historische Kostüme - notwendig für die Authentizität oder sinnloser Aufputz

  • So weit, so gut. Nur ist Oper nicht immer Drama und wenn auch, so dürfte eine 1 zu 1 Gleichsetzung zwischen Schauspiel-Drama und Oper-Drama nicht immer selbstverstänlich sein. Die Musik als dramatisches Ausdrucksmittel führt schließlich ein Eigenleben.

    Wenn es sich hier um eine tragische und nicht komische Oper handelt ist die Oper ein Drama. Das Schauspielerische gehört nun mal auch zur Oper. Die Besonderheiten der Opern-Dramaturgie sind freilich ein eigenes Thema. Sie betreffen aber nicht diesen Punkt.


    Übrigens denke ich, lieber Holger, dass Deine etwas gewagte Behauptung, dem Anbeter der Schönen Oper fehle das Interesse an Theatergeschichte und Fragen der Ästhetik, nicht leicht zu beweisen ist.

    Da brauche ich nur an die endlosen sich im Kreis drehenden Diskussionen und zahllosen Postings hier zu denken, dann ist das eigentlich Beweis genug.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Da brauche ich nur an die endlosen sich im Kreis drehenden Diskussionen und zahllosen Postings hier zu denken, dann ist das eigentlich Beweis genug


    Einem Statistiker dürfte aber eine Auswahl von 3 oder 4 Stimmen in einer Population von einigen Hunderttausend nicht als Unterlage genügen.


    Dass eine Diskussion sich im Kreis dreht, kann auch daran liegen, dass manche Fragen nicht beantwortet und darum wiederholt gestellt werden.

  • Ich fürcht diese ganze Diskussion gleitet wieder ins RT Thema ab, wobei es bei der Fragestellung eigentlich nur um die Kostüme geht .

  • So weit, so gut. Nur ist Oper nicht immer Drama und wenn auch, so dürfte eine 1 zu 1 Gleichsetzung zwischen Schauspiel-Drama und Oper-Drama nicht immer selbstverstänlich sein. Die Musik als dramatisches Ausdrucksmittel führt schließlich ein Eigenleben.


    Was ist denn Oper, wenn kein Drama? Vielleicht manchmal auch Farce und einige Opern mögen einer Revue ähneln, mangels dramatischem Zusammenhalt. Aber wir dürften uns doch fast alle einig sein, dass Opern keine mit Musik versüßte Geschichtsstunde sind. :D Abgesehen davon, dass nicht wenige Opern entweder mythologische oder märchenhafte Sujets haben, die überhaupt nicht historisch eingeordnet werden können, oder in der seinerzeitigen Gegenwart handeln.
    Gerade weil die Musik ein Eigenleben führt, habe ich nie verstanden, warum in der Oper Kostüme und Staffage als essentiell betrachtet werden. Es wird immer wieder behauptet, die Musik würde sozusagen durch Assoziation verfälscht, weil die Kostüme nicht passen. Das verstehe ich überhaupt nicht. Die Musik hat sich doch gar nicht verändert.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Holger: Vielen Dank, einhundert Prozent Zustimmung!


    Ich muss noch einmal auf diesen Satz zurückkommen. Wie müssen wir doch frühere Generationen bedauern, die immer Aufführungen anschauen mussten, die an dem Kern des Werks vorbeiinszeniert waren. Eine ähnliche Bemerkung habe ich in einer Rezension der unsäglichen Gürbaca-Aida in Zürich gelesen. Da hieß es sinngemäß, hier würde nun Verdi endlich mal ernst genommen. Bei einer solchen Arroganz bleibt einem wirklich beinahe die Spucke weg. Alle Regisseure vom Schlage eines Schenk, Zefirelli, Ponelle etc. haben demzufolge mal eben so Larifari inszeniert, ohne das Werk ernst zu nehmen. Ich erspare mir einen weiteren Kommentar hierzu, denn der würde sehr unfein ausfallen.

