Lieder von Hugo Wolf

  • Es war ein bedrückender, erschreckender Tod. Zum hundertzehnten Jahrestag schrieb ich im Thread „Hugo Wolf und Mörike“: Ich blicke auf die Kopie eines Notizzettels aus dieser Zeit. Die völlig verkraxelte Schrift ist nicht mehr zu entziffern. Man kann nur ahnen, dass das unten rechts der Name Wolf als Unterschrift sein soll.
    Ich blicke auf ein Foto: Wolf in der „Landesirrenanstalt“ am Alsergrund. Ein abgründig leeres Gesicht mit erschreckend irren Augen darin begegnet mir. Eine Wärtergestalt in professionell distanzierter Haltung im Hintergrund.


    Und wenn denn nun schon – aus für mich nicht so recht nachvollziehbaren Gründen und in einer überdies verstolperten Weise - oben an den hundertundzwölften Todestag Hugo Wolfs erinnert wird, so sei dieses Gedenken wenigstens mit ein wenig Inhalt gefüllt. Das Sich-Begnügen mit dem Einstellen eines CD-Covers wird aus meiner Sicht dem Anlass nicht gerecht.


    Rosa Luxemburg schrieb aus dem Gefängnis(!):
    Ich möchte Sie noch bitten, mir gelegentlich „Anakreons Grab“ abzuschreiben. Kennen Sie es gut? Ich habe es natürlich erst durch Hugo Wolfsche Musik richtig verstanden; im Lied macht es geradezu einen architektonischen Eindruck; man meint, einen griechischen Tempel vor sich zu sehen.
    Und noch eins möchte ich seit langem haben, das in meinem hiesigen Goethe-Bändchen fehlt, >Blumengruß<. Das ist ein kleines Gedichtlein von vier bis sechs Zeilen, ich kenne es aus einem Wolfschen Lied, das unbeschreiblich schön ist. Namentlich der Schlußvers, etwa so: >Ich habe sie gepflücket / In heißer Sehnsuchtsqual, / Ich habe sie ans Herz gedrücket, / Ach, wohl eintausendmal!<. Das klingt in der Musik so heilig, zart und keusch, wie ein Niederknien in stummer Anbetung.“

    Bemerkenswert ist das Bekenntnis: „Ich habe es (Goethes Gedicht) natürlich erst durch Hugo Wolfsche Musik richtig verstanden“.
    Gibt es eigentlich ein größeres Kompliment an einen Liedkomponisten? Er hat ja nicht einfach nur – das Lied gleichsam als Inspirationsquelle nutzend - schöne und beeindruckende Liedmusik daraus gemacht, - er hat die dichterische Aussage musikalisch gedeutet, hat gleichsam mit den Mitteln der Musik Interpretationsarbeit geleistet.
    Und tatsächlich kann man hören, wie Goethe diese Verse gemeint hat und verstanden wissen wollte. Etwa wenn bei den Worten „Wo das Turtelchen lockt“ die melodische Linie bei einem mit einer harmonischen Rückung verbundenen Aufstieg in höhere Lage einen lieblichen Ton annimmt, dann aber, bei den Worten „Welch ein Grab ist hier“ mit einem Mal in einen ernsten Gestus verfällt.
    (Ich verweise auf die Besprechung dieses Liedes im Thread "Hugo Wolf und Goethe". Dort findet sich auch eine Vorstellung des Liedes „Blumengruß“)

  • Zitat

    Helmut Hofmann: Und wenn denn nun schon, aus für mich nicht so recht nachvollziehbaren Gründen und in einer überdies verstolperten Weise - oben an den hundertundzwölften Todestag Hugo Wolfs erinnert wird, so sei dieses Gedenken wenigstens mit ein wenig Inhalt gefüllt. Das Sich-Begnügen mit dem Einstellen eines CD-Covers wird aus meiner Sicht dem Anlass nicht gerecht.


    Jetzt hast du mir zum zweiten Mal "Einen mitgegeben", lieber Helmut.
    Das kann ich nicht so recht nachvollziehen. Meine Herren Vorgänger haben in ihren Erinnerungen großenteils neben einem Cover nur ein"*" oder ein "+" und die Jahreszahl gesetzt, manchmal nicht mal ein Cover und alles in den LV-Thread gepackt.
    Ich habe die Art und Weise, wie ich dieses Thema anpacke, ja schon hier und da begründet.


