Das „Requiem“ Mozarts im Spiegel seiner Quellenlage

  • liebe experten,


    gibt es eine theorie, wieso mozart beim "tuba mirum" den ausdruck so - verfehlt - hat? man vergleiche etwa mit gossecs version, wo die posaunen, die doch die toten zum gericht holen, in ihrem schauerlichen effekt noch durch besondere positionierung im kirchenraum unterstrichen werden (ich kenns nur von der cd). das heitere gedudel bei mozart ist natürlich ganz vortrefflich gelungen, aber wieso ausgerechnet diese wirtshausstimmung vor dem jüngsten gericht?


    :untertauch:

  • Hallo Kurzstueckmeister,


    Deine Einschätzung des berühmten Posaunen-Solos finde ich ausgesprochen interessant.
    Ich habe bisher noch nie gehört, dass diese Stelle auf einen Hörer den Eindruck einer "Wirtshausmusik" macht (allenfalls in einem Wirtshaus, in dem gerade eine Halloween-Party stattfindet :] ) - aber Jeder und Jede empfindet sowas halt anders....


    Als "heiteres Gedudel" würde ich das Posaunensolo nicht bezeichnen wollen, auch wenn es in Dur steht (aber das heißt ja nix).


    Es ist für mich eine Art Innehalten nach dem für Mozart-Verhältnisse ja sehr wilden und schroffen Dies irae-Abschnitt, eine Art Atemholen und zugleich eine Gelegenheit, endlich die Solisten (außer dem bereits im ersten Satz erklungenen Solo-Sopran) der Totenmesse wirkungsvoll zu präsentieren.


    Sicher - es gibt bedrohlichere Tuba mirum-Stellen, ich denke da nur an Verdi oder natürlich Berlioz.
    Aber mit der Textaufteilung beim Requiem (und vor allem in der Sequenz) ist das sowieso so eine Sache: Viiiel Text mit viiiiel Düsternis und Bedrohung drin. Da geht die künstlerische Wirkung schnell mal flöten, wenn es die ganze Zeit nur schauerlich zugeht.
    Schließlich kommen ja auch noch Stellen wie Rex tremendae oder das Confutatis!


    Mozart hat einen meiner Meinung nach sehr wirkungsvollen Wechsel zwischen ruhigen Nummern (Recordare, Lacrimosa und eben das Tuba mirum) und wuchtig-dramatischen (Dies irae und Rex tremendae) innerhalb der Requiem-Sequenz gefunden, teilweise wechselt die Stimmung ja sogar innerhalb eines Satzes hin und her (im Confutatis).


    Auf mich wirkt die gespenstische Ruhe zu Beginn des Tuba mirum mit diesem einsamen und nachdenklichen Posaunen-Solo nach dem Wüten im Dies irae wie die bange Ruhe nach dem Sturm: Alles ist in Trümmer gesunken und erwartet nun den Richter und das Urteil!


    Andere Komponisten haben diese Szene halt anders gesehen und breiten die Stimmung des Dies irae -zumindest streckenweise- auch noch auf das folgende Tuba mirum aus - bei Dvoraks Requiem-Vertonung ist das z. B. auch so.


    Vielleicht liegt Dein zwiespältiges Empfinden dieser Stelle gegenüber aber auch an der Aufnahme/ dem Konzert, das Du gehört hast? Es kann ja z. B. auch sein, dass der Solo-Posaunist keinen guten Tag hatte und die berühmte Stelle total versemmelt hat.... :wacky:

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • Zitat

    Original von MarcCologne
    Es ist für mich eine Art Innehalten nach dem für Mozart-Verhältnisse ja sehr wilden und schroffen Dies irae-Abschnitt, eine Art Atemholen [...]



    Genau der richtige Text, um beschaulich inne zu halten.
    Ich finde Mozarts Umsetzung erheiternd, es erinnert mich ein wenig an Busoni, wenn er beim Erscheinen der Teufel (im Doktor Faust) auch irgendwann nicht mehr bedrohlicher wird, sondern das Ganze plötzlich putzig und heiter klingt.
    Beide Stellen sind grandios. Und irgendwie daneben.

  • Ich halte das "Posaunenkonzert" (tuba mirum) (genauer gesagt die ersten 17 Takte bis zum Tenor-Einsatz) auch für einen Durchhänger unter Nieveau in Mozarts Requiem. Kann mir das nicht erklären.

  • Lieber KSM,


    zunächst: Die Trombonestimme des tuba mirum ist nur bis Takt 18 Schlag 1 authentisch von Mozart. Ab dem mors stupebit stammt die Posaunenstimme von Süßmayr, dem man auch vorwirft, hier nicht schlüssig gehandelt zu haben, da er die Posaunenstimme über den sie betreffenden Text hinausführt. Was richtig ist: Mozart hat üblicher Weise die wichtigsten Stimmen vollständig ausgeschrieben. Da die Posaune in Takt 18 auf dem Wort mors [ = Tod] erstirbt, könnte dies so tatsächlich seine Richtigkeit haben.


    Ich finde das musikalische Thema der Trombone sehr treffend gefunden: Aus der Ferne ruft die Posaune zum jüngsten Gericht. Für Mozart war, wie er jedenfalls brieflich darstellt, der Tod der Endzweck seines Lebens, ein Freund! Und dieser Freund ruft ihn, wenn man es so frei interpretieren mag.


    Zudem lassen die Worte mirum und spargens verschiedene Deutungen zu.


    Mirum [vom mirus] bedeutet zunächst wunderlich, erstaunlich, außerordentlich; kann aber auch mit wunderbar übersetzt werden.


    Spargens [von spargere] kann sowohl werfen, schleudern und gleichartiges bedeuten, wie auch lediglich harmloses ausbreiten, zerstreuen.


    Bei Mozart ist das tuba mirum kein Erstaunen [Angst] erregendes Herausschleudern von Tonfetzen wie z.B. bei Gossec, sondern ein wunderbares Ausstreuen von Tönen.


