Der "Genusshörer" - Die meistverbreitete Form im Klassikbereich ?

  • Wenn man versucht Klassikfreunde - oder welche man dafür hält - fürs Tamino-Forum als Mitschreiber anzuwerben, dann hört man immer wieder: "Ich bin ja nur ein Genusshörer" - Ich bekomme auch immer wieder Leserbriefe, die lediglich eine Auskunft möchten - leider aber selber keine Beiträge schreiben können - sie sind nur Genusshörer. Wie definiert man diese Gruppe ? Hört die unreflektiert Musik - vielleicht gar keine klassische? Oder hören die in Wahrheit gar keine Musik und himmeln nur ihren Lieblingsinterpreten an?
    Welche Art von Hörer ist man eigentlich, wenn man KEIN Genusshörer ist? Fragen über Fragen....


    mfg
    aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Der Punkt ist wohl weniger, dass "Genusshörer" weit verbreitet wären, sondern dass Klassik einer der wenigen Bereiche ist, in dem es 1. überhaupt auch "andere" Hörer zu geben scheint und 2. die "bloßen Genusshörer" sich dessen vage bewusst sind und deswegen meinen, sie seien unreflektiert (und vielleicht sind es viele ja auch...)

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ich sehe den Begriff eher negativ, nicht weil ich etwas gegen Genuss beim Hören hätte - im Gegenteil - sondern weil die selbsternannten "Genusshörer" meist Leute sind, die 30-40 CDs haben, gerne mal reinhören aber sich weiter für Musik nicht interessieren. Das alleine würde mich natürlich überhaupt nicht stören. Was mich aber stört ist, dass solche "Genusshörer" dies, im Unterschied etwa zu den "Gelegenheitshörern", irgendwie als Mangel begreifen, folglich gewisse Neidgefühle genüber wirklichen Musikliebhabern entwickeln, und jene schließlich als genussunfähige "Kopfmenschen" (bzw. "Kopfhörer" ;)) abstempeln wollen.


    Also zusammengefasst: "Genusshörer" = "Gelegenheitshörer" + Neidgefühle.

  • "Ich bin ja nur ein Genusshörer"


    Hört sich für mich nach einer ziemlich faulen Ausrede an! - Tatsächlich aber bin ich persönlich noch nie einem begegnet - zum Glück :P

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Mein Gott, warum kann denn mit Genuss Musik hören in irgendeiner Form problematisch sein? Wie schön, wenn Musikfreunde klassische Musik ganz einfach genießen. Auch wenn sie dieser Musik eher distanziert gegenüber stehen und mehr mit dem Bauch als dem Verstand hören. Vielleicht ist Genuss genau der Köder, mit dem sie verstärkt für klassische Musik gewonnen werden können. Ich zweifle auch, ob diese Musik-Hedonisten Neidgefühle entwickeln. Liest man die Vorstellungen neuer Mitglieder im Forum, dann sind viele von ihnen genau über das Genußhören zur klassischen Musik und zu uns gekommen. Lohnender wäre m. E. darüber nachzudenken, wie wir diese Musikfreunde ans Forum binden und zum Schreiben animieren können. Ich sehe eher die Gefahr, dass durch eine gewisse Überlegenheitsdemonstration der Kenner und Könner im Forum Berührungsängste und Kommunikationshürden aufgebaut werden.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

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  • Nun, das Gegenteil vom ,, Genusshörer" ist dann wohl der Experte, der musikalisch gebildete Hörer. Ich bekenne- ich bin ein solcher Genusshörer und fühle mich ganz wohl dabei. Ich weiß WAS mir gefällt und vermag auch zu äußern WARUM mir ist etwas gefällt oder eben nicht. Den großen aufführungspraktischen, musikwissenschaftlichen oder -historischen Zusammenhang kann ich dabei geflissentlich ignorieren. Da ich bei vielen Themen in meinem Berufsleben im Mittelpunkt stehe ( oder stehen muss :stumm: ) brauch ich für mein Ego im Privatleben und bei meinen Hobbys kein Futter, d.h. auch überhaupt nicht das selbst zugesprochene Label ,, musikalischer Feingeist", welches ich dann nicht mit Substanz ausfüllen könnte.


