Zeitgenössische Musik im Schmollwinkel (?)

  • Lieber Edwin,
    Du triffst den Nagel auf den Kopf !! :jubel: :jubel:
    Daß Henze nicht als »dritter Weg« wahrgenommen wird, könnte ja auch schlicht daran liegen, daß der dritte Weg eben keine Tradition und keine Lobby hat - aus Gründen, die hier ja schon ausgiebig erörtert worden sind...
    Herzlichst,
    Medard

  • Hallo Wulf,
    ich kenne von Piston die Symphonien 4, 5 und 6, und wenn ich die mit Hindemiths Symphonie in Es-Dur (1940) vergleiche, fallen mir gewisse Parallelen in der Bläserbehandlung, speziell die Akkordpacken der Blechbläser, auf. Auch rhythmisch scheint es mir größere Parallen zu geben. Oder habe ich Piston da in falscher Erinnerung?
    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    Wieso Schönberg ab 1909 und Webern ab 1909 immer noch Schreckgespenster sind, weiß ich nicht wirklich.


    Nun ja, für den Musikfreund, dessen musikalischer Kosmos sich zwischen - sagen wir mal - Mozarts großer g-moll Sinfonie einerseits und Tschaikowskys Pathetique andererseits aufspannt, können Weberns op. 5 und op. 6 schon recht befremdlich wirken, von op. 10 und späterem mal ganz zu schweigen - da machen wir uns mal besser nix vor. Ist schlicht eine Frage der Hörgewohnheiten - und der Bereitschaft, seine Gewohnheiten, wenn nicht zu ändern, so doch zu erweitern... ;)


    Zitat

    Aber die Modernskys sind hier doch schon lange aus dem Schmollwinkel herausgekommen, jedenfalls noch vor meiner Zeit ...


    Das ist auch gut so! Ich weiß ohnehin nicht, aus welchem Grunde zeitgenössische Musik im Schmollwinkel sitzten sollte - verstecken muß sie sich eigentlich nicht!!


    Herzlichst,
    Medard

  • Zitat

    Original von Klawirr


    Nun ja, für den Musikfreund, dessen musikalischer Kosmos sich zwischen - sagen wir mal - Mozarts großer g-moll Sinfonie einerseits und Tschaikowskys Pathetique andererseits aufspannt, können Weberns op. 5 und op. 6 schon recht befremdlich wirken, von op. 10 und späterem mal ganz zu schweigen - da machen wir uns mal besser nix vor.


    Wenns mal bis zur "Pathetique" reichen würde, meist ist ja schon spätestens 50 Jahre früher Schluss. :wacky:


    Zitat


    Das ist auch gut so! Ich weiß ohnehin nicht, aus welchem Grunde zeitgenössische Musik im Schmollwinkel sitzten sollte - verstecken muß sie sich eigentlich nicht!!


    Einfach der übliche Stuss einer abgedroschenen Verleumdungskampagne, die gebetsmühlenartig die gesamte Moderne in der Kunst zu diffamieren sucht. Und das witzige ist: Sie stammt von Leuten, die sich im Schmollwinkel verstecken, und mit religösem Eifer auf eine Sintflut warten, die irgendwann die ganze Moderne wegspült, damit das Paradies auf Erden werde. :rolleyes:


    Gruß
    Sascha

  • Zitat

    Original von Antracis


    Wenns mal bis zur "Pathetique" reichen würde, meist ist ja schon spätestens 50 Jahre früher Schluss. :wacky:


    Das stimmt m.E. so nicht. Häufig ist erst gut 20 Jahre später Schluß, nämlich mit Mahlers Sinfonien und den Opern von Strauss. Das macht das Phänomen ja noch befremdlicher. Denn von da aus ist es eigentlich nicht so weit zu Bergs Orchesterstücken oder seinem Violinkonzert und dann zu Schönberg und Webern.
    Oder eben auch zu anderem. Man muß ja nicht chronologisch vorgehen. Hindemiths "konservative" Stücke wie die Mathis-Sinfonie oder die Sinfonie in Es oder Neoklassizistisches von Strawinski usw. sind m.E. eher einfacher zu hören als z.B. Mahlers Neunte (es sind ja auch meist einfachere Stücke). Vieles ist wirklich schlicht Gewöhnungssache.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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  • Zitat

    Original von Johannes Roehl



    Das stimmt m.E. so nicht. Häufig ist erst gut 20 Jahre später Schluß, nämlich mit Mahlers Sinfonien und den Opern von Strauss. Das macht das Phänomen ja noch befremdlicher.
    JR


    Nach meiner Erfahrung ist das bei den krassen Moderne-Gegnern aber meist schon ein Toleranzbereich, ab 1840 gehts stetig bergab.