    Während sich im dies irae die Angst über das jüngste Gericht sehr breit macht, so ist an entsprechender Stelle im tuba mirum "Liber scriptus" bzw. " Iudex ergo" und "quid sum miser" eine gewisse Art von persönlicher Einsicht zu verzeichnen: So betont Mozart auch das "justus" [die Gerechtigkeit, derer er sich ganz sicher ist] der letzten Textzeilen des tuba mirum mehrfach.


    Im rex tremendae werden diese gegensätzlichen persönlichen Ansichten miteinander verknüft: Zunächst großes Erschrecken vor dem Bevorstehenden und dann die süße Gewissheit, dass Er Gnade walten lassen wird.


    Interessant ist übrigens die musikalische Parallele der Posaunenmelodie ab Takt 8 [nach der Fermate] zu Sarastros "Du liebest einen andern sehr" [T. 412 des Finale I 'Zauberflöte'] bzw. zu "zur Liebe will ich Dich nicht zwingen" [T. 417 dto.] - eine Parallele zu "doch geb' ich Dir die Freiheit nicht" gibt es nicht, was Sinn machen könnte: Mozart erhält ja die Freiheit, indem er den Endzweck, sein Ziel --> den Tod erreicht. Naja, sehr frei interpretiert... da wären wir dann bei diesem Thema.


    Vielleicht wollte Mozart auch einfach nur die Frage formulieren, warum man vor einem allseits gütigen und gerechten Gott sich überhaupt fürchten muss? Ich wage zu behaupten, dass das tuba mirum - wie auch andere Stellen im Requiem Mozarts - durchaus transzendent sind.


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Ich stimme Marc zu, dass hier offenbar ein deutlicher Kontrast zu Dies irae und "Rex tremendae maiestatis" angestrebt ist. Das ist wohl fraglos gelungen. Ich finde das auch sinnvoll, anstatt 10 min lang ff-Gedröhne. Die Darstellung der Erschütterung und das verwundert-ängstliche Staunen der Seelen vor dem jüngsten Gericht hat ja durchaus Berechtigung.
    Ich finde den Anfang, das erste Posaunensignal und das Bass-Solo auch gut, es ist ein feierlich-geheimnisvolles Signal und eine weihevolle Deklamation. Dann geht es allerdings weiter wie im andante eines Hornkonzerts, nur halt mit Posaune. Ob es nicht vielleicht besser gewesen wäre, hier die Posaune schweigen zu lassen... mit "Mors stupebit" wird es dann ja auch etwas dramatischer.
    D.h. suboptimal finde ich eigentlich nur die zweite Hälfte des Bass/Posaunen-Solos,also nach der ersten Zeile "Tuba mirum spargens sonum" Aber um ehrlich zu sein geht es mir mit vielen Sätzen des Requiems so. Ich höre normalerweise immer nur bis zum Ende der Sequenz.
    Es ist eben in mehrfacher Hinsicht Fragment. Wir werden nie wissen, was Mozart evtl. noch überarbeitet oder einfach viel besser ausgeführt hätte als F.X.
    Insgesamt finde ich die c-moll-Messe überzeugender, obwohl die gelungenen Teile des Requiems zweifellos origineller sind (und auch die Messe enthält mindestens ein m.E. von Affekt her unpassendes Stück, das "Gratias"). Aber es ist eben nicht alles auf dem Niveau des vollendeten Introitus ausgeführt.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Salut,


    sowohl bei Ignaz Pleyel als auch bei Joseph Eybler ist das tuba mirum festintegrierter Bestandteil der Sequenz, es ist also nicht extrahiert wie bei Mozart. Bei Pleyel bildet es auch einen gewissen Ruhepunkt im dies irae, der allerdings sehr spannungsgeladen ist. Bei Eybler überraschen für die Zeit leicht skurril rufende Töne [Tritoni], gefolgt von einem eher deklamatorischen Rezitieren des tuba mirum; das wirkt eher opernhaft [Verdi], aber um so realer.


    Im ausgehenden 18. Jahrhundert war die Art der tuba mirum-Verarbeitung, wie sie Mozart durchführte, durchaus üblich: Man vergleiche auch nur das opernhafte "Laudamus te" aus der c-moll-Messe, das auch eher stilfremd ist gegenüber den eher archaischen anderen Teilen.


    Viele Grüße
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Salut KSM,


    ich hoffe, er wird's mir danken!


    :angel:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Hallo!


    Ich habe angefangen, Mozarts Requiem Stück für Stück vergleichend zu hören in folgenden sechs Aufnahmen:


    Colin Davis / BBC Symphony Orchestra / John Alldis Choir
    John Eliot Gardiner / English Baroque Soloists / Monteverdi Choir
    Bruno Walter / Wiener Philharmoniker / Wiener Staatsopernchor
    Heinz Holliger / SWR-Symphonieorchester / Europäische Chorakademie Mainz
    Zdenek Kosler / Slovak Philharmonic Orchestra / Slovak Philharmonic Choir
    William Christie / Les Arts Florissants


    In dieser Reihenfolge höre ich mir die jeweiligen Abschnitte auch immer an.


    Bei der Walter-Aufnahme ist die Tonqualität freilich nicht besonders, das erwähne ich aber im weiteren nicht extra.
    Die Holliger-Aufnahme umfaßt nur die von Mozart vollständig erhaltenen Teile, hört also beim Lacrimosa auf.
    Die Kosler-Aufnahme war eine der ersten Brilliant-CDs, durch sie hatte ich das Requiem kennengelernt.




    I. Introitus


    Davis: Satter Orchester- und Chorklang (beide groß besetzt), große dynamische Kontraste, mittleres Tempo, angemessener Gestus, teils etwas „verwaschen“, dann wieder detailbetont, der Schluß gelingt besonders gut.


