Beethoven: Klaviersonate in C-dur Nr.21 op.53 "Waldstein" - CD-Rezensionen und Vergleiche (2013)

  • Ich finde es zum Beispiel in diesem Thread schade, dass auf meinen Beitrag mit dem Hinweis auf die Live-Aufnahme Barenboims aus den 70er Jahren keine Stellung bezogen wurde, z.B. durch Holger.

    Ich habe mir diese Barenboim-Aufnahme schon runtergeladen, konnte sie mir aber noch nicht anhören. Bin gespannt!


    Zur Beruhigung der Gemüter empfehle ich, bei Spotify in die neue Beethoven-Box von Cyprien Katsaris reinzuhören. Unter anderem mit der Sturm-Sonate, der Appassionata und op. 111! Und vielen zum Teil kuriosen Transkriptionen von Streichquartetten und Violinsonaten. Die gestalterisch schwierige Sturm-Sonate ist eine Wucht ! Der Klavierklang (Bechstein?) ist exzellent aufgefächert. Katsaris scheint mir gereift, noch immer gibt es bei ihm viel zu entdecken, aber er behält nun mehr das ganze Werk im Blick. Ich bedauere sehr, dass er nicht auch die Waldsteinsonate aufgenommen hat. Ich könnte mir vorstellen, dass sie ihm liegt. Nur mit Technik wird man ihren vielen lyrischen Pianissimo-Passagen (auf die Willi auch immer hingewiesen hat) jedenfalls nicht gerecht.



    Viele Grüße

    Christian

  • Lieber Christian,


    ich bin auf Deine Einschätzung bei Barenboim gespannt.

    Cyprien Katsaris ist jemand, den ich leider vernachlässigt habe. Sind in besagtet Beethoven-Box auch seine Liszt-Transkriptionen der Beethoven-Sinfonien drin ?


    LG Siamak

  • Hallo Siamak,


    nein, das sind alles Neuaufnahmen, soweit ich es beurteilen kann (auf Spotify steht ja nichts über das Aufnahmedatum). Es ist nur von der 9. Sinfonie der dritte Satz in der Liszt-Transikription dabei. Ich habe Katsaris über diese Transkriptionen kennengelernt, aber man sollte ihn nicht darauf reduzieren. Wirklich kurios sind die Transkriptionen einiger Violinsonaten und Streichquartett-Sätze.


    Viele Grüße und bis bald

    Christian

  • Zitat von AcomA02

    Ich finde es zum Beispiel in diesem Thread schade, dass auf meinen Beitrag mit dem Hinweis auf die Live-Aufnahme Barenboims aus den 70er Jahren keine Stellung bezogen wurde, z.B. durch Holger.

    Lieber Siamak,


    ich hatte diesen deinen Beitrag überhaupt nicht auf dem Schirm, beasnke mich im Nachhinein dafür und habe die CD sofort bestellt. Vielleicht kann ich mich mit einem Tipop revanchieren, betreffend eine -Box mit Werken des "jungen Barenboim. Die ersten drei CD's dieser Box mit Beethoven-Sonaten hat er mit 17 Jahren aufgenommen:

    Pathétique, Mondschein, Appassionata, Waldstein, op. 111 und Hammerklaiver; die vierte mit Werken J. C. Bachs, Pergolesis, Mozarts, Mendelssohns, Brahms', Kabalewskys uns Shostakovichs mit 15 Jahren:

    Interessaant ist, die Waldstein-Sonate betreffend, besonders seine Zeitwahl in den drei Sätzen, da spielt er den Kopfsatz noch 80 Sekunden schneller als in Salzburg.


    Liebe Grüße


    Willi:)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

    Einmal editiert, zuletzt von William B.A. ()

  • Lieber Wolfgang,


    vielen Dank für deinen ehrlichen Beitrag, und ich habe mal gerade das unten stehende Zitat herausgesucht, weil mir dazu spontan etwas einfiel:

    Zitat von WolfgangZ

    Würde Glenn Gould in seiner Deutung der Appassionata einem Dr. Holger Kaletha standhalten?

