ABM - Arturo Benedetti Michelangeli

  • Wer dieses Repertoire mag - also Ravel, Rachmaninow - kommt einfach an ABMs Aufnahme nicht vorbei. Insofern hat sie schon einen hohen Bekanntheitsgrad.

    Das stimmt so natürlich nicht - die wenigsten Leute, die dieses Repertoire mögen, sammeln verschiedene Aufnahmen und vergleichen sie.

  • Gerade habe ich in die 1982iger Londoner-Aufnahme reingehört und dann die von 1992 aus München ganz (mit meinen Desktop-Lautsprechern). Die zehn Jahre später entstandene Aufnahme ist noch nachdrücklicher, "subjektiver", bekommt den Ausdruck des Gequälten. Schon die 1982iger Aufnahme gibt den rhythmischen Akkorden fast schon rhetorische Prägnanz - das verstärkt sich nun noch. Vor dem Blues-Thema nehmen sie 1992 das Tempo heraus und ABM gestaltet die wie Gitarrensaiten angerissenen Akkorde als expressive Ausbrüche. Das ist 1982 noch nicht so drastisch. Dann macht er einen dicken Fehler... Er war einfach ein totkranker Mann zu dieser Zeit. Insgesamt ist das Tempo langsamer - besonders im Finale. In beiden Aufnahmen ist der langsame Satz einfach himmlisch! Da gerate ich jedes Mal ins Schwärmen. In der letzten Aufnahme kommen auch da die Akkorde stellenweise wie schmerzverzerrte Ausbrüche - so perspektivenreich und tiefgängig spielt diesen langsamen Satz einfach Niemand. Die 1982iger Aufnahme gefällt mir ganz ausgezeichnet. Da ist noch diese gewisse befreiende Gelöstheit da. 1992 wirkt er dagegen so, als müsse er sich in seinem Schmerz zu einer solchen "Heiterkeit" selbst überwinden, die so auch nicht wirklich aufkommt. Insgesamt finde ich das London SO vom Orchester her besser. Toll allerdings in der Münchner Aufnahme Celi im letzten Satz, wie er da die Orchestergruppen auflichtet. Ich freue mich schon, wenn die CD (die Londoner Aufnahme) kommt...


    Noch ein Tip: Die 1959iger Aufnahme gibt es auch als SACD vom Praga-Label - sehr empfehlenswert:


  • Zitat

    Symbol fragt:


    Das mag ja alles sein, aber worin genau bestehen denn diese Qualitäten, auf die Du Dich beziehst? Ich habe mir vorgenommen, die Aufnahme heute Abend erneut zu hören, und wüsste gerne, worauf ich dabei besonders achten sollte und welche Eigenschaften sie von anderen Aufnahmen abheben.


    Sei nicht so bequem, besorge dir mehrere Einspielungen und höre sie ganz unbefangen an.


    Wenn dir dann der Unterschied zu der besagten ABM Aufnahme nicht klar wird, macht das auch nichts.


    Schließlich sind die Geschmäcker verschieden.


    Ich persönlich kann die Meinung/Empfehlung von Holger durchaus nachempfinden, auch wenn die Aufnahme leider ein durchgehendes leichtes Bandrauschen aufweist, das aber noch hinnehmbar ist.

  • Ich habe mir vorgenommen, die Aufnahme heute Abend erneut zu hören, und wüsste gerne, worauf ich dabei besonders achten sollte und welche Eigenschaften sie von anderen Aufnahmen abheben.

    Ich habe die Aufnahme nach längerer Zeit mal wieder gehört. Es gibt eigentlich nur eine, allerdings extrem wichtige Eigenschaft, die sie für mich gegenüber den meisten anderen Aufnahmen hervorhebt: Michelangeli schafft es perfekt, diese für Ravel so typische Verbindung von Ausdruck und Distanz herzustellen. Das hat bei aller Emotionalität immer auch eine gewisse analytische Kälte, die sich z.B. in rhythmischer Härte, glasklarer Artikulation und transparenter Strenge zeigt. Die Musik klingt unromantisch, aber überhaupt nicht ausdrucksarm oder mechanisch. Das ist etwas, was mich auch bei Michelangelis diversen Darbietungen von "Gaspard de la Nuit" extrem beeindruckt hat, am meisten live in der Kölner Philharmonie 1987. Viele Pianisten spielen die Ecksätze daraus als Virtuosenreißer und den Mittelsatz als tragische Schmonzette, bei Michelangeli bekam man wirklich das Frösteln. Das ist beim Konzert natürlich anders, weil es inhaltlich nicht mit "Gaspard" zu vergleichen ist, aber diese kühle Distanz spürt man auch hier, und sie passt zu dem Stück - und fast immer zu Ravel - ganz ausgezeichnet (gerade deshalb stört mich aber auch das erwähnte "ausdrucksvolle Nachklappern" im langsamen Satz). Pianistisch ist die Aufnahme natürlich ohne Fehl und Tadel, aber das ist sie bei ungezählten anderen Pianisten auch. Das Konzert gehört pianistisch ohne Frage zu den leichten seiner Gattung, weshalb die technische Beherrschung nicht weiter erwähnenswert ist. Und selbst bei Michelangeli "stehen" die Töne nach ihrem Anschlag nicht sondern verklingen ganz normal ;).