    Es bleibt bei der schlichten Tatsache - klassische Musik nährt meine Seele, erfreut und tröstet mich, gehört einfach zu mir. Das genügt.



    Gruß


    Oolong

    Psalmen sprechen und Tee trinken kann niemals schaden!

  • Für mich hat der Begriff "Genusshörer" einfach eine bildungsfeindliche Konnotation. So als wäre der "Gebildete" zu uneingeschränktem Genuss nicht mehr fähig. Und das nervt mich, denn man erfährt solche Zumutungen immer wieder im Alltag - nicht nur auf die Musik bezogen. Ansonsten soll jeder Musik hören, wie er mag.

  • Nun frage ich mich auch bereits seit gestern, was am "Genusshören" so "falsch" sein könne.
    Ich würde selbst so stark gar nicht polarisieren wollen.
    Fand den Gegenpol auch im Expertenhörer, welcher ja nun auch einen Teil dessen, was Musik ausmachen können, quasi ausblendet beim Hören, nämlich die sinnliche Komponente?


    Am schönsten wohl, jemand vermag zu hören wie es C.P.E.Bach nennt: "(für) Kenner und Liebhaber".


    Herzliche Grüße,
    Mike

  • Vielleicht sollte erst mal besprochen werden, wie "Genuss" zu verstehen ist. Solange das nicht geklärt ist, ist das Gegenteil von "Genusshörer" für mich am ehesten ein professioneller Musiker, der sich gerade beruflich der Musik widmet. Ich würde beispielsweise einen Korrepetitor, der sich im Rahmen seiner Arbeit einen Gesangsvortrag anhört, nicht als "Genusshörer" bezeichnen. Wer sich aber Musik aus nicht beruflichen Gründen anhört, ist auf jeden Fall ein "Genusshörer", unabhängig davon, wie viel er vom Gehörten strukturell analysieren kann.

  • Mit Genuss Musik hören ist per se nicht problematisch. Es klang schon an, aber aus meiner Sicht sind zwei Punkte problematisch.


    1. Musik ist heute für fast alle Hörer gleich welcher Musiksparte in erster Linie (oder überhaupt nur) passiver Genuss, ein Konsumgut. Natürlich gibt es nach wie vor Menschen, die singen und musizieren, aber dass das bloße Hören von Musik überhaupt etwas anderes als genüssliches Konsumieren sein könnte, kommt vielen gar nicht in den Sinn. (Ein Bekannter erzählte mir vor etwa 10 Jahren schon einmal, dass ein Arbeitskollege mit Befremden reagierte, als er sagte, er wolle heute abend Platten anhören (und nichts weiteres dabei tun).)
    Entsprechend sind sie befremdet, wenn jemand etwas anderes vertritt oder auch, wenn sie Musik begegnen, die nicht so problemlos konsumierbar ist wie ein Eisbecher. (Dabei sollte eigentlich jedem klar sein, dass man, vielleicht nicht bei Eis, aber bei Wein, Whisky, Käse u.ä. Genuss oft erst lernen muss.) Sie können nicht verstehen, wie jemand Musik schätzen kann, die sie auf Anhieb ungenießbar finden (so wenig wie ein Kind verstehen kann, dass Erwachsene Speisen schätzen, die ihm scharf, bitter oder sauer vorkommen.)


    2. Ein Teil der Hörer merkt/ahnt eben doch, dass Musikhören etwas anderes sein kann als Eis schlecken. Und dass insbesondere klassische Musik vielleicht mehr als Genuss oder wenigstens besondere Formen des Genießens bietet. Oben sprach jemand von "Neid", es geht wohl oft eher um eine Art Minderwertigkeitsempfinden. Man ahnt, dass da "mehr" sein könnte, weiß aber nicht recht, ob und wie man sich Mühe geben soll, das "mehr" zu erschließen. Das kann zu einer gewissen Trotzreaktion führen, so dass man meint, alles, was man in seiner momentanen Genussmentalität nicht nachvollziehen kann, sei Prätention von großkotzigen Klugschwätzern. Diesen Eindruck zu vermeiden sollte freilich das Ziel derer sein, die meinen, es gäbe mehr als "oberflächlichen Genuss" in der klass. Musik (und nicht nur dort).