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl


    Das stimmt m.E. so nicht. Häufig ist erst gut 20 Jahre später Schluß, nämlich mit Mahlers Sinfonien und den Opern von Strauss. Das macht das Phänomen ja noch befremdlicher. Denn von da aus ist es eigentlich nicht so weit zu Bergs Orchesterstücken oder seinem Violinkonzert und dann zu Schönberg und Webern.


    :yes:


    Meine Beispiele waren zugegeben recht willkürlich herausgegriffen, um einen konservativ betulichen Geschmack zu charakterisieren. Mahler ist da schon fast extravagant...



    Zitat

    Oder eben auch zu anderem. Man muß ja nicht chronologisch vorgehen. Hindemiths "konservative" Stücke wie die Mathis-Sinfonie oder die Sinfonie in Es oder Neoklassizistisches von Strawinski usw. sind m.E. eher einfacher zu hören als z.B. Mahlers Neunte (es sind ja auch meist einfachere Stücke). Vieles ist wirklich schlicht Gewöhnungssache.


    viele Grüße


    JR


    Völlig Deiner Meinung!!


    Herzlichst,
    Medard

  • Hallo Johannes,
    ich glaube, es geht längst nicht mehr darum, wie die Musik tatsächlich klingt, sondern welchen Ruf sie hat. Und der ist offenbar unabänderlich.
    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von van Rossum
    Ist das nicht - konsequent zu Ende gedacht - eine echte Horrorerkenntnis?


    Wieso?
    Solange nicht "alles" statt "vieles" steht, stimmt das unbedingt.
    :hello:

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  • aus dem aktuellen Profil (falls nicht erlaubt bitte loeschen):

  • Vom österreichischen Kompositionslehrer und Komponisten Karl Schiske (1916 bis 1969) ist im Dezember 2008 eine CD mit Spätwerken erschienen.



    Darauf enthalten:


    Symphonie Nr. 5 "auf B" op. 50
    Candada op. 45 für Sopran, gemischen Chor & kleines Orchester
    Choralpartita op. 46 für Orgel
    Synthese op. 47 für vier mal vier Instrumente
    Kyrie aus der unvollendeten Missa für gemischten Chor & Orgel op. 48
    Divertimento op. 49 für 10 Instrumente und Kammerorchester
    Dialog op. 51 für Cello & Klavier (unvollendet)


    Künstler: Andreas Juffinger, Anton Webern Kammerchor Wien, Ensemble Kontrapunkte, Die Reihe, RSO Wien, Peter Keuschnig, Erich Urbanner


    Lothar Knessl, der auch für die Ö 1 Clubzeitschrift "gehört" (Ausgabe Februar 2009) ein Kurzporträt über Schiske verfasst hat, stellt heute (Montag, 16.2.2009) ab 23:03 Uhr im Radiosender Ö 1 (auch per Webradio empfangbar) den Komponisten und die CD in der Sendung "Zeit Ton" vor.


    Bei Ö 1 heißt es in der Tagesvorschau dazu:


    "Zeit-Ton


    Der eine im 20. Jahrhundert geborene Komponist gerät, unabhängig von der generell anerkannten Qualität seiner Musik, schon wieder in Vergessenheit, der generationsgleich andere hingegen nicht. Rationale Gründe dafür gibt es kaum.


    Karl Schiske, 1969 früh verstorben, Persönlichkeit von selbstloser Autorität, ist zwar als der wichtigste, Perspektiven öffnende österreichische Kompositionslehrer in den Jahren nach 1945 bis dato präsent geblieben, nicht aber als ein Komponist, der zu einer musiksprachlich eigenständigen Synthese gefunden hat.


    Diese spiegelt ein Musikdenken, das historische Phänomene mit jenen seiner Gegenwart zu vereinen weiß. Wie das bei Schiske klingt, vermittelt eine neue ORF-CD mit den sieben letzten, von Materialreduktion geprägten Kompositionen, darunter zwei Schlüsselwerke: "Divertimento" und "Symphonie No. 5 auf B"."