    Ich habe dazu einen Link zu der von dir angesprochene Gould-Aufnahme, die ich am 24. November 2014 besprochen habe, und als ich das schrieb, war ich, so glaube ich, zum zweiten Mal während meiner Arbeit in den Sonaten-Threads richtig wütend. Du findest meinen Beitrag unter der laufenden Nr. 222:


    Beethoven - leidenschaftlich: Klaviersonate Nr 23 in f-moll-op. 57 "Appassionata" - CD-Rezensionen und Vergleiche (2014)


    Und unter Nr. 223 findest du die Antwort auf deine Frage.^^


    Liebe Grüße


    Willi:)

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  • Ich hatte noch eine Barenboim-Box zu erwähnen vergessen, die ich mir soeben bestellt habe:


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    Diese Ausgabe, (6 DVDs), die letzte, war noch für 47 Euronen bei Medimops zu haben, neu kostet sie das Fünffache bis Vierzehnfache.


    Liebe Grüße


    Willi:)

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  • Noch ein PS, bevor ich in die Heia gehe:


    Ich stelle mir gerade vor, Lisitsa wäre Gould ...

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Hallo


    Steven Osborne, p


    (Hyperion, DDD, 2008)


    Ich habe Steven Osborne 2x live erlebt und bin immer noch fasziniert von seinem Anschlag, seine Virtuosität und Intellektualität. Sein Auftreten ist von großer Bescheidenheit.

    Über die Jahre haben sich einige Aufnahmen bei mir versammelt.


    Beethoven wird von ihm IMO zu neutral dargeboten. In der Waldstein klingt der 1. Satz fast zu trocken. Der Mittelsatz wird engagiert ausformuliert. Leider wird der Finalsatz etwas tempoarm und zu ‚blass‘ gespielt, technisch makellos aber langweilig. Es fehlt diese energetische Freude, die selbst Claudio Arrau aus der Reserve holt.


    Ich denke, Osborne ist ein Kind der modernen Pianistik. Rachmaninovs Préludes und Kapustin oder Britten liegen ihm hervorragend. Liszts Harmonies poétiques et religieuses setzt er interessanterweise mit großer Emphase und Sonorität um.


    LG Siamak

  • Steven Osborne ist mir zumindest von Kapustin und einzelnen romantischen Klavierkonzerten aus der Hyperion-Serie bekannt. Er dürfte primär dem Typus eines Spezialisten für raffinierte, aber weniger bekannte Virtuosenliteratur entsprechen, dem etwa auch ein Marc-André Hamelin entspricht. Bisweilen ist man bei dieser Künstlerkategorie eher enttäuscht, wenn sie sich der großen klassischen Sonaten annimmt. Ob dies damit zusammenhängt, dass sie sich nicht mit der gleichen Emphase den Standardwerken widmen, will ich natürlich nicht pauschal beurteilen (1). Im Falle Hamelins bereitet mir das einschlägige Konzert von Joseph Marx, welches immer noch eine absolute Rarität auf dem Plattenmarkt darstellt, zwar nicht die Freude wie im Falle von David Lively oder Jorge Bolet, da es schlicht zu luftig-elegant wirkt, zu mühelos, andererseits zeugt aber sein Haydn-Spiel von großer Bescheidenheit und Respekt vor dem Gegenstand.


    (1) Marc-André Hamelin hat meines Wissens keinen Beethoven eingespielt, Osborne sehr wohl. Spannende Frage - hier sicher unpassend respektive vermutlich längst an anderem Ort debattiert: Muss (in den verschiedenen Bedeutungsnuancen) jeder erstklassige Pianist dies tun?


    [Ich beziehe mich nicht auf Beethovens Waldstein-Sonate. Sollte der Beitrag hier fehl am Platze sein - beziehungsweise ohnehin nicht im Sinne des Threaderstellers Willi -, habe ich kein Problem mit einer Verschiebung. Und Acoma wird wohl auch kein Problem mit einer Doppelung haben.]


    Es grüßt Wolfgang.

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Zitat von WolfgangZ

    Marc-André Hamelin hat meines Wissens keinen Beethoven eingespielt

    Aber Schubert sehr wohl, lieber Wolfgang. Ich habe nicht nur die B-dur-Sonate in einem grandiosen Konzert beim Klavierfestival Ruhr in Mülheim erlebt, sondern auch seine Aufnahme daraufhin erstanden:

    Ich habe sie auch hier im Schubert-Thread besprochen.

