Darius Milhaud (1892-1974):
LE PAUVRE MATELOT
(Der arme Matrose)
Complainte (Wehklage) in einem Akt und drei Bildern (auch: drei Akte) - Libretto von Jean Cocteau
Gewidmet ist das Werk dem Bariton Louis Musy (1902-1981), der in der Uraufführung die Rolle des „son ami“ kreierte.
Uraufführung am 16. Dezember 1927 in der Pariser Opéra-Comique,
deutsche Erstaufführung am 29. November 1929 an der Berliner Krolloper
DIE PERSONEN DER HANDLUNG
Der Matrose, Tenor
Seine Frau, Sopran
Sein Freund, Bariton
Sein Schwiegervater, Bass
Die Handlung (mit etwa 40 Minuten Spieldauer) geht in einer französischen Hafenschenke zu unbestimmter Zeit vor sich.
INHALTSANGABE
ERSTES BILD/ERSTER AKT
Seit ihr Ehemann vor fünfzehn Jahren Matrose geworden ist, hat die Frau nichts mehr von ihm gehört. Um finanziell über die Runden zu kommen, betreibt sie mit ihrem Vater eine nicht gerade begehrte Hafenschenke. Die Frau sehnt sich nach ihrem Ehemann, dem sie auch nach so vielen Jahren immer noch die Treue hält; sie will einfach nicht glauben, dass ihm etwas zugestoßen ist. Ihr Vater sieht das völlig anders und bringt immer wieder eine Heirat mit dem Freund ihres Mannes ins Spiel, die von der Frau ebenso oft abgelehnt wird. Selbst die Aussicht auf eine finanzielle Verbesserung ihrer Lebenssituation ist für sie kein Grund, ihrem Gatten untreu zu werden.
Eines Tages taucht nun der Matrose in seiner Heimatstadt auf und begibt sich zunächst zu jenem Freund, der den ziemlich heruntergekommenen Matrosen jedoch nicht erkennt. Als sich der Seemann aber zu erkennen gibt, erhält er auf seine Bitte hin sofort für eine Nacht ein Quartier; am nächsten Morgen will er sich dann zu seiner Frau begeben.
ZWEITES BILD/ZWEITER AKT
Am anderen Tag geht der Matrose, wie angekündigt, zur Hafenschenke. Hier trifft er seine Frau (natürlich auch seinen Schwiegervater), die ihn, wie schon der Freund zuvor, nicht erkennt. Der Matrose beschließt, seine Identität noch nicht zu lüften, sondern spielt seiner Frau einen Fremden vor, der von ihrem Mann den Auftrag erhielt, seine bevorstehende Rückkehr anzukündigen. Allerdings solle sie, fügt er noch hinzu, nicht auf Reichtümer hoffen, denn ein Matrose ist kaum in der Lage, reich zu werden. Mit seinem nächste Satz, den er, vom Ende des Stücks her gedacht, nie hätte sagen sollen, macht der Matrose seine Frau und seinen Schwiegervater hellhörig: Mit gespielter Bescheidenheit gibt er an, nicht nur etwas gespart zu haben, sondern auch eine kostbare Perlenkette zu besitzen, die er immer bei sich trage. Frau und Schwiegervater sind wie elektrisiert (das Publikum ahnt, warum) - und bieten ihm großzügig Quartier an.
DRITTER AKT/DRITTES BILD
Das Unglaubliche geschieht: Die Frau hat, wie auch ihr Vater, ihren Mann nicht erkannt, aber die Aussage des „Fremden“ über „Erspartes“ und einer „Perlenkette“ hat sie habgierig gemacht. In der Nacht schleicht sie sich also leise in sein Zimmer und erschlägt den Mann mit einem Hammer. Dann geht sie zu ihrem Vater, weckt ihn und gesteht ihm den Mord. Ohne irgendwelche Gewissensbisse erkennen zu lassen, denkt sie mit der Begründung für den Mord nur an eine gesicherte Zukunft mit dem erwarteten Ehemann. Auch dem Vater kommen keine Bedenken und sie schleppen in der Dunkelheit den Toten aus dem Haus und lassen ihn im Meer verschwinden. Wenn Nachbarn Fragen stellen sollten, werden sie einfach sagen, dass der Fremde bereits wieder abgereist sei...
INFORMATIONEN ZU KOMPONIST UND WERK
Darius Milhaud entstammte einer wohlhabenden jüdischen Familie aus Aix- en-Provence. Im Alter von sieben Jahren bekam er ersten Violinunterricht, und begann im Jahre 1909 ein Studium am Pariser Konservatorium bei Paul Dukas, Vincent d'Indy und Charles Widor. Besonders wichtig für seinen künstlerischen Werdegang war die Bekanntschaft mit Paul Claudel, dem damaligen französischen Botschafter in Brasilien, der ihn sogar als Attaché mit nach Rio de Janeiro nahm.
Als er Ende des Jahres 1918 nach Frankreich zurückkehrte, kam er mit dem Kreis um Jean Cocteau in Kontakt und schloss sich der „Groupe des Six“ an. Viel Aufsehen erregte Milhaud mit Werken wie dem Ballett „Le boeuf sur le toit“ von 1920 und der Oper „La brebis égarée“ von 1923.
Die Kriegsereignisse, insbesondere die Judenverfolgungen, veranlassten Milhaud im Jahre 1940 in die Vereinigten Staaten auszuwandern; hier wurde er nicht nur auf den Jazz aufmerksam, nahm für seine musikalischen Stilmittel auch Einflüsse der Exotik auf und besann sich daneben auf die Musik Johann Sebastian Bachs, die sein kompositorisches Schaffen beeinflussten. Während der Kriegsjahre arbeitete er als Lehrer am „Mills College“ im kalifornischen Oakland, nach dem Krieg in Aspen (Colorado) und Paris. Im Jahre 1971 ließ er sich in Genf nieder.
1973 erschien seine Autobiographie „Ma vie heureuse“.
DER ARME MATROSE ist vom Stoff her zum Verismus zu zählen, die Musik hingegen erinnert gelegentlich an Puccini und Strawinsky, wechselt von Ironie zur Klage und erzeugt den sicherlich vom Komponisten gewollten Eindruck von Primitivismus. Zugleich sind Anklänge an den Moritatengesang wahrzunehmen.
Siehe auch hier:
Vor 85 Jahren uraufgeführt: "Der arme Matrose" von Darius Milhaud [Le pauvre matelot]
© Manfred Rückert für den Tamino-Opernführer 2013
unter Hinzuziehung folgender Quellen:
Libretto in der Übersetzung von Marie Pappenheim (Heugel, Paris 1930)
Libretto in der Übersetzung von Werner Riemerschmied (Suhrkamp, 1962)
Opernführer von Reclam und Könemann