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  • Oben sprach jemand von "Neid", es geht wohl oft eher um eine Art Minderwertigkeitsempfinden. Man ahnt, dass da "mehr" sein könnte, weiß aber nicht recht, ob und wie man sich Mühe geben soll, das "mehr" zu erschließen. Das kann zu einer gewissen Trotzreaktion führen, so dass man meint, alles, was man in seiner momentanen Genussmentalität nicht nachvollziehen kann, sei Prätention von großkotzigen Klugschwätzern. Diesen Eindruck zu vermeiden sollte freilich das Ziel derer sein, die meinen, es gäbe mehr als "oberflächlichen Genuss" in der klass. Musik (und nicht nur dort).


    Genau das wollte ich ausdrücken. Deine Definition dieses Hörertypus ist wesentlich treffsicherer als meine.

  • Es liegt mir fern, das "Genusshören" in eine Wertigkeit zum ,,gelehrten" Hören zu setzen! Natürlich hindert Expertentum nicht am Genuss. Im Umkehrschluss KANN jedoch klassische Musik auch alleine durch das hineinversenkende Zuhören vollgültig erlebt werden. Und das finde ich äußerst beglückend für den nicht musikalisch ausgebildeten Interessenten. Und ich glaube, dass die meisten ,, Genusshörer" dann doch hie und da WISSEN wollen, sich also bilden werden. Daher sehe ich per se keine bildungsfeindliche Konnotation in dem Begriff.



    Gruß


    Oolong

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  • Im Umkehrschluss KANN jedoch klassische Musik auch alleine durch das hineinversenkende Zuhören vollgültig erlebt werden. Und das finde ich äußerst beglückend für den nicht musikalisch ausgebildeten Interessenten.


    Absolut unbestritten. Mit Deiner Definition des "Genusshörens" habe ich auch keine Probleme, aber es gibt nicht nur "Oolongs" da draußen ;) .....

  • Im Umkehrschluss KANN jedoch klassische Musik auch alleine durch das hineinversenkende Zuhören vollgültig erlebt werden.


    Hier stimme ich gerne zu; hineinversenkendes Zuhören ist allerdings auch nicht meine erste Assoziation bei "Genuss". D spielt für mich eben ein tendenziell oberflächlich-hedonistisches Element hinein, weniger das kontemplative Versenken. Letzteres entspricht für mich weit mehr dem Zweck von Musik als distanziertes Analysieren.

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  • Nun mal ein ganz anderer Gedanke: Da hat uns doch der geniale Verführer aus Wien wieder ein geschickt formuliertes, provokantes Thema hingeworfen.
    Ich bin auch wieder einmal so naiv, erliege der Versuchung und lasse mich in eine zwar intelligente aber breite und weil rein theoretisch unlösbare Diskussion über Genusshörer - einschließlich der Begriffsdefinition von Genuss - hineinziehen. In derselben Zeit und mit wahrscheinlich weniger Kraftaufwand und Gehirnschmalz hätte ich mich zu konkreten Musikstücken, zu Sängern usw. äußern, oder mich in den Quellen der Freude erquicken können.
    Aber wenn es der Lust am Disputieren, einem abstrakten Zeitvertreib und der Quote im Forum dient, dann hat es vielleicht doch einen Sinn. Ich werde künftig etwas kritischer darauf achten, schluck ich den Köder aus der Donaustadt oder schalte ich mein Hirn ein und verschmähe die Provokation, egal wie geschickt diese auch verpackt ist. Also wieder einmal 1:0 für Alfred!


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

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  • Wieso wird der Begriff " Genuss " im Breich der klassichen Musik eigentlich immer so negativ bewertet ? Manchmal habe ich das Gefühl das das Hören von klassischer Musik nur mit Arbeit verbunden ist. Ich kann mich doch nur auf ein Werk näher einlassen, wenn ich es gerne höre bezw, anfange die Musik zu genießen. Nur dann beschäftige ich mich weiter mit dem Komponisten und höre enventuell noch andere Werke von ihm. So ging es mir in den 90 Jahren mit Massenet. Anläßlich einer Manon Premiere an der Rheinoper hörte ich diese Stück zum ersten Mal komplett auf CD und "genoß" die wunderschöne Musik. Daraufhin lieh ich mir Bibiliothek weiterführende Literatur zu dem Werk und zu Massenet aus und kam so auf seine anderen Opern wie Thais oder Heroidade . Und ich denke mal das auch der "gelehrte" Hörer ein Genuss-Hörer ist.

