historische Kostüme - notwendig für die Authentizität oder sinnloser Aufputz

  • So wie den Maskenball, unvorstellbar


    da bevorzuge ich die schwedische Variante.


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Gerade bei Schillers Don Karlos ist dich offensichtlich, wie eine historische Situation zum Anlaß genommen wurde, um Schillers politisch-gesellschaftliche Aussageabsicht zu präsentieren. Schiller ging dahingehend frei mit der Geschichte um, indem er sie seiner Absicht unterordnete. Hier würden doch historische Kostüme eine Authentizität vorgaukeln, die ja schlichtweg nicht gegeben ist. Ist nicht eine offensichtliche Verfremdung letztlich doch der ehrlichere Weg?

    Nun, so frei ging Schiller mit der Historie auch wieder nicht um. Er idealisiert die Figur des Don Karlos und bettet sein Alter-Ego Marquis Posa als frei erfundene Figur in die Handlung ein. Er konzidiert sich aus dramaturgischen Gründen auch ein paar historische Fehler, die jedoch im historischen Kontext dennoch stimmig sind. Aber der überwiegende Teil spielt in einer sehr eng definierbaren historische Zeit, eine ganze Reihe historischer Figuren laufen auf der Bühne herum und debattieren teilweise über ganz konkrete historische Vorgänge (Problemkreis "spanische Niederlande"). Was soll denn an einer Verfremdung "ehrlicher" sein, wenn ständig über Dinge gesprochen wird, die in der Inszenierung nicht mehr vorkommen?



    Mein Punkt ist, daß wenn ein historischer Kontext nicht ganz klar adressiert ist, ein vermeintlich historisches Kostüm das Gefühl einer historischen Authentizität schafft, die gar nicht vorhanden ist. Warum muß denn in Verdis Oper ein Kostüm historisch sein, wenn z. B. bereits in Schillers Vorlage Don Karlos mit Geschichte eklektisch umgegangen wird? Das verstehe ich einfach nicht.

    Im Gegenteil, es gibt wenige Opern, wo wie in Don Carlos der historische Kontext so klar adressiert wird. Trotz gewisser Ungenauigkeiten (über die sich Verdi völlig im Klaren war - zumindest soweit sie dem Wissensstand des 19. Jahrhundert entsprachen) kann eine wirklich stimmige und in sich geschlossene Inszenierung nur dann stattfinden, wenn sich Text und Optik in Einklang befinden. Verfremdungen können durchaus einzelne Aspekte stärker und prägnanter herausarbeiten, opfern aber zumeist so viel in anderer Hinsicht, dass überwiegend absurdes Theater stattfindet.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat Theophilus


    Zitat

    Verfremdungen können durchaus einzelne Aspekte stärker und prägnanter herausarbeiten, opfern aber zumeist so viel in anderer Hinsicht, dass überwiegend absurdes Theater stattfindet.


    Nun, das war ja genau mein Punkt. Die Meinungen, was geopfert und gewonnen wird, gehen auseinander. Daß es dabei zu absurden Dingen kommt, bezweifelt (hoffentlich) niemand. Aber diese Absurditäten entstehen v. a. dann, wenn man sich nicht ernsthaft mit den Stücken auseinandersetzt und fragt, was sie abseits aller historischen Verankerung (die ja unterschiedlich fest sein oder gar nicht gegeben sein kann) an grundlegendem menschlichen Verhalten, an menschlicher Gefühlswelt enthalten. Wenn das überzeugend geschieht, verzichte ich gern aus Anderes, wissend, daß es Perfektion in dieser Richtung nie geben kann. Ich kann ebenso verstehen, wenn andere diesen Schritt nicht gehen und wollte nur deutlich machen, warum ich auch mitunter kräftige Eingriffe in Kauf nehme.
    Beim Don Karlos gehen unsere Meinungen auseinander: Ich griff den Don Karlos auf, weil er immer als besonders schönes Beispiel für historische Gebundenheit gilt, und in gewissen Maßen ist er das auch. Mir kam es darauf an zu verdeutlichen, daß Schiller bewußte Eingriffe in den historischen Stoff vornahm, Verdi dann auch und wir diesem Produkt dann Authentizität zugestehen. Zugleich stören wir uns an Eingriffen dritter in diese doppelte Brechung der historischen Überlieferung (die selbst nur Reflex eines geschichtlichen Ereignisses ist). Wie gesagt, ich kann verstehen, daß man sich daran stören mag, ich tue es aber – aus besagten Gründen – nicht.
    Mit herzlichem Gruß
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Vielleicht wäre es nicht schlecht, nicht einfach zu vergessen, daß Schiller einer der Hauptvertreter des deutschen Idealismus ist. Eine dramatische Person verkörpert für ihn eine "Idee" (sie ist eine "ideelle" und keine empirisch-historische Person) - da geht es nun wirklich nicht um historische Treue als Selbstzweck. Sondern umgekehrt hat das Historische nur den Zweck, eine solche Auseinandersetzung von idealen Konstellationen paradigmatisch zu spiegeln.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Dass man das dennoch tut, ist schon klar, dass dagegen Widerstand aufkommt, auch. Der regt sich bei mir allerdings schon, wenn ich im Threadtitel die verächtliche Bezeichnung "Aufputz" für Kostüme lese muss. Immerhin hat der Kostümbildner (nicht der "Aufputzer") in der Regel ein Kunsthochschulstudium absolviert!