    Übrigens, verschieben brauchst du hier nichts. Ich wüsste wohl etwas anderes, das man aus diesem Thread verschieben könnte.^^


    Ich habe aber noch etwas hoffentlich Positives im Gepäck (siehe nächsten Beitrag).


    Liebe Grüße


    Willi:)

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  • Beethoven, Sonate Nr. 21 C-dur op. 53 "Waldstein"

    Fazil Say, Klavier

    AD: 7/2018

    Spielzeiten: 10:15 - 3:16 - 9:21 --- 22:52 min;


    Fazil Say hat jüngst alle Beethoven-Sonaten vorgelegt, aufgenommen in den Jahren 2018 und 2019, allesamt in der großen Halle des Mozarteums in Salzburg.

    Die Waldstein-Sonate hat er somit in einem Abstand von 13 Jahren erneut aufgenommen. Erste Auffälligkeit ist das moderatere Tempo im Kopfsatz. Hier ist er eine Minute langsamer als 2005, was aber durchaus dem Allegro entspricht, und Brio hat auch diese Einspielung selbstredend.

    Weiter ist der Klang nochmals klarer als bei der früheren Aufnahme, was mit besonders bei den Achtelbässen aufgefallen ist.

    Dynamisch bleibt er durchaus im Rahmen dessen, was die Partitur vorgibt, also pp bis f. Noch eins ist mir aufgefallen, was mancher als pingelig bezeichnen mag, aber es ist mir eben aufgefallen, weil ich es bei meiner letzten Besprechung am 24. April bei Lisitsas Aufnahme bemerkt habe: Im zweitletzten Takt des Themas, Takt 12, notiert Beethoven nach dem letzten Achtelakkord im Decrescendo eine weitere Achtelpause, die Valentina Lisitsa korrekt einhält und die Fazil Say hier überspielt. Durch das Einhalten dieser Pause verleiht Valentina Lisitsa dem folgenden, zur Themenwiederholung überleitenden Fermaten-Takt 13 mehr Gewicht, als es Say tut. Aber im Grunde ist das Jammern auf einem sehr hohen Niveau.

    Wie ich schon in meiner ersten Rezension von 2017 deutlich machte, offenbart Fazil Say im Verein mit der ausgezeichneten Aufnahmetechnik ein sehr transparentes Spiel, was ein Höchstmaß an musikalischer Struktur offenbart, noch mal eine Zunahme gegenüber der ersten Aufnahme, wie ich finde. Dynamisch ist das wieder auf den Punkt gebracht, ebenso wie das zum Seitenthema überleitende Decrescendo (Takt 31 bis 34). Dabei führt er auch diese gegenüber dem ersten Decrescendo (Takt 12) in musikalischer Dichte und im Umfang gesteigerte Sequenz mitreißend aus.

    Das zweigeteilte Seitenthema führt er im ersten, musikalisch dichteren Teil (Takt 35 bis 41) in großer Ruhe und betörendem Gesang aus, wobei er auf einer Linie liegt mit Valentina Lisitsa, nach den überführende Achteltriolen in Takt 42, in denen er schon ein höheres, vorwärtsdrängendes Tempo aufnimmt und in die ähnlich expressive Schlussgruppe ( ab Takt 50) übergeht, weicht er von ihr ab. Diese im Grunde "innere Beschleunigung" vollzieht Lisitsa nicht, und ich muss sagen: mir gefallen beiden Lesarten als zwei Seiten derselben Medaille.

    Die hochvirtuose Schlussgruppe (ab Takt 50) führt er vielleicht einen Tick virtuoser aus als Lisitsa, sodass sie am Ende der Exposition gut 10 Sekunden auseinander liegen. Da kann also jeder für sich selbst entscheiden, was ihm besser gefällt.

    Natürlich wiederholt Say auch hier die Exposition. Dass er insgesamt im Kopfsatz eine Minute rascher ist als Lisitsa, fließt natürlich auch in die dreigeteilte Durchführung mit ein, in dem zuerst die Motive aus Takt 3 und 4 des Hauptthemas verarbeitet werden (Takt 92 bis 109), dann im zweiten Teil (ab Takt 111 mit Auftakt bis Takt 141) das Seitenthema, und dann ab Takt 142 der letzte Teil des Hauptthemas (ab Takt 9), den er äußerst mitreißend vorträgt, dabei offenbar keinerlei pianistische Grenzen offenbarend.

