BARENBOIM Daniel - Vom Pianisten zum Universalmusiker

  • So, wie es jetzt dargestellt wird, hatte das niemand in diesem Forum geschrieben. Also bitte keine Umdeutungen.

    Es hat keine "Umdeutung" stattgefunden:

    Ein würdevoller Abgang von der Bühne sieht für meine Begriffe wahrlich anders aus. Zunehmend schwer mit anzusehen.



    Nach dreißig Jahren auf ein und demselben Posten in Berlin würde ich Barenboim auch einen würdigen Abschied wünschen.

    Ist Dir entgangen, dass er zum 31. Januar diesen Jahres von diesem Posten zurückgetreten ist? Aber ich verstehe schon: Der "würdige Abschied" bzw. "würdevolle Abgang" müsste schon darin bestehen, dass er ab sofort auf jegliche öffentliche Musikausübung verzichtet, um den strengen Kriterien der Tamino-Musikfreunde zu genügen. Die wissen nämlich besser als er, was gut für ihn wäre. Außerdem können sie Konzerte beurteilen, bevor diese überhaupt stattgefunden haben. Beeindruckend.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Mein Schlüsselerlebnis in dieser Frage war ein Pollini-Konzert in Köln am 22. Januar 2019, wo er dasselbe Programm spielte wie jetzt Barenboim: die letzten drei Beethoven-Sonaten op. 109, op. 110 und op. 111. Ich hatte damals darüber berichtet "Ein Denkmal, sein Schatten und sein Aufbegehren":


    Maurizio Pollini - ein introvertierter Techniker?


    Die Ausgangslage von Barenboim ist ähnlich wie bei Pollini - jeder Barenboim-Liebhaber vergleicht ihn unweigerlich mit ihm selbst, seinen zahlreichen älteren Aufnahmen. Das ist für den Künstler eine Bürde, die leider dazu führen kann, dass man so einen Auftritt als in der Nähe einer Entwürdigung geratend empfindet. Pollini war damals - wohl die Folge seines reichlichen Konsums von Zigaretten - rein physisch nicht in der Lage, so ein Konzertprogramm mit drei bedeutenden Beethoven-Sonaten durchzustehen. Die Gefahr für den Künstler im Alter und belastet mit den dazu gehörenden Ausfallerscheinungen ist tatsächlich, sich selbst zu demontieren. Es gibt viele Beispiele, wo Pianisten im hohen Alter Höchstleistungen vollbracht haben - Horowitz, Rubinstein, Arrau. Andere haben sich wegen Krankheit zurückgezogen - Weissenberg hatte Parkinson, Ashkenazy hat ein für einen Pianisten ganz übles Artrose-Leiden. Der Künstler ist natürlich auch in der Versuchung, dass er sich beweisen will und die Grenze, wo er sich eigentlich bestimmte Dinge nicht mehr zumuten sollte, überschreitet. Damit tut er sich eigentlich keinen Gefallen. Bei Barenboim kann man es heute natürlich nicht beurteilen, wie seine Krankheit ihn und sein Spiel beeinflusst. Es kann sein, dass er mit sehr deutlich reduzierten Auftritten einen Modus gefunden hat, auf hohem Niveau zu spielen. Ich bin ein entschiedener Gegner von Altersdiskriminierung. Das Alter mit seinem Erfahrungsreichtum eines ganzen Lebens birgt einen ganzen Schatz von Erkenntnissen. Mich stört überhaupt nicht, wenn physisch bedingt im Alter bestimmte Dinge nicht mehr möglich sind wie früher (Arrau hat die Wucht der Oktaven bei der Listzt-Sonate mit fast 90 natürlich nicht mehr wie einst, man vermisst sie aber auch überhaupt nicht), auch die Fehler nicht, wenn der Vortrag seine eigene Qualität hat und eben nicht nur eine privatio jugendlicher Potenz ist. Das versierte Publikum bemerkt leider bei einem Pianisten-Denkmal jede Schwäche - das sollte der Künstler bedenken und sich vielleicht bestimmte Torturen nicht mehr zumuten.