    In der Tat bin ich froh, dass wir heute in der Aufführung von Opern eine nie dagewesene Vielfalt zur Auswahl haben ;) . Das ist aber nicht so überraschend, denn mit zunehmender Distanz zur Entstehungszeit einer Oper wird eine einfache Wiederholung der Uraufführungsversion immer fragwürdiger, weil wir einfach nicht mehr in dem gleichen historischen Kontext leben. Zudem bietet die Welt, in der wir heute leben, aufgrund ihrer Komplexheit ein erheblich größeres Spektrum an Deutungsmöglichkeiten.


    Was die erwähnte Rezension betrifft, stimme ich Dir zu, das ist arrogant und dient wohl hauptsächlich der Eitelkeit des Kritikers. Ein ähnliches Beispiel aus der Süddeutschen habe ich ja kürzlich hier zitiert. Die "Aida" von Tatjana Gürbaca aus Zürich kenne ich nicht - ich füge ein "leider" hinzu, denn ich habe letztes Jahr ihren "Parsifal" in Antwerpen gesehen, der mir ausnehmend gut gefallen hat, so dass ich neugierig auf weitere Regiearbeiten von ihr geworden bin.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Es wird immer wieder behauptet, die Musik würde sozusagen durch Assoziation verfälscht, weil die Kostüme nicht passen. Das verstehe ich überhaupt nicht.


    Wenn es nur bei Assoziationen bliebe. Bei der Zarenbraut neulich im TV wurde die Ouvertüre optisch mit Microsoft zugemüllt. Man sollte gleichzeitig eine Menge Emails lesen.
    Mich lenkt so etwas ab, andere nicht. Auf die Kleinen und Schwachen nimmt aber niemand mehr Rücksicht.


    Versüßte Geschichtsstunden erwarte sogar ich nicht, nicht einmal beim Boris. Aber "die höchste Macht ist mein, das sechste Jahr schon herrsche ich ruhig" wirkt glaubwürdiger im Zarenkleid als im Gucci-Anzug. Natürlich geht das Letztere auch, aber was mir nie jemand erklären kann, ist dies: Warum das Ganze? Ist der moderne Hörer nicht fähig, selbst seine Analogien herzustellen? Wenn Pimen von Ivan IV erzählt ist das konkrete Geschichte. Wie soll man das in eine andere Zeit versetzen ohne dass der Text lächerlich wirkt?


    Interessant wäre zu wissen, ob Puschkin und Mussorgskij einen Typus oder ein Individuum gestalten wollten. Und wenn es wir nicht wissen, kann man ja fragen, ob man das Typisieren nicht dem Hörer überlassen könnte.


    Doch wie ich schon des öfteren betont habe, mir geht es gar nicht um das Für und Wider im Allgemeinen, sondern nur im Besonderen.

  • Zitat

    Zitat von Hami: Warum das Ganze? Ist der moderne Hörer nicht fähig, selbst seine Analogien herzustellen? Wenn Pimen von Ivan IV erzählt ist das konkrete Geschichte. Wie soll man das in eine andere Zeit versetzen ohne dass der Text lächerlich wirkt?

    Lieber Hami,


    :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: genau das ist es. Halten uns die modischen Regisseure und die, die diesen Unsinn befürworten für so dumm, dass wir Analogien nur noch herstellen können, wenn Handlung und Kostüme in die heutige Zeit versetzt werden?? Auch ich habe bei vielen modischen Verunstaltungen in modernen Alltagsklamotten, die absolut nicht zum gesungenen Text passten, die Empfindung "lächerlich" gehabt. Dieser Widerspruch verstellt mir eher das Wesentliche.
    Die Zartenbraut hätte ich auch gerne mal gesehen, aber diese Verunstaltung war wohl mehr als lächerlich


    Liebe Grüße
    Gerhard
    .

