Lieder von Hugo Wolf

  • Und noch ein Tipp:
    "Storchenbotschaft" - ebenfalls Wolf/Mörike
    Eine ganz herrliche Musik, wenn in der letzten Strophe die Störche davon fliegen...


    Dietrich Fischer-Dieskau hat ein recht dickes Buch über Hugo Wolf geschrieben, das ich mit Genuss und Gewinn gelesen habe.

  • Hallo, Helmut Hofmann,
    na ja, ich habe sehr großen Respekt vor künstlerischen Leistungen und wundere mich schon, dass da im Forum mitunter "Kritiker" auftreten, die sich sehr weit aus dem Fenster lehnen...
    Gerade in den letzten Wochen habe ich die Biografien von Wolfgang Sawallisch und Lisa della Casa gelesen.
    Gelegentlichwerde ich mal ein paar Sätze daraus hier im Forum zitieren. Die beiden Künstler äußern sich nämlich u.a. zu den Leistungen von Sängerinnen und Sängern.


    Natürlich darf man kritisieren, natürlich muss man nicht alles bewundern, aber zum Beispiel einen großen Interpreten schlicht und einfach mit "schlecht" zu bezeichnen, finde ich ungehörig!

  • Hier ist ein Lied von Hugo Wolf, das vermutlich nicht so bekannt ist, aber wunderbar in diese Tage passt:


    Karwoche (Text von Eduard Mörike)


    Der Text von Mörike pendelt zwischen Begeisterung für die draußen zu neuem Leben erwachende Natur und den dunklen Schatten, die das Kreuz auf die lichte Erde wirft, hin und her. Darin besteht der ganz eigene Reiz dieses Gedichts, und Hugo Wolf hat mit seinem Lied wieder einmal gezeigt, wie genial er den Geist eines lyrischen Textes musikalisch einfangen und gestalten kann.


    In der ersten Strope dominieren schwermütige Klänge, und bei dem Vers "Und senkest schweigend deine Flöre nieder" scheint die melodische Linie in ihrer Bewegung nach unten hin beinahe mit den raffinierten akkordischen Rückungen in den Moll-Bereich zu versinken.


    Dann aber, mit dem Vers "Der Frühling darf indessen immer keimen" schwingt sie sich, getragen von Dur-Klängen begeistert in die Höhe, um schließlich bei richtigen Jubeltönen zu landen. Das Klavier untermalt diese beschwingte Aufwärtsbewegung mit nicht enden wollenden Trillerklängen.


    Mit dem Beginn der dritten Strophe sinkt alles wieder in sich zusammen: "O schweigt, ihr Vöglein auf den grünen Auen!" Man vernimmt deutlich die "dumpfen Glockenklänge" in der Klavierbegleitung, von denen der nächste Vers spricht.


    Veilchen leuchten kurz auf, aber Mörike fügt gleich bedauernd hinzu: "Ihr ... kränzt heut keine Lockenhaare! / Euch pflückt mein frommes Kind zum dunkeln Strauße". Sie sollen "welken auf des Herrn Altare".


    Mit der letzten Strophe haben die "Trauermelodien" endgültig die Herrschaft über das Lied errungen, und wenn es am Ende heißt: "Und Lieb und Frühling, alles ist versunken", dann ist auch die melodische Linie versunken. Sie hört auf eine fast erschreckende Weise einfach auf.


    Ein wunderschönes Lied. Die beste Interpretation, die ich kenne, ist die von Dietrich Fischer-Diekau in der großen Wolf-Edition bei der DG. Nicht zuletzt deshalb, weil hier Daniel Barenboim am Klavier begleitet.
    Bei ihm wird auf faszinierende Weise höbar, was Hugo Wolf alles mit dem Klavier zustandebringen kann.

  • Nachdem Herbert Henn schon auf die hervorragende Hotter-Moore-Aufnahme hingewiesen hat, die wirklich uneingeschränkt weiterempfohlen werden kann, möchte ich auf diese Wolf-Aufnahmen hinweisen:





    Dietrich Fischer-Dieskau hat diese Einspielungen in den Siebzigern mit Daniel Barenboim gemacht. Für seine Verehrer ein Muß!






    Interessant die Auffassung von Svjatoslav Richter über Liedbegleitung am Piano.






    Verschiedene Interpreten-verschiedene Epochen.
    Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen...(aus Faust I)


    :hello:

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Lieber Siegfried,


    vielen Dank für die Vorstellung der Hugo Wolff CDs. Letztere finde ich sehr gut mit vielen guten Interpreten, werde sie mir zur nächsten Gelegenheit wünschen (vielleicht zur Genesung im Krankenhaus).


    :hello:

  • Das sind ja ganz hübsche Bildchen, lieber Siegfried, die Du da aufs Forum stellst. Schöner fände ich sie freilich noch, wenn Du ein bisschen mehr dazu schreiben würdest.
    Da steht unter einem: "Interessant die Auffassung von Svjatoslav Richter über Liedbegleitung am Piano"
    Ja was denn nun? Was ist da interessant? In welcher Form und auf welche Weise äußert sich bei dieser CD denn Richters Auffassung über Liedbegleitung?


    Richter hat ja Fischer-Dieskkau bei vielen Auftritten und Schallplattenproduktionen begleitet. Es gibt auch Filmaufzeichnungen davon. Er liebt, wie man weiß, langsame Tempi, siehe etwa seine berühmt gewordene Interpretation von Schuberts B Dur-Sonate.
    Hat für Dich seine pianistische Grundhaltung hörbare Auswirkungen auf Fischer-Dieskaus Interpretation? Und wenn ja, welche?


    Das wüsste ich gar gerne. Dann könnte ich nämlich vielleicht dazu Stellung nehmen.
    Wäre doch eine feine Sache, - ich meine ein wenig mehr Dialog, hier auf dem Forum.
    Findest Du nicht auch?