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

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  • Ich habe die Aufnahme nach längerer Zeit mal wieder gehört. Es gibt eigentlich nur eine, allerdings extrem wichtige Eigenschaft, die sie für mich gegenüber den meisten anderen Aufnahmen hervorhebt: Michelangeli schafft es perfekt, diese für Ravel so typische Verbindung von Ausdruck und Distanz herzustellen. Das hat bei aller Emotionalität immer auch eine gewisse analytische Kälte, die sich z.B. in rhythmischer Härte, glasklarer Artikulation und transparenter Strenge zeigt. Die Musik klingt unromantisch, aber überhaupt nicht ausdrucksarm oder mechanisch. Das ist etwas, was mich auch bei Michelangelis diversen Darbietungen von "Gaspard de la Nuit" extrem beeindruckt hat, am meisten live in der Kölner Philharmonie 1987. Viele Pianisten spielen die Ecksätze daraus als Virtuosenreißer und den Mittelsatz als tragische Schmonzette, bei Michelangeli bekam man wirklich das Frösteln. Das ist beim Konzert natürlich anders, weil es inhaltlich nicht mit "Gaspard" zu vergleichen ist, aber diese kühle Distanz spürt man auch hier, und sie passt zu dem Stück - und fast immer zu Ravel - ganz ausgezeichnet (gerade deshalb stört mich aber auch das erwähnte "ausdrucksvolle Nachklappern" im langsamen Satz). Pianistisch ist die Aufnahme natürlich ohne Fehl und Tadel, aber das ist sie bei ungezählten anderen Pianisten auch. Das Konzert gehört pianistisch ohne Frage zu den leichten seiner Gattung, weshalb die technische Beherrschung nicht weiter erwähnenswert ist. Und selbst bei Michelangeli "stehen" die Töne nach ihrem Anschlag nicht sondern verklingen ganz normal ;).

    Ja, es ist eine kühle Distanz, die gleichzeitig emotional sehr tief berühren kann.


    Was mir dabei irgendwann bewußt geworden ist, ist diese perfekte Intonation des Flügels bezogen auf das Werk.


    Das Zweite ist dieser damit verbundene spezielle Anschlag - gerade bei den leisen Stellen im 2.Satz -, sehr knapp und mit der richtigen Härte, wodurch er dieses eigenartige Ausschwingen des Tones erzeugt, der damit so ungewöhnlich lang im Nichts verhallt.

  • Die Aufnahme aus München finde ich klanglich sehr bescheiden, aber jetzt muss ich da wohl doch mal reinhören!

    Ja - es klingt so, als ob man im Konzertsaal in der letzten Reihe sitzt und der Klang ist auch nicht besonders durchsichtig. ^^ Die Akustik im Gasteig ist bekanntlich nicht so berauschend - wenn dazu noch eine eher mäßige Aufnahmetechnik kommt, ist das Resultat eben dieses. Trotzdem ist das ein wertvolles Dokument, finde ich. Im Unterschied zu ABMs letztem Konzert in Hamburg, wovon es zum Glück einen "illegalen" Mitschnitt eines Zuhörers gibt, wo er - überraschend - im Falle von Debussys Images zu einem neuen Interpretationsansatz gekommen ist, hat er beim Ravel-Konzert sein Grundkonzept offenbar beibehalten - allerdings mit für seinen Spätstil typischen neuen Akzenten einer gewissen Subjektivierung und Neigung zur expressiven Prägnanz und insistierenden Nachdrücklichkeit. :hello:

  • Das Zweite ist dieser damit verbundene spezielle Anschlag - gerade bei den leisen Stellen im 2.Satz -, sehr knapp und mit der richtigen Härte, wodurch er dieses eigenartige Ausschwingen des Tones erzeugt, der damit so ungewöhnlich lang im Nichts verhallt.

