Der Musiker Gräber

  • Anton Rückauf - *13. März 1855 Prag - † 19. September 1903 Alt-Erlaa (bei Wien)



    Zum heutigen Todestag von Anton Rückauf


    Bildhauer Franz Vogl

    Hier steht eine andere Jahreszahl als in den Nachschlagewerken


    Anton Rückauf hat zwar auf dem Wiener Zentralfriedhof ein prächtiges Grabdenkmal, aber er ist heute als Musiker kaum noch bekannt.
    Er besuchte in Prag das renommierte Proksch-Institut, wo er von Marie Proksch am Klavier unterrichtet wurde, die internationale Erfahrungen von Paris mitbrachte, und die pädagogische Arbeit ihres Vaters fortführte. Außerdem besuchte er die alte Prager Orgelschule bei den Lehrern František Zdeněk Skuherský und František Blažek.
    Nach seiner Ausbildung war er selbst am Procksch´en Institut (so die Schreibweise in einer Zeitung von 1903) als Lehrer tätig.
    1878 kam Anton Rückauf dann nach Wien, denn er hatte einige Lieder komponiert und Johannes Brahms war aufmerksam geworden und verschaffte Rückauf ein Stipendium, was dem jungen Mann ermöglichte, bei Gustav Nottebohm und bei Navratil Kontrapunktstudien zu machen. Im Klavierspiel holte er sich bei Theodor Leschetitzky den letzten Schliff.
    Anton Rückauf kam nun in Wien mit dem bekannten Tenor Gustav Walter in Kontakt, mit dessen Unterstützung er in adeligen Kreisen verkehren konnte.
    Von 1882 bis 1984 unternahmen die beiden längere Konzertreisen nach Deutschland; ansonsten gab Rückauf Klavierunterricht und komponierte Lieder.

    Die Liederabende des Duos Walter / Rückauf müssen - orientiert man sich an zeitgenössischen Zeitungsberichten - in dieser Zeit etwas ganz Besonderes gewesen sein.
    Ein in Frakturschrift gesetzter Zeitschriftenbeitrag sei hier in modernen Lettern, aber originaler Schreibweise eingestellt; das hier Beschriebene stammt aus einer Veröffentlichung vom 21. September 1903 und zeigt das öffentliche Wirken von Anton Rückauf recht anschaulich.


    »Es war die Zeit, als Gustav Walter begann, durch seine unvergleichliche Kunst die Schätze unserer reichen Liederliteratur beim Publicum zu erneutem Ansehen zu bringen. Damals associirte er sich mit Anton Rückauf, der Jahre hindurch nicht nur sein untergeordneter Begleiter, sondern ein mitempfindender Freund und Künstler war, der es verstand, die Intentionen Walter´s mit den eigenen in harmonischen Einklang zu bringen. In jener Zeit bildete das Concert Walter´s den einzigen Liederabend der Saison. Daß ein einziger Sänger den ganzen Abend hindurch nur Lieder singen sollte, war eine Neuerung, deren Gelingen nicht ohneweiters gesichert war. Man war früher gewohnt, Lieder nur in Concerten mit sogenannten gemischten Programmen zu hören, und hielt das Dominiren eines Künstlers im Conzert für eine unerhörte Zumutung, die eine gefährliche Monotonie zur Folge haben müßte. Aber ganz so wie früher die Clavierspieler, wußten nun auch die Sänger diese Bedenken zu zerstreuen, und das Publicum gewöhnte sich an die Specialisirung im Kunstgenuß ebenso wie auf anderen Gebieten. Dieser Erfolg war zum nicht geringen Theil ein Verdienst Rückauf´s, der als selbständige künstlerische Persönlichkeit mit seinen Claviervorträgen etwas Abwechslung in das Programm brachte. Keiner unserer jetzigen ›Begleiter‹ hat ihn in dieser Eigenschaft auch nur annähernd erreicht. Das Künstlerpaar Walter-Rückaufhat mit seinen Concerten Schule gemacht.
    In der vorigen Saison hatten wir schon 76 solcher Liederabende zu verzeichnen, von denen freilich nur ein kleiner Theil die Bedeutung der Concerte Walter´s erreichte. Längst verschollene Lieder wurden damals der Vergessenheit entrissen, ältere Perlen in vollendende Fassung gebracht und eine ganze Anzahl neuer Compositionen angeregt.
    Rückauf´s Talent empfing von dieser Thätigkeit die fruchtbarste Anregung, die es dem Componisten ermöglichte, auch selbst kleine Liedwerke zu schaffen, die zeitweilig eine ungewöhnliche Popularität errangen. Sein Stilo lag ungefähr dem von Robert Franz nahe, obgleich auch Brahm´s Jugendwerke auf ihn nicht ohne Einfluß geblieben sind.
    Die modernste neudeutsche Schule lag Rückauf fern, und er trat im Laufe der Jahre als Componist in demselben Maße zurück, als jene an Boden gewann.«


    Anton Rückauf hat sich auch als Komponist von Kammermusik und Opern versucht, konnte aber nicht den Erfolg verbuchen, den er zeitweilig mit seinen Liedkompositionen hatte.
    Seine Oper »Die Rosenthalerin« wurde in Wien abgelehnt, dann aber schließlich in Dresden 1897 ohne durchschlagenden Erfolg aufgeführt.
    Zu seinem Lebensende hin leitete er sehr erfolgreich den Evangelischen Singverein, aber damit war kein Weltruhm zu erreichen.


    Die Herzogin von Oldenburg hatte Anton Rückauf das Schloss Neu-Erlaa (heute 23. Wiener Gemeindebezirk) als Sommeraufenthalt zur Verfügung gestellt, er war schon seit mehr als einem Jahr gesundheitlich angeschlagen und gerade von einem Kuraufenthalt aus Karlsbad zurückgekommen. Er selbst soll jedoch noch Schaffensdrang auf Jahrzehnte hinaus verspürt haben, aber sein Umfeld merkte, dass es dem Ende zu ging. Er hatte ein Krebsleiden und starb an einem Samstag, abends um halb neun, am 19. September 1903.


    Praktische Hinweise:
    Das Grabmal von Anton Rückauf befindet sich auf dem Zentralfriedhof Wien, Simmeringer Landstraße 234.
    Vom Tor 2 kommend geht man der Hauptachse geradeaus und erreicht Gruppe 32 A kurz nach den Alten Arkaden links des Hauptweges.
    Man kann von etwa drei bis fünf Gehminuten ausgehen, Friedhofspläne stehen ausreichend zur Verfügung.

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  • Paul Badura-Skoda - * 6. Oktober 1927 Wien - † 25. September 2019



    Zum heutigen Todestag von Paul Badura-Skoda


    Der kleine Paul sprang einst recht lustig zwischen den Gräbern des Ottakringer Friedhofs herum, es war für ihn ganz selbstverständlich, dass hier Verstecken und Fangen gespielt wurde, für ihn war nur betrüblich, dass hier keine Eisenbahnlokomotive durchfuhr.
    Fast jeden Sonntag wurde der Friedhof von der Familie besucht. An seinen Vater hatte Paul keine direkte Erinnerung, denn er war erst vier Monate alt als Ludwig Badura an den Folgen eines Motorradunfalls starb.



    Pauls Zugang zur Musik vollzog sich ganz natürlich, denn seine Mutter hatte Zimmer zu vermieten und wählte unter den Interessenten Frau Marta Wiesenthal aus, eine Klavierlehrerin.
    Bei ihr begann dann für den sechsjährigen Knaben der Klavierunterricht.


    Am Wiener Konservatorium hatte der Student in Prof. Viola Thern, die einer Musikerdynastie entstammte, in Sachen Klavier wieder eine weibliche Bezugsperson, die er später als ›einer Art Leitperson‹ bezeichnete. Aber Badura-Skoda studierte nicht nur Klavier, sondern auch Dirigieren, wofür an der Hochschule Prof. Felix Prohaska zuständig war.
    In beiden Fächern machte er dann 1948 seinen Hochschulabschluss mit Auszeichnung und 1949 wollte ihn kein geringerer als Josef Krips zu seiner Assistenz an die Wiener Staatsoper holen und lockte mit dem Lob: ›Sie sind der geborene Dirigent!‹
    Allerdings wurde der junge Pianist von seinem Manager dahingehend beraten, dass er besser seine Pianisten-Karriere vorantreiben sollte, denn noch vor seinem Abschluss gewann der strebsame Pianist den 1. Preis beim Österreichischen Musikwettbewerb, dem noch Siege bei Wettbewerben in Budapest und Paris folgten - darauf ließ sich aufbauen.
    Der in Wien errungene erste Preis beinhaltete auch ein Stipendium für Edwin Fischers Meisterkurs in Luzern, wobei das in dieser Zeit auch außermusikalisch einen Wert an sich darstellte. Auch hochbetagt kam Badura-Skoda immer und immer wieder auf Edwin Fischer zurück, der für ihn ein Leitstern war.


    In der Kriegszeit konnte die Familie bei einem Bauern in der Nähe von Amstetten unterkommen, den sein Stiefvater, Anton Skoda, ausfindig gemacht hatte. Die Familie lebte dort offiziell als Landhilfsarbeiter, inoffiziell hatte er ein Klavier und ein Akkordeon, mit dem er bei Hochzeiten aufspielen und auch für ein paar Stunden die Schrecken des Krieges vergessen konnte.


    Und nach dem Krieg ging es in der Tat schnell voran; entscheidenden Anteil daran hatten Wilhelm Furtwängler und Herbert von Karajan, denn sie engagierten Badura-Skoda als Solist für Konzerte. So spielte Badura-Skoda zum Beispiel 1949 im Wiener Musikverein mit den Wiener Philharmonikern unter Furtwängler Mozarts Konzert für zwei Klaviere in Es-Dur, KV 365; seine Klavierpartnerin war Furtwänglers Tochter Dagmar Bella.
    Karajan war damals zwar noch nicht der ›ganz große‹ Karajan der späteren Jahre, aber Badura-Skoda berichtete vom damaligen Engagement, dass Karajan ihm eine ganze Woche lang Klavierunterricht erteilte, um ihm zu erklären, wie er das Stück zu spielen habe.
    Ein Karrierehöhepunkt folgte dem andern; bei den Salzburger Festspielen 1950 sprang er für den erkrankten Edwin Fischer ein, wo er neben Wolfgang Schneiderhahn und Enrico Mainardi musizierte. Ab 1954 war Badura-Skoda Fischers Assistent, nachdem er seit 1948 bei ihm Meisterkurse besucht hatte.


    Schon ab 1950 kann man von einer großen internationalen Karriere sprechen, denn da gab es Konzerttourneen nach Australien, USA, Kanada, Mexiko und Südamerika; später dann auch nach Japan, in die Sowjetunion und nach China, wo Badura-Skoda als erster westlicher Pianist nach der Kulturrevolution auftrat.


    1951 hatte Paul Badura-Skoda einen Auftritt als Ehemann, er heiratete die 22- jährige Eva Halfar, eine Musikwissenschaftlerin, die in ihrem Genre ebenfalls eine internationale Karriere zustande brachte und dennoch vier Kindern ins Leben half, darunter der Pianist Michael Badura-Skoda (1964-2001).


    Eva Badura-Skoda promovierte mit 24 Jahren, was heute kaum noch vorstellbar ist. Das Ehepaar arbeitete musikwissenschaftlich zusammen, zum Beispiel bei dem Buch ›Mozart -Interpretation‹, das 1957 zunächst in deutscher Sprache erschien und später in Englisch und Japanisch veröffentlicht wurde. Nachdem ein halbes Jahrhundert verstrichen war, hatten beide dann 2008 die Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte in einen erweiterten Text (474 Seiten) einfließen lassen. Auch zu dem Buch ›Bach Interpretation‹ (1990) hat Ehefrau Eva einiges beigesteuert.
    Bei all dieser Zusammenarbeit gab es jedoch auch im Garten der Villa noch ein Übungsstudio für den Pianisten.



    Etwas von seinem zweiten Ausbildungszweig an der Hochschule kam 1956 zum Tragen, als er mit dem Taktstock und einem Kammerorchester der Wiener Symphoniker auf einer Tournee durch Italien unterwegs war.
    Aber als Pianist waren seine Auftritte eine Aneinanderreihung von Superlativen; bei seiner ersten Japan-Tournee 1959/60 trat er allein in Tokio 14 Mal auf.
    Im Beethoven-Jahr 1970 spielte und kommentierte er zusammen mit dem befreundeten Jörg Demus alle Klaviersonaten Beethovens für das Deutsche Fernsehen. Zyklische Aufführungen der 32 Beethoven Sonaten folgten in Mexiko, Chicago, Paris, London, Wien und Barcelona.
    Er ist wohl der einzige Pianist, der wiederholt alle Sonaten von Mozart, Beethoven und Schubert sowohl auf Pianoforte als auch auf modernem Flügel auf CD aufnahm - aber auch öffentlich aufführte.
    Sowohl Frau Eva als auch Paul Badura-Skoda beschäftigten sich intensiv mit der Entwicklung des Hammerklaviers. Er sammelte über viele Jahre hinweg historische Klavierinstrumente; Große Teile dieser Sammlung waren seit 2001 als Leihgabe auf Schloss Kremsegg untergebracht, aber 2018 wurde das Musikinstrumentenmuseum geschlossen.


    Er sammelte, weil es ihn interessierte, wie es wirklich geklungen hat, und er wollte herausfinden, was die Absicht des Komponisten war. In diesem Zusammenhang sagte er einmal:


    »Es ist ja das Schöne, dass es gerade in der Musik so viele Möglichkeiten gibt. Die Noten stehen fest - aber jeder kann etwas hineinlegen. Und es gibt manchmal große Momente, in denen man über sich hinausgetragen wird und spürt: Nicht ich spiele, sondern es spielt, wie der große Edwin Fischer einmal sagte.«


    Spitzenmusiker wie Badura-Skoda arbeiten naturgemäß auch mit anderen großen Musikern zusammen, was in der Regel professionell und auf hohem Niveau von statten geht.
    Bei Paul Badura-Skoda nehmen aber zwei Kollegen eine Sonderstellung ein, wo neben dem professionellen Musizieren auch echte und tiefe Freundschaften entstanden.
    Da war einmal der Pianistenkollege Jörg Demus, der vor allem als Begleiter großer Stimmen bekannt war, die beiden waren fast gleichaltrig. Sie spielten als alte Herren zusammen noch ein Konzert in Linz, da stand Demus zwei Monate vor seinem 90. Geburtstag und Badura-Skoda hatte am Vortag gerade seinen 91. Geburtstag gefeiert. Die ›Salzburger Nachrichten‹ berichteten, dass bei der vierhändig gespielten Zugabe keiner im Saal mehr sitzen blieb; die Begeisterung war Riesengroß.
    Die in Freundschaft mündende Bekanntschaft mit David Oistrach reicht in den Anfang der 1960er Jahre hinein; 1971 kam es bei der Salzburger Mozartwoche zum ersten gemeinsamen Sonatenabend; beide sollen ausgezeichnete Schachspieler gewesen und hatten das auch ausreichend gepflegt, wenn sie nicht gerade mit ihren Instrumenten zu tun hatten.


    Paul Badura-Skoda war auch ein begeisterter und begeisternder Pädagoge, der in dieser Eigenschaft in der Welt herumreiste. Von 1966 bis 1971 war er Artist in Residence an der University of Wisconsin und 1974 unterrichtete er als Gastprofessor am Curtis Institute of Music in Philadelphia. Auch der deutschsprachige Raum wurde nicht ausgespart, von 1975 bis 1981 lehrte er an der damaligen Folkwang Musikhochschule in Essen und 1981 kehrte er zu seinem Ursprung zurück und wurde ordentlicher Professor für Klavier an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien, wo er bis zu seiner Emeritierung 1994 tätig war.
    Auch als Jurymitglied bei diversen Wettbewerben war Badura-Skoda ein gefragter Mann; so war er 1987 Jurymitglied beim Santander Paloma O´ Shea Klavierwettbewerb, den damals David Allen Wehr gewann.
    1990 und 1995 Jurymitglied beim Internationalen Chopin-Wettbewerb in Warschau und 2013 saß er beim Internationalen Deutschen Pianistenpreis in Frankfurt am Main in der Jury.


    Bezüglich zeitgenössischer Musik ist das freundschaftliche Verhältnis zu Frank Martin zu erwähnen, das sich mit einem Brief vom 11. Juni 1965 anbahnte, den Badura-Skoda, der damals schon ein renommierter Pianist war, an Frank Martin schrieb:


    »Verzeihen Sie, wenn ich mich mit einer ungewöhnlichen Bitte an Sie wende. Schon während meiner Studienzeit am Konservatorium hat mich Ihre Musik tief beeindruckt ...


    Ich möchte Sie aber nicht mit Elogen, die Sie wahrscheinlich all zu oft zu hören bekommen, langweilen, sondern gleich zum Kern der Sache vordringen: es würde mich freuen, wenn Sie für mich ein neues Klavierkonzert schreiben könnten ...«


    Der Briefwechsel erfolgte überwiegend in Französisch während der letzten neun Lebensjahre des Komponisten und informiert über die gute Zusammenarbeit der beiden. Frank Martin hat zwei Werke für Klavier im Auftrag von Badura-Skoda geschrieben und mit einem gewissen Stolz zitierte der Pianist den Komponisten, der nach der Uraufführung seines Zweiten Klavierkonzerts folgende Widmung schrieb:


    »Du hast das Größte fertiggebracht. Du hast mich von meiner eigenen Komposition überzeugt.«


    Die umfangreichen Aktivitäten und die lange Lebensspanne brachten es mit sich, dass Paul Badura-Skoda mit äußeren Zeichen der Anerkennung geradezu überschüttet wurde.

    Neben Ehrendoktorwürden mehrerer Universitäten wurde Paul Badura-Skoda das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst, das Große Silberne Ehrenzeichen mit dem Stern für Verdienste um die Republik Österreich und das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien verliehen und 1978 erhielt er den Bösendorfer-Ring, welchen vor ihm nur Wilhelm Backhaus trug. 1993 wurde der Künstler zum ›Chevalier de la Légion d'honneur‹ ernannt und 1997 zum ›Commandeur des Arts et des Lettres‹.


    Irgendwie passt es nicht so recht zu all diesen Ehrungen, wenn Paul Badura-Skoda - wohl mit einiger Verbitterung - in der Rückschau feststellen musste:
    »Warum ich seit 50 Jahren nicht mehr nach Salzburg eingeladen wurde, verstehe ich nicht. Ich kann ohne Salzburg leben - und umgekehrt auch. Aber es gibt auch die Schubertiade in Vorarlberg. Ich habe alle Schubert-Werke gespielt, aber die haben mich von Anfang an vollkommen ignoriert. Freunde und Manager haben Ihnen geschrieben und noch nicht einmal eine Antwort bekommen.«


    Am 25. September 2019 ging in Wien ein arbeitsreiches, aber beglücktes Leben zu Ende; eigentlich wollte er Ingenieur werden, aber das Musizieren Furtwänglers beeindruckte ihn so sehr, dass sich ihm eine höherwertige Welt erschloss. Neben persönlichen Erinnerungen hinterlässt der vielleicht letzte große Pianist des 20. Jahrhunderts, der noch Berührung mit der Romantik des späten 19. Jahrhunderts hatte, mehr als 200 Aufnahmen, die in fast 70-jährigem Wirken entstanden sind.
    Kurz nach seinem 90. Geburtstag gab er noch ein Konzert im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins.
    Seine letzten Lebensjahre waren zwar von schwerer Krankheit geprägt, aber es war ihm trotzdem wichtig weiter zu musizieren. Seine Plattenfirma teilte donnerstags mit:
    ›Paul Badura-Skoda starb am Mittwochabend bei sich zu Hause schmerzfrei und in Frieden.‹
    Zu seinen Ehren wurde am 5. Oktober 2019 in der Wiener Piaristenkirche, die er als Kind und im Alter oft besucht hatte, ein Gottesdienst gefeiert, wobei die e-moll Messe von Anton Bruckner aufgeführt wurde. Am 9. Oktober fand das Begräbnis im engsten Familienkreis statt.


    Praktische Hinweise:
    Adresse: Friedhof Ottakring, Gallitzinstraße 5, 1160 Wien; das ist der 16. Wiener Gemeindebezirk.
    Der Haupteingang befindet sich zwischen Johann-Staud-Straße und Gallitzinstraße.
    Man geht zur Rückseite der Aufbahrungshalle und benutzt den ansteigenden Weg am Feld 5, wobei man sich schon nach wenigen Metern nach rechts wendet und auf das Mausoleum zu läuft; am Mausoleum geht es weiter geradeaus, bis ein Stein deutlich das Gräberfeld 9 anzeigt, wo sich das Grab der Familie Badura-Skoda befindet.


    Beim Mausoleum geht man noch weiter geradeaus.


    Hat man den Stein für Gruppe 9 erreicht, ist die weitere Information: Reihe 4, Nummer 10.


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  • Sebastian Peschko - *30. Oktober 1909 Berlin - † 29. September 1987 Celle



    Zum heutigen Todestag des Pianisten Sebastian Peschko




    Sebastians Weg zur Musik dürfte wohl gradlinig verlaufen sein, denn sein Vater war Organist und Privatlehrer. An der damaligen Hochschule für Musik in Berlin studierte Sebastian Peschko Klavier bei den Professoren Börner und Fischer. Peschko wurde ab 1930 durch ein Bechstein-Stipendium gefördert. Lehrer, die ihn besonders beeinflusst haben, waren Conrad Ansorge und Edwin Fischer, von denen er - so wird berichtet - das Atmen und Phrasieren gelernt habe. Edwin Fischer äußerte einmal: »Nicht ich spiele, es spielt.«, ein Ausspruch, den auch Paul Badura-Skoda bis ins hohe Alter gerne zitierte.
    Das Orgelspiel hatte Sebastian von seinem Vater gelernt, an der Hochschule erweiterte er seine Kenntnisse bei dem Domorganisten und Regerfreund Walter Fischer.


    1933 war Peschko einer der vier Pianisten, die den Mendelssohn-Preis der Hochschule für Musik in Berlin gewannen. Wenn man von Professor Franz Schreker einen Preis ausgehändigt bekommt, dann ist das schon etwas Besonderes, worauf sich eine Karriere aufbauen lässt.


    Die Musikstudenten dieser Zeit konnten in Berlin ihre großen Vorbilder bestaunen, denen man gerne nachfolgen wollte, wie zum Beispiel:
    Wilhelm Furtwängler, Fritz und Adolf Busch, Borislaw Huberman, Pau Casals, Maria Ivogün, Karl Erb, Heinrich Schlusnus, Fritz Kreisler, Frederic Lamond, S. W. Rachmaninoff ...


    Schon ein Jahr später kam Sebastian Peschko ganz groß ins Rampenlicht, weil ihn der damals überaus populäre Bariton Heinrich Schlusnus als Begleiter seiner Liederabende auswählte, er hatte das Glück des Tüchtigen.


    Schlusnus und der Pianist Franz Rupp hatten von 1927 bis 1934 künstlerisch zusammengearbeitet und das hätte auch gewiss weiterhin Bestand gehabt, wenn nicht eine dunkle Zeit heraufgezogen wäre - Frau Annemay Schlusnus beschreibt die Situation so:


    »Die erste große Sorge war daher der Verlust unseres Begleiters, Franz Rupp, der sich mit den Gegebenheiten der Zeit nicht abfinden konnte (es soll erklärend hinzugefügt werden, dass er eine Frau jüdischer Abstammung hatte).
    Ein Ersatz musste schnell gefunden werden. Wir wandten uns an die Hochschule für Musik mit der Bitte, uns einen Nachfolger zu schicken. Man hatte schnell den einen ausgewählt, der 24 Jahre alt, gut aussehend und mit einem verträumten Gesicht, im Rufe stand wirklich sehr begabt zu sein.«


    Der hier von Frau Schlusnus beschriebene Pianist hatte nach seinem Hochschulabschluss zunächst das Geigenspiel von Georg Kulenkampff begleitet; Edwin Fischer hatte ihn an Kulenkampff empfohlen. Als nun Sebastian Peschko die ersten professionellen Podiumserfahrungen erworben hatte und von einer Konzerttournee nach Hause kam, erreichte ihn ein Anruf, der ihn zunächst verdattert reagieren ließ, denn am anderen Ende sprach der leibhaftige Heinrich Schlusnus.
    Nun wurde vereinbart, dass der junge Mann zu einem Probespiel nach Ruheleben zum Jasminweg kommen sollte, eine Gegend wo auch Die Gesangskünstler Emmi Leisner und Margarete Klose wohnten.


    In der idyllischen Gegend am Murellenteich angekommen, wurde er von Annemay Schlusnus herzlich empfangen, die ihm ein Hugo-Wolf-Lied reichte und man ließ dem jungen Mann etwas Zeit sich mit der Situation vertraut zu machen, bevor Heinrich Schlusnus selbst in Erscheinung trat, um den ins Auge gefassten neuen Konzertpartner zu begrüßen; eine von beiden Seiten empfundene Distanz war zu spüren, aber Peschko spielte so, dass sich Schlusnus eine Partnerschaft vorstellen konnte und der Meistersänger sagte, dass er einige Konzerte mit dem neuen Begleiter versuchen wolle, es käme dann darauf an, wie sich das Ganze entwickeln würde. Die Verabschiedung schildert Sebastian Peschko so:


    »Ich ergriff seine Notenmappe - die später viele Jahre mein treuer Begleiter war -, ein freundlicher Blick meines neuen Meisters verabschiedete mich, und dann trabte ich in einen siebenten Himmel hinein. Hinter mir schloss sich eine Tür, die mir später ein Tor zum deutschen Lied geworden ist.«


    Dieses gemeinsame Musizieren währte bis in die 1950er Jahre hinein und so war Sebastian Peschko auch noch dabei als bei Schlusnus die Kräfte schwanden.


    Aber man kann den Pianisten Sebastian Peschko nicht nur auf die Partnerschaft mit Heinrich Schlusnus reduzieren, denn da ist noch eine ganz beachtliche Liste schöner Stimmen zu nennen, welche die Partnerschaft Peschkos suchten:


    Theo Altmeyer, Erna Berger, Walter Berry, Rudolf Bockelmann, Grace Bumbry, Franz Crass, Lisa della Casa, Karl Erb, Nicolai Gedda, Agnes Giebel, Ernst Haefliger, Ilse Hollweg, Werner Hollweg, Heinz Hoppe, Christa Ludwig, Maria Müller, Hermann Prey, Ruth-Margret Pütz, Walther Pützstück, Erna Sack, Hanna Schwarz, Franz Völker, Bernd Weikl, Marcel Wittrich ...


    Aber wie schon eingangs erwähnt, begleitete Peschko auch Instrumentalisten, wobei neben dem bereits genannten Kulenkampff noch Berühmtheiten wie der äußerst pingelige Cellist Enrico Mainardi oder Hans Adomeit zu nennen sind.


    Von 1953 bis 1958 war Peschko bei Radio Bremen für Lied-, Chor- und Kirchenmusik zuständig; und als Rolf Liebermann Leiter der Hauptabteilung Musik beim Norddeutschen Rundfunk war, richtete er für Peschko eine neu geschaffene »Redaktion Lied« im NDR-Funkhaus Hannover ein, wo Peschko ab 1958 als Redakteur, Produzent und Pianist tätig war. Das oft in den Hintergrund gedrängte Lied erlebte in Hannover 1960 mit der Einführung der Konzertreihe »Meister des Liedes« eine Renaissance.


    In diese Zeit fällt auch die ›Entdeckung‹ des Baritons Thomas Quasthoff, dem es damals nicht möglich war sich als Sänger an der Musikhochschule ausbilden zu lassen. Aber was heißt hier Entdeckung, der behinderte Junge wurde dem Professor Sebastian Peschko, Leiter der NDR-Abteilung ›Kammermusik und Lied‹, vom Vater regelrecht aufgedrängt.
    Wie Michael Quasthoff, der Bruder des Sängers, in der Autobiografie schreibt, hatte Vater Quasthoff den ›Lied-Chef nach zwei Dutzend Brief- und Telefonattacken weichgekocht‹, so dass im Kleinen Sendesaal des Funkhauses ein Termin zustande kam. Der Beginn des Treffens wird folgendermaßen beschrieben:


    »Peschko, ein stattlicher Mensch mit weißem Haar, hoher Stirn und würdevollen Zügen, gibt sich förmlich und reserviert. Ich habe nur fünf Minuten Zeit, wiederholt er ungefähr zehn Minuten lang. Eine weitere Viertelstunde sinniert der Professor über die Untiefen des Musikbetriebes und ästhetische Grenzwerte im öffentlichen Raum.«


    Der Vortrag geht noch weiter in diese Richtung wobei Vater und Mutter Quasthoff immer nervöser werden und dann eindringlich darum bitten, dass der Herr Professor ihrem Jungen doch nur fünf Minuten zuhören möge. Nachdem Thomas mit Hilfe seines Vaters einige Stufen erklommen hat, legt er mit einem recht bunten Programm los:


    Da ist Brechts ›Mackie Messer‹-Song, der Gitte-Schlager ›Ich will ´nen Cowboy als Mann‹ und schließlich singt er das ›Ave Maria‹. Peschko findet das bisher Dargebotene gut und fordert zum Weitermachen auf.
    Es werden Opernarien und Gospels geboten, er imitiert Jürgen von Manger und Theo Lingen, beginnt zu jodeln und lässt auch seine Stimme im Stil von Louis Armstrong erklingen; den Schlusspunkt des Vortrags setzt er mit Bill Ramseys ›Zuckerpuppe aus der Bauchtanztruppe‹.
    Jetzt wird Sebastian Peschko zum Entdecker, er hatte dem seltsamen Programm teils mit geschlossenen Augen konzentriert zugehört und die vorhandene stimmliche Qualität erkannt. Nun tritt Peschko den Quasthoff-Eltern wohlwollend entgegen und sagt:


    »Vergessen Sie alles, was ich vorhin gesagt habe. Ich freue mich, dass Sie gekommen sind. Der kleine Bursche hat wirklich famose Anlagen. Ich werde mir etwas einfallen lassen und mich sobald als möglich bei Ihnen melden.«


    Peschko hat dann Thomas Quasthoff Zugang zu der Opernsängerin Charlotte Lehmann verschafft, die sich nach einem Vorsingen, das in ihrem Heim stattfand, bereit erklärte mit dem Jungen zu arbeiten, was bekanntlich mit Erfolg geschah.


    1971 und 1972 gab Sebastian Peschko im Rahmen der Internationalen Sommerspiele Kurse für Liedinterpretationen, trat aber in Salzburg später noch auf andere Weise in Erscheinung.


    Der Name Sebastian Peschko ist bei Lied-Kennern immer noch als Klavier-Begleiter sehr bekannt, weil er mit einer großen Anzahl berühmter Stimmen verbunden ist.
    Weniger bekannt dürfte sein, dass Sebastian Peschko auch als Komponist tätig war und diese Kompositionen nicht etwa im Nachlass als stille Übungen gefunden wurden, sondern noch zu Lebzeiten Sebastian Peschkos - am 30. August 1987 - bei einem Liederabend in der Semperoper mit der bekannten Sopranistin Helen Donath zum Vortrag kamen. Diese Lieder waren fester Bestandteil ihres Programms.
    Ebenso sang sie Peschkos Kompositionen bei den Salzburger Festspielen 1995 bei einem Liederabend am 16. August; vier Lieder, die Peschko nach Gedichten von Christian Morgenstern vertont hatte:
    Der Seufzer / Der Schaukelstuhl / Das Hemmed / Tapetenblume.


    Sebastian Peschko und seine Frau Ali Erika, die sich beim Orgelspiel des jungen Peschko in der Christian-Science-Kirche Berlin kennenlernten, wurden Eltern von drei Töchtern und zwei Söhnen. Auf dem Waldfriedhof in Celle hat der Pianist seine letzte Ruhe gefunden.
     

    Praktischer Hinweis:
    Waldfriedhof 29225 Celle an der Marienwerder Allee. Das Grab von Sebastian Peschko befindet sich ganz in der Nähe der St.-Hedwig-Kirche, wo sich ein kleiner Friedhofseingang befindet. Die Wegstrecke beträgt 120 Meter. Gleich hinter dem Eingang biegt man nach links ab und folgt diesem Weg etwa 100 Meter und biegt dann rechts ab.



    Kirche und Straßenschilder dienen als Orientierungshilfe


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  • Herbert Alsen - * 12. Oktober 1906 Hildesheim - † 25. Oktober 1978 Wien



    Zum heutigen Todestag von Herbert Alsen




    Von Geburt aus hieß der Sänger Herbert Murke und legte sich bei Aufnahme seiner Bühnentätigkeit den Künstlernamen Herbert Alsen zu, unter dem er dann in seiner beachtlichen Karriere bekannt wurde, dass es auch eine dänische Insel gleichen Namens gibt, wurde ihm erst später bewusst.
    Der Sohn eines Architekten war evangelisch, spielte aber bereits in seiner Gymnasialzeit als Konzertmeister im bischöflichen Orchester seiner Heimatstadt. Die Erinnerungen an seine Schulzeit im Jesuitengymnasium ließen ihn nicht gerne an diese Zeit zurück zu denken.
    Eigentlich wollte er Geiger werden, aber sein Lehrer riet davon ab eine Karriere als Geiger anzustreben, weil, bei aller Begabung mit diesem Instrument, die Entwicklung der außergewöhnlichen Gesangsstimme weit mehr künstlerischen Erfolg versprechen würde. Während seines Musikstudiums in Berlin studierte er parallel dazu an der Friedrich-Wilhelms-Universität Theaterwissenschaften.


    Im Joseph Haydn-Gedenkjahr 1931/32 wurden in verschiedenen Städten Oratorien des Geehrten aufgeführt und Alsen war bei den ausführenden Sängern mit dabei und wurde direkt von der Tournee-Station Hamburg aus an das Theater Hagen in Westfalen als erster Bassist verpflichtet, wo er als Rocco in »Fidelio« debütierte. Nachdem er hier im ersten Jahr seines Engagements noch zehn weitere Rollen gesungen hatte, ging Alsen im folgenden Jahr an das Landestheater Dessau und war dann 1934-36 am Staatstheater Wiesbaden.


    Am Allerheiligentag des Jahres 1935 gab Alsen dann an der Wiener Staatsoper ein Gastspiel; in einer »Parsifal«-Aufführung sang Herbert Alsen unter dem Dirigat von Felix Weingartner als Gurnemanz, eine Rolle, die er bis 1948 an diesem Hause sang; ab 1936 war er dann festes Mitglied der Staatsoper Wien.
    Wer in Wien erfolgreich singt ist in der Regel auch in Salzburg gefragt; so sang er bei den Salzburger Festspielen 1936-38 den Pogner in den »Meistersingern«, 1939 den Kaspar im »Freischütz«, 1936 und 1941 den Komtur in »Don Giovanni«, 1938 den Landgrafen im »Tannhäuser«, 1939 und 1941 das Bass-Solo in der 9. Sinfonie von Beethoven.
    Nach dem Zweiten Weltkrieg war er in Salzburg im August 1947 an der Uraufführung von »Dantos Tod«, einer Oper von Gottfried von Einem, beteiligt und wirkte ein Jahr später als Rocco in »Fidelio«-Aufführungen unter Wilhelm Furtwängler mit.


    Um in Salzburg zu bleiben wurde der Zeit etwas vorausgeeilt, denn es sind noch Alsens Gastspiele an der Grand Opéra Paris zu erwähnen, die er dort 1935 und 1938 als König Marke in »Tristan und Isolde« absolvierte.
    1937 sang Alsen bei den Festspielen in Glyndebourne unter Fritz Busch den Osmin in »Die Entführung aus dem Serail« und Serastro in »Die Zauberflöte«.


    Im ›Großen Sängerlexikon‹ findet man den lapidaren Eintrag: »Er sang in der Saison 1938-39 an der Metropolitan Oper New York».
    Wenn man in der New York Times vom 9. Januar 1939 blättert, findet man einen Hinweis, dass Herbert Alsen in New York zunächst sein Debüt in »Tannhäuser« gab, die Besetzungsliste nennt: Flagstad, Branzell, Farell, Melchior, Schorr und Alsen sowie Leinsdorf als Dirigent der Aufführung.
    In der New York Times vom 17. Januar1939 findet man sogar eine ausführliche Würdigung des Debüts als König Marke in »Tristan und Isolde«:


    »Für einige Gäste war es vielleicht eine Neuigkeit, als sie durch ihre Programme blätterten, dass auch ein Sänger namens Herbert Alsen in der Besetzung war. Auf jeden Fall ist Mr. Alsens Auftritt als König Marke heute Morgen für die breite Öffentlichkeit von größerem Interesse, da dies sein amerikanisches Debüt war.
    Der neue deutsche Bassbariton stellte seine Qualitäten als Künstler eindrucksvoll unter Beweis. Er sang die beredte, trauernde Musik von König Marke im Bewusstsein ihrer Bedeutung und ihres Platzes im Schema des Musikdramas. Seine Phrasierung hatte die Richtigkeit und das Wissen solider Musikalität, und sein Schauspiel war einfach und zurückhaltend. er ist weit über 1,80 Meter groß und es fällt ihm nicht schwer, gebührend königlich auszusehen. Herr Alsen hat, dieser einen Anhörung nach zu urteilen, eine großzügig ausgestattete Stimme. Am besten schien es in den tieferen Tönen zu sein, aber es lag möglicherweise eher an der unvermeidlichen Nervosität eines Debüts als an inhärenten Mängeln. Er wird in anderen Rollen in der Wagner-Galerie zuhören sein und es wird Zeit sein, die Fülle seiner Talente zu entdecken.«
    (DeepL-Übersetzung)


    Im Wagner-Fach sang er damals ebenfalls an der Oper von Monte Carlo und etwas später auch in Rom. Auch bei den Festspielen von Zoppot - dem damaligen ›Bayreuth des Nordens‹ - wirkte er 1942 mit, wo »Meistersinger« und »Siegfried« gegeben wurde.


    Wie bereits erwähnt, sang Alsen nach dem Zweiten Weltkrieg wieder bei den Salzburger Festspielen und gastierte an der Staatsoper München, an der Nationaloper Budapest, am Teatro Liceo Barcelona sowie am Teatro Comunale Bologna, wobei diese Aufzählung längst nicht vollständig ist. In Nachschlagewerken findet man häufig den Eintrag, dass Herbert Alsen 1959 seine Bühnenkarriere wegen eines Autounfalls beendete, was nach Angaben seiner Nachkommen so nicht richtig ist, sie sagen aus, dass der Vater, respektive Großvater, nicht mit nachlassendem Stimmpotenzial durch Gesangsveranstaltungen tingeln wollte.
    Während seiner Sängerkarriere hatte Alsen sowohl in Wien als auch unterwegs stets einen Chauffeur zur Verfügung; erst in Mörbisch musste er sich ein Auto zulegen und der Unfallgrund war ein technischer Defekt am Fahrzeug, der das Auto auf dem Weg von Eisenstadt nach Mörbisch aus der Kurve trug. Von den dabei erlittenen Verletzungen hat er sich nie vollständig erholt und hatte bis zu seinem Tod immer wieder Schmerzen in der Hüfte und im Bein.
    Nach seiner aktiven Zeit als Sänger gab es doch auch Veränderungen im privaten persönlichen Bereich. Obwohl er in seiner aktiven Zeit als Sänger verrauchte Räume - die es damals noch zuhauf gab - mied und selbst Nichtraucher war, gönnte er sich in seinen späteren Jahren dann doch ab und an mal eine Zigarre.
    Man wird vielleicht auch etwas überrascht sein zu erfahren, dass Herbert Alsen schon immer ein gewisses Faible für Marschmusik hatte und es ihm Vergnügen bereitete mal sonntagmorgens eine entsprechende Platte aufzulegen.