    Freundlicher Gruß
    Alexander

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Das stimmt m. E. so nicht. Häufig ist erst gut 20 Jahre später Schluß, nämlich mit Mahlers Sinfonien und den Opern von Strauss. Das macht das Phänomen ja noch befremdlicher. Denn von da aus ist es eigentlich nicht so weit zu Bergs Orchesterstücken oder seinem Violinkonzert und dann zu Schönberg und Webern.


    Ist zwar schon über ein Jahr alt, aber das lese ich jetzt erst. :D
    Soll ein Witz sein, oder, Johannes?
    Der Schritt von Strauss zu Webern ist ja wohl gewaltig.
    Die von dir erwähnte Grenze trennt eben die auf der Funktionsharmonik basierende Romantik von Werken, in denen sich der Komponist ernstmals bewusst radikal gegen die Harmonik der Vergangenheit stellt.
    Wird mit der traditionellen Harmonik als einem der Grundbestandteile der Musik gebrochen, fällt nunmal offensichtlich eine breite Hörerschaft weg, dasselbe passiert Jahrzehnte später mit der Rhythmik und der Melodik.
    Was ist an diesem Phänomen befremdlich? Warum werden solche Brüche immer relativiert? Sie haben es doch nicht nötig, auf solche Weise verteidigt zu werden, dazu reicht die Musik, die danach entstanden ist, und sie tut es viel besser.

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould

  • Zitat

    Original von rappy


    Ist zwar schon über ein Jahr alt, aber das lese ich jetzt erst. :D
    Soll ein Witz sein, oder, Johannes?


    Nö. ;)
    Bedenke auch den Kontext: Klawirr hatte plausibel gemacht, daß ein Hörer, dessen übliches Hörpensum ca. von Mozart bis Tschaikowsky reicht, mit Webern Schwierigkeiten hat. Antracis meinte darauf, daß oft schon 50 Jahre vorher (verstehe ich als ca. Mitte des 19. Jhds.) Schluß sei. Dem habe ich widersprochen. Denn ich halte es für eine Ausnahme, wie einige hier im Forum, kaum Musik der Spätromantik zu hören und finde es in der Tat eher verständlich, wenn jemand, der meint, nach Schubert sei die musikalische Welt eigentlich untergegangen, selbst wenn ein paar Sachen aus der Romantik noch zu ertragen sind, mit der Musik von 1900-1920 wenig anfangen kann. Aber von Mahler u.ä. ist das eben gar nicht weit, sondern liegt in derselben Zeit.


    Zitat


    Der Schritt von Strauss zu Webern ist ja wohl gewaltig.


    Die Idee ist auch nicht, von Strauss zu Webern zu springen. Sondern etwa:


    Mahlers 9. + 10. -> Bergs Orchesterstücke op. 6
    Zemlinskys Lyrische Sinfonie -> Bergs Lyrische Suite
    Salome, Elektra -> Erwartung, Wozzeck
    Auch Schönbergs Stücke op.16 (mit "Farben" usw.) schließen sich durchaus an seine eigenen "spätromantischen" Stücke (Pelleas, Kammersinfonien usw.) an und auch die anderer Komponisten.
    (Webern kenne ich zu wenig und zu schlecht, daher kann ich da keine Verknüpfungen bringen)


    Zitat


    Die von dir erwähnte Grenze trennt eben die auf der Funktionsharmonik basierende Romantik von Werken, in denen sich der Komponist ernstmals bewusst radikal gegen die Harmonik der Vergangenheit stellt.
    Wird mit der traditionellen Harmonik als einem der Grundbestandteile der Musik gebrochen, fällt nunmal offensichtlich eine breite Hörerschaft weg, dasselbe passiert Jahrzehnte später mit der Rhythmik und der Melodik.
    Was ist an diesem Phänomen befremdlich? Warum werden solche Brüche immer relativiert? Sie haben es doch nicht nötig, auf solche Weise verteidigt zu werden, dazu reicht die Musik, die danach entstanden ist, und sie tut es viel besser.


    Der Schritt von einer expressionistischen spätromantischen Harmonik wie schon in Teilen von Tristan, jedenfalls aber Salome und Elektra (und nur diese Stücke meinte ich bei Strauss, das war tatsächlich sehr ungenau, ich hätte das anders ausdrücken sollen) und expressionistischer Atonalität ist nicht groß. Was nicht heißt, daß Unterschiede bestritten werden.