    Das mit dem "Anschlag" ist so eine Sache: Grundsätzlich ist es bei einem Klavier oder Flügel aufgrund der Funktionsweise der Mechanik vollkommen unmöglich, ein und denselben Ton ohne (rechtes oder linkes) Pedal zweimal in derselben Lautstärke, aber in verschiedenen Klangfarben zu spielen. Ein einzelner Ton ist immer nur lauter oder leiser, aber niemals bei gleicher Lautstärke "härter" oder "weicher", egal ob dieser Ton von Michelangeli oder von seinem Friseur angeschlagen wird. Das liegt ganz einfach daran, dass die Mechanik den Hammerkopf nicht bis zur Saite bringt, sondern ein kurzes Stück davor stoppt, so dass der Hammerkopf diese letzten Millimeter frei und unbeeinflussbar zur Saite fliegt. Dort gibt es als einzigen klangbestimmenden Parameter die Geschwindigkeit, mit der der Kopf auf die Saite trifft, was zu einem lauteren oder leiseren Ton führt. Alles andere, also ob dieser Ton härter oder weicher klingt, wie lange er nachklingt, welchen Dynamik- und Klangverlauf er dabei nimmt, liegt außerhalb jeglicher Einflussmöglichkeit des Pianisten. Die Sache ändert sich, wenn man die Pedale einsetzt: Das rechte Pedal kann man z.B. vor, mit oder (wie üblich) kurz nach dem Anschlag treten und dadurch die Resonanz des Tones verändern, beim linken una-corda-Pedal ist die Klangänderung sowieso klar, zudem kann man beide Pedale kombiniert einsetzen. Das mit Abstand wichtigste technische Mittel, um Klangfarben zu erzeugen, ist aber die Balance zwischen den Stimmen: Schon bei zwei gleichzeitig angeschlagenen Tönen ergibt sich dadurch eine Vielzahl von Klangmöglichkeiten, die dann durchaus als "härter" (weil mit mehr Betonung der Oberstimme), "weicher" (ausgeglichene Balance) oder auch "dunkler" (mehr Unterstimme) usw. empfunden bzw. so eingesetzt werden können. Und bei Akkorden, oder bei Melodien über arpeggierten oder akkordischen Begleitfiguren usw. ist die Zahl der klangfarblichen Möglichkeiten durch die dynamische Binnendifferenzierung quasi unendlich. Es geht bei klangfarbenreichem Spiel immer darum, diese Balancen gezielt und präzise einzusetzen. Bei langen Melodietönen im Diskant ist die Sache besonders heikel, weil Klaviertöne umso schneller verklingen, je höher sie liegen, so dass schon beim Anschlag die Balance zwischen Melodie und Begleitung so getroffen werden muss, dass die Melodietöne auch am Ende noch hörbar über der Begleitung stehen. Das Geheimnis solcher "eigenartig ausschwingender" Töne ist also nicht der "Anschlag" an sich sondern die perfekte Balancierung der Stimmen.

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  • Ich habe die Aufnahme nach längerer Zeit mal wieder gehört. Es gibt eigentlich nur eine, allerdings extrem wichtige Eigenschaft, die sie für mich gegenüber den meisten anderen Aufnahmen hervorhebt: Michelangeli schafft es perfekt, diese für Ravel so typische Verbindung von Ausdruck und Distanz herzustellen. Das hat bei aller Emotionalität immer auch eine gewisse analytische Kälte, die sich z.B. in rhythmischer Härte, glasklarer Artikulation und transparenter Strenge zeigt. Die Musik klingt unromantisch, aber überhaupt nicht ausdrucksarm oder mechanisch.

    So ähnlich beschreibt das auch Svjatoslav Richter, dass er Michelangelis "Kühle" hier als sehr angemessen empfindet. Wobei ich das nie als "kühl" empfunden habe. Letztlich ist das eine Frage der Rezeptionshaltung. Ravels Musik ist natürlich keine Romantik, und wenn man wie die russische Schule einen Expressivo-Stil pflegt, kann man diese sehr ästhetische, gewisse objektivierende Distanz als "kühl" empfinden. Sie kann aber auch etwas Befreiendes haben. Bei Homer ist es das Glück der Götter, selber kein Schicksal zu haben und dem schicksalhaften Handeln der Menschen aus der Distanz zuschauen zu können. Die Lust des Anschauens unter blauem Himmel lässt die emotionalen Gehalte ja nicht verschwinden, sie stehen gleichsam wie in einer Glasvirtrine vor einem, weden nur nicht unmittelbar erlebt, sondern ästhetisch distanzierend angeschaut.

    Das ist etwas, was mich auch bei Michelangelis diversen Darbietungen von "Gaspard de la Nuit" extrem beeindruckt hat, am meisten live in der Kölner Philharmonie 1987. Viele Pianisten spielen die Ecksätze daraus als Virtuosenreißer und den Mittelsatz als tragische Schmonzette, bei Michelangeli bekam man wirklich das Frösteln. Das ist beim Konzert natürlich anders, weil es inhaltlich nicht mit "Gaspard" zu vergleichen ist, aber diese kühle Distanz spürt man auch hier, und sie passt zu dem Stück - und fast immer zu Ravel - ganz ausgezeichnet

    Ich habe damals das Konzert in Düsseldorf in der Tonhalle gehört - das er unmittelbar davor oder danach gegeben hat. Anders als in den meisten Konzertmitschnitten hat er da die Tremoli bei Ondine sagenhaft dicht gespielt, wie eine Klangfläche. Es wird auch berichtet, dass er speziell diesen Satz in unterschiedlichen Interpretationen dargeboten hätte, was dies bestätigt. ABMs Interpretation finde ich auch ungemein beeindruckend: Le Gibet ist weder Impressionismus noch Romantik. Es ist durch Gaby Casadesus überliefert, dass Ravel Le Gibet im gleichsam "stahlharten" Metrum gespielt haben wollte, ohne die geringste Abweichung. Das steht auch da als Spielanweisung: "Ni presser ni ralentir jusqu´a la fin".

    (gerade deshalb stört mich aber auch das erwähnte "ausdrucksvolle Nachklappern" im langsamen Satz).

