Arthur Seymour Sullivan (1842-1900):
THE YEOMEN OF THE GUARD OR
THE MERRYMAN AND HIS MAID
(Die Leibgardisten oder
Der Spaßmacher und sein Mädchen)
A New and Original Opera in two acts – Libretto: William Schwenck Gilbert
Uraufführung am 3.Oktober 1888 im Savoy Theatre, London
DIE PERSONEN DER HANDLUNG
Sir Richard Cholmondeley, Statthalter im Tower zu London - Baß
Colonel Fairfax - Tenor
Sergeant Meryll, Yeoman - Baß
Leonard Meryll, sein Sohn - Tenor
Phoebe Meryll, seine Tochter - Mezzosopran
Jack Point, Hofnarr auf Stellungssuche - Bariton
Wilfred Shadbolt, Kerkermeister - Baß
Elsie Maynard - Sopran
Dame Carruthers, Wirtschafterin - Alt
Kate, ihre Nichte - Sopran
Chor: Yeomen of the Guard, Einwohner von London
Das Geschehen ereignet sich im 16. Jahrhundert im Londoner Tower.
INHALTSANGABE
ERSTER AKT
Wichtig ist, die Ausgangslage der Handlung zu kennen - und die geht so: Der junge Colonel Fairfax, ein Frauenschwarm, wurde von einem nahen Verwandten wegen angeblicher Hexerei denunziert und zum Tode verurteilt; er sitzt im Londoner Tower und wartet auf seine Hinrichtung (Arie „When maiden loves“).
Das ist für Phoebe, der Tochter des Sergeanten der Leibgardisten, Meryll, ein schrecklicher Gedanke, denn sie liebt den smarten Colonel; wie so oft nach dem Urteilsspruch sitzt sie an ihrem Spinnrad und grübelt über Rettungsmöglichkeiten nach, die ihr aber nicht einfallen wollen. Ganz anders ihr Vater: Als der von der Ablehnung des Gnadengesuchs hört, erklärt er Phoebe und ihrem Bruder Leonard seinen Plan zur Befreiung von Fairfax, weil, und das ist seine ehrenwerte Begründung, Farfax ihm zweimal das Leben gerettet habe. So soll nun Leonard, der die Bestallung zum Yeoman of the Guard erhalten hat, kurzzeitig abtauchen und Fairfax sich an seiner Stelle zu den 'Yeomen' begeben. Meryll sieht in dem Tausch kein Problem, weil Leonard noch keiner kennt; auch die Befreiungsaktion glaubt er gelöst zu haben: Phoebe muss den in sie verliebten Kerkermeister Wilfred Shadbolt bezirzen und sich Fairfax' Zellenschlüssel 'ausborgen'. Phoebe ist natürlich zu diesem Einsatz willens und sofort bereit.
Wenden wir uns an dieser Stelle dem Todgeweihten zu: Fairfax ist auf den eingangs schon erwähnten verwandtschaftlichen Denunzianten nicht gut zu sprechen. Es könnte ihm ja eigentlich egal sein, was nach seinem Ableben mit seiner Hinterlassenschaft geschieht, aber es wurmt ihn doch sehr, dass der Lump ihn beerben wird, wenn er unverheiratet ins Jenseits ginge. Nach einigem Überlegen hat er sich an den Lieutenant im Tower, Sir Richard Cholmondeley, gewandt und ihm zuerst sein Leid geklagt (Arie „Is life a boon?“), dann aber sofort gebeten, eine Frau zu finden, die ihn für 200 Kronen heiraten würde. Und Cholmondeley kennt tatsächlich eine Frau, die den Geldsegen gut gebrauchen könnte: Die Straßensängerin Elsie Maynard pflegt nämlich ihre schwerkranke Mutter und könnte mit diesem Geld der Kranken das Leben erleichtern.
Die singt soeben mit ihrem Lebenspartner Jack Point, einem stellungslosen Hofnarren, ein Duett („I have a song to sing, oh“), als Sir Richard sie auf der Straße anspricht. Nachdem er sich vergewissert hat, dass die beiden nicht verheiratet sind, kommt er zur Hauptsache und findet bei Elsie für die Hochzeit gegen Bares ein offenes Ohr, denn die Einnahmen aus dem Straßengesang sind schließlich nicht gerade üppig. Jack kann dem nur zustimmen, was ihm umso leichter fällt, weil die Ehedauer ein nahes Ablaufdatum hat. In dem Terzett „How say you, maiden“ wird diese Übereinstimmung festgestellt und besungen; dann begibt man sich zu Dritt in den Tower. Hier werden Elsie die Augen verbunden, denn sie soll und darf den Todeskandidaten nicht erkennen. Eine nicht alltägliche Zeremonie...
