Lieber Edwin,
Du triffst den Nagel auf den Kopf !!
Daß Henze nicht als »dritter Weg« wahrgenommen wird, könnte ja auch schlicht daran liegen, daß der dritte Weg eben keine Tradition und keine Lobby hat - aus Gründen, die hier ja schon ausgiebig erörtert worden sind...
Herzlichst,
Medard

Zeitgenössische Musik im Schmollwinkel (?)
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Hallo Wulf,
ich kenne von Piston die Symphonien 4, 5 und 6, und wenn ich die mit Hindemiths Symphonie in Es-Dur (1940) vergleiche, fallen mir gewisse Parallelen in der Bläserbehandlung, speziell die Akkordpacken der Blechbläser, auf. Auch rhythmisch scheint es mir größere Parallen zu geben. Oder habe ich Piston da in falscher Erinnerung?
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Zitat
Original von Kurzstueckmeister
Wieso Schönberg ab 1909 und Webern ab 1909 immer noch Schreckgespenster sind, weiß ich nicht wirklich.Nun ja, für den Musikfreund, dessen musikalischer Kosmos sich zwischen - sagen wir mal - Mozarts großer g-moll Sinfonie einerseits und Tschaikowskys Pathetique andererseits aufspannt, können Weberns op. 5 und op. 6 schon recht befremdlich wirken, von op. 10 und späterem mal ganz zu schweigen - da machen wir uns mal besser nix vor. Ist schlicht eine Frage der Hörgewohnheiten - und der Bereitschaft, seine Gewohnheiten, wenn nicht zu ändern, so doch zu erweitern...
ZitatAber die Modernskys sind hier doch schon lange aus dem Schmollwinkel herausgekommen, jedenfalls noch vor meiner Zeit ...
Das ist auch gut so! Ich weiß ohnehin nicht, aus welchem Grunde zeitgenössische Musik im Schmollwinkel sitzten sollte - verstecken muß sie sich eigentlich nicht!!
Herzlichst,
Medard -
Zitat
Original von Klawirr
Nun ja, für den Musikfreund, dessen musikalischer Kosmos sich zwischen - sagen wir mal - Mozarts großer g-moll Sinfonie einerseits und Tschaikowskys Pathetique andererseits aufspannt, können Weberns op. 5 und op. 6 schon recht befremdlich wirken, von op. 10 und späterem mal ganz zu schweigen - da machen wir uns mal besser nix vor.
Wenns mal bis zur "Pathetique" reichen würde, meist ist ja schon spätestens 50 Jahre früher Schluss. :wacky:
Zitat
Das ist auch gut so! Ich weiß ohnehin nicht, aus welchem Grunde zeitgenössische Musik im Schmollwinkel sitzten sollte - verstecken muß sie sich eigentlich nicht!!Einfach der übliche Stuss einer abgedroschenen Verleumdungskampagne, die gebetsmühlenartig die gesamte Moderne in der Kunst zu diffamieren sucht. Und das witzige ist: Sie stammt von Leuten, die sich im Schmollwinkel verstecken, und mit religösem Eifer auf eine Sintflut warten, die irgendwann die ganze Moderne wegspült, damit das Paradies auf Erden werde.
Gruß
Sascha -
Zitat
Original von Antracis
Wenns mal bis zur "Pathetique" reichen würde, meist ist ja schon spätestens 50 Jahre früher Schluss. :wacky:
Das stimmt m.E. so nicht. Häufig ist erst gut 20 Jahre später Schluß, nämlich mit Mahlers Sinfonien und den Opern von Strauss. Das macht das Phänomen ja noch befremdlicher. Denn von da aus ist es eigentlich nicht so weit zu Bergs Orchesterstücken oder seinem Violinkonzert und dann zu Schönberg und Webern.
Oder eben auch zu anderem. Man muß ja nicht chronologisch vorgehen. Hindemiths "konservative" Stücke wie die Mathis-Sinfonie oder die Sinfonie in Es oder Neoklassizistisches von Strawinski usw. sind m.E. eher einfacher zu hören als z.B. Mahlers Neunte (es sind ja auch meist einfachere Stücke). Vieles ist wirklich schlicht Gewöhnungssache.viele Grüße
JR
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Zitat
Original von Johannes Roehl
Das stimmt m.E. so nicht. Häufig ist erst gut 20 Jahre später Schluß, nämlich mit Mahlers Sinfonien und den Opern von Strauss. Das macht das Phänomen ja noch befremdlicher.
JRNach meiner Erfahrung ist das bei den krassen Moderne-Gegnern aber meist schon ein Toleranzbereich, ab 1840 gehts stetig bergab.
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Zitat
Original von Johannes Roehl
Vieles ist wirklich schlicht Gewöhnungssache.Ist das nicht - konsequent zu Ende gedacht - eine echte Horrorerkenntnis?
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Zitat
Original von Johannes Roehl
Das stimmt m.E. so nicht. Häufig ist erst gut 20 Jahre später Schluß, nämlich mit Mahlers Sinfonien und den Opern von Strauss. Das macht das Phänomen ja noch befremdlicher. Denn von da aus ist es eigentlich nicht so weit zu Bergs Orchesterstücken oder seinem Violinkonzert und dann zu Schönberg und Webern.
Meine Beispiele waren zugegeben recht willkürlich herausgegriffen, um einen konservativ betulichen Geschmack zu charakterisieren. Mahler ist da schon fast extravagant...