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Mal eine Frage von jemandem dem es in der Oper hauptsächlich auf die Musik ankommt: Wenn ich mich vorher über die Aufführung informiere und weiss in welchem geschichtlichen Kontext sie stattfindet , dann ist es es eigentlich doch vollkommen egal in welchen Kostümen die Sänger auftreten. Das mit den Kostümen kann wichtig und richtig sein für Leute die vielleicht nicht so häufig oder zum ersten Mal in die Oper gehen aber für den Experten dürfte das doch eigentlich egal sein. Außerdem sind aufwendige Kotüme ja auch eine Kostenfrage, da sie ja ständig gepflegt werden müssen . Wenn ich ins Kino gehe dann gehe ich ja auch hauptsächlich wegen der Schauspieler ins Kino und nicht deshalbe, wie sie angezogen sind.

  • Wenn ich ins Kino gehe dann gehe ich ja auch hauptsächlich wegen der Schauspieler ins Kino und nicht deshalbe, wie sie angezogen sind.


    Im Kino wird man aber in aller Regel nicht zum Narren gehalten. Geht man in einen Mittelalter-Film, kann man davon ausgehen, dass man halbwegs mittelalterliche Kostüme zu sehen bekommt. Die Kritik wäre sicher (zurecht) gnadenlos, wenn die Protagonisten etwa bei "Braveheart" in Bekleidung des 21. Jahrhunderts herumlaufen würden. ;)

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Wenn ich mich vorher über die Aufführung informiere und weiss in welchem geschichtlichen Kontext sie stattfindet , dann ist es es eigentlich doch vollkommen egal in welchen Kostümen die Sänger auftreten.


    Wenn das bedeutet, dass es NICHT egal ist, in welchen Kostümen die Sänger auftreten, wenn ich mich vorher NICHT informiere, dann werde ich mich also in Zunkunft nicht mehr informieren.

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  • Nochmal: Fühlt Ihr Euch auch "zum Narren gehalten", weil die Philister hier keine bronzezeitlichen Rüstungen tragen, sondern mehr oder weniger Fantastiegewänder oder solche aus dem 17. Jhd. (etwa 2700 Jahre falsch) Wenn nicht, warum nicht?


    Struck by the sounds before the sun,
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    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Eine interessante Frage. Persönlich kann ich sie beantworten mit: Nein, ich fühle mich in diesen Fällen nicht zum Narren gehalten. Das liegt für mich daran, dass es sich hier a) um mittlerweile ebenfalls sehr historische "Kostüme" handelt und b) (und das ist noch viel wichtiger) weil es dennoch sehr ästhetisch aussieht. Solange das ästhetische Gesamtbild stimmig ist, habe ich keine Probleme mit dergleichen.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Nein auch hier, weil


    a) kein Libretto etwas vorschreibt und
    b) kein Original verändert wird.


    Dem Simson kann es übrigens wurscht sein, weil er so wie so bald nichts mehr sieht.


    Schließlich erlaube ich mir, nochmals darauf hinzuweisen, dass ich weder ein absoluter RT-Gegner bin, noch auf unabdingbare Zeittreue poche.
    Ich reagiere lediglich auf den neurotischen Zwang, alles ändern zu müssen, weil es der Zeitgeist angeblich fordert.


    Natürlich gibt es Opern, die Zeitreisen vertragen, beim Boris oder beim Rosenkavalier ziehe ich aber geschichtliche Genauigkeit und zeitgenössisches Sittengemälde vor.

  • Ich habe gerade mal wieder den großartigen "Mathis" von Hindemith gehört, von dem die meisten ja leider nur die Sinfonie kennen. Das ist historisch so präzise verortet, da kann ich mir eine Modernisierung überhaupt nicht vorstellen. Ich brauche auch keine Modernisierung, weil ich das alles auch so verstehe.

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Zitat

    Schließlich erlaube ich mir, nochmals darauf hinzuweisen, dass ich weder ein absoluter RT-Gegner bin, noch auf unabdingbare Zeittreue poche.
    Ich reagiere lediglich auf den neurotischen Zwang, alles ändern zu müssen, weil es der Zeitgeist angeblich fordert.