  • Meine Favoriten von Hugo Wolf:


    Nun wandre, Maria
    Führ mich, Kind, nach Betlehem
    Ach, des Knaben Augen
    In grüner Landschaft Sommerflor
    Sohn der Jungfrau, Himmelskind
    Wie heimlicher Weise
    Die heil´gen drei König´


    um nur einige zu sagen. Am liebsten sang ich das 1. Lied "Nun wandre, Maria nun wandre nur fort, schon krähen die Hähne und nah ist der Ort...."



    :hello:

  • Guten Morgen Frau musica,


    Karl Erb singt dieses Lied wunderschön - es gibt eine CD-Aufnahme davon.

  • Es ist mir ein Anliegen die CD-Vorstellung zu ergänzen:


    EMI-CLASSICS


    WOLF-LIEDER (Eichendorff / Mörike / Goethe)
    Gesungen von Ian Bostridge, Tenor
    Antonio Pappano, Piano

  • Etwas Eigentümliches ist mir passiert, in Sachen Hugo Wolf. Eigentlich wollte ich, beschwingt vom Frühling draußen, auf das Lied "Frühling übers Jahr" aufmerksam machen.
    Aber dann passierte dieses:


    Ich las den Hinweis von Frau Musica auf "Nun wandre, Maria". Dieses Lied hatte ich schon einige Jahre nicht mehr gehört, es war mir nicht mehr gegenwärtig. Als ich die EMI-Platte mit der Aufnahme von Janet Baker (am Flügel Gerald Moore) aufgelegt hatte, wurde ich ganz unmittelbar angerührt.
    Diese im piano verhaltene, gleichmäßig fließende und "wie aus weiter Ferne" kommende Singstimme, die von Terzen im Klavier umspielt wird, die, von Quinten in den Bässen getragen, wellenartig zwischen Dur- und Mollklängen pendeln, - das alles ging mir so unter die Haut, dass ich erst einmal gar nicht mehr in der Stimmung war, mein heiteres Frühlingslied hier zu präsentieren.


    Ich tu´s jetzt trotzdem, freilich im Augenblick nur halben Herzens.


    Johann Wolfgang Goethe: Frühling übers Jahr


    Das Gedicht Goethes atmet vom ersten bis zum letzten Vers einen heiteren Geist, einen frühlingshaften eben. Mit Bildern aus einer überall aufkeimenden Natur wird diese Stimmung evoziert:
    Glöckchen wanken, weiß wie Schnee, Safran entfaltet gewaltge Glut, Priemeln stolzieren naseweis, schalkhafte Veilchen verstecken sich mit Fleiß.
    Mit einem "Doch" setzt dann die zweite Strophe ein. Den Gartenbildchen wird das wirkungsmächtigere Bild des "Liebchens" an die Seite gestellt. Reicher als die Natür blüht noch "des Liebchens lieblich Gemüt". Die Geliebte ist ein "Blütenherz, im Ernste freundlich und rein im Scherz".
    Am Ende heißt es:
    Wenn Ros und Lilie
    Der Sommer bringt,
    Er doch vergebens
    Mit Liebchen ringt.


    Wolf hat, wie man das von ihm kennt, den Geist dieses Goethe-Gedichts kongenial in Musik verwandelt.
    Gleich mit den ersten Takten schlägt das Klavier einen tänzerischen Rhythmus an, der wie ein fröhliches Hüpfen wirkt. Er wird über das ganze Lied durchgehalten.
    Am Schluss der ersten Strophe schwingt sich die Singstimme bei "der Frühling, er wirkt und lebt" in strahlende Höhen auf, um sich dann, zusammen mit der Klavierbegleitung"zu Beginn der zweiten Strophe wieder etwas zurückzunehmen, dem Wechsel des Themas entsprechend.
    Am Ende klingt alles in fast schelmischem Ton aus.


    Ein von Grund auf heiteres Lied, wie gesagt. Es will für mich im Augenblick gar nicht mit dem verhaltenen Ton von "Nun wandre, Maria" zusammenstimmen.
    Aber so ist das eben mit unseren Liedern. Sie können uns von Augenblick zu Augenblick in andere Welten tragen, in denen wir Erfahrungen machen, die unsere Lebenswirklichkeit auf vielfältigie Weise transzendieren und bereichern können.
    Frühlingshaftes Hochgefühl und Mitleiden an der Passion des Anderen können da unmittelbar aufeinanderfolgen.
    Ach ja, Hugo Wolf!

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  • Ja, dieses Lied von Hugo Wolff, "nun wandre Maria" ich habs gesungen, müsste eigentlich von einem Mann gesungen werden, es macht mir immer wieder Gänsehaut. Das Trösten von Josef, ihr Mut zusprechen, die Angst nicht früh genug am Ort zu sein, alle wegzugeben wenn es denn endlich so weit wäre das Kind zu gebären....


    Nun wandre, Maria, nun wandre nur fort.
    Schon krähen die Hähne, und nah ist der Ort.
    Nun wandre, Geliebte, du Kleinod mein,
    Und balde wir werden in Bethlehem sein.
    Dann ruhest du fein und schlummerst dort.
    Schon krähen die Hähne und nah ist der Ort.
    Wohl seh ich, Herrin, die Kraft dir schwinden;
    Kann deine Schmerzen, ach, kaum verwinden.
    Getrost! Wohl finden wir Herberg dort.
    Schon krähen die Hähne und nah ist der Ort.


    Wär erst bestanden dein Stündlein, Marie,
    Die gute Botschaft, gut lohnt ich sie.
    Das Eselein hie gäb ich drum fort!
    Schon krähen die Hähne und nah ist der Ort.

  • Ich finde gar nicht, liebe Frau Musica, dass dieses Lied nur von einem Mann gesungen werden sollte. Gewiss, die historische Situation, um die es da geht, suggeriert scheinbar eine Männerstimme.
    Aber das betrifft ja nur gleichsam die Oberfläche dieses Liedes. In seiner Tiefe geht es, wie Du ja auch deutlich gemacht hast, um Empfindungen, die allgemeinmenschlich sind: Mitleiden, Angst, Hoffnung, Zuspruch.