    Gardiner: Flotter, kühler, das Orchester im Vergleich zu Davis dünn, aber sehr präzise, der Chor hervorragend, Introitus eher leise und zurückhaltend interpretiert.


    Walter: Sehr langsam und schleppend, mächtiger, wuchtiger Klang (u.a. Orgel zu Beginn), gewaltig-weihevoll-erhaben, so würde man heute eher eine Wagner-Oper vortragen, wirkt wenn man Interpretationen a la Gardiner im Ohr hat wie eine Parodie (wahrscheinlich auch umgekehrt).


    Holliger: Chor uns Sopran gefallen mir hier nicht besonders, Tempo sehr schnell, Bläser sehr deutlich (Holliger weiß warum ?) , lässt mich emotional unberührt.


    Kosler: Durchschnitt.


    Christie: Feierlich-gemessen in Gestus und Tempo (nur Walter ist langsamer), viele Klangfarben und Details, viel Gefühl.


    Mein Fazit: Mir war beim Vergleichshören gerade eher nach Klangpracht zumute, daher ist Davis erster: 1. Davis, 2. Christie, 3. Gardiner, 4. Walter, 5. Kosler, 6. Holliger




    II. Kyrie


    Davis: Wieder Großorchestral und –chorig, gut, wenig auffälliges.


    Gardiner: Sehr gut, detailreich und dramatisch, Pauken und Blechbläser sehr prägnant (besonders gelungener Schlußeffekt), holt wohl alles was geht aus der Kyrie raus, aber auf eine recht spröde Art.


    Walter: Schleppend, monumental, wuchtig (besonders der Chor), zu langsam


    Holliger: Wie auch beim Introitus der schnellste der sechs, sonst zweitklassig, zielt auf einen ähnlichen Schlußeffekt ab wie Gardiner, es gelingt aber nur – zweitklassig.


    Kosler: Solide, unspektakulär, Chor-Orchester-Einheitsbrei, Bläser und Pauken kaum präsent.


    Christie: Sehr schnell (Kontrast, mit Biß, auch hier sind die Pauken kaum zu hören.


    Mein Fazit: Keine Aufnahme war für mich absolut überzeugend, Gardiner allerdings klar am besten: 1. Gardiner, 2. Davis, 3. Christie, 4. Walter, 5. Holliger, Kosler




    III. Dies irae


    Davis: Zu glatt, routiniert, etwas dumpf


    Gardiner: Rhythmischer, klarer als Davis, bedrohlich, aggressiv, aber nicht mitreißend.


    Walter: einen Tick langsamer (diesmal herrscht Einigkeit beim Tempo der sechs Aufnahmen, nur wenige Sekunden Unterschiede), schwerer, massiger Klang ohne jegliche Endzeit-Stimmung.


    Holliger: Fast langweilig, ohne Tiefe, kommt mir wie ein Fall von „Noten einfach runtergespielt“ vor. Ich überlege, die Aufnahme schon vor dem Lacrimosa wegzulassen, das Tuba mirum höre ich mir noch an.


    Kosler: Kraftvoll, energisch, detailliert, mustergültig, auch der osteuropäische Latein-Akzent gefällt mir.


    Christie: Noch besser, emotional, intensiv, eruptiv, durch die großen dynamischen Kontraste sehr spannend, beeindruckend auch die schneidenden Bläser-Klänge.


    Mein Fazit: 1. Christie, 2. Kosler, 3. Gardiner, 4. Davis, 5. Walter, 6. Holliger



    Wird fortgesetzt.
    Viele Grüße,
    Pius.

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • IV. Tuba mirum


    Dieses Stück aus Mozarts Requiem mag ich nicht besonders. Entscheidend ist für mich hier die Frage, ob nach dem Dies irae ein starker Kontrast gewählt wird und das Tuba mirum sehr langsam interpretiert wird oder ob ein mittleres Tempo gewählt wird und die Musik nicht ausgebremst wird. Ich bevorzuge zweiteres, ebenso wie Christie, Gardiner und Holliger. Bei diesen dreien ist Gardiner IMO am besten, die Posaune ist am deutlichsten und der Tenor (Blochwitz) gefällt mir hier auch besonders. Die anderen drei Aufnahemn empfinde ich als etwa gleichwertig; Kosler ist hier noch langsamer als Walter.
    Fazit: 1. Gardiner, 2. Christie, 3. Holliger, 4. Davis, Kosler, Walter


    V. Rex tremendae


    Davis’ Interpretation verliert nach und nach an Fahrt: Das Rex tremendae ist bei ihm am langsamsten, macht einen schleppenden und zähen Eindruck.
    Bei Gardiner ist nicht nur mehr Tempo drin, sondern auch mehr Details, vor allem das Salva me ist viel differenzierter im Ausdruck; der Schluß verklingt sehr leise, wie gehaucht.
    Walter ist nach „wagnerianischem“ Beginn immer gemäßigter geworden, kann mich jetzt eher damit anfreunden.
    Holliger dirigiert extrem schnell, das Rex tremendae wirkt so „durchgehuddelt“, monoton, mit wenig Kontrast zum Salva me, ohne schöne Stellen.
    Kosler wählt ein mittleres Tempo (und liegt damit IMO richtig), eine dezente Orgelbegleitung, die mir bei den anderen nicht auffiel, verleiht dem Satz ein schönes „Funkeln“.
    Christies Interpretation ist „maestoso“ von vorne bis hinten, insgesamt mustergültig mit gelungenen originellen Details (z.B. sehr lang gezogenes letztes „pietatis“).
    Fazit: 1. Christie, 2. Gardiner, 3. Kosler, 4. Walter, 5. Davis, 6. Holliger