    Schöne Grüße

    Holger

  • An Pollini habe ich auch gedacht; ich werde ihn eine knappe Woche nach Barenboim in der Elbphilharmonie hören. Meine Sorgen sind im Vorfeld bei ihm größer als bei Barenboim, weil ich bei ihm (Pollini) in den letzten Jahren gelegentlich den Eindruck nachlassender Konzentration hatte. Er neigte schon bei einigen seiner späteren Beethoven-Einspielungen zu einer gewissen rhythmischen und artikulatorischen Schlampigkeit, spielte über manches etwas eilig hinweg, während Barenboim umgekehrt jedem noch so winzigen Detail Sorgfalt und Hingabe zukommen lässt. Das ist eher ein typischer "Alters-Stil" als bei Pollini. Auch die jeweiligen Programme drücken das aus: Pollini mit "jugendlichem" Schumann (u.a. C-Dur-Fantasie) und Chopin (u.a. Barcarolle und h-moll-Scherzo), Barenboim mit Beethovens Abschied von der Sonaten-Welt. Diese drei Sonaten sind auch technisch eher unproblematisch, verglichen z.B. mit op. 101 oder gar 106. Dass ich trotzdem zu Pollini nach Hamburg fahre, hat einen simplen Grund: Ich möchte die vielleicht letzte Gelegenheit nutzen, eine solche lebende Legende noch einmal zu hören.


    jeder Barenboim-Liebhaber vergleicht ihn unweigerlich mit ihm selbst, seinen zahlreichen älteren Aufnahmen

    Das gilt für mich eigentlich nicht. Ich kenne zwar ein paar seiner früheren Beethoven-Sonaten, aber seine letzte Einspielung fand ich in vielerlei Hinsicht so neu, dass ich da beim Hören keine Vergleiche anstelle.

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    (Theodor W. Adorno)

  • Diese drei Sonaten sind auch technisch eher unproblematisch, verglichen z.B. mit op. 101 oder gar 106.

    Bei der 5. Variation von op. 109 hört man in Barenboims Neuaufnahme, dass das grifftechnisch heikel zu spielen ist. Aber ich schätze diese Einspielung sehr und bin schon auf Deine Eindrücke vom Konzert gespannt!


    Viele Grüße, Christian

  • Bei der 5. Variation von op. 109 hört man in Barenboims Neuaufnahme, dass das grifftechnisch heikel zu spielen ist. Aber ich schätze diese Einspielung sehr und bin schon auf Deine Eindrücke vom Konzert gespannt!

    Ja, man hört das an ein paar Stellen, aber niemals, auch in diesem Fugato nicht, führen solche pianistischen Begrenzungen in diesen Aufnahmen zu einer Verflachung des Ausdrucks, zu einem Überspielen von Stimmführungen oder zu mangelnder Sorgfalt bei der Phrasierung. Hier hebt er z.B. extrem die alterierten Basstöne im zweiten Teil der Variation hervor (durch Betonung und leichte Dehnung). Man hört, dass es ihm manuell schwer fällt, aber man hört vielleicht auch gerade deshalb, wie wichtig ihm alle diese Details sind. Diese Spannung finde ich außerordentlich bewegend. Ich bin sehr gespannt auf das Konzert. Ein befreundeter Musiker aus dem Divan-Orchester hat mir neulich übrigens erzählt, dass Barenboim im Gespräch mit einigen Musikern den Begriff der "Interpretation" für sich eher abgelehnt hat, weil jede Darbietung immer wieder neu sei. Schon vor über zehn Jahren hat er in einem Interview sinngemäß gesagt, man müsse den Mut haben, zu vergessen, wie man ein Stück früher einmal gespielt hat, um alles einfließen zu lassen, was man im Leben gelernt habe.

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  • Bei der 5. Variation von op. 109 hört man in Barenboims Neuaufnahme, dass das grifftechnisch heikel zu spielen ist. Aber ich schätze diese Einspielung sehr und bin schon auf Deine Eindrücke vom Konzert gespannt!