    Das Lied erzählt ja nicht, es berichtet nicht von einem historischen Ereignis. Der lyrische Text ist durchweg im Präsens gehalten! Es lebt, wenn man sich ganz seiner musikalischen Struktur überlässt, ganz von der Compassion. Singstimme und Klavierbegleitung lassen das ganz unmittelbar spüren.


    Ich bin sonst kritisch, was die Zuordnung von Männer- und Frauenstimmen im Lied anbetrifft, und meine z.B., dass die Winterreise unbedingt nur von einer Männerstimme angemessen interpretiert werden kann. Das, was da durchlitten wird, ist die Gefühlswelt eines Mannes.
    Hier, bei diesem Lied von Hugo Wolf, ist das ganz anders. Jeder kann so mitleiden.

  • Zitat

    Original von Helmut Hofmann
    Ich finde gar nicht, liebe Frau Musica, dass dieses Lied nur von einem Mann gesungen werden sollte. Gewiss, die historische Situation, um die es da geht, suggeriert scheinbar eine Männerstimme.
    Aber das betrifft ja nur gleichsam die Oberfläche dieses Liedes. In seiner Tiefe geht es, wie Du ja auch deutlich gemacht hast, um Empfindungen, die allgemeinmenschlich sind: Mitleiden, Angst, Hoffnung, Zuspruch.


    Das Lied erzählt ja nicht, es berichtet nicht von einem historischen Ereignis. Der lyrische Text ist durchweg im Präsens gehalten! Es lebt, wenn man sich ganz seiner musikalischen Struktur überlässt, ganz von der Compassion. Singstimme und Klavierbegleitung lassen das ganz unmittelbar spüren.


    Ich bin sonst kritisch, was die Zuordnung von Männer- und Frauenstimmen im Lied anbetrifft, und meine z.B., dass die Winterreise unbedingt nur von einer Männerstimme angemessen interpretiert werden kann. Das, was da durchlitten wird, ist die Gefühlswelt eines Mannes.
    Hier, bei diesem Lied von Hugo Wolf, ist das ganz anders. Jeder kann so mitleiden.


    Du hast natürlich recht, ich denke eigentlich genauso, darum habe ich es ja auch in meinem Repertoire und habe es auch oft gesungen, ich liebe es.

  • Allljährlich wieder geschieht es. Es ist April, ein Zitronenfalter flattert über gerade erst sprossende Sträucher, und mir kommen Mörikes Verse in den Sinn: "Zitronenfalter im April". Natürlich, wie das fast immer bei Mörike geschieht, in der Vertonung, die Hugo Wolf geschaffen hat.


    Eduard Mörike: Zitronenfalter im April


    Grausame Frühlingssonne,
    Du weckst mich vor der Zeit,
    Dem nur in Maienwonne
    Die zarte Kost gedeiht!
    Ist nicht ein liebes Mädchen hier,
    Das auf der Rosenlippe mir
    Ein Tröpfchden Honig beut,
    So muss ich jämmerlich vergehn
    Und wird der Mai mich nimmer sehn
    In meinem gelben Kleid.


    Die einleitenden Klavierakkorde legen den Charakter des Liedes fest. Sie greifen zaghaft und zögerlich in hohe Moll-Lagen aus, um dann wieder in sich zurückzufallen.
    So geht es das ganze Lied über. Nur dort, wo das "liebe Mädchen" ins Spiel kommt, verliert die melodische Linie für ein paar Takte ihren klagenden, vielleicht zuweilen sogar kläglichen Unterton und bewegt sich ruhig in harmonischen Dur-Klängen.
    Aber spätestens bei dem Wort "jämmerlich" ist der Klageton wieder voll da und fordert das ganze Mitgefühl mit diesem kleinen, verirrten und im Grunde ja verlorenen gelben Gesellen.
    Fast schon raffiniert ( wen wundert´s bei Hugo Wolf? ) ist das Klaviernachspiel angelegt. Es ist dieselbe Figur wie bei der Einleitung, aber sie klingt in einer zögerlichen Bewegung so aus, dass man am Ende sogar einen Schlusston oder -akkord vermisst. Sie verharrt einfach und bleibt stehen.


    Ich frage mich, ob dieses alljährliche Erlebnis nur ein simpler Effekt ist, eine Art vordergründiges Aha-Erlebnis, oder ob mehr dahintersteckt. Es ist eine Frage, die sich wahrscheinlich so mancher Liebhaber des Kunstlieds schon gestellt hat, wenn bei irgendeiner Begegnung mit einer Erscheinung der realen Welt sich ein Lied in ihm meldet.


    Ich möchte nicht allzu viel in dieses Phänomen hineingeheimnissen. Mir scheint aber, es ist eine Art metaphorischer Blick, der da geweckt wird, wenn bei der Begegnung mit einem realen Zitronenfalter im April das Lied von Hugo Wolf aufklingt.
    Man sieht die Vergänglichkeit, ja die Gefährdung von Schönheit in einer Welt, die keinen Sinn für sie hat, ihr gleichgültig gegenübersteht.


    Beim letzten Ton des Lieds kam mir jene überaus hellsichtige Feststellung in den Sinn:
    "Jedes Verklingen eines Tones ist schon ein Drama an sich."
    ----------------------
    (Nachtrag, spät: Zweifel, ob ich das Forum vielleicht langweilen könnte, mit derlei Beiträgen.)

  • Eine eigentümliche Erfahrung habe ich gemacht. Sie gehört eigentlich in den Thread "15 Jahre Winterreise...". Weil sie aber an einem Lied von Hugo Wolf gemacht wurde, setze ich sie hierhin.
    Sie geht so.


    Im Hessischen Rundfunk hörte ich vor kurzem in der Reihe "Poeten und Literatur" die Übertragung eines Liederabends in Oslo vom 7. April 2010.
    Die Sopranistin Katharina Gericke sang, begleitet von Christian Ihle Hadland, die Mignon-Lieder von Schubert und Hugo Wolf.
    Es schien mir insgesamt keine besonders herausragende Interpretation zu sein, an einem Lied aber störte mich das eigentümliche innere Unbeteiligtsein der Sängerin ganz besonders:
    Am dritten Mignon-Lied von Hugo Wolf ("So lasst mich scheinen, bis ich werde...").
    Das ist ja ein Gedicht, bei dem diese ohnehin geheimnisvolle Gestalt aus Goethes "Wilhelm Meister" in die Sphären der Entrückung und Verklärung gehoben wird.