    Seit 1942 war er mit der um 16 Jahre jüngeren Kostümbildnerin Gisela Bossert verheiratet, es muss eine glückliche Begegnung gewesen sein, denn zwischen erstem Kennenlernen und Hochzeit lagen gerade mal vier Wochen, in der Rückschau meinte Frau Gisela lachend:
    ›Ich hab eigentlich einen wildfremden Menschen geheiratet.‹
    1943 wurde Tochter Marina geboren, man hatte eine Familie gegründet und kam 1955 ins Burgenland, wo gerade erste tastende Versuche stattfanden die Gegend dem Tourismus zu erschließen. Kammersänger Alsen - diesen Titel trug er ab 1947 - entwickelte die Idee in Mörbisch Seespiele stattfinden zu lassen. Das war eine kühne Idee, denn bedingt durch die damaligen politischen Verhältnisse, lag Mörbisch damals am Ende der westlichen Welt, Mörbisch war so etwas wie eine Sackgasse direkt am Eisernen Vorhang; es fehlte das Hinterland und nach Wien waren es beachtliche 80 Kilometer.
    Vorteilhaft war dagegen, dass man das Ballett recht preiswert aus Ungarn und der Tschechoslowakei engagieren konnte. Die gesamte Familie Alsen ging ganz in der Aufgabe auf, den Seespielen zum Erfolg zu verhelfen; Mutter Gisela war bis 1991 für den Entwurf der Kostüme zuständig und die 13-jährige Tochter Marina stand auch auf der Bühne als es dann endlich 1957 nach etwa zweijähriger Vorbereitung los ging - »Der Zigeunerbaron« war die erste Aufführung, 1.200 Besucher kamen zur Premiere. 1960 sagte er einmal in einem Interview, dass man die Wiener Operette mit ungarischen Kolorit pflegt, »Die Atmosphäre fordert dazu heraus.«
    1959 kam für Herbert Alsen noch die Intendanz der ›Burgspiele Forchtenstein‹ hinzu und es gelang berühmte Namen auf die Burg zu holen, dem Sommertheater wurde Burgtheaterniveau attestiert, aber heute ist das Geschichte und die Seefestspiele in Mörbisch haben seit dem Tod ihres Begründers auch erhebliche Veränderungen erfahren.


    Seine gewaltige Stimme ist der Nachwelt auf Tonträgern erhalten, die natürlich zur Glanzzeit des Sängers noch nicht so zahlreich produziert wurden, wie dies später der Fall war.
    Es gibt aber eine vollständige »Meistersinger«-Aufnahme mit Toscanini von den Salzburger Festspielen 1937 und zahlreiche Archivaufnahmen aus der Wiener Staatsoper.
    Auch in der Raucheisen Edition ist Herbert Alsen mit vier Liedern vertreten:
    Ludwig v. Beethoven »Prüfung des Küssens« / Franz Schubert »Grenzen der Menschheit« und »Pensa, che questo istante« / Carl Loewe »Der alte Schiffsherr« / Richard Strauss »Im Spätboot«.


    In einem Zeitungsbericht vom Mittwoch, 8. November 1978 steht unter einem Foto von der Trauerfeier: »Eine große Trauergemeinde füllte am Donnerstag den evangelischen Friedhof von Mörbisch, als Kammersänger Professor Herbert Alsen, der vor kurzem im 72. Lebensjahr gestorben war, beigesetzt wurde. Nicht nur das offizielle Burgenland - vertreten durch die Spitzen der Landesregierung - gaben dem Intendanten der Burgenländischen Festspiele das letzte Geleit; unter den Trauergästen befanden sich auch zahlreiche berühmte Schauspieler, Sänger und Regisseure.


    Praktische Hinweise:
    Man findet das Ehrengrab der Gemeinde auf dem evangelischen Friedhof in Mörbisch am See, er liegt an dem Sträßchen Nussau dem kleineren katholischen Friedhof gegenüber.
    Der evangelische Friedhof ist sowohl von der Hauptstraße als auch der Friedhofsgasse aus zugänglich. Beim Eingang an der Friedhofgasse geht man den leicht ansteigenden Weg geradeaus und biegt dann nach links ab.


    Der Eingang an der Friedhofsgasse


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  • Johann Ritter von Herbeck - * 25. Dezember 1831 Wien - † 28. Oktober 1877 Wien



    Zum heutigen Todestag von Johann Ritter von Herbeck




    Johann Ritter von Herbeck war in einer Zeitspanne von etwa 25 Jahren eine wichtige Persönlichkeit des Wiener Musiklebens; er pflegte innerhalb des deutschen Sprachraums viele künstlerische Kontakte. Herbeck war Dirigent und Komponist, wobei sein Schwerpunkt der Chorgesang war. Ein ganz wesentliches Verdienst kommt ihm in der Musikgeschichte mit der Entdeckung von verschollenen Werken Franz Schuberts und der Förderung Anton Bruckners zu.


    In Nachschlagewerken wird dargestellt, dass der Junge als Sohn bürgerlicher Eltern geboren wurde. Die in Wien erschienene ›Konstitutionelle Volkszeitung‹ vom Sonntag, den 21. Oktober 1866 beschreibt das in einem Artikel - mit Herbecks Porträt - auf der Titelseite etwas genauer:



    »Johann Franz Herbeck, geb. zu Wien 25. Dezember 1831, ist der Sohn eines armen Schneiders. Er besuchte schon mit vier Jahren die Schule und verrieth alsbald entschiedene Neigung und Begabung zur Musik. Ein damals viel gesuchter Lehrer Sykora, ertheilte ihm zunächst Unterricht im Gesange, und zwar mit so günstigem Erfolge, daß der Zögling bereits im 10. Lebensjahre als Sängerknabe in das Stift Heiligenkreuz aufgenommen werden konnte, wo er durch seine seltene Sopranstimme und ausgesprochene musikalische Anlage die Aufmerksamkeit berufener Künstler, wie Hellmesberger (Vater), König u. A. auf sich zog, was den Prälaten bewog den Knaben bei dem Kapellmeister Rotter an der Kirche ›am Hof‹ in Wien Harmonielehre studiren zu lassen. Dieser durch einige Monate fortgesetzte Unterricht sowie der früher erwähnte spärliche im Gesange, war Alles, was von Seite der Lehrer für seine musikalische Bildung geschah.
    Die genaue Kenntniß der eigentlichen Musikwissenschaft, sowie einiger Instrumente, verdankte Herbeck seinem eigenen Fleiße und seltenem musikalischen Instinkte. Nach in Wien beendetem Gymnasialbesuche und philosophischen Studien widmete sich Herbeck ausschließlich der Musik.«


    Laut österreichischem Musiklexikon war - entgegen diesem Zeitungsartikel - Johann Herbeck der Sohn eines Schuhmachermeisters, schließlich ist aus beiden Publikationen ersichtlich, dass Herbeck nicht uraltem Adel entstammte.
    Als dieser Zeitungsartikel erschien, war Herbeck 35 Jahre alt und wie man anhand des eingefügten Bildes sieht, fehlt dem Namen hier noch das Adelsprädikat, zur Nobilitierung kam es erst 1874.


    Wenn man sich die Herkunft der Familie betrachtet, die sich auch Hrbek nannte, dann kam sie ursprünglich aus Deutschland; zuerst nach Böhmen und von hier aus nach Wien.
    Johanns Mutter, Therese Triebensee, entstammte einer Familie mit vielschichtiger musikalischer Tradition, so dass außer Zweifel steht woher die außergewöhnliche Begabung des Jungen kam. Aber sie soll eine vergnügungssüchtige, leichtsinnige Person gewesen sein, woraus resultierte, dass es in der in ärmlichen Verhältnissen lebenden Familie oft Streit gab, der Vater soll eine schwache Person gewesen sein, der jedoch das Potenzial seines Sohnes erkannte. Johann kam zwar am Weihnachtstag als Sonntagskind zur Welt, aber sein Bruder Ludwig stellt fest: ›unter recht mißlichen materiellen und moralischen Umständen verfloß seine Kindheit, und in den Lehrjahren hatte er unter den drückendsten Verhältnissen zu leiden.‹


    Johann wurde als Fünfjähriger in die Volksschule zu St. Stefan geschickt. Nachdem vier Klassen absolviert waren, ließ ihn der Vater für zwei Jahre am akademischen Gymnasium studieren, was kein Studium im heutigen Wortsinn gewesen sein kann.
    Aber der Knabe muss hochintelligent gewesen sein, denn es ist überliefert, dass er den Inhalt von zwei Buchseiten nach nur zweimaligem Durchlesen intus hatte.
    Nachdem er die zwei unteren Gymnasialklassen mit gutem Erfolg absolvierte, kam es in den ersten Oktobertagen des Jahres 1843 zur wohl entscheidenden Begegnung mit Georg Hellmesberger, der selbst einmal Gymnasialzögling und Sängerknabe im Zisterzienserstift Heiligenkreuz - südwestlich von Wien - war. Der bekannte Violinist erkannte recht schnell die Begabung des Jungen, wusste aber auch, dass der arme Schneidermeister nicht in der Lage war, von sich aus für die musikalische Ausbildung seines Sohnes zu sorgen. Hellmesberger hatte aber die künstlerische Autorität auf den Prälaten entsprechend einzuwirken.
    Nun hatte sich Johann einer Gesangsprüfung zu unterziehen, welche vom Organisten des Stiftes, Ferdinand Borschitzky vorgenommen wurde. Er bestand diese Prüfung mit Bravour und versetzte die Anwesenden in Staunen.
    Die Knaben erhielten hier unentgeltlich Wohnung, Kost und uniformierte Kleidung; ihre Lebensweise war spartanisch streng, wobei man letzteren Begriff auch Sadismus nennen kann. Der Tag begann um 5 Uhr morgens und es kam schon mal vor, dass man den Schnee von der Bettdecke nehmen musste.
    Ab 1842 sind erste Kompositionsübungen bekannt, sein musikalisches Vorbild war damals Mozart. Auch seine Singstimme - sie wird als biegsame und kräftige Sopranstimme beschrieben - gelangte zu höchster Blüte, so dass alle in der Kirche auszuführenden Sopran-Soli von ihm vorgetragen wurden.
    Da er alles a vista sang, fielen die Wiederholungen für ihn weg und er konnte in der für ihn frei gewordenen Zeit Violine, Viola oder Violoncello üben, letzteres Instrument liebte er, seines elegischen Tones wegen, besonders. Immer wieder reizte ihn das Komponieren, aber das geschah immer in der Angst vom überstrengen Präfekten dabei erwischt zu werden.


    1844 wurde schließlich geduldet, dass man ein von Herbeck komponiertes Streichquartett aufführen durfte. Sogar Kreutzers »Das Nachtlager von Granada« wurde aufgeführt, wobei Herbeck die Gabriele sang. Als das Kloster 1846 ein Jubiläum feierte und dabei Mozarts Requiem aufgeführt wurde, kam sogar der berühmte Bassist Josef Staudigl ins Kloster und Johann hatte Gelegenheit diesen singen zu hören.
    Etwas später ließ man den jungen Mann unter Borschitzkys Anleitung auch an die Orgel, wo er bei Anwesenheit von Kaiserin Maria Louise (Witwe von Napoleon I.) Variationen über die österreichische Volkshymne vortrug, die so zu gefallen wussten, dass sie sich den jungen Mann vorstellen ließ.


    Nachdem das Untergymnasium absolviert war, musste er den folgenden Stoff beim Präfekten absolvieren und durfte sich während der zwei Jahre ungehindert dem Studium der Musik hingeben. Nun kam Johann zeitweilig auch nach Wien, um seine Lektionen entgegen zu nehmen.
    Sein Lehrer war Ludwig Rotter, damals Kapellmeister in der Kirche am Hof in der inneren Stadt. Nachdem Johann am Obergymnasium in Neustadt die Prüfungen mit glänzendem Erfolg abgelegt hatte, verließ er im August 1847 Heiligkreuz, um seine Studien bei Rotter bis zum Spätherbst fortzusetzen.
    Im Oktober trat er als ›Hörer der Philosophie‹ an der Wiener Universität ein, um sich für die eigentliche Hochschule vorzubereiten. Eine schwere Krankheit beendete diese Ansätze, die immer noch prekären Verhältnisse zu Hause trugen zur Genesung nicht bei.


    Ausgerechnet im einst so schlimmen Kloster - er war ja jetzt kein Zögling mehr - konnte er seine Gesundheit wiederherstellen.
    Sein einstiger Sopran hatte sich zwischenzeitlich in einen sonoren Bass verwandelt und er ließ sich mit dem Vortrag »In diesen heiligen Hallen« und der Registerarie bewundern.
    Wieder nach Wien zurückgekehrt, beteiligte er sich an sonntäglichen Aufführungen von Rotter in der Kirche ›am Hof‹, was etwas Geld einbrachte.
    Es waren inzwischen stürmische Zeiten angebrochen, plötzlich befand sich Herbeck ungewollt inmitten dieser Turbulenzen und es war reine Glückssache mit heiler Haut davon gekommen zu sein.


    Seine im Kloster erworbene umfassende Bildung machte es möglich dass Herbeck auch als Hauslehrer zu gebrauchen war. Bei der in Münchendorf - südlich von Wien - ansässigen Familie des Fabrikbesitzers Karl von Thornton war Sohn Ernst zu unterrichten, es war zu Beginn des Winters 1848-49. Im Haus des Fabrikanten erlebte er eine gänzlich andere Atmosphäre als in seinem Elternhaus; natürlich stand ihm nach dem Unterricht im Salon auch ein Klavier zur Verfügung.
    In dieser Zeit entstanden viele Liedkompositionen, vor allem nach Texten von Ludwig Uhland.
    Nebenbei studierte er weiter Philosophie, aber ließ sich auch im Februar 1850 an der juristischen Fakultät der Universität Wien einschreiben, wobei er nebenbei noch Physik hörte, was vermutlich ein Versuch war, die Welt der Töne physikalisch zu verstehen, aber mangelnde mathematische Kenntnisse ließen ihn diesen Versuch abbrechen.
    Johann Herbeck kam nun immer mehr mit den ›besseren Familien‹ Wiens in Kontakt; so auch mit der Familie Halstuker; der zu unterrichtende Knabe Stephan erwies sich zwar als völlig unmusikalisch, aber da war dann noch Marie, eine Tochter des Hauses, die Johanns Interesse geweckt hatte.


    Allerdings sprach sich die Mutter entschieden gegen die Verbindung der beiden aus, da offensichtlich war, dass der junge Mann keine Familie ernähren konnte - noch nicht, kann man hinzufügen, wenn man den weiteren Verlauf kennt. Im Vorgriff sei festgehalten, dass die gegründete Familie im Endeffekt aus drei Jungs und einem Mädchen bestand.


    Um die Jahreswende 1851/52 war der nun Zwanzigjährige zu der Erkenntnis gelangt, dass mit dem Jurastudium in absehbarer Zeit kein Geld zu verdienen ist, er aber mit seinen fundierten Kenntnissen in der Musik eher vorwärts kommen könnte.
    Durch seinen vielfältigen Einsatz als Organist, Violinspieler und Sänger war er den maßgeblichen Herren des Piaristen-Ordens aufgefallen, so dass diese die gesamte künstlerische Leitung der Musikaufführungen in Herbecks Hände legten.
    Herbeck konnte hervorragende Solisten einsetzen, aber auch bei einigen Messen viele Mitglieder des Wiener Männer-Gesangvereins, dem Herbeck nun im Frühling 1852 ebenfalls beitrat.
    Die Mitgliedschaft regte ihn zu Kompositionen an und in diese Zeit fällt auch seine Hochzeit von der etwas eigenartige Daten überliefert sind. Am 5. Juli fand die Trauung morgens um acht Uhr in der kleinen Kapelle St. Stephan in aller Stille statt, Brautleute und Zeugen waren dabei in gewöhnlicher Kleidung erschienen.
    Durch Stundengeben verdiente er den kärglichen Lebensunterhalt, aber er komponierte auch eine Musik zu »Faust«, die er in späteren Jahren etwas kritisch sah. Innerhalb dieses Kreises komponierte Herbeck sehr viele Werke, die auch zur Aufführung kamen, aber es stellte sich heraus, dass man ihn, bei aller Anerkennung seiner Leistung, wegen ›Ungunst der gegenwärtigen Zeitverhältnisse‹ nicht mehr als Chormeister beschäftigen könne. Da war nun nicht nur der finanzielle Verlust, sondern auch das Ansehen seiner Person im öffentlichen Kunstleben.


    1854 war nun Franz Abt, ein damals hochangesehener Komponist, für einige Tage nach Wien gekommen und die beiden verstanden sich auf Anhieb hervorragend. Nach Abts Abreise entstand ein reger Briefverkehr und da ist in einem Abt-Brief nachzulesen:
    »Daß Ihnen noch eine bedeutende Zukunft bevorstehe, diese Entdeckung darf ich mich rühmen, bei dem ersten Zusammentreffen mit Ihnen gemacht zu haben« und in einem anderen Brief:
    »Habe ich Ihnen nicht bei unserem ersten Zusammentreffen gesagt, daß Sie noch ein berühmter Mann werden?«


    Die Begegnung mit Abt trug dahingehend Früchte, dass dieser als Herausgeber der Bände ›Lieder-Perlen aus der Deutschen Sängerhalle‹ auch Lieder von Herbeck veröffentlichte.
    Zu dieser Zeit vertonte Herbeck eine Reihe Gedichte von Otto Roquette.
    Hieraus ergab sich, dass sich Herbecks finanzielle Situation so verbesserte, dass er sich eine Reise nach München leisten konnte, wo 1854 kulturell einiges geboten war.


    Im Frühjahr 1856 wurde Herbeck mit 71 gegen 31 Stimmen zum Chormeister des Wiener Männergesang-Vereins gewählt, der Wahl waren einige Querelen vorausgegangen.
    Einen ganz großen Auftritt hatte Herbeck bei der Grundsteinlegung der mächtigen Votivkirche; er komponierte zu diesem Anlass einen Chor und ein Tedeum,
    Die Kaiserfamilie sowie weltliche und geistliche Würdenträger waren zugegen als Herbeck seinen 200-stimmigen Chor leitete.
    Großes Lob konnte er auch von Heinrich Marschner ernten als dieser nach Wien kam.
    Zu einem Sängertreffen in Salzburg waren aus vielen Städten Gesangvereine gekommen, die vor einer Anzahl gekrönter Häupter sangen und Herbeck hatte die Ehre dem Gesang aus 2000 Kehlen die richtige Form zu geben. Beifall und Lob waren gewaltig und sein Ansehen sowohl außerhalb als auch intern erheblich gestiegen, bei der anstehenden Wahl 1856-57 lautete das Ergebnis 108 gegen 7 Stimmen.
    Als Herbeck mal in Wien mit Franz Liszt zusammen traf, war das für ihn ein Grund auch Werke dieses großen Meisters aufzuführen, aber ein rauschender Erfolg ergab sich daraus nicht, er musste sich sogar mit der Zensur auseinander setzten.
    Erfolgreicher war in Wien die Hebung des Liederschatzes von Friedrich Silcher, die ›Hits‹ waren dabei »Loreley« und »Untreue«.
    Als großen Erfolg befand Herbeck die Aufführung seines Quartetts in D-moll durch Hellmesberger.


    Ganz große Verdienste erwarb sich Herbeck um das Werk Franz Schuberts, den man in Wien zwar als den Komponisten von Liedern kannte, aber zu Herbecks Zeit waren - mit wenigen Ausnahmen - sowohl in Österreich als auch in Deutschland, Schuberts große Werke für Orchester und Chor unbekannt. Sie schlummerten in Archiven und verstaubten in Rumpelkammern. Herbecks erster bedeutender Fund war »Gesang der Geister über den Wassern«; dieses Stück war in Wien 1821 ein einziges Mal öffentlich zu Gehör gebracht worden, anstatt mit großem Chor, war das Stück nur mit acht Stimmen besetzt und konnte in dieser Form nicht gefallen.
    Herbeck fand das Manuskript 1857 in einem Stapel Papier, das der Geschäftsführer einer Musikalienhandlung gerade beiseiteschob; auf Herbecks Frage was das sei war die Antwort: ›Nix als Schmarr´n‹.
    1857 waren in Weimar Festlichkeiten angesagt und Herbeck war von Franz Liszt eingeladen worden und dehnte das zu einer Rundtour aus, die ihn in verschiedene Städte in die nördliche Hälfte Deutschlands führte.
    Weimar - an räumlicher Größe mit Wien verglichen, unbedeutend - war damals das Zentrum deutschen Kunstlebens; Liszt lebte seit zehn Jahren als ›Hofkapellmeister in außerordentlichen Diensten‹ am Hofe des Großherzogs.


    Herbeck konnte in Wien seine 2. Symphonie aufführen, welche die Gesellschaft der Musikfreunde zur öffentlichen Aufführung angenommen hatte. Diese Aufführung gab den Anstoß zur Ernennung als Leiter des zu gründenden Singvereins, gleichzeitig erfolgte seine Ernennung zum Professor der Männergesangschule am Konservatorium der Gesellschaft.
    Als Chormeister plagte er sich gerne für geringen Lohn, aber im Lehrberuf fühlte er sich nicht recht wohl und erachtete diesen Lohn als sauer verdientes Geld.
    Einmal schrieb er in einem Brief: »Ich habe mich während meiner aus freien Stücken aufgegebenen Professur am hiesigen Conservatorium im Jahre 1858 überzeugt, dass mir das Professor sein durchaus ungesund ist ...«


    Im November 1860 stellte Herbeck in Wien ein neues Orchester zusammen und führte Schumanns »Manfred« und ›Symphonische Fragmente‹ von Schubert auf; seinem Tagebuch vertraute er an: »... mit Ausnahme des Scherzo (aus der C-dur Nr. 6) nie und nirgens aufgeführt - unglaublich! Schubert! warum warst du ein Wiener und kein Engländer!«
    Im März 1861 führte Herbeck in einer konzertanten Aufführung auch erstmals Schuberts Singspiel »Der häusliche Krieg« auf.


    Aber Herbeck produzierte auch eine Menge eigener Kompositionen, die er zum Teil unter Pseudonym an die Öffentlichkeit brachte, weil er mitunter annehmen musste, dass seine Werke von der Kritik nicht fair beurteilt wurden; in seinem Tagebuch notierte er zum Beispiel:
    »Melchior Frank- Doppelchor, muß auf stürmisches Verlangen wiederholt werden; ob daselbe der Fall gewesen wäre, hätten die Leute gewußt, daß der Chor von mir componirt ist?«


    Als die Gesellschaft der Musikfreunde im Jahr 1863 beschloss die Särge von Beethoven und Schubert umzubetten, war Herbeck mit dieser Maßnahme überhaupt nicht einverstanden und protestierte wortreich dagegen.
    Dennoch war er dann bei der Zeremonie zugegen; als die beiden Särge am 22. Oktober feierlich beigesetzt wurden sang der Chor unter Herbecks Leitung »Die Ehre Gottes« von Beethoven und Schuberts »Litanei am Fest Allerseelen«.


    Schon seit fünf Jahren hatte Herbeck davon Kenntnis, dass der in Ober-Andritz (heute ein Stadtteil von Graz) wohnende Anselm Hüttenbrenner im Besitz einer unvollendeten Schubert-Symphonie ist und versuchte mit diplomatischer Schläue in den Besitz dieses Werkes - dem im Oktober 1822 komponierten H-moll-Fragment - zu kommen.
    Endlich, am 18. Dezember 1865 konnte er das Werk in Wien aufführen.


    Neben dem großen Engagement für Schuberts Werke, war Herbeck ›der‹ große Förderer Anton Bruckners; schon 1861 saß er in einer Prüfungskommission, die:
    aus Bruckners Lehrer Sechter, Hellmesberger, Dessoff, Schulrat Becker und Herbeck bestand.
    Bruckner hatte nämlich beim Wiener Konservatorium um eine Maturitätsprüfung im Contrapunkt gebeten, die er glänzend bestand, und Herbeck sagte nach dieser etwas eigenartigen Prüfung:
    »Er hätte uns prüfen sollen - wenn ich den zehnten Teil von dem wüsste, was er weiß, wäre ich glücklich.« In der Literatur findet man den Satz:
    »Von dieser Zeit angefangen ließ Herbeck den genialen Contrapunktisten und Orgelspieler nicht mehr aus den Augen«
    Nachdem Herbeck in Wien entsprechend sondiert hatte, ließ er durch einen Mittelsmann bei Bruckner anfragen, ob dieser denn keine Lehrerstelle am Konservatorium anstreben wolle, aber Bruckner hatte daran kein Interesse. Nun begab sich Herbeck 1868 selbst nach Linz und fuhr mit Bruckner zum nahe gelegenen Kloster St. Florian. Auf dieser Fahrt bedrängte er den Widerspenstigen mit der Drohung: »Gehen Sie aber nicht, so reise ich nach Deutschland, um draußen einen Fachmann zu akquirieren, ich meine aber, dass es Österreich zur größeren Ehre gereiche, wenn die Professur , die Sechter früher versehen, von einem Einheimischen bekleidet wird.«


    1866 beginnt für Herbeck ein neuer Lebensabschnitt, er wird nun Hofkapellmeister und arbeitet mit erstrangigen Künstlerinnen wie zum Beispiel Désiré Artôt, Karoline Bettelheim, Marianne Bischoff (Brandt), Louise Dustmann, Marie Wilt ... zusammen und tauscht sich mit dem in München wirkenden Intendanten Karl von Perfall brieflich aus, macht aber auch Besuche in München, wo er unter anderem einer »Meistersinger«-Aufführung beiwohnte und auch mit dem Maler Wilhelm von Kaulbach befreundet war und - auf Anregung Kaulbachs - dem Maler Hans Makart in Wien aus den Startlöchern half und der dann dort über sich hinaus wuchs.
    Baron Perfall hatte Herbeck schon 1864 eine Kapellmeisterstelle am Hoftheater in München angeboten, aber Herbeck hing - trotz einiger Querelen zuhause - an Wien und konnte auch nicht einschätzen inwieweit ihn die Situation in München befriedigen würde. Herbeck hielt viel von der Münchner Oper, weil er dort bessere Wagner-Aufführungen erlebte als in Bayreuth.


    Mit dem Bayreuther Meister war das so eine Sache, einmal verließ dieser erbost und verärgert eine »Rienzi«-Vorstellung in Wien, dann war Wagner in Bayreuth wieder die Freundlichkeit selbst, um, etwas später, wieder schlecht über Herbeck zu reden.
    Da bestand zwischen Franz Liszt und Herbeck ein weit besseres, freundschaftlich, ja herzliches Verhältnis.


    Obwohl die Musik sein Ein und Alles war, hatte er eine Leidenschaft für Bilder und Antiquitäten entwickelt, wobei der Stolz seiner Sammlung ein 1871 erworbener Männerkopf von Tizian war, zwar nur 20x17 Zentimeter groß und unsigniert, wurde aber von Kunstkennern als echt anerkannt.


    Johann Ritter von Herbecks Leben ging früh zu Ende; als er seine letzte Symphonie, die sogenannte ›Orgelsymphonie‹, Ende Juli in nur fünf Tagen geschrieben hatte, sagte er zu seiner Frau:
    »Marie, ich versichere dich, wenn diese Symphonie keinen Erfolg erringt, dann lasse ich das Komponieren sein!« Musikgeschichtlich hatte er diesen Akzent neun Jahre vor Camille Saint-Saëns gesetzt.
    Am Sonntag, 21. Oktober dirigierte Herbeck noch Schuberts Es-Messe, am 23. kam der Arzt und es stellte sich allmählich heraus, dass es eine Lungenentzündung war. In den Folgetagen ging es dem Patienten unter der Aufsicht von drei Ärzten zusehends schlechter, am darauf folgenden Sonntag verließ Johann Ritter von Herbeck kurz vor 10 Uhr diese Welt - er war ein Sonntagskind.


    Praktischer Hinweis:
    Das Grabmal von Johann Ritter von Herbeck befindet sich auf dem Zentralfriedhof Wien, Simmeringer Landstraße 234.
    Vom Tor 2 kommend geht man der Hauptachse geradeaus und erreicht Gruppe 32 A kurz nach den Alten Arkaden links des Hauptweges.
    Man kann von etwa drei bis fünf Gehminuten ausgehen, Friedhofspläne stehen ausreichend zur Verfügung.


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  • Vera Schwarz - * 10. Juli 1889 Agram (Kroatien) - † 4. Dezember 1964 Wien



    Zum heutigen Todestag von Vera Schwarz





    Bei der Darstellung des Geburtsjahres ist die Jahreszahl der Grabplatte in der Urnenwand entnommen, in vielen Nachschlagewerken und auch auf CDs wird 1888 genannt.
    Ferner ist darauf hinzuweisen, dass aus Veras Geburtsstadt Agram inzwischen Zagreb geworden ist, in Vera Schwarz´ Sprechstimme glaubt man ein Quäntchen Stolz herauszuhören, wenn sie erklärt: »ich bin eine Kroatin.«


    Vera war in eine strenggläubige jüdische Familie hineingeboren worden, aber es war keine herkömmliche Familie, denn ihr Vater, David Schwarz, war der Erfinder des ersten lenkbaren Aluminium-Luftschiffs und die um acht Jahre jüngere Mutter, Melanie Schwarz, scheint eine lebenstüchtige Frau gewesen zu sein, denn sie führte das Werk ihres Gatten weiter, als dieser - erst 46 Jahre alt - überraschend gestorben war.
    Schon im Januar 1897 war Vera Halbwaise geworden, David Schwarz erlebte also den Aufstieg und das zu Bruchgehen seiner Erfindung am 3. November 1897 nicht mehr.
    Diese Erfindung war vor allem unter militärischen Gesichtspunkten sehr wichtig, weshalb Veras Mutter das Werk des Vaters weiterführte und sie war auch bei dem ersten Flugversuch in Berlin mit dabei und erlebte die Bruchlandung live. Im Prinzip hatte das Fluggerät nämlich funktioniert, weshalb Melanie Schwarz dennoch voller Hoffnung war auf dem richtigen Weg zu sein; schließlich kaufte Graf Zeppelin den Erben die Pläne ab und verfolgte die Sache auf seine Weise weiter.


    Ganz spurlos wird das alles an dem kleinen Mädchen nicht vorbei gegangen sein, aber nähere Einzelheiten sind darüber nicht bekannt. Von Vera Schwarz selbst weiß man, dass die Familie - wer auch immer dazugehörte - gegen Veras Gesangsausbildung war und man ihr das Geld sperren wollte, aber die Mutter förderte die Ausbildung ihrer Tochter nach Kräften und von Margarete Slezak weiß man, dass Melanie Schwarz später ihre Tochter bei Auftritten mit geradezu frenetischem Beifall unterstützt hat. Vera spielte - nach eigenen Angaben - schon als Kind sehr gut Klavier und wollte Pianistin werden.
    Also begab man sich mit der 14-Jährigen zur damals wohl besten Adresse in Wien, die war in der Weimarer Straße 60 im 18. Bezirk, wo Theodor Leschetizky zusammen mit seiner Frau am Klavier unterrichtete.


    In den spärlichen Biografien über Vera Schwarz taucht dann die Information auf, dass ihre Stimme durch Zufall entdeckt wurde, aber welcher Art dieser Zufall war und wer diese Entdeckung machte, ist nicht in Erfahrung zu bringen.
    Als Vera Schwarz längst nicht mehr aktiv sang und in New York und anderswo Gesangsunterricht gab, erklärte sie im März 1959 in einem Radio-Interview ihre Liebe zum Klavier so:
    »aber eigentlich ist Klavier meine Liebe, ich gehe nur in Klavierkonzerte, nie in Gesangskonzerte.«


    Wie auch immer die stimmliche Entdeckung vonstattengegangen sein mag, der finnische Bariton Filip Forstén (auch Phiipp Forstén) war von Veras Stimme begeistert, wie die Sängerin selbst berichtete, wobei es im Booklet einer CD heißt, dass Forstén der Meinung war, dass Veras Stimme für die Opernhäuser des Kontinents nicht groß genug sei, weshalb sie sich zunächst der Operette zuwandte.
    Nach ihrem Gesangsstudium am Wiener Konservatorium debütierte Vera Schwarz am 28. September 1908 als Freda in der Operette »Waldmeister« von Johann Strauß (Sohn) am Theater an der Wien, wo »Waldmeister« einige Jahre zuvor in diesem Haus erstmals aufgeführt wurde. Es muss ein schon etwas beachtliches Debüt gewesen sein, denn sie sang an der Seite des damals sehr populären Tenors Karl Streitmann und am Pult stand Robert Stolz.
    In der Zeitung ›Neues Wiener Tageblatt‹ ist über diese Aufführung zu lesen:
    »Sehr glücklich debütierte in der einst von Frau Pohlner gegebenen Rolle Fräulein Vera Schwarz, eine Wienerin, die gestern zum ersten Mal die Bühne betrat.«


    Im Sommer 1909 war Vera Schwarz als Operettensängerin in Karlsruhe und Graz zu hören; vom Oktober 1911 bis Juli 1912 dann wieder in Wien, wo sie auch Partnerin des berühmten Alexander Girardi war, der als singender Schauspieler einen großen Namen hatte.
    In den Sommerspielzeiten 1912 bis 1914 gastierte Vera Schwarz am Stadttheater im böhmischen Karlsbad.
    Bereits ab 1912 machte die Wahlwienerin erste künstlerische Schritte in Berlin, wo sie dann zwei Jahrzehnte später an der Seite von Richard Tauber große Triumphe feierte.
    Vera Schwarz war ab 1912 für ein Jahr am Berliner Theater am Schiffsbauerdamm
    engagiert, das damals gerade in ›Montis Operettentheater‹ umbenannt worden war, erst ab 1925 ging es in diesem Theater wieder anspruchsvoller zu.


    Als Vera Schwarz im Dezember 1914 in einer Benefizvorstellung der »Fledermaus« als Rosalinde einen großen Erfolg hatte, wusste sie, dass sie auch als Opernsängerin reüssieren könnte, weil da vom sängerischen Anspruch her kaum ein Unterschied zu machen ist. Also strebte sie mit ihrer bisher gewonnenen Bühnenerfahrung und mit Hilfe ihres bewährten Lehrers Forstén einen Wechsel zum ernsteren Fach an. Und das war nun kein zaghaftes Anpirschen über Rollen der Spielopern - im September 1915 stand sie am Stadttheater Hamburg als Elsa im »Lohengrin« auf der Bühne. Dort war sie Nachfolgerin von Lotte Lehmann geworden, die nach Wien gegangen war. Vera Schwarz blieb drei Jahre in Hamburg, bis sie dann an die Berliner Staatsoper berufen wurde, wo sie im September 1919 - wie vorher in Hamburg auch - an der Staatsoper Unter den Linden als Elsa in »Lohengrin« debütierte.
    1919/20 war sie auch Filmschauspielerin geworden und in dem Film »Figaros Hochzeit« zu sehen; 1935, 1952 und 1953 folgten weitere Filme in denen sie mitwirkte.


    Am 10. Februar 1921 gab Vera Schwarz an der Wiener Staatsoper ein Gastspiel als Floria Tosca, wo Alfred Piccaver in der Rolle des Mario Cavaradossi ihr Partner war. In den folgenden Jahren hörte man sie hier als ›Tosca‹ 35 Mal, es war eine ihrer Paraderollen.
    Aber sie gab hier auch die Aida, die Leonore in
    »Troubadour«, die Amelia in »Ein Maskenball«. die Rachel in »Die Jüdin«, die Marietta in »Die tote Stadt«...
    Diese Aufzählung ist nicht vollständig, aber zeigt, dass aus der ehemaligen Operettensängerin eine erstklassige Sängerin geworden war, die auf großen Opernbühnen bestehen konnte.
    Der spätberufene Musikwissenschaftler Dietrich Kröncke erwähnt in seinem Buch ›Richard Strauss und die Juden‹, dass sich die Sängerin selbst ›Wera‹ schrieb und es Strauss war, der sie 1921 von Hamburg nach Wien holte, aber nicht seine Lieblingssängerin wurde, denn am 21. Oktober 1921 schreibt Strauss an seinen Mitdirektor Franz Schalk in Wien:
    »Warum muß das klebrichte Frl. Schwarz berufen werden, um die tote Stadt zu singen? Warum konnte Frl. Geyersbach nicht wenigstens einspringen, nachdem das in Berlin unentbehrliche Frl. Schwarz nicht eingetroffen ist?«
    In einem Brief vom 21. November 1928 liest es sich dann weit positiver, wenn Strauss schreibt: »Ich verkenne nicht die Vorzüge des vortrefflichen Frl. Schwarz, aber als alleinige Vertreterin kann sie (Helena) nicht halten.«


    1924 mündete der Wiener Gastspielvertrag in ein festes Engagement mit mindestens 30 Abenden pro Saison. Daneben gastierte sie auch an anderen Opernhäusern wie zum Beispiel in Budapest, Prag, München, London, Amsterdam und Paris.


    Schon 1928 trat sie mit dem Tenor Hans-Heinz Bollmann, der auch ein hervorragender Opernsänger war, in der Operette »La Barberina« von Leo Ascher mit großem Erfolg auf.
    Im September 1929 löste sie ihren Vertrag in Wien, um sich wieder der Operette zuzuwenden, trat aber in diesem Jahr auch bei den Salzburger Festspielen unter dem Dirigat von Clemens Krauss im »Rosenkavalier« an der Seite von Lotte Lehmann und Richard Mayr als Octavian auf.
    Gerne hätte man Vera Schwarz langfristiger an der Wiener Staatsoper gehabt, weil der absolute Superstar Maria Jeritza viele Wochen, ja Monate im Jahr in Amerika weilte und an der Wiener Staatsoper Aida und Tosca italienisch sang, was in Wien damals nicht gut ankam; man warf der Jeritza vor, dass sie Wien als Probebühne für ihre Auftritte an der »Met« nutzt.
    Aber anstatt sich an Wien zu binden, feierte Vera Schwarz dann vor allem in Berlin an der Seite von Richard Tauber wahre Triumphe, wobei natürlich der geradezu vergötterte Richard Tauber das Zugpferd war.
    Wenn man in Vera Schwarz´ Auftrittsliste schaut, dann sieht man, dass sie schon 1924 und 1927 an der Wiener Staatsoper als Tosca mit Tauber auf der Bühne stand.


    Aber schon weit vor ihrer Vertragsauflösung an der WSO hatte sie im Schlepptau von Richard Tauber in Berlin Sternstunden der Operette erlebt, nämlich bei der deutschen Erstaufführung von »Paganini«, wobei die Uraufführung von »Paganini« in Wien eine Pleite war, was wohl auch an dem Heldentenor Carl Clewing lag, der die Figur des Paganini nicht so eloquent darbieten konnte als dies Richard Tauber vermochte, der jedoch zu diesem Zeitpunkt an der Oper von Stockholm in »Don Giovanni« verpflichtet war und deshalb die Uraufführung nicht singen konnte.


    Eigentlich wollte der Berliner Theaterleiter, Heinz Saltenburg, wegen des Wiener Misserfolgs aus dem Vertrag aussteigen, aber Lehar hatte die Berliner Aufführungen auf dem Klageweg erstritten. Das war also die Vorgeschichte, als Vera Schwarz und Richard Tauber am 30. Januar 1926 in den Kulissen standen und darauf warteten bis sich der Vorhang hob.
    Nachdem das Lied ›Gern hab´ ich die Frau´n geküsst‹ verklungen war, muss die Aufführung minutenlang unterbrochen werden, aber nicht etwa wegen des Textes, wie heute zu befürchten wäre. Die Leute waren so begeistert, dass dieses Lied fünfmal wiederholt werden musste - und dann kam noch das Duett: ›Niemand liebt dich so wie ich‹ ...


    Die Uraufführung der Operette »Das Land des Lächelns« wird im Berliner Metropol -Theater im Oktober 1929 ein weiterer überwältigender Erfolg; die Presse schreibt: »Tauber und Schwarz sind das Erlauchteste, was die Operettenbühne je an Stimme geboten hat« oder »Nie hat der wiedergenesene Richard Tauber, nie hat Vera Schwarz so blühend schön für uns gesungen wie an diesem Abend. Nach jedem Tauber-Lied, nach jedem Vera-Schwarz-Gesange braust wahrer Jubel durch das Haus. Und wenn sie gar zu zweien singen, so will der Beifall überhaupt nicht enden.«
    Mehr als 600 Mal ist Vera Schwarz in diesem Stück als Lisa aufgetreten, zwar nicht immer mit Tauber, aber meistens mit Tauber. Zwischen 1929 und 1932 war sie zeitweise Ensemble-Mitglied des Metrepol-Theaters und wohnte Kurfürstendamm 71.