    Viele Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Eben habe ich – aus gegebenem Anlass – dieses erschreckende Foto von Hugo Wolf in der Nervenheilanstalt hervorgeholt, von dem ich oben sprach. Und da kam mir eine Bemerkung Hermann Hesses in den Sinn, die er in einem Brief an Heinrich Wiegand (1928) machte:
    „Dieser einsame Hugo Steppenwolf mit seinem furchtbaren Blick und seiner schönen Figur ist zeitlebens einer meiner Intimen gewesen, d.h. seit etwa meinem 17. Lebensjahr, wo ich zum erstenmal Lieder von ihm kennenlernte.“


    Mal abgesehen davon, dass Hesse bei seinem in fundamentaler Weise von Mozart her geprägten musikalischen Interesse Hugo Wolfs Liedmusik schätzte, - in seiner Einstufung desselben als „Steppenwolf“ hat er dessen menschliches Wesen mitten ins Zentrum getroffen. Der „furchtbare Blick“ ist – freilich in einer befremdlich ermatteten und verstörten Form – in diesem Foto immer noch wahrzunehmen.

  • Hugo Wolf, zu dessen Geburtstag ich diese CD:


    mitgebracht habe, wurde am 13. März 1860 geboren.


    Heute ist sein 155. Geburtstag.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Na, nun ist er ja gedenktagsmäßig für dieses Jahr abgearbeitet.


    Hugo Wolf war als Liedkomponist von Anfang an umstritten. Während Gustav Kühl - völlig zu Recht - feststellte: "Er ist der größte Psychologe gewesen, den die deutsche Musik seit - Mozart erlebt hat", meinte Eduard Hanslick - in völliger Verkennung eben dieser Tatsache und ihrer Folgen für die musikalische Gestalt des Klavierliedes: "Unser Komponist liebt es leidenschaftlich, die Klavierbegleitung zur Hauptsache, den Gesang zum Anhängsel zu machen, mitunter auch die Begleitung zu einer Art bissigem Störenfried der Gesangspartie."


    Und weil hier - anlässlich seines Geburtstages - eine CD mit - u.a. - Christian Gerhaher angezeigt wurde. Er meint zu Hugo Wolf:


    "Ich persönlich mag dieses Vermeiden der Textunschärfe gerade nicht so. Ich respektiere und schätze Wolf, aber ich teile nicht die Meinung eines berühmten Kollegen, dass Wolf der Gipfel der Liedkomposition sei." (zit. aus: "Halb Worte sind´s, halb Melodie". Gespräche mit Vera Baur, Leipzig 2015). Mit dem "berühmten Kollege" meint er wohl D. Fischer-Dieskau.

  • Was meinst du denn, lieber Helmut?


    Kann man Hugo Wolf überhaupt z. B. mit Franz Schubert oder Robert Schumann vergleichen?


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Als Arnold Mendelssohn, der hauptsächlich in der Kirchenmusik bekannte Komponist, einmal müde und abgespannt nach Hause kam, saß der ihm damals noch unbekannte Hugo Wolf da, konnte kaum warten bis Abendbrot gegessen war, und spielte Mendelssohn bis in den nächsten Tag hinein aus drei Liedbänden vor. Als Mendelssohn während dieses Liedmarathons bei dem Lied »An den Schlaf« auch nur versucht eine Kleinigkeit des musikalischen Ausdrucks zur Diskussion zu stellen, antwortet ihm Wolf mit schneidender Stimme: »Da können Sie Gift drauf nehmen, daß bei mir alles richtig ist.«
    Aber beim späten Abschied umarmten sich die beiden Komponisten in aller Freundschaft, Hugo Wolf hatte im Hause Mendelssohn beeindruckt.

    Das war - wie ich finde - typisch Hugo Wolf ...

  • Du fragst, lieber Willi: „Kann man Hugo Wolf überhaupt z. B. mit Franz Schubert oder Robert Schumann vergleichen?“
    Und ich gehe davon aus, dass mit dieser Frage in erster Linie an dem von mir gebrachten Zitat von Christian Gerhaher ansetzt.