ZitatOder eben auch zu anderem. Man muß ja nicht chronologisch vorgehen. Hindemiths "konservative" Stücke wie die Mathis-Sinfonie oder die Sinfonie in Es oder Neoklassizistisches von Strawinski usw. sind m.E. eher einfacher zu hören als z.B. Mahlers Neunte (es sind ja auch meist einfachere Stücke). Vieles ist wirklich schlicht Gewöhnungssache.
viele Grüße
JR
Völlig Deiner Meinung!!
Herzlichst,
Medard -
Hallo Johannes,
ich glaube, es geht längst nicht mehr darum, wie die Musik tatsächlich klingt, sondern welchen Ruf sie hat. Und der ist offenbar unabänderlich.
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Zitat
Original von van Rossum
Ist das nicht - konsequent zu Ende gedacht - eine echte Horrorerkenntnis?
Wieso?
Solange nicht "alles" statt "vieles" steht, stimmt das unbedingt.
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aus dem aktuellen Profil (falls nicht erlaubt bitte loeschen):
ZitatZur Bitterkeit hat der österreichische Komponist Bernhard Lang keinen Grund und keine Affinität. Seit ein paar Jahren gehört er zu den maßgeblichen europäischen Stilisten Neuer Musik, seine Arbeit wird weltweit aufgeführt, Kompositionsaufträge halten ihn in Atem. In einer Hinsicht jedoch zeigt sich sogar Lang, der dieser Tage zwischen Berlin und Vilnius pendelt, während in Basel erfolgreich seine jüngste Oper, „Der Alte vom Berge“, läuft, einigermaßen desillusioniert: Wie man in Österreich mit Neuer Musik verfahre, das sei tendenziell „höchst destruktiv“. Die Situation habe längst fatale Züge angenommen, denn es gebe hierzulande nicht nur den desolaten Zustand der zeitgenössischen Musikszene selbst, sondern auf weiter Flur „auch keine Kritik daran“.
Ähnlich drastisch formuliert es die Komponistin Olga Neuwirth: Es sei „noch nie so viel geredet und so wenig gemacht worden“ wie derzeit in Österreichs Musiklandschaft. „Die Leidenschaftslosigkeit regiert, aber ohne Passion geht gar nichts – nirgends.“ Das Eigenartige sei, so Neuwirth weiter, „dass immer wieder die Frage auftaucht, ob Neue Musik überhaupt Relevanz besitzt“. Sie empfinde diese Frage als bloßes „Negativ-Reden“, als ein Bestärken massiver Vorurteile. Wenn diese Woche nun, wie jedes Jahr, das Festival Wien Modern mit hochklassigen Programmen Neuer Musik eröffnet wird (siehe Kasten S. 139), so kann dies, bei allem guten Willen, eine funktionierende Musikszene nicht ersetzen.
Die Faktoren für ihr anhaltendes Fehlen sind vielfältig. „Sämtliche neuen Musiken, die es in diesem Land gibt, werden im Vergleich zu anderen Kunstsparten budgetär stiefmütterlich behandelt“, sagt Christian Scheib, der seit 1995 als Programmdirektor das musikprotokoll des steirischen herbstes betreut. „Es entspricht einem langweiligen Lamento, ist aber leider Realität: Ohne entsprechende finanzielle Unterstützung ist es schwierig, in Sachen Neue Musik viel versprechende Initiativen zu setzen.“ Bernhard Lang sieht in der fehlenden medialen Reflexion eine Hauptursache. Der Ex-Intendant des steirischen herbstes, Peter Oswald, der auf seinem Label Kairos seit Jahren kennerisch Neue Musik verlegt, betont wiederum, „wie viele beharrende Kräfte es gerade an den Musikhochschulen gibt. Und dass die Wiener Festwochen seit geraumer Zeit in Sachen Neue Musik kaum Wesentliches zustande bringen, verstehe ich nicht. In Wien von Geldproblemen zu sprechen ist schlichtweg pervers. Wir wissen, wie hoch das operative Budget allein des Theaters an der Wien ist. Damit kann man etwas tun.“
Im Ausland besser. Die Uraufführung der Bernhard-Lang-Oper „I Hate Mozart“ ebendort vor knapp einem Jahr bringt das Dilemma der zeitgenössischen Musik in Österreich auf den Punkt: Trotz großer Nachfrage und ausverkaufter Vorstellungen war weder das Theater an der Wien noch irgendein anderes Haus in Österreich bislang imstande, die Oper wieder aufzunehmen. In Deutschland dagegen wird Langs neues Werk, „Der Alte vom Berge“, nun gleich elfmal gespielt – und das ist nur der Anfang. Das Echo auf die eigene Arbeit, stellt Lang fest, sei im Ausland eben viel besser. – Ein anderes Beispiel: Im Mai 2008 wird in Paris die Oper „Melancholia“ des Grazers Georg Friedrich Haas uraufgeführt werden. „In den Repertoiretheatern hierzulande wird die Oper keinen Niederschlag finden“, prognostiziert Peter Rantasa, geschäftsführender Direktor des mica, des Kommunikationszentrums für aktuelle Musik aus Österreich, trocken. „Es gibt dafür tausend Erklärungen, aber keine davon ist akzeptabel.“