  • Ich werde künftig etwas kritischer darauf achten, schluck ich den Köder aus der Donaustadt oder schalte ich mein Hirn ein und verschmähe die Provokation, egal wie geschickt diese auch verpackt ist.

    Da hab ich ein wenig lachen müssen! "Donaustadt" ist nämlich ein erzroter Arbeiterbezirk in Wien - dort möchte Alfred sicher nicht wohnen.... :D



    Und ich denke mal das auch der " gelehrte " Hörer ein Genuss Hörer ist.

    Ja klar, sonst müsste man irgendwann zu dem paradoxen Schluss kommen, dass Berufsmusiker und Komponisten, also diejenigen, die von Musik am meisten verstehen, Musik am wenigsten genießen.

  • Ich würde beispielsweise einen Korrepetitor, der sich im Rahmen seiner Arbeit einen Gesangsvortrag anhört, nicht als "Genusshörer" bezeichnen.

    :angel: du sprichst mir aus der Seele, aber meistens spiele ich ja selbst zu dem Gesang dazu... und unterbreche, wenns zu schlimm wird... die Aufgabe, Fehler anderer zu korrigieren, ist manchmal undankbar...und die Gefahr, das Hörerlebnis darauf zu reduzieren und zum humorlosen Rechthaber zu werden, ist gross. (Ähnlich dem Auffinden von Rechtschreibefehlern in Zeitungen...)



    Wer sich aber Musik aus nicht beruflichen Gründen anhört, ist auf jeden Fall ein "Genusshörer", unabhängig davon, wie viel er vom Gehörten strukturell analysieren kann.

    naja, damit wäre jeder Hörer zum Genusshörer gestempelt - und man müsste schon jene herausfiltern, die Musik nicht geniessen können, weil sie ihnen nicht zusagt. (auch jene sogenannten Unmusikalischen, die nur dem Partner, der Partnerin zuliebe ins Konzert mitgehen...)
    bzw. nicht geniessen wollen, weil sie lieber in ein anderes Konzert gegangen wären (was auch immer)


    Ich fürchte, es gibt im klassischen Segment vor allem auch die "Bildungshörer": jene, denen gesagt wurde, dass die Kenntnis gewisser Musikrichtungen als Demonstration von Bildung gilt und die daher mit Todesverachtung und beeindruckender Ausdauer in einer "Tristan"Aufführung, einem späten Beethoven Streichquartett, bei der "Kunst der Fuge" oder sogar einem zeitgenössischen Konzert sitzen. (und nachher beim Cocktail gescheite Kommentare dazu abgeben...)


    es gibt die "Spezialisten", die nur ein bestimmtes Instrument geniessen können: zB: die Liebhaber von solistischer Gitarren, Harfen und Orgelmusik.
    Manchmal lehnen solche Leute andere Musikrichtungen kategorisch ab. diese Einschränkung der Genussfähigkeit finde ich bedenklich.


    Es gibt die Fast-Food-Hörer, bei denen Musik schnell ins Ohr gehen soll - sie sind beleidigt, wenn sie eine Melodie nicht nachpfeifen können und suchen die Schuld dafür nur beim Komponisten.


    Dann gibts diejenigen, bei denen die Musik bestimmten Stimmungen entsprechen muss... (ich hab schon kurz die zweckmässige Musik angekündigt): dazu gehört dann Fahrstuhl-, Restaurant-, Kaufhaus, Weihnachtsmarkt-- und andere -Berieselungen. Man merkt erst, dass etwas fehlt, wenn ein technischer Defekt auftritt... aber manche Leute atmen erleichtert auf und geniessen die Stille.
    Meditationsmusik gehört auch dazu, ist aber ein weiteres Feld, da man den Grossteil der Kirchenmusik auch dazu zählen sollte.