    In der genauso souverän vorgetragenen Reprise fällt mir übrigens auf, dass er, anders als in der Exposition (Takt 13), sowohl in Takt 167, als auch in Takt 169 die von Beethoven jeweils vor dem Fermatentakt 168 und 170 wiederum notierte Achtelpause nicht überspielt, sondern exakt einhält.

    Auch den nächsten Abschnitt, die Themenwiederholung, hier wieder in den Sechzehnteln, trägt er souverän vor, wiederum in einem berückenden Decrescendo auslaufend (Takt 192 bis 195).

    Auch das hier in der Reprise höher liegende und im ersten Teil achtstimmige statt fünf- bzw. sechsstimmige lyrische Seitenthema trägt spielt er wieder sehr ausdrucksstark, wobei ich den Eindruck habe, dass er diesmal nicht ganz so rasch nimmt wie in der Exposition. Auch die höherdynamische Schlussgruppe lässt er unwiderstehlich an unserem Ohr vorüberziehen.

    Auch die Coda, bei Beethoven ja immer etwas ganz Besonderes, so auch hier, alles noch einmal kontriert präsentierend, auch hervorgehoben durch die taktweisen Dynamikwechsel, z. B. Takt 252 forte, Takt 253 piano und Takt 254 wieder forte usw., die Fülle an Sforzandi, sogar ein Fortepianissimo (Takt 259), dann die gewaltige hochvirtuose Sechzehntelsequenz(Takt 263 bis 281), noch einmal kurz das selige Seitenthema und das rätselhafte Ritartando kurz vor dem letzten Themenauftritt und die hochdynamsichen Schlusstakte, das ist eine Coda, wie man sie eigentlich nur bei Beethoven findet, und mit seiner Interpretation des Kopfsatzes hat sich Fazil Say m. E. fraglos in der Spitze platziert.


    Im Adagio ist er gleich schnell wie 2005, also über eine Minute schneller als Gilels 1971 in dem legendären Konzert in Ossiach. Aber das ist nicht der Punkt. Denn trotz dieses hurtigen Tempos ist auch hier sein Spiel voller Ruhe. Der Punkt ist ein anderer: wie 2005 spielt er 13 Jahre später immer noch in eigen Takten ein nicht notiertes Staccato, so z. B. in Takt 8, Takt 11, Takt 13, Takt 16. Ich habe noch einmal Emil Gilels in seiner Aufnahme vom Januar 1972 in Berlin gegengehört. Der macht nichts dergleichen. Wie Valentina Lisitsa spielt er die Achtel in Takt 8 und 16 non legato und in Takt 11 und 13 portato.Die große Bogenkette in dem Crescendo-Decrescendo in Takt 21 bis 26 spielt er allerdings eindrucksvoller als 13 Jahre zuvor. Ebenfalls ist der Übergang (Takt 27 mit Auftakt bis Takt 28 wieder ohne Fehl und Tadel.

    Bei Gilels ist allerdings das Adagio sowohl in der Ossiacher als auch in der Berliner Aufnahme auf ganz einsamer interpretatorischer Höhe. Das ist Fazil Say m. E. noch meilenweit von entfernt und Valentina Lisitsa wesentlich näher dran. Vielleicht hatte Valentina Lisitsa ja, zumindest im Adagio, Emil Gilels und nicht Vladimir Horowitz im Ohr.


    Im finalen Rondo ist Fazil Say dann endgültig wieder bei Beethoven angekommen, wie ich finde. Dass hat Zug, ist aber nicht zu schnell, sogar wenige Sekunden langsamer als Emil Gilels, und das Ganze ist schon in der1. Strophe (Takt 1 - 0) und in der 2. Strophe (Takt 31 bis 54) in einem ebenso beseligenden wie bezwingenden melodischen Fluss, den er über einem überzeugenden Crescendo ab Takt 51 mit dem über 11 Takte durchlaufenden Triller in die ab Takt 55 (ff) beginnende 3. Strophe führt.