Der Begriff „Selbstausbeutung“ fällt, wenn man sich in Österreich mit Praktikern der Neuen Musik unterhält, verdächtig oft. Die Lebens- und Arbeitswelten von Komponisten und Musikern, die gegen alle Widerstände daran festhalten, sich hauptberuflich mit der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts zu befassen, sind geprägt von Fluchtbewegungen und Selbsteinschränkung. Für große Orchesterwerke, an denen man monatelang zu arbeiten hat, sind heute oft Honorare von 7000 Euro vorgesehen. Olga Neuwirth sagt es direkt: „Selbstständige, und dazu zählen freischaffende Künstler, sind die Proletarier des 21. Jahrhunderts.“ Auf Verständnis können sie, so Neuwirth, im gegenwärtigen Kulturbetrieb nicht zählen: „Das größte Problem in Österreich ist derzeit das neue Musiktheater. Festivals wie die Festwochen, der steirische herbst und die Salzburger Festspiele werden von Personen geleitet, die nicht aus der Musik kommen. Sie mögen diese Musik nicht, haben keinerlei Zugang dazu. Wie soll man sie dann dafür begeistern?“
Feigenblätter. Abseits der Festivals wird das Bild noch dunkler: Im sich selbstherrlich als Musikstadt begreifenden Wien ist Zeitgenössisches Mangelware. In den Spielplänen des Musikvereins hat die Neue Musik, wie Peter Oswald sagt, „bloß Feigenblattfunktion“. Aber auch im Konzerthaus bildet die Gegenwartsmusik kein dauerhaftes Zentrum. Ganz zu verstehen ist das nicht. Österreichs Ruf ist, gerade was Neue Musik angeht, exzellent. Während die hiesige Szene vor 25 Jahren noch ein Schattendasein führte, in der neben Friedrich Cerha und Roman Haubenstock-Ramati kaum herausragende Talente zu verzeichnen waren, geht es seither kontinuierlich aufwärts: Die Aufführungszahlen steigen, die Festivalpräsenz wird laufend erhöht. International, wohlgemerkt. Komponisten wie der Wahlwiener Beat Furrer, Johannes Maria Staud und Georg Friedrich Haas gelten neben Lang und Neuwirth als deutliche Signale einer Hochkonjunktur Neuer Musik aus Wien. Anderswo. In Österreich hält sich das Interesse in Grenzen.
„Was den Konzertbetrieb betrifft, so ist hierzulande Kaputtsparen angesagt“, meint Bernhard Lang. Der Status quo sei alarmierend: „Die Zukunft der Klassikbranche liegt in den neuen Kompositionen, nicht in der unaufhörlichen Reproduktion jahrhundertealter Musik. Wenn wir so weitermachen, wird die Branche sterben; unter diesen Voraussetzungen wird der Strom abreißen.“ Und weiter: „Es herrscht ein Geist der Bescheidenheit in Österreich, eine Blockade gegen Neue Musik, die bis in die Orchesterreihen reicht. Das Grundproblem sind aber die aktuellen politischen Repräsentanten: Es gibt keine politische Instanz, die sich um diesen Missstand kümmern würde; nicht einmal die Grünen scheinen daran auch nur im Mindesten interessiert zu sein. Das Klangforum reüssiert auf der ganzen Welt – Österreich ist das völlig egal. Bei uns beziehen die Spitzenmusiker dieses Ensembles nicht einmal Installateursgehälter. Aus dem Opportunismus kann keine Kunst entspringen. Der alte Geist der Großzügigkeit ist verloren gegangen, ersetzt wurde er durch den biedermeierischen Geist des Knauserns.“
Vermutlich benötigt die ignorierte Neue Musik in Österreich tatsächlich so etwas wie einen Neustart. Er könnte, auch wenn es schwer zu glauben ist, von der konservativen Musikstadt Salzburg ausgehen. Nicht nur haben sich die Festspiele in Gestalt des umtriebigen Musikers und Impresarios Markus Hinterhäuser 2006 einen leidenschaftlichen neuen Konzertchef geholt, auch Hans Landesmann, einer der Vorgänger Hinterhäusers, plant in Salzburg Neues: Er arbeitet an einer Biennale für zeitgenössische Musik, die er in eigener Intendanz und in Kooperation mit den führenden Institutionen Neuer Musik veranstaltet.
Aber auch in Wien, wo der musikalische Traditionalismus inzwischen noch undurchdringlicher scheint als in Salzburg, wird beharrlich an neuen Konzepten gewerkt – vorerst jedoch nur in unterdotierten Nischen: „Platypus“, ein Verein junger Komponisten, hat bereits damit begonnen, jene Vermittlungsarbeit zu leisten, die im Bereich der Neuen Musik so essenziell ist, und auch die Risikofreude, die etwa den kompromisslosen Programmen des von Werner Korn betriebenen Echoraums anzusehen ist, wird die hiesige Musiklandschaft brauchen können.
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Vom österreichischen Kompositionslehrer und Komponisten Karl Schiske (1916 bis 1969) ist im Dezember 2008 eine CD mit Spätwerken erschienen.
Darauf enthalten:
Symphonie Nr. 5 "auf B" op. 50
Candada op. 45 für Sopran, gemischen Chor & kleines Orchester
Choralpartita op. 46 für Orgel
Synthese op. 47 für vier mal vier Instrumente
Kyrie aus der unvollendeten Missa für gemischten Chor & Orgel op. 48
Divertimento op. 49 für 10 Instrumente und Kammerorchester
Dialog op. 51 für Cello & Klavier (unvollendet)Künstler: Andreas Juffinger, Anton Webern Kammerchor Wien, Ensemble Kontrapunkte, Die Reihe, RSO Wien, Peter Keuschnig, Erich Urbanner
Lothar Knessl, der auch für die Ö 1 Clubzeitschrift "gehört" (Ausgabe Februar 2009) ein Kurzporträt über Schiske verfasst hat, stellt heute (Montag, 16.2.2009) ab 23:03 Uhr im Radiosender Ö 1 (auch per Webradio empfangbar) den Komponisten und die CD in der Sendung "Zeit Ton" vor.