    Wichtig ist auch die Gruppe der "Texthörer": sie wollen zwar Musik hören - fast ausschliesslich Vokalmusik. Aber diese muss immer eine Botschaft transportieren.
    Brecht/ Weill
    Konstantin Wecker, Reinhard Mey...
    Bach-Kantaten und ein Grossteil der nichtliturgischen geistlichen Musik...
    aber auch romantische Gedichte gehören dahin: Eichendorf Lieder...
    und manche Opern... das sind auch Leute, die das Regietheater schätzen, da ihnen anspruchsvolle Inhalte geboten werden, bei denen sie harte Nüsse knacken dürfen. (Jedenfalls sind sie meistens davon überzeugt...)
    Lieder werden auf ihren Inhalt abgeklopft und entweder akzeptiert als banal abgetan, falls wirklich jemals etwas dem Geschmack entspricht, steigt die Bewunderung ins Unermessliche, und alle Mitmenschen müssen sich missionieren lassen. (gerade die Brecht/ Weill Apostel sind fast so aufdringlich wie die Mormonen, wenn sie in Europa in ihrer teuren Kleidung und mit den schwarzen Namensschildchen ausschwärmen.)


    bei denen, die sagen, Musik gibt mir nichts, liegt vielleicht auch ein eingeschränktes Hörvermögen vor; nicht nur Diskogeschädigt, sondern auch nicht imstande, Klangfarben, Tonhöhen, Melodien zu unterscheiden. Oder ein Erziehungsfehler, wenn die Eltern zu begeistert waren und das Kind zu Konzerten gezwungen haben...
    oder auch einfach Ignoranz und Abstumpfung.


    die seltensten Fälle sind wahrscheinlich jene Experten, die ihre analytischen Fähigkeiten nicht abschalten können und daher nicht genussfähig sind.
    Sie müssen zwangsläufig alles verachten, was nicht in ähnlicher Weise konstruiert ist wie Boulez oder Xenakis, weil der Stolz auf den eigenen Intellekt alles andere abgetötet hat. Leider verachten sie oft auch die Menschen, denen das andere gefällt...


    eine weitere Trennung betrifft die "Tänzer", die Musik als Anregung zu körperlicher Bewegung benutzen.... sie wollen nicht stillsitzen und fühlen sich in der bürgerlichen Konzertatmosphäre unwohl.


    Leider wollen sich andere genau von diesem Verhalten abheben, in dem sie nur "unbewegliche" Musik bevorzugen, bei der sie erstarrt, wie hypnotisiert dasitzen und in ihrem Umfeld keinerlei Regung erdulden. (sonst gibts böse Blicke...)


    Ich persönlich lebe gern in Extremen, kann künstlerisch sehr anspruchsvoll sein und im nächsten Moment alle Ansprüche fallenlassen. Ich esse gern einmal im Monat richtig gut und teuer aber die Alltagskost darf auch einfacher sein. (auch McDonalds ist erlaubt...) Man kennt doch jene Hotelaufenthalte, bei denen einem die komplizierten Menüfolgen, die lächerlichen Portionen und das überflüssige Dekorzeug irgendwann zum Hals heraushängen, oder?
    Abwechslung ist mir wichtig.



    ich ergänze.

    Ja klar, sonst müsste man irgendwann zu dem paradoxen Schluss kommen, dass Berufsmusiker und Komponisten, also diejenigen, die von Musik am meisten verstehen, Musik am wenigsten genießen.

    solche Exemplare gibt es wirklich... nicht nur Tonsatzprofessoren, sondern auch Dirigenten/ Interpreten, die nur ihre eigene Auffassung tolerieren, und viele (z.B: Laienchorleiter), die ein Sendungsbewusstsein haben.
    und letztlich ist man manchmal einfach betriebsblind... aber diesen Fehler haben auch viele andere Berufsgruppen...



    Nun mal ein ganz anderer Gedanke: Da hat uns doch der geniale Verführer aus Wien wieder ein geschickt formuliertes, provokantes Thema hingeworfen.

    Don Alfredo... (sorry, ich hatte gestern eine Giovannivorstellung am Hammerklavier...)