    Begeisternd gestaltet er auch die heikle Sequenz mit den Sechzehnteltriolen (Takt 62 bis 70 auf der Eins, der in den Abschnitt mündet, in dem das Thema in energischen Oktavläufen im Bass ertönt und von Sechzehnteloktavwechsel im Diskant kontrastiert wird. Auch diesen Abschnitt spielt er bezwingend und souverän, dabei federnde dynamische Bewegungen einflechtend. Überzeugend auch die dann folgenden dynamisch kontrastreichen Themenrufe im Fanfarenton (ab Takt 99 mit Auftakt in verschiedenen Tonarten, denen er dann auch temporal den nötigen Raum gibt, bis dann ab Takt 112 das Hauptthema im sempre pp wiederholt wird.

    Wunderbar ist auch seine Umsetzung des atemberaubenden Riesenbogens, den Beethoven über die Takte 136 bis 143 gespannt hat, ab Takt 144 dann die 2. Strophe und ab Takt 168 dann die dritte Strophe, aber nur kurz, weil in Takt 175 urplötzlich der c-moll-Zwischensatz losbricht.

    Diesen, gestaltet er munter perlend und in moderaten dynamischen Wellen dahinziehend, wobei sich das Thema in den Achteloktavgängen mit den Sechzehntelfiguren in der Begleitung immer wieder in den Oktaven abwechselt bis die Bewegung nach den drei Fortissimo-Achtel-Akkorden in Takt 217 und 218 durch die beiden decrescendierenden Viertelakkord in Takt 219 und 220 schlussendlich zum Stehen kommt.

    Doch wer Beethoven kennt, der weiß: hier geht es weiter, und zwar mit Krawumm, wie 110 Takte zuvor mit drei ff-Fanfarenstößen, denen Fazil Say locker die nötige Power verleiht. Auch die anschließenden 4 Wiegetakte 235 bis 238, die nach dem Decrescendo vom Thema wegführen, spielt Say mit viel Ausdruck, die eingebauten sanften dynamischen Bewegungen auch in den folgenden 12 Takten schön herausarbeitendend und dann mit den auf-und abstrebenden Sechzehntelbewegungen arpeggienartig im sempre pp das musikalische Geschehen forttragend.

    Hier zieht er das Tempo wieder unmerklich an, wobei die Spannung wächst, sich dem Thema wieder nähernd, bevor es dann in Takt 312 kurz im Forte angekündigt wird und in Takt 31^3, dann im Fortissimo so weit ist.

    In aller Pracht erscheint das Thema wieder, doch diesmal um den ersten Teil verkürzt, sondern sofort mit der 2. Strophe, dem Thema in Oktavgängen im hohen Diskant beginnend. Auch hier führt Fazil Say die dynamischen Bewegungen wieder sorgfältig aus und lässt auch die wunderbare Sequenz mit den Sechzehnteltriolen, zunächst wechselnd von Oktav zu Oktave gleitend (Takt 344 bis 352 auf der Zwei),, dann ab Takt 352 auf der Drei bis Takt 377 arpeggienförmig in beiden Oktaven leicht versetzt), bis sie nach dem Fortissimo in Takt 378/79 und einigen Sforzandi langsam an Energie verliert, leiser und auch etwas langsam er wird, bis schließlich fast ein Morendo erreicht ist( Takt 400 bis 402:ppp)- aber auch nur fast- denn Beethoven lässt ja hier bekanntlich die gewaltige Prestissimo-Coda folgen mit einem fast vierzig Takte langen Trillergeschehen mittendrin- von Fazil Say fast alles mühelos und grandios umgesetzt, bis zu den Takten 534 bis 539, wo er die einzelnen Viertel-Akkorde, in jedem Takt einen, wieder staccato spielt- warum? Vielleicht, weil er auch Komponist ist und gedacht hat, dass er so nochmal die Spannung erhöhen kann, hin zu den vierletzten hochdynamischen Abschlusstakten?

    Ich habe noch einmal die gleiche Passage bei Igor Levit, Alfred Brendel und Daniel Barenboim nachgehört- überall werden sie so gespielt, wie es in der Partitur steht, Viertel für Viertel Takt 534 bis Takt 539.

    Ein Nachschauen ergab, dass er 2005 dies nur bei den Takten 538/539 zu hören war, sinnigerweise so ähnlich wie bei Horowitz 1956 in New York.

    Wie dem auch sei, war Einiges auch besser als in der früheren Aufnahme, also im Ganzen über weiten Strecken mehr als zufriedenstellend.