    VI. Recordare


    Davis: Hat nun Walter als Langsamster abgelöst; gemütlich und gefühlvoll.
    Gardiner finde ich hier grausam. Das Tempo, dass er wählt, passt überhauptnicht. Das Recordare, eigentlich ein Ruhepunkt, wird rastlos durchgehetzt und verliert so gänzlich seinen Charme. Zum Vergleich: Gardiner ist im Durchschnitt 2 Minuten schneller als die anderen fünf!
    Unerwartet gefühlvoll dirigiert Walter hier. Zudem sind hier die schönsten Stimmen.
    Holliger ist einigermaßen o.k., Kosler ähnlich wie Davis.
    Am interessantesten ist wieder einmal die Interpretation von Christie.
    Fazit: 1. Christie, Walter – 3. Davis, Kosler – 5. Holliger – 6. Gardiner


    VII. Confutatis


    Bei Davis beeindruckt am meisten der mächtige Chor, ansonsten vergleichsweise wenig kontrast- und konfliktreich (langsam!).
    Gardiner macht mit hohem Tempo weiter, was hier freilich angemessen ist. Auch im ruhigeren 2. Teil verbreitet die Begleitung nervöse Unruhe.
    Walter greift auf den „Wagner-Ton“ des Beginns zurück. Das „Voca me“ klingt wie aus der ferne – ob so gewollt oder Folge der Klangtechnik, es ist schön so, genau wie die Violin-Begleitung.
    Holliger verbreitet eine ähnliche Hektik wie Gardiner, bei ihm ist es aber nicht überzeugend, der Chor ist schwächer, der Interpretation fehlt „Tiefe“, wirkt plakativ.
    Kosler: Durchschnitt.
    Bei Chrisite ist wiedermal alles mustergültig, das Confutatis aufwühlend, das Voca me sanft und einfühlsam; sehr präsente und differenzierte Orchester-Begleitung.
    Fazit: 1. Christie; 2. Gardiner, Walter; 4. Davis; 5. Kosler; 6. Holliger



    Da die Holliger-Aufnahme nach einigen Takten im Lacrimosa abbricht, fällt sie nun für die folgenden Teile des Rerquiems aus. Diese Aufnahme ist aber ohnehin das Schlußlicht.

  • VIII. Lacrimosa:


    Davis und Gardiner sind hier in ihrer Interpretation erstaunlich ähnlich, bei Gardiner kommen mehr Details zur Geltung (sehr schön die Bläserstelle), bei Davis dominiert der mächtige Chor.
    Walter: einige Passagen zerdehnt, gestampfte, wuchtige Akkorde, spannend
    Kosler: eher lasch, Chor-Einheitsbrei.
    Christie: der Chor ist hier am besten, setzt insgesamt auf feine, kleine Akzente statt auf Kontraste, hier ist am stärksten ein „Trauer-Ton“ getroffen.
    Fazit: 1. Christie – 2. Gardiner – 3. Davis – 4. Walter – 5. Kosler


    IX. Domine Jesu:


    Davis: sehr gedehnt und wuchtig (ähnlich wie bisher Walter), das „quam olim“ ist düster und bedrohlich, kräftiger sound.
    Gardiner: viel schneller, schlanker, aggressiv, hektisch; im „quam olim“ Bläser sehr präsent, weniger düster
    Walter: noch extremer als bei Davis, die Solisten singen schön, aber der „große Bogen“ fehlt; der Chor schreit sich im „quam olim“ selbst nieder.
    Kosler: ungewohnt schnell. Wo Walter überinterpretiert, da unterinterpretiert Kosler, bleibt so recht blaß, aber schwungvoll.
    Christie: ungewohnt blaß, aber detailreich; Chor zu schwach
    Fazit: eigentlich überzeugt keiner: Gleichauf Christie, Davis, Gardiner und Kosler, am schlechtesten Walter.


    X. Hostias:


    Davis: langsam und ausdrucksvoll, sehr nuancierter großer Chor, wieder düster-bedrohliches „quam olim“
    Gardnier: kühl statt gefühlvoll, schnell mit Hang zur Monotonie
    Walter: Zeitlupenorchester und -chor (wie wenn man eine 45er Platte auf 33 einstellt), ich muß beim Hören an einen Gefangenchor einer romantischen Oper denken.
    Kosler: Gefühlvoller und schöner als die HIPs, ähnlich wie Davis, aber schwächerer Chor
    Christie: bleibt hier blaß und kühl
    Fazit: 1. Davis – 2. Kosler – 3. Christie, Gardiner – 5. Walter


    XI. Sanctus:


    Davis: relativ langsam; mächtiger, monumentaler Klang mit kräftigen Pauken; das Hosanna ist schlichter, flotter
    Gardiner: schnell, aber festlich; das Hosanna im selben Stil
    Walter: ähnlich wie Davis, aber weniger detailreich
    Kosler: Tempo mittel, auch sonst eher unauffällig
    Christie: viele interessante Details (der Anfang!), insgesamt nicht optimal, aber dennoch am besten
    Fazit: 1. Christie – 2. Davis, Gardiner – 4. Kosler, Walter


    XII. Benedictus:


    Davis: etwas unruhig/unrund zu Beginn, das Duo Davies/Nienstedt klingt eher nicht so besonders; wenig Kontrast zum klangmächtigen Osanna.
    Gardiner: überraschend einfühlsam in Tempo und Ausdruck; die Bläser nicht schneidend, sondern warm; Tempobeschleunigung beim Osanna.
    Walter: angenehm, paßt in Advents-Atmosphäre, sehr schöne Stimmen (bis hin zu übertriebenem Schönklang); wuchtiges Osanna.
    Kosler: sehr einfühlsam, schön, langsam
    Christie: Panzarella/Stutzmann enttäuschen; Interpretation recht ungemütlich, einschneidende Trompeten unterbrechen den Fluß, das Stück zerfällt. Christies sonst sehr interessante Ideen sagen mir hier gar nicht zu.
    Fazit: 1. Gardiner, Kosler – 3. Walter – 4. Christie, Davis



    Meine Aufzeichnungen zu Agnus dei und Lux aeterna sind (so sie überhaupt existiert hatten?) wohl verlorengegangen.
    Aber auch so ist die Christie-Aufnahme der klare Sieger.
    Gardiner fällt dagegen durchaus ab.
    Davis ist eine solide, aber nicht referenzverdächtige Nicht-HIP-Aufnahme.
    Walters Aufnahme ist mal ganz interessant zu hören, manches wirkt aber heute unglaubwürdig interpretiert.
    Die Kosler-Aufnahme geht für den Preis auf jeden Fall in Ordnung.