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

  • naja, damit wäre jeder Hörer zum Genusshörer gestempelt


    Das stimmt schon, ich habe natürlich vereinfacht. Aufgrund der enormen emotionalen Macht, die Musik haben kann, gibt es nicht wenige, die quasireligiöse Gefühle für sie entwickeln und zu Fundamentalisten werden. Diese Leute kann man natürlich schwer als "Genusshörer" bezeichnen. Die Prätentiösen im Konzert, die sich Beethoven oder Bach nur anhören, weil es zum Bildungskanon dazugehört, sind natürlich auch keine Genusshörer, schlicht und einfach, wel sie es nicht genießen. Diese Menschen sehen aber das Hören von klassischer Musik dann in Wahrheit als Arbeit an, für die es Überwindung braucht (leider noch nicht beim Finanzamt als "Werbekosten" absetzbar...). Bezüglich meiner Hörgewohnheiten in der Klassik bin ich ziemlich flexibel, denn ich kann sowohl Bachs Kunst der Fuge als auch Liszts Mazeppa voll genießen (!). Gerade bei Bachs KdF versuche ich erst gar nicht in Ansätzen, das Gehörte zu "analysieren".

  • Zitat

    (leider noch nicht beim Finanzamt als "Werbekosten" absetzbar...)



    Zitat

    Gerade bei Bachs KdF versuche ich erst gar nicht in Ansätzen, das Gehörte zu "analysieren".

    ich habs schon versucht, aber man kommt an eine Grenze der "musikalischen Logik"... Bach verwendet zuviele freie kontrapunktische Stimmen, sodaß man nicht zu einem völlig zufriedenstellenden Ergebnis kommt. Ein wenig Phantasie und Leben findet sich also immer in jenen Fugen. das unterscheidet Bach von z.B Simon Sechter...

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  • Ein wenig Phantasie und Leben findet sich immer in jenen Fugen.


    Eben genau das ist ja der Witz bei Bach, finde ich. Nicht nur die Strenge, sondern, dass er dabei immer das ästhetische Ziel auch vor Augen hat und der "Rechthaberei" nicht die "Schönheit" opfert. Das gelingt ihm im Gegensatz zu fast allen, die ähnliches versuchten, sehr, sehr oft.

  • ja... es gibt Menschen, die gerne nur in den Kategorien "richtig oder falsch" denken.


    Bei der Musik sind Komponenten und "schön" und "bewegend" auch wichtig.


    an einem "falsch" angesetzten Triller in einem Barockstück ist noch niemand gestorben... (und wenn, dann hatte derjenige vermutlich Bluthochdruck und bereits bestimmte Vorbedingungen für einen Herzinfarkt...)

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  • Die Mehrzahl der Beiträge beinhaltet auch meinen Standpunkt.


    Man kann Musik im Hintergrund rieseln lassen, ohne sich darauf zu konzentrieren. Das kann auch Rock- oder Schlagermusik sein, Elvis oder Andrea Berg. Man kann dabei arbeiten, Auto fahren uva., und die Gefahr der Ablenkung besteht nicht.


    Dem steht gegenüber, Musik nicht nur als Geräuschkulisse zu nutzen, sondern bewußt etwas hören. Wenn ich Klassik auflege, wähle ich aus, was ich anhören werde, und darauf konzentriere ich mich. Bei dieser Definition ist schon Radio hören problematisch. Ich kann nicht Auto fahren und gleichzeitig bewußt und mit Genuß Bruckner hören.


    Ich empfinde es als Genuß, mir z.B. die 8. von Bruckner aufzulegen und mich über eine Stunde darauf zu konzentrieren. Im Auto wäre das nicht möglich, da würde bei mir auch Bruckner zum Gedudel werden, da ich mich auf das Autofahren konzentriere und nicht auf die Musik.


    Für mich ist ein Genußhörer eine Musikfreund (vielleicht sogar außerhalb der Klassik), der sich ausschließlich auf diese Momente konzentriert.


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Ein Genußhörer ist für mich jemand, der auf den Genuß fixiert ist. Beim Hören guter Musik - selbstverständlich - Genuß zu haben und auf den Genuß fixiert zu sein ist doch wohl etwas anderes.