    Ein Hörer, der nicht so harmonisch und technisch gebildet ist wie Du, kann sehr häufig nicht, das hatten wir schon mehrfach, hörend zwischen einer aufs Äußerste erweiterten Tonalität, Atonalität oder Zwölftönigkeit, unterscheiden. Klar, mag es sein, daß manches "noch schräger" wahrgenommen wird, aber keineswegs zuverlässig getrennt. Und ungeachtet der technischen Unterschiede m.E. nicht ganz zu Unrecht aufgrund der historischen und kulturellen Gemeinsamkeit und der Ähnlichkeit im Ausdruck.
    Für Alfred oder Musicophil ist, vermute ich mal, der größere Teil vom 3. Tristan-Akt und von Elektra beinahe genauso furchtbar wie Berg oder Schönberg... Für wie viele Hörer enthalten das Tristan-Vorspiel oder Salome "keine Melodie"? Nicht wenige, vermute ich mal...
    Salome und Elektra waren damals durchaus Skandalstücke, ähnlich wie Le Sacre oder die Altenberglieder. Nicht nur wegen der Sujets, sondern auch wegen der Musik. Erst nach diesen beiden Opern trennen sich die Wege von Strauss und Schönberg & Co. recht eigentlich. Ich selbst bin immer wieder frappiert, wie dicht bis etwa zum Beginn des Weltkriegs diese Werke liegen:


    1899 Verklärte Nacht, Heldenleben, Mahlers 4. (ca.)
    1903 Schönbergs Pelleas
    1905 Salome, La Mer, Schönbergs Quartett op.4
    1909 Schönberg: Stücke op.16, Erwartung, Elektra,
    1910 Mahlers 9. (UA 1912)
    1911 Petruschka
    1912 Pierrot lunaire, Altenberg-Lieder
    1913 Le Sacre du Printemps
    1914 Bergs 3 Stücke op.6


    :hello:


    JR

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  • wieso frappiert?
    weil es so schnell ging?
    dann fehlen aber noch ein paar radikale sachen:


    1913 russolo erfindet seine intonarumori (geräuscherzeuger)
    1914 cowell: dynamic motion
    1914 webern: 3 kleine stücke für violoncello und klavier op. 11
    1915 golyscheff: zwölftondauerstreichtrio (oder so)
    1915 lourié: formes en l'air
    ab 1918 (?) wyschnegradsky: vierteltonwerke
    :hello:

  • Hallo Johannes,


    zunächst müssen wir herausfinden, was der Klassikhörer, von dem wir sprechen, (eine unzulässige Verallgemeinerung) von Musik erwartet.


    Ich werfe mal ein paar Stichworte in den Raum, ob was dran ist, können wir ja dann besprechen:


    - Kadenzen
    - Perioden
    - gesangliche Melodik (?)
    - pulsierende Rhythmik
    - vierstimmigen Satz (grob verallgemeinert führende Oberstimme, harmoniefüllende Mittelstimmen, Bass) (?)
    - ... ?


    Alle genannte Punkte wurden im Laufe des 19./20. Jahrhunderts ganz oder teilweise von Komponisten aufgegeben.
    Als erstes wohl die Perioden. Dass die unendliche Melodie der Tristanouvertüre beispielsweise keine 8- oder 16-taktige Periode ist, ist wohl der Grund, dass sie, obwohl unter Kennern als eine der ausdrucksstärksten "Melodien" bekannt, von manchen - wie du sagst - nicht als Melodie wahrgenommen wird.
    Mit dem Tristan steigen also schon einige aus. Aber, wie du geschrieben hast (Mahler&Strauss als häufigste Grenze), ziemlich wenige. Warum? Die Kadenzen kommen ins Spiel, die sind nämlich noch da. Der berühmte Akkord ist zwar schwierig zu deuten, aber der Rest der Ouvertüre ist meines Wissens nach durchgehend "kadenziell komponiert" (wenn auch mit vielen Trugschlüssen).
    Die Rhythmik ist pulsierend (weitgehend gleichbleibendes Metrum?) und die Melodik gesanglich (ob das so wichtig ist, weiß ich allerdings nicht).
    Der vierstimmige Satz ist auch vorhanden.
    Dasselbe sollte eigentlich für Mahler und Strauss auch gelten.