Bei Ö 1 heißt es in der Tagesvorschau dazu:
"Zeit-Ton
Der eine im 20. Jahrhundert geborene Komponist gerät, unabhängig von der generell anerkannten Qualität seiner Musik, schon wieder in Vergessenheit, der generationsgleich andere hingegen nicht. Rationale Gründe dafür gibt es kaum.
Karl Schiske, 1969 früh verstorben, Persönlichkeit von selbstloser Autorität, ist zwar als der wichtigste, Perspektiven öffnende österreichische Kompositionslehrer in den Jahren nach 1945 bis dato präsent geblieben, nicht aber als ein Komponist, der zu einer musiksprachlich eigenständigen Synthese gefunden hat.
Diese spiegelt ein Musikdenken, das historische Phänomene mit jenen seiner Gegenwart zu vereinen weiß. Wie das bei Schiske klingt, vermittelt eine neue ORF-CD mit den sieben letzten, von Materialreduktion geprägten Kompositionen, darunter zwei Schlüsselwerke: "Divertimento" und "Symphonie No. 5 auf B"."
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auf eine cd mit werken von schiske warte ich schon recht lange.
fein.
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Zitat
Original von Johannes Roehl
Das stimmt m. E. so nicht. Häufig ist erst gut 20 Jahre später Schluß, nämlich mit Mahlers Sinfonien und den Opern von Strauss. Das macht das Phänomen ja noch befremdlicher. Denn von da aus ist es eigentlich nicht so weit zu Bergs Orchesterstücken oder seinem Violinkonzert und dann zu Schönberg und Webern.Ist zwar schon über ein Jahr alt, aber das lese ich jetzt erst.
Soll ein Witz sein, oder, Johannes?
Der Schritt von Strauss zu Webern ist ja wohl gewaltig.
Die von dir erwähnte Grenze trennt eben die auf der Funktionsharmonik basierende Romantik von Werken, in denen sich der Komponist ernstmals bewusst radikal gegen die Harmonik der Vergangenheit stellt.
Wird mit der traditionellen Harmonik als einem der Grundbestandteile der Musik gebrochen, fällt nunmal offensichtlich eine breite Hörerschaft weg, dasselbe passiert Jahrzehnte später mit der Rhythmik und der Melodik.
Was ist an diesem Phänomen befremdlich? Warum werden solche Brüche immer relativiert? Sie haben es doch nicht nötig, auf solche Weise verteidigt zu werden, dazu reicht die Musik, die danach entstanden ist, und sie tut es viel besser. -
Zitat
Original von rappy
Ist zwar schon über ein Jahr alt, aber das lese ich jetzt erst.
Soll ein Witz sein, oder, Johannes?Nö.
Bedenke auch den Kontext: Klawirr hatte plausibel gemacht, daß ein Hörer, dessen übliches Hörpensum ca. von Mozart bis Tschaikowsky reicht, mit Webern Schwierigkeiten hat. Antracis meinte darauf, daß oft schon 50 Jahre vorher (verstehe ich als ca. Mitte des 19. Jhds.) Schluß sei. Dem habe ich widersprochen. Denn ich halte es für eine Ausnahme, wie einige hier im Forum, kaum Musik der Spätromantik zu hören und finde es in der Tat eher verständlich, wenn jemand, der meint, nach Schubert sei die musikalische Welt eigentlich untergegangen, selbst wenn ein paar Sachen aus der Romantik noch zu ertragen sind, mit der Musik von 1900-1920 wenig anfangen kann. Aber von Mahler u.ä. ist das eben gar nicht weit, sondern liegt in derselben Zeit.Zitat
Der Schritt von Strauss zu Webern ist ja wohl gewaltig.Die Idee ist auch nicht, von Strauss zu Webern zu springen. Sondern etwa:
Mahlers 9. + 10. -> Bergs Orchesterstücke op. 6
Zemlinskys Lyrische Sinfonie -> Bergs Lyrische Suite
Salome, Elektra -> Erwartung, Wozzeck
Auch Schönbergs Stücke op.16 (mit "Farben" usw.) schließen sich durchaus an seine eigenen "spätromantischen" Stücke (Pelleas, Kammersinfonien usw.) an und auch die anderer Komponisten.
(Webern kenne ich zu wenig und zu schlecht, daher kann ich da keine Verknüpfungen bringen)Zitat
Die von dir erwähnte Grenze trennt eben die auf der Funktionsharmonik basierende Romantik von Werken, in denen sich der Komponist ernstmals bewusst radikal gegen die Harmonik der Vergangenheit stellt.
Wird mit der traditionellen Harmonik als einem der Grundbestandteile der Musik gebrochen, fällt nunmal offensichtlich eine breite Hörerschaft weg, dasselbe passiert Jahrzehnte später mit der Rhythmik und der Melodik.
Was ist an diesem Phänomen befremdlich? Warum werden solche Brüche immer relativiert? Sie haben es doch nicht nötig, auf solche Weise verteidigt zu werden, dazu reicht die Musik, die danach entstanden ist, und sie tut es viel besser.Der Schritt von einer expressionistischen spätromantischen Harmonik wie schon in Teilen von Tristan, jedenfalls aber Salome und Elektra (und nur diese Stücke meinte ich bei Strauss, das war tatsächlich sehr ungenau, ich hätte das anders ausdrücken sollen) und expressionistischer Atonalität ist nicht groß. Was nicht heißt, daß Unterschiede bestritten werden.