    Kraftvolle Zustimmung! Möglicherweise bin ich noch weniger absoluter RT-Gegner als Du. Der Fundamentalismus modisch schlechten Regietheaters ist indes allenthalben abstoßender als jener verbiesterter Regietheater-Bekämpfer. Warum? Weil schlechtes Regietheater sich anbiedert und daher von noch weniger Intellekt und Individualität zeugt.


    (Mich hier weiter und konkreter einzulassen, habe ich allerdings augenblicks keine große Lust. Ich möchte mir nicht noch einmal vorwerfen lassen, unter dem Deckmäntelchen der Vermittlung Propaganda gegen einen User zu betreiben. Das hat mich getroffen, weil es einfach nicht gestimmt hat.)


    @ dieser Thread: Könnte es sein, dass auch hier wie so oft die Wahrheit in der Mitte liegt? Eine bequeme Sicht, ja, aber vielleicht eine ein wenig wahre?


    :hello: Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Könnte es sein, dass auch hier wie so oft die Wahrheit in der Mitte liegt? Eine bequeme Sicht, ja, aber vielleicht eine ein wenig wahre?


    Sehr wahrscheinlich. Man kann ja nicht übersehen, dass moderne Regie auf bestimmten Gebieten mit feineren psychologischen Mitteln arbeiten kann als die herkömmliche.
    In der Berliner Zarenbraut lässt Regisseur Tschernjakov den Opritschnik Grjasnoj die Ordnung einer Stuhlreihe korrigieren, als dieser sich über seine verlorene Kühnheit beklagt. Eine nervöse Reaktion, die der moderne Mensch versteht.
    Ein Leibwächter des Zaren im Gewand des 16. Jahrhunderts hätte vermutlich seine Unmut auf andere Weise ausgedrückt. Dazu saßen die Mitglieder einer Tafelrunde ganz sicher nicht auf Stühlen, sondern auf Bänken.


    Übrigens, lass Dich nur nicht von böswilligen Insinuationen einschüchtern. Tamino ist schließlich ein Diskussionsforum.

  • Lieber Hami,


    Zeitreisen beim Rosenkavalier können ins Auge gehen - speziell beim Text des Ochs im 1. Akt. Das ist auf die Maria-Theresianische Epoche gemünzt.


    Liebe Grüße -


    Erich

  • Zeitreisen beim Rosenkavalier können ins Auge gehen - speziell beim Text des Ochs im 1. Akt. Das ist auf die Maria-Theresianische Epoche gemünzt.


    Lieber Erich,


    da habe ich mich sehr ungenau ausgedrückt. Ersetze also "zeitgenössisch" mit "zeitbezogen". Dann stimmt es wieder.


    Also, wie man so schön zu sagen pflegt: ich nehme alles zurück und behaupte das Gegenteil.


    LG
    hami1799

  • Nein auch hier, weil


    a) kein Libretto etwas vorschreibt und
    b) kein Original verändert wird.


    Das "Libretto" ist die Simson-Episode im Buch der Richter. Natürlich steht da auch nicht drin, was die Philister oder Simson für Kleidung anhaben. Das steht aber meines Wissens zB im Don-Giovanni-Libretto auch nicht. (Hier würde mich interessieren, ob man zeitgenössische Darstellungen aus dem 18. oder frühen 19. Jhd. hat, aus denen evtl. hervorgeht, ob sich tatsächlich jemand bemüht hat, Kostüme der Mode von 1600 nachzuempfinden oder sie immerhin so zu gestalten, dass sie als eindeutig nicht-zeitgenössisch erkennbar sind. Aufgrund der Tanz- und Tafelmusik in beiden Finali bin ich allerdings im Grunde davon überzeugt, dass Da Pontes/Mozarts Don Giovanni in ihrer Gegenwart handelt, nicht fast 200 Jahre vorher.)


