• Ich lese im Moment im Zug das Buch von Walter Killy - bin aber noch nicht zuende damit. Seine Analyse ist schon sehr gut und wirklich lehrreich! Man erkennt, wo das Problem liegt - auch Deine Schwierigkeiten mit so einem Wagner-Text werden mir da klarer! ^^ Insofern ist das Beispiel Wagner schon aufschlussreich. Killy betrachtet den Kitsch von diesen schmückenden Adjektiven. Er sagt, Kitsch entsteht, wenn für die Verbindung keine Anschauungsbasis existiert, sondern es im Grunde ein dürftiges Bild gibt, wo dann lediglich die Reizqualität erhöht wird (etwas stark vereinfacht abgekürzt formuliert). Es ist mir damit auch klarer geworden, warum und wann Romantik zum Kitsch wird, wenn nämlich diese Anschauungsbasis weggefallen ist und das "Romantische" nur noch imitiert wird.



    Genau, so eine Art Stimulus ohne eigentliche Substanz. Den Killy werde ich mir wohl auch holen müssen :)


    Fürchterlich! Die Bilder, die Du da gebracht hast, sind sehr aufschlussreich und sie reizen mich, sie zu analysieren. Kitsch und Avantgarde ist ein spannendes Thema! :hello:


    Ja, die Bilder sind eigenartig. Wenn man nun nicht wüsste, dass Nerdrum ein Maler des 21. Jahrhunderts ist, würde man die Bilder anders empfinden? Ich bin mir absolut nicht klar darüber.

  • Interessant - den kannte ich noch nicht. Geiles Konzept, den "Hochkitsch" als Avantgarde-Gegenentwurf aufzuwerten


    Ich habe hier noch eine Webseite von "Kitsch"-Malern gefunden mit einigen interessanten Texten und einer Umfrage unter Malern, wo das Kitschthma über die Philosphie Kants und Aristoteles' thematisiert wird. Das Bild ist der Link


    The-Philosopher-by-Marjan-Bakhtiarikish-%E2%80%94-Oil-on-panel-61-x-78-cm-640x280.jpg

  • So wie ich Nerdrum sehr mag....mag ich auch die von.....


    Alexandre Barbera-Ivanoff

    Zitat
    « Die Kunst muss die unsichtbaren Bindungen offenbaren, die der Realität einen tieferen Sinn geben. »

    10515412_hommage-a-odd-nerdrum.jpg


    artmajeur.com&client=VFE&size=32&type=FAVICON&fallback_opts=TYPE,SIZE,URL&nfrp=2

    Artmajeur

    Hommage À Odd Nerdrum


    Besonders liebe ich La TOISON D'OR


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Walther Killys theoretische Einleitung habe ich inzwischen gelesen wie auch Karlheinz Deschner (nicht vollständig natürlich), der die einleuchtende These vertritt, dass der Kitsch ein "Lebensgefühl" ist, woraus dann die kitschige Kunst entspringt. Broch habe ich begonnen zu lesen und werde noch berichten. Seine Ausführungen sind schon sehr anspruchsvoll - mit philosophisch-theoretischem Hintergrund. Die von Axel und Fiesco eingestellten Bilder entsprechen sowohl Broch, der sagt, dass im Kitsch der Effekt zum Selbstzweck wird als auch Deschner, der den "ernsten" Charakter des Kitsch betont, der nie humorvoll, ironisch oder parodistisch ist - also zu dem, was er darstellt, keine Distanz nimmt.


    Zum Vergleich die "Olympia" von Edouard Manet, eine Titian-Parodie. Manet entlarvt den voyeuristischen Blick des Betrachters, der in der reinen Schönheit eben doch den erotischen Reiz sucht und sich dies natürlich nicht eingesteht. Die dargestellte Schönheit ist schlicht eine Bordsteinschwalbe vom Montmartre. Wenn man so will parodiert das Bild auf unkitschige Weise (!) das Kitschbedürfnis seines Betrachters durch die dargestellte Zweideutigkeit. :D