    Liebe Grüße


    Willi:thumbup::thumbup::thumbup:

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    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Lieber Willi,


    danke für Deine letzte Rezension.


    ich besitze etwa zehn Gesamteinspielungen der Sonaten Beethovens, und Einzelnes, und möchte es verständlicherweise dabei belassen - oder, sagen wir, vorerst belassen. Fazil Say gehört nicht dazu, aber immerhin habe ich die Sturmsonate mit ihm im Konzert live gehört und war durchaus angetan. Es müsste in Erlangen gewesen sein, vor wenigen Jahren.


    Obiger Clip - mehr ist es nicht - gibt gute drei Minuten aus dem ersten Satz wieder. Um die Daten dieses Mitschnitts weiß ich nicht wirklich Bescheid. Das Mienenspiel und die Gestik des Pianisten sind nicht ganz meine Sache, mag aber sein, dass ich da ein wenig empfindlich bin.


    Frische und Durchsichtigkeit liegen auf der Hand. Das gesangliche Thema erscheint mir nicht ganz frei von einer gewissen Süßlichkeit - wobei dies negativer klingen mag als gemeint. Die Musik pulsiert von Anfang an, drängt nach vorne, wirkt strukturell geschlossen. Ein milder Swing (1) dürfte weiterhin Fazil Say charakterisieren. "Modernes Spiel" entsteht bei dem türkischen Pianisten auch dahingehend, dass er vor dezenten, quasi verspielten agogischen Freiheiten nicht zurückschreckt, sondern sie eher verschmitzt andeutet. Wie gesagt: Es könnte so Süßlichkeit aufkommen. Tut sie es hier? Allenfalls beim zweiten Thema. (NB: Hast Du Katja Buniatishvili auf der Agenda? Meines Wissens hat sie aber nur diverse Beethoven-Solokonzerte eingespielt.)


    Was Say mir hier präsentiert, ist mit Sicherheit absolut konkurrenzfähig. Und es ist auch so eigenständig, dass es gewiss weder Arrau, noch Gulda, noch den jungen Brendel nachahmt - um drei recht unterschiedliche Interpreten zu benennen, die ich gerne höre bei den Beethoven-Sonaten - mit gelegentlichen Bedenken bezüglich der langsamen Gulda-Sätze vor allem. Vielleicht bietet sich im aktuellen Fall auch der Vergleich mit Lisitsa an, den Du ja suggerierst - bezüglich der motorischen Komponente am ehesten, wobei Say wirklich einem Jazz-Duktus näher stehen dürfte.


    (1) Da haben wir es wieder, das leidige Problem: Natürlich verunklart dieser ganz dezente Swing die Pianissimo-Geste, das geräuschhafte Heraufbeschwören einer Idee im Beethoven'schen Sinne bei den ersten Takten dadurch, dass ein Hauch von Binnenakzentuierungen zu hören ist. Das ist in der Tat etwas völlig anderes, als es bei Gilels (viel weiter oben) der Fall war. Ist das etwas Negatives? Warum? Warum nicht? Ich kann die Frage schon von daher nicht beantworten, als ich mich dann wirklich zumindest mit dem gesamten ersten Satz befassen müsste - wozu mir jetzt halt der Elan fehlt - vielleicht auch die Hörquelle.


    Mit anderen Worten: Gibt es sie, die Wahrheit? ;)


    :) Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Lieber Wolfgang,


    ich war nach Einstellen des Beitrages noch eineinhalb Stunden spazieren, und habe danach zu Abend gegessen und konnte erst jetzt deinen Beitrag lesen. Die Aufnahme des Clips kam mir nach den ersten Takten sofort bekannt vor. Es handelt sich zweifelsfrei um die Aufnahme, die ich besprochen habe, stammt also von 2018. Hast du den Clip von Youtube kopiert?

    Da steht nämlich u. a. Folgendes unter dem Clip:

    Zitat von Youtube

    This collection of recordings, the culmination of a very special project for the pianist-composer, arrives in grand fashion during the 250th anniversary year of Beethoven, who was born in December 1770. "It was labour-intensive, but working on 32 Beethoven pieces of infinite depth gave me an inexhaustible motivation," says Fazıl. "Throughout those two years, Beethoven was my idol and my mentor."