    In den Jahren 1931 bis 1933 war Vera Schwarz nochmals an der Berliner Staatsoper verpflichtet, wo sie in der Berliner Erstaufführung der einaktigen komischen Oper »Spiel oder Ernst« von Emil Nikolaus von Rezniček und in der Strauss-Oper »Die ägyptische Helena« sang, ein Stück in dem sie schon im Sommer 1928 in Wien gesungen hatte. Daneben trat sie noch in Operetten auf, mit »Wiener Blut« ging ihre Sängerkarriere in Deutschland zu Ende.


    Wie eingangs bereits erwähnt, entstammte Vera Schwarz einem strenggläubigen jüdischen Elternhaus und war spätestens ab 1933 in Berlin nicht mehr erwünscht; konnte also hier auch nicht mehr die Uraufführung des Propagandafilms »Henker, Frauen und Soldaten« erleben, bei dem sie immerhin 1935 noch in einer kleinen Rolle mitgewirkt hatte.
    Sie konnte dann problemlos in ihre Wahlheimat Wien wechseln, wo sie an der Staatsoper wieder ihre großen Rollen sang, am 9. März 1934 die Carmen, im Februar 1935 die Elsa in »Tannhäuser«,1935/36 als Pamina in der »Zauberflöte«, im Dezember 1935 bei der Uraufführung von Franz Salmhofers »Die Dame im Traum«, im Juni 1936 an der Seite von Jussi Björling in »Der Troubadour« und so weiter und so fort ... diese Beispiele sollen nur aufzeigen, dass sie trotz ihrer zwischenzeitlichen ausgiebigen Operettentätigkeit nichts von ihrer Operntauglichkeit eingebüßt hatte.
    Aber der ›Schwanengesang‹ in Österreich war für Vera Schwarz dann doch wieder Operette, im Februar 1938 wurde am Wiener Operntheater drei Mal »Das Land des Lächelns« gegeben; letztmals stand sie hier am 23. Februar mit Richard Tauber auf der Bühne;
    am 12. März 1938 marschierten deutsche Truppen in Österreich ein.


    Nun ergab es sich, dass Fritz Busch für das Festival in Glyndebourne eine Sängerin für die Aufführung von Verdis »Macbeth« suchte; 1938 wurde bei diesem Festival erstmals eine Verdi-Oper neben fünf Mozart-Opern aufgeführt. Aber die für »Macbeth« vorgesehene Sängerin hatte abgesagt, weil ihr die Rolle viel zu schwer war. Grete Busch beschreibt die Situation in Glyndebourne so:


    »Glyndebourne nahm Erich Engels immer wiederholten Rat an und verpflichtete Vera Schwarz. Sie hatte einen einzigen Fehler: sie war nicht mehr jung, aber Glyndebourne gewann in ihr eine Meisterin.«


    Über England emigrierte Vera Schwarz im Dezember 1938 in die USA, wo sie vor allem als Konzertsängerin auftrat, aber auch Opernauftritte in New York und Chicago verzeichnet sind. Und sie hatte sich in USA auch einen Namen als Gesangslehrerin gemacht; sie arbeitete zunächst für Metro-Goldwyn-Mayer und unterrichtete zum Beispiel Nelson Eddy und Jeanette MacDonald, die als Traumpaar des Films galten; auch die von der alten Heimat her bekannte Schauspiel-Sängerin Ilona Massey nahm die Empfehlungen der um ein Dutzend Jahre älteren Vera Schwarz an und es ließen sich noch eine Menge anderer Namen anfügen: Marni Nixon, Patrice Munsel, Hilde Güden, Risë Stevens, John van Kesteren ...


    So ganz neu war für Vera Schwarz das Lehren nicht, denn schon in Wien hatte sie einem jungen Mädchen, dem ab dem zehnten Lebensjahr von verschiedenen Lehrern über einige Jahre hinweg Violinunterricht erteilt wurde, Gesangsunterricht gegeben, was allerdings unter strengster Diskretion vonstattengehen musste, weil vor allem der mächtige Vater von der Gesangsausbildung nichts wissen durfte; die Gesangsschülerin war Margarete Slezak, die Tochter des berühmten Tenors Leo Slezak. Die Gesangsausbildung war so gut, dass Margarete - nach weiteren Studien - bei ihrem Debüt in Brünn in Halévys Oper »La Juive« neben ihrem Vater auftreten konnte.


    Nach dem Zweiten Weltkrieg kam Vera Schwarz immer wieder nach Europa, wo sie ab 1948 auch Meisterklassen am Mozarteum Salzburg unterrichtete. In New York hatte sie für einige Jahre in der 57th Street ein Gesangs-Studio geführt und stellte begeistert fest, dass Amerika wunderschöne Stimmen hat, denn Vera Schwarz pflegte auch Kontakte zu Künstlerinnen der Metropolitan Opera; und sie bereitete auch Sängerinnen gezielt für wichtige Opernaufführungen vor, wie zum Beispiel ihre langjährige Schülerin und Freundin Hilde Güden auf »Die schweigsame Frau« zu den Salzburger Festspielen im August 1959.
    1958 war Vera Schwarz sogar für drei Wochen in pädagogischer Mission auf der Weltausstellung in Brüssel und hat dort erstmals öffentlich unterrichtet, wobei sie mächtig stolz darauf war, dass Österreich, im Gegensatz zu anderen Nationen, die Technik zeigten, Musik ›verkauft‹ hat.
    Ein weiterer Quell der Freude war für sie, dass man damals alte Plattenaufnahmen von 1919, 1920 und 1921von störenden Nebengeräuschen befreien und in weit besserer Qualität hören konnte.


    Die Frage nach ihrer Lieblingsrolle beantwortete sie nach ihrer aktiven Zeit auf der Bühne etwas gewunden, gab dann aber zu Protokoll, dass sie gesanglich die Aida besonders schätzt und wenn es um Gesang und Schauspiel geht, Tosca.
    Nun, alleine an der Wiener Staatsoper, auf dessen Bühne sie fast 250 Mal stand, sang sie die Tosca in 35 Vorstellungen und die Aida 23 Mal.


    Vera Schwarz war eine beachtenswerte Sängerin, was sich noch in Aufnahmen heraushören lässt, die jetzt schon mehr als hundert Jahre alt sind.


    Praktischer Hinweis:
    Ihre letzte Ruhe fand Vera Schwarz in Wien, im Bereich der Feuerhalle. Am Eingang des Friedhofsgeländes befinden sich rechts und links Arkaden. Man geht auf das imposante Gebäude der Feuerhalle zu und an dieser rechts oder links vorbei. Dort, wo das Friedhofsgelände jenseits der Feuerhalle endet, findet man in einer großen Urnenwand die im Foto gezeigte Tafel. Auf dem Friedhofsplan wird die Stelle mit Abteilung MH, Nr. 359 bezeichnet.
    Die Feuerhalle Simmering befindet sich nicht auf dem Gelände des Wiener Zentralfriedhofs, sondern jenseits, Simmeringer Hauptstraße 337.

    Aus technischen Gründen ist es zurzeit nicht möglich ein Foto der Feuerhalle hochzuladen, wenn möglich wird das später ergänzt.


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  • Karl Goldmark - * 18. Mai 1830 Keszthely - † 2. Januar 1915 Wien


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    Zum heutigen Todestag von Karl Goldmark


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    Karl Goldmark wurde im Königreich Ungarn geboren, sein Geburtsort liegt in der westlichen Ecke des Plattensees, hat ein stattliches Schloss und ist heute eine Gemeinde von etwa 20.000 Einwohnern. Der kleine Károly zog als Vierjähriger mit seinen Eltern in den etwa 130 Kilometer entfernten Ort Deutschkreuz, der damals noch zum ungarischen Teil des Habsburgerreichs gehörte und erst 1919 zu Österreich kam. In Deutschkreuz lebten damals etwa 3.000 Menschen, davon waren ein Drittel Juden.


    Als in Deutschkreuz (damals Németkeresztur) bei der jüdischen Gemeinde die Synagoge umgebaut wurde, kam Rubin Goldmark, also Károlys Vater, als Kantor und Notar in die jüdische Gemeinde, wo Maria Goldmark acht weiteren Kindern das Leben schenkte, es war eine in ärmlichen Verhältnissen lebende kinderreiche Familie; in der Literatur findet man die Aussage, dass es insgesamt über zwanzig Kinder gewesen sein sollen, die Angaben schwanken von 21 bis 24 Geschwistern.


    Péter Varga schreibt in diesem Zusammenhang: »So ist z. B. bei Karl Goldmark auffallend, mit welcher Diskretion, ja fast Schamgefühl er mit seiner jüdischen Herkunft umgeht, zumal das Wort ›Jude‹ in keinem Zusammenhang, kein einziges Mal vorkommt.«


    Die ersten musikalischen Unterweisungen erhält der elfjährige Károly durch einen Chorsänger seines Vaters, der etwas Geige spielen konnte, aber von sinnvollem Unterrichten keine Ahnung hatte. Nach einem Jahr gab es dann qualitativ weit besseren Geigenunterricht bei Anton Eipeldauer an der Musikschule Ödenburg, dem heutigen Sopron, in unserer Zeit, einer Stadt mit zweisprachigen Straßenschildern.
    Um die Musikschule zu erreichen war zweimal in der Woche ein zweistündiger Fußmarsch von Deutschkreuz aus zu absolvieren; nach dem Unterricht ging es die gleiche Strecke wieder zurück. Der erste Erfolg dieses Unterrichts wird öffentlich hörbar, als der Junge 1843 im Rahmen eines Vereinskonzerts auftrat.


    1844 kam der Junge zu seinem um zehn Jahre älteren Bruder Josef, der Medizin studierte, nach Wien. Hier musste Karl dann anfallende häusliche Arbeiten verrichten und wurde auf unterschiedliche Art, zum Beispiel in Form von Freitischen, durchgefüttert. Für die musikalische Weiterbildung war Leopold Jansa, ein Mitglied der Hofkapelle und vortrefflicher Quartettspieler, zuständig.
    Nach eineinhalb Jahren musste der Gegenunterricht bei Jansa beendet werden, weil Karls Vater das Geld für den weiteren Unterricht nicht mehr aufbringen konnte. Später beschrieb der Komponist diese Zeit als äußerst jämmerlich.


    Sein Bruder, inzwischen Arzt an einem Wiener Krankenhaus, setzte keinerlei Hoffnung in eine Kariere Karls als Geigenvirtuose und riet zu einem anderen Berufsziel, das einen Schulabschluss erforderlich machte. Das dazu notwendige Wissen erwarb der Junge nun autodidaktisch und die Abschlussprüfung erfolgte praktisch zwischen ›Tür und Angel‹ bei einem Schuldirektor während der Ferienzeit.
    Seine ersten Kompositionsversuche waren ebenfalls autodidaktisch; er spielte viel Geige und komponierte ohne die geringsten Kenntnisse von Harmonielehre und Kontrapunkt drauf los; von der Existenz Haydns, Mozarts oder Beethovens hatte er zu diesem Zeitpunkt noch keine Ahnung. Goldmarks Götter waren damals die Violinisten und Komponisten Charles-Auguste de Bériot, Jean-Delphin Alard und Henri Vieuxtemps.


    Zunächst begann Karl Goldmark sein Studium zweigleisig, nämlich sowohl am Polytechnikum als auch am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Letzteres hätte wohl eher zum Erfolg geführt, denn Joseph Böhm war am Konservatorium eine erste Adresse. Ein bisschen was hat er da noch mitbekommen, auch von Gottfried von Preyer, aber schließlich konnten Goldmarks Studien durch die 1848er Revolution nicht weiter betrieben werden.
    Für die nächsten Zehn Jahre verdingte sich Goldmark als Geiger in verschiedene Orchester an verschiedenen Orten und gab auch Klavierstunden, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen.
    1858 provoziert Goldmark seinen Rauswurf aus dem Orchester des Carl-Theaters und geht nach Pest (seit 1873 Budapest), um dort - wiederum autodidaktisch - ›Richters Lehrbuch des Kontrapunktes‹ und anderes zu studieren. Er selbst sagt zu dieser Zäsur: »Nun begann eine Zeit tiefsten, ernsten Studiums.«
    Und diese Selbststudien scheinen Früchte getragen zu haben, denn in der ›Neuen Wiener Musikzeitung vom 5. Mai 1859 findet man die Kritik eines am 13. April stattgefundenen Konzerts in der es unter anderem heißt: » ... des Komponisten, der berufen zu sein scheint, eine rühmliche Stufe im Reiche der Tonkunst einzunehmen.«
    In Pest komponierte er auch Synagogenmusik, die jedoch heute weitgehend unbekannt ist.
    Öffentliche Aufführungen seiner Kompositionen fanden auch in den Jahren 1859 in Wien statt.


    Um1860 herum lernte Goldmark Brahms kennen. Als sich Goldmark vom Carl-Theater verabschiedet hatte, wechselte er von der Geige zur tieferklingenden Bratsche.
    Vier junge Leute hatten sich als Quartettspieler zusammengetan, wo sie auch neue Werke von Brahms einstudierten. Karl Goldmark sah rückblickend sein Verhältnis zu Brahms so:
    »Sein Verkehr mit mir war überhaupt wechselvoll; heute herzlich warm, intim, morgen kalt, zurückhaltend, spröde.« Unterm Strich kann man aber wohl von einer Jahrzehnte währenden Freundschaft sprechen.
    Karl Goldmark selbst, wurde nun aber auch in dieser Zeit als Komponist mit seinem Streichquartett op. 8 von der musikinteressierten Öffentlichkeit in Wien wahrgenommen, als das Stück 1861 durch das neu gegründete Hellmesberger-Quartett uraufgeführt wurde. Goldmark hatte das Konzert eigentlich für Hellmesberger geschrieben, aber dieser weigerte sich, es in seine Quartett-Soireen aufzunehmen. Da arrangierte Goldmark auf eigene Faust ein Konzert und bezahlte Hellmesberger für seine Mitwirkung. Auch dass sich Goldmark als Musikkritiker bei der ›Constitutionellen Österreichischen Zeitung‹ betätigte, trug zu seinem Bekanntheitsgrad bei.


    1863 erhielt Goldmark ein erstes Stipendium für Musik, das ihm 600 Gulden Unterstützung einbrachte und zunächst von finanziellen Sorgen befreite. Bei den drei Kommissionsmitgliedern des Ministeriums für Cultus und Unterricht handelte es sich um die Herren Eduard Hanslick, Heinrich Esser und Johann von Herbeck.
    Auch mit seinem op. 13, der Ouvertüre zu Kalidasas Drama »Sakuntala« erzielte Goldmark zum Ende der Saison 1865 / 66 einen beachtlichen Erfolg, zumal als Autodidakt. So ist es nicht verwunderlich, dass man ihm 1867 abermals ein Staatsstipendium gewährte.


    In den Jahren zwischen 1866-71 entstand die vieraktige Oper »Die Königin von Saba«, ein Werk, das sich fest mit dem Namen Karl Goldmark verbindet und am 10 März 1875 an der Wiener Hofoper - nach anfänglichem Widerstand durch Hofoperndirektor Johann von Herbeck - seine Uraufführung erlebte. Von der ersten Idee bis zur Uraufführung war etwa ein Jahrzehnt vergangen. Es war die erste Oper des Komponisten und blieb die erfolgreichste seiner insgesamt sieben Opern.
    Goldmarks Schülerin Caroline von Gomperz-Bettelheim (1845-1925) soll den Komponisten zu dieser Oper inspiriert und er ihr die Rolle auf den Leib geschrieben haben. Allerdings wurde die Titelrolle bei der Uraufführung von Amalie Materna gesungen, was wiederum bei Marie Wilt, die mit der Rolle der Sulamith vorlieb nehmen musste, etwas auf die Stimme schlug, weshalb der festgesetzte ursprüngliche Erstaufführungstermin nicht eingehalten werden konnte.


    Einige Kritiker sahen Goldmarks Werk als jüdische Nationaloper, wovon der Komponist jedoch nichts hielt; er wollte nicht als jüdischer Künstler gesehen werden, sondern als in Ungarn geborener Deutscher. Das Werk war ein außerordentlicher Erfolg und entwickelte sich zum Kassenschlager, und das nicht nur in Wien, sondern weltweit. Im 19. Jahrhundert war es das meistgespielte Werk an der Metropolitan Opera New York, wo es von Toscanini aufgeführt wurde und Caruso die Partie des Assad sehr schätzte.
    Natürlich gab es auch Kritiker, die bei Goldmark eine zu große Nähe zu Richard Wagner sahen, allen voran Eduard Hanslick. An der Wiener Staatsoper wurde das einst so umjubelte Werk »Die Königin von Saba« letztmals am 15. Dezember 1937 aufgeführt, dann veränderten sich hier die politischen Verhältnisse und danach der Zeitgeschmack.


    Mit »Die Königin von Saba« hatte Goldmark den Nerv der Zeit getroffen und der Komponist war damit schlagartig weltberühmt geworden und seine folgenden Werke wurden nun von erstklassigen Interpreten zur Aufführung gebracht. Um 1900 war er einer der berühmtesten Komponisten Europas. Nach dem Tod von Anton Bruckner (1896), Johannes Brahms (1897) und Johann Strauß (1899) galt Goldmark als der bedeutendste Komponist der Donaumonarchie, er rangierte noch vor Gustav Mahler und Arnold Schönberg. Der Publizist Karl Kraus bescheinigte ihm, seit Richard Wagners Tod der größte lebende Musikdramatiker zu sein. Schließlich bemühte sich auch der finnische Student Jean Sibelius, Schüler von Goldmark zu werden, nachdem ihn weder Brahms noch Bruckner empfangen hatten.


    Insbesondere zu seinen runden Geburtstagen wurde Karl Goldmark mit zahlreichen Ehrungen bedacht. Als im Dezember 1914 die Opernklasse der Staatsakademie seine Oper »Heimchen am Herd« aufführte, hatte er hier noch einen öffentlichen Auftritt. Am 2. Januar 1915 starb er an den Folgen einer Blasenkrebserkrankung.
    Vom Begräbnistag wird berichtet, dass die Joseph-Gall-Gasse in Wien, wo der Komponist wohnte und sich heute eine Gedenktafel befindet, schwarz von Fiakern und Menschen war. Auf der Gedenktafel steht übrigens: DR. CARL GOLDMARK.


    Die Beisetzung erfolgte in einem von der Israelitischen Kultusgemeinde gewidmeten Ehrengrab am Wiener Zentralfriedhof. Das Grabmonument gestaltete Ernst Hegenbarth, ein namhafter Bildhauer und Ehemann von Goldmarks 1866 geborener Tochter Minna.


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    Die Bezeichnung des Gräberfeldes ist etwas in die Jahre gekommen ...


    Praktische Hinweise:
    Das Grab befindet sich auf dem Alten jüdischen Friedhof beim Wiener Zentralfriedhof; zwischen Tor 11 und Tor 12. Wenn man von der Simmeringer Hauptstraße kommt, kann man den Weichseltalweg bis zum Beginn der Mylius-Bluntschli-Straße benutzen, wo sich Tor 11 findet. Goldmarks Grab befindet sich in 52A.

  • Gottfried von Einem - *24. Januar 1918 Bern - †12. Juli 1996


    Zum heutigen Geburtstag des Komponisten Gottfried von Einem


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    Beide alte Fotos von Walter Anton - früheres Aussehen der Grabstelle


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    Diese Fotos des neuen Grabes entstanden am 23. August 2022.


    Gottfried von Einem sagt in seiner Autobiografie von 1995: »Ich hab´ unendlich viel erlebt«. Die Spanne seines Daseins ist weit, sehr weit. Joachim Reiber merkt in seiner Biografie über Gottfried von Einem an, dass Einems Satz: »Mit Hitler hatte ich vom Anfang an nicht viel im Sinn.«, einer Korrektur bedarf, weil von Einems Tagebucheintragungen von Oktober 1935 bis zum Juli 1943 ein gänzlich anderes Bild vermitteln, da finden sich eine Menge Einträge, die eindeutig eine andere Sprache sprechen.
    Auf der anderen Seite - und die wiegt wohl schwerer - wurde er am 12. August 2002 posthum von der Israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem mit dem Ehrentitel ›Gerechter unter den Völkern‹ ausgezeichnet; neben anderen hatte Gottfried von Einem für das Leben des Berliner jüdischen Musikers Konrad Latte Kopf und Kragen riskiert.


    Im Jahr als der Erste Weltkrieg zu Ende ging, wurde Gottfried in der neutralen Schweiz als Sohn einer wohlhabenden Familie geboren. Sein damals 45-jähriger Vater war seit 1914 als Militärattaché an der österreichischen Botschaft und hatte den Rang eines Obersten.
    Die Mutter, Gerta Louise, stammte aus einer Offiziersfamilie mit adeligem Hintergrund und war fast zwanzig Jahre jünger als der Vater. Gerta Louise war eine begabte Pianistin, deren Klavierlehrerin noch mit Franz Liszt musizierte.


    All die hochdiplomatischen Ränkespiele interessierten den kleinen Gottfried nicht, und dass da noch ein Graf Laszlo Hunyady seinem Vater zur Hand ging auch nicht. So richtig in Gottfrieds Leben trat der ungarische Graf Hunyady erst zwanzig Jahre später, als der junge Mann unter spektakulären Umständen erfuhr, dass Graf Hunyady sein genetischer Vater war. Gottfried hatte noch den älteren Bruder Ernst August und den jüngeren Karl Hermann.


    Nach dem Kriegsende hatte die österreichische Monarchie ihren einstigen Glanz verloren und Wilhelm von Einem quittierte den Dienst und wurde in Wien ansässig, wo er eine Handelsfirma leitete.
    Auch Gerta Louise verließ 1921 mit ihren Kindern Bern, hatte das Jahr über verschiedene Aufenthaltsorte und wählte schließlich Malente als ständigen Wohnsitz, obwohl die Einems damals schon einen Besitz in der Ramsau (Steiermark) hatten.
    Sohn Gottfried schreibt in seiner Autobiografie: »... entschloss sich meine Mutter zu einer Umsiedlung nach Schleswig-Holstein, wo sie eine große Villa in Malente-Gremsmühlen zu günstigen Bedingungen erwerben konnte.«
    Das Haus verfügte über zwanzig Zimmer und war bald der gesellschaftliche Mittelpunkt der Gegend, wenn Gerta Louise von Einem da war, aber das war eher selten, meist war die Dame auf Reisen, wobei die technische Betreuung der Kinder durch zahlreich vorhandenes Personal gewährleistet war: Dienstboten, Köchin, Erzieherin, Hauslehrer...
    Oberste Instanz im herrschaftlichen Landhaus war bei Vakanz der Eltern die Großmutter, Hedwig Rieß von Scheurnschloß.
    Die offensichtlichen Defizite fanden ihren Ausdruck darin, dass Generaloberst Hans von Seeckt - ein enger Freund des Hauses - Vormund der Kinder wurde.
    Die Eltern waren ständig auf Reisen und General a.D. von Einem kam immer seltener nach Malente und blieb dann schließlich ganz weg.


    Die Grundschule absolvierte Gottfried problemlos, hatte dann aber am Gymnasium krankheitsbedingt Schwierigkeiten sich nach längerem Kuraufenthalt wieder einzugliedern.
    Als der Junge dann die dritte Gymnasialklasse eigentlich nicht schaffte, setzte Gottfrieds Mutter einiges in Bewegung, damit die Versetzungshürde doch noch übersprungen werden konnte, und die Mutter schaffte es mit ihren weitreichenden Beziehungen auch, dass ihr Sohn fortan die ›Gelehrtenschule‹ in Ratzeburg besuchen konnte; rückblickend sagte Gottfried von Einem, der den Schulwechsel als Gottesgeschenk sah, : »Eine der prägenden Begegnungen meines Lebens hat an dieser Schule stattgefunden. Ich verdanke es dem Direktorder Schule von Ratzeburg, Karl Christian Jensen, dass ich zu mir selbst finden konnte. Dort endlich konnte ich frei atmen.« Nun war es aber nicht so, dass seine Gymnasialzeit die reine Freude war, nach eigener Aussage absolvierte er diese Zeit eher widerwillig und schwänzte oft den Unterricht. Auch den Musikunterricht an der Schule schätzte er nicht besonders, Musik als Unterrichtsfach mochte er nicht.


    Aber er kam schon recht früh mit Musik in Berührung, weil seine Mutter eine ausgezeichnete Pianistin war, und was die väterlichen Gene betrifft, war da sicher auch einiges ererbt, denn als sein leiblicher Vater mit Mutter Gerta Louise auf Großwildjagd in Afrika war, führte Graf Hunyady an Bord eines Nildampfers auch ein Klavier mit, weil der Graf während der monatelangen Reise nicht auf sein geliebtes Improvisieren verzichten mochte.


    Gottfried hatte schon im Alter von fünf Jahren den klaren Berufswunsch Componist zu werden, und schrieb dieses Wort stets mit ›C‹. Natürlich bekam er von Kindesbeinen an Klavierunterricht, allerdings nicht von seiner Mutter, die das nicht leisten konnte, weil sie selten zu Hause war. So ging er durch die Hände verschiedener Lehrerinnen und Lehrer, einer der Lehrer wurde extra vom Chauffeur des Hauses aus dem 40 Kilometer entfernten Kiel herbeigeholt.


    Seine ersten großen Live-Höreindrücke waren Bachs »Matthäus-Passion«, da war der Knabe acht und begeistert, aber auch der Ansicht, dass er so etwas auch schreiben könne.
    Sein erster Opernbesuch war sechs Jahre später, eine Aufführung von »Madame Butterfly« in Berlin. Ein weiteres prägendes Erlebnis war für den jungen Mann eine »Fidelio«-Aufführung bei den Salzburger Festspielen, die Richard Strauss dirigierte. 1934 dann sein erstes Bayreuth-Erlebnis, in Begleitung von Olga Rigele, der älteren Schwester von Reichsmarschall Göring, besucht er den grünen Hügel und es begann die Freundschaft mit dem Tenor Max Lorenz und auch eine mit ›Maus‹, bürgerlich, Friedelind Wagner, eine Eheschließung war damals nicht ausgeschlossen, beide Mütter hätten nichts dagegen gehabt. Einige Jahre später stellte sich dann heraus, dass Friedlinde das ihr anvertraute Schweizer Vermögen der von Einems durchgebracht hatte.


    1937 ging Gottfried von Einem dann nach Wien, um dort seinen Militärdienst abzuleisten, wurde aber bereits nach 14 Tagen als dienstuntauglich entlassen; also waren ihm zwei Aufenthalte in England möglich, die er nutzte um die englische Sprache zu erlernen.
    Durch die Bekanntschaft mit Olga Rigele und Max Lorenz war es möglich an die Berliner Staatsoper zu kommen, wo ihm Tietjen sehr gewogen war. In seinen Jahren an der Staatsoper und auch in Bayreuth war es ihm möglich bedeutende Leute der Musikszene zu beobachten und kennenzulernen, und auf vielen Gebieten etwas zu lernen.


    In seiner Berliner Zeit wohnte der junge Mann standesgemäß im Berliner Adlon, seine Mutter ebenfalls; ein Packard mit englisch-livriertem Chauffeur stand auch zur Verfügung.
    Eines unschönen Morgens wurde die Mutter und ihr 20-jähriger Sohn getrennt von der Gestapo abgeholt und verhört. Als man Gottfried fragte, wann und wo seine Frau Mutter mit Herrn Churchill diniert hatte, wusste er noch nicht, dass seine Mutter ebenfalls inhaftiert war.
    Von der Gestapo erhielt er schließlich die schockierende Nachricht, dass nicht General Wilhelm von Einem sein leiblicher Vater war, sondern der inzwischen zu Tode gekommene Graf Laszlo Huinyady, der seinem Sohn 100.000 Goldfranken hinterlassen hatte. Und man stellte die rhetorische Frage: »Wissen Sie, dass Ihre Frau Mutter über Leichen geht?«
    Sohn Gottfried stellte jedoch Jahre später klar, dass seine Mutter etwa 70 Menschen das Leben rettete.
    Man kann das spannende Leben der Baronin hier nicht darstellen, aber während Sohn Gottfried ein paar Wochen später wieder aus der Haft entlassen wurde, saß seine Mutter 13 Monate ein und wurde 1940 in Frankreich zum Tode verurteilt, aber das Todesurteil wurde 1948 nach einem Prozess aufgehoben, die Beratung hatte nur wenige Minuten gedauert.


    Musikalisch interessanter ist von Einems Studium bei Boris Blacher. Gottfried wollte zwar ursprünglich bei Paul Hindemith studieren, aber daraus wurde nichts. 1938 hatte ihn Blachers »Symphonie Opus 12«, die in Berlin uraufgeführt wurde, stark beeindruckt; nun wollte er unbedingt bei Blacher studieren. Zwischen den beiden kam eine Vereinbarung zustande, wobei der Student bezüglich des zeitlichen Ablaufs gewisse Ansprüche stellte, denn von Einem wollte sein Studium möglichst schnell absolvieren, was ihm dann auch gelang.
    Von Blacher ist folgender Ausspruch überliefert:
    »Einem kam zu mir 1941als völliger Anfänger und hat in zwei Jahren das kompositorische Rüstzeug erlernt. Das Merkwürdigste war, dass sein Personalstil selbst in den läppischsten Harmonielehreaufgaben zu erkennen war. Er brauchte keinen Weg zu finden, er war eigentlich, vor dem Studium, schon fertig«


    Durch die Frau von Boris Blacher hatte Gottfried von Einem auch seine erste Frau, Lianne von Bismarck, kennengelernt; 1946 wurde in Ramsau geheiratet, als Gerta Louise aus Wien kam, stand sie vor vollendeten Tatsachen und war empört. Gottfried von Einem war schon vor der Heirat darüber informiert, dass seine Frau keine lange Lebenserwartung hat. Im Mai 1948 kam Sohn Caspar zur Welt, Lianne starb 1963.


    Einems erstes Orchesterstück - »Capriccio« - schrieb er für den Dirigenten Leo Borchard, Blacher hatte die Sache vermittelt und das Werk kam 12. März 1943 durch die Berliner Philharmoniker in der Reichshauptstadt zur Aufführung.
    Am 5. Februar 1944 führte Karl Elmendorff an der Dresdner Staatsoper das Ballett »Prinzessin Turandot« auf, es war sein erstes Werk, das er mit einer Opuszahl versah; das etwa 60-minütige Werk war 1942/43 in Berlin und Ramsau entstanden. Aus beiden Werken hätten leicht Schwierigkeiten entstehen können, weil da schon Spuren des Jazz herauszuhören waren.


    Das Kriegsende erlebte von Einem in der idyllischen Ramsau, wo er kurzfristig zum Polizeichef wurde, jedoch keinerlei Ambitionen hatte diese Karriere weiter zu verfolgen.
    Bald war er in Salzburg ansässig geworden, das er schon seit Anfang der 30er Jahre kannte, wo seine Eltern ein Essen für Bruno Walter nebst Gattin gaben und ein entsprechender Bekanntenkreis vorhanden war.


    Gottfried von Einem kam nicht mit leeren Händen nach Salzburg, denn da war noch das Auftragswerk der Dresdner Staatsoper, seine erste Opernkomposition »Dantons Tod« nach Georg Büchner. Ursprünglich war geplant das Werk in Zürich aufzuführen, aber das Reisen gestaltete sich damals sehr schwierig.
    Schon vier Tage vor Deutschlands Kapitulation war Salzburg am 4. Mai 1945 kampflos an die amerikanischen Truppen übergeben worden. Bereits im August 1945 fanden improvisierte Festspiele statt, die Amerikaner waren bestrebt die Moral der Menschen zu heben; in einer Verlautbarung hieß es:


    »It will be most useful to strengthen the morale of the people. The population of Salzburg is very proud of their tradition and will take the hardships of the present time more easily if they have their music back«


    Der Musikjournalist Joachim Reiber schildert die Situation im Nachkriegs-Salzburg recht gut und stellt sarkastisch fest: »Das neue Österreich durfte beginnen, als hätte es das alte nie gegeben.« Und Reiber meinte weiter: »Ohne die Amerikaner, um es so pauschal zu sagen, wäre auch ›Dantons Tod‹ nicht zu den Salzburger Festspielen gekommen.«
    Egon Hilpert, Chef der Bundestheaterverwaltung und Bernhard Paumgartner sorgten maßgeblich dafür, dass von Einems »Dantons Tod« in Salzburg aufgeführt wurde.
    Das Stück wurde in Doppelbesetzung einstudiert und es gab zunächst auch zwei Dirigenten, nämlich Otto Klemperer und Ferenc Fricsay. Der Komponist hatte sich zwar Klemperer als Dirigenten der Uraufführung gewünscht, aber Klemperer war gesundheitlich angeschlagen und konnte das nicht bewältigen. Die Uraufführung am 6. August 1947 war ein Riesenerfolg, Ferenc Fricsay, Oscar Fritz Schuh und Caspar Neher hatten von Einems Oper genial in Szene gesetzt. Karajan, den von Einem ja aus seiner Berliner Zeit - also seit1938 - recht gut kannte, hatte zwar versucht die Aufführung zu verhindern, worauf ihre Beziehung dann für immer getrübt war. Trotz des allgemein großen Erfolges - schließlich war Gottfried von Einem mit einem Schlag ein berühmter Komponist geworden - gab es auch Gegenstimmen, zum Beispiel die in der Zeitung »Neues Österreich«, wo man sich darüber ausließ, dass ein »deutscher Ausländer« in Salzburg zur Aufführung gelangte.
    Gottfried von Einem wurde im Anschluss an seinen Erfolg auch ins Festspieldirektorium berufen, aber am 1. Oktober 1951 war in den »Salzburger Nachrichten« zu lesen, dass Gottfried von Einem im Zusammenhang mit der Einbürgerungsaffäre Bert Brechts seiner Funktion als Direktoriumsmitglied der Salzburger Festspiele enthoben sei.


    ›Man‹, - das waren die engen Vertrauten um von Einem herum - hatte die Idee entwickelt aus Salzburg ein ›Weimar des 20. Jahrhunderts‹ zu machen und der damals staatenlose Brecht den Festspielen Stücke zur Verfügung stellt; angedacht war auch ein Brecht-Stück als eine Art Gegenstück zu Hofmannsthals »Jedermann« mit dem Titel »Der Salzburger Totentanz«. In Kurzform kann man es als Tauschgeschäft darstellen: Drama gegen Pass.
    Das ging auch ohne besondere Komplikationen durch die Instanzen und am 12. April 1950 war Brecht österreichischer Staatsbürger geworden.
    Als dies dann durch die Presse bekannt gemacht wurde, war der Teufel los; in den »Salzburger Nachrichten« war zu lesen: »Kulturbolschewistische Atombombe auf Österreich abgeworfen« und in anderen Publikationen war vom »Poeten des Teufels« die Rede.
    Die verantwortlichen Politiker gingen in Deckung und man warf von Einem schließlich aus dem Direktorium, weil er sich ungebührlich gegen den Herrn Landeshauptmann verhalten habe. Zwar wurde von Einem 1954zum Vorsitzenden des ›Kunstrats‹ berufen, aber von dieser Position trat er 1962 resigniert zurück, weil er erkannte, dass er Karajans Aufstieg zum Alleinherrscher nicht verhindern konnte.
    Furtwängler sah im Hinauswurf Gottfried von Einems eine »Ehrbeleidigung schwerster Art« und Rolf Liebermann konstatierte im Rückblick auf das Leben seines Freundes: »ein schwerer Schlag für Gottfried, den er nie verwunden hat.« Mit dem »Stundenlied«, zwei Jahre nach Brechts Tod komponiert, entstand dann aber doch noch ein beachtliches Werk der Zusammenarbeit.


    1953 kam in Salzburg von Einems zweite Oper »Der Prozess«, ein Werk nach Kafka, auf die Bühne, es war ein Auftragswerk des österreichischen Unterrichtsministeriums; »mein grausamstes Stück, mein dem Unmenschlichen nächstes«, schrieb er seiner Frau Lianne. Die Uraufführung war am 17. August, Karl Böhm dirigierte und für Regie und Bühnenbild waren wiederum Schuh und Neher verantwortlich. Auch mit dieser Oper war Einem erfolgreich, wenngleich auch einige Kritiker meinten, dass er auf die allgemeine Kafka-Begeisterung der fünfziger Jahre aufgesprungen sei.


    Gottfried von Einem schrieb insgesamt sieben Opern und sagte dazu einmal: »Wer die Libretti meiner sieben Opern liest, kann daraus ablesen, wer ich bin.«


    In dieser Zeit siedelte die Komponisten-Familie von Salzburg nach Wien über und man wundert sich etwas, dass die Kosten der 3-Zimmer-Wohnung, die ja keine Villa war, von den altbekannten Züricher Freunden Bareiss übernommen wurden. Die Familie war zwar in Wien, aber der Familienvater weilte häufig auswärts und sehr oft in Berlin, aber in den folgenden Jahren war er dann doch ein ›Wiener‹ geworden und 1988 sogar Ehrenbürger der Stadt.


    Als seine Frau Lianne gestorben war, kam es nach dem vergeblichen Versuch des 44-Jährigen, seine 17-jährige Nichte zu gewinnen,1966 zur Eheschließung mit Lotte Ingrisch; aber natürlich hatte Gottfried von Einem - in vertrauten Kreisen ›Göpf‹ genannt - auch eine Menge anderer intensiver Beziehungen, wie zum Beispiel mit der Mezzosopranistin Vera Little oder Göndi Liebermann Anfang der 1960er Jahre. Dessen ungeachtet brachte Rolf Liebermann im September 1964 an der Staatsoper Hamburg Einems Oper »Der Zerrissene«, nach Nestroy heraus. Die Mehrzahl der Rezensenten waren nicht begeistert und die »Stuttgarter Zeitung« stellte fest, dass sein jüngstes Werk wie sein ältestes klingt; vier Jahre später konnte man jedoch bei der Aufführung an der Wiener Volksoper von einem Publikumserfolg sprechen.


    Ende 1964 suchte der Komponist eine Librettistin und fand zusätzlich noch eine Ehefrau; am 23. April 1966 heiratete er die Autorin Lotte Ingrisch. Im Waldviertel, in Rindlberg, hatte man ein Haus erworben, wo das Ehepaar einen Großteil des Jahres in idyllischer Einsamkeit verbringen konnte.
    Mit der Oper »Der Besuch der alten Dame« gelang Einem wieder ein großer Wurf, auch weil Dürrenmat sich bereit erklärt hatte das grob vorhandene Libretto selbst umzuarbeiten.
    Die Uraufführung war am 23. Mai 1971 an der Wiener Staatsoper. Die Staatsoper hatte alle Register gezogen und alle Rollen, auch die kleinen, hervorragend besetzt. Die Hauptrolle hatte der Komponist Christa Ludwig auf den Leib, beziehungsweise für ihre Stimme geschrieben.


    Die Kantate »An die Neugeborenen« entstand 1972-73 und war ein Auftragswerk zu 30-Jahr-Feier der UNO, Generalsekretär der Vereinten Nationen war damals Kurt Waldheim; die Uraufführung fand am 24. Oktober 1975 in New York statt. Die ausführenden Künstler waren: Julia Hamari, Mezzosopran / Dietrich-Fischer Dieskau, Bariton / Chorus of Temple University / Wiener Symphoniker / Carlo Maria Giulini - Brecht war auch mit dabei, obwohl er schon seit 1956 tot war.
    Als das Stück zwei Tage später in Wien aufgeführt wurde, stellte die heimische Presse dann die Frage, ob Gottfried von Einem wohl schon bemerkt habe, dass er ein Komponist für offizielle Anlässe geworden sei.


    In den nun folgenden Jahren zog sich Einem von seinen zahlreichen Ämtern mehr und mehr zurück, 1972 gab er auch seine Professur an der Wiener Musikuniversität auf.
    Mit »Kabale und Liebe« entstand sein fünftes Opernwerk, das am 17. Dezember 1976 an der Wiener Staatsoper seine Uraufführung erlebte.
    Boris Blacher und Lotte Ingrisch hatten die historische Handlung zu einem Opernlibretto verdichtet. Bemerkenswert ist die lobende Einschätzung von Hans Heinz Stuckenschmidt, der noch in den 1960er Jahren von Einem sehr kritisch gegenüberstand.