Ein Hörer, der nicht so harmonisch und technisch gebildet ist wie Du, kann sehr häufig nicht, das hatten wir schon mehrfach, hörend zwischen einer aufs Äußerste erweiterten Tonalität, Atonalität oder Zwölftönigkeit, unterscheiden. Klar, mag es sein, daß manches "noch schräger" wahrgenommen wird, aber keineswegs zuverlässig getrennt. Und ungeachtet der technischen Unterschiede m.E. nicht ganz zu Unrecht aufgrund der historischen und kulturellen Gemeinsamkeit und der Ähnlichkeit im Ausdruck.
Für Alfred oder Musicophil ist, vermute ich mal, der größere Teil vom 3. Tristan-Akt und von Elektra beinahe genauso furchtbar wie Berg oder Schönberg... Für wie viele Hörer enthalten das Tristan-Vorspiel oder Salome "keine Melodie"? Nicht wenige, vermute ich mal...
Salome und Elektra waren damals durchaus Skandalstücke, ähnlich wie Le Sacre oder die Altenberglieder. Nicht nur wegen der Sujets, sondern auch wegen der Musik. Erst nach diesen beiden Opern trennen sich die Wege von Strauss und Schönberg & Co. recht eigentlich. Ich selbst bin immer wieder frappiert, wie dicht bis etwa zum Beginn des Weltkriegs diese Werke liegen:1899 Verklärte Nacht, Heldenleben, Mahlers 4. (ca.)
1903 Schönbergs Pelleas
1905 Salome, La Mer, Schönbergs Quartett op.4
1909 Schönberg: Stücke op.16, Erwartung, Elektra,
1910 Mahlers 9. (UA 1912)
1911 Petruschka
1912 Pierrot lunaire, Altenberg-Lieder
1913 Le Sacre du Printemps
1914 Bergs 3 Stücke op.6JR
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Zitat
Original von Johannes Roehl
Ich selbst bin immer wieder frappiert, wie dicht bis etwa zum Beginn des Weltkriegs diese Werke liegen:1899 Verklärte Nacht, Heldenleben, Mahlers 4. (ca.)
1903 Schönbergs Pelleas
1905 Salome, La Mer, Schönbergs Quartett op.4
1909 Schönberg: Stücke op.16, Erwartung, Elektra,
1910 Mahlers 9. (UA 1912)
1911 Petruschka
1912 Pierrot lunaire, Altenberg-Lieder
1913 Le Sacre du Printemps
1914 Bergs 3 Stücke op.6
wieso frappiert?
weil es so schnell ging?
dann fehlen aber noch ein paar radikale sachen:1913 russolo erfindet seine intonarumori (geräuscherzeuger)
1914 cowell: dynamic motion
1914 webern: 3 kleine stücke für violoncello und klavier op. 11
1915 golyscheff: zwölftondauerstreichtrio (oder so)
1915 lourié: formes en l'air
ab 1918 (?) wyschnegradsky: vierteltonwerke
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Hallo Johannes,
zunächst müssen wir herausfinden, was der Klassikhörer, von dem wir sprechen, (eine unzulässige Verallgemeinerung) von Musik erwartet.
Ich werfe mal ein paar Stichworte in den Raum, ob was dran ist, können wir ja dann besprechen:
- Kadenzen
- Perioden
- gesangliche Melodik (?)
- pulsierende Rhythmik
- vierstimmigen Satz (grob verallgemeinert führende Oberstimme, harmoniefüllende Mittelstimmen, Bass) (?)
- ... ?Alle genannte Punkte wurden im Laufe des 19./20. Jahrhunderts ganz oder teilweise von Komponisten aufgegeben.
Als erstes wohl die Perioden. Dass die unendliche Melodie der Tristanouvertüre beispielsweise keine 8- oder 16-taktige Periode ist, ist wohl der Grund, dass sie, obwohl unter Kennern als eine der ausdrucksstärksten "Melodien" bekannt, von manchen - wie du sagst - nicht als Melodie wahrgenommen wird.
Mit dem Tristan steigen also schon einige aus. Aber, wie du geschrieben hast (Mahler&Strauss als häufigste Grenze), ziemlich wenige. Warum? Die Kadenzen kommen ins Spiel, die sind nämlich noch da. Der berühmte Akkord ist zwar schwierig zu deuten, aber der Rest der Ouvertüre ist meines Wissens nach durchgehend "kadenziell komponiert" (wenn auch mit vielen Trugschlüssen).
Die Rhythmik ist pulsierend (weitgehend gleichbleibendes Metrum?) und die Melodik gesanglich (ob das so wichtig ist, weiß ich allerdings nicht).
Der vierstimmige Satz ist auch vorhanden.
Dasselbe sollte eigentlich für Mahler und Strauss auch gelten.Jetzt müsste man überprüfen, wann die oben genannten Kriterien (falls sie denn überhaupt stimmen) von wem über Bord geworfen werden. Kadenzen im engeren Sinne jedenfalls verschwinden ja mit dem Aufkommen der Atonalität. Perioden gibt es noch bei Schönberg häufiger, bei Webern eher weniger (?). Gesangliche Melodik: Sprünge von Oktave+kleiner None in Webernstücken sind eher unsanglich...
Pulsierende Rhythmik: wird erst später aufgegeben bzw. von anderen (Varese? Kenne mich da nicht so aus).
Vierstimmiger Satz ist auch noch vorhanden, allerdings m. E. um ein Vielfaches dichter bei Schönberg&Berg vor allem. (?)
Die beiden letzten Punkte sind evtl. Ursache für den Ausstieg vieler bei Musik nach 1945?Vielleicht finden wir so die ausschlaggebenden Unterschiede zwischen Mahlers Musik und etwa der der 2. Wiener Schule?
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ja, echt merkwürdig, diese "klassikhörer" ...
