geholt und der große Wilhelm Furtwängler dirigierte alternierend mit Heinz Tietjen; es waren die ersten Bayreuther Festspiele, die direkt im Rundfunk übertragen wurden. Und es waren die längsten Festspiele, weil sie wegen der Olympischen Spiele in Berlin unterbrochen wurden.


    Danach ging es im Duisburger Chor weiter, aber Schock hatte nicht aus den Augen verloren, dass er vielleicht auch zum Solisten aufsteigen könnte. Bruder Alwin, der am Braunschweigischen Landestheater als Chorsänger engagiert war, sah seinen Intendanten in Nöten, denn dieser suchte einen lyrischen Tenor, Alwin und einige seiner Chorfreunde priesen Rudolf Schock in den höchsten Tönen, sodass es zu einem Vorsingen in Braunschweig kam, wobei ein besonderer Cocktail in der Theaterkantine der Stimme mächtig Auftrieb gab; nach einem fulminanten Vortrag von zwei Opernarien und einigen Glanznummern aus Operetten, kam der begeisterte Intendant auf die Bühne geeilt - Rudolf Schock war zum Solisten geworden!
    Das erste was die Braunschweiger von ihm hörten, war Schocks Bravourstück »Keiner schlafe«, das er an einem Abend vortrug, der zur Vorstellung der neu engagierten Kräfte diente. Sein Erfolg war grandios. Vielleicht war ihm das ein bisschen zu Kopf gestiegen, er führte nun ein recht lockeres Privatleben, es soll heftig gewesen sein ...
    Bei seinem Auftritt in »Die beiden Schützen« versagte der Tenor zum Ärger seines Intendanten total, was dazu führte, dass Schock zunächst links liegen gelassen wurde.
    Nachdem Schock seinen lockeren Lebensstil abrupt geändert hatte und sich wieder erstrangig mit seinem Beruf befasste. So kam es für den jungen Solisten etwas überraschend, als ihm mitgeteilt wurde, dass man am Haus die Oper »Schwarzer Peter«, eine heitere Märchenoper des jungen Braunschweiger Komponisten Norbert Schultze - der vier Jahre jünger war als Schock - auf die Bühne bringen werde. Das darin vorkommende »Ach, ich hab´ in meinem Herzen da drinnen einen wundersamen Schmerz ...« ist auch heute noch in vielen Radioprogrammen zu hören und trug später wesentlich zur Popularität Schocks bei. Am Theater hatte ihm das aber keinen Karriereschub gegeben, er wurde mit kleinen und kleinsten Rollen betraut. Als ihn nun Generalmusikdirektor Lindemann in den »Parsifal«-Chor hinter der Bühne stecken wollte, hatte dieser den Bogen überspannt und es gab einen Riesenkrach, der damit endete, dass Lindemann sagte, dass der arrogante Tenor hier am Theater keine einzige Rolle mehr bekäme - Schock war kaltgestellt und konnte spazieren gehen.
    Nun sollte in Braunschweig »Der Rosenkavalier« gegeben werden und ein altgedienter Kollege mühte sich mit der Rolle des Sängers ab, was Schock während der Proben beobachtete und klar wusste, dass er dafür der geeignetere Mann wäre. Offenbar wussten Intendant und Generalmusikdirektor dies auch, aber nach diesen Vorkommnissen ... die Situation war für die Theaterleitung heikel. Schock gab sich mit der Einladung des Intendanten nicht zufrieden, er wollte vom musikalischen Chef selbst um den Auftritt gebeten werden; der Anruf kam, und Schock löste seine Aufgabe bravourös. Ähnlich gut lief es dann bei »Cosi fan tutte«, wo er seine Liebe zu Mozart fand und außerberuflich die Liebe zu seiner späteren Frau, die als Tänzerin am Theater tätig war.