    Die Arbeit an der Mysterienoper »Jesu Hochzeit« war das erste große Objekt, welches das Ehepaar gemeinsam gestaltete. Gedanklich ging Gottfried von Einem von der Bergpredigt aus, eines der ›gigantischen Dokumenten der Menschheit‹. Lotte Ingrisch stellte den christlichen Erlösungsgedanken in den Mittelpunkt des Geschehens; gemäß der Tradition des Mysterienspiels traten Allegorien als handelnde Personen auf.
    Bereits die Ankündigung der Uraufführung (18. Mai 1980) im Theater an der Wien entfesselte einen Theaterskandal; vor dem Theater fanden Demonstrationen statt und bei den Autoren trafen Schmähbriefe und sogar Morddrohungen ein und es wurde gefragt ob hier öffentlich geförderte Blasphemie vorliegt. Ursprünglich war diese Oper ein Auftragswerk des ›Carinthischen Sommers‹, wurde dann jedoch von den Wiener Festwochen übernommen.


    Die musikalische Leitung hatte David Shallon und Giancarlo del Monaco führte Regie. Die Aufführung wurde ständig durch organisiertes Schreien gestört und es flogen Stinkbomben und Tomaten.


    Bei von Einems letzter Oper »Tulifant« arbeitete das Ehepaar wiederum zusammen, das Werk war bereits 1984 vollendet und entstand auf Anregung von Franz Häussler, dem kaufmännischen Direktor der Vereinigten Bühnen Wiens und Peter Weck. Die beiden Künstler bezeichneten ihr Werk als ›erste grüne Oper‹ und Lotte Ingrisch betont in der Rückschau: »Wir haben sie geschrieben, da hat es die Grünen noch nicht gegeben«.
    Populärere Kultur verhinderte die Aufführung des Werkes zunächst, denn das Musical »Cats« war so erfolgreich, dass es viele geplante Premieren verhinderte. Erst am 30. Oktober 1990 konnte die Uraufführung im Wiener Ronacher-Theater stattfinden.


    Sehr problematisch ist das letzte Werk, »Luzifers Lächeln« zu sehen, das eineinhalb Jahre nach dem Tod Gottfried von Einems in der Wiener Kammeroper zur Uraufführung kam.
    In einer Kritik ist zu lesen, dass man bei diesem Stück mit Fug und Recht von einem Etikettenschwindel sprechen kann, von einer Sprechtheaterkomödie.


    Gottfried von Einem wollte nach106 Stücken mit dem Komponieren aufhören. Er starb in seinem Haus in Oberdürnbach im Bezirk Hollabrunn, etwa 70 Kilometer von Wien entfernt.
    In diesem Rahmen kann nicht auf jede Komposition eingegangen werden, aber sein 1979 entstandener »Rindlberger Marsch«, opus 54 sollte noch erwähnt sein, die »Vienna Police Brass« spielte das Stück bei seiner Beisetzung.


    Praktischer Hinweis:
    Der Friedhof Hietzing befindet sich im 13. Wiener Gemeindebezirk. Der Haupteingang befindet sich an der Maxing Straße. Das Grab befindet sich im Feld 60, das ist am hinteren Ende des Friedhofsgeländes.

  • Robert Fuchs - *15. Februar 1847 Frauental - † 19. Februar 1927 Wien


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    Zum heutigen Todestag von Robert Fuchs

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    Der Geburtsort von Robert Fuchs liegt im Südwesten der Steiermark, unweit der Grenze zur Slowakei. Als Robert geboren wurde zählte der Ort etwa tausend Einwohner, zu denen der Schulmeister Patritz Fuchs und seine Ehefrau Maria zwölf oder dreizehn Kinder beigesteuert hatten, die Literatur ist sich da nicht einig, so ganz genau weiß man das offenbar heute nicht mehr. In Frauental selbst meint man, dass Robert das zwölfte und letzte der Schulmeisterkinder war. Der Letztgeborene hatte relativ alte Eltern; der Vater war 58 und seine Frau Maria nicht weniger als 46 Jahre alt, wie es in Frauental aufgezeichnet ist.


    Aus der Familie kam sehr viel Musik; Vater Patritz Fuchs war nicht nur als Lehrer in einer Werksschule tätig, sondern auch ein musikalisches Allroundtalent; er war Chordirigent, Organist, gelegentlich auch Komponist von Sakralwerken und in der Gegend als Musiker sehr geschätzt, denn er hatte auch die ›Laßnitzer Harmoniegesellschaft‹ gegründet.
    Um den Beweis anzutreten, dass aus der Familie viel Musik kam, sei darauf hingewiesen, dass Roberts um fünf Jahre älterer Bruder, Johann Nepomuk Fuchs, Kapellmeister an der Wiener Hofoper und Direktor des Konservatoriums der Musikfreunde war und als Komponist von Militärmärschen eine gewisse Berühmtheit erlangte.
    Auch die Schwester von Johann Nepomuk und Robert, Maria Antonia, erwarb sich einen musikalischen Ruf, nämlich als Sängerin mit dem Beinamen ›Sulmtaler Nachtigall‹.


    Ein Blick in eine alte Chronik zeigt auf, in welcher Form - neben der Kirchenmusik - musiziert wurde und wie sich das Leben eines Schulmeisters gestaltete:


    »Neben der Taverne in Hollenegg und dem Wirt am Ulrichsberg, war in dieser Zeit die Werkskantine der Messingfabrik in Freidorf das frequentierteste Lokal. Dort verkehrten zu den Arbeitern noch die Fuhrleute und viel anderes Volk. Letztere Gastwirtschaft wurde von Schulmeister Patriz Fuchs und seiner Frau geführt, diese veranstalteten mitunter auch Tanzunterhaltungen und hielten sonst noch häufig Musiken, womit dieser Ort bald zum Treffpunkt der Musikanten des ganzen Laßnitztales wurde.«


    Sogar eine Begegnung mit Franz Schubert ist in der Chronik von Herbert Kriegl dokumentiert, hier heißt es:


    »Als ein besonderes Ereignis weilte über Einladung des Grazer Advokaten Dr. Karl Pachler und der kunstsinnigen Schlossbesitzerin Anna Massegg, vom 10. bis 12. September 1827 der berühmte Komponist Franz Schubert mit seinen Freunden Anselm Hüttenbrenner und Johann Baptist Jenger auf Schloss Wildbach. Begleitet vom Frauenthaler Schulmeister Patriz Fuchs am Klavier, sang die älteste der sechs Masseggtöchter einige Schubertlieder, sodass selbst der Meister über die gekonnten Darbietungen gerührt war.«


    Noch heute erinnert eine Gedenktafel an dieses Ereignis im Schloss Wildbach bei Deutschlandsberg.
    Vermutlich ist der Junge schon recht früh mit Musik in Berührung gekommen. Robert besuchte ab 1853 die Volksschule in Zeierling, einem Ortsteil von Frauental. 1854 zog Familie Fuchs dann nach St. Peter im Sulmtal. Ab diesem Zeitpunkt wurde Robert zur weiteren Erziehung dem Schwiegersohn und Schulmeister Martin Bischof anvertraut, der den Jungen - neben fundamentalem Wissen - im Klavier-, Geigen- und Orgelspiel unterrichtete. Vater Patritz hatte mit der Ausbildung seines jüngsten Sprösslings ein festes Ziel im Auge, Robert sollte Lehrer werden.


    Also kam Robert in die Hauptschule nach Marburg an der Drau (heute Maribor) und die Unterrealschule in Graz, wo er von 1863 bis 1865 eine Ausbildung am Lehrerseminar absolvierte. Mit dem erfolgreichen Abschluss am Lehrerpräparandeninstitut hatte Robert Fuchs nun die Lehrbefähigung an Hauptschulen zu unterrichten, aber es drängte ihn zur Musik, dass er doch noch zum begnadeten Pädagogen wurde, ergab sich später.


    Schon ab seinem 15. Lebensjahr musste Robert Fuchs für sich selbst sorgen und bestritt seinen Lebensunterhalt mit Orgeldiensten, spielte zum Tanz auf und gab Stunden.
    Die später so berühmt gewordene Sängerin Amalie Materna, die am Grazer Theater engagiert war, gestaltete 1864 die Uraufführung von zwei Liedkompositionen von Robert Fuchs. Wilhelm Gericke, nur zwei Jahre älter als Fuchs, animierte ihn zum Studium am Wiener Konservatorium. Dort hatte der nun 18-Jährige in Felix Otto Dessoff und Anton Bruckner zwei hervorragende Lehrer, die seine Begabung erkannten und förderten, eine seiner Klaviersonate wurde vom Konservatorium mit einer Silbermedaille bedacht. Eine weitere Ehrung folgte mit der öffentlichen Aufführung von zwei Sätzen seiner h-Moll- Symphonie. Damit war sein Studium praktisch abgeschlossen.
    Seit dem 1. Januar 1866 war Fuchs Organist an der Piaristenkirche in Wien, was jedoch allein nicht zur Bestreitung des Lebensunterhalts ausreichte, also gab er nebenbei noch Musik-Theorie-Lektionen. 1867 schrieb Robert Fuchs seine erste Sinfonie, da war er also gerade mal 20 Jahre alt. Als er 22 war trat er in den Stand der Ehe.
    Ihm wurde drei Jahre hintereinander das Jahresstipendium des Konservatoriums zugesprochen.
    Große Anerkennung erlangte er auch, als am 25. Februar 1872 im Großen Saal des Musikvereins Wien seine g-Moll Symphonie unter dem Dirigat von Otto Dessoff zur Aufführung kam.
    Auch mit seine Streicherserinade Nr.1, op. 9, die 1874 veröffentlicht wurde, hatte er einen überwältigenden Erfolg, er erhielt die Ehrengabe der Wiener Philharmoniker und das Leipziger Verlagshaus Friedrich Kistner hat das Werk angenommen.


    Der um 14 Jahre ältere Johannes Brahms war schon berühmt und eine feste Größe in Wien,
    als Robert Fuchs in der Kunstmetropole erschien, aber der an sich sehr kritische Brahms förderte den jungen Kollegen wo er nur konnte und kenntnisreiche Musikfreunde glauben diese Freundschaft auch heraushören zu können und manche bezeichnen Fuchs als Brahms-Epigonen. Andere sehen das in einem positiveren Licht und meinen, dass das eher mit der Wahlverwandtschaft der beiden zusammenhängt.

    Seine Serenaden waren bald so erfolgreich, dass er noch bis heute mit dem Namen »Serenaden-Fuchs« bezeichnet wird. Brahms empfahl diesen noch außerhalb Wiens wenig bekannten Nachwuchskomponisten seinem Verleger Simrock in Berlin. In einem Brief vom 16. Mai1881 schreibt er:
    »Ich weiß nicht, ob Sie von unserem hiesigen Robert Fuchs Notiz genommen haben? Wohl das hübscheste Talent hier, außerdem ein reizender Mensch.« Brahms empfahl in diesem Brief die Cello-Sonate op. 29 und merkte dazu an: »Ich glaube es ist sein bestes Werk.« Das hochgelobte Werk erschien dann jedoch im gleichen Jahr, allerdings bei Kistler.


    Dass Brahms kritisch war, wurde gerade erwähnt, umso höher ist das folgende Zitat von Brahms zu bewerten, das aus einem Brief vom 6. November 1891 stammt:
    »Fuchs ist ein famoser Musiker. So fein, und so gewandt, so reizvoll erfunden ist alles, man hat immer seine Freude daran.«


    Fuchs wurde geradezu mit Preisen überschüttet; da waren die Beethoven-Kompositionspreise und Preise der ›Schwestern-Fröhlich-Stiftung‹ und einiges mehr.
    Der fast gleichaltrige - 1843 geborene - Dirigent Hans Richter führte in den Jahren 1876 bis 1897 fast alle Orchesterwerke von Robert Fuchs mit den Wiener Philharmonikern auf.
    Auch die etwas älteren Dirigenten wie zum Beispiel Arthur Nikisch, Franz Schalk und Felix Weingartner sorgten für die Verbreitung der Werke des aufstrebenden Komponisten.
    Wie andere Komponisten auch, strebte Robert Fuchs nach Opernerfolgen; 1889 kam »Die Königsbraut« heraus und 1893 »Die Teufelsglocke«, aber beiden Werken war kein nachhaltiger Erfolg beschieden.


    1898 starb seine Frau Amalie, was bei Robert Fuchs eine starke Depression zur Folge hatte. Die Heirat war 1869 gewesen und aus der Ehe gingen zwei Söhne und eine Tochter hervor, wobei der jüngste Sohn ein Sorgenkind war.


    Schon oben ist der Beiname »Serenaden-Fuchs« erwähnt, vor allem mit seinen fünf Orchesterserenaden wurde er zu seiner Zeit berühmt, aber auch mit Kammermusikwerken.
    Einen Einblick in sein Schaffen zeigt diese beeindruckende Liste, die wohl nur so umfangreich werden konnte, weil ihm ein achtzig Jahre währendes Leben beschieden war, in der damaligen Zeit eher eine Seltenheit; man denke zum Vergleich an Mozart und Schubert.


    Robert Fuchs lehrte von 1875 bis 1911 am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde Wien; zunächst als Supplent, ab 1888 war er dann zum Professor für Komposition ernannt worden. Wer sich so quer durch die Literatur liest, kommt zu der Erkenntnis, dass Robert Fuchs ein äußerst beliebter Lehrer und auch ein gütiger und bescheidener Mensch war. Wenn man in Fuchs Schülerliste schaut kommt man schon ins Staunen, welch illustre Namen da auftauchen:
    Richard Heuberger, Ernst Krenek, Erich Wolfgang Korngold, Egon Kornaut, Gustav Mahler, Franz Schmidt, Franz Schreker, Jean Sibelius, Richard Strauss, Hugo Wolf, Alexander Zemlinsky ...


    Die allermeisten haben ihren Meister bezüglich des Bekanntheitsgrades weit überholt und in der Musik natürlich auch.
    Fuchs´ Phantasie Des-Dur, deren Autograph das Datum des 23. Juni 1917 trägt, zeigt, dass der nun 70-jährige Fuchs so schreibt, wie er das 1875 auch schon getan hat; sein Schüler Strauss hatte schon 1905 »Salome« auf die Bühne gebracht und ließ »Elektra (1909), »Rosenkavalier« und »Ariadne auf Naxos« (1912/1916) folgen, wobei er sich mit »Elektra« ganz weit von seinem ehemaligen Lehrer entfernt hatte. Robert Fuchs komponierte in alter Manier weiter, zu seinem 75. Geburtstag komponierte er seine dritte Messe.


    Das Werkverzeichnis von Robert Fuchs kann sich sehen lassen:


    2 Opern / 3 Messen / 7 Chorwerke mit Instrumentalbegleitung / 6 Chorwerke a capella / 10 Liederzyklen mit Klavierbekleidung / 5 Symphonien / 5 Orchesterserenaden / 1 Klavierkonzert mit Orchester / 2 Klavierquartette / 4 Klaviertrios / 6 Violinsonaten / 7 Zyklen für Violine und Klavier / 2 Werke für Viola und Klavier / 3 Werke für Violoncello und Klavier / 2 Werke für Kontrabass und Klavier / 1 Klarinettenquintett / 4 Streichquartette / 4 Streichtrios / 36 Stücke für 2 Violinen / 12 Duette für Violine und Viola / 27 zyklische Werke für Klavier / 12 zyklische Werke für Klavier zu 4 Händen / 3 Werke für Orgel und eine Phantasie für Harfe

    In den Jahren 1894 bis 1905 war er als Organist bei der Wiener Hofkapelle tätig, seine letzte Serenade - op. 53 - schrieb er 1895 anlässlich des 50-jährigen Musikjubiläum von Johann Strauß, wo er geschickt Themen aus der »Fledermaus« mit eingewoben hat. Dirigent Hellmesberger brachte dann das berühmt gewordene Wortspiel an: »Fuchs, die hast du ganz gestohlen« Natürlich war das kein Plagiat, sondern eine Hommage an den ›Walzerkönig‹.


    Obwohl ihm die Orgel - durch die Tätigkeit seines Vaters - von Kindesbeinen an vertraut war, hat sich Robert Fuchs erst relativ spät mit der Komposition von Orgelwerken befasst. Zeitgenossen berichten, dass Fuchs 1873 anlässlich der fünften Weltausstellung, der ersten im deutschsprachigen Raum, die in Wien stattfand, von Orgel zu Orgel zu rannte, um sie auf Ton und Klangfarbe zu prüfen.


    Seit 1901 verbrachte Robert Fuchs die Sommermonate regelmäßig in Admont, wo sein Freund, der Gymnasialprofessor Anton Mayr, in der Eichelau eine Jugenstil-Villa besaß, die aber nicht mehr erhalten ist.
    Als Robert Fuchs 1922 seinen 75. Geburtstag feierte, war das natürlich ein Anlass seine Werke wieder aufleben zu lassen und zu spielen. Aber zu diesem Zeitpunkt hatten seine Schüler mit »Die tote Stadt« (Korngold 1914) und »Notre Dame« (Franz Schmidt 1920) schon neue Maßstäbe gesetzt; sogar Ernst Kreneks Werk »Jonny spielt auf« ging am 10. Februar 1927 noch über die Bühne, vielleicht war das sogar ein Gesprächsthema bei der Feier des 80. Geburtstags von Robert Fuchs. Dieser Geburtstag wurde ausgiebig gefeiert und soll die Kräfte des Meisters arg strapaziert haben. Die vom Lehrkörper der Akademie angekündigte Festfeier, sowie die der Universität und des Schubertbundes, wurde dann zur Trauerfeier.
    In ›Neues Montagsblatt‹ vom 21. Februar 1927 ist folgende Notiz zu lesen:
    »Das Leichenbegräbnis des Komponisten Robert Fuchs findet am Dienstag, den 22.um halb 3 Uhr nachmittags vom Trauerhause Mayerhofgasse 9 aus statt. Die Einsegnung erfolgt in der Paulanerkirche. Bezüglich der Mitwirkung der musikalischen Körperschaften, denen Robert Fuchs nahestand, konnte wegen des Sonntags noch keine näheren Bestimmungen getroffen werden. Inwieweit sich die Philharmoniker und der Männergesangverein an der Trauerfeier beteiligen werden, ist noch nicht entschieden. Die Beisetzung der Leiche erfolgt in dem von der Gemeinde Wien gewidmeten Grabe an bevorzugter Stelle.«


    Praktischer Hinweis:
    Diese bevorzugte Stelle befindet sich auf dem Zentralfriedhof Wien, Simmeringer Landstraße 234.
    Vom Tor 2 kommend geht man der Hauptachse geradeaus und erreicht Gruppe 33 E indem man nach den Alten Arkaden bei Feld 32 B - links des Hauptweges - abbiegt.
    Man kann von etwa drei bis fünf Gehminuten ausgehen, Friedhofspläne stehen ausreichend zur Verfügung.


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  • Hilde Zadek - *15. Dezember 1917 Bromberg - † 21. Februar 2019 Karlsruhe


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    Zum heutigen Todestag von Hilde Zadek

    Hilde Zadek war eine Jahrhundertsängerin im wahrsten Sinne des Wortes, denn am 15. Dezember 2018 konnte sie einen dreistelligen Geburtstag feiern, da wurde sie 101 Jahre alt.
    Das Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper stand an ihrem Stammhaus in 39 Rollen 786 Mal auf der Bühne. Weltweit hatte sie mit allen großen Dirigenten ihrer Zeit musiziert, mit einer Ausnahme, das war Toscanini.
    »Stärke entsteht nie aus Wohlstand«, war 1996 ein Gespräch mit der Sängerin in der Zeitschrift OPERNWELT überschrieben - wer das Leben von Hilde Zadek etwas kennt, weiß, wovon die Rede ist.


    Hilde wurde in eine politisch unruhige Zeit und in eine ebenso unruhige Gegend hineingeboren, nämlich in Bromberg (heute Bydgoszcz), Provinz Posen. Die Zeiten waren wirklich ganz schlecht, aber das Kleinkind bekam das ja alles nicht so mit, man konnte froh sein, dass der Vater, der als Unteroffizier am Krieg teilnahm, wieder nach Hause kam.
    Als die Stadt 1920 polnisch wurde, zogen die Eltern nach Stettin, das damals noch deutsch und eine Stadt von etwa 250.000 Einwohnern war. Hildes Eltern waren völlig assimiliert, aber immer noch mit den Riten und Gepflogenheiten des jüdischen Glaubens verbunden.
    Die Eltern hatten schon in Bromberg ein Ledergeschäft, in Stettin betrieben sie dann in Zeiten der Inflation einen Handel mit Leder und Schuhen.
    Hilde konnte in Stettin eine schöne Kindheit erleben, ihr waren noch zwei Schwestern nachgekommen und der Familie stand ein stattliches Haus mit vielen Angestellten und ein Garten zur Verfügung.
    In Stettin wird das Mädchen eingeschult und hat zunächst keine Schwierigkeiten, aber die begannen ab 1933 wo Menschen jüdischen Glaubens immer mehr schikaniert wurden, das machte sich auch in der Schule bemerkbar. Als Hilde fünfzehn war, kam es beim Turnunterricht zu einem Streit mit einer Mitschülerin, die sie in Bezug auf ihre jüdische Herkunft schwer beleidigt hatte. Hilde reagierte spontan und schlug diesem Mädchen zwei Vorderzähne ein.
    Die Eltern wurden daraufhin zum Schulleiter bestellt, der klugerweise zum Verlassen der Schule riet. Also bricht die noch nicht einmal 17-Jährige den Besuch des Gymnasiums 1934 vorzeitig ab. Die noch Sechzehnjährige reist nach Berlin und beginnt in einem jüdischen Säuglingsheim eine Ausbildung, reist jedoch im folgenden Jahr nach Palästina und kann dort als ›Praktikantin‹ ihre Ausbildung in einem Kinderheim bei Haifa abschließen.
    Die Arbeitsbedingungen sind heute kaum noch vorstellbar; für Hilde gab es kein eigenes Zimmer, sie teilte sich einen Raum mit 16 dreijährigen Kindern.
    Sie teilte aber mit den Kindern nicht nur den Raum, sondern auch das Essen, das die ganze Zeit über aus Haferflocken, Grießbrei oder Reisbrei bestand.
    Nach einem Jahr verließ sie dann das Kinderheim und ging als Lehrschwester in ein Säuglingsheim nach Jerusalem, wo sie ein Diplom erwarb und fortan nun einen gewissen ›Luxus‹ genießen konnte; sie teilte sich ein mit Apfelsinenkisten möbliertes Zimmer mit zwei anderen Schwestern.
    Hilde Zadek hatte einen deutschen Pass, in den noch nicht das berüchtigte ›J‹ eingestempelt war, und sie war immer noch im Status einer deutschen Touristin.
    Damit sie nach Deutschland zurückkehren konnte, schickten ihre Eltern eine Karte für die Schiffspassage, damit die Tochter wieder nach Europa kommen konnte; in einer Dezembernacht kam sie 1937 wieder in Stettin an.
    Neu eingekleidet und mit etwas Geld in der Tasche, konnte sie im Januar 1938 in die Schweiz reisen. Dort lernte sie ein paar Monate Heilgymnastik und Heilmassage und hatte die Absicht diese Kenntnisse in Palästina zu verwerten sie hatte sich nämlich vorgenommen, in Jerusalem ein Studio für Heilgymnastik zu eröffnen.


    Aber hier stellte das Schicksal offenbar die Weichen in Richtung Gesang, wenngleich das bis dahin noch nicht zu erahnen war. Durch die Ereignisse um sie herum, war ihre Singstimme praktisch nicht mehr existent, man kann hier auch einflechten, dass ihre beiden Schwestern auch gutes Stimmpotenzial hatten.
    In der Kinderabteilung des größten Jerusalemer Krankenhauses war die Stationsschwester ausgefallen, also machte sie sich als Kinderschwester an die Arbeit und war sehr beliebt.
    Und wie der Zufall so spielt - Frau Doktor Kagan, die leitende Ärztin der Kinderstation war, hatte auch mit der Leitung des Musikkonservatoriums von Jerusalem zu tun, denn damals war es in Palästina üblich, solche Stellen ehrenamtlich zu besetzen. Hilde Zadek sagt: »Für mich ergab sich dadurch der erste ernsthafte Berührungspunkt mit Musik.«


    Ihre musikalischen Aktivitäten waren bisher insoweit zu Tage getreten, dass sie im Alter von etwa fünf Jahren gerne tanzte und Gitta Alpar, Jan Kiepura, Richard Tauber und andere kopierte.


    Palästina war damals britisches Mandatsgebiet und Hilde Zadek wurde »British subject of Palestine«, also Palästinenserin. Auch als Hilde Zadek von 1935 bis 1945 in Palästina lebte, gab es Probleme mit den Arabern, einschließlich Bombenanschläge.
    Aber der tatkräftigen jungen Frau gelang es, ihre Eltern und Geschwister aus dem immer judenfeindlicheren Deutschland herauszuholen und nach Palästina zu bringen. Ihre Eltern hatten im November 1938 in Stettin die Reichspogromnacht erlebt und der Vater war bereits im KZ Sachsenhausen.1938 bestand aber noch die Chance herauszukommen, wenn man den Großteil seines Besitzes zurückließ.
    Weil Tochter Hilde einen britischen Pass besaß, war es ihr möglich, die Familie anzufordern. Es musste eine Summe Geld hinterlegt werden, denn das Visum wurde erst dann erteilt, wenn man nachweisen konnte, dass man die Familie auch ernähren konnte.


    Da die Eltern zeitlebens mit Schuhen und Leder zu tun hatten, bot sich eine Existenzsicherung in dieser Richtung an. Hilde wusste aus ihrer Tätigkeit im Krankenhaus, dass viele Kinder Schuhe brauchten, bald war die Idee geboren ein Kinderschuhgeschäft aufzumachen; das Geschäftslokal war nicht besonders groß - 12 Quadratmeter, aber mit einem Schaufenster und einem riesigen Papagei und das Geschäft hieß dann auch ›Papagei‹. Hilde war hier dreisprachig unterwegs, sie konnte schon so viel hebräisch, um sich verständigen zu können, ein bisschen arabisch und ganz gut englisch.
    Aus dem kleinen Schuhgeschäft war 1940 ein weit größeres in der Hauptstraße geworden; man hatte Verkäuferinnen und sogar einen Dekorateur.


    Erst mit 23 Jahren bot sich nun für Hilde Zadek die Möglichkeit sich ernsthaft mit Gesang zu befassen; fünf Jahre studierte sie am Konservatorium in Jerusalem, praktisch nebenher, im Abendstudium, wie ihre Mitschüler auch. Sie selbst sieht die Sache so:


    »Ich habe alles gelernt, vom Primavista-Lesen über Kompositionslehre, Instrumentenkunde und Musikgeschichte bis zum Gesang. Was die Hochschüler heute unter großen Stress setzt und völlig außer Atem bringt, das leisteten wir alle sozusagen nebenbei, nach voller Arbeitszeit«


    Am Konservatorium konnte sie sich fast wie zu Hause fühlen, also in ihrer Muttersprache kommunizieren, denn ihre Lehrer - die sie als ›Créme de la créme‹ bezeichnet - waren die besten Musiker aus Berlin, München, Wien, Hamburg ... , die alle emigrieren mussten.
    1944 traf sie mit der berühmten Rose Pauly zusammen, die von Amerika nach Palästina gekommen war, jedoch nicht mehr als die ganz große Künstlerin wahrgenommen wurde. Von Rose Pauly konnte Hilde Zadek viel lernen, vor allem alles was mit Opernaufführungen zu tun hatte, denn die staunende Hilde hatte von all dem keine Ahnung.
    Bereits während ihrer Ausbildung gab sie schon Liederabende, im Schuhladen rasch ins Abendkleid geschlüpft und ab auf die Konzertbühne.
    Ein Kritiker schrieb: »Hier wächst eine große Opernsängerin heran.«


    Den Umständen entsprechend konnte man in Palästina mit der neu aufgebauten Existenz ganz gut leben, schaute aber besorgt nach Afrika, wo Rommel 1941 einen Siegeslauf gestartet hatte, man war damals heilfroh, dass die Engländer das dann stoppen konnten.


    Für Hilde Zadek stand nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges unumstößlich fest, dass sie nun an der Oper singen wollte und sie wusste natürlich, dass sie dazu im Mittleren Osten keine Gelegenheit hatte; sie musste weg aus Palästina. Also schrieb sie diverse Briefe an Konservatorien in Amerika, England, Frankreich und der Schweiz mit der Bitte um ein Stipendium. Schließlich kam eine Zusage aus Zürich, aus der Schweiz, also einem Land, das sich aus dem schrecklichen Krieg hatte heraushalten können.


    Der Krieg war nun zwar aus, aber es waren noch keine normalen Zeiten eingekehrt, wie sollte sie nach Europa kommen? Beziehungen sind alles; schon während des Krieges hatte sie für englische Soldaten gesungen, und eine ihrer Schwestern war Offizierin beim englischen Militär. Auf dieser Basis war es ihr möglich an Bord eines mit 2000 Soldaten besetzten Truppentransportschiffes zu kommen, das von Alexandria aus nach Europa fuhr. Nach einer unangenehmen Oktobernacht auf einem Bahnsteig in Toulouse, gelangte sie dann mit ihrem Köfferchen nach Zürich zu einer Adresse, an der sie einen Brief abgeben sollte. Dies war nicht etwa ein Empfehlungsschreiben, sondern ein rein privater Brief eines Vaters an seine Tochter, da über sechs Jahre hinweg eine Postverbindung nicht möglich gewesen war.


    Von diesem Zeitpunkt an ging es in Hilde Zadeks Leben dann nur noch in eine Richtung; vorwärts und nach oben. Bei dieser Briefübergabe entwickelte nämlich die Empfängerin die Idee, dass eine gelernte Kinder-Krankenschwester das ideale Au-pair für ihre Freundin sein könnte, besagte Freundin war Renate Langhoff, deren Mann, Wolfgang Langhoff, gerade Generalintendant der Städtischen Bühnen Düsseldorf geworden war, sie kam mit den beiden Knaben (Thomas *1938 und Matthias *1941) alleine nicht zurecht und brauchte dringend Hilfe. Es entstand eine typische Win-Win-Situation. Die Gesangsstudentin konnte in der schönen Langhoff-Villa tätig sein und Mutter Renate war entlastet.
    Trotzdem konnte Hilde Zadek in aller Ruhe studieren und hatte in - man kann schon sagen der legendären - Ria Ginster eine ganz ausgezeichnete Lehrerin.
    Wenn Hilde Zadek am Sonntag in der evangelischen St. Peter Kirche sang, verdiente sie 20 Franken, die als Zubrot sehr willkommen waren.


    Nun kommt nochmal die oben erwähnte Briefempfängerin ins Spiel, sie war nämlich die Patentochter des Direktors der Wiener Staatsoper, der gerade in der Schweiz weilte.
    So konnte nun ein Vorsingen in der kleinen Wohnung arrangiert werden, das Gehörte bewog den damals 46-jährigen Franz Salmhofer, Hilde Zadek zu einer Vorstellung auf Engagement an die Wiener Staatsoper einzuladen.


    Hier muss daran erinnert werden, dass Österreich ein von den Siegermächten besetztes Land und in Besatzungszonen eingeteilt war. Um die Demarkationslinien zwischen den Besatzungszonen zu überschreiten, benötigte man einen von den Alliierten ausgestellten Identitätsausweis in vier Sprachen und entsprechenden Stempeln.
    So war es also der jungen Sängerin nicht möglich, eben mal flugs nach Wien zu fahren.
    Bis sie ihre insgesamt 13 notwendigen Stempel beisammen hatte, verstrich ein Zeitraum von August 1946 bis Januar 1947.


    Beinahe wäre sie gar nicht nach Wien gekommen - vielleicht später zu einem Gastspiel - denn der Züricher Hausherr, Wolfgang Langhoff, war ja Chef in Düsseldorf und Frau Langhoff hatte dafür gesorgt, dass ihr Au-pair-Mädchen einen Vertrag nach Düsseldorf bekam. Es war schon ausgemacht, dass sie dort »Rosenkavalier«, »Fidelio« ... singen sollte, konnte jedoch von der englischen Besatzungsmacht, die in Düsseldorf das Sagen hatte, kein Visum bekommen, da half auch ihr »British subject of Palestine«- Pass nicht weiter, die Engländer sagten, dass sie nicht für die Sicherheit garantieren könnten.


    Die stolze Besitzerin von 13 Stempeln kam nun endlich am 27. Januar in Wien an; in einer Stadt, die mehr als fünfzig große Luftangriffe erlebt hatte und in der noch am 12. März 1945 die Staatsoper so schwer getroffen war, dass dort erst wieder zehn Jahre später gesungen werden konnte.


    In Wien angekommen, begab sich die Opernsängerin in spe unverzüglich zu Operndirektor Salmhofer, um ihn an sein in Zürich gegebenes Versprechen zu erinnern und fragte frei heraus, Welche Oper soll ich singen?
    Salmhofer blätterte in seinem Buch und fragte - »Kannst Du am 3. Februar die Aida singen?
    Bei uns ist gerade eine Absage gekommen, ich habe keine Aida«
    Natürlich konnte sie! Und dass diese Aida auf Italienisch über die Bühne gehen sollte, war für Hilde Zadek auch kein Problem, auch dass es für sie keine Probe geben sollte war für die forsche Anfängerin kein Problem, obwohl sie nie eine Opernschule besucht hatte.


    Es war am Rande der Hochstapelei; mehr Selbstbewusstsein geht nicht, denn sie hatte bis dato noch keine Note aus »Aida« gesehen und sie konnte kein Italienisch, dazu kam, dass sie noch nie auf einer Opernbühne gestanden hatte.
    Da es sich um eine laufende Vorstellung handelte - es war die 11. in dieser Inszenierung - , meinte Salmhofer, dass sich die Riege der berühmten Kollegen nicht zu einer Probe bitten lässt. Unter der Stabführung von Josef Krips sangen in tragenden Rollen: Herbert Alsen, Elena Nikolaidi, Mirto Picchi, Ludwig Weber, Giuseppe Taddei.


    Was sie allerdings dringend brauchte, war ein Korrepetitor, der jeweils den ganzen Tag zur Verfügung sein musste. Also lernte sie ihre Titelrolle in der Zeit vom 27. Januar bis zum 3. Februar 1947. Der Erfolg war beachtlich, einen Tag später hatte sie einen Solistenvertrag der Staatsoper, die damals im Theater an der Wien untergebracht war.


    Die einzige Vorbildung in Sachen Oper hatte sie sich in Zürich erworben, wo sie so oft als möglich das Opernhaus besuchte, vorher hatte sich - bedingt durch ihren abenteuerlichen Lebenslauf - für sie keine Möglichkeit ergeben.
    In Zürich studierte Hilde Zadek ausschließlich Gesang, allerdings nicht bei einer typischen Opernsängerin, sondern bei Ria Ginster, deren Domäne eigentlich der Konzert- und Liedgesang war, die aber auch internationale Erfolge als Solistin und Pädagogin hatte und schon seit 1938 Professorin und Leiterin der Konzertklasse am Züricher Konservatorium war.
    Hier genoss Hilde Zadek eine ausgezeichnete Ausbildung mit Familienanschluss, die arme Studentin wurde oft zum Essen eingeladen.


    Aber nun war Hilde Zadek ja mit ihrem Staatsopernvertrag schon beachtlich weit gekommen, ohne sich mühsam über die Provinz hocharbeiten zu müssen. Dennoch war natürlich der Lernprozess längst nicht beendet.


    Sie lernte also im laufenden Betrieb von Kolleginnen mit denen sie auf der Bühne agierte; Elisabeth Höngen, schon seit fünf Jahren am Haus tätig, war so ein Vorbild für Hilde Zadek.
    Auch die um zwei Jahrzehnte ältere, berühmte Burgschauspielerin Maria Eis gab der frischgebackenen Aida direkt nach ihrem Debüt wertvolle schauspielerische Tipps; sie kam nach der Vorstellung in ihre Garderobe und sagte, dass sie vom Gesang der Debütantin ergriffen sei, fragte aber: »Warum versteckst du immer deine Hände?« Hilde Zadek bekam dann tags drauf von der Eis wertvolle Instruktionen.


    Was die äußeren Umstände anbelangt, können sich die Nachgeborenen eine solche Opernvorstellung wohl kaum vorstellen; die eigentliche Staatsoper war ja ein Schutthaufen und es wurde auf drei Ersatzbühnen unter miserabelsten Bedingungen Kunst produziert.
    Die Künstler hatten kaum etwas zu essen und fuhren mit der Trambahn, in die es auch mal hineinregnete, zur Vorstellung. Dortselbst hatte es in den Wintermonaten auf der Bühne zwei Grad und die Orchestermusiker spielten in dicken Mänteln und Decken.


    Auch dass Hilde Zadek im August 1947 bei den Salzburger Festspielen für Renata Tebaldi einsprang, die einen Tag vor der Generalprobe zu Verdis Requiem - von Karajan dirigiert - abgesagt hatte, gehört zu den Glanztaten, denn sie hatte das Werk nicht studiert und musste die Sache über Nacht lernen.


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    An der Staatsoper war sie immer dann in großen Rollen zu hören, wenn es eine Lücke gab, sie war so eine Art Zweitbesetzung, sprang also in fertige Inszenierungen hinein, wobei sie sich das alles bei den berühmten Kolleginnen abgehört hatte.1950 war sie dann in Edinburgh zu hören und ein Jahr darauf in Glyndebourne als Donna Anna in »Don Giovanni«

    Mit dem Status der ›Lückenbüßerin‹ hatte es in Wien am 2. März 1951 ein Ende, denn an der Staatsoper wurde das taufrische Werk »Der Konsul« (UA 1950 in USA) von Gian Carlo Menotti aufgeführt.
    Mit der Rolle der Magda Sorel gelang Hilde Zadek der ganz große Durchbruch, mit dem Inhalt des Stückes konnte sie sich identifizieren; zwanzig Mal hat sie das an der Staatsoper gesungen, interessanterweise nirgendwo sonst; in diesem Jahr wurde ihr auch der Titel einer Kammersängerin zuerkannt.


    Sie war zur weltweit begehrten Sängerin geworden; 1952 sang sie bereits an der Metropolitan Opera in New York unter Fritz Reiner die Elsa in »Lohengrin«, die Donna Anna in »Don Giovanni« und die Eva in der »Meistersinger«- Premiere.
    Parallel zu ihrem Engagement an der Wiener Staatsoper stand sie über vier Jahre hinweg an der Covent Garden Opera auf der Bühne, wo sie respektable 68 Vorstellungen in englischer Sprache sang, was dort obligatorisch war.


    Wenn eingangs davon die Rede war, dass Hilde Zadek unter allen berühmten Dirigenten ihrer Zeit gesungen hat, ist zu erwähnen, dass sie in England mit Erich Kleiber »Pique Dame« sang und Sohn Carlos in ihrer Düsseldorfer Zeit mit ihr korrepetierte, aber auch einen »Rosenkavalier« als Einspringer dirigierte.
    Es wäre müßig hier alle Auftrittsorte von Hilde Zadek zu nennen, natürlich sang sie auch in Berlin, Paris, Moskau, Rio de Janeiro ... und in Israel; ausdrücklich sei jedoch erwähnt, dass Hilde Zadek nie in Bayreuth sang.


    Die Marschallin im »Rosenkavalier« war zu ihrer Lieblingsrolle geworden, hundert Mal hat sie diese Rolle zwischen1955 und 1967 in Wien, Graz, Frankfurt, Düsseldorf, Turin, Monte Carlo, Nizza, Berlin, Genf, Rio de Janeiro, Linz und Zürich gesungen. Aber auch »Fidelio« und »Aida« standen ihr immer sehr nah.
    Da war aber auch noch die Konzertsängerin, die bezüglich des Kunstliedes einmal sagte, dass Hugo Wolf ihrem Herzen am nächsten sei.