    Also: Meine Referenzaufnahme:



    Viele Grüße,
    Pius.

  • Um es gleich vorweg zu sagen, ich habe auch keine weitergehende Ahnung von Totenmessen, möchte mich aber bei BBB und den anderen Autoren, für ihre Beiträge bedanken, die es mir ermöglichen, tiefer in die Materie einzusteigen.
    Über das Requiem, ist schon viel geschrieben worden. Ich kann nur sagen, dass mich das " Lacrymosa"- die letzten Noten die Mozart niederschrieb-,( es wurde vordatiert, Requiem, di me W:A: Mozart mpr.792"), immer wieder innerlich sehr aufwühlen und erschüttern, und ich denke. "Aus tiefste Seele, ruf ich ich zu dir."
    Deswegen ist es für mich, der Spiegel seiner Quellenlage!
    Gruß
    Padre

  • Ich will mir eine Aufnahme von Karl Böhm zulegen, weiß aber nicht, welche die empfehlenswerteste ist. ?(


    Wer weiß Rat?


    Habe folgende gefunden:






    Dazu frage ich mich noch: Oder ist die bekannte Solti-Aufnahme von 1991 besser?


    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Zitat

    Original von Felipe II.
    Ich will mir eine Aufnahme von Karl Böhm zulegen, weiß aber nicht, welche die empfehlenswerteste ist. ?(


    Wer weiß Rat?


    Salü,


    ich kann Dir jedenfalls insofern etwas helfen, als ich Dir die dramatisch Auswahl verkürze: die erste ist mit der dritten von Dir gezeigten Einspielung ist identisch.


    ...da waren's nur noch zwei. ;)


    Ich persönlich würde mich für Ochman/Hamari entscheiden. Die Bartoli kann ich mir - trotz Arleen Augér / René Pape - in einem Requiem nicht so recht vorstellen [was aber nichts zu bedeuten hat].


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Beide Böhm- Aufnahmen des Mozart-Requiems sind empfehlenswert, die DG-Tonqualität ist allerdings der (älteren) von Orfeo überlegen.
    :hello:

    Freundliche Grüße Siegfried

  • kennt außer mir jemand die aufnahme von Enoch zu Guttenberg?



    die gefällt mir nämlich außergewöhnlich gut. besser als die '91er Solti. besonderes merkmal ist ein ungewöhnlich rasches Lacrymosa.

  • Hallo!


    Ich habe mir aus Neugier auf die Einspielung der Fragmente diese Aufnahme zugelegt:



    Wie Ulli anderen Ortes bereits erwähnte, stört zunächst das Fehlen des Kyrie. Mich stört es vor allem deshalb, weil ich unwissender Weise dadurch zunächst zu der Annahme verleitet wurde, Mozart habe das Kyrie selbst komplett instrumentiert.


    Die anderen Fragmente machen m.E. vor allem deutlich, wie gering doch Süßmayrs Beitrag zu den meisten von Mozart skizzierten Sätzen ist. Jeder einzelne verfügt auch unvervollständigt über seinen charakteristischen Klang, ist nicht minder mitreißend oder bewegend.


    Das abbrechende Lacrymosa sorgt natürlich zusätzlich für Gänsehaut, ebenso wie die Amenfuge, bei der man glauben könnte, Mozart sei einem Blitzschlag zum Opfer gefallen, so abrupt wie sie endet.


    Doch auch die auf diese CD enthaltene Aufnahme der vervollständigten Version ist erwähnenswert. Sie wird zwar nicht zu meiner Lieblingsaufnahme werden, jedoch besticht sie durch einige extreme Tempi.


    Ich kann zwar Sperings Idee, das Tempo anfangs auffällig langsam zu nehmen, "weil das Requiem die zentrale liturgische Textsammlung des römisch-katholischen Begräbnisritus' ist und nicht - wie es heutzutage häufig zu hören ist - beiläufig, letztlich beschwingt musiziert werden kann," nachvollziehen, bin jedoch mit der Umsetzung nicht ganz einverstanden.


    Denn während im Kyrie die Langsamkeit zelebriert wird (das hinbuchstabierte "E-le-he-he-he-he-hei-son" kratzt schon beinahe an der Grenze zur Lächerlichkeit), jagt Spering Chor und Orchester in rekordverdächtigen 1'37" durch das Dies Irae. Ebenso knackig setzt er das Tempo im Rex tremendae an und ist nach ebenfalls 1'36" schon fertig, wo andere (Karajan: 2'20") noch einzählen.


    Dagegen finde ich bei Zdenek Kosler (Naxos) genau das was Spering meint. Kosler nimmt jedoch nicht das Kyrie, sondern das Confutatis im Schneckentempo (3'05") und trifft damit die Stimmung eines Begräbnisritus', das Traurige, Schwerfällige, was den Gang der Sargträger zur letzten Ruhestätte widerspiegelt, weitaus besser als Spering mit seinem Kaugummikyrie.



    :hello:
    Violoncellchen

  • Zitat

    Original von Violoncellchen
    Wie Ulli anderen Ortes bereits erwähnte, stört zunächst das Fehlen des Kyrie. Mich stört es vor allem deshalb, weil ich unwissender Weise dadurch zunächst zu der Annahme verleitet wurde, Mozart habe das Kyrie selbst komplett instrumentiert.