    Das Tolle bei ABM ist aber, dass er da nicht einfach nur expressivo spielt, sondern diese gewisse lyrisch-klassische Schlichtheit wahrt und die Expressivität dieses Blues ins Metaphysische eines nunc stans hebt, nicht zuletzt durch seinen Ton, der quasi unendlich nachklingt (1959, wo man es nun wirklich eindrucksvoll hören kann - nicht 1982 oder 1992 allerdings). Damit ist auch hier die ästhetische Distanz in der Intimität gewahrt für meinen Geschmack.

    Pianistisch ist die Aufnahme natürlich ohne Fehl und Tadel, aber das ist sie bei ungezählten anderen Pianisten auch. Das Konzert gehört pianistisch ohne Frage zu den leichten seiner Gattung, weshalb die technische Beherrschung nicht weiter erwähnenswert ist.

    Sicher ist im Vergleich mit Gaspard de la nuit das G-Dur-Konzert eher "leicht". Aber!!! Die Triller! Im 1. Satz holpern nahezu alle Pianisten (Ausnahme: Krystian Zimerman), wo ABM die Triller in die Läufe wie Butter gleiten lässt, so dass man die Übergänge nicht hört. Dazu gibt er ihnen auch noch einen Drall - das ist außergewöhnlich. Und dann der lang gezogene Triller im zweiten Satz, den er unglaublich dicht spielt. Kein anderer Pianist verfügt über so eine Trillertechnik!

  • Ravels Musik ist natürlich keine Romantik, und wenn man wie die russische Schule einen Expressivo-Stil pflegt, kann man diese sehr ästhetische, gewisse objektivierende Distanz als "kühl" empfinden. Sie kann aber auch etwas Befreiendes haben.

    Sie hat aber auch etwas Beängstigendes, Erschreckendes. Die ungeheure Konsequenz, mit der Ravel z.B. im "Bolero", in "La Valse" oder im zweiten und dritten Satz der Violinsonate eine einzige Idee bis zum äußersten Extrem treibt, ist auch Ausdruck der unausweichlichen Katastrophe. Die Strenge bei Ravel gibt, anders als z.B. bei Beethoven, keinen "Trost der Form" sondern wirkt oft bedrohlich und unnahbar. Im Klavierkonzert steht das nicht allein im Vordergrund, spielt aber z.B. bei den gehämmerten Steigerungen der Ecksätze durchaus eine wichtige Rolle, und indirekt auch im instabilen, ambivalenten Metrum des Mittelsatzes.


    Sicher ist im Vergleich mit Gaspard de la nuit das G-Dur-Konzert eher "leicht". Aber!!! Die Triller! Im 1. Satz holpern nahezu alle Pianisten (Ausnahme: Krystian Zimerman), wo ABM die Triller in die Läufe wie Butter gleiten lässt, so dass man die Übergänge nicht hört. Dazu gibt er ihnen auch noch einen Drall - das ist außergewöhnlich. Und dann der lang gezogene Triller im zweiten Satz, den er unglaublich dicht spielt. Kein anderer Pianist verfügt über so eine Trillertechnik!

    So weit würde ich nicht gehen. Der "Triller-König" der Gegenwart ist Grigory Sokolov, der sogar (z.B. bei Rameau) gelegentlich in Versuchung gerät, seine Brillanz ein bisschen zu sehr zur Schau zu stellen.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Zitat

    Sie hat aber auch etwas Beängstigendes, Erschreckendes. Die ungeheure Konsequenz, mit der Ravel z.B. im "Bolero", in "La Valse" oder im zweiten und dritten Satz der Violinsonate eine einzige Idee bis zum äußersten Extrem treibt, ist auch Ausdruck der unausweichlichen Katastrophe. Die Strenge bei Ravel gibt, anders als z.B. bei Beethoven, keinen "Trost der Form" sondern wirkt oft bedrohlich und unnahbar.

    Diesen Eindruck erweckte es anfangs bei mir auch, allerdings änderte sich das im Laufe der Zeit.


    Ravel geht bewußt neue Wege, durch die Abweichung vom Gewohnten fordert er damit den Hörer, aber selbst die so disonanten Sonate für Violine und Cello (meine Lieblingsaufnahme ist die von Kantorow/Fujiwara) nehme ich zwischenzeitlich zum Entspannen.

  • Holger beschreibt das Besondere von Ravels Kompositionen sehr treffend, finde ich.


    Man könnte vielleicht noch ergänzen, dass die Strenge der Form bei Ravel absolut auch manische Züge hat und damit Schichten freilegt, die stilistisch erst in der Moderne erkundet wurden.