    Jetzt müsste man überprüfen, wann die oben genannten Kriterien (falls sie denn überhaupt stimmen) von wem über Bord geworfen werden. Kadenzen im engeren Sinne jedenfalls verschwinden ja mit dem Aufkommen der Atonalität. Perioden gibt es noch bei Schönberg häufiger, bei Webern eher weniger (?). Gesangliche Melodik: Sprünge von Oktave+kleiner None in Webernstücken sind eher unsanglich...
    Pulsierende Rhythmik: wird erst später aufgegeben bzw. von anderen (Varese? Kenne mich da nicht so aus).
    Vierstimmiger Satz ist auch noch vorhanden, allerdings m. E. um ein Vielfaches dichter bei Schönberg&Berg vor allem. (?)
    Die beiden letzten Punkte sind evtl. Ursache für den Ausstieg vieler bei Musik nach 1945?


    Vielleicht finden wir so die ausschlaggebenden Unterschiede zwischen Mahlers Musik und etwa der der 2. Wiener Schule?

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould


  • Ich weiß nicht, ob das hier das Thema ist. Ich habe nur darauf aufmerksam machen wollen, daß der Hörer nicht unbedingt nach solchen technischen Kriterien hört. Ich bestreite nicht, daß das, was Du aufzählst, wichtig ist.
    (Das Fehlen einiger Punkte ist gewiß auch für die Schwierigkeiten vieler Hörer mit Musik vor ca. 1700 verantwortlich.)


    Zitat


    Jetzt müsste man überprüfen, wann die oben genannten Kriterien (falls sie denn überhaupt stimmen) von wem über Bord geworfen werden. Kadenzen im engeren Sinne jedenfalls verschwinden ja mit dem Aufkommen der Atonalität. Perioden gibt es noch bei Schönberg häufiger, bei Webern eher weniger (?). Gesangliche Melodik: Sprünge von Oktave+kleiner None in Webernstücken sind eher unsanglich...
    Pulsierende Rhythmik: wird erst später aufgegeben bzw. von anderen (Varese? Kenne mich da nicht so aus).
    Vierstimmiger Satz ist auch noch vorhanden, allerdings m. E. um ein Vielfaches dichter bei Schönberg&Berg vor allem. (?)


    Der Satz ist aber auch bei Bach dichter als bei Händel und bei Brahms und Reger dichter als bei Verdi oder Tschaikowsky usw. Die Emanzipation von Begleit- und Mittelstimmen wird mitunter als Errungenschaft der Wiener Klassik ("obligates Accompagnement") genannt. Für die Melodik ist nicht nur die Periodizität relevant, sondern eben auch die Prägnanz des Motivs bzw. der musikalischen Geste. Hierin unterscheidet sich die atonale Musik m.E. eher wenig von der Spätromantik. Ebenso in Formgestaltung und den polyphonen und motivverarbeitenden Techniken, hier ist die Abkehr von der Tradition bei Strawinsky u.a. viel deutlicher. Es ist sicher richtig, was Du schreibst, aber es sind nur Teilaspekte und ich bin nicht sicher, ob sie die Wahrnehmung so dominieren.


    Zitat


    Vielleicht finden wir so die ausschlaggebenden Unterschiede zwischen Mahlers Musik und etwa der der 2. Wiener Schule?


    Ich habe nicht gesagt, daß es keine Unterschiede gäbe. Sondern nur, daß es Schritte, aber keine Sprünge sind zwischen den Werken z.B. Mahlers und z.B. Schönbergs zwischen 1900 und 1911 (bei Schönberg auch noch später natürlich). Die einzigen Unterschiede, die bei Dir jetzt übrigbleiben, sind, wenn ich recht sehe, der Schritt zur Atonalität und vielleicht noch weniger sangbare melodische Intervalle.


    :hello:


    JR

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    I knew the night had gone.
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    (Bob Dylan)

  • Ist nicht der Schritt zur "musikalischen Prosa", also dem Aufbrechen der Periodizität, wesentlicher als der zur Atonalität?
    Außerdem würde ich als weiteren Schritt die sich selbst definierende Form nennen, wie sie spätestens seit Debussy praktiziert wird.
    :hello:

    ...

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  • Zitat

    rappy: Vielleicht finden wir so die ausschlaggebenden Unterschiede zwischen Mahlers Musik und etwa der der 2. Wiener Schule?


    Wozu soll das gut sein? Die 2. Wiener Schule verstehe ich nicht wirklich als zeitgenössisch! Sie ist für mich ein Teil der Musikgeschichte und befindet sich auf dem besten Weg zu einem ganz normalen, vielleicht nicht umfangreichen Teil des Konzert- und Operbetriebes zu werden. Die zeitgenössische Musik ist weitaus vielschichtiger und vielfältiger und dies kann man selbst in der Stadt Wien, trotz ihres oft behauptetem provinziellen Charakters, erleben.