    Ich habe es nicht nur an den Eröffnungstakten gemerkt, sondern auch am Seitenthema (ich sprach in meinem o. a. Text darüber). Say spielt die Wiederholung des Seitenthemas in den Achteltriolen, die ja nur eine innere Beschleunigung bedeuten, auch auch real deutlich schneller. Das hatte ich so auch noch von keinem anderen Pianisten gehört, und du beschriebst das wohl als "verspielte agogische Freiheiten". Kommt das vielleicht daher, dass er selbst auch Komponist ist?

    Ich finde, ein Pianist mit so hohen technischen Fähigkeiten und zweifellos auch lyrischem Verständnis hat es doch eigentlich nicht nötig, solche eigenen Wege zu gehen. Dass er zweifellos einen bestimmten Zweck damit verfolgte, ist mir klar. Vielleicht wollte er ja dem Eindruck entgegen wirken, allzuviel sanftes und langsames Legato könnte dem Brio entgegenstehen. Man weiß es nicht.

    Ich habe auch bei mir gedacht, wenn die vielen Staccati in der Introduzione und am Ende der Prestissimo-Coda, die Beethoven ja gar nicht komponiert hat und die m. E. den Charakter dieser Passagen verändern, und eben auch diese Beschleunigung im Seitenthema des Kopfsatzes nicht gewesen wären, hätte diese Aufnahme zweifellos einen Platz in der Spitzenklasse verdient gehabt.

    Aber es gibt ja noch 31 weitere Möglichkeiten für mich, mich über diese neue Gesamtaufnahme mehr zu freuen. Es gibt übrigens bei Youtube alle drei Sätze der Waldsteinsonate in dieser Aufnahme ohne Videofunktion als Einzelclips.

    Interessant ist, dass du auch die Nähe Says zum Jazz betonst.

    Beethoven selbst hat ja Dinge komponiert, die sich hinterher im Jazz des frühen 20. Jahrhunderts wiederfanden. Ich erinnere in dem Zusammenhang an die berühmte "Boogie-Woogie"-Variation aus der Arietta. Das war mir damals in den späten 60er Jahren, als ich die Gesamtaufnahme der Sonaten in der Interpretaiton Friedrich Guldas von der Firma Amadeo erstand, gar nicht so aufgefallen, sondern erst später in den 90er Jahren, als Alfredo Perl bei uns in einem kleinen Konzertsaal, umgebaut aus einer früheren Tenne, die Schlusstrias der Beethovensonaten aufführten und damit einen Zyklus abschloss, der sich über mehrere Jahren hingezogen hatte. Ich hab es leider erst etwas später erfahren und habe aus diesem Zyklus noch Gerhard Oppitz, Bruno Leonardo Gelber und eben Alfredo Perl erlebt. Hinzu kam noch Olli Mustonen, der quasi in einem Anhang-Konzert die Diabelli-Variationen gab.

    Als Alfredo Perl die Arietta spielte und eben diese Boogie-Woogie-Variation, da hat mich das regelrecht umgehauen.


    Die Wahrheit, von der du sprachst, gibt es sicherlich, wenn auch möglicherweise in mehreren, leicht voneinander abweichenden Variationen.^^


    Liebe Grüße


    Willi:)

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    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Kurz noch zu Deiner Antwort, Willi:


    Es war die erste youtube-Datei, die ich gefunden habe. Vielleicht komme ich auf Deinen Hinweis zur gesamten Einspielung zurück ( - wenn einem nur nicht ständig so viel anderes über den Weg laufen würde).


    Fazil Say hat damals auch in dem Live-Konzert, das ich gehört habe, Eigenes gespielt. Die orientalisch gefärbten, rhythmusbetonten und selbst in der Farbgebung sehr perkussiven Nummern - aufgrund seines Hangs zu kleinen, tiefen Clustern - hatten ihren Reiz, aber eine gewisse Effekthascherei ist mir auch nicht entgangen. Dies beeinflusst schon seine Beethoven-Deutungen, wie mir scheint.


    Und der berühmte 111er-Boogie-Woogie ist ein ganz eigenes Thema! :)


    Schönen Gruß und eine gute Nacht!


    Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Werter Wolfgang, werter Willi,

    tolle Beiträge.

    Schön, wie man auf Punkte aufmerksam gemacht wird, sie nachvollziehen kann und dann für sich selber bewertet.