    Viele Grüße

    Christian

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  • Ein einzelner Ton ist immer nur lauter oder leiser, aber niemals bei gleicher Lautstärke "härter" oder "weicher", egal ob dieser Ton von Michelangeli oder von seinem Friseur angeschlagen wird. Das liegt ganz einfach daran, dass die Mechanik den Hammerkopf nicht bis zur Saite bringt, sondern ein kurzes Stück davor stoppt, so dass der Hammerkopf diese letzten Milimeter frei und unbeeinflussbar zur Saite fliegt. Dort gibt es als einzigen klangbestimmenden Parameter die Geschwindigkeit, mit der der Kopf auf die Saite trifft, was zu einem lauteren oder leiseren Ton führt. Alles andere, also ob dieser Ton härter oder weicher klingt, wie lange er nachklingt, welchen Dynamik- und Klangverlauf er dabei nimmt, liegt außerhalb jeglicher Einflussmöglichkeit des Pianisten.

    Das wundert mich allerdings zu lesen, weil es doch die Komplexität des Anschlagsproblems in unzulässiger Weise reduziert. Ein Friseur kann eben ein Klavier nicht anschlagen wie Michelangeli. Ausgeblendet werden hier nämlich u.a. sämtliche Probleme, die mit der Gewichtsverteilung zu tun haben, also wie Druck auf die Tasten ausgeübt wird. Wie wird das Körper- bzw. Armgewicht eingesetzt? Wird mehr oder ganz aus dem Handgelenk gespielt oder der Arm und das Körpergewicht genutzt, um den Druck zu erhöhen? Wie ist die Sitzhaltung? Wie die Stellung der Hände? Sowohl ein Emil Gilels als auch ein Andrei Gawrilow spielen sehr dynamisch. Aber Gilels hat eben nie diesen unschönen harten Ton wie Gawrilow. Warum, dass weiß man, wenn man sich genau anschaut, wie Gilels am Flügel sitzt. (Gawrilow hat, wie er selbst sagt, an seiner früher unzulänglichen Anschlagskultur später gearbeitet. Offenbar mit Erfolg. In Bielefeld habe ich ihn erlebt mit dem Tschaikowsky-Konzert. Da hatte er eine fast Volodos verdächtige Spielkultur.) Dann kommt der Tastentiefgang. Rubinstein spielte Flügel mit großer Tastentiefe, Horowitz´ (er kultivierte die Flachtastentechnik seines Lehrer Felix Blumenfeld) Steinway hatte einen sehr geringen Tastentiefgang. Seine ganze Spieltechnik war auf diese speziell für ihn eingerichtete Flügelmechanik ausgerichtet. All das begreift der Friseur nicht, wenn er einfach auf die Tasten haut. :D

    Danke für diese Ausführungen, ich habe nie verstanden, was in dem Zusammenhang "Anschlag" heißen soll.

    Cord Garben, der ja ABMs Schüler war, erklärt immer wieder gerne, was das Besondere der Anschlagstechnik von ABM war, nämlich dass er perfekt den Druckpunkt beherrschen konnte. Natürlich gibt es verschiedene Anschlagstechniken - weswegen man ja auch die großen Pianisten an ihrem unverwechselbaren Ton erkennen kann.

    Sie hat aber auch etwas Beängstigendes, Erschreckendes. Die ungeheure Konsequenz, mit der Ravel z.B. im "Bolero", in "La Valse" oder im zweiten und dritten Satz der Violinsonate eine einzige Idee bis zum äußersten Extrem treibt, ist auch Ausdruck der unausweichlichen Katastrophe. Die Strenge bei Ravel gibt, anders als z.B. bei Beethoven, keinen "Trost der Form" sondern wirkt oft bedrohlich und unnahbar. Im Klavierkonzert steht das nicht allein im Vordergrund, spielt aber z.B. bei den gehämmerten Steigerungen der Ecksätze durchaus eine wichtige Rolle, und indirekt auch im instabilen, ambivalenten Metrum des Mittelsatzes.

    Ja, aber bei den Konzerten darf man nicht vergessen, dass Ravel zwei Konzerte zur gleichen Zeit komponiert hat mit ganz bewusst gegensätzlichem Charakter: das tragische Konzert für die linke Hand mit seinen Extremen und das G-Dur-Konzert, was die Ausgewogenheit eines klassischen Konzertes hat und auch behalten soll. Das G-Dur-Konzert darf auch nicht einfach klingen wie ein Jazz-Konzert. Da gibt es diese Ravel-spezifische Sublimierung, wo man eben genau die richtige Balance finden und den richtigen Ton treffen muss.

    So weit würde ich nicht gehen. Der "Triller-König" der Gegenwart ist Grigory Sokolov, der sogar (z.B. bei Rameau) gelegentlich in Versuchung gerät, seine Brillanz ein bisschen zu sehr zur Schau zu stellen.