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Zitat
Original von rappy
zunächst müssen wir herausfinden, was der Klassikhörer, von dem wir sprechen, (eine unzulässige Verallgemeinerung) von Musik erwartet.
Ich werfe mal ein paar Stichworte in den Raum, ob was dran ist, können wir ja dann besprechen:- Kadenzen
- Perioden
- gesangliche Melodik (?)
- pulsierende Rhythmik
- vierstimmigen Satz (grob verallgemeinert führende Oberstimme, harmoniefüllende Mittelstimmen, Bass) (?)
- ... ?Alle genannte Punkte wurden im Laufe des 19./20. Jahrhunderts ganz oder teilweise von Komponisten aufgegeben.
Ich weiß nicht, ob das hier das Thema ist. Ich habe nur darauf aufmerksam machen wollen, daß der Hörer nicht unbedingt nach solchen technischen Kriterien hört. Ich bestreite nicht, daß das, was Du aufzählst, wichtig ist.
(Das Fehlen einiger Punkte ist gewiß auch für die Schwierigkeiten vieler Hörer mit Musik vor ca. 1700 verantwortlich.)Zitat
Jetzt müsste man überprüfen, wann die oben genannten Kriterien (falls sie denn überhaupt stimmen) von wem über Bord geworfen werden. Kadenzen im engeren Sinne jedenfalls verschwinden ja mit dem Aufkommen der Atonalität. Perioden gibt es noch bei Schönberg häufiger, bei Webern eher weniger (?). Gesangliche Melodik: Sprünge von Oktave+kleiner None in Webernstücken sind eher unsanglich...
Pulsierende Rhythmik: wird erst später aufgegeben bzw. von anderen (Varese? Kenne mich da nicht so aus).
Vierstimmiger Satz ist auch noch vorhanden, allerdings m. E. um ein Vielfaches dichter bei Schönberg&Berg vor allem. (?)Der Satz ist aber auch bei Bach dichter als bei Händel und bei Brahms und Reger dichter als bei Verdi oder Tschaikowsky usw. Die Emanzipation von Begleit- und Mittelstimmen wird mitunter als Errungenschaft der Wiener Klassik ("obligates Accompagnement") genannt. Für die Melodik ist nicht nur die Periodizität relevant, sondern eben auch die Prägnanz des Motivs bzw. der musikalischen Geste. Hierin unterscheidet sich die atonale Musik m.E. eher wenig von der Spätromantik. Ebenso in Formgestaltung und den polyphonen und motivverarbeitenden Techniken, hier ist die Abkehr von der Tradition bei Strawinsky u.a. viel deutlicher. Es ist sicher richtig, was Du schreibst, aber es sind nur Teilaspekte und ich bin nicht sicher, ob sie die Wahrnehmung so dominieren.
Zitat
Vielleicht finden wir so die ausschlaggebenden Unterschiede zwischen Mahlers Musik und etwa der der 2. Wiener Schule?Ich habe nicht gesagt, daß es keine Unterschiede gäbe. Sondern nur, daß es Schritte, aber keine Sprünge sind zwischen den Werken z.B. Mahlers und z.B. Schönbergs zwischen 1900 und 1911 (bei Schönberg auch noch später natürlich). Die einzigen Unterschiede, die bei Dir jetzt übrigbleiben, sind, wenn ich recht sehe, der Schritt zur Atonalität und vielleicht noch weniger sangbare melodische Intervalle.
JR
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Ist nicht der Schritt zur "musikalischen Prosa", also dem Aufbrechen der Periodizität, wesentlicher als der zur Atonalität?
Außerdem würde ich als weiteren Schritt die sich selbst definierende Form nennen, wie sie spätestens seit Debussy praktiziert wird.
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Zitat
rappy: Vielleicht finden wir so die ausschlaggebenden Unterschiede zwischen Mahlers Musik und etwa der der 2. Wiener Schule?
Wozu soll das gut sein? Die 2. Wiener Schule verstehe ich nicht wirklich als zeitgenössisch! Sie ist für mich ein Teil der Musikgeschichte und befindet sich auf dem besten Weg zu einem ganz normalen, vielleicht nicht umfangreichen Teil des Konzert- und Operbetriebes zu werden. Die zeitgenössische Musik ist weitaus vielschichtiger und vielfältiger und dies kann man selbst in der Stadt Wien, trotz ihres oft behauptetem provinziellen Charakters, erleben.
Ohne jede Wertung, einfach nur aufgezählt, was ich in den letzten Monaten an zeitgenössischer Musik im Konzert- oder Opernhaus erleben durfte, wobei ich ausdrücklich betonen will, dass ich nicht bewusst Nischenkonzerte mit zeitgenössischer Musik besuche. Eine Portion Neugier und etwas Aufgeschlossenheit bei der Auswahl der Konzerte reicht aus und man kann zeitgenössische Musik in allen Formen hören - zum Teil sogar kostenlos aber keinesfalls umsonst.
Kammermusik:
Peter Sculthorpe (1929-Requiem für Cello solo
Ivan Eröd (1936 -Hommage à Beethoven
György Kurtag (1926 -aus Jatekok
Pierre Favre (1937 -Ember, Ember II
Barry Guy (1947 -Celebration, Dakryon, Peace Piece
Oper:
Benedict Mason (1954 -Playing Away
Konzert:
Arvo Pärt (1935 -Summa
Ich behaupte nicht, dass diese Werke besonders "moderne" sind, aber immerhin, die Komponisten sind eher zeitgenössisch als die der 2. Wiener Schule ihre Werke sind, wie ich selbst hören konnte, absolt anhörbar!