    Ohne jede Wertung, einfach nur aufgezählt, was ich in den letzten Monaten an zeitgenössischer Musik im Konzert- oder Opernhaus erleben durfte, wobei ich ausdrücklich betonen will, dass ich nicht bewusst Nischenkonzerte mit zeitgenössischer Musik besuche. Eine Portion Neugier und etwas Aufgeschlossenheit bei der Auswahl der Konzerte reicht aus und man kann zeitgenössische Musik in allen Formen hören - zum Teil sogar kostenlos aber keinesfalls umsonst.


    Kammermusik:
    Peter Sculthorpe (1929- ): Requiem für Cello solo
    Ivan Eröd (1936 - ): Hommage à Beethoven
    György Kurtag (1926 - ): aus Jatekok
    Pierre Favre (1937 - ): Ember, Ember II
    Barry Guy (1947 - ): Celebration, Dakryon, Peace Piece


    Oper:
    Benedict Mason (1954 - ): Playing Away


    Konzert:
    Arvo Pärt (1935 - ): Summa


    Ich behaupte nicht, dass diese Werke besonders "moderne" sind, aber immerhin, die Komponisten sind eher zeitgenössisch als die der 2. Wiener Schule ihre Werke sind, wie ich selbst hören konnte, absolt anhörbar!


    Wenn man die Komponisten der 2. Wiener Schule als Zeitgenossen versteht dann muss man schobn ein etwas älteres Semester sein, denn Arnold Schönberg verstarb als letzter Vertreter immerhin 1951.


    Doch nun genug geschrieben – Hören wir lieber etwas Musik:
    Wie wäre es mit etwas wirklich Modernem, wie etwa der CD: Peter Sadlo spielt Minas Borboudakis (Cavalli Records) - und wieder gilt, auch für "klassische" Ohren durchaus anhörbar.


    Giovanni Bertati

    Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum. (Friedrich Nietzsche)

  • Zitat

    Original von Giovanni Bertati
    Doch nun genug geschrieben – Hören wir lieber etwas Musik:
    Wie wäre es mit etwas wirklich Modernem, wie etwa der CD: Peter Sadlo spielt Minas Borboudakis (Cavalli Records) - und wieder gilt, auch für "klassische" Ohren durchaus anhörbar.


    Ich versteh jetzt das Spannungsfeld zwischen "moderner" und "anhörbar" nicht, was vielleicht damit zu tun hat, dass ich Borboudakis nicht kenne.


    Aber es geht wohl darum, dass es jüngere Musik als die von Schönberg gibt, die von mehr Leuten gehört wird als die von Schönberg (Pärt z.B.)


    Wenn aber schon dazu aufgerufen wird, aufgeschlossen zu sein, dann nehme sich jeder selbst an der Nase, und höre sich mal wieder das an, was für ihn nicht anhörbar ist.
    ;)

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Ist nicht der Schritt zur "musikalischen Prosa", also dem Aufbrechen der Periodizität, wesentlicher als der zur Atonalität?
    Außerdem würde ich als weiteren Schritt die sich selbst definierende Form nennen, wie sie spätestens seit Debussy praktiziert wird.
    :hello:


    Gab es "musikalische Prosa" in Form des Rezitativs nicht schon sehr lange, z.B. accompagnata-Rezitative bei Gluck? Und spätestens bei Berlioz und Wagner, also etwa in der Mitte des 19. Jhds. auch über längere Strecken im Musiktheater.


    Was meinst Du mit "selbst definierende Form"?


    JR

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    (Bob Dylan)

  • Vielleicht: Musik, die sich ihre Form selbst schafft, statt in eine (in Grundzügen) bestehende Form hineingepresst zu werden (z. B. Rondo, Sonatenhauptsatz)?
    Aber hört der Laie wirklich so formorientiert? Ist eine solche "sich selbst definierende Form" nicht weniger artifiziell als Fugen und Sonatenhauptsätze und damit leichter zugänglich?


    Zur Prosa/Rezitativ: Gewiss, deswegen sind auf den Sampler-CDs auch immer nur Arien :D


    Giovanni Bertati: Klar, mit dem Ursprungsthema hat das nicht mehr viel zu tun, Schönberg versteht hier natürlich niemand als zeitgenössisch.