    Edouard+Manet+-+Olympia+1863.jpg


    Schöne Grüße

    Holger

  • Ich habe keine Ahnung, ob es Liebig Fleischextrakt heute noch in Deutschland gibt, in Frankreich und Italien kann man ihn noch kaufen. Jetzt fiel mir ein kleines Bild in die Hand, wie es sie früher mal als Zugabe zu jeder Packung gab. Da wurden doch wahrhaftig Hunderte von Bildchen zu Dutzenden Opern unters Volk gebracht und das waren beliebte Sammelobjekte. Nicht nur populäre Werke wurden verbreitet, sondern auch heutige Raritäten wie Asrael von Alberto Franchetti, L'Africaine von Meyerbeer oder Aubers Stumme von Portici. Ich habe auf die Schnelle fünf Bildchen zu Freischütz gefunden, zum Teil aus der Produktion für Frankreich. Das Bildformat war 7,7 x 11,7 cm, ein Album zum Sammeln konnte man kaufen


    a1

    a2.jpg

    a3.jpg

    a4.jpg

    a5.jpg

    Alles Gute und einen Gruß von Orfeo

  • Das ist nun wirklich ungewöhnlich. In meiner Jugendzeit kann ich mich nur noch an Sammelbildchen von Fussballstars erinnern . Danke für diesen schönen und interessanten Hinweis!

  • Der Kölner Schokoladenhersteller Stollwerck, hier vor allem verantwortlich Ludwig Stollwerck, hat das System mit den Sammelbildern perfektioniert, indem er eine Verbindung von Warenautomatie und den Sammelbildern herstellte. Diese Bilder waren den kleinen Automatenschachteln beigegeben und sollten Appetit auf die neuartige Schokolade machen (war zuvor weitestgehend Getränk). Das funktionierte um so besser, als die Bilder als ein Teil von Serien gekennzeichnet wurden. Später kamen themengebundene Sammelalben hinzu. "Aus dem Tierreich" war das erfolgreichste, das sogar in Schulen Einzug hielt, da die Abbildungen bei Stollwerck alle farbig waren, Schulbücher hingegen s/w.. Für die Bilder wurden u.a. Worpswede-Künstler beauftragt, das genannte Album stand unter der wissenschaftlichen Aufsicht von Biologen, für eine Bilderserie kaufte Ludwig Stolwerck sogar die Original von Menzels "Preußischen Uniformen"


    Ob man das als Kitsch bezeichnen kann? Die Anfänge bei Stollwerck waren ähnlich wie bei Liebig Chromolitographien; die Drucktechnik verbesserte sich bei Stollwerck aber sehr schnell, zudem wurde der Schokoladenumsatz erheblich gesteigert. Fast könnte man sagen, S´die Sammelbilder Stollwercks haben einen wesentlichen Beitrag zur Verbreitung der Ess-Schokolade geleistet. Mir sind jetzt keine Opernbilder bei Stollwerck bekannt, aber hier diese mit der Darstellung von Musikinstrumenten.


    s-l1600.png


    Ich kann ad hoc aber nicht sagen, welcher Künstler für diese Serie verantwortlich was. elli Hirsch war'snicht, die hätte irgendwo mit EH signiert.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Zur Information

    Das Liebig Fleischextrakt wird nicht mehr hergestellt.

    Das ist sehr bedauerlich, ich habe aber noch zwei Gläschen in Reserve, die sind nämlich sehr sehr lange haltbar.

    Zum Trost noch ein paar Bilder


    Liebigbilder-1909-Serie-760-Die-Zauberfl-te-1-1-Auftritt-Tamino-Zu-Hilfe-zu-Hilfe-sonst-bin-ich-verl.jpg

    1-Liebig-Rosenkavalier.jpg

    1-Liebig-Gluck.jpg

    146419.jpg

    Alles Gute und einen Gruß von Orfeo

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • In meiner Jugendzeit kann ich mich nur noch an Sammelbildchen von Fussballstars erinnern .

    Diese Panini-Bilder wurden an Kiosken tütchenweise gekauft. Die von Stollwerck waren Packungsbeilagen, die von Liebig auch. Ohne die Schokolade waren die nicht zu haben. Allein die Blechdosen, die aus den Automaten gezogen wurden, waren eine Schau. Ganz flach mit einem Schiebedeckel, darin auf dem Boden das Bild und dann die 10 g Schokolade. 10 Pfennig kostete das Vergnügen, und daswar nicht gerade wenig. Die Blechdosen wurden in Dresden bei der Blechemballagenfabrik Anton Reiche hergetsellt.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • In meiner Jugend brachten wir unsere Mutter zur Verzweiflung, weil wir die Sanella-Bilder sammelten, die über Geographie und Sitten der Völker gingen. Diese Bilder gab es nur mit dem Kauf von Sanella-Margarine.