    In der Zauberflöte soll Tamino in einem "japonischen Jagdgewande" auftreten. Da ich bezweifle, dass die Wiener um 1790 (inklusive Mozart und Schikaneder) genauere Vorstellungen von solchen Gewändern hatten bedeutet das doch wohl "irgendein vage orientalisches Gewand, aber so, dass man vielleicht erkennt, dass es ein Prinz und nicht ein Hofnarr ist"

    Struck by the sounds before the sun,
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    (Bob Dylan)

  • Beim Don Giovanni und der Zauberflöte würde ich für die Kostümierung auch keine geschichtliche Genauigkeit verlangen, weil es die, wie Du sagst, ohnehin nicht gibt.
    Dazu sind auch die Themen dieser Opern nicht an eine bestimmte Epoche gebunden und man kann mit ihnen freier umgehen, wenn man meint, es gäbe hier noch viel zu erklären. Warum das aber in Naziuniform besser gelingen sollte, ist mir nicht klar.


    Man stelle sich nur einmal den umgekehrten Weg vor: Zimmermanns Soldaten als lustige Operettenfiguren. Da wäre die allgemeine Entrüstung sicher riesengroß, und das mit Recht.


    Manchmal habe ich den Eindruck, man ändert nur, weil es geht. Da kommt die Oper eben gerade recht. Die hält ja Einiges aus.
    Gemälde und literarische Werke sind bisher noch verschont, doch bei den heutigen, unerschöpflichen technischen Möglichkeiten, wird sich das eines Tages auch ändern.

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  • Gemälde und literarische Werke sind bisher noch verschont, doch bei den heutigen, unerschöpflichen technischen Möglichkeiten, wird sich das eines Tages auch ändern.

    Der Vergleich trifft nicht, denn Gemälde und literarische Werke (von Dramen abgesehen) sind fertig, sie müssen nur angeschaut oder gelesen werden. Bei einer Oper hingegen muss aus schriftlich vorgegebenen sprachlichen Äußerungen von Figuren eine auf der Bühne stattfindende Handlung erzeugt werden. Damit ist unvermeidlich ein Interpretationsprozess verbunden, der dem Regisseur künstlerische Gestaltungsmöglichkeiten bietet. Die treffendere Analogie wäre die Musik, die auch nicht in fertiger, nur noch anzuhörender Form vorliegt, sondern in Form von Noten, die von Musikern und Dirigenten in eine Abfolge von Tönen übersetzt werden müssen. Auch hier ergeben sich Interpretationsspielräume, auch diese Umsetzung ist eine künstlerische Leistung.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Der Vergleich trifft nicht, denn Gemälde und literarische Werke (von Dramen abgesehen) sind fertig,


    Das ist eben die Frage.


    Wenn man bedenkt, wie oft Balzac an seinen Werken geändert hat, könnte man es einem gutmeinenden Verleger nicht verübeln,
    wenn er da weitermachte, wo Balzac aufgehört hat.

  • Zitat

    Bei einer Oper hingegen muss aus schriftlich vorgegebenen sprachlichen Äußerungen von Figuren eine auf der Bühne stattfindende Handlung erzeugt werden. Damit ist unvermeidlich ein Interpretationsprozess verbunden, der dem Regisseur künstlerische Gestaltungsmöglichkeiten bietet.