    Grundsätzlich war sie gegenüber zeitgenössischer Musik positiv eingestellt und auch den anderen Künsten gegenüber sehr aufgeschlossen; in der Malerei liebte sie besonders Marc Chagall, aber auch Kokoschka, Kirchner, Picasso, Klimt, Schiele, Nolde ... und in der Bildhauerei fand sie Marino Marini und Giacometti faszinierend - mit Fritz Wotruba war sie befreundet und man darf vermuten, dass das auf ihrem Grabstein zum Ausdruck kommt, es muss bei der Vermutung bleiben, denn eine diesbezügliche Anfrage bei der Hildegard Zadek Stiftung blieb unbeantwortet.
    In diesem Zusammenhang sei auch erwähnt, dass der bekannte Kunstsammler Heinz Berggruen der Cousin von Hilde Zadek war.


    1964 machte Hilde Zadek erste pädagogische Gehversuche und begann am Konservatorium in Wien zu unterrichten; also sieben Jahre vor ihrem Bühnenabschied. Probleme mit ihrer Stimme, oder das was man Stimmkrise nennt, kannte sie nicht. Erst als sie bemerkte, dass der Körper abbaut und dass das Singen eigentlich schwer ist, dachte sie dran aufzuhören.
    Sie war danach über Jahrzehnte Lehrerin mit Leib und Seele und hatte auch entsprechende Erfolge vorzuweisen.
    Zu ihrem 80. Geburtstag bekam sie die ›Hilde-Zadek-Stiftung‹ geschenkt, von der begabte nachwachsende Sängerinnen und Sänger unterstützt werden. Auch der 1999 ins Leben gerufene Internationale Hilde-Zadek-Gesangswettbewerb trug reichliche Früchte.


    Da man nicht nur singend durch so ein langes Leben gehen kann, gab es auch noch eine private Seite. Hilde Zadek besuchte viele Konzerte, denn an mechanischer Musik, also Platten und CDs, hatte sie kein besonderes Interesse.
    Mehr als vier Jahrzehnte besaß sie in der Berglandschaft bei Hinterstoder ein Ferienhaus; die 250 Kilometer von Wien aus dorthin zu gelangen, dürfte für sie kein Problem gewesen sein, denn sie war eine leidenschaftliche Autofahrerin, die ihr Fahrzeug mit einem Jahresdurchschnitt von 30.000 Kilometern bewegte. Aber sie wechselte auch gerne mal ganz bescheiden auf ein PS, denn sie war auch eine gute Reiterin, das hatte sie nämlich in ihrer Düsseldorfer Zeit gelernt.


    Seit 1947 war Hilde Zadek eine geradezu begeisterte Wienerin geworden, ab 1948 auch ganz offiziell Österreicherin, das war ihre dritte Staatsbürgerschaft, aber sprachlich versuchte sie es erst gar nicht mit wienerisch, da erkannte man immer noch eine Norddeutsche.


    Neben vielen anderen Auszeichnungen, war Hilde Zadek 1977 auch Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper geworden, die, nachdem die 101-Jährige ihren endgültigen Abschied genommen hatte, am Mittwochvormittag des 27. März 2019 eine bewegende Trauerfeier auf der Prunkstiege der Wiener Staatsoper ausrichtete.
    Die Verabschiedung wurde durch Chor und Orchester der Wiener Staatsoper musikalisch mit Mozarts Maurerischer Trauermusik und dem Lacrimosa aus dem Requiem umrahmt.


    Praktischer Hinweis:
    Das Grab befindet sich auf dem Zentralfriedhof Wien, Simmeringer Landstraße 234.
    Vom Tor 2 kommend geht man der Hauptachse geradeaus und auf die imposante Friedhofskirche zu. Bei Gruppe 32 C wendet man sich nach links und kommt dann zum Feld 33 G, wo sich das schön gestaltete Grab von Hilde Zadek befindet.
    Vom Tor 2 aus kann man etwa fünf Gehminuten einplanen, Friedhofspläne stehen ausreichend zur Verfügung.


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    Rechts oben im Bild ist noch ein Teil der Friedhofskirche zu erkennen


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    Vom Tor 2 kommend geht man der Hauptachse geradeaus und auf die imposante Friedhofskirche zu.


    https://www.vienna.at/galerie-…en/14798630/Trauerfeier-f


  • Ernst Gutstein - *15. Mai 1924 Wien - † 24. Februar 1998 Wien


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    Zum heutigen Todestag von Ernst Gutstein


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    Auf dieser Seite an der Kirche befindet sich das Grab

    Hier haben wohl zwei Sänger und eine Sängerin ihre letzte Ruhe gefunden haben; wie ersichtlich, hatte Sohn Michael, ein Bariton, wie seion Vater,
    nur eine Lebensspanne von 35 Jahren.
    Wie Harald Kral hier 2011 im Forum schrieb, soll auch Gertrude Gutstein Sängerin gewesen sein.


    Das ›Große Sängerlexikon‹ führt aus, Dass der Bariton Ernst Gutstein an der Wiener Musikakademie ausgebildet wurde. Seine Lehrer waren der Tenor Josef Witt und der Bariton Hans Duhan.
    Sein Debüt gab Ernst Gutstein 1948 als Fernando im »Fidelio« am Landestheater Innsbruck.
    Nun folgte ein Wechsel ans Stadttheater im westfälischen Hagen, wo er 1952-53 sang; danach wechselte er für ein Jahr ans Stadttheater nach Heidelberg (1953-54), um sich dann von dort aus nach Kassel zu verändern, wo er vier Jahrelang sang.
    Ein Abstecher von einem Jahr führte ihn dann an die Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf -Duisburg. Ab 1959 war er am Frankfurter Opernhaus tätig wo Georg Solti in den Jahren 1952-61 hervorragendes Operntheater bot.
    Gutstein hatte sich nun in der Opernwelt einen guten Namen gemacht und war an vielen bedeutenden Häusern zu hören, seit 1959 wirkte er auch bei den Salzburger Festspielen mit, in Joseph Haydns »Die Welt auf dem Monde« gab er den Ernesto und 1978, neben der Feldmarschallin Gundula Janowitz, den Herrn von Faninal, seine absolute Paraderolle über viele Jahre hinweg.


    Seit 1966 war Gutstein nun auch an der Wiener Staatsoper zu hören, wo er am 23. Januar sein Debüt als Musiklehrer in »Ariadne auf Naxos« gab. Insgesamt stand er hier in mehr als140 Vorstellungen auf der Bühne, wobei er sich in 19 verschiedenen Rollen präsentierte.
    Ernst Gutstein schrieb auch an der Musikgeschichte mit, als er anlässlich der Wiener Festwochen 1966 bei der Uraufführung von Josef Matthias Hauers Oper »Die schwarze Spinne« mitwirkte, ein Werk, das heute kaum noch jemand kennt.


    All seine Auftrittsorte und Rollen zu nennen, macht in diesem Rahmen keinen Sinn, sein Rollenspektrum war sehr weit und sein Bekanntheitsgrad sehr hoch. Neben der oben erwähnten Uraufführung 1966, wirkte er auch schon 1962 bei den Schwetzinger Festspielen mit, als dort Wolfgang Fortners Oper »In seinem Garten liebt Don Perlimplin Belisa« uraufgeführt wurde; im SPIEGEL war damals als Resümee zu lesen: »Es wird nicht leicht sein, diese subtile Oper im ›Repertoire‹ zu platzieren.
    Gutstein war auch 1975 bei der Uraufführung von Giselher Klebes Oper »Ein wahrer Held« am Operhaus Zürich mit von der Partie. Nachhaltige Erfolge lassen sich durch solcherart Engagements in aller Regel nicht erzielen.


    Mit Opern von Verdi, Wagner und Strauss, kam der Sänger weit mehr in der großen weiten Welt herum und stand mit vielen Kollegen der ersten Reihe auf der Bühne.
    Gutstein gastierte an der Covent Garden Opera in London, beim Glyndebourne Festival, an der Metropolitan Opera New York, sowie den Opernhäusern in Dallas und Housten.


    Nachdem Ernst Gutstein am Ende der 1980er Jahre am Stadttheater Bern in »Wozzeck«,
    »La Cenerentola« und in »Capriccio« mitwirkte, sah man ihn 1991/92 am Pariser Théâtre du Châtelet als Nebendarsteller (Medizinrat, Professor und Bankier) in einer »Lulu«-Inszenierung von Adolf Dresen, wobei ja nur der Bankier einer Singstimme bedarf.
    In der Spielzeit 1991/92 sieht und hört man Ernst Gutstein da, wo er einst angefangen hatte, am Landestheater Innsbruuck. Und hier erlebt man ihn wieder in »Lulu«, allerdings nicht in Nebenrollen, sondern wieder standesgemäß als Schigolch. Sein letzter Auftritt an der Wiener Staatsoper war als La Roche in »Capriccio« am 25. September 1996.


    Noch 1997 sang er bei den Schlossfestspielen in Schönbrunn die Rolle des Gefängnisdirektors Frank in der Operette »Die Fledermaus«.
    Neben dieser voll ausgeschöpften Bühnenpräsenz - dieser Begriff wird hier mit Bedacht verwendet - hatte Ernst Gutstein auch eine Professur am Konservatorium der Stadt Wien.


    Praktische Hinweise:
    Das Grab befindet sich auf dem Friedhof der niederösterreichischen Marktgemeinde Krumbach im Bezirk Wiener Neustadt-Land. Vom Friedhofstor aus wendet man sich nach rechts, die Fotos mit der Kirche im Hintergrund können zur Orientierung dienen; um zum Grab zu kommen ist eine gewisse Trittfestigkeit von Vorteil.

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    Ein wunderschön gelegener Friedhof


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    Am Friedhofseingang wendet man sich nach rechts


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  • Maria Reining - *7. August 1903 Wien - † 11. März 1991 Deggendorf (Niederbayern)


    Zum heutigen Todestag der großen Maria Reining


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    Auf diesem Foto ist die Blumenschale links des Grabsteins beachtenswert, da ist nämlich ein grüner Stab mit der Aufschrift: Erinnerungskultur zu sehen,
    in Wien hat man diese Kultur, das ist nicht überall selbstverständlich. Bei den dunkelgrauen Flecken handelt es sich um vereinzelte Regentropfen, es hatte gerade zu regnen begonnen.



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    Eine öffentliche Kindheit gibt es bei der Sängerin nicht; ihr öffentliches Dasein beginnt mit der Mitteilung, dass sie vor ihrer Karriere als Sängerin zunächst in der Devisenabteilung einer Bank arbeitete und erst mit 26 Jahren ihre Ausbildung als Sängerin beginnen konnte.


    1931 wurde sie von Clemens Krauss als Elevin an die Wiener Staatsoper verpflichtet. Orientiert man sich am Archiv der Wiener Staatsoper, dann debütierte Maria Reining am 9. April 1931 als Gretchen in »Der Wildschütz«.
    Aber bis 1933 war sie an diesem berühmten Haus nur in Neben- und Soubrettenrollen zu hören. Mit der Frasquita in »Carmen«, war für Maria Reining im Sommer 1933 in Wien dann erst einmal Schluss und sie wandte sich nun an einem kleineren Haus - nämlich dem Landestheater Darmstadt - größeren Aufgaben zu, was die Rollen betrifft.
    Beinahe hätte sie in Darmstadt noch ihren Landsmann Karl Böhm getroffen, der dort als Generalmusikdirektor eigentlich noch einen Vertrag bis 1933 hatte, aber sich aus dem Vertrag heraus mogelte und nach Hamburg ging.
    Rudolf Bing, der spätere ›Met‹-Direktor, war damals Leiter des Betriebsbüros in Darmstadt und Carl Ebert Generalintendant.
    Als Böhm wegging, sagte Carl Ebert zu ihm:
    »Jetzt lassen sie mich hier allein in diesem Bumsnest« - und Dr. Böhm fügte noch hinzu, dass das ja Darmstadt - außerhalb das Theaters - auch war.


    Das war so in etwa die Situation, als die in Wien rollenmäßig nicht groß beachtete Maria Reining nach Darmstadt kam. Innerhalb des Theaters war allerdings einiges geboten, wie man im Folgenden sehen wird.
    Das Hessische Landestheater Darmstadt verfügt über eine beachtliche Operntradition.
    Vor Karl Böhm, war hier Erich Kleiber als Kapellmeister tätig und später dann Dr. Hans Schmidt-Isserstedt.
    Ab August 1933 war Peter Anders mit seiner späteren Frau in Darmstadt engagiert und hatte damals in dem um fast 19 Jahre älteren und etablierten Wagner-Sänger Joachim Sattler, einen Konkurrenten, der hier ›Platzhirsch‹ war. Der von Heidelberg kommende Anders musste sich in Darmstadt erst an einen Raum mit doppelter Platzzahl gewöhnen.
    An diesem Theater sang er erstmals den Tamino; Maria Reining hatte noch in der Premiere die Tamina gesungen, allerdings nicht beim Debüt von Peter Anders. Allerdings begegneten sich die beiden Künstler später wieder, 1941 in Salzburg und zehn Jahre später an der Wiener Staatsoper.


    Von 1935-1937 war Maria Reining an der Münchner Staatsoper engagiert. Zu diesem Sachverhalt ist im ›Austria-Forum‹ zu lesen:


    »Zwei Jahre später wechselte sie nach Darmstadt und dann an die Münchner Staatsoper, wo sie unter Hans Knappertsbusch als Elsa in ›Lohengrin‹ von Richard Wagner debütierte.
    1937 folgte sie Knappertsbusch an die Wiener Staatsoper, wo sie ein zweites Mal in der Rolle der Elsa debütierte.«


    Das alles hatte damals etwas mit Politik zu tun, denn 1936 wird der erst 48-jährige Münchner Operndirektor in den erzwungenen Ruhestand entlassen, darf aber dann in Wien weiterdirigieren und bereits im März 1937 singt Maria Reining die Elsa unter dem Dirigat von Knappertsbusch an der Wiener Staatsoper.
    In OPERNWELT wird Maria Reining zu ihren drei künstlerisch erfolgreichen Jahren in München so zitiert:
    »Meine dortige Karriere fand ein ziemlich abruptes Ende, denn ich konnte im nationalsozialistischen Regime nicht arbeiten.«


    Was war da geschehen? Oskar Walleck, der Generalintendant der Bayerischen Staatstheater hatte einen diffamierenden Brief bekommen, in dem zu lesen war, dass Frau Reining eine Liebesbeziehung zu einem jüdischen Arzt in ihrer Heimatstadt unterhält.
    Walleck schaltete umgehend das Innenministerium ein, und die Bayerische Politische Polizei forderte aufgrund dieser ›rassenschänderischen Beziehung‹ entsprechende Konsequenzen; der Sopranistin wurde einen Tag nach ihrer Anhörung gekündigt.
    In einem Forschungsbericht heißt es:


    »Das am Ende des Jahres verhängte Berufsverbot für Reining konnte durch den Einfluss eines gut vernetzten Freundes (und späteren Ehemanns) von Maria Reining wieder rückgängig gemacht werden.«


    Und sie sang auch 1934 sowie 1939 bei den Festspielen in Zoppot, die damals unter dem Begriff ›Bayreuth des Nordens‹ bekannt waren.


    Bei den Salzburger Festspielen - im August 1937 - ist ihr dann unter Arturo Toscanini in den Aufführungen »Die Meistersinger von Nürnberg« die Rolle der Eva anvertraut. Vier Jahre später singt sie mit ihrem alten Kollegen aus Darmstadter Zeit in Salzburg unter Karl Böhm in »Die Zauberflöte«; Peter Anders als Tamino und Maria Reining als Pamina.


    Aber seit 1939 hat sich die Welt gewaltig verändert und in Salzburg herrscht das Grau von Uniformen vor, etwa die Hälfte der Plätze im Festspielhaus war für Soldaten der Wehrmacht reserviert. Im Jahr 1941 konnte man vielleicht noch vom sogenannten ›Endsieg‹ träumen, aber nicht mehr 1944, dennoch nahm der fleißige Reichsrundfunk - neben vielen anderen - auch die Stimmen von Maria Reining und Peter Anders auf. Am Beispiel dieser beiden Künstler wird deutlich, dass es vielen Sängerinnen und Sängern durch Kriegseinwirkungen nicht möglich war eine große internationale Karriere aufzubauen; immerhin gastierte Maria Reining - laut Großem Sängerlexikon - 1938 noch als Elsa in »Lohengrin an der Covent Garden Opera in London.


    Um Maria Reinings Wirken in Salzburg darzustellen, wurde etwas vorausgeeilt; nach ihrem Wiener Debüt als Elsa, stand sie im September 1937 in Wien noch mit Richard Tauber in der »Zauberflöte« auf der Bühne, sie als Pamina und es gab diese Möglichkeit ein weiteres und letztes Mal am 10, Februar 1938.
    Ende Januar und Anfang Februar 1938 sangen Tauber / Reining in Wien noch als Prinz Sou-Chong / Lisa in »Das Land des Lächelns«, wobei Franz Lehár sein Werk selbst dirigierte.


    Im Oktober1938 kommt dann an der Wiener Staatsoper ein neuer Tamino ins Spiel, das war Anton Dermota, mit dem sie an diesem Haus und auch anderswo zusammen sang; erstmals kamen beide als Alfred und Rosalinde in der »Fledermaus« zusammen.
    Dermota schreibt:


    »Später war sie dann als Elvira im ›Don Giovanni‹-Ensemble, war meine Mimi und meine Butterfly. Viele Jahre war ich ihr Hans in der ›Verkauften Braut‹, aber auch ihr unglücklicher Leukippos in der ›Daphne‹, die sie so wunderbar verkörperte. Mit besonderer Wärme denke ich an ihre Pamina, die sie - mit mir als Tamino - auch in Salzburg sang. Sie besaß eine der schönsten, innigsten und ausdrucksvollsten Stimmen, die mir in meiner Sängerlaufbahn begegnet sind. Und sie besaß noch mehr: Demut im Leben und in der Kunst. Und damit hat sie auch ihre Bühnenfiguren geadelt. Sie war die ergreifendste Marschallin im ›Rosenkavalier‹, eine Fürstin Werdenberg von reinstem maria-theresianischen Geblüt, und die überzeugendste Arabella vor Lisa Della Casa.«


    Einen solchen Text kann einem kein faktenorientiertes Lexikon bieten, hier wird fachliches Können mit dem Menschen zusammengebracht. 1938 war auch für die Wiener Staatsoper ein besonderes Jahr, denn sehr bald waren Listen im Umlauf, die auswiesen, wer Jude war, wer mit einer solchen Person verheiratet war oder entsprechende Vorfahren hatte.
    Kurz bevor es hier zu Ende ging, erlebte Maria Reining am 11. Juni 1944 an der Wiener Staatsoper noch einen ganz großen Tag - mit einer Festaufführung von »Ariadne auf Naxos«, bei der sie die Hauptrolle sang, feierte man, bei Anwesenheit des Komponisten, den 80. Geburtstag von Richard Strauss.
    Am 30. Juni 1944, fiel hier der letzte Vorhang, nachdem Knappertsbusch »Götterdämmerung« dirigiert hatte.


    Am 3. Juni 1946 sah und hörte man Maria Reining in der Ersatzspielstätte der ›Volksoper‹ als Contessa Almaviva in »Die Hochzeit des Figaro«, wo Josef Krips dirigierte, der als ›unbelasteter‹ Dirigent wieder arbeiten konnte und den eher kammermusikalischen Musizierstil der Mozartopern prägte.
    Aber schon acht Tage später gab Maria Reining die Desdemona in »Othello« und im gleichen Monat noch die Mimi in »La Bohéme«; nach den Theaterferien folgten die Elisabeth in »Tannhäuser« und Leonore in »Fidelio«.
    Sogar im SPIEGEL war Anfang 1947 zu lesen:
    »Maria Reining als Leonore in ›Fidelio‹ erobert erneut die Herzen der Musikfreunde«;
    da war sie erfolgreich an ihre Fachgrenze gegangen.


    Maria Reining war keine ständig weltweit tätige Sängerin, in der Regel waren ihre Gastspiele auf Europa beschränkt, was sicher auch durch den Zweiten Weltkrieg bedingt war.
    So kam es erst nach dem großen Krieg 1949 zu Gastspielen an der City Centre Opera New York, die damals noch als Sprungbrett für junge Künstler galt, aber das traf natürlich nicht für Frau Reining zu; in New York und an der Oper von Chicago war sie in ihrer Paraderolle - der Marschallin - zu hören, aber auch als Ariadne und Butterfly. Im Jahr 1952 ist in Annalen zu lesen, dass Maria Reining auch am Teatro Colón in Buenos Aires sang.
    Der Freitagabend des 27. April 1951an der Wiener Staatsoper ist noch erwähnenswert, weil Maria Reining hier von einem alten Kollegen aus Darmstadter Zeit getötet wird. Der damals im Wandlungsstadium - vom lyrischen zum heldischen Tenor - befindliche Peter Anders gab in Wien den Othello.
    Bei den Salzburger Festspielen 1953 sang Maria Reining mal wieder die Marschallin im »Rosenkavalier«, wobei es zwischen der Sängerin und dem Dirigenten, Clemens Krauss, bei der Generalprobe zum Eklat gekommen sein soll, was wohl darin begründet war, dass die Gattin des Dirigenten, Viorica Ursuleac, die Partie auch gerne gesungen hätte.


    Ihrem Stammhaus, der Wiener Staatsoper, blieb sie immer eng verbunden. In1956 sind noch drei »Rosenkavalier« - Aufführungen mit ihr verzeichnet, als letzter Auftritt die Rolle der Elisabetta am 18. März 1956 in »Don Carlos«. Insgesamt stand Maria Reining mehr als 600 Mal auf der Bühne der Wiener Staatsoper.


    Maria Reining hatte sich von der Bühne verabschiedet, aber nicht vom Gesang. Ab dem Wintersemester 1962/63 wirkte sie pädagogisch an der Akademie Mozarteum in Salzburg als Professorin für Gesang, eine Tätigkeit, die sie bis 1972 ausübte.


    Aber in der Österreichischen Musikzeitschrift ist 1973 zu lesen, dass die Kammersängerinnen Elisabeth Höngen und Maria Reining beim Hugo-Wolf-Wettbewerb in Wien in der Jury saßen, aber soweit bekannt, waren das dann auch die letzten beruflichen Aktivitäten.


    Wie jeder Mensch, hatte auch die Sängerin Maria Reining ein privates Leben, war verheiratet und hieß dann nach den Akten des Standesamtes Thierfelder.
    Der Theater- und Musikwissenschaftler Richard Bletschacher, der mit der Wiener Staatsoper fast vier Jahrzehnte verbunden war, hat in einem Essay auch etwas über die Kammersängerin Maria Reining geschrieben, das man in dem Buch ›Der Blick aus meinem Fenster‹ auf 17 Seiten lesen kann; als Insider wusste er natürlich mehr, als aus Nachschlagewerken zu erfahren ist, auch über die Gründe der Ehetrennung, aber das muss hier nicht ausgebreitet werden. Bletschacher suchte das Grab der Sängerin, fand es jedoch nicht, Tamino kann hier helfen.


    Über weite Strecken wird die Sängerin als bescheiden beschrieben, so dass man dann etwas verwundert ist, zu erfahren, dass sie sich ein Porsche 356-1300 Cabrio, also ein Gläser-Sondermodell anschaffte, das mit speziellem Leder und Velourteppichen ausgestattet wurde; der allerhöchste Clou war ein Plattenspieler im Armaturenbrett - etwas geradezu Ungeheures in dieser Zeit. Das Fahrzeug kann noch heute im ›Museum Prototyp Hamburg‹ besichtigt werden.


    Als Alterssitz hatte sie das Wohnstift Mozart in Ainring-Mitterfelden gewählt, etwa eine halbe Autostunde sowohl von Salzburg als auch von Bad Reichenhall entfernt.
    Zum 70. Geburtstag von Maria Reining schrieb die ›omz‹:


    »Maria Reining kann nun auch für den eigenen Lebensbereich mit Hofmannsthal-Strauss philosophieren über ›die Zeit, die ein sonderbar Ding ist‹; für uns bleibt sie - fernab von jeglicher Resignation - die Reining, ein Vorbild katexochen für die heutigen Sänger ›ihrer‹ Partien, ein Beispiel aber auch für die Charakterstärke, wie sie nur wenigen, die in der breiten Öffentlichkeit stehen, gegeben ist.


    Praktische Hinweise:
    Friedhof Dornbach, Alszeile 28, 1170 Wien. Vom Haupteingang Alszeile aus wendet man sich gleich nach rechts und befindet sich schon nach wenigen Schritten am Gräberfeld 35,
    wo sich das Familiengrab Reininger befindet.


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  • Zum heutigen Todestag von Hilde Konetzni


    Hilde Konetzni - *21. März 1905 Wien - † 20. April 1980 Wien


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    Das Grab befindet sich ganz in der Nähe der Friedhofskirche


    In diesem besonderen Fall macht es Sinn, den heutigen Todestag von Hilde Konetzni zum Anlass zu nehmen, um auch das einige hundert Meter entfernte Grab der um drei Jahre jüngeren Schwester Anny Konetzni zu besuchen. Der Ursprungsname war eigentlich ›Koneczny‹, aber durch die Wegnahme zweier Buchstaben ist das besser zu kommunizieren.
    Die ältere Schwester, Anny, am 12. März 1902 geboren, hat die Jüngere zum Gesang gebracht, die zunächst sportliche Ambitionen hatte und eine erfolgreiche Schwimmerin war.
    In der Literatur wird das unterschiedlich dargestellt - einmal heißt es, dass Anny die Jüngere zum Gesangsstudium animiert hätte, aber es ist auch zu lesen, dass es Hilde ihrer Schwester aus Ehrgeiz gleichtun wollte.
    Beide Schwestern werden als recht stattliche Bühnenfiguren beschrieben und Anton Dermota fühlte sich wie ein Schatten, wenn er als Octavio zwischen Donna Anna und Donna Elvira im Terzett sang.
    Einig waren sich die beiden Schwestern in ihrer Begeisterung zum ›Anschluss‹ von Österreich, was die Damen - zusammen mit anderen Künstlern - am 7. April 1938 in einer Wiener Zeitung - mit eigenen Worten - kundtaten.


    Bevor auf beide Karrieren getrennt eingegangen wird, soll noch eine Opernvorstellung aus dem Jahr 1929 in Chemnitz zur Sprache kommen, wo in einer »Walküre«-Aufführung die noch studierende Hilde als Sieglinde debütierte und Anny in der gleichen Vorstellung die Brünnhilde sang.



    Hilde Konetzni

    Hilde Konetzni wurde am Neuen Wiener Konservatorium unter anderem von Wala Hess und Rudolf Nilius ausgebildet. Nach ihrem erfolgreichen Auftritt am Chemnitzer Theater, fand sie 1930 ein Engagement am Theater Gablonz, dem heutigen tschechischen Jablonec nad Nisou, damals eine Stadt von etwas mehr als 30.000 Einwohnern. Dort feierte sie als Amelia in Verdis »Ein Maskenball« ein erfolgreiches Debüt, das weitere große Rollen nach sich zog; so war sie bald auch als Leonore in »Fidelio« und Marschallin im »Rosenkavalier« zu hören.


    Das alles hatte sich bis ins etwa hundert Kilometer entfernte Prag herumgesprochen, wo Hilde Konetzni noch bei der böhmischen Sängerin und Gesangspädagogin Ludmilla Prohaska-Neumann weitere Studien absolvierte.
    Im Herbst 1931 trat Hilde Konetzni erstmals am Deutschen Theater in Prag auf, wo sie mit der Leonore in Verdis »Troubadour« überzeugen konnte.
    Bis 1935 sang sie in Prag herausragende Rollen, wie zum Beispiel: die Elisabeth in »Tannhäuser« und »Don Carlos«, die Marie in »Die verkaufte Braut« oder Donna Elvira in »Don Giovanni«.
    Aber Hilde Konetzni wirkte auch in zeitgenössischen Werken mit; so in »Der Kreidekreis«, einer Oper von Zemlinsky und »Lady Macbeth von Mzensk«, einem Werk von Schostakowitsch. Auch bei der Prager deutschsprachigen Erstaufführung von Janáceks »Katja Kabanowa« sang sie 1936 die Titelpartie. Ganz groß heraus kam Hilde Konetzni mit ihrer Gestaltung der Chrysothemis in »Elektra« von Richard Strauss.


    Sie stand zwar mit der Hamburger Oper in Verhandlung, war aber dann schließlich hochzufrieden, dass das Engagement nicht zustande kam, denn fast zeitgleich erreichte sie ein Telegramm aus Wien.
    In einem Rundfunkbeitrag sagt die Sängerin, dass sie zu einer »Tannhäuser«-Vorstellung eingeladen wurde, um an der Wiener Staatsoper die Elisabeth zu singen; gemäß dem Archiv der WSO war das der 5. April 1935. Allerdings ist in diesem Archiv bereits am 2. Dezember 1934 unter dem Dirigat von Josef Krips ein Auftritt als Leonore in »Fidelio« notiert.


    Wie dem auch sei, von 1936 bis 1959 war sie festes Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper und zählte zusammen mit ihrer Schwester zu den Spitzenkräften des Ensembles, was schließlich auch in der Ernennung der Ehrenmitgliedschaft seinen Ausdruck fand.

    Dann löste Operndirektor Karl Böhm die Verträge der beiden Schwestern auf, was bei Anny schwere gesundheitliche Probleme verursachte.
    Um die Wucht dieser Vertragsauflösung nachvollziehen zu können, sollte man darstellen, welchen Status Hilde Konetzni an diesem Haus hatte; der Dirigent Zubin Mehta, erinnert sich seiner Studentenzeit als Stehplatzbesucher der Staatsoper so:


    »Eine Aufführung ist mir besonders in Erinnerung geblieben: ›Walküre‹ mit Hilde Konetzni als Sieglinde. Kaum war der Vorhang nach dem ersten Akt gefallen, hob eine Ovation an, die praktisch nie enden wollte. Das komplette Publikum applaudierte die ganze Pause hindurch - 30 Minuten lang. Ein junger kanadischer Tenor gab an diesem Abend sein Hausdebüt als Siegmund und wähnte sich im Traum: Ständig musste er mit der Konetzni vor den Vorhang. Noch Jahre später sprach er mich auf diese durchklatschte Pause an - und ich konnte nur sagen: ›Tja, das ist Wien.‹ Dieser Tenor war übrigens niemand geringerer als Jon Vickers.«


    Die beiden Schwestern waren ja nicht nur an der Wiener Staatsoper tätig, sondern wirkten auch mehrmals bei den Salzburger Festspielen mit.


    Während ihrer ersten 23 Jahre an der WSO war Hilde Konetzni auch international unterwegs, 1938 gastierte sie bei den Festspielen von Glyndebourne als Donna Elvira und kam an der Covent Garden Oper in London ganz groß heraus, als sie dort unmittelbar nach Absolvierung ihrer Antrittsrolle als Chrysothemis in »Elektra«, für die überraschend erkrankte Lotte Lehmann in der Partie der Marschallin einsprang. Sie sang oft in London und berichte in einem Rundfunkgespräch, dass sie damals schon 15 Mal im Monat von Wien nach London flog, das war schon was in dieser Zeit. 1937 und 1939 unternahm sie mit Marta Krasová, Henk Noort, Joel Berglund und Alexander Kipnis Konzerttourneen durch Nordamerika, die im Zeichen Richard Wagners standen und 82 Konzerte umfasste; sang aber auch in dieser Zeit auch noch an den Opernhäusern von Antwerpen und Zürich.
    In der Literatur findet man den Hinweis, dass die internationale Karriere von Hilde Konetzni mit einem Gastspiel am 28. Mai 1936 begann, als sie die Donna Elvira in Paris sang.


    Kaum war der Zweite Weltkrieg vorbei, sang sie auch schon wieder in der Schweiz, was damals ein verlockendes Reiseziel war; der Passierschein war den kontrollierenden Russen nicht ganz geheuer, also bewies sie mit ihrer Stimme, dass sie als Gesangskünstlerin unterwegs war. Schon 1946 war sie wieder in London, wo sie als Sieglinde auftrat und
    Im Mai 1949 konnte man sie in Paris als Marschallin hören, schließlich ging es geografisch noch weiter fort zum Teatro Colón in Buenos Aires.
    Ein weiteres Highlight in der Karriere von Hilde Konetzni war 1950 die Mitwirkung beim »Ring«-Zyklus an der Mailänder Scala unter der Leitung von Wilhelm Furtwängler.
    Ein Jahr später kehrte sie als Fürstin Jaroslawna in »Prinz Igor« nochmals an die Scala zurück.


    Bereits 1960 singt sie wieder auf der Bühne der Wiener Staatsoper und ist dort bis 1973 tätig, wo für sie am 25. Mai der letzte Vorhang fällt; in Alban Bergs »Lulu« hatte man Hilde Konetzni die Rolle als Garderobiere anvertraut, in der Hauptrolle war Anja Silja zu hören.


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    Anny Konetzni - *12. Dezember 1902 Weißkirchen - † 6. September 1968 Wien


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    Teitausschnitt aus dem Stein


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    Die Gruft-Straße an der linken Begrenzungsmauer des Friedhofs


    Der Geburtsort Weißkirchen heißt heute Bela Crkva und ist eine serbische Kleinstadt an der Grenze zu Rumänien. Ihre Gesangsausbildung absolvierte Anny Konetzni am Wiener Konservatorium und für ihre Ausbildung stehen zwei berühmte Namen, nämlich der dänische Tenor Erik Schmedes und der an der Berliner Musikhochschule lehrende Gesangspädagoge Jacques Stückgold, ebenfalls ein Tenor.


    Da mag es etwas verwundern, zu lesen, dass Anny Konetzni 1923 an der Wiener Volksoper als Choristin begann, jedoch als ›stimmlos‹ entlassen wurde. 1926 hört man sie dann aber an der Wiener Volksoper wieder, diesmal als Solistin im Alt-Fach, mit der Partie des Adriano in Wagners »Rienzi«.
    Das Große Sängerlexikon notiert auch eine denkwürdige Erstaufführung der Oper »Halka« von Stanislaw Moniuszko, in der Anny Konetzni an der Staatsoper als Sofija mitwirkte, aber das war dann doch eher die erste deutschsprachige Aufführung der »Halka« im deutschsprachigen Raum, 1926 an der Volksoper Wien.
    Über das Stadttheater Augsburg führte ihr Weg nach Elberfeld-Barmen, wo sie im Mai 1930 die Titelrolle bei der Uraufführung von Hermann Grabners Oper »Die Richterin« sang, ein Stück, das heute kaum noch jemand kennt.
    Allerdings war Anny Konetzni auch schon ab 1929 am Stadttheater Chemnitz tätig, was oben mit dem gemeinsamen Auftritt der beiden Schwestern bei der »Walküre«-Aufführung erwähnt wurde. In Chemnitz war Anny Konetzni für das hochdramatische Fach zuständig und blieb bis 1931 an diesem Theater.


    Von 1931 bis 1934 war sie dann an der Berliner Staatsoper zu hören, was einen ungeheuren Karrieresprung bedeutet, wenn man von dem verunglückten Start 1923 an der Wiener Volksoper ausgeht. Schon während ihrer Berliner Zeit gastierte sie bereits an anderen großen Häusern, wie der Pariser Oper, in Buenos Aires, an der Mailänder Scala und 1935 in Covent Garden, wo sie unter Thomas Beechams Leitung in Wagners »Ring« die drei Brünnhilden sang.


    Ihr erster Auftritt an der Wiener Staatsoper war am 15. November 1933 als Brünnhilde in »Götterdämmerung« und im gleichen Monat war sie hier nochmals in »Tristan und Isolde« neben Gunnar Graarund, dem ersten Tristan der Schallplattengeschichte, als Isolde zu hören. Ab 1934 als Brünnhilde in »Siegfried«, und dann ab 1935 in tragenden Rollen wie Marschallin, Santuzza, Ariadne, Leonore (Fidelio) ...
    In der Wintersaison 1934 und 1935 war sie am Metropolitan Opera House in New York in einigen Wagner-Rollen zu hören; ihr Debüt an diesem Hause gab sie am zweiten Weihnachtsfeiertag 1934 als Ortrud in »Walküre«, im Januar 1935 folgten Ortrud in »Lohengrin« und Venus in »Tannhäuser«.


    1934 war Anny Konetzni von Direktor Dr. Erwin Kerber, der von 1934 bis 1942 Chef der Wiener Staatsoper und schon ab 1920 Leiter der Salzburger Festspiele war, an das berühmte Wiener Haus engagiert.
    Als logische Folge sang Anny Konetzni Natürlich auch bei den Salzburger Festspielen; 1934 die Isolde in »Tristan und Isolde« sowie die Rezia in »Oberon«, beides unter dem Dirigat von Bruno Walter; die Isolde auch 1935.
    Auch bei den Salzburger Festspielen 1936 wirkte sie mit, diesmal als die »Fidelio«-Leonore unter Toscanini und 1941 war sie unter Knappertsbusch die Marschallin im »Rosenkavalier«.


    Neben Auftritten in New York, London und Paris gab es auch viele Gastauftritte an Stadttheatern und welchen Bekanntheitsgrad Anny Konetzni hatte kommt in einer Tageszeitung vom 2. Mai 1935 zum Ausdruck, wo es heißt:


    »Wie schon mitgeteilt, bringt der 11. Mai ein anderes sehr bemerkenswerte Gastspiel: Anny Konetzni, die Hochdramatische der Staatsoper Unter den Linden, die jetzt von einem längeren Amerika-Gastspiel zurückkehrt, singt die Isolde in Richard Wagners Meisterwerk.«


    Durch den Zweiten Weltkrieg waren auch für Anny Konetzni die Möglichkeiten einer internationalen Karriere stark eingeschränkt, nach dem Krieg war sie dann aber auch wieder in Zürich, Genf und Stockholm zu hören und gehörte an der Wiener Staatsoper weiter zu den tragenden Mitgliedern des Ensembles; 583 Auftritte sind hier verzeichnet, die meisten als Marschallin im »Rosenkavalier«, daneben ragen Isolde, Venus, Leonore (Fidelio) und Ortrud (Lohengrin) heraus.


    Über die Situation der Nachkriegszeit gewährt uns Josef Krips Einblick, der eine Konzertreise in die Schweiz schildert:


    »In Österreich bekam man in den ersten Nachkriegsjahren sehr wenig zu essen. Die Schweizer starteten eine Aktion für Wiener Kinder und sandten einen ganzen Zug voll Lebensmittel nach Wien. Quasi zum Dank gab ich mit Anny Konetzni und Max Lorenz in Luzern, Zürich Konzerte mit Liedern, Arien und Duetten. Ich weiß noch, nachdem wir damals an der Schweizer Grenze in Buchs eingefahren waren, stürzten wir auf das kleine Buffet los. Wir dachten, es sei das Schlaraffenland, was wir dort zusammenaßen, kann man nicht schildern.«


    Von der eingangs schon erwähnten Begeisterung, respektive Werbung, in Sachen ›Anschluss‹ 1938, war nichts mehr geblieben. Wie sich diese Begeisterung damals las, sei hier konkretisiert:
    In der Zeitschrift ›Neues Wiener Journal‹ steht in der Rubrik THEATER UND KUNST unter der Überschrift ›Wiener Künstler zum 10. April‹ - neben anderen bekannten Wiener Künstlern - auch ein zweizeiliger Beitrag von Kammersängerin Anny Konetzni: »Für Großdeutschland, für den Führer, für die deutsche Kunst stimmt ›Ja‹!«


    Später war sie mit dem Dermatologen Professor Dr. Albert Wiedmann verheiratet, der noch zum Kriegsende hin von der Gestapo verhaftet und im März 1945 vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt wurde, aber dann gerade eben noch so davon kam.
    Auch in einem Sängerleben wird nicht nur gesungen, es gibt da einiges zu verkraften, so auch die Entlassung von der Wiener Staatsoper nach fulminanter, weltweiter Karriere, was eine ernste Krankheit nach sich zog.
    Seit 1954 wirkte Anny Konetzi noch für kurze Zeit als Dozentin an der Wiener Musikhochschule, dann ließ der Gesundheitszustand das nicht mehr zu; es war ein bitteres Ende.


    Anny und Hilde Konetzni waren ab der 1930er Jahre vor allem im Wiener Musikleben sehr präsent, aber auch international auf hohem Niveau tätig. Beide besaßen herausragende Stimmen, wobei die ältere Anny als Hochdramatische reüssierte und man bei ihrer Schwester von einem jugendlich-dramatischen Jubelton sprach.