    Schock musste aber auch wieder nach Bayreuth, weil seine Chorverpflichtung noch lief. Hier machte er einen weiteren Schritt vorwärts, weil er sich von dem führenden Bayreuther Tenor Max Lorenz beraten ließ. Der empfahl ihm den Kammersänger Laurenz Hofer, einen Rheinländer, als Lehrer. Sie übten die Romanze des Fenton ein, die er zwar schon in Braunschweig gesungen hatte, aber nun nach seinen Studien mit Hofer in weit besserer Qualität darbieten konnte. Laurenz Hofer war es auch zu verdanken, dass Schock schon in relativ jungen Jahren die Rolle des Bacchus in »Ariadne auf Naxos« recht gut in den Griff bekam, die eigentlich jenseits einer lyrischen Stimme liegt, also musste er zum jugendlichen Heldentenor werden.
    Es sei hier eingeflochten, dass er diese Rolle später mit Lisa della Casa unter Böhm in Salzburg sang und dass in London mit Partnerin Elisabeth Schwarzkopf unter Karajan eine Schallplatte entstand.


    1939 konnte der nun 23½-jährige Sänger dem Arbeits- und Wehrdienst nicht mehr entgehen, aber er hatte die Möglichkeit, diesen im nahegelegenen Lehre zu absolvieren, sodass es möglich war abends noch den Sängerberuf auszuüben. Dann kam zum 1. April 1940 der Stellungsbefehl, dem sehr ungute Wochen folgten. Dennoch schloss der Kanonier Rudolf Schock am 1. September 1940 im Rathaus Hannover-Linden die Ehe mit Gisela Schock, geb. Behrends, Lehrerin für tänzerische Körperbildung.
    Wie eine Bombe schlug bei der militärischen Leitung ein an Rudolf Schock gerichteter Brief ein, wonach die Wiener Staatsoper nach dem Sänger verlangte, den man dort als Tamino hören mochte - Staatsoper, das war schon was, der Brief wurde auf dem Dienstweg nach ganz oben gereicht. Die Frischvermählten fuhren also mit dem Zug nach Wien und Schock sang dort am 25. September 1940 den Tamino in der »Zauberflöte«. Und wie war es zu dieser Einladung gekommen? Im Hintergrund hatten Laurenz Hofer und der Berliner Bühnenagent Alexander Selow die Fäden gezogen.
    Aus Wien zurückgekehrt, pokerte Schock in Berlin hoch, sehr hoch sogar, und erwirkte von Generalintendant Wilhelm Rode, der den Sänger noch nie gehört hatte, einen Dreijahresvertrag als lyrischer Tenor an das Deutsche Opernhaus in Berlin.
    Einerseits war so ein Vertrag eine schöne Sache, andererseits musste er wieder zu seiner Einheit nach Celle zurückkehren.
    Aber bald ging die Reise von Munsterlager aus in einem Güterwagen nach Russland, Frau und Kind standen an der Verladerampe. Auch in Russland gab Schock im Soldatensender einige Konzerte, das »Wolgalied« war bei den Landsern besonders beliebt. Schock sang auch im Theater von Taganrog, einer Hafenstadt in Südrussland; aber dies sollte nicht über die täglichen Grausamkeiten des Krieges hinwegtäuschen. Natürlich gab es auch Heimaturlaub und einmal sogar Sonderurlaub nach Berlin. Dort angekommen, erwartete ihn eine Überraschung, am Deutschen Opernhaus war der Tenor Walther Ludwig wegen Krankheit auf unabsehbare Zeit ausgefallen und das Opernhaus hatte Schock reklamiert, das heißt angefordert. Das alles war nicht ganz einfach, Volksbildungsminister Goebbels erwirkte bei Hitler die Freistellung des Wachtmeisters Rudolf Schock wegen »absoluter künstlerischer Vordringlichkeit«.