    Norbert Bolin, der Autor des Booklettextes erklärt das Fehlen des Kyrie bei den Fragmenten wie folgt:


    [...] Nur Introitus (Requiem) und Kyrie [sic!] sind vollständig [sic!] von Mozart komponiert (und dennoch später von fremder Hand ergänzt worden). [...]


    Vertraut man Christoph Wolff [Mozarts Requiem: Geschicht | Musik | Dokumente | Partitur des Fragments, dtv/Bärenreiter] und den eigenen Augen beim Betrachten des Faksimiles, so ist die Aussage von Bolin zumindest nicht ganz korrekt, denn das Kyrie wurde von Mozart lediglich in den Chorstimmen und im bezifferten Bass notiert. Komplett instrumentiert ist allein das Introitus [48 Takte].


    Wie kann etwas, das vollständig notiert wurde, später sinnvoll ergänzt werden? ?(


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Ich!


    Die Bearbeitung ist - Pardon - zum :pfeif: [SIZE=7][Kakteenpflanzen][/SIZE]


    Daß Lichtenthal [1780-1853] "admirateur et ami" von Mozart war, berechtigt ihn noch lange nicht, solch eine unstreichquartettige Bearbeitung abzuliefern. Nein, das kann ich 100 Mal besser...


    Die Bearbeitung gibt es z.B. u.a. so:



    Lichtenthals Fassung verdient höchstens die Bezeichnung "Reduktion auf 2 Violinen, Viola und Violoncello" - aber keinesfalls "Fassung für Streichquartett". Unter einem Streichquartett verstehe ich etwas ganz anderes, sehr viel besseres.


    Lichtenthals "Transskription" ist ein völlig planloses Machwerk - er nimmt keine Rücksicht auf charakteristische Motive [erschreckend ist hier das Fehlen des Seufzermotivs in den Violinen beim ersten Einsatz des Chores im Introitus] und noch weinger Rücksicht auf den Klang der einzelnen Instrumente, etwa vergleichbar mit der schrecklichen Bearbeitung von Beethovens Klavierkonzert Nr. 4 für Streichquartett und Klavier [die Beethoven angeblich abgesegnet hat, was ich mir kaum vorstellen kann]. Eine Streichquartettfassung darf nicht ein bloßes Abspulen der vorhandenen Noten sein, es muß konsequent auf ein Streichquartett abgestimmt sein. Das beste, was mir je begegnet ist, ist die Bearbeitung von Martín y Solers "Cosa rara". Wer hier Bearbeiter ist, ist leider unklar. Lichtenthal jedenfalls oder Wendt waren es ganz sicher nicht! :D


    Ich verweise an dieser Stelle auf jenen Thread:


    Oper als Streichquartett: Bearbeitungen


    Auch die sehr guten Interpreten des Quarteto Aglaia können an dieser Misere nichts ändern. Was natürlich ein Vorteil dieser Interpretation ist, daß die Kyriefuge endlich mal in einem fetzigen Tempo erklingt, wie es kein Chor der Welt zu singen im Stande wäre... :D


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Welche Ergänzungen/Versionen des Requiems kennt Ihr?
    Welche haltet ihr für die Beste und und welche sind die Referenzaufnahmen dieser Ergänzungen?


    Generell habe ich das Gefühl, hier treffen 2 Fronten aufeinander, einmal die Verfechter Süßmayrs Fassung und die, die die Alternativfassung bevorzugen.


    Ich für meinen Teil bin in diesem Bezug sehr unschlüssig, auf der einen Seite empfinde ich die Süßmayrfassung als würdige Vollendung, jedoch bestzen auch die anderen Fassungen, ungeachtet der "Berechtigung", ihren Reiz.


    Ich besitze folgende Versionen:
    Süssmayr
    (Neukumm)
    Beyer
    Maunder
    Druce
    Levin


    Ich werde demnächst meine Meinungen zu den einzelnen Versionen Schreiben.

    "Phantasie ist unser guter Genius oder unser Dämon."
    - Immanuel Kant (1724-1804)

  • :untertauch:So, Zeit meine Absicht in die Tat umzusetzen.
    Beginnen möchte ich mit der Version von Robert Levin.
    Ich besitze sie in folgender Version:
    Boston Baroque - Martin Pearlman / Ziesak;Maultsby;Croft;Arnold (könnt mir jemand erklären, wie man Bilder einfügt)


    Nun gut, als erstes zur Interpretation allgemein:
    Es handelt sich, wie zu vermuten, um eine HIP-Enspielung.
    Insgesamt würde ich sie jedoch eher mittelmäßig einstufen.
    Die Solisten wirken, als sängen ständig am Rande ihres Könnens, wirkliche "Verreißer" gibt es keine, doch klingen sie teils recht "heiser" Der Chor wirkt inhomogen, doch ist insgesamt in Ordnung (natürlich kann er mit den Monteverdis nicht mithalten - aber was will das schon heißen).


    Nun komme ich zu meinem größten Kritikpunkt, den Tempi: Was Pearlman da an den Tag legt ist wirklich aberwitzig.
    Beispiel 1: Die Kyrie-Fuge (2:18 )
    Generell ist gegen ein solches Tempo nichts einzuwenden, doch der Chor ist dafür einfach ungeeignet, die Fuge entwickelt sich zu einer bloßen Textwiedergabe, es gibt kaum noch vernünftige Betonungen, von Gefühl ganz zu schweigen.


    Beispiel 2: Recordare (4:01), hier hat Pearlman den Vogel abgeschossen :stumm:, er ist sogar 20 Sekunden schneller als Gardiner.


    ...ich könnte ewig so weitermachen.