    Besonders heikel sind die Triller bei Beethoven op. 111. Insbesondere der zweite Triller, wo der von Beethoven gemein in den 4. und 5. Finger gesetzt ist und der Spieler dazu mit dem Daumen eine Quinte und Oktave greifen muss. Selbst große Techniker wie Gulda oder Pogorelich öffnen da immer, wenn der Daumen dazukommt, den Triller. Nur einer zieht den Triller durch: Michelangeli. Ich kenne persönlich einen Tontechniker, der hat Michelangelis Aufnahme in seinem Studio in halber Geschwindigkeit ablaufen lassen und das auf dem Oszillographen angezeigt: Null Abweichung. Ob Sokolov das auch hinbekommt? :D

  • Das wundert mich allerdings zu lesen, weil es doch die Komplexität des Anschlagsproblems in unzulässiger Weise reduziert. Ein Friseur kann eben ein Klavier nicht anschlagen wie Michelangeli. Ausgeblendet werden hier nämlich u.a. sämtliche Probleme, die mit der Gewichtsverteilung zu tun haben, also wie Druck auf die Tasten ausgeübt wird. Wie wird das Körper- bzw. Armgewicht eingesetzt? Wird mehr oder ganz aus dem Handgelenk gespielt oder der Arm und das Körpergewicht genutzt, um den Druck zu erhöhen? Wie ist die Sitzhaltung? Wie die Stellung der Hände? Sowohl ein Emil Gilels als auch ein Andrei Gawrilow spielen sehr dynamisch. Aber Gilels hat eben nie diesen unschönen harten Ton wie Gawrilow. Warum, dass weiß man, wenn man sich genau anschaut, wie Gilels am Flügel sitzt. (Gawrilow hat, wie er selbst sagt, an seiner früher unzulänglichen Anschlagskultur später gearbeitet. Offenbar mit Erfolg. In Bielefeld habe ich ihn erlebt mit dem Tschaikowsky-Konzert. Da hatte er eine fast Volodos verdächtige Spielkultur.) Dann kommt der Tastentiefgang. Rubinstein spielte Flügel mit großer Tastentiefe, Horowitz´ (er kultivierte die Flachtastentechnik seines Lehrer Felix Blumenfeld) Steinway hatte einen sehr geringen Tastentiefgang. Seine ganze Spieltechnik war auf diese speziell für ihn eingerichtete Flügelmechanik ausgerichtet. All das begreift der Friseur nicht, wenn er einfach auf die Tasten haut. :D

    Cord Garben, der ja ABMs Schüler war, erklärt immer wieder gerne, was das Besondere der Anschlagstechnik von ABM war, nämlich dass er perfekt den Druckpunkt beherrschen konnte. Natürlich gibt es verschiedene Anschlagstechniken - weswegen man ja auch die großen Pianisten an ihrem unverwechselbaren Ton erkennen kann.

    Das führt wohl in die Irre, ich nehme an, dass das alles Techniken sind, die dem Pianisten ermöglichen, eine größere Kontrolle zu bekommen, die Töne eben verschieden laut zu spielen. Der Einzelton wird in seiner Klangfarbe davon nicht beeinflusst.

  • Das führt wohl in die Irre, ich nehme an, dass das alles Techniken sind, die dem Pianisten ermöglichen, eine größere Kontrolle zu bekommen, die Töne eben verschieden laut zu spielen. Der Einzelton wird in seiner Klangfarbe davon nicht beeinflusst.

    Hast Du selbst mal Klavier gespielt? Ich kann einen Ton in derselben Lautstärke einmal so anschlagen, dass er unangenehm scharf klingt, oder aber "rund" und eine gewisse Fülle und Gewichtigkeit hat. Für den Spieler ist letztlich entscheidend, wie er aufgrund von welcher Haltung und Anschlagstechnik ein bestimmtes Resultat erzielt. Die "Erklärung" ist dann eine andere Sache. Der Anschlag beeinflusst nicht nur die rein physische Lautstärke, sondern eben auch den "Charakter" des Tons.

  • Ich spiele, so wie Du, laienhaft Klavier. Denselben Ton in derselben Lautstärke ohne Pedal einmal scharf und einmal nicht, gibt's nicht.


    Fragen wir mal die Fachliteratur.

    >>... Höchste, was die Technik hervorbringen soll. Sie gipfelt für das Klavier im Anschlag. Anschlag aber ist Tondosierung. Beim Klavier haben wir entsprechend seinen mechanischen Einrichtungen durch den Anschlag lediglich einen Einfluß auf die Tonstärke und Tondauer.<<

    "Die Anschlagsbewegungen beim Klavierspiel." Alexander Ritschl, Vieweg 1911, Seite 3

  • Nochmal kurz zur Erinnerung, was ChKöhn dazu geschrieben hatte:


    Grundsätzlich ist es bei einem Klavier oder Flügel aufgrund der Funktionsweise der Mechanik vollkommen unmöglich, ein und denselben Ton ohne (rechtes oder linkes) Pedal zweimal in derselben Lautstärke, aber in verschiedenen Klangfarben zu spielen.


    Ich glaube, dass Christian schon mal Klavier gespielt hat (habe ich mir sagen lassen). :)


    LG :hello:

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  • Das wundert mich allerdings zu lesen, weil es doch die Komplexität des Anschlagsproblems in unzulässiger Weise reduziert. Ein Friseur kann eben ein Klavier nicht anschlagen wie Michelangeli.