    "Binnenakzentuierungen" ist ein schönes Wort.

    Willi erwähnt die Dynamik, wie Fazil Say schnelle Passagen gekonnt umsetzt, dieser gekonnte Elan zieht sich durch die GA.

    Habt Dank für eure Beiträge

    Thomas

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  • Danke, Thomas! Ich freue mich sehr über Dein kleines Lob. Und doch: Es ist wahrlich nichts Besonderes zumindest von meiner Seite, wirklich nicht. Ein wenig längere Hörerfahrung, bedingt durch höheres Alter, ein bisschen musikalisches Grundwissen. Eines habe ich hier dennoch gelernt, nämlich mich zu fragen: In welcher Proportion wächst bei Musikkritik die Sachkenntnis, vielleicht auch nur die Relevanz des Gesagten, wenn man über eine wissenschaftliche Ausbildung verfügt? Sie wächst gewiss - ob aber der hochinteressierte Laie davon gleichermaßen proportional profitiert? Das weiß ich schon lange nicht mehr ...


    Schluss mit dem Gewäsch ... obgleich halt zur Sache die Beziehung gehört, meine ich. Sonst könnte man auch eine feste Internet-Enzyklopädie und Bücher lesen und es würde vollauf genügen respektive wäre es vielfach der bessere Weg.


    :)Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Lieber Thomas,


    auch ich bedanke mich herzlich für dein Lob. Ich hatte ja schon verschiedentlich erklärt, dass ich mit meiner fachlichen Vorbildung bei der Beurteilung musikalischer Abläufe Anhaltspunkte brauche, die mir nicht unbeschränkt zur Verfügung stehen, d. h. ich brauche die Partitur, ich habe ständig Online-Lexika geöffnet, und ich habe natürlich das Wissen über die Noten und ihre Bedeutung durch meine Schulbildung und beinahe lebenslange Erfahrungen im Chorgesang vertieft.

    Dazu lese ich seit über einem halben Jahrhundert das Musikmagazin Fono Forum und da natürlich auch die professionellen Musikkritiken.

    Letztere haben mir allerdings auch vor Augen geführt, wie ich es nicht machen kann und will. Eine halbe Spalte mit allgemeinen Aussagen über ein komplexes Stück wie z. B. eine Beethoven-Klaviersonate, eine Bruckner-Sinfonie oder eine Wagner-Oper, die kann ich mir nicht mal eben so aus dem Kreuz leiern.

    Was ich hier schreibe, muss ich auch weitgehend belegen können, und dazu dient mir die Partitur, und da bin ich im Nachhinein meinen Musiklehrern am Gymnasium sehr dankbar, dass sie mir damals schon die Grundlagen dafür vermittelt haben, denn sie waren beide Pianisten und ich hatte so Zugang zu viel Notenmaterial.

    Falls du mal Fragen zu meinen Ausführungen hast, zögere nicht mich zu fragen. Ich werde nach Kräften eine Antwort liefern.

    Die nächste Besprechung erscheint heute Abend im Thread zur Hammerklaviersonate über eine Aufnahme einer kürzlich verstorbenen Pianistin.


    Liebe Grüße


    Willi:)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Die nächste Besprechung erscheint heute Abend im Thread zur Hammerklaviersonate über eine Aufnahme einer kürzlich verstorbenen Pianistin.


    Liebe Grüße


    Willi:)

    Dann meine ich natürlich zu wissen, worauf ich gespannt sein darf. Die Pianistin, auf die es wohl hinausläuft, rückt in letzter Zeit zunehmend in mein Blickfeld. Eine bewundernswerte Frau, zudem wohl eine starke Künstlerpersönlichkeit - und ein wirklich trauriges frühes Versterben.

    Es ist schön, lieber Willi, wie souverän und sachorientiert du hier im Forum weitermachst, "deiner" Linie treu bleibst und damit auch Haltung zeigst. Ich würde gerne so viel mehr hören und mich dementsprechend auch mehr einbringen gerade in den Klavierthreads - Zeit und Frische fehlen zu oft dafür. Bei der Hammerklavier- und Waldsteinsonate (die ich im Konzertsaal zuletzt von Igor Levit hörte), möchte ich die Beschäftigung aber gerne in den nächsten Tagen aufnehmen und mich dann auch von den Gedanken hier anregen lassen.