    Ich hatte dieses Lied lange nicht mehr gehört.
    Die Einleitungstakte, diese wehmütig von oben, aus einem hohen a-Moll herabsteigenden Klänge des Klaviers schlugen mich sofort in Bann und ließen mich auch am nächsten Tag nicht mehr los (nicht übertrieben!).
    Sie sind ja das tragende musikalische Motiv des Liedes.
    Um so mehr störten mich die - aus meiner Sicht - deutlichen Mängel in der gesanglichen Leistung der Sopranistin. Da war einfach zu wenig Interpretation zu hören.


    Ich suchte nach anderen Aufnahmen in meiner Sammlung und musste erst einmal wieder feststellen, dass ich in Sachen Frauenstimmen "schlecht sortiert" bin.
    Immerhin, ich fand zwei Aufnahmen:
    Einen Mitschnitt eines Liederabends, den Juilane Banse (begleitet von J. Ph. Schulze) im Jahre 2005 in Bad Urach gab, und
    die Aufnahme von Elisabeth Schwarzkopf (mit Gerald Moore), zu finden in der 8 CD-Kassette "Hugo Wolf, The Anniversary Edition, EMI classics.


    Und jetzt geschah das, was diese Geschichte erzählenswert macht.
    Ich hörte mir beide Aufnahmen unmittelbar hintereinander an - und mir blieb danach der Mund offenstehen.
    Einen solchen Unterschied in der Interpretation ein und desselben Liedes hatte ich noch nicht erlebt!


    JULIANE BANSE:
    Volle Stimme, energisch im Ton, rasches Tempo, ausgeprägte Dynamik. Und zugleich höchst ausdrucksvoll!
    Das soll die zarte Mignon sein?, dachte ich zunächst, konnte aber nicht leugnen, dass diese Juliane Banse als Interpretin "etwas zu sagen" hatte, nicht einfach gedankenlos dahinsang.
    Ich nahm an, dass sie sich bei der Gestaltung des Liedes von den Versen leiten ließ: "Ich eile von der schönen Erde / Hinab in jenes feste Haus".
    Das "So lasst mich scheinen" klang wie eine dringende Aufforderung, und überhaupt schien da eine Frau zu singen, die deutlich ausspricht, was sie tun und was sie erreichen möchte.
    Langweilig und nichtssagend war das jedenfalls nicht!
    Und dann ...


    ELISABETH SCHWARZKOPF:
    Die Stimme so weit wie möglich zurückgenommen, manchmal fast gehaucht, langsames Tempo, überaus zarter, verhaltener Ton. Der Gesang wie nach innen gerichtet.
    Da spricht ein Mensch in sich hinein. Er stellt keine Forderung, richtet seine Worte nicht an Außenstehende, er spricht überaus verhalten einen geheimen Wunsch, eine stille Sehnsucht aus.
    Die Stelle "Vor Kummer altert ich zu frühe" hat mich in der Seele tief angerührt!
    Und noch etwas:
    Am Schluss des Liedes ("Macht mich auf ewig wieder jung") löst sich die melancholisch drückende Enge der vielen Moll-Töne auf in ein strahlendes A-Dur.
    Bei der Schwarzkopf ist dieser (von Wolf natürlich gewollte!) "Effekt" schlechterdings umwerfend und atemraubend!


    So viel von den Erfahrungen eines Liedfreunds, der törichterweise immer wieder einmal die Auffassung vertritt, man müsse sich doch viel mehr um die Lieder selbst kümmern als um die Stimmen, die sie hörbar werden lassen.

  • "hat mich in der Seele tief angerührt!"


    Genau das ist der Punkt! Die Seele muss berührt werden, auch wenn die Augen die Noten noch nie gesehen haben...

  • Das ist jetzt garantiert meine letzte Anmerkung zu diesem Thema hier.


    Mein schönstes Erlebnis, das Kunstlied betreffend, hatte ich vor vielen Jahren in der Pause(!) eines Liederabends von Dietrich Fischer-Dieskau. Dort sah ich links eine Gruppe von Jugendlichen im Schüleralter, die alle die "Texte deutscher Lieder" in der Hand hatten. (Wo gibt es so etwas heute noch?)
    Und rechts blickten zwei Damen und ein Herr inensiv in die Friedlaender-Ausgabe der Schuberlieder.


    Ich war hell entzückt.
    Na also, ging es mir spontan durch den Kopf, diese da links und rechts von mir sind garantiert nicht nur gekommen, um zu genießen, was von der Bühne kommt. Die wollen garantiert auch hören. Lieder hören!

  • Im wunderschönen Monat Mai, als alle Knospen sprangen ...
    wurde hier zum letzten Male gepostet. Nun hat sich im "Blumenthread" bei der Betrachtung der Christrose ergeben, dass zu diesem Lied etwas mehr gesagt werden könnte und dass hier wohl der richtige Ort für solcherart Erörterungen wäre. Die Jahreszeit ist passend. "Schlafendes Jesuskind" ist ebenfalls von Hugo Wolf vertont, also könnte man wohl einiges dazu schreiben ... Ich füge zur Grundlage mal den Liedtext ein:


    Auf eine Christblume


    Tochter des Waldes, du Lilienverwandte,
    So lang von mir gesuchte, unbekannte,
    Im fremden Kirchhof, öd und winterlich,
    Zum erstenmal, o schöne, find ich dich!


    Von welcher Hand gepflegt du hier erblühtest,
    Ich weiß es nicht, noch weßen Grab du hütest;
    Ist es ein Jüngling, so geschah ihm Heil,
    Ist's eine Jungfrau, lieblich fiel ihr Teil.


    Im nächtgen Hain, von Schneelicht überbreitet,
    Wo fromm das Reh an dir vorüberweidet,
    Bei der Kapelle, am kristallnen Teich,
    Dort sucht ich deiner Heimat Zauberreich.