    Schöne Grüße
    Holger

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  • jemand, der beim Musikhören Genuss hat, ist dann kein Genusshörer? das leuchtet nicht sofort ein


    bitte um genauere Bestimmung der Fixierung? - zunächst klingt der Begriff ja nach etwas negativem, bzw. krankhaften...
    da müsste es eine Unterscheidung zwischen positivem und negativem Genuss (Suchtverhalten?, Neurose?, Weltflucht?) geben.


    ich mag mir meine musikalischen Genüsse nicht vermiesen lassen... ;)

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
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  • Eine Konversation außerhalb des Forums, die ich hier gern einfüge:
    "Tja, was ist ein Genusshörer....ehrlich gesagt, ich weiß es nicht!
    Aber ich weiß, dass es für mich ein Genuss ist, wieder mit Dir zu kommunizieren!


    Ich war irgendwie auch ziemlich ratlos bei diesem Threadtitel, zumal er so verallgemeinernd formuliert ist.
    Für mich selbst könnte ich ganz eindeutig antworten: die Kenntnis um Hintergründe eines Werkes, aufführungspraktische ebenso wie gesellschaftliche, soziale etc., erhöhen mir den Genuss beim Hören eines Werkes. Ebenso, wenn ein Interpret um diese Hintergründe weiß.


    Aus meiner beruflichen Erfahrung heraus kenne ich auch die "Plätscherhörer", allerdings hatte ich nie den Eindruck, dass diese Musik genießen würden. Sie sind aus meiner Sicht einfach unfähig, die Stille auszuhalten und mit sich selbst darin zurechtzukommen.


    Ich kenne aber auch eine andere Art des genusslosen Hörens-was vielleicht nicht stimmt, der Genuss war nur ein völlig anderer als Steffen Schleiermacher sich mit einem Schüler in einer Rameau-Aufführung recht lautstarkt mokierte über die Primitivät der Rameau'schen Musik.


    Darum würde ich Dir zustimmen: jeder, der bereit ist, sich auf eine Musik einzulassen, wird auch Genuss empfinden."


    Genüsslich: Mike

  • jemand, der beim Musikhören Genuss hat, ist dann kein Genusshörer? das leuchtet nicht sofort ein


    bitte um genauere Bestimmung der Fixierung? - zunächst klingt der Begriff ja nach etwas negativem, bzw. krankhaften...
    da müsste es eine Unterscheidung zwischen positivem und negativem Genuss (Suchtverhalten?, Neurose?, Weltflucht?) geben.


    ich mag mir meine musikalischen Genüsse nicht vermiesen lassen... ;)


    Vom alten Aristoteles gibt es diese schöne Überlegung: Streben wir nach dem Glück oder der Lust, fragt er. Antwort: Die Lust erstreben wir nie direkt, sie stellt sich lediglich beiläufig mit ein. Das Glück ist natürlich etwas, was lustvoll erlebt wird. Aber nicht, indem wir nach der Lust dabei suchen. Wenn ich versuche, schön Klavier zu spielen, dann ist das lustvoll. Aber ich fixiere mich doch nicht krampfhaft auf den Lustgewinn dabei!


    Eduard Hanslick, der berühmte Wiener Musikkritiker und Ästhetiker, hat zu Recht die Frage nach dem Kunstgenuß gestellt. Er sagt: Es gibt eine Art des Genießens von Musik, die mit wirklichem Kunstgenuß nichts zu tun hat. Das sind dann irgendwelche "elementaren" Eigenschaften, der Schmelz einer Melodie, die schönen Stellen. Hanslick dazu scharfsinnig: Diese Erfahrungen sind alle nicht individualisiert, sondern austauschbar. Was unterscheidet denn dann wirklich den Genuß beim Kartenspielen, beim Essen von Schokoladeneis und dem Hören von Musik? Zum Kunstgenuß wird der Genuß erst, wenn ich die Erfahrung eines "Schönen" dabei mache, welches die spezifische Eigenschaft des betreffenden Werks ist.


    Schöne Grüße
    Holger

  • wenn ich eine bestimmte Platte meiner Sammlung auflege, um eine bestimmte Interpretation eines bestimmten Musikstücks zu hören, strebe ich sehr wohl direkt die Lust an, die sich beim Hören einstellt...
    dass ich dabei vielleicht nicht das Glück finde, ist eine andere Geschichte.


    aber warum tauchen schon wieder die Begriffe "fixieren" und sogar "krampfhaft" auf?
    oder sind sie so ein intellektueller Hörer, dass es ihnen zuwider ist, Favoriten zu bestimmen, weil sie alles nach ihrem Interesse hören wollen?



    es klingt so moralisch, wie ein Vorwurf, wie sie die Lust erwähnen
    ich kenne mich bloss nicht aus, deshalb frage ich.