    Praktische Hinweise:
    Das Grab von Hilde Konetzni befindet sich auf dem Zentralfriedhof Wien, Simmeringer Landstraße 234.
    Vom Tor 2 kommend geht man der Hauptachse geradeaus und auf die imposante Friedhofskirche zu.
    Linker Hand der Hauptachse, in Gruppe 32 C befindet sich das Grab.

    Das Grab von Anny Konetzni befindet sich auf dem Evangelischen Friedhof, ebenfalls an der Simmeringer

    Landstraße, aber Nr. 242, links vom Tor 3 des Hauptfriedhofs (historisch Tor 4). Man wendet sich hinter der Kirche nach links, wo man an der Friedhofsmauer das Grab in einer Reihe von Gruft-Gräbern findet.


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    Eingang zum Evangelischen Friedhof

  • Zum heutigen Geburtstag von Wilma Lipp


    Wilma Lipp - *26. April 1925 Wien - † 26. Januar 2019 Inning am Ammersee


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    Im Gräberfeld 40 befinden sich viele Ehrengräber bekannter Künstler



    Wilma Lipp war eine echte Wienerin, in Döbling, im Nordwesten Wiens geboren und in Hietzing, also im Südwesten der Stadt, aufgewachsen. Der Vater war Architekt, ihr musikalischer Vater war Josef Krips.
    Schon weit vor ihrem Abitur, nämlich im Alter von elf Jahren, nahm Wilma Gesangsunterricht; als Lehrer werden Friedel Sindel, Paola Novikova und Toti dal Monte genannt. Während der erstgenannte Name in der Musikwelt weitgehend unbekannt ist, handelt es sich bei den anderen Namen um Sängerinnen von einiger Bedeutung; insbesondere die abschließenden Studien bei der Koloratursopranistin Toti dal Monte in Mailand dürften viel dazu beigetragen haben, dass später die Königin der Nacht scheinbar mühelos bewältigt wurde. Als Leitfigur sollte noch Anna Bahr-Mildenburg erwähnt werden, die vor allem auch noch wertvolle dramatische Tipps geben konnte.


    Die Gesangskarriere von Wilma Lipp begann recht früh, denn schon 1943 stand sie in einer Freilichtaufführung auf dem Heldenplatz ihrer Heimatstadt auf der Bühne, sie bewährte sich als ›Einspringerin‹, Alfred Järger von der Staatsoper hatte das vermittelt, als Alda Noni überraschend ersetzt werden musste. Rossinis »Der Barbier von Sevilla« standen auf dem Programm; nun wurde die Oper mit Wilma Lipp in der Rolle der Rosina aufgeführt.
    Am 25. Oktober des gleichen Jahres gab sie im Schubert-Saal des Wiener Konzerthauses ein Konzert mit der Violinistin Judit Száva.


    1945 erfolgte das Engagement an die Wiener Staatsoper, wobei die Aufführungen an Ausweichquartiere verlagert waren.
    Als Kate Pinkerton stand Wilma Lipp am 26. Juni 1945 erstmals auf der Opernbühne des renommierten Hauses, sie tat das wiederum als ›Einspringerin‹. Im gleichen Jahr folgten: das Ehrenfräulein der Königin in »Martha«, Adele in »Die Fledermaus« und das Taumännchen in »Hänsel und Gretel«.
    Wie sich leicht ausrechnen lässt, waren das Auftritte einer Zwanzigjährigen, das Mädchen war damals also noch nicht Volljährig.
    1946 betrat sie die Bühne als Blondchen in der »Entführung« und rückte dann 1948 zur Konstanze auf. Aber das Jahr 1948 brachte für Wilma Lipp gleich zu Jahresbeginn, am 13. Januar, einen künstlerischen ›Quantensprung‹, der eine Weltberühmtheit nach sich zog.
    Maria Stader hatte abgesagt und Dirigent Josef Krips, der über weite Strecken Mentor von Lipp war, vertraute ihr die Königin der Nacht an und katapultierte sie so an die Weltöffentlichkeit. Tags darauf übernahm Frau Stader wieder die königlichen Koloraturen und Wilma Lipp war wieder Papagena.
    Wilma Lipp war da aber nicht etwa eben mal so eingesprungen, in den Erinnerungen von Josef Krips ist nachzulesen, dass er die junge Sängerin über ein Jahr lang auf diese Partie vorbereitet hatte. Und Krips sagt weiter: »Ich pflegte diese Sänger, wie ein Gärtner seine Blumen und arbeitete mit ihnen intensiv am Klavier.«
    Insgesamt war Wilma Lipp an der Wiener Staatsoper 128 Mal in ihrer Paraderolle zu hören und natürlich auch weltweit, denn sie hatte drei Jahre nach Weltkriegsende gute äußere Bedingungen, wenngleich auch angemerkt werden muss, dass unmittelbar nach Kriegsende für Kartoffeln, Gemüse und Kohlen gesungen wurde, eine Währung, die man sich heute kaum noch vorstellen kann.
    Anton Dermota lobt Wilma Lipp in seinen Memoiren: ›Sie war eine liebenswerte, unkomplizierte Kollegin‹ - und merkt an, dass die Kollegin damals mit einem tüchtigen Fleischhauer verheiratet war, der gute Beziehungen zu nahrhaften Quellen hatte und öfter Künstler zu einem Heurigen einlud.


    Aber in dieser Situation wurde auch unter Josef Krips das legendäre Wiener Mozart-Ensemble geboren und entwickelt; er hatte da die weltbesten Mozart-Interpreten um sich über Wochen versammelt, wenn man nur mal die Namen der Sopranistinnen nennt:
    Maria Cebotari, Gertrude Grob-Prandl, Hilde Güden, Sena Jurinac, Anny und Hilde Konetzni, Emmy Loose, Maria Reining, Elisabeth Schwarzkopf, Irmgard Seefried, Ljuba Welitsch - man konnte kleinste Details immer und immer wieder proben; die äußeren politischen Umstände garantierten, dass die Sängerinnen und Sänger immer zur Verfügung standen. Wilma Lipp sah sich stets als Ensemble-Sängerin, der Star war Mozart.
    Herbert von Karajan hat dann schließlich später dieser Idylle ein Ende bereitet und das Star-Theater eingeführt.


    Aber die Mozartsängerin Lipp kam 1951 auch nach Bayreuth, wo sie mit dem imposanten und rustikalen Hans Knappertsbusch, einem Platzhirsch in Bayreuth, zusammenarbeitete.


    Der Opernsänger Heinrich Pflanzl erinnert sich an eine ›Siegfried‹-Probe in Bayreuth und schildert das so:


    »Wilma Lipp singt den Waldvogel, in Begleitung eines Korrepetitors, irgendwo hoch oben im Bühnenhaus postiert. Natürlich klappt der erste Einsatz nicht, Knappertsbusch unterbricht und brüllt hinauf: ›Welches Rindvieh steht denn da oben? - womit er wohl den Korrepetitor meinte. Mit hoher piepsiger Stimme kommt die Antwort von Wilma Lipp: ›Ich, Herr Professor‹«


    Aber zu diesem Zeitpunkt konnte ihr schon einiges an Selbstbewusstsein zugewachsen sein, denn bis dahin hatte sie sich schon mehrfach als festspieltauglich erwiesen und von 1948 bis 1952 bei den Salzburger Festspielen gesungen; erstmals 1948, als ›Mitzi‹ - die Frau von Josef Krips - eine Vorahnung hatte, dass Erna Berger als Konstanze in Salzburg eventuell nicht zur Verfügung stehen könnte. Krips-Weinlingers Vorahnung trog nicht, Erna Berger musste absagen, weil sie in Australien erkrankt war.
    Somit feierte Wilma Lipp in »Die Entführung aus dem Serail«, ihr Salzburger Debüt am 1. August 1948 als Konstanze an der Seite von Walter Ludwig, der den Belmonte sang.
    1949 war sie als Servilia in Mozarts »La clemenza di Tito« zu hören, aber auch als Königin der Nacht in der »Zauberflöte« unter Furtwängler. Über einen Zeitraum von vier Festspielsommern sang sie hier die Königin der Nacht, 1952 dann unter dem Dirigat von Rudolf Moralt.
    Was in der Rückschau so glänzend ausschaut, war nicht ganz selbstverständlich, da waren schon gewaltige Selbstzweifel gewesen und von der jungen Sängerin ist der Satz überliefert: »Ach, ich geb´ das Ganze auf«, resultierend aus einer »Rigoletto«-Aufführung, wo sie als Gräfin von Ceprano nur ein paar Worte zu singen hatte. Angestellte der Firma ihres Mannes, es war eine Fleischhauerei, waren in der Vorstellung und meinten nachher:
    »Kommen Sie lieber zu uns in die Fleischhauerei und lassen S´ die Oper geh´n, das ist ja doch nichts.« In dieser Situation sprang »Mitzi« der zweifelnden Sängerin zur Seite und hatte am Folgenden großen Anteil. Krips meinte:

    »Wilma Lipp war ein Schützling meiner Frau.«
    Frau Krips-Weinlinger ging mit der jungen Frau auch einkaufen, wenn ein entsprechendes Outfit für einen Liederabend besorgt werden musste.


    Nun wird es aber schwierig, alle berühmten Auftrittsorte von Wilma Lipp zu nennen; Salzburg und Bayreuth wurden bereits erwähnt, die Bregenzer Festspiele 1954 sahen sie als Adele in der »Fledermaus«, 1957 kommt Glyndebourne noch mit hinzu, wo sie als Konstanze auftrat; im gleichen Jahr ist noch die Kopenhagener Mozart-Woche zu erwähnen.
    1949 war sie am Teatro Comunale Florenz und an der Oper von Rom in »Die Entführung aus dem Serail« zu hören.
    Das Gastspiel in Rom war schon etwas ganz Besonderes; fast das gesamte diplomatische Korps und eine erlesene römische und internationale Gesellschaft waren erschienen und die Presse war praktisch einstimmig des Lobes voll.
    Schließlich wurde das gesamte Ensemble in einer Sonderaudienz von Papst Pius XII. empfangen und einzeln vorgestellt Dirigent Krips schildert die Szene so:
    »Etwas ungewöhnlich verlief sein Gespräch mit Wilma Lipp. Sie wurde als Sängerin lyrischer Rollen vorgestellt. Wilma korrigierte aber: ›Nein, ich bin Koloratursopran‹, worauf sich der Heilige Vater eingehender nach dem Unterschied erkundigte.«
    Bereits 1953, also im Alter von 28 Jahren, wurde Wilma Lipp die jüngste Kammersängerin in der Geschichte der Wiener Staatsoper, allerdings gibt es auch zahlreiche Veröffentlichungen, die das Ereignis um zwei Jahre vorverlegen ...


    Wie der ›Online-Merker‹ schreibt, debütierte Wilma Lipp schon 1950 mit einem Liederabend an der Mailänder Scala und sang dort noch im gleichen Jahr die Königin der Nacht und die Marzelline im »Fidelio«, 1962 die Eva in »Die Meistersinger von Nürnberg« und die Euridice in Glucks »Orfeo ed Euridice«. Die Eva bezeichnete Lipp selbst als eine ihrer Grenzpartien, denn im Prinzip hatte sie immer darauf geachtet im Bereich ihrer stimmlichen Möglichkeiten zu bleiben; als sie mal von Karajan gefragt wurde ob sie unter ihm die Kaiserin singen möchte, lehnte sie dankend ab und meinte: »das war nun wirklich nicht mein Fach«.
    Als Wilma Lipp am 8. Mai 1968 in einer Ostberliner Premierenvorstellung die Eva sang, soll das Publikum ob ihrer minderen Leistung ziemlich ungehalten gewesen sein.


    Etwa Mitte der 1950er Jahre begann Wilma Lipp damit nicht nur das Koloratur-Repertoire zu singen, sondern sich stimmlich weiter zu orientieren. Ende 1956 sang sie ihre letzte Königin der Nacht auf der Opernbühne; zwei Monate später ihre erste Pamina, Mimi Coertse war an der Wiener Staatsoper zur Königin geworden. Bruno Walter hatte die Absicht Wilma Lipp als Pamina an die »Met« zu bringen, aber die geplante Produktion kam dann nicht zustande.


    Dennoch kam es zum Sprung übers große Wasser; schon 1953 gab sie ein erstes Gastspiel in Rio de Janeiro. 1962 folgte ihr US-Debüt, wo sie als Micaela, Sophie, Alice Ford und als Nedda an der Oper von San Francisco ihre Auftritte hatte. Am Teatro Colón in Buenos Aires war Wilma Lipp 1963 als Mozartsängerin gefragt.


    Unbedingt erwähnenswert sind ihre Aktivitäten als Konzertsängerin, sowohl auf Tourneen in USA als auch in Südamerika und selbstverständlich im Musikvereinssaal Wien, wo sie oft mit Beethovens Neunter, der Missa Solemnis, mit Passionen von Bach und Mozart-Messen zu hören war. Diese Wiener Auftritte wurden von einigen kritisch gesehen, weil die Sängerin in diesen Jahren mit Rudolf Gamsjäger, dem damaligen Chef des Musikvereins, verheiratet war, der dann auch ab 1972 für vier Jahre Leiter die Wiener Staatsoper leitete.


    Wilma Lipps Königin der Nacht blieb der Nachwelt in vielerlei Form erhalten; in Aufnahmen, die von Furtwängler, Karajan, Böhm und Keilbert dirigiert werden, ist ihre königliche Stimme verewigt. Aber Kenner schätzen auch eine bereits 1950 entstandene Decca-Aufnahme, mit Clemens Krauss und den Wiener Philharmonikern, wo Wilma Lipp die Adele singt.
    Aber - um nur ein Beispiel zu nennen - sie wirkte auch 1959 in der deutschen Erstaufführung von Leos
    Janáceks selten gespielter Oper »Die Ausflüge des Herrn Broucek« mit und unter dem Dirigat von Joseph Keilberth gleich drei verschiedene Rollen sang.


    Anfang der 1970er Jahre begann Wilma Lipp sich langsam von der Bühne zurückzuziehen, um sich für fast zwei Jahrzehnte pädagogischen Aufgaben am Mozarteum Salzburg zu widmen, wo zum Beispiel so renommierte Sängerinnen wie Kathleen Casello, Iride Martinez und Birgit Steinberger ihre Schülerinnen waren.


    An der Wiener Staatsoper stand sie in 1.140 Aufführungen und insgesamt 51 Partien auf der Bühne; Experten schätzen weltweit etwa 2500 Auftritte, eine kaum vorstellbare Leistung.
    Am 5. Juni 1981 dann der endgültige Abschied von der Bühne der Wiener Staatsoper, man gab »Der Rosenkavalier« und Wilma Lipp hatte die Rolle der Jungfer Marianne Leitmetzerin übernommen, die Marschallin sang an diesem Abend Leonie Rysanek.


    Aber die Besucher der Salzburger Festspiele konnten im Sommer 1983 Wilma Lipp nochmals als Jungfer Marianne Leitmetzerin erleben, letztmals am 29. August.


    Staatsoperndirektor Dominique Meyer brachte es bei der Trauerfeier am 26. Januar 2019 auf den Punkt:


    »Wilma Lipp hat hingebungsvoll vorgelebt, wie man als festes Mitglied an einem Haus künstlerisch aufblühen und parallel dazu eine internationale Karriere aufbauen kann. Wir verneigen uns in Dankbarkeit und Demut vor Wilma Lipp, die vier Staatsopernjahrzehnte künstlerisch vergoldet hat.«


    Praktische Hinweise:
    Das Grab von Wilma Lipp befindet sich auf dem Zentralfriedhof Wien, Simmeringer Landstraße 234.
    Vom Tor 2 kommend geht man der Hauptachse geradeaus und auf die imposante Friedhofskirche zu und biegt zwischen den Gräberfeldern 32C und 14C links ab und erreicht nach 500 Metern das Gräberfeld 40; die Gesamtstrecke beträgt vom Haupttor aus knapp tausend Meter.

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  • Karl Gentner - *23. Mai 1876 Frankenthal - † 13. September 1929 Berlin


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    Zum heutigen Geburtstag von Karl Gentner


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    Im April 2014, also vor zehn Jahren, wurde das Grab der Sängerin Else Gentner-Fischer, die an der langjährigen Stätte ihres künstlerischen Wirkens - in Frankfurt am Main - ruht, hier eingestellt; heute ist der Geburtstag ihres ersten Mannes, der ebenfalls an der Frankfurter Oper sang, wo sich beide nicht nur beruflich näher kamen; 1905 hatten sie geheiratet.
    Else Gentner-Fischer war in der Opernwelt eine weitaus bekanntere Persönlichkeit mit größerer Karriere als ihr relativ früh verstorbener erster Mann.


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    Karl Gentner wurde in Frankenthal, etwa eine viertel Autostunde von Ludwigshafen am Rhein entfernt, geboren, der Ort zählte damals etwa 10.000 Einwohner, war aber der Geburtsort zweier Sänger, die in der Opernwelt einen guten Namen hatten; der andere war Carl Perron, bereits 1858 geboren - er sang in Dresden bei der Uraufführung des »Rosenkavalier« den Ochs von Lerchenau. Beide betrieben die Entwicklung ihrer Stimmen unter anderem auch bei dem berühmten Bariton Julius Stockhausen.


    Der Vater von Karl Gentner war Mechaniker, wie auf dem Grabstein vermerkt ist, und muss ein findiger Mann gewesen sein, denn er hatte 1899 ein technisches Patent in USA angemeldet. Dass Karl Gentner ans Frankfurter Opernhaus engagiert wurde, ist beachtlich, denn man verfügte dort mit der Sopranistin Elsa Hensel-Schweitzer, dem Heldentenor Ejnar Forchhammer, dem Tenorbuffo Hermann Schramm, den Baritonen Richard Breitenfeld und Robert vom Scheidt über ein ganz beachtliches Ensemble und an ein so hochgerühmtes Haus kamen zur Maienzeit auch stets erstrangige Gäste wie Frieda Hempel, Hermine Bosetti, Edith Walker, Schumann-Heink, Hermann Jodlowker, Paul Knüpfer, John Forsell, Anton van Rooy, Georges Baklanoff und sogar Enrico Caruso sang hier.


    Es war damals schon eine Auszeichnung, auf der Frankfurter Opernbühne zu stehen, wo Ludwig Rottenberg den Taktstock schwang und Paul Hindemith als Bratschist im Orchestergraben mitwirkte.


    Karl Gentner kam 1903 an die Frankfurter Oper, wo er Als Titelheld in »Joseph« von Étienne-Nicolas Méhul debütierte. Anfänglich folgten lyrische Rollen wie der Tamino in der »Zauberflöte«, dem Belmonte in der »Entführung aus dem Serail«, dem Narraboth in »Salome« von Richard Strauss oder dem Faust in Charles Gounods Oper.
    Dann ging es weiter mit tragenden Rollen - in »Lohengrin«, als Titelheld, als José in »Carmen«, als Walther von Stolzing in »Die Meistersinger von Nürnberg« und als Max im »Freischütz«.


    Karl Gentner war auch an einigen bedeutenden Ur- und Erstaufführungen beteiligt, denn heute weltbekannte Opern von Puccini wie »Tosca« oder »Madame Butterfly« waren ja erst 1900 und 1904 entstanden und somit als Erstaufführungen in Deutschland ein Ereignis.
    In Frankfurt sang Gentner 1908 erstmals in Deutschland den Pinkerton und 1909 den Cvaradossi.
    Schon 1907 hatte Gentner bei der Uraufführung von Julius Bittners Oper »Die rote Gret«, ein Werk, das heute fast vergessen ist, mitgewirkt. Als am 8. August 1912 Franz Schrekers Oper »Der ferne Klang« am Frankfurter Opernhaus uraufgeführt wurde, sang Karl Gentner die anspruchsvolle Rolle des Opernkomponisten Fritz, dieses Stück war erst vor fünf Jahren wieder in Frankfurt zu hören.
    Auch am 15. März 1913 sang er in einer weiteren Uraufführung einer Schreker-Oper, es war »Das Spielwerk und die Prinzessin«, hier war es eine Besonderheit, dass Schrekers Werk am gleichen Tag auch in Wien aufgeführt wurde, wo es allerdings vom Publikum nicht anerkannt wurde.


    1915 folgte Karl Gentner einem Ruf an die Deutsche Oper Berlin, wo er 1918 bei der Uraufführung der weitgehend vergessenen Oper »Die Hügelmühle« von Friedrich Koch teilnahm. Das Große Sängerlexikon berichtet, dass Karl Gentner in den folgenden Jahren oft an der Münchner Hofoper gastierte, und dort ist auch zu lesen, dass es von Gentner nur zwei Liedaufnahmen auf Schallplatte gibt, eine andere Quelle nennt drei.


    In der Schrift »Frankenthal einst und jetzt« aus dem Jahr 1963, Heft 2, schildert der Autor Walter Knögel das Leben des Sängers, wobei Knögel schreibt, dass ihm Gentners Tätigkeit am Frankfurter Opernhaus noch in lebendiger Erinnerung steht, und er beschreibt die Stimme und das Wesen des Sängers so:


    »Er besaß aber auch ein Organ, das aufhorchen ließ: einen warmen, technisch fundierten Tenor mit baritonalem Beiklang. Kein im üblichen Sinne sieghaft strahlender Tenor, vielmehr eine Stimme, deren Besonderheit gerade in dieser merkwürdig tenoral-baritonalen Mischung lag, so, wie sie, den Berichten nach, offenbar Michael Vogl, dem ersten großen Interpreten Schubert´scher Lieder, eigen war. Dazu trat eine starke darstellerische Begabung, die, ebenso wie die Stimme, ihre Grundlage in der Wärme des Empfindens hatte.«


    Knögel meint, dass Gentners Lohengrin der Höhepunkt seiner künstlerischen Laufbahn gewesen sei, zieht aber sein persönliches Renommee bezüglich des künstlerischen Wirkens Gentners an der Frankfurter Oper so, dass in der Erinnerung zwei Rollen besonders im Gedächtnis haften, die an sich gar nicht irgendwie bedeutungsvoll sind, aber ihrer Art nach die künstlerische Individualität Karl Gentners prägnant erschlossen:


    »der Walter von der Vogelweide im Tannhäuser Richard Wagners und der Josef im Méhuls schöner und leider fast völlig vergessenen Oper ›Josef und seine Brüder‹. In der ersten, der sogenannten Dresdener Fassung des ›Tannhäuser‹ singt Walther in dem Sängerwettstreit ein kurzes Lied, das in der ›Pariser Fassung‹ weggefallen ist - man kann dieses Lied nicht inniger und ergreifender singen wie Karl Gentner es tat. Und der Josef, den Gentner sang, lebt völlig von der samtenen Farbe einer halbbaritonalen Kantilene, deren Linien schlicht und naturhaft nahe gezogen waren.«


    Praktischer Hinweis:
    Man findet das Grab auf dem Hauptfriedhof, Wormser Straße 92, in 67227 Frankenthal.
    Amtlich wird die Grablage mit II,2, außen Ost bezeichnet.
    Es ist etwa 250 Meter vom Friedhofsparkplatz entfernt. Man geht an der Trauerhalle rechts vorbei und dann noch etwa 150 Meter geradeaus und wendet sich nach links, wo die Trophäe auf dem Stein herausragt und den Weg weist.


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  • Hermann Scherchen - *21 Juni 1891 Berlin - † 12. Juni 1966 Florenz


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    Zum heutigen Todestag von Hermann Scherchen


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    Dass Hermann Scherchen in der Regel eher als schwieriger Mensch bekannt geworden ist und von so bedeutenden Persönlichkeiten wie Ernst Krenek oder Elias Canetti in äußerst negativer Art beschrieben wird, hat seinen Grund mit großer Wahrscheinlichkeit in der äußerst harten Jugend, die in der Literatur mit ›In kleinen, engen Verhältnissen‹ und ›dem eisernen Zwang ärgster wirtschaftlicher Not‹ beschrieben wird. Das kleine Kind wird das noch nicht so sehr empfunden haben.


    Der Musikwissenschaftler Dr. Adolf Aber kann als seriöse Quelle gelten, wenn es um die Kindheit von Hermann Scherchen geht, die er so beschreibt:


    »Niemand im elterlichen Hause hatte Sinn für die musikalische Begabung des Knaben, die sich schon im frühesten Kindesalter zeigte. Nur eine Scheuermagd nahm sich zuweilen seiner an, sang ihm Volkslieder vor und freute sich, wenn das Kind die Melodien nachsingen und im Gedächtnis behalten konnte. Bald hatte sich der damals Fünfjährige aus Gespielen von der Straße seinen kleinen ›Chor‹ gebildet, dem er das von der Magd Erlernte sorgsam eintrichterte; und nicht wenig stolz war der kleine Dirigent, als er mit seiner ›Kurrende‹ singend durch die Straßen zog und so seine ersten Erfolge errang. Der kostbare Lohn für diese kindliche Musizierfreudigkeit war eine kleine Geige, die der Vater dem jüngsten Musikus schenkte. Auf diesem Instrument machte der Knabe seine ersten ernsteren Studien, größtenteils als Autodidakt, zum Teil auch als Schüler eines jener betrüblichen Berliner ›Hof‹-Konservatorien (›Quergebäude im 2. Hof links, 4Treppen‹.«


    Da gibt es jedoch auch ganz andere Darstellungen, wo es heißt: »Nach frühem Geigenunterricht als Kind studierte Scherchen an der Berliner Musikhochschule.«


    Nach dem Besuch der Realschule begann allerdings für Hermann Scherchen der volle Ernst des Lebens; weil der Vater gestorben war, musste der noch recht junge Mann Geld nach Hause bringen, das er zunächst als Geiger im Caféhaus und als Aushilfsmusiker in verschiedenen Berliner Orchestern verdiente. Als 1907 in Berlin das Blüthner-Orchester, welches sich ab 1925 Berliner Symphonie-Orchester nannte, gegründet wurde, war der Bratschist Hermann Scherchen dabei.
    Seine weitere Bildung erwarb er als Autodidakt und nutzte dafür eisern jede mögliche Minute und kratzte Pfennige zusammen, um an entsprechende Literatur zu kommen. Es ist überliefert, dass Scherchen während des Musizierens in Berliner Nachtcafés nebenbei noch philosophische Schriften las.


    1912 trat Scherchen erstmals während der Uraufführungstournee von Arnold Schönbergs Melodram »Pierrot lunaire« öffentlich als Dirigent in Erscheinung. Seine erste Festanstellung als Kapellmeister erfolgte zwei Jahre später in Jūrmala, beziehungsweise Dubbeln, der Badeküste bei Riga, um genau zu sein - er war dort im Sommer 1914 zweiter Kapellmeister.
    Durch den Beginn des Ersten Weltkrieges waren die Zeiten unruhig geworden und der 23-jährige frischgebackene Kapellmeister war unversehens als Zivilgefangener in einem russischen Internierungslager in Vjatka am Ural gelandet.
    Er konnte sich dort musikalisch betätigen und mit der Sprache und Kultur befassen, und nutze diese Zeit zu intensiver Weiterbildung. In dem 1984 erschienenen Buch »Aus meinem Leben Rußland in jenen Jahren« ist das dokumentiert; im Winter und Frühjahr 1918 gelangte er nach abenteuerlicher Flucht über St. Petersburg wieder nach Berlin.


    1918 übersetzte er das Arbeiterlied ›Brüder, zur Sonne, zur Freiheit‹ vom Russischen ins Deutsche; seine Begeisterung für die russische Revolution hatte noch Spätfolgen als er Jahrzehnte später in der Schweiz tätig war und von der Fremdenpolizei beobachtet wurde.
    Wieder nach Berlin zurückgekehrt, lebte eine alte Bekanntschaft wieder auf, was zu einer kurzfristigen Ehe führte. Am 22. April 1919 heirateten Paula Rettich und Hermann Scherchen; aber die Ehe wurde schon am 19. November 1920 wieder geschieden. Paula Rettich war vermögend und gewährte finanzielle Unterstützung für Scherchens erste Konzerte mit den Berliner Philharmonikern. Während dieser 18-monatigen Ehe war Scherchen der Stiefvater von Karl Ristenpart geworden; bereits 1913 beeindruckte den 13-jährigen Jungen ein von Scherchen geleitetes Konzert, bei dem Schönberg und Mahler dargeboten wurde so stark, dass er beschloss auch Dirigent zu werden, was ihm bekanntlich auch vorzüglich gelang. Vom Sohn, Holger Ristenpart, weiß man aber, dass das Verhältnis nicht gut war: ›Mein Vater hat ihn nicht gemocht, weil er als Mensch unzugänglich und unzulänglich war.‹


    1933 gab es für Scherchen Auftrittsabsagen aus Nürnberg und München, was mit der nationalsozialistischen Kulturpolitik zu tun hatte. Scherchen hatte in diesem Jahr aber viel mit der Planung seiner »Musikalisch-Dramatischen Arbeitstagung« in Strasbourg zu tun, die ursprünglich in Riva San Vitale stattfinden sollte, aber Strasbourg bot so günstige Konditionen, dass Scherchen nicht ablehnen konnte; zwischen 1933 und 1938 hält Scherchen solche Tagungen auch in Paris, Brüssel, Genf, Budapest und Braunwald (Kanton Glarus) - meist in Verbindung mit einem Dirigierkurs - ab.


    Aber das eilt den Ereignissen weit voraus; nach Deutschland zurückgekehrt, gründete er in Berlin das »Scherchen-Quartett«, im Februar 1920 die Musikzeitschrift »Melos«, auch diese Idee hatte er aus Russland mitgebracht, das Haupanliegen der Zeitschrift war die Förderung der modernen Musik. Gleichzeitig war Scherchen Leiter von Arbeiterchören und hielt Vorlesungen an der Musikhochschule; auch als Mitbegründer der »Neuen Musikgesellschaft Berlin« muss man seinen Namen nennen.
    Scherchens Workaholismus war sehr ausgeprägt und von seiner engeren Umgebung gefürchtet.
    Rolf Liebermann war 1937/38 eine Zeitlang Scherchens Sekretär und schreibt:


    »Weil der Dirigent mit nur zwei oder drei Stunden Schlaf am Tag auskam, gab es da kaum eine Atempause; ich streichelte die Lokomotive, wenn er wegfuhr, um irgendwo ein Konzert zu geben, jetzt kam ich endlich mal ins Bett.«


    Scherchens Arbeit bei »Melos« währte aber nur ein Jahr, dann wurde er als Dirigent des Grotrian-Steinweg-Orchesters nach Leipzig berufen.
    Scherchen traf hier auf ein neu zusammengestelltes Orchester mit nicht hoher Qualität, hatte aber dennoch die Hoffnung, dass trotz der schwierigen Ausgangslage etwas aus dem Klangkörper herauszuholen wäre - aus drei geplanten Proben wurden dann eben fünf.


    Aber Scherchen war auch in Frankfurt am Main gefragt, wo er - 1922-1934 - Leiter der Museumskonzerte der Frankfurter Musikgesellschaft wurde und damit Nachfolger von Wilhelm Furtwängler war.
    In Frankfurt traf Scherchen erstmals mit dem Schweizer Mäzen Werner Reinhart zusammen, die Begegnung war nicht zufällig, Ernst Georg Wolff hatte das arrangiert. Reinhart hatte an Scherchen geschrieben: »Können wir Sie einladen zu einem Konzert nach Winterthur?
    Wir sind aber nur ein kleines Orchester, wir sind nur 28 Mann. Davon sind acht Herren Dilettanten, ich selbst blase Klarinette.«
    Es war ja in Musikerkreisen bekannt, dass sich Scherchen besonders für zeitgenössische Musik engagiert, was man dem Programm seines ersten Gastspiels - mit verstärktem Orchester - in Winterthur jedoch nicht ansah; auf dem Programm standen:
    Mozarts »Serenata notturna« KV 239, »Sechs deutsche Tänze für Orchester« von Ludwig van Beethoven, Johann Sebastian Bachs E-Dur-Violinkonzert BWV 1042 und Anton Bruckners 6. Sinfonie.
    Als Kontrastprogramm bot Scherchen allerdings zwei Tage später einen Einführungsvortrag ins Werk von Arnold Schönberg im Hinblick auf die Aufführung von Schönbergs »Pierrot lunaire« unter Leitung des Komponisten am 30. November.


    Mit Reinhart und Scherchen standen sich zwei Personen gegenüber, wie man sie sich unterschiedlicher kaum denken kann; Reinhart war nur sieben Jahre älter, aber ein äußerst zurückhaltender und liebenswürdiger Mensch. Was die beiden Männer eng verbindet, ist das Interesse an zeitgenössischer Musik. Ein umfangreicher Briefwechsel, der etwa 500 Briefe erfasst, lässt diese innige Verbindung deutlich werden.


    In Ernst Kreneks Biografie ›Im Atem der Zeit‹ kommt der Kontrast voll zur Geltung, er schreibt:


    »Das Orchester, das sich mit jedem Orchester der Metropolen Europas messen konnte, stand damals unter der Leitung von Hermann Scherchen, von dem ich bereits berichtet habe. Der rüpelhafte, rohe Proletarier aus Berlin schien in die kultivierte und exquisite und zugleich etwas verschlafene und extrem bürgerliche schweizerische Kleinstadtatmosphäre hineinzupassen wie der Elefant in den Porzellanladen. Es war recht erstaunlich, dass sich Werner Reinhart, der überkorrekte Gentleman, mit den Launen dieses ungehobelten Kerls abfand, der die Badezimmer mit Abfällen übersäte, die Möbel ruinierte, zu den Bediensteten grob undunhöflich war und in punkto Bedienung und Gage große Ansprüche hatte.«


    Nun wird Scherchen in Königsberg tätig. Zum 1. September 1928 gelingt es den im Reich bestbekannten Dirigenten Hermann Scherchen als musikalischen Oberleiter zu gewinnen. Hermann Scherchen geht als Sieger aus einem im Rahmen der Königsberger Sinfonie-Konzerte veranstalteten Dirigenten-Wettbewerbe hervor. Dabei ist die Gründung eines weiteren Orchesters in Königsberg unter den Fittichen des Rundfunks aus vielen Gründen umstritten. Zu groß ist die Sorge, der neue Klangkörper könnte dem Orchester des Stadttheaters unliebsame Konkurrenz machen. Der Vertrag mit Scherchen wird zunächst für ein Jahr abgeschlossen und dann bis zum 31. August 1931 verlängert. Die Berufung Scherchens wird als Signal gesehen. Viele Komponisten, unter ihnen Kurt Weill, sehen in Scherchen das längst ersehnte Zeichen für die Neubewertung der Musik im noch jungen Rundfunk. 1929 wird Scherchen Generalmusikdirektor für die Musikabteilung am Königsberger Ostmarkenrundfunk.


    Kurt Weill wird immer wieder die ungemein fruchtbare Tätigkeit Hermann Scherchens am Königsberger Sender betonen. Scherchens Arbeit gilt als Beispiel einer gesunden Pflege neuer Musik, an dem die übrigen Sender nicht vorüber gehen können.
    Aber auch Scherchen kommt nicht darum herum, das Profil des neuen Königsberger Rundfunk-Orchesters zunächst einmal zwischen Kurorchester und sinfonischem Klangkörper anzusiedeln.


    1929 erschien auch Scherchens Buch »Lehrbuch des Dirigierens«, das bei vielen Komponisten und Dirigenten mitunter sogar begeisterte Aufnahme fand; Arnold Schönberg und Dimitri Mitropoulos lobten das Werk; noch 1950 dachte Scherchen an eine Fortsetzung, die jedoch nicht zustande kam.
    Der ausgezeichnete Scherchen-Kenner und Musikwissenschaftler Hansjörg Pauli meint, dass Hermann Scherchen aufgrund seines nachdrücklichen Einsatzes für neue Musik und seiner politischen Einstellung bereits vor 1933 diffamiert wurde.


    Im Frühjahr 1933 lässt sich Scherchen dauerhaft in der Schweiz nieder, was er jedoch nach eigener Aussage nicht als Exil versteht.


    Fred K. Prieberg berichtet: »1939 hatte Furtwängler in Winterthur beim Musikkollegium gastiert und natürlich auch den dort weilenden Kollegen Scherchen getroffen. In kaum glaublicher Naivität lud Furtwängler Scherchen dazu ein mit ihm die Philharmonischen Konzerte in Berlin zu teilen.«
    Eigentlich war Scherchen von Aufführungsmöglichkeiten in Deutschland abgeschnitten und ihm blieben neben der Schweiz nur noch Italien, Frankreich und England.


    In den 1930er und 1940er Jahren waren in Winterthur - auf eine Anregung Reinharts - wieder verstärkt Komponisten des 18. Jahrhunderts zu hören.
    Im September 1935 beklagte Scherchen in einem vierseitigen Brief an Reinhart, dass die neue Musik zwar noch reichlich gespielt, aber kaum mehr gedruckt werde. Dem wollte Scherchen mit der Gründung eines Verlags für neue Musik entgegenwirken.
    Es sollte etwas werden was über »Melos« weit hinaus ging, aber Reinhart war in diesem Falle zögerlich bis ablehnend und unterstützte die neue - viersprachige - Zeitung lediglich mit einem Geldbetrag von 400 Franken. Im April 1936 brachte die »Musica-Viva«-Redaktion tatsächlich die erste Nummer an die Öffentlichkeit, aber bereits nach dem dritten Heft war vorerst Schluss.


    Fünf Jahre Später, im Herbst 1943, gründet Scherchen das »Musica-Viva-Orchester« und konnte Reinhart auch von einer erfolgreichen ›Feuertaufe‹ berichten, aber auch diese Sache hatte nicht lange Bestand.
    Nach dem Krieg war Scherchen von 1945 bis 1950 musikalischer Leiter beim Radioorchester Zürich, das später in Radioorchester Beromünster umbenannt wurde. Diese Berufung schlug bei einer Generalversammlung des Schweizerischen Tonkünstlervereins hohe Wellen, denn man war hier der Meinung, dass für die Leitung eines Schweizerischen Radio-Orchesters grundsätzlich nur ein Schweizer infrage kommen könne.
    1950 zwangen ihn Angriffe wegen seines Auftretens bei dem Musikfestival »Prager Frühling« zur Aufgabe seiner Dirigententätigkeiten in Zürich und Winterthur.


    1954 zog Scherchen mit Pia Andronescu, seiner jungen Frau, eine Mathematikerin, die ihn um zwei Jahre überlebte, nach Gravesano, das seinerzeit ein abgelegenes kleines und unscheinbares Tessiner Dorf war und etwa 200 Einwohner hatte. Die Scherchens waren dort sogar ohne eigenen Telefonanschluss. Inzwischen ist das ein gänzlich anderer Ort.
    Der Dirigent erwarb am Ortsrand ein großes bäuerliches Anwesen mit Stallungen, Garten, Weinberg und Kastanienwald.
    Direkt an das vorhandene Haus angrenzend wurden nun drei Studios gebaut:
    ein Aufnahmestudio, ein kleiner schalltoter Raum und ein Technikraum. In den ehemaligen Viehställen wurden vier Nachhallräume eingerichtet. Alle Studios hatten ungerade Wände und asymmetrische Grundrisse. Die Akustik wurde durch an den Wänden angebrachten Pferdedecken, Teppichen und Eierkartons beeinflusst.


    Über all die Aktivitäten kann man in den Gravesaner Blättern nachlesen, die von 1955 bis zum Tode von Hermann Scherchen herausgegeben wurden; insgesamt sind 29 Nummern erschienen.
    Als Hermann Scherchen starb, ging ein prall gefülltes Leben zu Ende, das im Rahmen eines Grabbesuches nur rudimentär dargestellt werden kann. Der Schweizer Musikwissenschaftler Hansjörg Pauli schrieb einmal über Scherchen: »Er war ein Renaissancemensch, ein Enzyklopädist - ein Musiker, der in alle Bereiche des Musikmachens hineinwirkte, von der Produktion bis zur Rezeption.« Im privaten Bereich ist über fünf oder gar sechs Ehen zu berichten, in der Literatur findet man unterschiedliche Zahlen; seine Ehe mit Pia Andronescu, mit der er fünf seiner neun Kinder hatte, bezeichnete Scherchen als Beginn seines ›zweiten Lebens‹.
    Elias Canetti porträtiert den Dirigenten in seinem Buch »Das Augenspiel« auf 43 Seiten recht unvorteilhaft; er schreibt zwar aus eigener Anschauung heraus, kann aber zu dieser Zeit nicht Scherchens ganzes Leben überblicken.