    Schön bist du, Kind des Mondes, nicht der Sonne;
    Dir wäre tödlich andrer Blumen Wonne,
    Dich nährt, den keuschen Leib voll Reif und Duft,
    Himmlischer Kälte balsamsüße Luft.


    In deines Busens goldner Fülle gründet
    Ein Wohlgeruch, der sich nur kaum verkündet;
    So duftete, berührt von Engelshand,
    Der benedeiten Mutter Brautgewand.


    Dich würden, mahnend an das heilge Leiden,
    Fünf Purpurtropfen schön und einzig kleiden:
    Doch kindlich zierst du, um die Weihnachtszeit,
    Lichtgrün mit einem Hauch dein weißes Kleid.


    Der Elfe, der in mitternächtger Stunde
    Zum Tanze geht im lichterhellen Grunde,
    Vor deiner mystischen Glorie steht er scheu
    Neugierig still von fern und huscht vorbei.


    Im Winterboden schläft, ein Blumenkeim,
    Der Schmetterling, der einst um Busch und Hügel
    In Frühlingsnächten wiegt den samtnen Flügel;
    Nie soll er kosten deinen Honigseim.


    Wer aber weiß, ob nicht sein zarter Geist,
    Wenn jede Zier des Sommers hingesunken,
    Dereinst, von deinem leisen Dufte trunken,
    Mir unsichtbar, dich blühende umkreist?


    Eduard Mörike

  • Zitat: "Ich füge mal ... den Liedtext ein" - ("und nun seht mal zu!", möchte man ergänzen.) - Als wenn das bei einem Lied von Hugo Wolf so einfach wäre!


    Zunächst:


    Der hier "eingefügte Text" ist der Text von zwei Hugo-Wolf-Liedern: "Auf eine Christblume I" und "Auf eine Christblume II". Das Lied Nummer zwei beginnt mit "Im Winterboden schläft, ein Blumenkeim...", und es klingt völlig anders als das erste. Was also nun? Zu welchem der beiden soll etwas gesagt werden?


    Ich gehe mal an das bedeutendere heran, dasjenige, das aus den ersten sieben der hier eingefügten Mörike-Gedichstrophen besteht. Das Problem ist: Hugo Wolf komponiert aus dem poetischen Gehalt seiner Texte heraus. Man versteht seine Lieder besser, wenn man um diesen poetischen Gehalt weiß, die Gedichte also vorher gelesen und zu verstehen versucht hat. Deshalb soll zunächst einmal auf Mörikes Gedicht eingegangen werden. Im zweiten Anlauf folgt dann die Betrachtung der Komposition.


    Bei diesem Gedicht von Mörike geht es nur vordergründig um eine Blume, und mit der "vorweihnachtlichen Zeit, die damit im Thread "Die Blume im Kunstlied" assoziiert wurde, hat es auch nichts zu tun. Die Begegnung mit der Christrose ist für den Dichter nur Anlass für die Entfaltung einer ganzen Flut von Gedanken und Empfindungen, in deren Mittelpunkt der Gegensatz steht, den der Titel des Gedichts in sich trägt: Christ-Rose, - diese einen Widerspruch in sich bergende Kombination von Natur und der Welt des christlichen Glaubens.


    Der Dichter Mörike setzt sich hier - wieder einmal - mit den religiösen Inhalten auseinander, mit denen er als Pastor sozusagen "professionell" zu tun hat, und er erlebt sie, auch das typisch für ihn, in ihrem Gegensatz von Jenseits-Orientiertheit und dem Diesseits zugewandtem Leben, - hier im Dingsymbol "Christblume".


    Diese Blume ist ein zartes Wesen, das lebt und doch dem Tode nahesteht, eine Tochter des Waldes zwar, aber nicht ein Kind der Sonne, sondern des Mondes. Der Ort, an dem er ihr begegnet, ist das Grab. Ihr Duft ist kaum zu erfahren, es ist der ätherische Duft von Engeln. Ihre Schönheit oszilliert zwischen dem schimmernden Weiß einer lebendigen Brust und dem Purpur der Blutstropfen, die an die Gegenwart des Kreuzes gemahnen.


    Das Bild des Elfen, der auf dem Weg zum Tanz ist und neugierig, aber doch scheu und aus großer Entfernung, vor der mystischen Glorie dieser Blume verharrt, macht wie mit einem zarten Schlaglicht ihr Wesen sichtbar: Sie ist nur halb von dieser Welt; die jenseitige Welt ragt auf mystische Weise in sie hinein.


    Die Größe des Komponisten Hugo Wolf besteht darin, dass er wie kein zweiter Lied-Komponist den dichterischen Gehalt seiner Textvorlagen bis in die feinsten Winkel musikalisch auszuloten versteht. Also auch das, was eben gerade aus dem Gedicht "herausgelesen" wurde. Man kann das hören, und das soll noch gezeigt werden.

  • Lieber Helmut Hofmann,
    im Prinzip bin ich mit Deiner Interpretation einverstanden. Dass es sich bei dem von mir eingegebenen Text um zwei Lieder handelt, wurde zwar im "Blumenthread" erklärt, aber hier Mitlesende müssen diese Information natürlich auch haben, was nun mit Deiner Erklärung richtig gestellt wurde.


    Aber mit dem Einwand und mit der "vorweihnachtlichen Zeit, die damit im Thread "Die Blume im Kunstlied" assoziiert wurde, hat es auch nichts zu tun. bin ich natürlich so nicht ganz einverstanden; dieses "nichts" ist mir einfach zu hart! Zwar ist die Blütezeit eher Februar bis April, aber die Sorte "Praecox" blüht bereits im Dezember und in der 6. Strophe erwähnt der Dichter schließlich die "Weihnachtszeit" ausdrücklich! Die Christrose oder auch Schneerose genannt, ist in unserem realen und aktuellen Leben in der Vorweihnachtszeit nicht nur assoziiert, sondern schlicht präsent.
    Schließlich habe ich nicht gesagt, dass das ein Weihnachtsgedicht ist. Aber von ungefähr kommt dieser Blumenname ja nicht; da ist auch Aberglaube mit im Spiel, die Blume galt als heilig, man schrieb ihr besondere Kräfte zu (sie ist giftig - und das ist kein Aberglaube) und man glaubte damit böse Geister austreiben zu können. In der 7. Strophe erscheinen dann ja auch Elfen zur mitternächtlichen Stunde. Im Pfarrhaus von Mörike soll es ja tatsächlich auch gespukt haben. Aber Eduard Mörike scheint sowohl mit Glaube als auch Aberglaube Schwierigkeiten gehabt zu haben.