    Der Librettist hat dem "Regisseur", dem Bühnenbildner und dem Ausstatter in der Regel ziemlich genaue Anweisungen gegeben was zu tun ist - wobei ein KLEINER Spielraum unvermeidlich ist.
    Es ist mit einem Kochrezept zu vergleichen, wo die Zutaten und die Zubereitungsart ziemlich genau festgelegt sind.
    In Kriegszeiten oder bei Diäten wurden - unter Verzicht auf den optimalen Geschmack - einige Zutaten weggelassen oder durch andere ersetzt. Immerhin bestand das Bemühen diese Änderungen geschickt zu cachieren. Eine weitere Änderung entstand durch andere Kochtechniken. Immerhin wird der echte Pizzaliebhaber auf einem echt befeuerten Pizzaofen bestehen und Lokale mit elektrischen Öfen nach Möglichkeit meiden.
    Der "Regietheather-Regisseur" ist aus meiner Sicht ein unbedeutender Handwerker, der statt den Auftrag zu erfüllen, das Werk verdirbt, verursacht durch seinen schlechten Geschmack und sich darauf berufend, er sei Künstler und "sein" Werk sei durch die Phrase der "Freiheit" der Kunst geschützt.....
    Auf diese Weise kann man für tantiemenfreie Kunstwerke plötzlich wieder Tantiemen verlangen für eine "Kunst" die (fast) keiner will...
    Wenn in einem Theaterstück oder einer Oper beispielsweis Philipp II von Spanien vorkommt, dann ist deine Kleidung natürlich nicht bis ins Detail vorgeschrieben. Indes wissen wir, welche Tracht im Spanien des 16. Jahrhunderts gang und gäbe war, welche Farben man trug, welche Hüte, welche Details dem König, welche dem Adel vorbehalten waren. Wer hier abändert wird von mir persönlich als Stümper, Dillettant ohne historisches Hintergrundwissen, oder als bewusster Zerstörer historischer Werke gesehen. Alles Leute die man nicht in die Nähe eines Opernhauses lassen sollte - und - auch wenn es geschickt totgeschwiegen wird. Die ersten Ansätze dazu sind ja schon vorhanden......


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !




  • Das ist eben die Frage.


    Wenn man bedenkt, wie oft Balzac an seinen Werken geändert hat, könnte man es einem gutmeinenden Verleger nicht verübeln,
    wenn er da weitermachte, wo Balzac aufgehört hat.

    Das ist nun für mich ganz klar keine Interpretation mehr, sondern ein Eingriff in das Werk. Gleiches würde gelten, wenn ein Interpret Noten eines Musikstücks ändern würde (was ja auch
    vorgekommen ist).


    Ich gebe aber zu, dass die Grenzen nicht eindeutig sind. Kürzungen von langen Opern waren in der Vergangenheit durchaus üblich, heute sind sie eher selten, während sie im Sprechtheater an der Tagesordnung sind. Gesprochene Texte wurden auch gerne mal von Dritten durch Rezitative ersetzt, wenn die Konventionen des Aufführungsortes dies verlangten. Im Musiktheater dürfte heutzutage weitgehend die Übereinkunft gelten, dass der gesungene Text sakrosankt ist - außer bei Übersetzungen, die natürlich auch immer eine Interpretation sind (soll man z.B. klassische Texte in modernes Deutsch übersetzen?). Bei Singspielen wird häufig der gesprochene Text gekürzt, ganz weggelassen oder geändert - Interpretation oder Eingriff ins Werk? Auch nicht ganz einfach zu entscheiden. Hinzu kommt, dass der Werkbegriff selbst historischen Wandlungen unterworfen ist.


    Worauf ich eigentlich hinauswollte: eine szenische Realisierung einer Oper ist nicht eindeutig durch Libretto und ggf. vorhandene Regieanweisungen des Komponisten festgelegt. Selbst wenn man der Meinung wäre, dass der Wille des Komponisten das alles entscheidende Kriterium bei der Aufführung einer Oper ist (was ich nicht teile), wird man damit einen Interpretationsspielraum nicht vermeiden können. Und wer will denn entscheiden, ob z.B. ein mit einer Zeitmaschine in die Gegenwart versetzter und sich mit der heutigen Gesellschaft bekannt gemacht habenderRimski-Korsakow es strikt ablehnen würde, die "Zarenbraut" heute in einer modernen Kulisse aufzuführen? Vielleicht wären Komponisten da progressiver als manche ihrer Anhänger ;)

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Vielleicht wären Komponisten da progressiver als manche ihrer Anhänger ;)


    Ja, vor allem würden sie dann andere, modernere Musik schreiben, die sich mit der modernen Kulisse nicht beißt, sondern zu ihr passt. Das geht nun aber nicht. Und daher sollte man m.E. doch versuchen, eine Szene zu finden, die uns genausowenig "altbacken" vorkommt wie die Musik, aber eben doch stimmig dazu ist, also zu ihr "passt". Eine Szene, die eine dazu erklingende Musik eines großen Komponisten der Vergangenheit als vorgestrig und altbacken desavouiert, statt die Musik zu beglaubigen, lehne ich ab.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Worauf ich eigentlich hinauswollte: eine szenische Realisierung einer Oper ist nicht eindeutig durch Libretto und ggf. vorhandene Regieanweisungen des Komponisten festgelegt.