Was die vier Protagonisten allerdings nicht ahnen: Die Befreiungsaktion von Sergeant Meryll ist angelaufen. Phoebe ist es tatsächlich mit vollem Einsatz ihrer weiblichen Reize gelungen, den hoffnungslos in sie verliebten Wilfred Shadbolt (Arie „Were I thy bride“) zu bezirzen; wie vom Vater geplant, kann sie sich unbemerkt die Schlüssel von Fairfax' Zelle aneignen, sie dem Vater übergeben, der wiederum den wieder einsitzenden, nun aber mit Elsie verheirateten Colonel befreien kann. Fairfax ist völlig überrascht,nimmt jedoch seine Chance auf die Flucht aus dem Kerker wahr, während es Phoebe gelingt, die 'geliehenen' Zellenschlüssel wieder unbemerkt zurückzugeben. Unterdessen macht Meryll aus Fairfax seinen Sohn Leonard, der sich zu den 'Yeomen' begibt und freduig aufgenommen wird. Da hat sich inzwischen auch Phoebe eingefunden, die den irritierten Fairfax ausdrücklich 'schwesterlich“ umarmt. Shadbolt bemerkt natürlich nichts, er bittet den vermeintlichen Bruder Phoebes sogar, gut auf seine 'Braut' aufzupassen.
Nun wird durch die Intonation eines Trauermarsches ein Szenenwechsel vorbereitet: Die Stunde der Hinrichtung von Fairfax ist angebrochen. Sir Richard Cholmondley wählt jetzt ausgerechnet den falschen Leonard aus, Fairfax aus der Zelle zu holen - mit der Folge, dass alle (zumindest fast alle) entsetzt feststellen müssen, dass der Gefangene nicht da ist! Sir Richard ist außer sich, lässt Shadbolt als Verantwortlichen sofort verhaften und die freie Zelle umgehend wieder belegen.
Elsie versteht die Welt nicht mehr: Wie konnte ihr 'Gatte' bloß aus dem streng gesicherten Kerker fliehen? Jack ist auch alles andere als begeistert, dass der 'Mann' seiner Freundin entkommen konnte. Der wütende Sir Richard Cholmondeley setzt eine Belohnung von 1000 Kronen aus für denjenigen, der den Fairfax zurückbringt, sei er tot oder lebendig.
ZWEITER AKT
Zwei Tage später, zu nächstlicher Stunde im Mondenschein: Jack und Wilfred klagen sich gegenseitig ihr Leid („Oh, a private buffoon is a light-hearted loon“). Wilfred ist aus der Haft entlassen worden, hat aber seinen Posten im Tower verloren. Zwischen Elsie und Jack ist es wegen der Ereignisse um die Flucht von Fairfax zu einem Zerwürfnis gekommen: Das Erbe ist sozusagen perdu, es sei denn, Fairfax würde tot aufgefunden, dann käme auf Elsie als Witwe selbstverständlich Fairfax' Hinterlassenschaft zu.
Ebenso wie Wilfred strebt auch Jack nach einer endgültigen Lösung des Problems und er sieht sie in der Ermordung von Fairfax, so man denn seiner habhaft werden könnte. Weil Wilfred nach einem Gelderwerb sucht ist er auf den Gedanken gekommen, dass Jack ihn in die Geheimnisse der Straßenmusik einführt, wozu Jack auch gerne bereit ist, wenn er ihm hilft, Fairfax zu finden und ihn dann „um die Ecke zu bringen“. Das, so meint Jack, wird ihn wieder näher an Elsie heran kommen lassen.
Fairfax hat inzwischen von der im Tower angestellten Haushälterin, der Dame Carruthers, erfahren, wem er im Gefängnis angetraut wurde (Quartett „Strange adventure!“). Und die hat sich inzwischen neu verliebt, und zwar in einen schmucken Leibgardisten namens Leonard Meryll, der, wir wissen es, kein anderer als Fairfax ist. Als beide nun allein sind, will der Colonel prüfen, wie sie zu ihrem 'Angetrauten' steht. Er selber aber ist begeistert von Elsie und freut sich über diese Wendung seines Schicksals. Allerdings kommt es zu keiner weiteren Annäherung, denn plötzlich fällt ein Schuss und Jack erscheint mit Wilfred auf der Bildfläche - sie haben Fairfax erkannt. Dem aber gelingt mit einem Sprung in die Themse die Flucht; obwohl Wilfred sofort einen weiteren Schuss abgibt, bleibt Fairfax verschwunden. Für Jack und Wilfred steht fest, dass er tödlich getroffen wurde und Wilfred rühmt sich sogar, Fairfax getötet zu haben; Jack ist sich des Geldsegens wieder sicher - er muss nur seine Elsie wiedergewinnen. Er wird ihr einen Antrag machen, das ist ganz klar.