    Während Schock nun Vorstellungen sang und probte, tobte draußen der Krieg, der nun auch in der Heimat bedrohliche Formen annahm; am 22. November 1943 erlebte Berlin so ein Inferno, Schock verlor seinen Wohnsitz (Frau und Kind lebten im Elsass) und seine Arbeitsstätte. Im Folgenden zog der Sänger von Ausbombung zu Ausbombung; beruflich ging es im Admiralspalast weiter. In der Rolle des Ernesto in Donizettis »Don Pasquale« setzte Rudolf Schock im März 1944 hier einen fulminanten Schlusspunkt seiner Kriegskarriere in Berlin. Bevor dann im September 1944 alle Theater geschlossen wurden, sang er im Juni noch einmal den Bacchus bei einer festlichen Aufführung in Braunschweig und in »Rigoletto« den Herzog an der Seite von Maria Cebotari und Arno Schellenberg an der Semperoper zu Dresden. Als alle Theater geschlossen waren, musste der so erfolgreiche Sänger wieder unverzüglich in die Rolle des Soldaten schlüpfen.
    Schließlich ertönte Schocks Tenor im Kriegsgefangenenlager Fürstenfeldbruck. Als Krieger hatte es ihn zum Ende der Kämpfe in den Westen verschlagen; durch die Pfalz kam er wieder heim ins Reich. So richtig theatralisch zerschlug der müde Krieger sein Gewehr an einem Baum und warf die Teile in einen Bach. Dann befestigte der Schock-Trupp eine weiße Unterhose an einem Stock und marschierte auf die amerikanischen Linien zu. Auf abenteuerliche Weise - anders ging es nicht - kam der nun zweifache Vater zu seiner Familie, die sich im Harz aufhielt.


    Die Schocks hatten in Hannover eine Wohnung bekommen, weil der Papa sich bereit erklärte im Schlosspark von Herrenhausen in der ersten Septemberhälfte jeden Abend ein buntes Programm zu singen. Der Winter 1945/46 gestaltete sich so, dass Familienvater Schock im Schutze der Dunkelheit schon mal als Bretter- und Kohlenklau unterwegs war. In dieser Zeit traf ein Brief der Berliner Staatsoper ein - aus seiner Berliner Zeit hatte man Schock noch in guter Erinnerung und hätte ihn nun dort wieder gerne gehört.


    Deutschland war zerteilt, hatte keine Regierung und an halbwegs normale Reisemöglichkeiten war nicht zu denken. Dass man in stockfinstrer Nacht bis zu den Schultern durch einen eisschollenkalten Fluss musste, war nur eine von vielen Unannehmlichkeiten.
    An der Staatsoper (natürlich im Admiralspalast) war dann die damals schon berühmte Erna Berger von der schönen Stimme des Herzogs angenehm berührt, es war der Herzog in »Rigoletto«. Es kam dann zum festen Engagement und Ende Mai 1946 konnte Schock ganz offiziell nach Berlin reisen. Im September des Jahres war der als Oratoriensänger noch nicht hervorgetretene Schock auch mit Erna Berger dabei als in der Kirche am Südstern die Große c-Moll-Messe von Mozart aufgeführt wurde; und es blieb nicht bei dem einen Ausflug in dieses Genre, er sang auch Bruckner.
    Die junge Schock-Familie konnte im ehemals exklusiven Wannseeviertel eine möblierte Etage in einer Prachtvilla beziehen. Auch der Winter 1946/47 war fürchterlich kalt, zu den Opernaufführungen brachten die Leute zum Teil Briketts mit.
    Als es wieder wärmer war, im Frühsommer 1947, kam Schocks erste Schallplatte in den Handel, es war ein Operettenquerschnitt aus »Gräfin Mariza«, eine 78er Schellackplatte. Unmittelbar darauf folgte die erste Opernplatte mit verschiedenen Arien.