    Das sehe ich auch so, wie auch das Übrige in Deinem Beitrag.


    Mir geht es aber nicht om kosmetische Eingriffe beim Text einer Spieloper oder um Ungereimtheiten in einer Übersetzung.


    Problematisch wird es aber für mich, wenn der Regisseur von der ursprünglichen Vorlage nichts mehr übrig lässt und eine neue Geschichte erfindet, wie z.B Kušej bei der Rusalka. Ich sehe darin auch keine Kunst, weil es ja wesentlich leichter ist, seiner eigenen Phantasie freien Lauf zu lassen, als seine Kreativität in einem vorgegebenen Rahmen zu beweisen.
    Ich habe an anderer Stelle schon gefragt, was wäre, wenn man Zimmermanns Soldaten als unterhaltsame Operette präsentieren würde. Ob das nicht selbst den eingefleischesten RT-Freunden zu viel wäre?


    Man kann schließlich alles ad absurdum führen. Große Kunst wird es aber damit nicht automatisch.

  • Der "Regietheather-Regisseur" ist aus meiner Sicht ein unbedeutender Handwerker, der statt den Auftrag zu erfüllen, das Werk verdirbt, verursacht durch seinen schlechten Geschmack und sich darauf berufend, er sei Künstler und "sein" Werk sei durch die Phrase der "Freiheit" der Kunst geschützt.....
    Auf diese Weise kann man für tantiemenfreie Kunstwerke plötzlich wieder Tantiemen verlangen für eine "Kunst" die (fast) keiner will...
    Wenn in einem Theaterstück oder einer Oper beispielsweis Philipp II von Spanien vorkommt, dann ist deine Kleidung natürlich nicht bis ins Detail vorgeschrieben. Indes wissen wir, welche Tracht im Spanien des 16. Jahrhunderts gang und gäbe war, welche Farben man trug, welche Hüte, welche Details dem König, welche dem Adel vorbehalten waren. Wer hier abändert wird von mir persönlich als Stümper, Dillettant ohne historisches Hintergrundwissen, oder als bewusster Zerstörer historischer Werke gesehen. Alles Leute die man nicht in die Nähe eines Opernhauses lassen sollte - und - auch wenn es geschickt totgeschwiegen wird. Die ersten Ansätze dazu sind ja schon vorhanden......

    Ich respektiere Deine Meinung zum Regietheater, aber alle in diesem Bereich tätigen Regisseure als Stümper und Dillettanten zu bezeichnen, empfinde ich als schwer erträgliche Diffamierung. Ein Stümper ist jemand, der sein Handwerk (oder seine Kunst) schlecht versteht. Nun besteht aber das Handwerk eines Regisseurs heutzutage nicht darin, eine Oper mit historischen Kostümen und entsprechend dem angenommenen Willen des Komponisten auf die Bühne zu bringen, wie Du es gerne hättest. Dieses Ziel vermittelt ihm weder seine Ausbildung, noch entspricht es dem Willen der - zumindest in Europa - Mehrheit der Intendanten, die ihm einen Auftrag erteilen. Wenn ein Intendant einen Bieito oder Kusej für eine Inszenierung engagiert, dann wohl kaum, weil er eine historisierende Aufführung möchte. Folglich tun diese Regisseure genau das, was sie gelernt haben und was ihre Zunft und ihre Auftraggeber von ihnen erwarten. Das kann mal besser, mal schlechter ausfallen, und natürlich gibt es auch Stümper unter ihnen, aber sie sind sicherlich nicht Stümper, weil sie "RT-Regisseure" sind.