    es genügt, nur ein wenig weiterzulesen... am Anfang des Threads findet sich folgender Satz:

    Zitat

    der Titel ist lediglich in bewährter Alfred Manier gedacht, ich distanziere mich gleich davon, solche Kostüme grundsätzlich als sinnlosen Aufputz zu bezeichnen.
    Vor allem ist es aus finanzieller Sicht beinahe egal, welche Art von Kostümen man wählt, sie kosten immer gleich viel.


    abgesehen davon sollte klar sein, dass ich als Eingrenzung die Bezeichnung historisch geschrieben habe, ich habe also nirgends generell Kostüme als Aufputz bezeichnet.


    man kann die kleine Spitze gegen historisches Austattungstheater auch als eine Reaktion verstehen, denn bei mir regt sich ein Widerstand gegen unsägliche Threadtitel wie "Regisseur des Grauens" - eine Wortwahl, die normalerweise nur bei B-Movies des Horrorgenres gefunden werden kann.

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

  • man kann die kleine Spitze gegen historisches Austattungstheater auch als eine Reaktion verstehen, denn bei mir regt sich ein Widerstand gegen unsägliche Threadtitel wie "Regisseur des Grauens" - eine Wortwahl, die normalerweise nur bei B-Movies des Horrorgenres gefunden werden kann.


    bin völlig Deiner Meinung. Da gehören solche Leute auch hin.


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • :thumbsup:
    leider wurden sie dort beim Film nicht genommen.
    aber, auf die Gefahr mich zu wiederholen - es gibt vereinzelte Provokateure - und es gibt sehr intelligente Menschen mit guten Ideen, die nicht jedem Zuschauer gefallen...
    bitte nicht alle in einen Topf


    Schlingensief wäre ein Beispiel für einen sehr intelligenten Provokateur...

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

  • Schlingensief wäre ein Beispiel für einen sehr intelligenten Provokateur


    Aber er war halt ein Provokateur!! Damit ist nichts über seine Intelligenz gesagt, die ich durchaus schätzte.


    Aber für noch intelligenter halte ich Endrik Wottrich, der es ablehnte in Schlingensiefs Parsifal zu singen. Er wollte nicht provozieren. Und das macht ihn mir sympathischer als den Provokateur!


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • hier eine meiner Lieblings-Sängerinen in einer meiner Lieblings-Opern:



    Verzicht auf historische Kostüme!


    Welche Oper?

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Das ist leicht. Das ist Cecilia Bartoli in "Poro, Re d´India" von Salieri! Und zwar die Szene, in der König Poro (Poros) seiner Sklavin erklärt, dass er sie heiraten werde, sie aber nicht will, weil sie schon Admetos liebt; der will sie aber nicht heiraten, weil er Climene liebt, die ihn aber nicht heiraten will, weil sie Poros liebt, der sie aber nicht liebt....

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

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  • Die aber wichtigste Frage : Wer fährt den Wagen und wer war für das fürchterliche Kostüm für Frau Bartoli verantwortlich .

  • Meine Antwort auf die Frage: historische Kostüme sind nicht nur sinnloser Aufputz, sie sind sogar schädlich, weil sie vom Wesentlichen ablenken. Ich gehe grundsätzlich nicht in Opern-Aufführungen, die mit historischen Kostümen und Kulissen in Szene gesetzt sind.


    hier eine meiner Lieblings-Sängerinen in einer meiner Lieblings-Opern:



    Verzicht auf historische Kostüme!