An dieser Stelle müssen wir auf eine andere Verliebte zurückkommen, auf Phoebe nämlich. Der ist nicht entgangen, dass „ihr“ Colonel mit Elsie turtelt, und sie ist Weibsperson genug, deren Verliebtheit in Fairfax zu erkennen (Quartett „When a wooer goes a-wooing“). Das lässt sie nun einen folgenschweren Fehler begehen: Während sie tränenreich und verzweifelt nach einer eleganten Lösung ihres Liebesproblems sucht, kommt Wilfred hinzu und beginnt, ganz der verliebte Kavalier, Phoebe zu trösten. Aber irgendwie will das nicht so richtig klappen, denn Phoebe kann sich nicht konzentrieren. Diese Schwäche führt zu einem Eifersuchtsausbruch gegen Elsie, der wiederum bei Wilfred einen Denkprozeß mit einer ganz bestimmten Erkenntnis auslöst, er kann schließlich eins und eins addieren: Elsies schöner Leibgardist ist nicht Phoebes Bruder Leonard, sondern Fairfax! Wilfred realisiert aber auch, dass er Fairfax nicht bei dessen Flucht durch die Themse erschossen hat. Auch gut: Als weitere Erkenntnis nämlich sieht er, jetzt als Verliebter, seine Position bei Phoebe gefestigt und er verlangt von ihr folgerichtig, dass sie ihn für sein Schweigen heiratet. Ob das eine gute Ehe gibt?
Die Lösung des Handlungsknotens ergibt sich nun durch den echten Leonard Meryll; der hat nämlich erfahren, dass Fairfax durch das Appellationsgericht begnadigt wurde. Seine Mitteilung löst jedoch beileibe nicht bei allen Beteiligten Jubelstimmung aus, denn Dame Carruthers lässt erkennen, dass sie alle Zusammenhänge kennt, und will nur unter der Bedingung schweigen, dass Leonards Vater, Sergeant Meryll, sie heiratet. Dass der von dieser Erpressung nicht begeistert ist, darf unterstellt werden.
Ganz anders reagiert Elsie: Als man ihr die Begnadigung von Fairfax mitteilt, fällt sie erst aus allen Wolken, sieht sie doch ihre Liebe zum hübschen Leibgardisten in Gefahr; dann jedoch erkennt sie die Verkleidungskomödie und ist nicht mehr zu halten: Sie fällt Fairfax verliebt in dessen weit geöffnete Arme. Ist das nun wenigstens ein gutes Zeichen für eine harmonische Ehe?
Wenn der Zuseher jetzt irritiert ist, hat er allen Grund dazu, denn die Autoren bringen hier Paare zusammen, die niemand auf seinem inneren Radarschirm hatte. Es zeigt sich aber vor dem Fallen des Vorhangs auch, dass eine der Handelnden, Phoebe Meryll, sich schnell gefasst hat und ihrem Bräutigam so „en passant“ klarmacht, dass ihm zwar ihre Hand, nicht jedoch ihr Herz gehören werde. Und außerdem will sie diesen Schritt „noch ein bis drei Jahre“ lang überlegen. Das sitzt bei Wilfred tief und schmerzt.
Und wenn der Zuseher jetzt bemerken sollte, dass da noch eine handelnde Person im Spiel sein müsste, dann wird er nun belehrt: Jack Point, Straßensänger, auch mal Verlobter und sogar fest eingeplanter Gatte von Elsie Maynard, ist über das Geschehen so geschockt, dass er vor den drei Paaren tot (oder bewußtlos?) zusammenbricht...
INFORMATIONEN ZUM WERK
Zwei in der vorgestellten Operette häufig vorkommende Begriffe müssen erläutert werden: Die „Queen’s (bzw. Kings) Body Guard of the Yeomen of the Guard“ ist eine von mehreren Leibwachen der britischen Krone mit heute rein zeremoniellen Aufgaben. Sie wurde 1485 von König Heinrich VII. vor der Schlacht von Bosworth Field aufgestellt und ist damit die älteste noch existierende Leibgarde des britischen Monarchen. Walter W. Skeat hat schon 1882 in seinem „Concise Etymological Dictionary of the English Language“ den Begriff als Zusammensetzung von „young“ und „man“ erklärt. Doch diese einfache Erklärung hat bei anderen Linguistikern Widerspruch ausgelöst, ohne dass es (bis heute) zu einer Klärung gekommen wäre. Folgt man aber Walter W. Skeat und seiner Deutung, dann standen die „young man“ den „tried men“ (den erfahrenen Männern) in der Gefolgschaft des Königs gegenüber - und die soll es bereits unter König Alfred den Großen (reg. 871-899) gegeben haben.
Der andere Begriff betrifft die „Beefeaters“- die im englischen Volksmund so bezeichneten „Yeoman Warders of the Tower of London“. Heinrich VI., ein überaus glückloser König, hatte die Burgwache zu seinem Schutz aufgestellt. Es hat ihm jedoch nichts genutzt, denn 1471 wurde er unter bis heute ungeklärten Umständen im Tower ermordet. Wenn man, um zum Wortbegriff zurückzukehren, die „Beefeaters“ mit „Fleischesser“ übersetzt, liegt man nicht falsch, denn die Leibwachen mussten über eine hervorragende Konstitution verfügen und erhielten eine besondere Ernährung - Fleisch stand keinesfalls auf dem Speiseplan der einfachen Bevölkerung. Aber auch diese simple Erklärung halten einige Linguistiker für zu einfach; sie behaupten, der Begriff „Eater“ sei früher gleichbedeutend mit „Servant“, also „Diener“, gewesen. Die Ableitung aus dem französischen „Buffetier du roy“ könnte für diese Sichtweise sprechen. Doch auch in diesem Fall gibt es keine eindeutige Klärung von den Fachleuten und insofern darf jeder seine eigene Meinung haben.
Um nun zur Musik zu kommen: Arthur Sullivan war von der Qualität seiner Komposition überzeugt, hielt sie sogar für besser als die zum „Mikado“. Im Unterschied zu den älteren Opern fanden Gilbert und Sullivan einen neuartigen Stil: In diesem Stück geht es nicht um Satire oder Burleske, sondern um pathetische Feierlichkeit, eingeschlossen das tödliche Ende eines der Hauptprotagonisten. Und das mag für den Librettisten Anlass gewesen sein, gegenüber dem Komponisten eine klare Grenze zu ziehen: Er würde keinen weiteren Schritt Richtung Oper mehr gehen - für den zweieinhalb Jahre später zur Uraufführung kommenden „Ivanhoe“ musste Sullivan einen neuen Librettisten suchen, den er dann auch in Julian Russel Sturgis fand.
Sullivans Musik ist natürlich dem Stil seiner Zeit verpflichtet, wenn auch verschiedentlich Anklänge an die Musik des 16. Jahrhunderts aufscheinen. Erwähnt werden muss hier als Beispiel das Quartett aus dem zweiten Akt „Strange adventure!“, das wie ein Madrigal klingt. Interessant ist auch das Auftrittslied von Elsie und Jack, „I have a song to sing, oh“ (das ein Shanty erinnert), das sich am Ende der Oper zu einem Lamento für Jack Point entwickelt, ehe er tot (oder bewußtlos, was der Regisseur entscheiden darf) vor Elsie zusammenbricht. Für Jacks „I've jibe and jokes“ verwendet Sullivan englische Volksmusik des 17. Jahrhunderts. Insgesamt aber herrscht eine düstere Stimmung vor, die, hält man sich an die Regieanweisungen, sich auch im Bühnenbild ausdrücken sollen: Die Mauern des Tower sind nicht für freudvolle Szenen gedacht.
Das Erstaunlichste an der Handlung dieses Stücks ist jedoch, dass letztlich die „falschen“ Paare zusammengeführt werden. Nur Fairfax und Elsie wird ein Happyend zugestanden; Sergeant Meryll wird die Erpressung von der resoluten Dame Carruthers kaum gefallen, aber er hat keine andere Wahl. Auch Phoebe sieht keiner glücklichen Zukunft entgegen, wenngleich sie „ihrem“ Wilfred schon mal die Zähne zeigt.
© Manfred Rückert für den Tamino-Opernführer 2014
unter Hinzuziehunjg folgender Quellen:
Beiheft der Philips-Aufnahme, dirigiert von Sir Neville Marriner
Website der Arthur-Sullivan-Gesellschaft