    Ich habe an anderer Stelle schon gefragt, was wäre, wenn man Zimmermanns Soldaten als unterhaltsame Operette präsentieren würde. Ob das nicht selbst den eingefleischesten RT-Freunden zu viel wäre?

    Die Frage ist doch, ob das in dem Stück steckt, ob es ein legitimer Interpretationsansatz wäre, oder man das Werk damit auf den Kopf stellte. Ich denke, eine unterhaltsame Operette wird man nur schwer darin erkennen können. Umgekehrt würde ich auch nicht dazu neigen, die "Fledermaus" als ernstes Gesellschaftsdrama zu inszenieren...

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Indes wissen wir, welche Tracht im Spanien des 16. Jahrhunderts gang und gäbe war, welche Farben man trug, welche Hüte, welche Details dem König, welche dem Adel vorbehalten waren. Wer hier abändert wird von mir persönlich als Stümper, Dillettant ohne historisches Hintergrundwissen, oder als bewusster Zerstörer historischer Werke gesehen.

    Genau das ist aber dem Zuschauer von heute nicht mehr präsent. Es gibt die "Stände" nicht mehr und auch nicht mehr die Symbole mit Wiedererkennungswert, welche sie vergegenwärtigen. Das wirkt auf ein Mitglied der egalitären Massengesellschaft von heute einfach nur noch bunt, ohne dass er irgend etwas damit verbindet. Und niemand geht in die Oper, nur um Geschichtsunterricht zu bekommen und zum Verständnis der Kostüme und Bühnenbilder vorher stundenlang schlaue Bücher lesen zu müssen, die ihm das mühsam erklären. Desalb hat Richard Wagner gemeint: Was auf der Bühne nicht unmittelbar präsent und verständlich ist und irgendwelche zusätzlichen Erklärungen bedarf, ist dramaturgisch null und nichtig.


    Ja, vor allem würden sie dann andere, modernere Musik schreiben, die sich mit der modernen Kulisse nicht beißt, sondern zu ihr passt. Das geht nun aber nicht. Und daher sollte man m.E. doch versuchen, eine Szene zu finden, die uns genausowenig "altbacken" vorkommt wie die Musik, aber eben doch stimmig dazu ist, also zu ihr "passt".

    Diese Ausführung finde ich seltsam. Ist die Musik von Händel, Mozart oder Beethoven für uns etwa schon so verstaubt und altbacken, dass sie nur ebenso verstaubte Kulissen verträgt?


    Auf der Bühne geht es doch darum, eine Illusion herzustellen und nicht eine Realität abzubilden. Wie diese Illusion erzeugt wird, mit welchen Mitteln, ist doch auf ganz verschiedene Weise möglich. Wieso soll das eine moderne Kulisse prinzipiell weniger gut oder schlecht können als eine betont historisierende?


    Schöne Grüße
    Holger

  • Desalb hat Richard Wagner gemeint: Was auf der Bühne nicht unmittelbar präsent und verständlich ist und irgendwelche zusätzlichen Erklärungen bedarf, ist dramaturgisch null und nichtig.


    Aber gerade deswegen finde ich die penetrante Überdeutlichkeit in vielen modernen Versionen unnötig.
    Abgesehen davon, dass man bei Wagner nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen sollte. Der hat ja zweifelsohne auch ziemlich viel Mist verzapft.


    Dann fragt es sich, ist die Dramaturgie immer wichtig? Wer versteht die Zauberflöte oder Die Frau ohne Schatten? Muss man sie überhaupt verstehen?
    Die musikalische Qualität einer Oper ist ja schließlich keine Funktion des dramaturgischen Inhalts.


    Was den Wiedererkennungswert der Symbole und dessen Wirkung auf die Mitglieder der egalitären Massengesellschaft betrifft, so denke ich, wir können die spanische Hoftracht des 16. Jahrhunderts aus der Debatte nehmen. Spätestens seit "Der Herr der sieben Meere" gibt es in dieser Hinsicht wenig Identifikationsprobleme mehr.

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