    Wozu der Vergleich gut ist? Um dem laut JR befremdlichen Phänomen "Häufig ist erst gut 20 Jahre später Schluß, nämlich mit Mahlers Sinfonien und den Opern von Strauss." auf den Grund zu gehen.


    @JR: Der Laie hört natürlich nicht und denkt "Aha, ein Orgelpunkt auf der Dominante über 20 Takte und dann ein Trugschluss!", aber es ist die ihm unterbewusst vertraute Technik zur Schaffung von Spannung, Entspannung und Zielgerichtetheit.

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould

  • Zitat

    Original von rappy
    Vielleicht: Musik, die sich ihre Form selbst schafft, statt in eine (in Grundzügen) bestehende Form hineingepresst zu werden (z. B. Rondo, Sonatenhauptsatz)?
    Aber hört der Laie wirklich so formorientiert? Ist eine solche "sich selbst definierende Form" nicht weniger artifiziell als Fugen und Sonatenhauptsätze und damit leichter zugänglich?


    Das kommt schon, glaube ich, ganz gut hin mit dem Erklärungsansatz. Allerdings würde ich nicht sagen, daß eine vorgegebene Form artifizieller ist, vielleicht wirkt sie auf manchen Hörer so.
    Sehr erhellend sind ja Boulez' Ausführungen über Debussy, insbesondere was den Begriff der Zeit und der "I(rr)eversibilität" der musikalischen Ereignisse angeht.


    :hello:
    Wulf

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  • Zitat

    Original von rappy
    Vielleicht: Musik, die sich ihre Form selbst schafft, statt in eine (in Grundzügen) bestehende Form hineingepresst zu werden (z. B. Rondo, Sonatenhauptsatz)?
    Aber hört der Laie wirklich so formorientiert? Ist eine solche "sich selbst definierende Form" nicht weniger artifiziell als Fugen und Sonatenhauptsätze und damit leichter zugänglich?


    Zumal die Sonate, jedenfalls in der Klassik, keine Form ist, in die etwas hereingepreßt werden muß, sondern eine Organisationsweise, die ziemlich flexibel sein kann. Hier würde ich behaupten, daß "sich selbst schaffende Formen" vermutlich schon beim späten Beethoven, spätestens bei Schumann (z.B. Fantasie, Humoreske, Kopfsatz des Klavierkonzerts) ausgemacht werden können. Oder man nehme Chopins Balladen oder die Polonaise-Fantaise...


    Zitat


    Wozu der Vergleich gut ist? Um dem laut JR befremdlichen Phänomen "Häufig ist erst gut 20 Jahre später Schluß, nämlich mit Mahlers Sinfonien und den Opern von Strauss." auf den Grund zu gehen.


    @JR: Der Laie hört natürlich nicht und denkt "Aha, ein Orgelpunkt auf der Dominante über 20 Takte und dann ein Trugschluss!", aber es ist die ihm unterbewusst vertraute Technik zur Schaffung von Spannung, Entspannung und Zielgerichtetheit.


    ja, weil er es so gewöhnt ist. Aber er kann sich ja auch in Musik des 14. oder 16. Jhds, als von Funktionsharmonik im Sinne von ca. 1700-1900 noch keine Rede war, einhören und die dortigen Techniken zur Schaffung von Spannung, Entspannung usw. wahrnehmen lernen (was m.E. wg. der historischen Distanz keineswegs einfacher ist als bei Musik des 20. Jhds.). Ich behauptete oben nur, daß ungeachtet der Unterschiede, vom Ausdruck und vom Höreindruck passagenweise Atonales und Mahler durchaus ähnlich klingen können.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
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    (Bob Dylan)

  • Lieber Johannes,

    Zitat

    Zumal die Sonate, jedenfalls in der Klassik, keine Form ist, in die etwas hereingepreßt werden muß, sondern eine Organisationsweise, die ziemlich flexibel sein kann. Hier würde ich behaupten, daß "sich selbst schaffende Formen" vermutlich schon beim späten Beethoven, spätestens bei Schumann (z.B. Fantasie, Humoreske, Kopfsatz des Klavierkonzerts) ausgemacht werden können. Oder man nehme Chopins Balladen oder die Polonaise-Fantaise...


    Dennoch bleibt die Grundlage eine vorgegebene Form, die man erfüllt oder gegen die man ankomponiert. Bei Debussy löst sich die Form völlig auf, da auch thematische Beziehungen beliebig werden. In "Jeux" etwa entsteht alles aus allem, nicht Themen werden atomisiert, wie bei Beethoven, sondern Atome zu stets wechselnden neuen Gestalten zusammengefügt.
    :hello:

    ...

  • ich muss mal etwas sehr subjektives schreiben :D:rolleyes:


    Musik und Kunst sind für mich niemals ganz zeitlos.
    Vielleicht kann man sich dem entziehen, wenn man eben kein Wissen über Musikgeschichte oder Geschichte im allgemeinen hat
    (letzteres ist allerdings fatal, meiner Meinung nach).



    Musik ist, wie die Kunst, immer eine Spiegel und ein Echo der Zeit, in der sie entstanden ist.
    Es gibt aber "Epochen" oder "Zeitabschnitte" die mir einfach fremd bleiben und ähnlich geht es mir dann auch mit der Musik.



    zeitgenössische Musik ist natürlich auch ein Spiegel unserer Zeit.
    Aber ich gebe zu, dass ich sie nicht wirklich als "Musik" wahrnehme.
    So wie die Natur aus dem alltäglichen Leben verbannt wurde, so ist auch hier das "Natürliche" abhanden gekommen.


    Das ist keine Wertung, ich hoffe das ich mich verständlich machen kann :O
    denn die Musik muss das ja aufgreifen - alles andere wäre Selbstbetrug.


    die Musik einer Zeit gibt auch gleichzeitig die Geisteshaltung einer Epoche wieder, vielleicht sogar die gesellschaftlichen Strukturen.


    Vielleicht deswegen wirkt in vielen Fällen diese Musik beängstigend auf mich, es ist nichts mehr da was einem zum Träumen verführt, man kann dadurch in Trance geraten, aber das ist etwas anderes.
    Es sind nicht mehr die Stimmen der Natur, vielmehr das Ächzen und Schnaufen der Maschinen. Der Stress und die Hecktig der Städte.
    Eine gewisse Trance stellt sich ja auch bei der Fließbandarbeit ein, oder beim Betätigen der stets gleichen Hebel und Knöpfe.



    Vielleicht ist es wie mit dem bedrunkensein, wärend vielleicht Mozart wie Wein wirkt, ist Stockhausen wie Doppelkorn. :D:untertauch:



    Was mir oft in der Musik unserer Zeit fehlt ist ein Stück Sinnlichkeit, aber diese emotionale "Kälte" spiegelt sich ja auch in der Architektur, auch in einem Großteil der Kunst und deren Präsentation wieder. Nicht zuletzt auch in den Menschen.
    Je mehr wir über unsere Welt wissen umso weniger verstehen wir sie - und genau das spiegelt für mich diese Musik wieder.
    Man wird oft mit der gleichen Ratlosigkeit zurückgelassen, wie es ein Formular oder ein Bescheid tut.



    Ich gebe zu dass ich aufgrund dieser Überlegungen fast gar keine zeitgenössische Musik mehr höre.

  • Ach ja, früher war alles besser, sogar die Vergangenheit... :D


    btw: was soll einen denn bei Beethovens 'Großer Fuge' zum Träumen animieren??


    Grüße aus dem Wiesengrund

  • Nun, ich glaube, einiges nachvollziehen zu können. Das Ächzen und Schnaufen der Maschinen, der Stress und die Kektik der Städte; ja, es ist wahr, dies kam und kommt natürlich in der Musik auch unter. Allerdings war dies, wie ich meine, in der modernen Musik nicht immer und gleichbleibend so. Es gab vor einigen Jahrzehnten Phasen, in denen diese "technisierte" Musik als Reaktion des äußerlichen Lebens, wie der Lullist richtig andeutet, besonders interessant und "in"war; in den letzten zwanzig oder dreißig Jahren (oder noch mehr?) ist dies aber weniger der Fall; ich meine, dass eine Rückbesinnung auf Romantik- und Naturempfinden eingetreten ist. Natürlich haben sich die Techniken gegenüber früher geändert, aber das hat ja mit der emotionalen Empfindung wenig zu tun.


    Ich halte es für möglich, dass die "technische Phase" sehr nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat - im Positiven wie im Negativen. Viele Musikhörer werden den Ausdruck dieser Phase generell mit der modernen Musik im Allgemeinen in Verbindung bringen (wenn sie nicht schon den späten Schönberg als Erwartungshaltung für moderne Musik haben).


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

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