    Zitat

    Wenn ich versuche, schön Klavier zu spielen, dann ist das lustvoll

    Streng genommen stimmt das nicht:


    entweder versuche ich Klavier zu spielen, ohne es wirklich zu können


    denn wenn ich es kann, kann ich auch schön spielen...


    aber spiele ich so, dass ich es schön finde?


    dass bestimmte andere es schön finden?


    oder dass die Mehrheit meiner Hörer es schön findet...?


    klar ist das lustvoll, aber es ging ja um die Lust beim Hören, nicht beim Spielen ... Verzeihung



    und zu Hanslick würde ich sagen... den Genuss verschiedener Dinge unterscheidet sinnlich gar nichts, es sei denn, wir stellen einer Wertigkeit unserer Sinne auf.
    die Erfahrung eines "Schönen", selbst wenn es genau definiert wird, ist bei jedem Hörer anders...


    die Komposition selbst kann als objektiv schön bezeichnet werden, oder eine Interpretation oder der Klang eines Instruments, aber die Wirkung, die sie auf die Menschen ausüben, ist unterschiedlich.

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

  • Lieber Wolfgang,


    wenn ich eine Platte auflege, dann möchte ich auch ungern enttäuscht werden bzw. wenn ich eine meiner Lieblingsplatten hervorhole, dann habe ich auch meine Vorfreude und Erwartung eines schönen Erlebnisses. Ich sage nun mal kühn: Das wird bei Dir auch nicht anders sein. Aber wir hören doch die Musik wegen ihrer Eigenschaften oder einer hinreißenden Interpretation und nicht wegen des Genusses! Wenn jemand sich zu einer Frau hingezogen fühlt, dann wohl auch nicht wegen des Genusses, sondern weil er diesen Menschen liebt, ihn faszinierend und attraktiv findet. :) Die Fixierung auf die Lust und auf das eigene Genießen hat etwas Narzistisches, wird der Psychologe sagen - das ist eine durchaus nicht natürliche Einstellung.



    Man bemüht sich, eine Stelle besonders schön hinzubekommen und übt fleißig dafür. Und wenn man es geschafft hat, dann ist das ein lustvolles Erlebnis. Aber darin steckt viel mehr, als nur das armselige Lustquantum. Beim Hören ist es doch ähnlich: Wir hören gebannt zu, wenn eine Interpretation spannend ist, die Musik uns fesselt - uns selbst vergessen wir dabei ganz und gar und auch unsere "Bedürfnisse" nach Lust, Genuß und dgl.!



    und zu Hanslick würde ich sagen... den Genuss verschiedener Dinge unterscheidet sinnlich gar nichts, es sei denn, wir stellen einer Wertigkeit unserer Sinne auf.
    die Erfahrung eines "Schönen", selbst wenn es genau definiert wird, ist bei jedem Hörer anders...


    die Komposition selbst kann als objektiv schön bezeichnet werden, oder eine Interpretation oder der Klang eines Instruments, aber die Wirkung, die sie auf die Menschen ausüben, ist unterschiedlich.

    Zunächst einmal würde ich ganz deskriptiv sagen: Ein erfreuliches Erlebnis hat eine Qualität, und die richtet sich nach dem Gegenstand. Die Freude, eine Zigarre zu rauchen (ich bin kein Raucher!), einen dicken Fisch zu angeln oder einem schönen Konzert beizuwohnen qualifiziert sich erst einmal nach dem Objekt der Begierde, um das es geht. Da ist erst einmal gar keine Wertung im Spiel, sondern jedes Lusterlebnis gibt sich erst einmal anders - weswegen wir solche Dinge im Alltag auch nicht wirklich vergleichen mögen. Nur wenn man auf die Lust selber und den puren Lustgewinn als solchen fixiert ist, verliert sie ihre Qualität und wird zum kalkulierbaren, auf jeden beliebigen Gegenstand beziehbaren Quantum. Den letzten Satz von Dir würde Hanslick sofort unterschreiben - das Schöne der Musik besteht eben nicht darin, wie Musik auf uns wirkt, sondern wie sie ist! :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

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