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  • Lieber hart,


    aus dem letzten Satz Deines Beitrags kannst Du das "scheint" getrost streichen. Dann trifft er voll zu.


    Vom Standpunkt der Botanik hast Du natürlich recht. Du kannst nicht wissen, wie wunderlich ich mir vorkomme, wenn ich diesen Satz hier niederschreibe: Bei mir beginnen gerade über zwanzig Christrosen in einem eigens für sie angelegten Beet zu blühen.


    Aber mir geht es hier nicht um Botanik, sondern um Dichtung und die Musik, die aus ihr gemacht wird. Aus dieser Ecke kam mein Einwand.


    Aber Du hast ja recht: Das "nichts" war wirklich zu hart. Die "Weihnachtszeit" kommt in der sechsten Strophe vor. Es ist halt nur so, dass diese Erwähnung für das, worum es in diesem Gedicht geht, eine sekundäre Rolle spielt. Sekundär heißt: Es geht um den christlichen Kern dieses Wortes. Es ist eine Art Signalwort für all das, was sich im lyrischen Ich an Gedanken und Gefühlen um diese Blume rankt.


    Es war mir wichtig, dies deutlich zu machen, damit das Gedicht in seinen Tiefendimensionen erfasst ist. Die hat nämlich Hugo Wolf in seinem Lied durchaus alle in Musik gesetzt. Darin liegt sein Genie!

  • In diesem Lied kann man Hugo Wolfs geniale Fähigkeit, lyrische Sprache aus ihrem Innersten heraus in Musik zu verwandeln und ihr damit neue Ausdrucksdimensionen zu verleihen, in vollem Umfang erleben und bewundern. Es ist allerdings sehr schwer, das alles sprachlich fassen zu können. Es soll wenigstens versucht werden.


    Das Lied setzt fast rezitativisch ein, schon gleich aber werden melodische Akzente gesetzt: Bögen und Dehnungen auf "lilienverwandte" und "unbekannte". Bei "öd und winterlich" sinkt die melodische Linie in tiefe Bereiche, dann aber, wenn es um das Finden der Blume geht ("o schöne, find´ich dich!") vernimmt man einen faszinierenden, chromatisch aufsteigenden Klavierklang, der das Ereignis in seiner Bedeutung deutlich hervorhebt.


    Der Zwischensatz, "Von welcher Hand gepflegt du hier erblühtest" ist von schweren Nonen-Akkorden geprägt. Das "Heil", das dem Jüngling durch seinen Tod zuteil wurde", wird mit einem weit ausholenden melodischen Bogen musikalisch akzentuiert, während das Bild der toten "Jungfrau" in einen Wechsel von zarten Dur-Und Mollklängen eingehüllt ist.


    Eindringlich gestaltet ist die Strophe "Im nächt´gen Hain, von Schneelicht überbreitet...". Die Musik nimmt eine kühle Linearität an und suggeriert mit der bewusst klar und eindimensional verlaufenden melodischen Linie auf faszinierende Weise die Atmosphäre, die Mörike in dieser Strophe entfaltet. Bei dem Bild des "kristallnen Teichs" klingt auch die Musik kühl kristallin. Erst mit der Heimat Zauberreich" erhebt sich die Akkordik wieder in Fülle nach oben.


    Dass die Blume nicht "Kind der Sonne ist" wird mit Moll-Klängen betont, und die melodische Linie ist mit einem Ritardando versehen. Das Wort "himmlische Kälte" wird mit einem Quintklang im Pianissimo aufgegriffen, der leicht erschauern lässt.


    Große melodische Weite nimmt das Lied dann mit Beginn der fünften Strophe an: "In deines Busens goldner Fülle...". Bei der "benedeiten Mutter" sind mystische Klänge zu vernehmen. Die melodische Linie scheint sich auf eine Kadenz in F-Dur hinbewegen zu wollen, steigt aber danach wieder auf, um bei dem Bild der "Purpurtropfen" über einen großen Bogen einen kurzen Ruhepunkt zu erreichen.


    Der überraschende Schluss des Liedes setzt mit dem Bild des "Elfen" ein, der "zum Tanze geht". Ein liegendes Fis löst sich in zauberische Sechzehntel-Triolen auf, und das Klvier spinnt diesen Elfenzauber weiter, während die Singstimme innehält. Das "Vorbeihuschen" wird mit dem Erlöschen der melodischen Linie auf der Leere der Quinte musikalisch gemalt. Erst mit dem Klaviernachspiel findet die Musik ihre Ruhe auf der Tonika.


    Man hat, wenn man dieses Lied auf sich wirken lässt, den Eindruck, dass Hugo Wolf nicht nur den Gehalt des Gedichts und die Atmosphäre der einzelnen lyrischen Bilder musikalisch voll getroffen hat, man meint auch zu hören, dass er mit dieser Komposition tatsächlich neue poetisch-musikalische Dimensionen erschlossen hat.

  • Liebe Forianer,
    jetzt, wo die Störche wieder zurück kommen, ist der richtige Zeitpunkt um auf das humorvolle Hugo Wolf Lied Storchenbotschaft hinzuweisen und einige Hintergrundinformationen zu geben.


    Von den mehr als 300 Liedern, die Hugo Wolf schrieb, entstanden im Jahre 1888 alleine 56 Mörike-Lieder. Hugo Wolf muss in einem richtigen Arbeitsrausch gewesen sein, denn allein in einem Monat entstehen 20 Lieder!