    Lieber Christian,


    das habe ich mir noch gar nicht angehört aus Zeitmangel. ;( Technische Schwächen hatte Barenboim immer. In früheren Jahrzehnten litt sein Klavierspiel unter notorischem Zeitmangel eines überbeschäftigten Tausendsassas (Pianist, Dirigent... ^^ ) , deswegen gefallen mir gerade seine späten Aufnahmen, wo man merkt, dass er sich für das Klavier nun mehr Zeit lassen kann. Ich erinnere mich an ein Barenbopim-Konzert in der Düsseldorfer Tonhalle wohl Ende der 80iger Anfang der 90iger Jahre, wo er viel Schumann spielte. Das war der einzige Konzertabend, wo ich mich wirklich geärgert habe. Mein Lehrer, selber Konzertpianist, mit dem ich da zusammen war, meinte damals: "So unvorbereitet wie der würde ich mich nicht auf´s Konzertpodium trauen!" Barenboim, wenn er nicht auf seiner Höhe war (meine These war damals immer, dass er unter seinen Möglichkeiten gespielt hat in vielen Fällen), konnte schon schlampig und auch ziemlich pauschal sein. :D Sein Spätstil ist das Gegenteil - es kommt eine feingeistige Detailarbeit und lyrische Intensität zustande, was ich sehr berührend finde. Ein schönes Beispiel ist auch die Aufnahme der Liszt-Konzerte mit seinem Freund Pierre Boulez, der da "sein" Orchester dirigiert. Sehr reizvoll. Man merkt schon, dass er anders als andere Liszt-Virtuosen diese gewisse Mühelosigkeit nicht hat. Pianistisch muss er hörbar "arbeiten". Die fehlende virtuose Leichtigkeit macht er aber mehr als wett damit, dass er wirklich etwas von der geistigen Welt von Franz Liszt versteht, in sie tief eingedrungen ist und nicht einfach nur ein oberflächliches virtuoses Feuerwerk abbrennt. Für mich ist das eine unverzichtbare Aufnahme eben deshalb. Bei Pollini ist die Sache etwas anders gelagert. Pollinis Vorbilder sind Michelangeli und Artur Rubinstein, mit dem er befreundet war. Von Rubinstein hat er das Bemühen um Natürlichkeit. (Barenboim sagte mal über Rubinstein: "Bei ihm geht alles durch ein Natürlichkeitsfilter.") Pollini, besonders im Alter, betont den Fluss im Verzicht auf alles Überflüssige, was diesen natürlichen Fluss stören könnte, auch die Details. Wo ihm das gelingt, ist er einfach großartig wie in den Nocturnes von Chopin oder auch Beethoven op. 22 - eine ganz eigene Sicht. Das Problem ist, wenn seine Physis und Konzentration nachlässt, dass dann diese "Reduktion auf das Wesentliche" zu einer gewissen Verwässerung wird. (Seine Aufnahme von op. 106 habe ich mir auch noch nicht anhören können!)


    Einen schönen Restsonntag und Maifeiertag wünschend

    Holger

  • Eben kam eine Mail des Klavierfestivals Ruhr, in der die Absage des Konzertes am kommenden Freitag mitgeteilt wurde. Es spielen statt dessen drei junge Pianisten, die von Barenboim an der Barenboim-Said-Akademie unterrichtet wurden: Fabian Müller, Julia Hamos und Schaghajegh Nosrati. Das Programm mit den drei letzten Beethoven-Sonaten bleibt gleich. Da ich eine relativ weite Anreise hätte, habe ich meine Karten doch zurückgegeben.

    (Leider hat ebenfalls heute auch Maurizio Pollini seinen Klavierabend in der Elbphilharmonie absagen müssen, da springt Anna Vinnitskaya ein, die zweifellos eine hervorragende Pianistin ist. Trotzdem werde ich wahrscheinlich auch die Tickets zurückgeben.)

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Ach wie schade!

    Fabian Müller und Schaghajegh Nosrat

    finde ich sehr interessant, aber man wird sie gewiss auch noch ein anderes Mal hören können.
    Viele Grüße, Christian