Wenn man die Komponisten der 2. Wiener Schule als Zeitgenossen versteht dann muss man schobn ein etwas älteres Semester sein, denn Arnold Schönberg verstarb als letzter Vertreter immerhin 1951.
Doch nun genug geschrieben – Hören wir lieber etwas Musik:
Wie wäre es mit etwas wirklich Modernem, wie etwa der CD: Peter Sadlo spielt Minas Borboudakis (Cavalli Records) - und wieder gilt, auch für "klassische" Ohren durchaus anhörbar.Giovanni Bertati
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Zitat
Original von Giovanni Bertati
Doch nun genug geschrieben – Hören wir lieber etwas Musik:
Wie wäre es mit etwas wirklich Modernem, wie etwa der CD: Peter Sadlo spielt Minas Borboudakis (Cavalli Records) - und wieder gilt, auch für "klassische" Ohren durchaus anhörbar.
Ich versteh jetzt das Spannungsfeld zwischen "moderner" und "anhörbar" nicht, was vielleicht damit zu tun hat, dass ich Borboudakis nicht kenne.Aber es geht wohl darum, dass es jüngere Musik als die von Schönberg gibt, die von mehr Leuten gehört wird als die von Schönberg (Pärt z.B.)
Wenn aber schon dazu aufgerufen wird, aufgeschlossen zu sein, dann nehme sich jeder selbst an der Nase, und höre sich mal wieder das an, was für ihn nicht anhörbar ist.
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Zitat
Original von Edwin Baumgartner
Ist nicht der Schritt zur "musikalischen Prosa", also dem Aufbrechen der Periodizität, wesentlicher als der zur Atonalität?
Außerdem würde ich als weiteren Schritt die sich selbst definierende Form nennen, wie sie spätestens seit Debussy praktiziert wird.
Gab es "musikalische Prosa" in Form des Rezitativs nicht schon sehr lange, z.B. accompagnata-Rezitative bei Gluck? Und spätestens bei Berlioz und Wagner, also etwa in der Mitte des 19. Jhds. auch über längere Strecken im Musiktheater.
Was meinst Du mit "selbst definierende Form"?
JR
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Vielleicht: Musik, die sich ihre Form selbst schafft, statt in eine (in Grundzügen) bestehende Form hineingepresst zu werden (z. B. Rondo, Sonatenhauptsatz)?
Aber hört der Laie wirklich so formorientiert? Ist eine solche "sich selbst definierende Form" nicht weniger artifiziell als Fugen und Sonatenhauptsätze und damit leichter zugänglich?Zur Prosa/Rezitativ: Gewiss, deswegen sind auf den Sampler-CDs auch immer nur Arien
Giovanni Bertati: Klar, mit dem Ursprungsthema hat das nicht mehr viel zu tun, Schönberg versteht hier natürlich niemand als zeitgenössisch.
Wozu der Vergleich gut ist? Um dem laut JR befremdlichen Phänomen "Häufig ist erst gut 20 Jahre später Schluß, nämlich mit Mahlers Sinfonien und den Opern von Strauss." auf den Grund zu gehen.
@JR: Der Laie hört natürlich nicht und denkt "Aha, ein Orgelpunkt auf der Dominante über 20 Takte und dann ein Trugschluss!", aber es ist die ihm unterbewusst vertraute Technik zur Schaffung von Spannung, Entspannung und Zielgerichtetheit.
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Zitat
Original von rappy
Vielleicht: Musik, die sich ihre Form selbst schafft, statt in eine (in Grundzügen) bestehende Form hineingepresst zu werden (z. B. Rondo, Sonatenhauptsatz)?
Aber hört der Laie wirklich so formorientiert? Ist eine solche "sich selbst definierende Form" nicht weniger artifiziell als Fugen und Sonatenhauptsätze und damit leichter zugänglich?Das kommt schon, glaube ich, ganz gut hin mit dem Erklärungsansatz. Allerdings würde ich nicht sagen, daß eine vorgegebene Form artifizieller ist, vielleicht wirkt sie auf manchen Hörer so.
Sehr erhellend sind ja Boulez' Ausführungen über Debussy, insbesondere was den Begriff der Zeit und der "I(rr)eversibilität" der musikalischen Ereignisse angeht.
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Zitat
Original von rappy
Vielleicht: Musik, die sich ihre Form selbst schafft, statt in eine (in Grundzügen) bestehende Form hineingepresst zu werden (z. B. Rondo, Sonatenhauptsatz)?
Aber hört der Laie wirklich so formorientiert? Ist eine solche "sich selbst definierende Form" nicht weniger artifiziell als Fugen und Sonatenhauptsätze und damit leichter zugänglich?Zumal die Sonate, jedenfalls in der Klassik, keine Form ist, in die etwas hereingepreßt werden muß, sondern eine Organisationsweise, die ziemlich flexibel sein kann. Hier würde ich behaupten, daß "sich selbst schaffende Formen" vermutlich schon beim späten Beethoven, spätestens bei Schumann (z.B. Fantasie, Humoreske, Kopfsatz des Klavierkonzerts) ausgemacht werden können. Oder man nehme Chopins Balladen oder die Polonaise-Fantaise...