    Aus Wolfs Korrespondenz kennen wir die Einschätzung dieses Liedes - er schreibt:
    "Nachmittags schrieb ich ein ganz besonders gelungenes Lied STORCHENBOTSCHAFT".



    Auch heute noch erfreut sich dieses humorvolle Lied, nach einem Text von Eduard Mörike, großer Beliebtheit bei Interpreten und Publikum und wird auch oft auf CDs angeboten - sogar auf der CD "Wunderlich privat" ist dieses Lied zu hören.


    Ebenso kann es auf YouTube in verschiedenen Versionen gehört werden, u.a. auch von Anneliese Rothenberger gesungen ...


    Mir liegen sieben verschiedene Einspielungen des Liedes vor und beim Hören wird deutlich, dass gerade dieser Text vom Sänger sehr unterschiedlich interpretiert werden kann, denn es wird ja eine eigenartige Geschichte (zum Teil Dialekt "Ziefer" = Ungeziefer = Allgäuisch) erzählt ...
    Was jedoch für alle Interpretationen gesagt werden kann: In den letzten beiden Zeilen kommen Sänger und Pianist so richtig in Schwung - der Sänger hat einen furiosen Abgang und das Klavier noch einige Takte des Nachspiels ...



    Storchenbotschaft


    Des Schäfers sein Haus und das steht auf zwei Rad,
    Steht hoch auf der Heiden, so frühe, wie spat;
    Und wenn nur ein mancher so'n Nachtquartier hätt!
    Ein Schäfer tauscht nicht mit dem König sein Bett.


    Und käm ihm zu Nacht auch was Seltsames vor,
    Er betet sein Sprüchel und legt sich aufs Ohr;
    Ein Geistlein, ein Hexlein, so lustige Wicht',
    Sie klopfen ihm wohl, doch er antwortet nicht.


    Einmal doch, da ward es ihm wirklich zu bunt:
    Es knopert am Laden, es winselt der Hund;
    Nun ziehet mein Schäfer den Riegel – ei schau!
    Da stehen zwei Störche, der Mann und die Frau.


    Das Pärchen, es machet ein schön Kompliment,
    Es möchte gern reden, ach, wenn es nur könnt!
    Was will mir das Ziefer? – ist so was erhört?
    Doch ist mir wohl fröhliche Botschaft beschert.


    Ihr seid wohl dahinten zu Hause am Rhein?
    Ihr habt wohl mein Mädel gebissen ins Bein?
    Nun weinet das Kind und die Mutter noch mehr,
    Sie wünschet den Herzallerliebsten sich her?


    Und wünschet daneben die Taufe bestellt:
    Ein Lämmlein, ein Würstlein, ein Beutelein Geld?
    So sagt nur, ich käm in zwei Tag oder drei,
    Und grüßt mir mein Bübel und rührt ihm den Brei!


    Doch halt! warum stellt ihr zu zweien euch ein?
    Es werden doch, hoff ich, nicht Zwillinge sein? —
    Da klappern die Störche im lustigsten Ton,
    Sie nicken und knicksen und fliegen davon


    Eduard Mörike, 1804-1875

  • Über A und P bin ich doch einmal bei W wie Wolf gelandet, als ich eine Version seiner vertonten Mörike-Ballade (denn es ist doch wohl eine?) "Der Feuerreiter" von Helge Rosvaenge gehört habe, die ja ob ihrer Expressivität gelobt wird. Das Klavierspiel deutet eine gewisse Hektik und Gehetztheit ja an, finde ich. Hat mir als solches aber sehr gut gefallen, das Deklamentorische passste doch sehr gut zur Begleitung. Gibt es da auch weniger expressive Interpretationen?
    Desweiteren die Vertonung zu Goethes "Der Rattenfänger" (gesungen von FiDi), der ja eher etwas Spielerisch-Leichtes und Tänzelndes hat, aber einemgewisse hintergründige Eskalationsthematik nicht ganz leugnen kann, insbesondere immer wieder an der wiederholten Stelle "sie müssen miteinander fort".

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

  • Wie ich Mörike kenne, hätte er vermutlich die Vertonung seiner Ballade "Der Feuerreiter" durch Hugo Wolf skeptisch betrachtet, wenn nicht gar abgelehnt: Zu expressiv, zu dramatisch, musikalisch zu sehr auf Effekt abgestellt. Und er hätte damit wahrscheinlich gar nicht so unrecht gehabt, denn die Ballade selbst ist von sprachlich stillerer Dämonie, als sie bei Wolf musikalisch umgesetzt wurde.


    Bei Wolf geht´s ja schon gleich am Anfang dramatisch los.
    "Flüsternd" steht in den Noten. Und tatsächlich geht´s rasant, und auch noch chromatisch aufsteigend, vom Pianissimo ins Fortissimo über. Bei den Worten "nicht geheuer" macht die Vokallinie einen veritablen Oktavsprung. Und die Tonart will sich auch nicht festigen. Erst bei den Worten "hinterm Berg, hinterm Berg" geschieht das. Und das Wort "brennts" trägt dann eine höchst effektvolle melodische Dehnung. Höchst effektvoll auch die Ansprache des Gerippes: Rezitativisch, in tiefer Lage. Und dann das nachfolgende "Husch" ("da fällt´s in Asche ab"): Ein veritabler musikalischer Husch-Ton! Gehört eigentlich auf die Bühne. Das "Ruhe wohl, Ruhe wohl" weist wiederum einen musikalischen Effekt auf: Den Ton und den Rhythmus der Totenglocke.


    Also: Ich geb´s ja zu! Dieses Werk ist von einem buchstäblich mitreißenden musikalischen Elan, - "Feuer" wäre treffender. Obwohl,- so ganz geheuer ist es mir nicht!

  • Gibt es da auch weniger expressive Interpretationen?