    Natürlich dirigierte Scherchen schon 1926 bei den Donaueschinger Musiktagen und hatte etwa 200 Uraufführungen ins Leben geholfen, woraus resultiert, dass man ihn vor allem als einen Propagandisten radikal-moderner Werke sieht. Weniger bekannt ist aber, dass er sich bei all seiner Hyperaktivität noch Stunden abspart, um sich in der Leipziger Thomaskirche vom jungen Günther Ramin älteste Orgelliteratur vorspielen zu lassen.


    Am 7. Juni 1966, bei der Aufführung von Gian Francesco Malipieros »L ´Orfeide« im Teatro della Pergola Florence, erlitt Hermann Scherchen einen Herzinfarkt und verstarb am 12. Juni. Auf seinem Grabstein befinden sich die Anfangsnoten von Bachs Fugenkunst.


    Praktischer Hinweis:
    Das Grab befindet sich in 6929 Gravesano (Schweiz), Cimitero die Gravesano,
    Via S. Pietro 4. Man geht vom Haupteingang aus zur gegenüberliegenden Begrenzungsmauer und findet das Grab in einer Ecksituation.


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    Der Glockenturm weist den Weg zum Friedhof, wegen Bauarbeiten war kein besseres Foto möglich.

  • Vielen Dank für diesen schönen Bericht, werter Kollege hart.


    Ich habe ihn mit großem Interesse gelesen.


    Grüße

    Apollon :hello:

  • Den Worten Apollons schließe ich mich gerne an.


    Ich habe viel neues über Hermann Scherchen erfahren.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Leoš Janáček - *3. Juli 1854 Hukvaldy - † 12. August 1928 Mährisch-Ostrau


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    In den von Eduard Milén entworfenen Grabstein sind Texte aus Janáčeks Männerchor ›Potulný šílenec‹ eingraviert. Janáček war von Tagore begeistert und bediente sich aus der Gedichtsammlung ›Der Gärtner‹.
    Im Herbst 1922 vollendete Janáček das etwa fünfminütige Stück ›Des Narren Irrfahrt‹ für Männerstimmen und Sopransolo, das zu den außergewöhnlichsten Werken der Chorliteratur gehört.


    Zum heutigen Todestag von Leoš Janáček


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    Dem Vater und Dorfschullehrer Jiři Janácek und seiner Frau Amalié wurde am 3. Juli 1854 ihr neuntes von insgesamt 14 Kindern geboren, es war ein Sohn, den sie als Leo Eugen Janacek ins Taufregister eintragen ließen, denn die Amtssprache war Deutsch und in einer Publikation, die diese Zeit beschreibt, ist zu lesen:
    ›man spricht, schreibt, lehrt, liest und atmet deutsch.‹ Seit 1787 war eine höhere Schulbildung ohne deutsche Sprache undenkbar. So wurde auch aus der 600-Seelen-Gemeinde Hukvaldy, dem Geburtsort Janáčeks, das eingedeutschte Hochwald; der Ort liegt im Nordosten von Mähren.


    Die Wohnverhältnisse der Eltern sind nicht komfortabel, man wohnt mit den vielen Kindern ziemlich beengt im Schulhaus und alle Kinder des Dorfes werden in einem Raum unterrichtet. Die Musikerziehung durch den Vater war streng, schon der Achtjährige wird von seinem Vater traktiert, wenn ›Leošku‹ - so sein familieninterner Name - am Klavier Beethoven-Sonaten übt.


    Musikalisch zeichnet sich der kleine Leoš durch seinen schönen Knabensopran aus. Dieses Talent ermöglicht den Eltern, einen Esser aus der Kinderschar auszugliedern. Mit elf Jahren schickt man Leoš nach Brünn, etwa 160 Kilometer von seinem Elternhaus entfernt, wo ihm im Augustinerkloster nicht nur Verpflegung und Unterkunft sicher ist, sondern auch eine weiterführende Schulausbildung sowie Instrumental- und Gesangsstunden.
    Das Augustinerstift in Brünn ist eines der besten seiner Art, mit dem Ruf einer intellektuellen Hochburg Mährens.
    Ein Schulfreund von Leoš Vater war Mönch in diesem Koster, was dem Zugang den Weg ebnete. Die Mutter hatte Leoš nach Brünn gebracht, die Trennung war hart, das sich anschließende Schülerdasein ebenso.
    Die Zeit der Entfremdung und Einsamkeit in der Klosterschule schlägt emotionale Narben, die nie ganz verheilen und für Janáček und Menschen in seiner engeren Umgebung teilweise fatale Folgen haben. Im März 1866 stirbt Jiři Janácek, Leošku ist Halbwaise geworden, der Vater war gerade mal 51 Jahre alt geworden.


    Um nur eine flüchtige Skizze vom Kosterleben des Kindes zu geben:
    5:00 Uhr wecken, bis 6:45 Uhr Beten und Lernen, 7:00 Uhr Messe mit Gesang, erst danach gibt es Frühstück.
    Die musikalische Ausbildung ist anspruchsvoll; es werden Messen und Sinfonien von Mozart, Beethoven, Cherubini, Haydn und Rossini aufgeführt, wobei ihn Beethoven nicht so recht zu begeistern vermag, wie er später zu Protokoll gibt.
    Noch 1869 wirkt Leoš als Chorknabe, wobei auch schon erste Kompositionen aus seiner Hand entstanden waren. Gemäß der Familientradition sollte Leoš in die Fußstapfen seines Vaters treten; also lernt er weiter, um Lehrer und Organist zu werden.


    Der junge Janáček entwickelt sich zum Patrioten, 1866 hatte man in Prag Smetanas »Prodaná nevĕsta« uraufgeführt, an seinen Onkel schreibt er einmal:


    »Ach, lieber Onkel, Sie wissen nicht, wie ich die Deutschen hasse, die kein Vaterland haben, die in unser herrliches tschechisches Land kamen, um uns unsere schöne Heimat wegzunehmen und uns einzudeutschen.«


    Leoš ist da nicht alleine, es entstand eine allgemeine Stimmung des Aufbegehrens, es gärt im Volk.
    Seine Studien bei den Augustinern dauern vier Jahre; die Abschlussprüfung an der deutschen Unterrealschule meistert er mit Bravour, ein Staatsstipendium von hundert Gulden ermöglicht ihm seine Ausbildung an der Slawischen Lehrerbildungsanstalt zu Brünn in der Zeit von 1869 bis 1872 fortzusetzen. Im Herbst 1874 nimmt Janáček seine Studien an der Orgelschule in Prag auf, sein Ziel ist nun, Musiklehrer zu werden.
    Das Vorhaben ist ambitioniert, denn er möchte die drei Ausbildungsjahrgänge in einem Jahr hinter sich bringen, den dazu notwendigen einjährigen Sonderurlaub hatte Direktor Schulz abgesegnet. Bereits im Juni 1875 bestand Janáček die sich über zwei Tage hinziehenden Prüfungen an der Prager Orgelschule mit glänzendem Erfolg.


    Die Slawische Lehrerbildungsanstalt zu Brünn war im Minoritenkloster untergebracht. Direktor Emilian Schulz, ein Arztsohn deutsch-tschechischer Abstammung, der mit einer Deutschen verheiratet ist, hat die Tüchtigkeit des jungen Mannes erkannt und fördert ihn entsprechend, damals nicht ahnend, dass ihm durch Leoš einmal blanker Hass entgegenschlagen wird.
    Direktor Schulz wird eine ganz besondere Rolle im Leben des Leoš Janáček spielen, denn der Herr Direktor hat eine zwölfjährige Tochter, die nun vom Janáček im Klavierspiel unterrichtet wird, man schreibt das Jahr 1877.
    In diese Zeit fallen auch Leoš Janáčeks erste Begegnungen mit dem um dreizehn Jahren älteren Antonín Dvořák, die beiden unternehmen ausgedehnte Wanderungen durch Böhmen und besteigen auch den 460 Meter hohen und für Tschechen mystischen Berg Říp.
    Dass Dvořák von Janáčeks Musik begeistert war kann man nicht sagen, aber er macht dem jungen Freund auch keine Vorwürfe und versucht auch nicht belehrend einzugreifen.
    Nahe beieinander waren die beiden, wenn es um den Chorgesang ging; hier attestierte Dvořák gerne, dass die Chorwerke Janáčeks als »eine wirkliche Bereicherung unserer kargen Literatur.« und meinte, dass sie originell sind und aus ihnen der wahre slawische Geist atmet.
    Chorgesang war für Janáček keine nebensächliche Freizeitbeschäftigung. Mit seiner abgeschlossenen Ausbildung als Musiker und Pädagoge konzentrierte sich Janáček nun auf seine Tätigkeiten als Lehrer an der Altbrünner Klosterschule, als Chorleiter und als Privatstunden gebender Musikerzieher.


    Man befindet sich gesellschaftlich in einer Art Kulturkampf und die gebildete tschechische Mittelschicht tendiert zu einem nationalen Fanatismus. Janáček vereint auch verschiedene Männerchöre und stellt bei geselligen Veranstaltungen anspruchsvolle Musik in den Vordergrund, sein Bestreben geht weg von ›Bierveranstaltungen‹ bei denen auch Musik gemacht wird. 1876 wird Janáček zum Chorleiter der Brünner »Beseda«, der bedeutendsten Chorvereinigung der Mährischen Hauptstadt, ernannt.
    Nun werden hier Mozarts »Requiem« und Beethovens »Missa solemnis« aufgeführt, wobei Janáček auf eigene Kosten Solisten aus Prag engagiert - 30 Violinen, 13 Bratschen, 7 Celli und 7 Kontrabässe; es soll ein Novum im Brünner Musikleben gewesen sein.


    Janáček wird zu einer bekannten Figur im Kulturleben der Stadt. Durch seinen Vorgesetzten und zukünftigen Schwiegervater erhält er Zugang zur deutsch ausgerichteten Oberschicht, gerät dadurch aber auch in eine psychologische Zwickmühle wegen seiner slawophilen Einstellung. Die einst zwölfjährige Klavierschülerin war inzwischen dem Kindesalter entwachsen, der fünfundzwanzigjährige Klavierlehrer schwärmt inzwischen für seine 14-jährige Klavierschülerin Zdenka.
    Im August 1879 macht Janáček seiner Angebeteten einen Heiratsantrag, aber natürlich haben da Zdenkas Eltern noch ein Wörtchen mitzureden, und die sind vorsichtig und verordnen ein Probejahr.


    Leoš Janáčeks macht sich im Oktober 1879 auf nach Leipzig, um dort am ›Königlichen Conservatorium der Musik‹ noch weiter zu studieren und hofft, dass ihm dieser Auslandsaufenthalt in der Heimat noch mehr Reputation verschafft.
    Vom Fortbestand seiner Liebe zeugen 500 Briefe, die er im Verlauf von sieben Monaten an Zdenka schreibt; aus Brünn kommen von den Schwiegereltern in spe, Proviantpakete und Geldbriefe.
    In Leipzig entsteht auch sein Opus 1, die »Zdenka-Variationen«, ein knapp zehnminütiges Klavierwerk - und er schreibt seiner Braut: ›sollten sie je gedruckt werden, so sollen sie Deinen lieben Namen tragen.‹ Den Druck erlebten beide nicht mehr, die Veröffentlichung erfolgte erst 1944 in Prag.
    Mit dem Unterricht in Leipzig ist er nicht zufrieden, und glaubt, dass die Blütezeit hier vorbei ist, ist aber diplomatisch genug dies nicht offen zu artikulieren und erhält, quasi als Gegenleistung, ein recht ordentliches Zeugnis mit dem er im Februar 1980 Richtung Heimat reist. Im März studiert er dann am Wiener Konservatorium weiter, ist aber auch hier nicht besonders begeistert. Er hat die Fächer Kompositions- und Klavierunterricht belegt, kommt jedoch mit den Klavieren von Bösendorfer nicht zurecht und konzentriert sich auf seine Kompositionen.
    In Wien kommt es nun zum Streit mit der Prüfungskommission, Janáček hat da bereits ein gesundes Selbstbewusstsein entwickelt und lässt sich nicht alles gefallen. Seine Stützpfeiler sind: die Prager Orgelschule, Leo Grill, bei dem er in Leipzig teure Privatstunden nahm und Franz Krenn am Wiener Konservatorium, der sich für Janáček einsetzte und der ihm - trotz vorzeitigem Abgang - ein glänzendes Zeugnis ausstellte.


    Schließlich verlässt Janáček Wien im Juni 1880, um an der Lehrerbildungsanstalt wieder Musikunterricht zu erteilen und sich dem Altbrünner Klosterchor zu widmen. Zdenkas Großmutter sah die Eheschließung immer noch kritisch und aufmerksame Beobachter konnten an konkreten Indikatoren sehen, dass es keine unproblematische Verbindung sein wird.


    Die Hochzeitsfeier zwischen dem siebenundzwanzigjährigen Musiker und dem sechzehnjährigen Mädchen fand am Mittwochnachmittag des 13. Juli 1881 im Augustinerkloster in Alt-Brünn statt.
    Auf der sich anschließenden vierzehntägigen Hochzeitsreise wurden Verwandte und Bekannte besucht, so auch Antonín Dvořák in Prag, der sich über das ›Kind‹ als Gattin wundert.
    Von dieser Reise zurückgekehrt, wartete auf das junge Paar eine gemütlich eingerichtete Vierzimmerwohnung, inklusive eines Ehrbar-Flügels, den Leoš Schwiegervater gestiftet hatte.


    Zwar konnte Janáček einerseits ein prächtiges Zeugnis der Prager Orgelschule vorweisen,
    andererseits war er aber aus akademischer Sicht ein Studienabbrecher, der sowohl in Leipzig als auch in Wien keinen Abschluss gemacht hatte. Die von Zdenkas Eltern geschaffene äußere Idylle hatte nicht lange Bestand; es ist angebracht diese Ehe pauschalierend als ›Hölle‹ zu bezeichnen, um nicht alle grausamen Details aufzuzählen zu müssen.
    Es war nicht etwa eine allmähliche Entfremdung der Eheleute, unmittelbar nach der Eheschließung wirft er Zdenkas Eltern aus der Wohnung und hat auch zu seinem im August 1882 geborenen Töchterchen Olga keine Beziehung, ein Sohn wäre ihm lieber gewesen.
    Trotz vorübergehender Trennung, bringt Zdenka 1888 Stammhalter Vladimír zur Welt, der im Oktober 1890 von seiner an Scharlach erkrankten Schwester angesteckt wird und stirbt.


    Während für Janáček seine Gattin mit Tochter kein Thema mehr ist, widmet er sich eifrig seiner Musik, wobei die Entwicklung tschechischen Musikkultur einen breiten Raum einnimmt; die von ihm einst besuchte Prager Orgelschule dient als Vorbild.
    1882 nimmt die Orgelschule in Brünn zunächst improvisiert ihren Betrieb auf, wobei zunächst nur drei Lehrer zur Verfügung stehen, aber sowohl der Lehrplan als auch die Anzahl der Lehrer werden allmählich ausgeweitet. Die Hauptaufgabe besteht vorerst in der Heranbildung künftiger Organisten, aber es gibt auch ein Angebot von Musiktheorie, Klavier- und Violinspiel und Gesang; 1919 erfolgt die Umwandlung in ein staatliches Konservatorium.
    Auf Janáčeks Betreiben entsteht 1884 die Musikzeitschrift ›Hudební listy‹, deren Erscheinen jedoch schon 1888 wieder endet, aber einige Jahre später wird Janáček wieder literarisch tätig, wo er in der ›Lidové noviny‹ Feuilletons schreibt.
    Aber er schreibt in dieser Zeit auch Opernmusik, denn er hat das Zeyersche Stück »Šarká« entdeckt, um das es dann einigen Wirbel gibt, also landet die angefangene Oper zunächst für einige Jahre in einer kürzlich angeschafften Bauerntruhe; zur Uraufführung gelangt das Werk erst 1925.


    Einen ganz breiten Raum im Leben Janáčeks nimmt der Einsatz für das Volkslied ein; in den Sommerferien 1888 beginnt er intensiv mit der Sammlung von Volksliedern - wie das auch František Bartoš tut - und begibt sich in Ortschaften, die weit von der Bahnlinie entfernt sind, was nur mit einem gemieteten Fuhrknecht mit Kutsche entsprechenden Sammelertrag gibt.
    In den Jahren von 1890 bis 1936 werden eine Menge mährischer, slowakischer und tschechischer Volkslieder herausgegeben.
    Zwischen 1874 und 1914 sammelten Janáček und seine Mitarbeiter und Studenten über 10.000 Volkslieder und -tänze, wobei ab 1909 ein Phonograph zur Verfügung stand.


    Dieser Kenntnisstand floss auch in sein Ballett - man kann es auch Tanzspiel nennen -»Rákoš Rákoczy« ein, das im Sommer 1891 in Prag aufgeführt wird. Wirft man einen Blick in die internationale Musikszene dieser Zeit, dann stellt man fest, dass Verdis Spätwerk entstand und Puccini, Leoncavallo, Mascagni, Massenet ... ihre noch heute bekannten Werke präsentierten.


    Janáčeks zweite Oper ist im Entstehen, im Vorfeld gab es einige Querelen, aber schließlich konnte das Werk »Der Anfang einer Romanze«, durch Janáček selbst dirigiert, im Februar 1894 mit großem Erfolg am Brünner Theater aufgeführt werden. In späteren Jahren war ihm der lokale Erfolg sogar etwas peinlich.
    Als Janáček noch mit seiner zweiten Oper beschäftigt war, hatte er am Brünner Theater das Stück »Její Pastorkyňa« (Ihre Stieftochter) gesehen, das nicht unumstritten ist - verlassene Geliebte, Gewalt und Leidenschaft, Bigotterie und Kindesmort sind Themen des Stücks, das den Komponisten zur Vertonung reizt. Der Weg zur neuen Oper ist mühsam und nimmt zehn Jahre in Anspruch, denn als Komponist arbeitet Janáček praktisch nebenberuflich, denn da ist ja noch die Lehrtätigkeit und eine Menge Verwaltungsarbeit.


    In diesen zehn Jahren passiert einiges - Tochter Olga war zu einer schönen jungen Frau herangewachsen und befasst sich mit Heiratsgedanken, der Vater ist damit nicht einverstanden und sagt seiner Tochter, dass es unmoralisch sei, sich mit nur siebzehn Jahren zu verlieben.
    Als Janáček am zweiten Akt seiner Oper arbeitet, erkrankt Olga schwer und stirbt schließlich am frühen Morgen des 26. Februar 1903, der Vater trägt an diesem frühen Tod Mitschuld und ist auch immer noch von bodenlosem Hass gegen seine Schwiegereltern erfüllt, die ihn einst unterstützten.


    ›Dir Olga, zum Gedächtnis‹, schreibt er am 18. März 1903 in russischen Buchstaben auf die Reinschrift des Klavierauszugs seiner neuen Opernschöpfung, die man heute als »Jenůfa« kennt. Aber noch heißt das Werk »Ihre Stieftochter« und Janáček würde es gerne auf einer Prager Bühne sehen, weshalb er Partitur und Klavierauszug per Post nach der Metropole schickt, aber in dem Antwortschreiben muss er unter anderem lesen:
    »Es würde uns freuen, wenn Ihr Werk auf der Bühne vollen Erfolg hätte; wir befürchten aber alle, dass Ihr Werk einen solchen Erfolg nicht haben wird.«
    Gustav Mahler, damals künstlerischer Leiter der Staatoper Wien, war der nächste Adressat und wirkte wesentlich aufgeschlossener, bittet jedoch, man möge ihm einen Klavierauszug mit deutschem Text zusenden.
    Nun schöpft der mittlerweile 49-jährige Komponist Hoffnung, als ihn die Direktion des Nationaltheaters in Brünn um die Partitur seiner Oper bat; an einem Donnerstag, es war der 21. Januar 1904, erlebt das Werk seine Uraufführung; aus Prager Sicht, eine Premiere in der Provinz, aber in Brünn ein überwältigender Erfolg. Obwohl es noch kein Welterfolg ist, lässt sich Janáček von seinen Verpflichtungen an der Lehrerbildungsanstalt befreien. Für Mähren hatte Janáček längst große Bedeutung, aber es war eben nur eine lokale Größe.
    Drei Jahre arbeitet er nun an einer weiteren Oper, »Das Schicksal«, heißt das Stück, das der Komponist jedoch nie auf der Bühne erleben wird.
    Mit dem 1907 entstandenen Chorwerk »Maryčka Magdónova« kommt es im April 1908 in Paris erstmals zu einer Auslandsaufführung eines Werkes von Janáček.
    Neben kleineren Arbeiten reift der Plan es mal wieder mit einer Oper zu versuchen, diesmal sollte es etwas Heiteres werden.1908 ist der erste Szenenentwurf zu »Herrn Broučeks Ausflug zum Mond« fertiggestellt, dann folgt ein neunjähriger Verhandlungsmarathon mit den Erben von Svatopluk Čech und diversen Textbuchschreibern.


    Ein Brünner Arzt und seine Gattin engagieren sich mit fast unglaublicher Zähigkeit für die Aufführung von »Ihre Stieftochter« in Prag, wo das Werk nach ausreichender Probezeit und mit erstklassigen Kräften mitten im Krieg aufgeführt werden kann. Die Prager Premiere wird zum Triumph für den nun zweiundsechzigjährigen Komponisten.
    Auch Max Brod, damals ein bekannter Musikkritiker und Schriftsteller, setzt sich für das Stück ein und sowohl die österreichische als auch die deutsche Presse berichtet über das Prager Opernereignis. Brod übersetzt den Text ins Deutsche, wobei er auch seinen Freund Franz Kafka beratend hinzuzieht. Brod will den Originaltitel ›Ihre Stieftochter‹ nicht übernehmen und schlägt ›Jenufa‹ vor; nachdem einige sprachliche Varianten diskutiert sind, lässt sich Janáček schließlich davon überzeugen, dass »Jenůfa« der international besser zu vermarktende Titel ist. Im Folgenden kommt es zu Bearbeitungen, Entstellungen und Verfälschungen des Werkes.


    Janáček beginnt nun den sich anbahnenden Ruhm zu genießen und gibt sich der Bewunderung seiner Prager Küsterin - das ist Gabriela Horvátová, eine kroatische Sängerin, 38 Jahre alt - hin, die weit über das rein berufliche hinausgeht und ernste Folgen hat, unter anderem vernachlässigt er seinen Unterricht an der Orgelschule in Brünn und Gattin Zdenka unternimmt einen Selbstmordversuch. Anfang 1917 kommt es durch beratende Anwälte zu einer Scheidung, die jedoch nur finanzielle Dinge der Eheleute regelt, aber keine ›richtige‹ Scheidung ist.


    Nachdem ein neuer Opernplan gleich nach Kompositions-Beginn wieder verworfen wird, befasst sich Janáček mal wieder mit »Die Ausflüge des Herrn Brouček«, aber auch mit einer neuen Liebschaft; die 25-jährige Kamila Stösslová, Gattin eines Kunsthändlers und Mutter von zwei Söhnen, hält Einzug in die Musikgeschichte.


    Ihr schreibt er etwa 700 Briefe, in einer Art Fernunterricht will er ihr das Klavierspielen beibringen, aber berät seine platonische Liebe auch in Küchenfragen, zum Beispiel wie man Fasan und Röstkartoffeln zubereitet. Kamila wahrt aber immer eine gewisse Distanz und nimmt an seinem künstlerischen Schaffen keinen Anteil; es ist eine Urlaubsbekanntschaft vom Sommer 1917 und die Freundschaft hat bis zu Janáčeks Tod Bestand.
    Obwohl sich Kamila Stösslová nicht sonderlich für seine Arbeit interessiert, lässt sie der Komponist an der Entstehung des Werkes, an dem er bereits vom März 1908 bis September 1909 intensiv gearbeitet hatte, und zwischendurch nur sporadisch, teilhaben.
    Nun nimmt er sich Ende 1916 - ermutigt durch den Erfolg seiner letzten Oper - die Partitur erneut vor.
    Mit »Die Ausflüge des Herrn Brouček« erlebt Janáček die erste und einzige Uraufführung einer seiner Opern in Prag; das Libretto basiert auf zwei satirischen Romanen mit dem gleichen Protagonisten.
    Die neue Oper wird vom Prager Publikum kühl aufgenommen, passt nicht so recht in die Zeit, passender ist da schon die Wiederaufbereitung seiner patriotischen Oper »Šarká« oder seine etwa zehnminütige symphonische Dichtung »Balada Blanická«.


    Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges begann der allmähliche Aufstieg des Bühnen-Komponisten Janáček und noch vor Kriegsende, nämlich am Samstag des 16. Februar 1918, wurde »Jenůfa« - unter Bauchgrimmen des Komponisten - erstmals an der Wiener Hofoper aufgeführt. Janáček saß mit Max Brod in der Loge und sie mussten sehen und hören wie das Werk verhackstückt wurde. Haupttäter war hier der ›große‹ Hofkapellmeister Reichenberger, der den Komponisten aus der böhmischen Provinz nicht ernst nahm und sich in seinen Verschlimmbesserungen sonnte. Das Beste an dieser Aufführung wird wohl gewesen sein, dass die damals dreißigjährige Maria Jeritza die Hauptrolle sang; die Jeritza regte schließlich auch an, dass das Werk 1924 auch an der New Yorker Metropolitan Opera zur Aufführung kam und 1926 nochmals auf dem Spielplan der Wiener Staatsoper erschien.


    Weit besser - zumindest musikalisch - lief es mit »Jenůfa« 1918 in Deutschland, wo es zwar Widerstände politischer Art gab, aber in Köln auch Otto Klemperer, der aus seiner Prager Zeit eine hohe Meinung von tschechischem Opernschaffen hatte; Klemperer setzte die Erstaufführung von »Jenůfa« in Köln durch, die am 16. November 1918 stattfand, also ganz nahe dem 11, November...


    Janáčeks letztes Lebensjahrzehnt ist äußerst produktiv, es entsteht ein Liederzyklus, vier große Opern, zwei Streichquartette, verschiedene Konzertstücke und die altslawische Messe.
    Die Oper »Kátá Kabanová« wird am 23. November1921 erstmals in Brünn aufgeführt und ist eingroßer Erfolg für den nun nicht mehr unbekannten Komponisten; das Stück wird schon im folgenden Jahr ins Repertoire des Prager Nationaltheaters übernommen.


    Zu dieser Zeit kann es sich Janáček auch leisten sein Elternhaus in Hukvaldy zu kaufen, das vordem im Besitz seiner Schwägerin war. Dorthin zieht er sich nun mehrmals im Jahr zurück.


    1927 erscheint »Das schlaue Füchslein« erstmals in deutscher Sprache in Mainz, Max Brod besorgte die Übersetzung, welche von Janáček teilweise kritisch gesehen wurde, aber internationaler Erfolg war eben nach der Brünner Uraufführung 1924 auch wichtig, allerdings erfolgte der wirkliche Durchbruch dieser ›Comic-Oper‹ erst 1956 durch Walter Felsenstein.


    Im Juli 1924 konnte Leoš Janáček seinen 70. Geburtstag feiern, was nicht nur in Brünn, sondern auch in Berlin und New York zur Kenntnis genommen wurde. Ein etwas verspätetes Geburtstagsgeschenk folgte im Januar 1925, als ihn die Masaryk-Universität Brünn mit der Ehrendoktorwürde der Philosophie ehrte.


    Die Schwester des Schriftstellers Karel Čapek hatte den Komponisten bereits im August 1922 auf das Theaterstück »Die Sache Makropulos« hingewiesen. Wenn man weiß, dass es in dem Stück um eine 337-jährige Frau geht, lässt sich erahnen, dass die Sache kompliziert sein wird; es ist ein zeitkritisches Werk über biologisch-technische Forschung und die Konsequenzen für die menschliche Psyche. Čapek war gegenüber Janáček nicht unfreundlich, zeigte aber keinerlei Interesse bei der Errichtung eines Librettos behilflich zu sein.
    Der Kompositionsprozess nahm etwa zwei Jahre in Anspruch und lässt sich sogar ziemlich genau sagen - vom 11. November 1923 bis zum 3. Dezember 1925. Die Uraufführung der neuen Janáček-Oper fand mit großem Erfolg am 18. Dezember 1926 im Brünner Nationaltheater statt.
    Im März 1928 - nur knapp sieben Monate vor dem Tod des Komponisten - folgte die Premiere am Nationaltheater Prag.


    Auch außerhalb seiner Heimat ist Janáček nun gefragt und reist 1926 nach Berlin und England, wo er von der Popularität Dvořáks profitiert, der viele Male vor ihm dort war. Die englische Musikwissenschaftlerin Rosa Newmarch, die Tschechien durch eigene Besuche kannte, setzte sich in England für diese Musik ein; 1928 leitet Janáček auf der Insel die englische Erstaufführung seiner Rhapsodie für Orchester »Taras Bulba«.


    Die Aufführung seiner nächsten, äußerst hart erarbeiteten Oper - »In einem Totenhaus« - wird Janáček nicht mehr erleben. Dostojewskis Roman hatte er in der Originalsprache gelesen und das Libretto selbst geschrieben; am 6. Mai 1928 ist das Opernwerk abgeschlossen, aber ein letzter Schliff sollte noch vorgenommen werden, obwohl Klemperer schon wegen einer Aufführung drängte. Um es vorwegzunehmen, die Uraufführung der Oper »Aus einem Totenhaus« fand am 6. April 1930 am Nationaltheater Brünn statt.


    Leoš Janáček machte Urlaub in seiner Heimatstadt Hukvaldy und klagt über Unwohlsein, weshalb Kamila einen Arzt ruft, der eine Lungenentzündung diagnostiziert; man bringt den Patienten in die Klinik nach Ostrava und Frau Stösslová ist beim Patienten. Dass man an Janáčeks Frau ein Telegramm schickt, lehnt der totkranke Patient ab und ordnet auch an, dass sein Krankenhausaufenthalt nicht öffentlich gemacht wird.


    Die Beisetzung fand drei Tage nach Janáčeks Tod in Brünn statt, es war Olgas Geburtstag.
    Die Anteilnahme der Bevölkerung war groß; der Sarg wurde zunächst im Stadttheater aufgebahrt, von wo aus sich der Trauerzug zum Zentralfriedhof in Bewegung setzte.
    Janáček wurde zunächst an anderer Stelle beigesetzt und erst am 17. August 1928 in das Grab Nr. 64 im sogenannten Ehrenzirkel umgebettet.
    Bei der Trauerfeier wurde neben
    Dvořáks Requiem die tschechische und slowakische Nationalhymne gespielt und das Orchester des Brünner Nationaltheaters intonierte das Finale der Oper »Die Abenteuer der Füchsin Schlaukopf«.


    Praktischer Hinweis:
    Der Zentralfriedhof in Brünn - heute Brno - liegt an den Straßen Jihlavská / Videňská.
    An den Eingängen sind leicht interpretierbare Hinweistafeln aufgestellt, die den Weg zu Janáčeks Grabstätte weisen, insbesondere zu 25E, dem Ehrenkreis.


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    Img_4817.jpgDie Orientierung ist auf diesem Friedhof recht einfach, es gibtviele Hinweistafeln

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  • Eduard Devrient - *11. August 1801 Berlin - † 1. Oktober 1877 Karlsruhe


    Man muss hier eine Vorbemerkung zum Sterbedatum machen, denn in allen mir zugänglichen Publikationen wird der heutige Tag, also der 4. Oktober, als Sterbetag angegeben, wobei bei dieser historischen Schriftart auch beim besten Willen nicht die Zahl 4 hineininterpretiert werden kann.


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    Der Name Devrient stammt ursprünglich aus dem Flämischen ›De Vrient‹ und als die Familie nach Berlin kam - der Vater war ein wohlhabender Seidenhändler - wurde daraus Devrient.


    Natürlich wollte der Vater, wie es in dieser Zeit üblich war, dass die drei Söhne in seine Fußstapfen treten und kaufmännisch tätig werden.
    Der älteste, Carl, war 1797 geboren, Eduard 1801 und Emil 1803. Aber da war noch der Onkel Ludwig, Ludwig Devrient, einer der größten Schauspieler seiner Zeit, was den drei Brüdern wohl besser gefiel als der Kaufmannsberuf.
    Eduard Devrient hatte zwar zunächst versucht den Willen seines Vaters zu erfüllen, sagte aber der Kaufmannszunft schon 1819 wieder ade und wandte sich unter dem heftigen Protest seiner Eltern der Schauspielkunst zu, weil er den enormen Erfolg von Onkel Ludwig sah.


    Einen guten Überblick der bühnenkünstlerisch tätigen Familie bietet DAS GROSSE SÄNGERLEXIKON:


    Eduard Devrient entstammte einer Familie von Schauspielern und Sängern. Sein Bruder Carl Devrient (1797-1802), ein bedeutender Schauspieler, war in erster Ehe mit der großen Sängerin Wilhelmine Schröder-Devrient (1804-60) verheiratet. Ein zweiter Bruder, Emil Devrient, war ebenfalls Schauspieler und Gatte der Sängerin Dorothea Devrient-Böhler (1805-82). Sein Onkel war der berühmte Schauspieler Ludwig Devrient (1784-1832). Eduard Devrient war ein Schüler von Karl Friedrich Zelter, der als Komponist und Dirigent der Berliner Singakademie, später der Liedertafel auf das Musikleben der preußischen Hauptstadt einen bestimmenden Einfluss hatte. Mit Felix Mendelssohn-Bartholdy, ebenfalls einem Schüler von Zelter, war er zeitlebens freundschaftlich verbunden. 1819 debütierte er als Sänger an der Berliner Hofoper. Er hatte an diesem Opernhaus eine große Karriere in einem umfangreichen Repertoire, war aber, einer noch ins 18. Jahrhundert zurückreichenden Tradition getreu, gleichzeitig auch als Schauspieler tätig. Er setzte sich unermüdlich für eine nationale deutsche Theaterkultur ein und suchte diese in einer vielseitigen Tätigkeit zu fördern. Er schrieb mehrere Opernlibretti, darunter auch das der Oper »Hans Heiling« von Heinrich Marschner. In der Uraufführung dieses Werks am 24.5.1833 an der Hofoper von Berlin gestaltete er die Titelrolle. Er wirkte dort auch in den Uraufführungen der Opern »Alcidor« von G. Spontini (23.5.1825) und »Die Kirmes« von Wilhelm Taubert (23.1.1832) mit. Seine weiteren großen Bühnenpartien waren der Guglielmo in »Così fan tutte«, der Williams in »Elisabetta Regina d'Inghilterra« von Rossini, der Lopez in »Jessonda« von L. Spohr, der König Ludwig in »Euryanthe« von Weber, der Scherasmin in dessen »Oberon«, die Titelpartie im »Faust« von L. Spohr, der Maometto in »Maometto II.« von Rossini, der Dandolo in »Zampa« von Hérold, der Lorenzo in Bellinis »I Capuleti ed I Montecchi«, der Gualtiero in »I Puritani« vom gleichen Meister und der Elfort in »Le Domino noir« von Auber. In der denkwürdigen Aufführung der Matthäuspassion von J.S. Bach am 11.3.1829 in Berlin unter der Leitung von Felix Mendelssohn, die einer Neu-Entdeckung des gewaltigen Werks gleichkam, sang er die Partie des Christus. 1844-46 war er Oberregisseur am Hoftheater von Dresden, 1852-69 Direktor des Hoftheaters von Karlsruhe. Er veröffentlichte u.a. »Meine Erinnerungen an F. Mendelssohn Bartholdy und seine Briefe an mich« (Leipzig, 1869). Sein Hauptwerk auf literarischem Gebiet ist die »Geschichte der deutschen Schauspielkunst«, die 1848-74 in fünf Bänden erschien.


    [Lexikon: Devrient, Eduard. Kutsch/Riemens: Sängerlexikon, S. 5902 (vgl. Sängerlex. Bd. 2, S. 885) (c) Verlag K.G. Saur]


    Praktische Hinweise:
    Man findet das Grab auf dem Hauptfriedhof Karlsruhe, der Haupteingang befindet sich an der Haid-und-Neu-Straße. Man geht zunächst auf das große Gebäude zu und wendet sich nach rechts, wo sich in den Arkaden die Ruhestätten von Wilhelm Trübner und Luigi Colani befinden.


    Devr._6.jpg


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    Rechts › die beschriebenen Arkaden mit den Ruhestätten von Wilhelm Trübner und Luigi Colani.
    Nach dem Torbogen wendet man sich nach rechts und findet gegenüber der Mauer im Feld 7
    das Grab von Eduard Devrient.

  • Gut und überaus begrüßenswert, dass dieser so bedeutende Bestandteil des Tamino-Forums, offensichtlich erfolgreich repariert und rekonstruiert, wieder da ist.
    Er ist ja alles andere als ein simpler „Thread“, alles andere auch als ein Begräbnisstätten- Bilderbuch, er stellt eine einzigartige, inzwischen lexikalischen Rang erreicht habende Dokumentation von künstlerischem Leben und Schaffen aus der Perspektive des Rückblicks dar.

    Ihren Wert könnte man mit Hölderlins Wort „Was bleibet aber, stiften die Dichter“ erhellen, das Wort „Dichter“ – durchaus in seinem Sinn – durch „Künstler" ersetzend.
    Dieses, was da „gestiftet“ wurde, wird hier – oft aus der Vergessenheit – zurück ins Bewusstsein der Nachwelt zurückgerufen, und dies nicht einfach nur durch schlichtes Benennen und Auflisten, sondern in Gestalt eines detaillierten Aufzeigens seiner Genese aus dem künstlerischen Leben und Schaffen.

    Ein großartiges Werk ist daraus geworden.
    Unserem Mitglied hart sein Dank!

  • Um da auch einmal einen Einblick zu geben was hinter den Kulissen passiert:


    Es sind 1.378 Fotos verlorengegangen, die nun wieder eingesetzt werden müssen; 560 davon konnten nun schon wieder eingestellt werden. Der Thread ist nun mit Alfreds helfender Hand wieder komplett und alle Fotos am richtigen Platz.

    Einmal editiert, zuletzt von hart ()

  • Vorspann

    Lange habe ich überlegt ob ich diesen Vorspann - der eigentlich nichts mit Musik zu tun hat - schreiben soll, aber weil mir diese außergewöhnliche Besonderheit an einem Tag gleich zwei Mal begegnete, finde ich es nicht uninteressant darüber zu berichten, es besteht ja keinerlei Lesezwang ...


    Der Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg ist mit einer Fläche 389 Hektar der größte Parkfriedhof der Welt und erstreckt sich in West-Ost-Richtung über eine Länge von 3,8 Kilometer und von Nord nach Süd mit durchschnittlich 1½ Kilometern bei einer längsten Ausdehnung von 2,2 Kilometern. Sein Umfang beträgt 11,5 Kilometer.

    Obwohl dieser Friedhof mehr als 600 Kilometer von meinem Wohnort entfernt ist, bin ich mindestens einmal im Jahr dort; wenn ich meinen Enkel in der Hansestadt besuche, bietet es sich an auch raus nach Ohlsdorf zu fahren.

    Ende Mai, Anfang Juni entfalten die Rhododendren der Sorte »Catawbiense Grandiflorum« ihre volle Pracht. Mit über 36.000 Exemplaren auf diesem Friedhof vertreten, zählen sie zu den eindrucksvollsten Anblicken, die der späte Frühling zu bieten hat. Das Farbspektrum der Rhododendren reicht von zartem Rosa über leuchtendes Lila bis hin zu tiefem Rot und strahlendem Weiß.

    Den wirklich beeindruckenden Zahlen der Geländegröße und der Menge der Gräber (202.000) steht gegenüber, dass sich das Grab von Willi Birrenkoven im Planquadrat R 3 befindet, also praktisch fast direkt am Fußgängereingang, in weniger als einer Minute ist man dort. Es ist Sonntag-Nachmittag, die sich direkt beim Eingang befindliche Auskunft ist geschlossen, man hatte Informationsbedarf, weil vom Grab des Sängers absolut nichts zu sehen war. Abbruch des Unternehmens, man versucht es im nächsten Jahr nochmals an einem Werktag, wenn das Informationsbüro geöffnet ist.