    Nein, das kann man nicht. Und das tut Gerhaher auch nicht, wenn er sich in dieser Weise kritisch über die Liedkomposition Wolfs äußert. Es ist immer die Frage, von welchem Liedmodell man herkommt, wenn man ein Urteil über das Werk eines Liedkomponisten fällt. Gerhaher ist ein ausgesprochener Schumann-Fan, - um es einmal ein wenig salopp zu formulieren. Sein „Erweckungserlebnis“ in Sachen Kunstlied war ein Liederabend Hermann Preys im November 1988 mit Schumanns „Dichterliebe“ und den Kerner-Liedern op. 35. Ganz bezeichnend für ihn ist die Aussage: „Das Wesen des Liedes offenbart sich für mich doch am allermeisten im Schaffen von Robert Schumann“ (zu finden in den oben von mir zitierten Gesprächen mit Vera Baur).


    Wenn man vom liedkompositorischen Konzept Schumanns her kommt, muss einem die enge Anbindung der Liedmusik an die sprachliche Struktur und die Metaphorik des lyrischen Textes im Sinne einer gleichsam vertiefenden Interpretation mit den Mitteln der Musik als eine zu weit gehende Entfernung vom Grundcharakter des Liedes, wie er modellhaft im Volkslied vorgegeben ist, erscheinen. Eine Aussage wie die von Wolf: „Die Poesie ist die eigentliche Urheberin meiner musikalischen Sprache“ hätte Schumann nicht getätigt.


    Vergleiche zwischen den Werken einzelner Liedkomponisten im Sinne eines objektive Gültigkeit beanspruchenden Qualitätsurteils sind unsinnig, weil jedes künstlerische Werk, so es denn gelungen ist, in seiner Aussage für sich steht, also gleichsam autonom ist, seine künstlerische Legitimität aus sich selbst bezieht. Sehr wohl kann man aber, wie Gerhaher das tut, als Freund des Kunstliedes seine Favoriten haben und sagen: Schumanns Liedmusik spricht mich mehr an als die von Hugo Wolf, weil er dem „Wesen des Liedes“ am nächsten gekommen ist und mich das „Vermeiden der Textunschärfe“ bei Hugo Wolf stört.


    Das aber ist ein subjektives Urteil – in dem ich ihm in gar keiner Weise folgen würde.
    Warum , - das denke ich in den drei Hugo Wolf-Threads dargestellt zu haben.

  • Ich danke diir für diese präzisen Auskünfte, lieber Helmut, die in die Richtung gehen, die ich mir auch wohl gedacht hatte. Ich habe mir gerade die von mir gepostete CD bestellt, um die Lieder, die darauf sind, mit denen zu vergleichen, die ich auf meinen beiden CD's von Fischer-Dieskau mit Richter habe. Sollte ich darauf nichts Vergleichbares finden, werde ich mir das "Italienische Liederbuch" mit Elisabeth Schwarzkopf und Dietrich Fischer-Dieskau bestellen. Wenn ich dann zu irgendwelchen Einsichten gekommen sein werde, werde ich das in diesem Thread posten. Ich tue das, weil ich Einiges von Gerhaher halte.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Irgendwie lustig ist das ja für mich, was ich da gerade erlebe, - aus Anlass des Geburtstages von Hugo Wolf.


    Die beiden Beiträge, zu denen ich mich heute veranlasst sah, haben mich von meiner augenblicklichen Arbeit abgehalten. Sie besteht aus dem Abtippen des Manuskripts zum "Italienischen Liederbuch" Hugo Wolfs. Gerade war ich bei Lied 38 angelangt, und da kam mir dieser Geburtstag dazwischen, dessen ich mir kurioserweise überhaupt nicht bewusst war. Warum aber sollte er das aber auch, wo ich doch gerade mitten im Leben Wolfs stehe, - in dessen Schöpfungen nämlich?


    Na ja. Morgen werde ich hoffentlich dann zu Lied 39 kommen, und irgendwann später - nachdem das Thema "Reger" abgeschlossen ist und der nachfolgende Thread ebenfalls, der sich um die Lieder Arnold Schönbergs drehen wird - werde ich das, was ich eben gerade tippe - wie sagt man so schön im Internet-Jargon - , hier im Liedforum "posten".


    Es sind 46 Lieder, und die Beschäftigung mit ihnen war eine wunderbare Zeit der Begegnung mit neuen Dimensionen der Lieder Hugo Wolfs. Ich bin - dies noch im Nachtrag zum heutigen Tag - mit Dietrich Fischer-Dieskau darin eins, dass dieser in seinem kompositorischen Schaffen einen Höhepunkt des deutschen Kunstliedes verkörpert.
    Einen, - nicht den !

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