    In der Regel halten sich die Interpreten an das was der Komponist vorgegeben hat und niemand wird auf diese Expressität verzichten. Aber wenn es um die Interpretation von Der Feuerreiter durch Helge Rosvaenge geht, möchte ich darauf hinweisen, dass es eine frühe Rosvaenge-Aufnahme von 1937 mit Gerald Moore gibt und eine von 1944 mit Michael Raucheisen

  • Auch das andere, hier jüngst erwähnte Lied Hugo Wolfs, „Der Rattenfänger“ nämlich (auf ein Gedicht von Goethe) ist kompositorisch stark auf tonmalerische Effekte hin abgestellt. Das fällt einem besonders dann auf, wenn man das Lied auf dem Hintergrund der Vertonung hört, die Schubert von diesem Gedicht vorgelegt hat. Bei ihm ist Goethes „Rattenfänger“ – von der Struktur der melodischen Linie der Singstimme her – in der Tat ein „Sänger“, wie es im ersten Vers des lyrischen Textes ja auch heißt.


    Bei Hugo Wolf ist es ein zauberisch wilder Dämon. Er muss von dieser Gestalt, so wie er sie aus Goethes Text herausgelesen hat, wahrlich fasziniert gewesen sein. Anders lässt sich dieser rasante Pfeifton, der auf dem Hintergrund des rasant rhythmischen Klaviersatzes im Neunachtelktakt das ganze Lied prägt, weil er immer wieder auftaucht, nicht erklären.


    Die Vokallinie ist durch ein atemberaubendes Tempo geprägt. Zuweilen aber sind Längen und Dehnungen in sie eingefügt, die etwas satanisch Böses an sich haben. So etwa an der Stelle: „Sie müssen miteinander fort“. Oder dort, wo es plötzlich wohllautend lyrisch wird: „Wenn er die goldnen Märchen singt“. Gar nicht zu reden von jener Stelle, an der es melodisch anzüglich wird: „Wo er´s nicht mancher angetan“.


    Mir ist nicht recht wohl bei diesem Lied. Genauso wie bei Wolfs Vertonung von Mörikes „Feuerreiter“. Es gibt in beiden Fällen zu viel musikalische Effekthascherei, die, wie ich meine, dem lyrischen – bzw. balladesken – Text nicht gerecht wird, sondern diesen für die kompositorische Selbstdarstellung „benutzt“.


    Mir ist natürlich bewusst, dass man das auch ganz anders sehen kann. Aber vor allem: Meiner Hochschätzung des Liedkomponisten Hugo Wolf tut das nicht den mindesten Abbruch!

  • Zum Geburtstag von Hugo Wolf (22. 02. 1817) möchte ich diese CD aus meiner Sammlung präsentieren, die die Zusammenarbeit eines genialen Duos dokumntiert: Dietrich Fischer Dieskau und Swjatoslaw Richter:


    Heute ist die 198. Wiederkehr seines Geburtages.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Zit.: "Zum Geburtstag von Hugo Wolf (22. 02. 1817) ...Heute ist die 198. Wiederkehr seines Geburtstages."


    Nanu? Was soll das denn?


    Hugo Wolf wurde am 13. März 1860 geboren. Der 22. Februar ist sein Todestag. Dieser Tod ereignete sich aber nicht vor 198 Jahren, sondern im Jahre 1903. Anlässlich der hundertsten Wiederkehr dieses Tages stellte ich einen Beitrag in den Thread "Hugo Wolf und Mörike" ein (Beitrag 310).


    Im übrigen:
    Ich meine, man sollte sich beim Gedenken an große Persönlichkeiten des Musiklebens auf runde Daten beschränken. Ansonsten artet das Ganze in schieren Aktionismus aus und entwertet sich in seiner Sinnhaftigkeit selbst. Das Argument, dass auf diese Weise eine Person vor dem Vergessen bewahrt und Anlassgegeben würde, sich ihr hier im Forum wieder zuzuwenden, ist ja doch nicht generell zutreffend, - wie zum Beispiel der Fall Hugo Wolf gerade beweist.

  • Du hast völlig Recht mit deiner Korrektur, lieber Helmut. Ich schreibe die Daten vorher alle auf ein separates Blatt, und da ist mir in der Tat ein Fauxpas passiert. Ich hatte Niels Wilhelm Gade über Hugo Wolf stehen und habe aus Versehen dessen Geburtsdatum hier eingetragen. Es muss natürlich heißen, dass heute Hugo Wolfs 112. Todestag ist.
    Richtig ist auch, dass du auf dem Gebiete der Lieder Hugo Wolfs sehr rührig bist und er deshalb ganz bestimmt nicht der Vergessenheit anheim gerät, aber bei vielen anderen, auch prominenten Musikern, Komponisten, Instrumentalisten, auch "aus der ersten Reihe", habe ich schon erlebt, dass jahrelang nichts mehr in ihren Threads geschah.
    Insofern habe ich auch keinen Aktionismus im Sinn, sondern Erinnerung, was mir auch durch viele positive Rückmeldungen schon bestätigt worden ist. Im Falle Hugo Wolf werde ich allerdings nicht mehr tätig werden, da ich ja davon ausgehen kann, dass du dich darum kümmerst.
    Im Übrigen gibt es hier im Forum einige Threads, auf die der Ausdruck "Aktionismus" viel eher zutrifft. Deshalb habe ich kein schlechtes Gewissen, zumal auch die Vorbereitung von Beiträgen an manchen Tagen auch schon mal Stunden dauern kann, wenn zum Beispiel Informationen über den betreffenden nur schwer zu finden sind oder ich sie erst übersetzen muss, wie etwa zuletzt über den Tenor Peter Straka, der heute seinen 65. Geburtstag feiert, oder wenn an einem Tag besonders viele gestorben sind oder Geburtstag haben oder beides der Fall ist.
    Ein Letztes: da ich das erst seit einigen Monaten mache, muss ich erst mal einen Überblick gewinnen, wer über das ganze Jahr so seine Gedenktage hat und kann dann beurteilen, wann Erinnerungen anzubringen sind. Außerdem ist es erstaunlich, wie viel neue, hörenswerte Musik ich in dieser Beschäftigung schon gehört und zum Teil auch schon angeschafft habe wie z. b. die Symphonien und Klavierkonzerte von Stenhammar oder auch eine Schubert-CD mit Elly Ameling und Rudolf Jansen am Klavier.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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