Zitat
Wozu der Vergleich gut ist? Um dem laut JR befremdlichen Phänomen "Häufig ist erst gut 20 Jahre später Schluß, nämlich mit Mahlers Sinfonien und den Opern von Strauss." auf den Grund zu gehen.@JR: Der Laie hört natürlich nicht und denkt "Aha, ein Orgelpunkt auf der Dominante über 20 Takte und dann ein Trugschluss!", aber es ist die ihm unterbewusst vertraute Technik zur Schaffung von Spannung, Entspannung und Zielgerichtetheit.
ja, weil er es so gewöhnt ist. Aber er kann sich ja auch in Musik des 14. oder 16. Jhds, als von Funktionsharmonik im Sinne von ca. 1700-1900 noch keine Rede war, einhören und die dortigen Techniken zur Schaffung von Spannung, Entspannung usw. wahrnehmen lernen (was m.E. wg. der historischen Distanz keineswegs einfacher ist als bei Musik des 20. Jhds.). Ich behauptete oben nur, daß ungeachtet der Unterschiede, vom Ausdruck und vom Höreindruck passagenweise Atonales und Mahler durchaus ähnlich klingen können.
JR
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Lieber Johannes,
ZitatZumal die Sonate, jedenfalls in der Klassik, keine Form ist, in die etwas hereingepreßt werden muß, sondern eine Organisationsweise, die ziemlich flexibel sein kann. Hier würde ich behaupten, daß "sich selbst schaffende Formen" vermutlich schon beim späten Beethoven, spätestens bei Schumann (z.B. Fantasie, Humoreske, Kopfsatz des Klavierkonzerts) ausgemacht werden können. Oder man nehme Chopins Balladen oder die Polonaise-Fantaise...
Dennoch bleibt die Grundlage eine vorgegebene Form, die man erfüllt oder gegen die man ankomponiert. Bei Debussy löst sich die Form völlig auf, da auch thematische Beziehungen beliebig werden. In "Jeux" etwa entsteht alles aus allem, nicht Themen werden atomisiert, wie bei Beethoven, sondern Atome zu stets wechselnden neuen Gestalten zusammengefügt.
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ich muss mal etwas sehr subjektives schreiben
Musik und Kunst sind für mich niemals ganz zeitlos.
Vielleicht kann man sich dem entziehen, wenn man eben kein Wissen über Musikgeschichte oder Geschichte im allgemeinen hat
(letzteres ist allerdings fatal, meiner Meinung nach).Musik ist, wie die Kunst, immer eine Spiegel und ein Echo der Zeit, in der sie entstanden ist.
Es gibt aber "Epochen" oder "Zeitabschnitte" die mir einfach fremd bleiben und ähnlich geht es mir dann auch mit der Musik.zeitgenössische Musik ist natürlich auch ein Spiegel unserer Zeit.
Aber ich gebe zu, dass ich sie nicht wirklich als "Musik" wahrnehme.
So wie die Natur aus dem alltäglichen Leben verbannt wurde, so ist auch hier das "Natürliche" abhanden gekommen.Das ist keine Wertung, ich hoffe das ich mich verständlich machen kann :O
denn die Musik muss das ja aufgreifen - alles andere wäre Selbstbetrug.die Musik einer Zeit gibt auch gleichzeitig die Geisteshaltung einer Epoche wieder, vielleicht sogar die gesellschaftlichen Strukturen.
Vielleicht deswegen wirkt in vielen Fällen diese Musik beängstigend auf mich, es ist nichts mehr da was einem zum Träumen verführt, man kann dadurch in Trance geraten, aber das ist etwas anderes.
Es sind nicht mehr die Stimmen der Natur, vielmehr das Ächzen und Schnaufen der Maschinen. Der Stress und die Hecktig der Städte.
Eine gewisse Trance stellt sich ja auch bei der Fließbandarbeit ein, oder beim Betätigen der stets gleichen Hebel und Knöpfe.Vielleicht ist es wie mit dem bedrunkensein, wärend vielleicht Mozart wie Wein wirkt, ist Stockhausen wie Doppelkorn.
Was mir oft in der Musik unserer Zeit fehlt ist ein Stück Sinnlichkeit, aber diese emotionale "Kälte" spiegelt sich ja auch in der Architektur, auch in einem Großteil der Kunst und deren Präsentation wieder. Nicht zuletzt auch in den Menschen.
Je mehr wir über unsere Welt wissen umso weniger verstehen wir sie - und genau das spiegelt für mich diese Musik wieder.
Man wird oft mit der gleichen Ratlosigkeit zurückgelassen, wie es ein Formular oder ein Bescheid tut.Ich gebe zu dass ich aufgrund dieser Überlegungen fast gar keine zeitgenössische Musik mehr höre.
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Ach ja, früher war alles besser, sogar die Vergangenheit...
btw: was soll einen denn bei Beethovens 'Großer Fuge' zum Träumen animieren??
Grüße aus dem Wiesengrund
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Nun, ich glaube, einiges nachvollziehen zu können. Das Ächzen und Schnaufen der Maschinen, der Stress und die Kektik der Städte; ja, es ist wahr, dies kam und kommt natürlich in der Musik auch unter. Allerdings war dies, wie ich meine, in der modernen Musik nicht immer und gleichbleibend so. Es gab vor einigen Jahrzehnten Phasen, in denen diese "technisierte" Musik als Reaktion des äußerlichen Lebens, wie der Lullist richtig andeutet, besonders interessant und "in"war; in den letzten zwanzig oder dreißig Jahren (oder noch mehr?) ist dies aber weniger der Fall; ich meine, dass eine Rückbesinnung auf Romantik- und Naturempfinden eingetreten ist. Natürlich haben sich die Techniken gegenüber früher geändert, aber das hat ja mit der emotionalen Empfindung wenig zu tun.
Ich halte es für möglich, dass die "technische Phase" sehr nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat - im Positiven wie im Negativen. Viele Musikhörer werden den Ausdruck dieser Phase generell mit der modernen Musik im Allgemeinen in Verbindung bringen (wenn sie nicht schon den späten Schönberg als Erwartungshaltung für moderne Musik haben).
Uwe