    Aber nun endlich zum eigentlichen Thema, der Version von Levin, und was soll ich sagen, ich bin schwer enttäuscht.
    Wirklich neu ist nicht viel, doch es reicht, um das Requiem kleinzukriegen.
    Aber nun der Reihe nach: bis zum Lacrimosa bleibt Alles beim alten (er hat hie und da in die Instrumentation eingegriffen, doch um das zu bewerten reichen meine musikalischen Kenntnisse lange nicht (ich könnte nicht mal genau sagen, wo er überall eingegriffen hat :untertauch:)) Also zu den Radikalen Eingriffen:
    Lacrimosa: Der Satz bleibt interessanterweise von Aufbau her unverändert, jedoch endet er nicht mit den beiden Amen-Akkorden, sondern verklingt mit den Worten "Dona eis requiem", das Amen folgt dann als eigenständige Fuge.
    Hier sehe ich die erste große Schwäche seiner Fassung, man kann nicht einfach das Ende eines Satzes abschneiden und getrennt vertonen, Süßmayrs Ergänzung baut auf diese Amen-Akkorde auf, bei Levin steht nun ein vollkommen sinnloser Klimax, man wartet, aber es kommt nichts, daran kann auch die folgende Amen-Fuge nichts Ändern.
    Sie ist zwar insgesamt recht hübsch geworden, doch auch sie schafft es nicht, die Sequenz vernünftig zu beenden, sie verklingt, ohne einen Schlussstrich unter die Sequenz zu setzen, das hat Süßmayr besser hinbekommen :no:


    Weiter zum Sanctus: Was soll ich sagen, eine Solovioline macht für mich noch keinen besseren Satz.
    Die Osanna-Fuge klingt für sich seht schön, ABER:
    Irgentwie habe ich das Gefühl, dass der gute Herr Levin Requiem mit c-moll-Messe Verwechelt. Er sagt selbet, er habe sich bei seiner Arbeit an der Messe orientiert (die es später ebenfalls bearbeitete :kotz:(aber dazu ein anderes Mal)).
    Und da sehe ich das größte Problen seiner Bearbeitung: Man kann nicht mit blick auf ein Werk, das sich auf Barocke Tradition beruft ein Werk bearbeiten, das an der Schwelle zur Romantik steht. Somit bricht Levins Sanctus-Osanna-Benedictus mit der inneren "Kompaktheit" (ein besseres Wort fällt mir nicht ein), die das Requiem auszeichnet, die einzelnen Sätze wirken isoliert. Dies wird auch dadurch nicht besser, das er das Benedictus, wie die Messe, mit einer Reprise des Osannas abschließt, nicht mit einem da capo. Besonders störend empfand ich Levins Meinung, dadurch würde die Menge der Neukompositionen verringert werden.Ich sehe das ganz anders: Durch die Entscheidung, eine Reprise zu verwenden, greift er stärker in die Struktur des Werkes ein, als bei einem da capo.
    Im Agnus Dei zeigen sich nur kleine Veränderungen, das Lux aeterna bleibt wie gehabt.
    Die letzte große Veränderung zeigt sich in der Textierung der Cum sanctis-Fuge.
    Während Süßmayr die Worte "quia pius es" erst nach dem Trugschluss einbringt, händen sie bei Levin fest am "Cum sanctis tuis in aeternum", da dies seiner Meinung nach den Normen dieser Zeit entsprach.
    Da möchte ich mal gerne wissen: Wie kann es den Normen dieser Zeit widersprechen, wenn es ein Zeitgenosse genau so gemacht hat? Es macht für mich keinen Sinn, anzunehmen, dass Süßmayr, die Fuge anders Textiert hat, als es die meisten Zeitgenossen getan hätten, dazu ist die Aufteilung einfach viel zu passend.


    In diesem Sinne: Es ist durchaus interessant, Levins Fassung kennenzulernen, doch eine Alternative zu Süßmayr ist sie bei Weitem nicht :baeh01:

    "Phantasie ist unser guter Genius oder unser Dämon."
    - Immanuel Kant (1724-1804)


  • So, das ist meine Aufnahme.
    Die Frage wegen den Bildern hat sich erledigt.

    "Phantasie ist unser guter Genius oder unser Dämon."
    - Immanuel Kant (1724-1804)

  • Wundert mich, daß Pearlman so schlecht abschneidet. Aber es liegt wohl eher am Notentext :D


    Jedenfalls habe ich mich beflissen damit beschäftigt:



    Iride Martinez Sopran
    Monica Groop Alt
    Steve Davislim Tenor
    Kwangchul Youn Bass


    Chorus Musicus Köln
    Das Neue Orchester
    Christoph Spering


    Sicher nicht die allerbeste Aufnahme, aber doch überaus gut gelungen. Auch das langsame Kyrie empfinde ich mittlerweile recht gut verkraftbar und besinnlich. Spering schlägt es 3'47" lang* [zum Vergleich: HvK1962 2'51" | HvK 1987 2'40 | Delfs 2004 2'33"]. Dafür holt er mit dem Dies in 1'37" ganz schön wieder auf [HvK 1962 1'59" | HvK 1987 1'51" | Delfs 2004 1'47"].


    Aber die Zeitenvergleiche sind ansich uninteressant - das Werk muß stimmig interpretiert sein und das liegt bei Spering m. E. deutlich vor. Der Orchesterklang ist wirklich sehr gut, die Solisten ein guter Mix: Besonders hervorzuheben Steve Davislim [Tenor] und Kwanchul Youn als Bass.


    Als Besonderheit bietet diese Einspielung im Appendix mit Ausnahme des Introitus/Kyrie alle überlieferten Fragmente Mozarts in der hinterlassenen Form inklusive der Skizze zur Amenfuge, mit dem die Vorstellung abrupt endet und den Hörer auf etwas unangenehme Weise allein zurücklässt. In der Fragmenteinspielung offenbart sich dem Hörer einiges an Neuem, was den Chorsatz Mozarts betrifft. Durch die zumeist fehlende Instrumentation wirkt alles extrem transparent und jede Stimme ist nicht zuletzt durch die kleine Chorbesetzung sehr gut herauszuhören. Dennoch bleibt das Stimmmischverhältnis gut gewahrt. Eigentlich fehlt nicht wirklich viel, man fragt sich, was Süßmayr u.a. denn noch ergänzt haben - allein das Notenbild gibt Auskunft und durch das Ausfüllen der Stimmen durch die Orgel nach Mozarts Vorgaben durch die Bassbezifferung wirken die Teile nicht durchgehend so nackt, wie man sich das vorstellt. Ganz im Gegenteil wirken die instrumentierten Versionen eher ein bissl dick... :rolleyes:


    Ich mag diese "nackte" Version sehr, sehr gerne. Es ist doch ein Unterschied, ob man nur auf die Noten starrt oder etwas hört.