    Bei einem einzelnen Ton ohne Pedal - und um den ging es hier - kann der Friseur das ebensogut wie jeder andere. Es ist unmöglich, ein und denselben Ton in derselben Lautstärke, aber mit verschiedener Klangfarbe zu spielen, wer immer auch die Taste bedient. Das ist keine "unzulässige Reduktion" sondern eine physikalische (und auch leicht nachprüfbare) Tatsache, die sich zwingend daraus ergibt, dass mit dem "Anschlag" immer nur ein fest installierter Hammerkopf an einer voherbestimmten Stelle auf die Saite trifft und dass dabei der einzige steuerbare Parameter die Geschwindigkeit des Hammers ist. Sogar den eigentlichen Kontakt zwischen Hammerkopf und Saite kann man nicht mehr steuern, weil der Hammerkopf die letzten Millimeter frei fliegt. Die Arbeit des Pianisten ist also bereits kurz vor dem Beginn des Tons getan, und er hat dann auch keinen Einfluss mehr auf den weiteren Klang (wie gesagt immer ohne die Pedalmöglichkeiten, also reduziert auf den eigentlichen "Anschlag").


    Ausgeblendet werden hier nämlich u.a. sämtliche Probleme, die mit der Gewichtsverteilung zu tun haben, also wie Druck auf die Tasten ausgeübt wird. Wie wird das Körper- bzw. Armgewicht eingesetzt? Wird mehr oder ganz aus dem Handgelenk gespielt oder der Arm und das Körpergewicht genutzt, um den Druck zu erhöhen? Wie ist die Sitzhaltung? Wie die Stellung der Hände?

    Das alles hat mit den klanglichen Möglichkeiten einzelner Töne nicht das Geringste zu tun. Die kann man auch mit Gipsarm anschlagen, ohne dass die Klangqualität sich um einen Deut verändert. Was auch immer man für ausgeklügelte Bewegungen vor oder während des Anschlags macht, im Ergebnis wird immer nur der fest installierte Hammerkopf mit höherer oder niedrigerer Geschwindigkeit gegen die Saite geschleudert, und diese Geschwindigkeit ist die einzige Variable der Klanggestaltung. Nur: Selbstverständlich ist es trotzdem sinnvoll, sich mit Armgewicht, Körpergewicht, Stellung der Hände, muskulären Verhältnissen im ganzen Bewegungsapparat und vielem mehr zu beschäftigen, weil man die zur Klanggestaltung nötige und entscheidende Binnendifferenzierung gleichzeitg oder zeitnah angeschlagener Töne damit erst steuern kann. Der harte Ton bei Gawrilow kam nicht durch einen "harten Anschlag" sondern durch eine mangelnde Binnendifferenzierung mehrerer gleichzeitig oder zeitnah angschlagenener Töne. Ein Akkord, der z.B. von unten bis oben mit der gleichen Forte-Intensität angeschlagen wird, klingt "hart", weil die Diskanttöne schneller verklingen, dann von den darunter liegenden Tönen verschluckt werden und foglich nicht tragfähig sind. Das liegt aber nicht daran, dass sie zu "hart" angeschlagen worden wären, sondern dass die Balance innerhalb des Akkords nicht stimmt. Man muss sich einen einzelnen Klavieranschlag so vorstellen wie einen Ball, der an einer Stange befestigt ist, die mit einem Gelenk an der Decke hängt: Wenn man diese Stange jetzt gegen die Wand schleudert, kann man ausgeklügelte Bewegungen machen, kann mit Anlauf oder aus dem Stand, mit ganzem Körpereinsatz oder nur mit einem Arm arbeiten, den Ball mit dem Fuß treten, köpfen oder was auch immer. Im Ergebnis wird der Ball die Wand immer an derselben Stelle und immer nur schneller oder langsamer treffen, aber nie bei gleicher Geschwindigkeit "härter" oder "weicher". Genauso funktioniert ein Klavier prinzipiell auch. Die unglaubliche Klangfarbenvielfalt (und damit auch die immensen Unterschiede zwischen Pianisten) kommen aus dem Einsatz der beschriebenen Mittel, also vor allem Balance und Pedalbehandlung. Hinzu kommt, dass man im Gegensatz zum Beginn der Töne ihr Ende sehr wohl aktiv gestalten kann, indem man die Dämpfung schneller oder langsamer auf die Saite setzt, Überblendeffekte zu Nachbartönen nutzt usw..


    Das führt wohl in die Irre, ich nehme an, dass das alles Techniken sind, die dem Pianisten ermöglichen, eine größere Kontrolle zu bekommen, die Töne eben verschieden laut zu spielen. Der Einzelton wird in seiner Klangfarbe davon nicht beeinflusst.

    Genauso ist es.

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    (Theodor W. Adorno)

  • Ist aber einfach falsch - theoretisch wie praktisch!


    ChKöhn hat das gerade ausführlich erläutert, Eure Beiträge haben sich vermutlich überschnitten. Die Gesetze der Physik kann man halt nicht aushebeln.


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  • "Klangrede am Klavier: Aufführungspraxis im 18. und 19. Jahrhundert"

    von Johan van Beek (Bärenreiter, 2016)


    hat eine andere Meinung (als ChKöhn und ich):

    >>Man kann verfolgen, wie der Hammer über eine Strecke von ca.48 mm - das sind 96% des Hammerwegs - durch Tastendruck hochgehoben wird [...] welch ein Unterschied, entweder über 96 % des Hammerwegs mit dem Hammer tun zu können, was man möchte, oder den Kontakt mit dem Hammer von Anbeginn zu verlieren! [...] Das Ergebnis ist ein runder, nicht stechender Ton, sowohl im Piano als auch im Forte.<<

    (S. 69f)


    Man müsste das experimentell nachweisen mit Aufnahme genau eines Tones, einmal rund und einmal stechend gespielt. Ich glaub's nicht.

  • Die Gesetze der Physik kann man halt nicht aushebeln.

    Ich halte es sogar für Pianisten (und natürlich auch andere Instrumentalisten) für extrem wichtig, dass sie diese Gesetze der Physik genau kennen, und wissen, welche Möglichkeiten ihr Instrument bietet - und welche nicht. Sonst kommt schnell das heraus, was ich manchmal bei Studenten erlebe: Ihr Gesichtsausdruck zeigt enorme Klangdifferenzierung, von der leider nichts zu hören ist. Ein ehemaliger Kollege von mir hat in solchen Fällen immer gesagt "Sie spielen an guten Ausdruck denkend!" :)

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  • Wenn ein Hämmerchen auf die Saite trifft und wie es auf die Saite trifft, beeinflusst das ausschließlich nur die Lautstärke?

    Die Frage ist halt, welche unterschiedliche Möglichkeiten der Bewegung des Hämmerchens nach Kontrollverlust durch die Taste es gibt. Wenn's nur die Geschwindigkeit ist, gibt es keine unterschiedlichen Klangfarben je Lautstärke.

  • Es ist wie beim Hifi-Bereich. Das Problem bei "Erklärern" ist die Simplifikation aufgrund von Komplexitätsreduktion. Man kann schwerlich behaupten, dass Gawrilows unangenehm harter Ton in frühen Jahren nur daher kommt, dass er lauter spielt als Gilels oder weniger Pedal einsetzt. Das stimmt einfach nicht. Wenn ein Hämmerchen auf die Saite trifft und wie es auf die Saite trifft, beeinflusst das ausschließlich nur die Lautstärke? Da liegt der Hund begraben.


    Nein, das Problem ist das Anerkennen oder Nicht-Anerkennen physikalischer Gesetze. Christian hat ja bereits erläutert, dass das letzte Wegstück des Hammers durch den Spieler überhaupt nicht mehr beeinflusst werden kann. Man kann sich natürlich vorstellen, dass das anders ist, so wie eine nicht geringe Zahl von Leuten sich vorstellt, dass die Position von Planeten ihr Wohlbefinden in der nächsten Woche beeinflusst oder dass Zuckerkügelchen die molekulare Information anderer Stoffe auf mysteriöse Weise speichern und weitergeben können.


    Von "Komplexitätsreduktion" kann übrigens nicht die Rede sein, ganz im Gegenteil. Das Klangsystem Klavier wird ja sehr viel komplexer, wenn der Parameter der Klangfarbe nur durch Faktoren wie Balance und Pedal beeinflusst werden kann. Es ist wohl eher eine Simplifikation, wenn man annimmt, dass dies allein durch den Anschlag eines Einzeltons bewerkstelligt werden kann.


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  • Es gibt zur Thema Klavierklang eine interessante Vergleichsmögliochkeit. Die Pianistin Amandine Savary hat auf dem Flügel von Claudio Arrau an einem Ort, an dem auch Arrau mit diesem Instrument aufgenommen hat (La Chaux-de-Fonds), die Impromptus von Franz Schubert eingespielt.

    Gleiches Instrument, gleicher Ort - und dennoch ist allein der Klang VÖLLIG unterschiedlich! Hört euch das an!


    Da gibt es sehr große Unterschiede und Anschlag ist eben nicht gleich Anschlag. Ich war sehr überrascht.


    Viele Grüße

    Christian


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  • Es gibt zur Thema Klavierklang eine interessante Vergleichsmögliochkeit. Die Pianistin Amandine Savary hat auf dem Flügel von Claudio Arrau an einem Ort, an dem auch Arrau gerne aufgenommen hat, die Impromptus von Franz Schubert eingespielt.

    Gleiches Instrument, gleicher Ort - und dennoch ist auch der Klang VÖLLIG unterschiedlich.

    Da gibt es wirklich sehr große Unterschiede und Anschlag ist eben nicht gleich Anschlag.

    Das hilft mE gar nichts, unterschiedlicher Zeitpunkt (Filz-Abnutzung), unterschiedliches Mikrophon und Aufstellung, und zuletzt das Problem, den Einzelklang nicht vergleichen zu können und nicht zu wissen, wer lauter gespielt hat.

  • Da gibt es wirklich sehr große Unterschiede


    Das bestreitet ja niemand. Die Frage ist nur, worauf diese Unterschiede beruhen, wenn man mal wirklich genau und im Detail betrachtet, wie der Klang am Klavier überhaupt erzeugt wird und welche Klangparameter der Spieler auf welche Weise beeinflussen kann.


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

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