    Mit Beginn der Spielzeit 1947 hatte Schock neben Verpflichtungen in Berlin auch solche in Hamburg und an anderen Opernhäusern; zudem gewann Electrola immer mehr Interesse an dem aufstrebenden Tenor. Die Traumerzählung aus »Manon«, die er bei der Premiere am 27. Januar 1948 bei der Premiere in Berlin sang, muss traumhaft gewesen sein, wenn man zeitgenössischen Berichten glaubt. Nun erreichte ihn ein Ruf aus Salzburg, die Distanz musste teilweise mit einem sogenannten »Rosinenbomber« überwunden werden. Dort wurde unter Furtwängler »Fidelio« aufgeführt, der Julius Patzack in der Hauptrolle sah, aber einen sehr qualifizierten Jaquino haben wollte. Aber diese relativ kleine Rolle hatte große Bedeutung für die weitere Entwicklung des noch jungen Sängers. Karl Rankl, Musikdirektor der Londoner Covent Garden Opera, suchte für das Royal Opera House einen lyrischen Tenor, die nahe Aufgabe sollte eine »La Bohéme«-Aufführung sein, die allerdings in englischer Sprache darzubieten war; seine sechs Einsen im Zeugnis wurden bereits erwähnt, aber in seiner Schule stand Englisch nicht im Stundenplan. In Berlin fand sich nun eine Dame, die perfekt englisch sprach, mit der paukte er die Rolle so, dass die »Times« ausdrücklich auch seine Aussprache lobte - und es ist kaum vorstellbar, dass damals - Premiere 15. Oktober 1948 - an der stimmlichen Darbietung etwas auszusetzen war. Er sang an diesem Haus auch im »Rosenkavalier« und jeweils auf Englisch den Alfred in »La Traviata« und den Tamino in der »Zauberflöte«. Hinzu kamen Konzerte in Hallen, die 12.000 Menschen anlockten.
    Im Londoner Herbst konnte in des Wortes reinster Bedeutung ein weitreichender Vertrag geschlossen werden, eine Konzerttournee nach und durch Australien. Ursprünglich war das mit Richard Tauber geplant, der verstorben war. Natürlich reiste man damals nicht so flott wie heutzutage und das zu absolvierende Programm hatte es in sich.
    Aber zunächst musste Schock 1949 wieder nach London zurück, wo noch Verpflichtungen auf ihn warteten; die Australien-Reise starte am 21. Mai, Frau Gisela flog mit, denn sie ahnten, dass dies keine reine Vergnügungsreise werden wird. Der Vertrag sah vierzig Auftritte in ganz Australien vor, wobei sechs verschiedene Programme zur Verfügung standen und die Stücke in der Originalsprache vorzutragen waren. Selbst die achtzig deutschen Lieder musste er einstudieren, weil ihm das in Kriegszeiten in dieser Quantität nicht möglich war.

    Sein erstes Orchesterkonzert in Sydney, in dessen Verlauf er vier Arien in Originalsprache vorzutragen hatte, stand unter der Leitung von Rafael Kubelik und fand in der Großen Town Hall statt; vom Sydney Opera House existierten zu dieser Zeit noch nicht einmal Skizzen. Schon zwei Tage später folgte ein Liederabend, welcher nur mit dem Pianisten zu bewältigen war. In Melbourne war Otto Klemperer Herr des Orchesters, es standen Mozart-Arien auf dem Programm, danach Liederabende - so ging es von Stadt zu Stadt, physisch wie künstlerisch eine Mordsleistung! Eigentlich war angedacht in dieser Tournee noch Neuseeland mitzunehmen, aber daraus wurde nichts, er musste zurück nach London. London wurde nun auch Familiensitz der Schocks, wobei die beiden Töchter, 8½und 4½ Jahre alt, ein Internat besuchten.
    Am 8. Mai 1950 entstanden im »His Master´s Voice«-Studio Aufnahmen von anrührender Musikalität mit Joan Hammond und Rudolf Schock aus den Opern »André Chenier« und »L´Amico Fritz«.