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    Ein Jahr später: Die Dame sagt, dass das Grab genau da ist, wo ich es auf meinem Plan eingezeichnet habe. Bei meiner Entgegnung, dass da nichts ist, stürmt sie mit langen Schritten zu einem dieser 36.000 Rhododendronbüsche, reißt mit Brachialgewalt eine beachtliche Menge Zweige ab und sagt: »So, jetzt können Sie Ihr Foto machen!«



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    An diesem Tag - es muss sich ja rentieren, wenn man schon mal da ist - hatte ich fünf Musiker-Gräber auf dem Riesengelände im Plan eingezeichnet, der Pianist Eduard Erdmann war am weitesten entfernt, nämlich bei Kapelle 13. Ein großer Bus fährt diesen Friedhof planmäßig ab, aber man kann auch mit dem eigenen PKW fahren, wie auf den Wiener Zentralfriedhof auch.


    Nach dem letztendlich erfolgreichen Grabbesuch bei Tenor Willi Birrenkoven bot es sich an seinen etwas jüngeren Tenor-Kollegen Carl Günther im Planquadrat U 10 zu besuchen, das ist bei Kapelle 1, die Straße steigt etwas an, nach etwa 500 Metern ist man da. Auch vom Grab dieses Sängers war absolut nichts zu sehen.

    Birrenkoven und Günther waren eingefleischte Hamburger, wenngleich Birrenkoven nicht hier geboren war. An sehr, sehr vielen Abenden hatten sie ihr Publikum beglückt und wurden von Beifall überschüttet - und nun steht man da und schaut wo sie denn abgeblieben sind.

    Also hoch zu Erdmann und es auf dem Rückweg nochmals versuchen.


    Glück muss man haben! Auf dem erneut aufgesuchten Gelände bei U 10 waren zwei Personen mit Vermessungsstativen bei der Arbeit. Man war hilfsbereit - »kommen Sie mit, das haben wir gleich.« Siegesgewiss stürmte der Mann los, rieb sich aber dann, fragend um sich blickend, das Kinn. »Also da müsste es sein.« War es aber nicht ...

    Anruf in der Friedhofs-Zentrale: »Du, ich stehe vor dem Grab XXX ...«

    Antwort: »Genau in Deinem Rücken ist es.«

    Der Leser ahnt es, da war ein großer Rhododendronbusch; der Vorgang von morgens wiederholte sich; man brach einige Zweige ab und präsentierte stolz das Grab eines Sängers, den Siegfried Wagner einst nach Bayreuth zum Vorsingen gebeten hatte und den auch Cosima Wagner für würdig empfand, das will schon was heißen ...


    Aber nun endlich zu Willi Birrenkoven

    Willi Birrenkoven - * 4. Oktober 1865 in Köln - † 8. März 1955 in Hanstedt


    Es sollen drei singende Brüder gewesen sein, alle in der Stimmlage Tenor. Der älteste war Wilhelm, Fritz wurde erst 1878 geboren und mit Franz ist das so eine Sache ...
    Nach dem Bayerischen Musiker-Lexikon soll Franz auch 1878 geboren sein, also müssten es Zwillinge gewesen sein. Willi Birrenkoven hat es künstlerisch am weitesten gebracht, aber sein Bruder Fritz kann mehr Schallplattenaufnahmen vorweisen. Im Folgenden soll also das Sängerleben von Willi Birrenkoven beschrieben werden, ein Tenor, der in Hamburg eng mit Gustav Mahler zusammenarbeitete


    Schon im Knabenalter war Willis schöne Stimme aufgefallen und nach dem Stimmbruch war er Mitglied im Gesangverein ›Concordia‹, eine Sängerkarriere war nicht angedacht.
    Bei einem Vereinskonzert war nun auch der berühmte Kapellmeister und Konservatoriumsdirektor Franz Wüllner anwesend, was kein reiner Zufall war, denn Wüllner hielt ständig die Ohren nach außergewöhnlichen Stimmen offen. Es scheint etwas Drängen notwendig gewesen zu sein, bis sich der junge Mann am 1. Oktober 1884 zur Stimmprüfung am Kölner Konservatorium einfand.


    Professor Paul Hoppe schenkte zwar dem neuen Schüler keine besondere Aufmerksamkeit, aber es entwickelte sich eine gute Zusammenarbeit zwischen Benno Stolzenberg, einem der besten Konzert- und Opernsänger seiner Generation, der vordem Publikumsliebling am Karlsruher Hoftheater war und nun am Kölner Konservatorium lehrte.
    Stolzenberg hatte seine Lehre »Vom Goldenen Schnitt der Gesangskunst« aus der virtuosen Beherrschung der »voix mixte« entwickelt, die für ihn die Urform aller Gesangskunst war.
    In der Praxis bedeutete dies, dass der Sänger seiner Stimme sowohl das lyrische als auch das schwere Heldenfach abfordern konnte.


    Beinahe hätte Birrenkoven seine erste Stelle am Stadttheater Krefeld angetreten, aber der in diesen Dingen weit erfahrenere Stolzenberg hielt seinen Schüler davon ab, das nur scheinbar lukrative Angebot anzunehmen.
    Es folgten einige Querelen zwischen den Theaterdirektionen von Köln und Düsseldorf, aber man konnte sich dann schließlich darauf einigen, dass Birrenkoven an beiden Häusern sang.
    Von Birrenkoven selbst weiß man:
    »Am Düsseldorfer Stadttheater begann ich am 1. September 1888 meine Bühnenlaufbahn unter Karl Simons. Meine erste Rolle war der Max im ›Freischütz‹.«
    Schon in seinem ersten Bühnenjahr bereiteten ihm die baritonalen Lagen des Max und Siegmund so wenig Schwierigkeiten, wie die exponierten Höhen der lyrischen Fachpartien Manrico, José oder Faust; er verfügte offenbar schon in jungen Jahren souverän über einen erstaunlichen Stimmumfang.
    Im September 1880 beeindruckte Birrenkoven sein neues Kölner Publikum als Stolzing, wo er den großen Fußstapfen seines Vorgängers Emil Götze folgte und akzeptiert wurde.


    Als er 1892 die Sopranistin Anna Slach heiratete, eine Sängerin, die unter anderem auch zwei Jahre an der Metropolitan Opera New York sang, hatte er nicht nur eine Ehefrau an seiner Seite, sondern auch eine international erfahrene Beraterin gewonnen.
    Birrenkoven strebte zum Heldenfach und wusste, dass ihm das in Köln nicht optimal möglich sein wird; also dachte er an das Dresdner Opernhaus, das als Wagner-Hochburg galt, aber Stolzenberg, der ihn noch immer beriet, gab zu bedenken, dass in diesem wesentlich größeren Haus die Fachkonkurrenz mit Georg Anthes, Leon Gritzinger und Sebastian Hofmüller nicht zu unterschätzen sei, aber Birrenkoven schlug diese Bedenken in den Wind und unterschrieb in Dresden einen Vertrag.


    Das Schicksal fügte es, dass der stets agile Bernhard Pollini auf der Suche nach einem jungen Tenor mit Wagner-Zukunft war, denn Pollini hatte mit seinem angestammten Heldentenor, Max Alvary, Meinungsverschiedenheiten ernsterer Art.
    Dem pfiffigen Pollini gelang es schließlich seinen neuen Helden aus dem Vertrag herauszubekommen und ihn an sein Hamburger Haus zu verpflichten.


    Genaueres erfährt man in Heinrich Chevalleys Chronik ›Hundert Jahre Hamburger Stadttheater‹


    »In Birrenkoven gewann Pollini seiner Oper nicht nur einen mit außerordentlich schönen, klanglich ungemein sympathischen und warmen stimmlichen Mitteln ausgezeichneten Tenorsänger, sondern zugleich einen entwicklungsfähigen Künstler von starkem Bildungswillen, von vollendetem Geschmack und erfreulicher Musikalität. Als Beweis für die Energie, mit der Birrenkoven nach höchsten Zielen strebte, als Beweis für die Tiefe und den Ernst seiner Berufsauffassung kann erwähnt werden, dass Birrenkoven zu den ganz wenigen Mitgliedern der Pollinischen Oper gehörte, die, fasziniert von der überragenden Persönlichkeit Gustav Mahlers, sich willig dessen Führung überließen, und dass Birrenkoven damals zu den aufmerksamsten Zuhörern aller von Mahler geleiteten Proben gehört, auch wenn es sich um Werke handelte, in denen er als Sänger gar nicht beschäftigt war.
    Die Entwicklung Birrenkovens hat dann auch allen günstigen Prophezeiungen recht gegeben. Anfänglich als lyrischer Sänger und als solcher mit seiner fein geschliffenen Gesangskunst ein hervorragender Vertreter Mozartscher und anderer Belkanto-Partien, eroberte er sich mit der wachsenden Reife und der Wandlung seiner Stimme zum Heldischen hin nach und nach auch alle großen Rollen des Heldenfaches.
    Seine Verkörperung der Tenorpartien im ›Ring‹, vor allem aber sein hellsichtig erschauter, in der klanglichen Koloristik wie in der darstellerischen Haltung unvergleichlicher Tristan - eine Leistung, über der von Anfang an erschütternd die schwarze Flagge des Nachtgeweihten wehte - gehören zu den wertvollsten Ausprägungen, in denen man überhaupt diese Gestalten jemals auf der Bühne des Hamburger Stadttheaters erlebt hat.
    Als erste Partie sang Birrenkoven am 1. September 1893 den Stolzing; er verabschiedete sich am 30. Mai 1912 als Tannhäuser.«


    Im Weiteren lobt Chevalley Birrenkovens Stimme in den allerhöchsten Tönen und das alles hatte sich bis Bayreuth herumgesprochen; so ist es verständlich, dass 1893 Siegfried Wagner höchstselbst in der Hansestadt erschien, um sich Pollinis Entdeckung als Lohengrin anzuhören. Und Siegfried Wagner entschied, dass der Hamburger Lohengrin auch für Bayreuth geeignet ist.


    Pollini, ein Hans-Dampf in allen Gassen - der eigentlich Baruch Pohl hieß - war stolz wie Oskar, dass mal wieder einer seiner ersten Tenöre nach Bayreuth verpflichtet wurde.
    Unverzüglich erteilte er seinem Kapellmeister Gustav Mahler den Auftrag, umgehend mit Barrenkoven das Parsifal-Studium aufzunehmen. Mahler erledigte diese Aufgabe so gründlich, dass sich Frau Cosima dann bei Mahler bedankte, denn bisher war noch kein Festspiel-Debütant so gut vorbereitet zur Probe in Bayreuth erschienen.


    Da Birrenkoven Alvary als sein Vorbild sah, hatte er diesem in Hamburg allesmögliche abgelauscht und abgesehen was er für nachahmenswert hielt. Man kann sagen, dass Birrenkoven zu gut vorbereitet nach Bayreuth kam, denn da kam eigentlich kein Neuling, sondern eine gereifte Bühnenpersönlichkeit, die sich schon einen eigenen Stil erarbeitet hatte und so etwas war im Bayreuth von Vortragsmeister Julius Kniese und Cosima Wagner nicht gerne gesehen.
    Die in Bayreuth hoch im Kurs stehende pathetische Gestik war Birrenkovens Sache eher nicht, und Knieses überakzentuierter Sprechgesang auch nicht. Immerhin sang Birrenkoven bei den Bayreuther Festspielen 1894 siebenmal den Parsifal und war auch Darsteller des Schwanenritters Lohengrin.


    Seine Bayreuth-Auftritte hatten Birrenkovens Bekanntheitsgrad gesteigert und er war nun auch international gefragt und gastierte in Wien, London und in den Vereinigten Staaten.
    Zwei Jahre nach seinen Auftritten in Bayreuth hatten die Münchner - stetige Rivalen von Bayreuth - Willi Birrenkoven 1896 ebenfalls auf ihrer Bühne stehen.


    Jenseits von 1900 begann der stimmliche Abbau, was in Kritiken zum Ausdruck gebracht wurde. Allerdings wurde Birrenkoven 1902, als er nach etwas mehr als einem Jahrzehnt in Köln gastierte, noch mit großem Beifall begrüßt und die Kritik sah das so:


    »Wir befinden uns noch im Zeichen des sehr erfolgreichen Gastspiels Birrenkovens in fast sämtlichen Wagnerrollen. Der Höhepunkt war eine hervorragende Aufführung von ›Tristan und Isolde‹. Birrenkoven war im dritten Akt stimmlich wie darstellerisch ausgezeichnet und brachte, ohne auch einen Moment nicht zu singen, die Sehnsuchtsraserei Tristans packend zum Ausdruck.«


    1904 kam es dann in Wien sogar zu einer Begegnung mit Gustav Mahler, der ja von 1891 bis 1897 in Hamburg tätig war und anschließend bis 1907 in Wien den Posten des Hofoperndirektors begleitete. Das Archiv der WSO weist eine »Bajazzo«-Vorstellung aus, in der Birrenkoven am 11. April 1904 den Canio sang.
    Aber in dieser Zeit waren dort Erik Schmedes und Winkelmann gefeierte Tenorstars, gegen die Birrenkoven zu diesem Zeitpunkt keine Chancen hatte.


    In Hamburg freute man sich und in der Chronik ist nachzulesen:

    »Recht erfreulich für die Oper ist ein neuer Abschluß mit Willi Birrenkoven, der zugunsten Hamburgs auf seinen viermonatlichen Winterurlaub verzichtet hat und nun nach einigen bittren Erfahrungen an der blauen Donau - die ihn uns doch nicht minder wertvoll machen - seine ganze Kraft in den Dienst unsrer Oper stellt. Und daß die Wiener überaus voreilig verzichteten, ehe sie eine Ahnung haben konnten, was Birrenkoven als Repertoriensänger von höchstem musikalischen Geschmack leistet - nur Mahler kannte ihn und deshalb rief er ihn - kommt uns sehr zustatten.«


    Zum 30. Mai 1912 beendete Birrenkoven seine Bühnenkarriere als Tannhäuser, um sich in ganz anderer Weise mit dem Theater zu beschäftigen; er strebte die Position eines Theaterdirektors an. Es handelte sich um das Theater in Bochum, wo man im Juni 1912 mit dem Umbau zu einer Theaterbühne begonnen hatte, aber schließlich die finanziellen Mittel des Bauherrn nicht ausreichten.
    Für Birrenkoven war das sowohl ein beruflicher als auch finanzieller Misserfolg; er verlor 50.000 Goldmark. Nun kehrte er wieder nach Hamburg zurück und trat gelegentlich am Operettenhaus und auch im Stadttheater auf. Seinen Lebensunterhalt verdiente er als Gesangslehrer und nach 1923 führte er für einige Jahre das Stadttheater-Restaurant in Altona. In den 1930er Jahren zog er sich nach Hanstedt, südlich von Hamburg, zurück.
    Zu seiner geringen Rente gewährte ihm die Hamburgische Staatsoper einen Ehrensold von monatlich 100 Reichsmark.
    In Oldenfelde, einem zu Hamburg eingemeindetem Dorf, lebte der Sänger von 1903 bis 1912, noch heute erinnert die Birrenkovenallee in Rahlstedt an ihn.


    Praktischer Hinweis:
    Das Grab von Willi Birrenkoven befindet sich auf dem Friedhof in Hamburg-Ohlsdorf, Fuhlsbüttler Straße 756.
    Die Grablage ist auf dem Friedhofsplan unter Planquadrat R 3 eingezeichnet, das ist gleich am Fußgängereingang links nur wenige Schritte entfernt, aber reichlich von Rhododendron umwachsen.



  • Vorspann

    Lange habe ich überlegt ob ich diesen Vorspann - der eigentlich nichts mit Musik zu tun hat - schreiben soll, aber weil mir diese außergewöhnliche Besonderheit an einem Tag gleich zwei Mal begegnete, finde ich es nicht uninteressant darüber zu berichten, es besteht ja keinerlei Lesezwang ...

    Also, ich finde es schön, dass du diesen Vorspann geschrieben hast. Er ist sehr amüsant zu lesen und natürlich erkenne ich mich wieder, denn auch ich treibe mich viel auf Friedhöfen herum, um bestimmte Künstlergräber zu suchen. Danke für diesen Einblick, was so alles hinter deinem von so vielen geliebten Thread steckt.

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  • Carl Günther - * 22. November 1885 in Ottensen - † 9. September 1958 in Hamburg


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    Der kleine Carl wurde in bitterste Armut hineingeboren, vier Geschwister waren schon vor ihm angekommen, der Vater war Zigarrenmacher, Carl war ›Piepenmoker-Sohn‹ wie man in Ottensen zu sagen pflegte. Carl wird womöglich seinen Spaß daran gehabt haben, als die Familie ausziehen musste, weil man die Miete nicht mehr zahlen konnte und ihr ganzes Hab und Gut auf einen Handwagen lud, um in die Mörkenstraße in Altona zu ziehen.
    Im August 1892 kam auch noch die Cholera nach Altona, wo diese Krankheit vor allem in den Armenvierteln ihre Opfer findet. Familie Günther hat diesbezüglich Glück, nur die silberne Uhr des Vaters wird gepfändet, weil er zwei Taler Steuerschulden hat.


    Wenn man mal vom Vorschulalter absieht, wo man bewundert, dass der Kleine schön singt, ist es als höherwertig anzusehen, wenn der Musiklehrer einer öffentlichen Schule - wo die Lehrer noch mit einer Geige unterwegs sind - auf die Knabenstimme aufmerksam wird und die Mitschüler auf diese Besonderheit hinweist.


    Erstes Geld verdient Carl als er bei Konfirmationsfeierlichkeiten als Sänger auftritt und neben Anerkennung auch mit Kuchenstücken und blanken Nickeln belohnt wird. Das Ersungene reicht für einen neuen Anzug und Strohhut, und so gewandet besucht er sonntags die ›Flora‹, damals ein Varietee in welchem allerlei Künstler auftreten, auch ein Sänger; von so einem Beruf träumte Carl, der inzwischen zu einem stattlichen jungen Mann herangereift war, und eine Schlosserlehre begonnen hatte; aber da wollte er nicht bleiben, Vater Günther unterschrieb einen Lehrvertrag bei einem Kupferschmied; drei Jahre ohne Verdienst, der Vater glaubte das investieren zu müssen, damit aus dem Jungen was wird, was Zukunft hat.
    Vierzehneinhalb Jahre alt, hat er nun einen zwölf Stunden währenden Arbeitstag.
    Aber in der Kupferschmiede-Werkstatt hat Carl einen Freund gefunden, Georg mit Namen, mit dem er sich gut versteht.
    Georg erzählt von Opernbesuchen; mit seinem Onkel geht er auf die Galerie, wenn der Bötel singt. Heinrich Bötel ist ein Tenor, der es vom Kutscher zum gefeierten Sänger des Hamburger Stadttheaters gebracht hat, besonders umjubelt ist er in der Rolle des Chapelou in »Der Postillon von Lonjumeau«, wo er neben allerhöchsten Tönen auch wegen der souveränen Handhabung der Peitsche bewundert wir.


    Carl hat sich von der Mutter fünf Groschen für einen Stehplatz im Altonaer Stadttheater erbettelt; heute Abend wird er erstmals einen richtigen Sänger hören. Der Theaterzettel informiert: »Martha« von Flotow, Lyonel: Heinrich Bötel.
    Vor dem eigentlichen Kunstgenuss steht natürlich der Kampf um die besten Plätze auf der Galerie. Dieser erste Opernbesuch ist so beeindruckend, dass es für ›Kuddel‹, wie er in vertrautem Kreis genannt wird, feststeht eine Karriere als Opernsänger anzustreben.
    Aber sein Vater möchte davon nichts wissen, sondern vertraut dem alten Spruch, dass Handwerk goldenen Boden hat.
    Als Kuddels älterer Bruder Ferdinand das Elternhaus verlässt, wird ein Bett frei, ein freies Bett einfach so herumstehen zu lassen wäre Luxus; also zieht da ein ›Einlogierer‹ ein, wie man damals sagte - ein Untermieter. Das war nun für Carl ein Glücksfall, denn dieser Untermieter war Mitglied eines Theatervereins und einer Liedertafel. Und weil es gerade Weihnachtszeit war, hatte der Theaterverein das Stück »Die Tannenfee« einstudiert.
    Vor dem Vorstand des Theatervereins deklamiert Carl die »Bürgschaft«, was ihm die tragende Rolle eines Barons verschafft, ein echter Kontrast zu seiner Kinder- und Jugendzeit.


    Bald sitzt er nun auch am »Tenortisch« in der Liedertafel, Tenöre waren auch damals schon gesuchte Leute. Es gibt für jeden Übungsabend zwei halbe Liter Bier gratis aus der Vereinskasse; Carl ist nun in der echten Männerwelt angekommen, was die Mutter mit sehr gemischten Gefühlen zur Kenntnis nimmt: »Um zehn bist du zu Hause, oder es ist aus mit der Liedertafel.«


    Inzwischen ist Carl Günther Kupferschmied bei Blohm & Voss und hat mit dem ersten Gesellenlohn einundzwanzig Mark nach Hause gebracht.
    Im Juli 1905 wirft ein großes Ereignis seinen Schatten voraus, die Liedertafeln der Gegend haben ein Preissingen angekündigt und Blohm & Voss hat eine Werft-Liedertafel, die sich »Panzerplatte« nennt. Das von der »Panzerplatte« vorgetragene Stück hat ein Tenorsolo und der Chormeister entscheidet: »Carl Günther singt dat!«
    Der Werftchor gewinnt den Wettbewerb, Carls Meister platzt fast vor Stolz, gibt ihm die besten Akkordarbeiten und stellt ihm in Aussicht seine Ausbildung als Sänger zu bezahlen.


    Das gute Verhältnis kühlt rasch ab, als des Meisters Frau in der Altonaer Zeitung liest, dass der Kupferschmied Carl Günther die Schneiderin Ella Grundmann heiraten will. Da waren Elternpläne zerplatzt, denn da war auch ein Meistertöchterlein.
    Ella war die ›Tannenfee‹ vom Weihnachtsspiel, aber so einfach ging heiraten damals nicht, die Braut ist gerade mal achtzehn und Carl noch nicht ganz zwanzig; alle Elternteile finden das nicht gut, unterschreiben dann aber.


    Bald macht der kleine Cally aus dem Paar eine glückliche Familie, aber nun geht es der Werft schlecht und Carl Günther wird entlassen, es gibt pro Woche neun Mark Arbeitslosenunterstützung. Aber die Familie wird noch um zwei Mädels bereichert und 1910 geht es dann auch auf der Werft weiter, der Bühnentraum scheint ausgeträumt.
    Aber recht bald erreicht Kupferschmied Günther ein Brief; Benno Quitzau schreibt, dass er ein Solo-Quartett gründen möchte und wünscht, dass Carl Günther als Tenor mit dabei ist.
    Man möchte auf Tournee gehen, in andere Städte reisen und die Einnahmen untereinander aufteilen. Die Neugründung nannte sich »Fidelio«, Günther konnte noch nicht ahnen, welche Bedeutung dieser Name noch für ihn bekommen würde.


    Das Quartett kommt gut an, muss aber auch zu dem großen künstlerischen Erfolg feststellen, dass die Kosten im eleganten »Kaiserhof« recht hoch waren und sich das Ganze nicht besonders gut rechnet.
    Also sucht man sich günstigere Auftrittsorte und landet schließlich bei »Eier-Chors«, das ist der ungekrönte König des Eier-Grogs am Altonaer Fischmarkt.
    Dieser Carl Chors hat nicht nur Eiergrog- sondern auch Kunstverstand, Chors sind immer gerne in die Oper gegangen, man konnte sich das auch leisten. Chors war dem »Fidelio«-Quartett wohlgesonnen und übernahm den Kartenverkauf am Fischmarkt.
    Das Konzert ist ein Riesenerfolg, auch weil Günther die »Stretta« aus »Troubadour« singt, wenn das jemand so richtig kann, dann zündet das immer. Auch die Eltern können diesen am Fischmarkt errungenen Triumph ihres Sohnes noch miterleben. Auch der Eiergrog-König ist hellauf begeistert und rät zur Ausbildung dieser Außergewöhnlichen Stimme. Günther macht deutlich, dass ihm dazu das Geld fehlt.
    Da legt der wohlhabende Eiergrog-König beruhigend seine Hand auf Günthers Schulter und sagt ganz laut vernehmlich:
    »Dat mit de Utbildung, dat lot man den ollen Chors moken. Ut Se ward noch mol een berühmten Sänger, mien Jung, oder de olle Chors bliwt op sien Eiergrog sitten.«


    Als es dann mit den Ausbildungsplänen ernst werden soll, stellt Chors die Bedingung, dass er die Ausbildung nur übernimmt, wenn Wilhelm Vilmar die Stimme prüft und feststellt, dass sich eine Ausbildung lohnt. Vilmar war als Bariton von 1893 bis 1901 am Hamburger Stadttheater tätig, wo er auch als Regisseur in Erscheinung trat. Als Gesangslehrer hatte er einige bedeutende Sänger ausgebildet.
    Carl Günther weiß, dass Vilmar der Schlüssel zur Bühne ist, denn ohne seine Zustimmung wird ein Vorsingen am Theater nicht möglich sein.
    Der Vorsänger unterbreitet Vilmar einige Vorschläge, der entscheidet sich für »Martha«, dann singt er noch das »Zauberlied«.
    Wilhelm Vilmar stellt fest: »Sie haben ja eine prachtvolle Tenorstimme, Herr Günther!«
    Natürlich ist der Prüfling ob dieser Beurteilung überglücklich, aber Vilmar wehrt diesen Begeisterungsausbruch sogleich ab und sagt:
    »Nur nichts überstürzen, mein lieber Herr Günther. Wir bleiben erst mal weiter hübsch auf der Werft. Den Unterricht verlegen wir in die Abendstunden. Handwerk hat goldenen Boden, und die Kunst ist eine launische Dame. Vergessen Sie das nicht.«


    Aber Carl Günther möchte - nun als er wusste, dass seine Stimme von einem Opernsänger als prachtvoll eingestuft war - nicht den langen Weg gehen, sondern recht zügig zu Bühne kommen. Familie Günther schnallt den Gürtel enger und rückt zusammen, der Arbeitsplatz auf der Werft wird zugunsten der Ausbildung aufgegeben.
    Und Günther traut sich nicht so recht dem Herrn Chohrs reinen Wein einzuschenken und zu sagen was er eigentlich wirklich zum Leben braucht. Also zieht die junge Familie zu den Eltern, damit man die Miete spart, bei Chors holt er sich nun jede Woche mickrige zwanzig Mark ab.


    In der ersten Gesangsstunde wird natürlich nicht eine Arie nach der anderen geschmettert, so wie auf dem Fischmarkt.
    Vilmar klärt am 3. März 1911 auf, dass Singen erst einmal mit Atmen beginnt; »Tiefatmung ist wichtig, Herr Günther«, doziert Wilhelm Vilmar. Nach dem ersten Monat präsentiert Vilmar die Rechnung - acht Stunden, das macht 40 Mark.
    Dazu kommt nun, dass Günther auch Klavierstunden nehmen muss, damit er sich zu Hause selbst begleiten kann. Und Vilmar rät: »Mieten Sie sich ein Piano.« Dafür nimmt das Klaviergeschäft acht Mark, und ein Klavierlehrer unterrichtet auch nicht für Gotteslohn.
    Also geht der Opernsänger in spe nochmals zu seinem Gönner, der ihm zukünftig drei Zehner auf die Hand zählt; immer noch viel zu wenig.


    Mit einem auf dem Fischmarkt präsentierten Konzert ist Chors hochzufrieden und spendiert sagenhafte hundert Mark, ein Festtag für die Günthers!
    Carl Günther drängt mit Macht zur Bühne und drängt seinen Lehrer zur schnelleren Ausbildung, was er mit seinem großen Erfolg auf dem Fischmarkt unterstreicht, aber da wird Vilmar erst richtig nervös und sagt:
    »Ich will Ihnen mal etwas sagen, Herr Günther. Entweder hören Sie auf den Aufseher vom Fischmarkt oder Sie hören auf Wilhelm Vilmar. Lassen Sie sich nichts von Dilettanten in die Ohren blasen. Überschätzen Sie sich nicht, junger Mann. Ich kenne die Bühne besser als Sie.« Als Günther fragt, wie lange das Üben noch gehen soll, meint Vilmar:
    »Mindestens noch ein Jahr. Sie sind ja nicht mein erster Schüler.«
    Da packt Günther seine Noten zusammen und geht - ins nächste Notengeschäft und kauft den Klavierauszug vom» Freischütz«.


    Irgendwie kamen die beiden aber wieder zu einer Übungsstunde zusammen und es wurden wieder ›la-la-las‹ und ›mi-mi-mis‹ geübt. Da lässt der Schüler so scheinbar nebenher einfließen: »Ich studiere jetzt den Freischütz. Mit meinem Klavierlehrer.«, was Vilmar nur mit einem »So, so« kommentiert; insgeheim hatte er aber eingesehen, dass er es hier nicht mit einem ›Allerweltsschüler‹ zu tun hat und fragt in der nächsten Stunde recht freundlich: »Welche Arien wollen Sie denn gerne singen?«


    Der Herr Günther strahlt über das ganze Gesicht und sagt: »Bajazzo« und aller Ärger ist vergessen. Als nun das Bernuth´sche Konservatorium in der Rothenbaumchaussee ein Prüfungskonzert abhält folgt die nächste Überraschung - Vilmar sagt:
    »Wollen Sie mir einen Gefallen tun, Herr Günther? Ich hätte Sie gern dabeigehabt.«
    Günthers Bajazzo-Vortrag im großen Saal des Conventgartens in der Fuhlenwiete weckt überbordenden Beifall; die Zeitung schreibt von einem vielversprechenden Tenor.
    Mit dieser öffentlichen Anerkennung im Rücken, bestürmt Günther seinen Lehrer erneut doch Opernrollen mit ihm einzustudieren, aber Vilmar bremst abermals und meint:
    »Sie sind doch noch nicht bühnenreif.«
    Die Haushaltskasse muss aufgebessert werden, Günther erklettert nun nicht die Opernbühne, sondern Baugerüste. Der Vater stirbt und kann seinen Sohn nicht mehr auf der Bühne des Stadttheaters sehen.


    Auch der umtriebige Chors hat sich das mit der Ausbildung bei Vilmar etwas flotter vorgestellt und drängt:
    »Ick will dir man wat seggen, mien Jung. Ein Jahr bei Vilmar muscha wohl genöögen. Nu sing mal vor im Stadttheater un such dir fix een Engagement.«


    Mit dem Mut der Verzweiflung geht Günther nun zu Vilmar und bittet flehentlich, dass ihm dieser einen Vorsing-Termin am Stadttheater verschafft. Vilmar steht diesem Ansinnen mehr als reserviert gegenüber, lässt sich dann aber doch erweichen. Zehn Tage später empfängt ihn Vilmar zuckersüß mit einem Schreiben des Stadttheaters - morgen früh um 11 Uhr ist ein Vorsingen beim Ersten Kapellmeister angesetzt.
    Kapellmeister Gustav Brecher (jetzt liegen Stolpersteine mit seinem Namen vor den Opernhäusern in Hamburg und Leipzig) lässt dem Sänger die freie Wahl der Stücke und hört - ohne Gelegenheit zum Einsingen zu geben - zunächst die Arie des ›Vasco‹ aus der »Afrikanerin«, dann ›Höchstes Vertrauen‹ aus »Lohengrin« und ›Durch die Wälder durch die Auen‹ aus dem »Freischütz«.
    Kaum ist der letzte Ton verklungen, springt Brecher wie elektrisiert vom Stuhl und stürmt zur Bühne, die er unverzüglich frei räumen lässt, er hatte die Stimme ja nur im Probezimmer gehört. Das eben im Probezimmer vorgetragene Programm wurde nun nochmals von der Opernbühne aus vorgetragen, wobei Günther in den dunklen Raum hinein sang aus dem ab und an Getuschel zu hören war. Brecher und der Oberspielleiter kommen auf die Bühne gestürzt und Carl Günther wird mit Lob überschüttet, es fallen Begriffe wie Seltenheitswert und Wunder. Da Gustav Brecher in der nächsten Spielzeit nach Köln geht, möchte er die Neuentdeckung dorthin mitnehmen, aber Oberspielleiter Jelenko möchte ihn unbedingt in Hamburg behalten, und das möchte Dr. Hans Löwenfeld auch, der hat nämlich gerade für 75.000 Mark das Hamburger Stadttheater von der Stadttheater-Gesellschaft gepachtet.
    Vilmar ist in den Vertragsabschluss involviert, mitten auf der Straße unterschreibt Opernsänger Carl Günther den ersten Opernvertrag seines Lebens - fünf Jahre ans Hamburger Stadttheater. Im ersten Jahr jeden Monat 250 Mark pro Monat, im zweiten Jahr 500 und so weiter, bis im fünften Jahr dann 1.000 Mark Monatsgage erreicht sind.
    Löwenfeld möchte seine Neuerwerbung als Florestan auf der Bühne sehen; Vilmar ist dagegen: »Das kommt ja gar nicht in Frage, dass Sie den Florestan singen. Das ist ein Wahnsinn. Ich hab´s auch Löwenfeld gesagt. Viel zu schwer für einen Anfänger. Ich habe es abgelehnt.«


    Aber der junge Opernsänger will sich da nun nichts mehr dreinreden lassen und beschließt zur Freude Löwenfelds - ein Mann mit neununddreißig Jahren - dass er den Florestan singt; für den 30. August ist die Premiere angesetzt; ein junger Kapellmeister soll mit dem jungen Tenor die Rolle einstudieren, es wird zunächst im privaten Bereich des Kapellmeisters gearbeitet, der Anfang August sagt, dass die Vorbereitung nun beendet ist und es nun auf der Theaterbühne weitergeht.
    Hier bekommt es Günther nun mit Otto Klemperer zu tun, der neu in Hamburg angefangen hat. Klemperer fordert Günther auf, dass dieser zu ihm nach Hause kommt und dort den Florestan vorsingt. Von Klemperer kommt weder Lob noch Tadel, die Atmosphäre ist kühl.
    En anderer soll den Florestan singen, ein ganz naher Verwandter vom Generaldirektor der Hapag, aber letztendlich entscheidet Theaterpächter Löwenfeld, dass die Rolle bei Günther bleibt. Die Proben verlaufen nicht harmonisch und es gibt aus vielerlei Gründen Streit; der Gipfelpunkt ist erreicht als Klemperer den Taktstock aufs Podium knallt und erregt sagt:
    »So geht das nicht weiter, Herr Günther. Sie werden morgen den Floestan nicht singen - oder ich werde nicht dirigieren.« Klemperer und Löwenfels streiten auch, aber am 31. August ist Premiere, und die wird für den Tenor ein voller Erfolg, sogar Klemperer gratuliert.
    Nun ist auch das Hoftheater Wiesbaden an dem Hamburger Tenor interessiert und bietet einen wirklich lukrativen Vertrag an. Auch Günther hatte seinem Direktor mitgeteilt, dass er das Theater nach Vertragsablauf verlassen werde, denn er fühlt sich unterbeschäftigt und zudem schlecht bezahlt. Aber nun hat Löwenfeld eine Überraschung parat: »Mögen Sie den Max im ›Freischütz‹ singen?« Und er singt auch den Max mit Bravour.
    Im »Troubadour« fordert das enthusiastische Publikum die ›Stretta‹ gleich drei Mal. Dann kommt der große Caruso zu einem Gastspiel als Bajazzo in die Stadt, da steht Günther in den Kulissen, um sich etwas abzuschauen. Etwas später schlüpft er mit überwältigendem Erfolg selbst in das Kostüm des Bajazzo.


    Die Tenortöne hatten nun auch Bayreuth erreicht, von dort kam ein Telegramm von Siegfried Wagner, man bat ihn zum Vorsingen nach Bayreuth noch ehe ein Jahr nach seinem Hamburger Debüt vergangen war. Siegfried Wagner war von Günthers Stimme angetan, Frau Cosima auch, man wollte ihn als Froh im »Rheingold« und als Erik haben, aber Löwenfeld wollte seinen Startenor nicht für Wochen nach Bayreuth abgeben. Günther sah das mit einem lachenden und weinenden Auge, denn er hatte mächtiges Heimweh nach Hamburg. Aber die Hamburger Aufgaben zerren auch an den Nerven, denn schließlich singt er an zwei Bühnen, nämlich in Altona und Hamburg.


    Der ehemalige Kupferschmied bei Blohm & Voss wird nun von einem Theateragenten ins pikfeine Hotel Atlantic gebeten, er hatte ihn als Don José gehört und nach Berlin empfohlen; es ist von einem Fünfjahresvertrag die Rede und dreißigtausend im ersten Jahr sind angesagt, die sogar auf vierzigtausend ansteigen könnten.
    Das hört sich zwar gut an, aber er ist vertraglich noch drei Jahre an Hamburg gebunden.
    Die Hofoper Dresden bot gar 50.000 Mark im Jahr, für zehn Jahre. Mit Berlin hatte er einen Vertrag geschlossen, der erst in drei Jahren beginnen soll. In Hamburg wusste man nun, dass Carl Günther ab 1917 nach Berlin engagiert ist. Hier kann man auch einflechten, dass Günther in dieser Zeit auch einige Male mit Richard Tauber Skat spielte.


    In Dresden hatte man den Plan ausgeheckt, dass Günther in Berlin schlecht singen sollte, um aus dem Vertrag herauszukommen. Beim Probegastspiel steht er in »Traviata« mit Frieda Hempel auf der Bühne, an ihrer Seite bringt er es einfach nicht zustande schlecht zu singen. Graf von Hülsen, der Intendant des Kaisers, ist begeistert. Der Theaterdiener bringt im Kuvert die Abendgage von 300 Mark.


    Direkt in den Krieg ziehen muss Günther nicht, aber man hat eine ›Theaterkompanie‹ aufgestellt, die in der Sommerpause arbeiten muss, da sind Schmiedefäuste beim Stapeln von Granaten gefragt. Aber er gibt auch Konzerte für Verwundete, als Honorar gibt es das Kriegsverdienstkreuz.
    Als Günther in Barcelona - auf italienisch - unter Bruno Walter im »Freischütz« singt, bringt er wertvolle Peseten nach Hamburg; im Hamburger Stadttheater kostet ein Platz im 1. Rang und 1. Parkett 6. 600 000 000 000 Mark. (nach Heinrich Chevalley).


    Angebote in die große weite Welt konnten Günther nicht locken, Toscanini hatte ihn nach München gebeten, Leo Schützendorf gab den Dolmetscher. Der Maestro war mit dem Gesang des Deutschen zufrieden, aber er wollte Günther für das Wagner-Fach haben, aber dieser fühlte sich nicht als Wagner-Sänger, obwohl er natürlich Parsifal und Lohengrin gesungen hatte, aber dreimal an einem Abend vor begeistertem Publikum dir ›Stretta‹ zu wiedeholen gefiel ihm besser.
    Die Metropolitan Opera New York bittet ihn nach Wien, sie wollen pro Vorstellung 600 Dollar zahlen, sechs Abende im Monat garantiert, ihre Wunschpartien sind Siegfried, Tannhäuser, Rienzi ...
    Carl Günther hatte im Prinzip nichts gegen Wagner-Gesang, aber er dachte immer noch daran, dass ein Hamburger Kritiker mal schrieb:
    »Wenn man eine solche Cello-Stimme hat wie Carl Günther, soll man nicht Trompete blasen.«
    Von 1924 bis 1929 schließt Günther mit dem Hamburger Stadttheater einen Fünf-Jahres-Vertrag ab. Mit vier Monaten für Berlin.
    Zu Weihnachten 1928 steht es in der Zeitung: Carl Günther und Max Lofing sind vom Senat der Stadt Hamburg zu Kammersängern ernannt worden.


    Praktischer Hinweis:
    Friedhof Ohlsdorf, Fuhlsbüttler Straße 756, 22337 Hamburg
    Man findet das Grab auf dem Friedhofsplan im Planquadrat U 10. Vom Fußgängereingang aus benutzt man die Kapellenstraße, die im Bogen zur Kapelle 1 führt, dort wendet man sich wenige Meter nach links.


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