    Welche Oper?

    Was ich auch in den diversen Regietheater-Empörungs-Threads nicht verstanden habe: Was soll ein einzelnes Szenenphoto beweisen? Sagt es irgendetwas über die Qualität dieser Inszenierung aus, dass man auf einem aus dem Kontext gerissenen Photo nicht erkennt, um welche Oper und welche Figuren es sich handelt? Doch wohl kaum.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Es ist halt eine Frage, was man als "wesentlich" und was als "unwesentlich" betrachtet.
    Wenn ich eine Geschichte erzählt bekomme, so möchte ich sie so hören (bzw in unserem Falle aus "sehen") wie der Autor sie erdacht hat. Daß zwischen der Nacherzählung und dem Original zwei. oder dreihundert Jahre liegen macht die Sache noch interessanter.
    Und natürlich möchte ich - und nicht nur ich - sondern die Mehrheit des Publikums - ein Bühnenbild und Kostüme geliefert bekommen, welches den Anweisungen im Libretto entspricht - dazu wurde es ja geschrieben. Die "Deutungen" zeitgenössischer "Regisseure" und Weltverbesserer interessieren mich indes nicht. Wenn diese Leute meinen, sie hätten eine Mission - so sollen sie sie meinetwegen unter ihrem eigenen Namen veröffentlichen - Aber sie wissen genau so gut wie ich, daß dann die Opernhäuser leer blieben. Also verstecken sie sich hinter den guten Namen von Berühmtheiten.
    Langer Rede kurzer Sinn: Historische Kostüme und Dekorationen sind eine unabdingbare Voraussetzung dafür, dass ich mir eine Inszenierung überhaupt ansehe. Mit anderem verschwende ich nicht meine Zeit. Darüber kann man (mir mir) auch nicht verhandeln oder diskutieren - Es ist für mich ein ehernes Gesetz, ein Dogma, Glaubensgrundsatz.....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Und natürlich möchte ich - und nicht nur ich - sondern die Mehrheit des Publikums - ein Bühnenbild und Kostüme geliefert bekommen, welches den Anweisungen im Libretto entspricht - dazu wurde es ja geschrieben.


    Deine Vorliebe ist Dein gutes Recht. Die Behauptung, die Mehrheit des Publikums würde sie teilen, halte ich hingegen für unbegründet.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Zitat von Bertarido

    Meine Antwort auf die Frage: historische Kostüme sind nicht nur sinnloser Aufputz, sie sind sogar schädlich, weil sie vom Wesentlichen ablenken. Ich gehe grundsätzlich nicht in Opern-Aufführungen, die mit historischen Kostümen und Kulissen in Szene gesetzt sind.


    Das ist natürlich ein gelungener rhetorischer Kniff, um die Diskussion zum Thema aufzugreifen und in Schwung zu bringen (funktioniert ja vordergründig auch). Allein ernst nehmen kann ich eine solche Äußerung nicht: eine gelungene Inszenierung vom Vorhandensein/ Nicht-Vorhandensein historischer Kostüme abhängig zu machen, ist etwas zu eindimensional (und zwar in beide Richtungen). Daher kann man ihr auch nur schwerlich inhaltlich begegnen. Warum sollten historische Kostüme eigentlich mehr vom Inhalt ablenken als mitunter befremdliche Bühnenbilder (die allerdings auch ihre Berechtigung haben)?


    Beste Grüße
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Die Handvoll Opern und auch zwei Ballettaufführungen bei denen ich bisher die Ehre hatte zu sehen zu dürfen waren bisher alle mit historisch korrekten Bühnenbildern, Kostümen und Dekorationen ausgeschmückt. Kurz gesagt finde ich historisch getreue Aufführungen einfach schöner und es reißt mich gleich viel mehr mit, dass ist aber eine Gefühlssache die ich nicht belegen kann ;) In einem Beitrag weiter oben über dem meinen sieht man auf einem Bild das ein Auto auf der Bühne steht, was für mich irgendwie einfach visuell nicht schön ist weil ich ja die klassischen bzw. historischen Inszenierungen bevorzuge... Wenn ich mir vorstelle das Tamino in der Zauberflöte in diesem klapprigen Mercedes auf die Bühne kommen würde :thumbdown: Trotzdem habe ich nichts dagegen wenn jemand mal ein bisschen seiner eigenen Kunst einfließen lässt solange das im Rahmen bleibt :) Und was im Rahmen war bzw. nicht kann man im Vorhinein noch nicht sagen weswegen ich einfach mal mit einer positiven Grundeinstellung in jede Aufführung gehe und versuche das Wesen der Selben, welches mir die auftretenden Künstler vermitteln wollen, zu verstehen!

    Die gute Zeit fällt nicht vom Himmel, sondern wir schaffen sie selbst; sie liegt in unserem Herzen eingeschlossen

    .

  • Das ist natürlich ein gelungener rhetorischer Kniff, um die Diskussion zum Thema aufzugreifen und in Schwung zu bringen (funktioniert ja vordergründig auch). Allein ernst nehmen kann ich eine solche Äußerung nicht: eine gelungene Inszenierung vom Vorhandensein/ Nicht-Vorhandensein historischer Kostüme abhängig zu machen, ist etwas zu eindimensional (und zwar in beide Richtungen). Daher kann man ihr auch nur schwerlich inhaltlich begegnen. Warum sollten historische Kostüme eigentlich mehr vom Inhalt ablenken als mitunter befremdliche Bühnenbilder (die allerdings auch ihre Berechtigung haben)?


    Beste Grüße
    JLang


    Ich gestehe, dass ich bei den vielen polemischen Anti-Regietheater-Beiträgen, die ich in diesem Forum nach und nach entdecke, allmählich auch zu überzogenen und vielleicht auch mal bewusst provozierenden Aussagen neige - mea culpa. Ja, ich fühle mich herausgefordert, wenn das Vorhandensein historischer Kostüme als Voraussetzung für eine gelungene Inszenierung betrachtet wird. Es widerspricht zutiefst meinem Verständnis von Oper und von Theater im allgemeinen. Wenn ich nun umgekehrt solche Kostüme als befremdlich und in den meisten Fällen als störend empfinde, liegt das daran, dass ich in der Oper keine historischen Sagen oder Märchen sehen möchte, sondern eine Geschichte, die mich als heutigen Menschen betrifft. Im besten Falle ist ein Theaterstück von zeitloser Gültigkeit, eben das meinte ich damit, dass historische Kostüme vom Wesentlichen ablenken. Ich habe es an anderer Stelle schon einmal geschrieben: In "Lohengrin" z.B. geht es nicht um Sagenfiguren einer mythischen Ritterwelt, sondern um zeitlose Themen wie Treue, Vertrauen, Wahrheit, Sehnsüchte, Träume, gescheiterten Illusionen... Und wenn Figuren in historischen Kostümen über die Bühne wandeln, dann lenkt mich das eher von diesem eigentlichen Kern der Oper ab als dass es etwas zu dessen Erhellung beiträgt. Womit ich nicht bestreiten will, dass auch moderne Kulissen oder "Klamotten" ablenken können - ich bin weit davon entfernt, jede moderne Deutung einer Oper gut zu finden.


    Es gibt sicherlich Unterschiede - in einer Oper wie "Cenerentola" stören mich historische Kostüme weniger als bei Wagner, obwohl ich es selbst bei einer wenig tiefsinnigen Märchen-Oper viel interessanter finde, mit neuen Lesarten konfrontiert zu werden.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Zitat von Bertarido

    Ich gestehe, dass ich bei den vielen polemischen Anti-Regietheater-Beiträgen, die ich in diesem Forum nach und nach entdecke, allmählich auch zu überzogenen und vielleicht auch mal bewusst provozierenden Aussagen neige -

    Je nun, die kann man ja auch einfach "überlesen", ich würde unterschreiben, daß in den Opern zeitlose Ideen von Eigenschaften, Problemen etc. einen essentiellen Bestandteil bilden (ich hatte das in einem anderen thread einmal bezüglich auf Don Carlo zu formulieren versucht) und daher sehe ich mir jede Inszenierung an, ob nun historisch oder nicht. Ob es gelungen ist, auch über die Kostüme, das herauszuarbeiten, was mir an diesem Stück wichtig ist, das kann ich dann immer noch am Schluß entscheiden. Ich meine, man bringt sich um möglicherweise schöne/ erkenntnisreiche Erlebnisse (natürlich vielleicht auch solche, die man lieber vermieden hätte), wenn man von Vornherein "Ausschlußkriterien" festlegt.



    Zitat

    Und wenn Figuren in historischen Kostümen über die Bühne wandeln, dann lenkt mich das eher von diesem eigentlichen Kern der Oper ab als dass es etwas zu dessen Erhellung beiträgt. Womit ich nicht bestreiten will, dass auch moderne Kulissen oder "Klamotten" ablenken können - ich bin weit davon entfernt, jede moderne Deutung einer Oper gut zu finden.

    Das sehe ich ganz anders, ein gutes Kostüm (und ein historisches erachte ich, so es aus der Zeit, in der die Oper sich ereignet, zunächst per se als gut) lenkt nicht ab, es evoziert ein bestimmtes Ambiente, das mit der Oper zusammengedacht wurde, eine kohärente Einheit bildete. Ich verstehe nicht, wie diese Kohärenz als störend empfunden werden kann: denn sie läuft der Idee in der Oper nicht zuwider. Die verschiedenen Affekte (Eifersucht, Haß und das weitere, übliche Spektrum) werden an historischen Personen exemplifiziert. Dagegen spricht doch nichts, oder? Warum soll man die historischen Personen nicht als solche kennzeichnen dürfen? Verlegt man das Ambiente, über andere Kostüme, wird diese Kohärenz aufgelöst. Das ist ebenfalls ein ganz legitimer Ansatz. In diesem Sinne sind historische Kostüme ein Mittel der Erzeugung von Kohärenz im Gesamteindruck, für die Authentizität eines Geschehens aber nicht zwingend notwendig. Sie als sinnlosen Aufputz zu bezeichnen scheue ich mich jedoch sehr.


    Beste Grüße
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

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  • Eigentlich habe ich mir ja vorgenommen gehabt, mich an diesen Diskussionen nicht zu beteiligen, aber rein von der Logik verstehe ich eines nicht:


    Historische Kostüme sollen vom Wesentlich ablenken. ok.
    Warum tun das zeitgenössische nicht? Es wird ja immerhin zugegeben, daß das moderne "Klamotten" auch könnten. Warum tun sie das weniger?


    Was ist nun die Lösung? Gar keine Kostüme? War alles schon da und lenkt auch nur ab...


    Also alles in gleicher grauer Einheitskleidung? Oder gleich konzertant?

    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
    (Spruch über der Eingangstür des Rathauses zu Wernigerode)

  • Und was im Rahmen war bzw. nicht kann man im Vorhinein noch nicht sagen weswegen ich einfach mal mit einer positiven Grundeinstellung in jede Aufführung gehe und versuche das Wesen der Selben, welches mir die auftretenden Künstler vermitteln wollen, zu verstehen!


    Einer der schönsten Sätze die ich hier gelesen habe. Nichts hinzuzufügen.

    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
    (Spruch über der Eingangstür des Rathauses zu Wernigerode)

  • Ich denke, dass durch das Verlegen einer Geschichte in eine historische Epoche eine unnötige Distanz geschaffen wird - jedenfalls geht es mir so. Ich kann z.B. einer Liebesgeschichte wie der zwischen Tristan und Isolde wesentlich besser folgen, wenn die Protagonisten abstrakt-zeitlose Kostüme oder moderne Kleidung tragen.


    Hinzu kommt, dass Kostüme ja auch für bestimmte Deutungen von Opern genutzt werden können, für das Herausarbeiten bestimmter Aspekte. Ich denke an die Bayreuther Ring-Inszenierung von Chereau, der die Handlung in die Entstehungszeit des Rings verlegt und damit die anti-kapitalistischen Aspekte der Oper betont hat. Da haben die Figuren auch eine Art von historischen Kostümen getragen, aber nicht Rüstungen und Flügel-Helme... Wenn man so dogmatisch wie Alfred nichts anderes als die "korrekten" (was immer das sein mag) historischen Kostüme und Kulissen zulassen will, verschenkt man unendlich viel an Möglichkeiten.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Ich denke, dass durch das Verlegen einer Geschichte in eine historische Epoche eine unnötige Distanz geschaffen wird


    Das scheint mir ein bemerkenswerter Satz, auch wenn er uns vom eigentlichen Thema wegführen könnte.


    Wer verlegt wann was? Das ist die erste Frage die sich mir stellt.


    Der Komponist? Er nimmt einen von Dir als zeitlos empfundenen Stoff, und legt ihn in eine historische Epoche - sagen wir - ins Mittelalter. Dann sollten wir davon ausgehen, daß er sich etwas gedacht hat dabei. Schafft er damit unnötige Distanz? Distanz vielleicht, aber nicht unnötige, sondern von ihm gewollte. Passen dann die Kostüme zu dieser Zeit, so ist das für mich folgerichtig.


    Der Regisseur? Er erkennt die eigentliche Zeitlosigkeit des Stoffes und sagt: Dort im Mittelalter kann das nicht bleiben. Das muß in unsere Gegenwart. Mit welchem Recht, wenn er die Zeitlosigkeit des Stoffes anerkennt?
    Was wird besser durch die zeitliche Verlegung, jetzt wieder natürlich mit den passenden Kostümen. Ist es leichter für das Publikum, vielleicht weil es die Gegenwart nicht im historischen Kontext sondern einfach als "jetzt" und damit quasi als "zeitlos" betrachtet?


    Ich weiß es wirklich nicht. Aber mein Gefühl sagt mir, daß ich eine Oper immer in der historischen Epoche sehen möchte, die dem Komponisten vorgeschwebt hat. Mit Zeitverschiebungen aus diesem Kontext heraus habe nun wiederum ich meine Schwierigkeiten.

    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
    (Spruch über der Eingangstür des Rathauses zu Wernigerode)

  • Hinzu kommt, dass Kostüme ja auch für bestimmte Deutungen von Opern genutzt werden können, für das Herausarbeiten bestimmter Aspekte.


    Dies könnte möglicherweise ein eigenes interessantes Thema werden.

    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
    (Spruch über der Eingangstür des Rathauses zu Wernigerode)

  • Zwei Anmerkungen: das Versetzen des historischen Stoffes in die Gegenwart gelingt in der Regel nicht, weil Libretto und Musik damit nicht kompatibel sind; der Sinn der modernen Kostüme und der Idee der Inszenierung erschließt sich meist nur, wenn man die Auslassungen des Regisseurs und des Dramaturgen im Programmheft gelesen hat.
    Warum ist das Theater und die Oper die einzige Kunstform, in der diese Modernisierung versucht wird?
    Ich schreibe doch auch nicht Goethes und Fontanes Romane um; ich schreibe auch nicht die Bibel um. Hier hilft man sich, indem man Erläuterungen beigibt. Auch Marcel Reich-Ranicki hat in seinen Gedichtsammlungen die Gedichte nicht modernisiert. Ein legitimer Versuch, die alten Gedichte zu kommentieren und zu parodieren, ist Enzensbergers "Das Wasserzeichen der Poesie". Aber dort sind alle Originale mit abgedruckt.
    Ein intelligenter Opernbesucher erkennt die Aktualität eines Stückes, auch wenn sie in alter Form daher kommt.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Zwei Anmerkungen: das Versetzen des historischen Stoffes in die Gegenwart gelingt in der Regel nicht, weil Libretto und Musik damit nicht kompatibel sind; der Sinn der modernen Kostüme und der Idee der Inszenierung erschließt sich meist nur, wenn man die Auslassungen des Regisseurs und des Dramaturgen im Programmheft gelesen hat.
    Warum ist das Theater und die Oper die einzige Kunstform, in der diese Modernisierung versucht wird?


    Das stimmt ja nicht. Wie schon zigmal erwähnt, scherten sich bildliche Darstellungen ebenfalls lange nicht um historische Korrektheit. Kriegsknechte auf einer Kreuzigungsszene, die 1500 gemalt wurde, sehen aus wie seinerzeitige Soldaten, nicht wie Römer des 1. Jhds., Salomon oder Saul wie fantastisch-orientalische Sultane, nicht wie Herrscher der späten Bronzezeit.
    Cäsar trug in der Barockoper keine Toga und sein Kostüm dürfte sich kaum von dem eines Alexander (4. Jhd. v Chr.), Orlando (9. Jhd. n. Chr.) oder was sonst noch für Helden zwischen mythischer Vorzeit, klassischer Antike und fantastischem Mittelalter auftraten, unterschieden haben. Stoffe wurden seit je "modernisiert". Mozarts Don Giovanni handelt nicht im frühen 17., sondern im späten 18. Jhd. Spontan verlegen wir den Freischütz in den Biedermeier, ungeachtet der Beteuerung, er handele kurz nach dem dreißigjährigen Kriege usw. Verdis Maskenball hatten wir sicher auch schon mal durch. Wenn in all diesen Fällen eine Versetzung des Stoffes in eine andere Zeit oder ein weitestgehendes Desinteresse gegenüber tatsächlichen historischen Gegebenheiten anscheinend gelungen ist, denn wir akzeptieren diese Stücke als große Kunstwerke, warum sollte das bei "Modernisierungen" unserer Zeit anders sein?
    Nach Eurer Logik ist Dürer Schrott, weil Kriegsknechte Hellebarden haben, die es bei den Römern nicht gab.


    Es ist die alte Leier. Entweder man akzeptiert, dass eine Inszenierung ein neues Kunstwerk schafft (und in erster Linie an sich selbst gemessen werden muss), oder meint, dass sie ein Kochrezept abbuchstabieren soll (und in erster Linie anhand Abweichungen davon beurteilt wird). Sofern man sich über diese Frage uneins ist, ist der Rest müßige Debatte.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Und natürlich möchte ich - und nicht nur ich - sondern die Mehrheit des Publikums - ein Bühnenbild und Kostüme geliefert bekommen, welches den Anweisungen im Libretto entspricht - dazu wurde es ja geschrieben.

    Ich glaube kaum, dass das Libretto präzise Anweisungen gibt, wie eine Figur zu kostümieren ist. Und bei Wagner z.B. sind die Figuren mythisch. Das, was man sich im 19. Jhd. unter einem germanischen Helden vorgestellt hat (einige Fotos existieren noch) wirkt auf uns heute doch eher komisch, nach Klamottenkiste vom Karneval. Das sind eben die in vielen Fällen kitschig-romantischen Vorstellungen des 19. Jhd. von einer fiktiven Vergangenheit, die sowieso niemand kennt.



    Warum ist das Theater und die Oper die einzige Kunstform, in der diese Modernisierung versucht wird?
    Ich schreibe doch auch nicht Goethes und Fontanes Romane um; ich schreibe auch nicht die Bibel um.

    Aber Goethe als Theaterdirektor hat keinen Moment damit gezögert, einen Klassiker wie Shakespeare einfach umzuschreiben, weil er den Stoff nur so für aufführbar und seinen Zeitgenossen für zumutbar hielt. Solche "Modernisierungen" sind nun mal Theatergeschichte und es nützt nichts, sich dieser Tatsache einfach zu verschließen. Es gibt natürlich historistische Inszenierungen - die gehören aber in eine bestimmte Epoche. Die Kostüme müssen zur Ästhetik der jeweiligen Inszenierung passen. Da muß Stimmigkeit herrschen. Ich kann doch auch nicht einfach eine schlichte romanische oder gotische Architektur mit barocken Putten "verschönern" wollen. (Wo man das historisch gemacht hat, empfindet man es als Stilbruch.)


    Schöne Grüße
    Holger

  • Warum ist das Theater und die Oper die einzige Kunstform, in der diese Modernisierung versucht wird?
    Ich schreibe doch auch nicht Goethes und Fontanes Romane um; ich schreibe auch nicht die Bibel um.

    Da juckts mir nun doch in den Fingern. Lieber Dr. Pingel, leider gibt es sie doch, die Umschriften der Bibel. Etwa die "Bibel in gerechter Sprache" ein derbester Eingriff wie ich finde, und die "Bibel in Jugendsprache (Volxxbibel)" ist ebenfalls ein Ungetüm, das sich von qualifizierten Übersetzungen wie der "Jerusalemer Bibel" um Meilen entfernt.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Ja, lieber Thomas, da gebe ich dir Recht! Das ist genauso schaurig wie im Gottesdienst (katholisch wie protestantisch) der Ersatz der alten Choräle im Augenblick durch die die Kirchentagslieder, die sich eng an moderne Kinderlieder à la Zuckowski an lehnen. Aber gerade diese Eingriffe zeigen ja, wie verfehlt das ist. Ich bin immer der Meinung, dass besonders in der Bibel das Fremde fremd bleiben muss. Gegen Erläuterungen, damit man historische Fakten versteht, habe ich nichts.
    Ein Beispiel: die 2. Schöpfungsgeschichte in Gn 2 lehnt sich eng an den babylonischen Mythos an. Dieses babylonische Weltbild sollte man kennen, wie z.B. die Urmutter, die Göttin Tiamat, im AT zu einem bloßen Urmeer degradiert wird oder die Götter der Sonne, des Mondes und der Gestirne zu Lampen herabgestuft werden!
    Fazit: Anbiedern hat noch nie was gebracht.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

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