    Als ein Telegramm aus Berlin kam, brachen die Schocks ihre Zelte in London ab; ernst Legal benötigte an der Staatsoper einen Nemorino, da konnte Schock schlecht nein sagen, und natürlich wurde auch das ein Riesenerfolg in Berlin.
    Schock hatte ja Gastverträge mit der Hamburgischen Staatsoper und der Wiener Staatsoper (186 Auftritte). Als er dort am 3. Oktober 1952 den Hoffmann sang, besuchte ihn nach dem 2. Akt der bekannte Filmregisseur Ernst Marischka in seiner Garderobe. Marischka hatte sich unter anderem auch mit Gigli-Filmen einen Namen gemacht. Nun verfolgte Marischka die Absicht einen Film über Richard Tauber - mit dem er befreundet gewesen war - zu drehen und war der festen Überzeugung, dass er in Rudolf Schock den einzig Richtigen gefunden hatte, der in der Lage war Richard Tauber im Film darzustellen. Am 27. Juli 1953 begannen die Dreharbeiten in Wien; unter der Leitung von Wilhelm Schüchter spielten die Wiener Philharmoniker. Als Filmtitel wählte man eine Komposition von Richard Tauber: »Du bist die Welt für mich«. Die stimmliche Hauptlast hatte Schock zu bewältigen, nur ein paar Mal wurde Taubers Stimme unterlegt.
    Am 15. Oktober fand die Uraufführung des Films in Frankfurt am Main statt, es war eine Sensation, die Aufführung der Premiere am 29. Dezember in Berlin hat das Spektakel in Frankfurt vermutlich noch weit übertroffen, dieser Film war ein kaum zu beschreibender Popularitätsschub.
    Schock war nun 38 Jahre alt; wäre ihm zu diesem Zeitpunkt Gleiches widerfahren wie das bei Fritz Wunderlich 1966 der Fall war, würde er heute im strahlenden Glanz dastehen.


    Dem Film »Du bist die Welt für mich« folgten viele weitere Filme, Fernsehshows, eine Menge, ja eine Flut von Plattenaufnahmen die durch den Wechsel von Fritz Ganss noch üppiger wurde.
    Auch wenn Schock immer wieder gerne seine sportliche Agilität herausstelle, solcherart Aktivitäten hält keine Stimme aus, keine!
    Für Stimmenkenner bleibt festzuhalten - auch wenn man strenge Maßstäbe anlegt - dass Rudolf Schock um die 1950er Jahre herum ein ganz glänzender Vertreter seines Faches war und uns Aufnahmen allererster Güte hinterlassen hat.
    Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass er durch sein Tun auch eine ungeheure pädagogische Wirkung dergestalt entfachte, dass er Menschen, die vorher eher einen Bogen um klassische Musik machten, die Freude an diesem Genre erschloss.


    Praktische Hinweise:
    Das Grab von Rudolf Schock befindet sich auf dem Friedhof in Düren-Gürzenich.
    Es ist gut zu finden, wenn man den Eingang bei der Trauerhalle benutzt, welcher sich in der Straße »Am Wingert«, gegenüber Hausnummer 144 befindet. Der Weg führt an der Trauerhalle links und an den Bänken links vorbei. Die Wegstrecke zum Grab beträgt etwa hundert Meter.


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    Links der Trauerhalle kommt man zum Grab der Familie Schock


    schockgrz5sjsg.jpg

  • Lieber Hart,


    danke für diesen ganz wundervollen, detailreichen, fesselnden Beitrag, eine großartige Würdigung des unvergessenen Rudolf Schock. Chapeau!

  • Ich schließe mich den Worten des Don Gaiferos an. Schon das Lesen der Autobiografie hat mir vor etlichen Jahren Freude bereitet, denn Rudolf Schocks Leben war wirklich sehr spannend. Und genauso war es jetzt bei der Lektüre deines packenden Artikels, lieber "hart".

    Ich habe mir im Jahr 2008 im Shop des Royal Opera House eine 3-CD-Box von Rudolf Schock gekauft. Das fand ich damals sehr passend. Darauf auch die beschriebenen grandiosen Aufnahmen aus "Andrea Chenier" und "Freund Fritz".

    Besonders interessant fand ich auch die Erwähnung des Namens Karl Franz Rankl, bin ich doch vor exakt zwei Wochen an einer Büste des mir zuvor unbekannten Musikers vorbeigekommen. Diese befindet sich in St. Gilgen am Wolfgangsee, ganz nahe meines Heimatortes.

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