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • dvd-rom-liebig.jpgDiese bunten Liebig-Bilder, den auch ich sehr zugetan bin und die ich nicht für Kitsch halte, gibt es seit 1875. Sie dienen der Werbung für den berühmten Fleischextrakt, einer Erfindung des deutschen Chemikers Justus von Liebig (1803-1873). Er hatte das Verfahren Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelt. Dabei wird kochendes Rindfleisch so weit eingedampft, dass nur noch das Konzentrat übrig bleibt. Im umgekehrten Verfahren kann es wieder in Brühe zurückverwandelt werden und dient auch dazu, Speisen zu würzen und zu verfeinern.


    Von 1864 an wurde der Extrakt – nicht zu verwechseln mit gekörnter Brühe – industriell hergestellt und verbreitete sich von Antwerpen aus in viele Länder. Noch heute wird er nach dem ursprünglichen Verfahren produziert, wie eh und je nicht eben preiswert. Der anhaltende Erfolg des beliebten Produkts beruht nicht zuletzt auf einer beispiellosen Werbekampagne, die in ihren Grundzügen die Werbeindustrie bis in unsere Tage vorwegnimmt. Ihr Kern waren die Bilderserien, die es beim Einkauf kostenlos dazu gab. Für Liebig selbst fiel fast nichts ab. Er verfügte lediglich über hundert Aktien und das Recht, sein Produkt auf seine Qualität zu überprüfen.


    Insgesamt sollen 1870 Serien mit etwa 11500 Bildern in 12 Sprachen erschienen sein, wobei diese Angaben schwanken. Ihren Höhepunkt erreichten die Serien vor dem Ersten Weltkrieg, versanken danach in völliger Bedeutungslosigkeit und erholten sich von 1925 an, ohne aber den ursprünglichen Verbreitungsgrad wieder zu erlangen. Richard Wagner, selber ein Gourmet, war ein gefundenes Fressen für die Fleischextrakt-Werbung. In seinen Opern spielen Getränke und Speisen eine nicht unwichtige Rolle. Die links abgebildete CDRom, die immer nkich antiquarisch zu finden ist, hat die Bilkder als Datenbank zusammengefasst.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • In meiner Jugend brachten wir unsere Mutter zur Verzweiflung, weil wir die Sanella-Bilder sammelten, die über Geographie und Sitten der Völker gingen. Diese Bilder gab es nur mit dem Kauf von Sanella-Margarine.

    Das Afrika-Album konnte ich bis in die Gegenwart retten. Einige der jeweils 100 Bilder waren Mangelware. Da ging auch mit Tausch nichts.

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Mein Vater war starker Raucher. Ich habe davon profitiert und die Sammelbildchen schön eingeklebt. Ich erinnere mich an Karl May - Bilderserien. Und ich bin Nichtraucher geblieben, lebenslang. Danke, Papa.

    Bis jetzt habe ich (allerdings fehlen einige Bilder) die Zeppelin-Albums 1 + 2. Interessant darin zu blättern und zu lesen. Allerdings sind diese Alben nicht unbedingt Kitsch, im Gegensatz zum Karl May. Die waren wohl auch ohne Text.


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Diese Panini-Bilder wurden an Kiosken tütchenweise gekauft. Die von Stollwerck waren Packungsbeilagen, die von Liebig auch.

    Panini - ja, aber es gab auch die Sprengel-Bilder, also die Fußball-WM-Bilder, die Sprengel-Schokoladen begelegt waren. Ich kann nur mutmaßen, wie viel Schokolade angeschafft werden musste, bis wir das entsprechende Sammel-Album (eher: Buch) mit allen Bildern bestückt hatten.

    81Y-wQHmS6L._SL1500_.jpg


    Das Buch habe ich noch. Es fällt nur langsam auseinander (aber so oft blättere ich auch nicht mehr darin).


    Von meinem Vater habe ich noch ein Sammelalbum mit gezeichneten Tier-Bildern, die auch Beilage zu irgendetwas waren. Aber da müsste ich zuhause noch mal nachsehen. Aber ehrlich gesagt waren diese ebensowenig kitschig wie meine Fußballerbilder.

    "Jein".

    Fettes Brot