    :hello:


    Ulli


    *Ich meine - ohne es je geprüft zu haben - daß Spering die mit dem Kyrie notengleiche Cum-sanctis-Fuge deutlich schneller nimmt.

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Hallo!


    Hier ist noch nichts zu lesen von der Aufnahme Marriners, den ich für einen sehr guten Mozart-Dirigenten halte.



    Kennt die jemand? Wie ist sie denn?


    Viele Grüße,
    Pius.

  • ...ich kenne Sie, Pius. Wie fast alle Aufnahmen Marriners, besitze ich auch sein "Requiem". Die Aufnahme ist 1977 bei der Decca erschienen.


    Mir gefällt sie - leider nicht so überragend wie viele, viele andere Einspielungen aus seinem Taktstock (oder Geigenbogen). Die Tempi sind (selbst für den englischen Gentleman) etwas langsam, was allerdings dem großartig vertieften "Lacrimosa" dann zugute kommt. Der Chor ist vielleicht nicht der beste, aber einheitlich und sicher, hinzu kommt, daß die Aufnahmequalität erstaunlicherweise - in meinen Ohren - ein wenig zu wünschen übrig läßt. Marriners etwas frühere Bachaufnahmen von Decca aus den Siebzigern klingen wesentlich differenzierter, das ist aber vielleicht auch keine große Kunst, geht er doch im "Requiem" mit einer (für die "Academy") großen Besetzung zu Werke.


    Mir sagt, wie so häufig, Robert Tear nicht recht zu, aber das ist nun wirklich Geschmacksache. Ileana Cotrubas kling mir ein wenig (zu) dunkel, wie schon im Wiener Karajan-Figaro.


    Alles in allem jedoch eine Aufnahme, die man sich probehalber bei Freunden oder im Laden durchaus einmal anhören kann. Mein Liebling ist Hogwood 83, der allerdings Maunder hat. Für Soltis 91er hat Robbins Landon ja eine "Fassung" angefertigt, was mir diese zur liebsten Aufnahme hätte werden lassen können, wären da nicht der Dirigent, drei der vier Solisten und die Akustik nebst Liveaufnahmequalitäten...


    Alex.

  • Hallo, Alex!


    Danke für die ausführliche Antwort.
    Ich suche noch nach einer idealen nicht-HIPpen Ergänzung zu Christies Aufnahme. Davis stellt mich da nicht wirklich zufrieden. Bernstein - ich weiß nicht recht... ich bin kein Solti-Fan... und Karajan tue ich mir bestimmt nicht an... bleibt noch Giulini, in die Aufnahme sollte ich irgendwo mal reinhören...


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Du brauchst noch eine Konventionelle, tja, was machen wir denn da? Eigentlich ist Marriner selbstverständlich der erste Anlaufpunkt, wenn es gilt, eine überschaubare Besetzung lebendig auf neuen Instrumenten spielen zu lassen. Hör´ doch einfach trotz meiner vielleicht wenig ermutigenden Worte rein, ich meine von einem Feund gesteckt bekommen zu haben, daß bei "you tube" oder einem ähnlichen Klimbim das "Lacrimosa" einhörbar sei. Desgleichen übrigens auch Teile aus Soltis Aufführung, die in dem Zusammenhang - Du hast sie ja nicht mitverglichen - am Ende auch noch Deine Aufmerksamkeit verdiente?


    Davis hat die "c-moll-Messe" viel besser eingespielt als das "Requiem", das ist wohl wahr. Bei ihm stört auch der irrsinnige Hall.


    Danke Dir, Pius, für Deine schönen und ausführlichen Testkommentare, die Du bereitgestellt hast. Das ist eine gute Idee und könnte eigentlich viel häufiger Anwendung finden, wo doch die meisten von uns eh´ das Ausschlaggebende mehrmals dahaben...


    Ha, da fällt mir doch noch Barenboims "Requiem" aus den Siebzigern ein! Das könnte etwas sein. Der junge Barenboim hat, wie in seinem "Figaro", für den ich lange gebraucht habe, bis ich ihn schließlich doch einmal mitgehen ließ, und der mich regelrecht entzückt hat (dies bis heute tut), Barenboim hat Fischer-Dieskau (jawohl, meine Damen und Herren, das ist ein "tuba mirum"!), Janet Baker und das English Chamber. Also, Barenboim vielleicht...? Fassung ist mit Sicherheit Süßmayr.


    Liebe Grüße von


    Alex.



    Ergänzung: Zu Barenboim wurde weiter oben schon kurz etwas geschrieben, lieber Pius, und ich bin jetzt selber wieder ganz begeistert, wo ich mich daran erinnert habe. Barenboim is the man, da findest Du Labsal und Erquickung (Tempi sind sehr ordentlich!).

  • Zitat

    Original von Pius
    Hallo, Alex!


    Danke für die ausführliche Antwort.
    Ich suche noch nach einer idealen nicht-HIPpen Ergänzung zu Christies Aufnahme. Davis stellt mich da nicht wirklich zufrieden. Bernstein - ich weiß nicht recht... ich bin kein Solti-Fan... und Karajan tue ich mir bestimmt nicht an...


    Salve Pie!


    Das ist aber sehr schade, denn im nonHIPbereich ist für mich diese noch immer Referenz:



    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose