Beethoven: Klaviersonate Nr. 4 Es-dur op. 7 - CD-Rezensionen und Vergleiche (2014)

  • Lieber Willi,


    die hochsommerlichen Nachträge also! :D Ich habe auch noch einige zu machen - u.a. ist Michelangeli aus Tokyo zu mir unterwegs! Im Moment werkele ich in der Wohnung statt Musik zu hören... :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Lieber Holger,


    wie du weißt, mache ich nach jeder Sonate Nachträge in den anderen Threads, da ja immer mal was dazu kommt. Viel Spaß beim Werkeln und immer ein Handtuch in der Nähe :D !


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Ich werde doch versuchen, meine Besprechungen von op. 7 abzuschließen diese Woche mit einem Resume. Alle vier Aufnahmen von ABM habe ich heute schon besprochen und bin dabei, meine fehlenden Vergleiche nachzuarbeiten (von Ashkenazy bis Sokolov). Ich habe schon einige geschafft und stelle sie heute Abend ein - den ABM dann morgen früh, damit es nicht zu viel auf einmal wird! So habe ich wenigstens in einem Fall schon einmal etwas zu Ende gebracht in Bezug auf Beethoven! :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Und anschließend kannst du dich auf Brahms stürzen :D:D .


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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  • Klassisch-schön, burschikos und sehr irdisch: das ist Vladimir Ashkenazys souveräne Aufnahme der Sonate op. 7. Schon zu Beginn zeigen die für Ashkenazy typischen fast mechanisch klopfenden Achtel, dass musikalische Bewegung für ihn primär „Energie“ bedeutet. Die Einleitung und Exposition ist eigentlich tadellos gespielt, wenn da nicht das klobige und klotzige Fortissimo des Themen-Einsatzes wäre. Was bei Emil Gilels so schlüssig wirkt – hier stört es. Dieser Eindruck rührt nicht zuletzt daher, dass Ashkenazy das Fortissimo nicht in das vorherige Einleitungsgeschehen dynamisch einbindet: die Sforzati sind dort nämlich einfach zu zart gespielt. Die Coda stimmt im Tempo – die Melodie wird eher sehr zurückhaltend aber deutlich vernehmbar mit dem Daumen (fast technisch ein wenig knifflig ist!) betont. Wie immer ist Ashkenazy in technischer Hinsicht nahezu perfekt. Auch bei ihm ist in der Durchführung eine Kontraststeigerung nicht richtig zu vernehmen – weil das Fortissimo in der Exposition einfach zu knallig war, verschenkt Ashkenazy hier eine dynamische Differenzierungsmöglichkeit nach oben hin. Insgesamt ist das schön gespielt – es fehlt diesem Satz, der dann doch etwas gefühlt „schnell“ am Ohr vorbeirauscht, so etwas wie Intimität und man wünscht sich etwas mehr „Gewicht“ im Sinne von Bedeutung. Das Largo beginnt er sehr zart, das könnte für meinen Geschmack zu Beginn ein mehr fülliger, choralhafter Ton sein. Das alles ist – episch-ausladender als etwa Michelangeli – schön gespielt, wenn da nicht wieder das zu knallende Fortissimo wäre und eine etwas zu pedallastige und pastose Staccato-Passage. Zudem scheint der Meister nur eine Stufe im „Lauten“ zu kennen: das sf wird bei ihm zum sff – einfach zu knallig wirkt das. Das Scherzo: sehr irdisch, musikantisch-quirlig mit burschikosem Einschlag. Der Minore-Teil ist zwar locker gespielt, aber doch zu kräftig im Ton. Ihm fehlt so etwas – zum Scherzo-Charakter passend – wie elegante Leichtigkeit. Das Rondo-Finale ist mir eindeutig zu geschwind vorgetragen. Dadurch bekommt es einen zu sehr verspielten Charakter, verliert seine melancholischen Untertöne und wird zum allzu harmlos-heiteren Kehraus-Finale. Der „rhythmische“ Fortissino-Teil ist ungemein souverän bewältigt, aber wiederum zu schnell. Wenn zum Ende das Rondo-Thema zur Pianissimo-Erinnerung wirkt, dann versteht es Ashkenazy, dies mit wirklich schönem Ton zum Klingen zu bringen. Auch die Vorschläge am Schluss sind wie sie sein sollen kurz gespielt und dabei noch differenziert. Wie immer ist auch dieser Ashkenazy-Beethoven intelligent und souverän. Die letzten Tiefen dieser Sonate werden hier aber letztlich nicht ausgeleuchtet.



    Steven Bishop-Kovacevichs Version gefällt mir dagegen deutlich weniger als die von Ashkenazy. Bereits die Einleitung ist zwar klar gestaltet mit dynamischen Werten, welche die notierten Bögen schön unterstreichen, doch einfach zu aufdringlich „laut“ im Ton. Der „Ton“ zeigt sich überhaupt als das Grundproblem dieser Aufnahme: ihr mangelt es an Beseeltheit. Was bei Steven Bishop auffällt sind die etwas unmotiviert und manieriert wirkenden Sforzati, die fehlende Tonschönheit und eine doch sehr undifferenzierte, verwaschene Coda. Dem wunderschönen Largo, dass er doch arg geschwind beginnt, fehlt so etwas wie lyrische Konzentration – auch die Präzision in der Wahrung des Tempos. Die Staccato-Passage kommt einfach viel zu schnell daher. Diesem Satz geht bei Stephen Bishop einfach das Wichtigste ab: Beseeltheit! Das Scherzo beginnt ansprechend, auch der Wechsel der Töne vom Frischen zum Melancholischen ist gut gestaltet. Dagegen ist der Minore-Teil (pp vorgeschrieben) eindeutig viel zu laut und undifferenziert – was man da zu hören bekommt erinnert an eine dampfende Qualmwolke. Das Rondo geht vom Tempo her in Ordnung und fügt sich in das Gesamtkonzept ein mit seinen Wechseln vom lyrischen zum burschikosen Ton. Das „Laute“ wirkt einmal mehr zu forsch. Das ist Beethoven als gesunder Jungbursche frei von allen existenziellen Anzweifelungen. Die große „Reife“ nicht nur im architektonischen, sondern auch emotionalen Sinne, welche in dieser Sonate steckt, sie vermag diese Aufnahme einfach nicht zum Vorschein zu bringen.



    Nacheinander gehört realisiert man bei Murray Perahia, was bei Steven Bishop fehlt: Perahia geht den Kopfsatz flüssig an, zugleich die Bögen durch dynamisches Anschwellen und Abschwellen heraushebend. Gleich zu Beginn zeigt Perahia gleich seine Qualität, den „Ton“ einer klassischen Sonate wirklich treffen zu können: die entspannte Gelöstheit, die richtige Balance zwischen kräftigem Zugriff und Lockerheit. Das wird bei ihm komplettiert von einem hochkultivierten Klavierspiel, was den Klavierton fein abzustufen vermag. Dieses Allegro con brio stürmt und drängt freilich nicht – aber es wahrt immer die durchgehende, fließende Bewegung. Nicht ganz perfekt vielleicht die Fortissimo-Passage Takt 79 mit etwas viel Pedal. Aber das ist im Grunde überflüssiges Mäkeln. In der Coda vermag Perahia noch feine Abstufungen anzubringen. Eine seltene Sternstunde ist die Gestaltung der Durchführung, die sich allmählich in ihrer Kontrastierung steigert zu intensiven, singulären Momenten. Im Largo trifft Perahia wiederum den genau richtigen Ton aus choralhafter Fülle und Zartheit. Zwar ist das nicht die ganz „große“ Emotion (con gran espressione) – aber ungemein feinfühlig gestaltet. Die Staccato-Passage gelingt ihm ungemein schlüssig und sehr berührend mit der Zurücknahme ins intime Piano vor der Steigerung zum heftigen Forte.


    (Kleine Anmerkung zur „misteriösen“ Passage mit den Vorschlägen im Diskant, die Perahia zweifellos wunderbar spielt mit einer Echowirkung wie viele andere Pianistenkollegen auch, welche das tenute („ausgehalten“) Takt 41 ins ganz Leise zurücknehmen. Streng genommen steht da aber dreimal in Takt 38 wie auch in Takt 40,41 pp – Beethoven wollte demnach wohl keine weitere dynamische Abstufung. Michelangeli verzichtet deshalb notentextgenau auf eine solche zusätzliche dynamische Differenzierung und setzt dafür die zweite mit tenute unterstrichene Wiederholung Takt 41 wiederum wie vorher pp in derselben dynamischen Abstufung gespielt ins Pedal als „Nachhall“ des Vorherigen.)


    Das bei Perahia flüssig vorgetragene Scherzo zeigt burschikose Töne, bleibt aber stets klassisch ausgewogen und entspannt. Hervorzuheben ist einmal mehr Perahias sehr kultivierter Anschlag. Die Minore-Partie spielt er durchaus satt aber unaufdringlich – sie verbleibt im Piano statt Pianissimo-Bereich. Das abschließende Rondo beglückt durch seine Frische und zugleich klassische Verhaltenheit. Dieser – doch an Mozart erinnernde – Vortragsstil wahrt die Hintergründigkeit einer nicht nur kräftigen, sondern immer wieder auch „feinen“ Musik. Das ist einfach in jeder Hinsicht beglückend: klar, treffend, präzise. Dazu passt die wunderbar zart gespielte letzte Erinnerung des Rondo-Themas wie auch die wirklich wie sie sein sollen kurz angerissenen Vorschläge in der Coda. Eine der für mich besten Aufnahme dieser Sonate – wirklich schön anzuhören!


    Schöne Grüße
    Holger


  • Daniel Barenboim gehört zu denjenigen, welche den Zyklus der Beethoven-Sonaten mehrfach aufgenommen haben. Mir stehen zum Vergleich die EMI-Einspielung von 1969 und die bei der DGG von 1984 zur Verfügung.


    Die erste EMI-Einspielung gehört im Falle von op. 7 zu Barenboims gelungensten. Hier geht sein Konzept des klassisch gemäßigten Sturm und Drang auf. Dieser Ansatz wird schon in der Einleitung deutlich. Barenboim macht daraus eine erste Exposition. Zu Beginn wird der Kontrast p – sf auf die Begleitung ausgedehnt, die so ins Forte anschwellt. Dieses setzt er dann fort durch eine Dynamisierung, welche dieser Piano-Einleitung Forte-Piano-Gegensätze verleiht. Von Anfang an entsteht so eine „aufgewühlte“ Stimmung. Die Stärke von Barenboims Aufnahme ist, dass er dieses Konzept bruchlos weiterführt. Das ist sehr souverän gespielt – auch technisch bis auf die leicht gebremste Coda vielleicht. Das Seitenthema beschleunigt er leicht, so dass der Eindruck eines unruhigen Vorwärtswollens entsteht. Die Durchführung bringt keine weitere dynamische Kontraststeigerung, fügt sich aber organisch in das Ganze ein. Barenboim gelingt in diesem Satz eine klassisch ausgewogene Darstellung – drängend und klassisch entspannt zugleich. Das Largo fällt dann von diesem hohen Niveau etwas ab – es ist ein Beispiel für Barenboims runde, aber unerotische Spielweise. Da fehlt so etwas wie „Schmelz“ fehlender feindynamischer Differenzierung wegen. Bisweilen wird es regelrecht langweilig – die Misterioso-Stelle mit den Vorschlägen wird altmodisch in der Wagner-Tradition zerdehnt. Das Scherzo gefällt in seiner Natürlichkeit und herben Flüssigkeit. Auch der Minore-Teil ist gut gelungen – etwas zu kräftig vielleicht, aber niemals aufdringlich. Insgesamt vermeidet dieses Scherzo das Burschikose in seiner angenehmen Zurückhaltung. Das Rondo-Thema singt er schön aus – der Fortissimo-Teil ist rhythmisch markant, aber vielleicht auch ein bisschen statisch. Auch bei der letzten „Erinnerungs“-Reprise des Rondothemas dehnt er die Dauer arg aus und die Sechzehntel-Vorschläge in der Coda sind zu langsam und dadurch etwas hölzern. Insgesamt eine gelungene, sehr geschlossene Aufnahme, wo eigentlich nur das Largo vom Niveau her abfällt.



    So gut er 1969 diese Sonate bewältigt – so wirklich überflüssig und verzichtbar ist die DGG-Aufnahme von 1984. Der Beginn wirkt schon überhastet – Barenboim zieht das Tempo deutlich an. Das alles gerät nun reichlich pauschal, oberflächlich über Details hinweggespielt und unprofiliert. Gibt es zu Beginn der Exposition nicht sogar im Bass einen falschen Ton? Diesem „neuen“ Barenboim mangelt es in diesem schwierigen ersten Satz an einem klaren und erkennbaren interpretatorischen Konzept. Stürmend und drängend ist das nicht, fließend ja, vielleicht sogar etwas verspielt? Das Largo wirkt mit den überlangen Pausen langatmig. Er bemüht sich sichtlich um rhetorische Details – der Blick für den Zusammenhang, das große Ganze, geht dabei allerdings verloren. Das Scherzo hat nun seine Natürlichkeit eingebüßt im forcierten Tempo – der Minore-Teil ist nun ebenfalls forciert zu mächtig. All das passt im Charakter nicht zum Rondo, das nun seinerseits dynamisch etwas aufgeputscht wird. Außer dieser Manier des Forcierens bietet diese Aufnahme keinerlei neue Perspektiven. Deswegen ist man gut beraten, bei der guten alten zu bleiben.


    Schöne Grüße
    Holger


  • Friedrich Guldas Aufnahme bestätigt indirekt, dass das „con brio“ im Kopfsatz von op. 7 auf ein pastoses Sturm-und-Drang-Gemälde eben nicht hindeuten kann. Gulda nimmt diesen Satz schnell, sehr schnell – aber daraus ergibt sich keinerlei Drängen, sondern die Musik wird statt dessen zum flüchtig-unverbindlichen Spiel. Letztlich führt dieses vorwärts hastende Tempo nur zu einem Verdeckungseffekt, dem Unkenntlichwerden der Syntax. Das zeigt sich schon in der Einleitung. Beethoven notiert den Bogen nach dem Auftakt (Takt 5, 6 – siehe Bild) – Gulda verwischt diese Zäsuren, indem er den Bogen in den Auftakt hineinzieht, weil dies in diesem geschwinden Tempo-Gang manuell auch gar nicht anders zu realisieren ist:



    Den Überblick für das Ganze wahrt Gulda immer – aber dieser makroskopische Überblick hier auf Kosten von Komplexität, der komplizierten Binnendramatik im mikroskopischen Motivdetail. Man denkt sich bei Gulda: Ganz nett, dieser Beethoven. Aber es geht alles viel zu schnell, um bleibende Eindrücke zu hinterlassen. Die Durchführung wirkt sogar regelrecht grobschlächtig. Auch das Largo scheint zu unverbindlich, da fehlt der besinnliche, gefühlvolle Ton im etwas zu schnellen Tempo. Das Scherzo gelingt dem Meister, wirkt aber auch ein wenig glatt. Der Minore-Teil mit Wiener Schlampigkeit vorgetragen gerät genau deshalb zu bombastisch. Das finale Rondo ist eindeutig tempomäßig völlig überdreht: Die Folge ist Allegro (Scherzo) und Poco Allegretto e grazioso (Rondo) – und nicht: Poco Presto! Fazit: Diese Gulda-Aufnahme ist eindeutig nicht gelungen.



    Auch in seiner Aufnahme von op. 7 beweist Artur Schnabel in der ersten und ältesten Beethoven-GA, dass er ein wahrlich charismatischer Beethoven-Spieler war. Schnabel hat das Gulda-Tempo – aber was ereignet sich dabei alles ohne Guldas rationalistische Glätte und Kühle! Das ist unkonventionell gespielt – expressiv-unruhig ohne Rücksicht auf Perfektion und Proportion und trotzdem nicht „chaotisch“, sondern intuitiv trefflich. Obwohl man diesen Satz so eigentlich nicht spielen kann, ist das schlicht faszinierend, ein poetisches Meisterstück. Schnabel hat nicht zuletzt die Leichtigkeit des Anschlags, um in diesem hohen Tempo nicht grobschlächtig oder pauschal zu wirken. Die fehlende architektonische Sicht führt allerdings dazu, dass dem überdrehten Tempo wegen der Eindruck einer zu großen Dichte entsteht – man kommt sich ein bisschen vor wie in Alban Bergs Orchesterstücken, wo gleich mehrere Mahlersche Märsche zusammenklingen. Evident wird der interpretatorische Tempo-Fehlgriff in der Durchführung. Der Durchführungs-Sinn erschließt sich schlicht nicht mehr. Auch bei Schnabel entsteht kein Stürmen und Drängen, sondern lediglich Unruhe. Weil die klassische Ruhe fehlt, um die Proportionen darzustellen, fehlt der Durchführung entscheidend der Raum zur Kontrastschärfung, welche formal eigentlich ihre Aufgabe ist. Statt dessen wird es lediglich turbulent laut. Das Largo zelebriert Schnabel geradezu in bedächtiger Langsamkeit. Hochpoetisch ist das – die Musik zerfällt allerdings auch den einzelnen Moment auskostend in lauter Momentaufnahmen. Die aus der Wagner-Tradition stammende Manier, mit Tempowechseln zu arbeiten, unterstützt diesen Zerfall des musikalischen Kontinuums noch. Das Scherzo spielt Schnabel wunderbar natürlich – nur stimmen die Tempo-Proportionen zum Kopfsatz nicht. Im Vergleich mit dem geschwinden Allegro con brio ist dieses Scherzo-Allegro nämlich einfach zu langsam. Die Minore-Partie wirkt expressiv aufgepuscht und etwas zu mächtig, auch wenn Schnabel hier durchaus Feingefühl zeigt, um die Scherzo-Leichtigkeit zu wahren. Das anschließende Rondo ist ein Grazioso-Wunder – in seiner himmlischen Leichtigkeit einfach beglückend. Auch wenn diese Aufnahme konzeptionell sehr viele Fragezeichen aufwirft, so ist dieses hochpoetische Klavierspiel jedoch immer höchst faszinierend.


    Schöne Grüße
    Holger


  • Wilhelm Kempff hat eine wirklich betörend klangschöne und hochpoetische Aufnahme hinterlassen – das ist ausgerechnet seine „altmodischste“ aus den 30igern. Dagegen ist seine letzte Studioaufnahme bei der DGG wenig gelungen: verkrampft rhetorisch bis hin zum Manierismus, wenig homogen und geschlossen. (Beide Aufnahmen hatte ich bereits verglichen.) Man kann diese Sonate einfach nicht ohne pianistische Perfektion bewältigen – da hilft auch noch so viel musikalische Phantasie nicht, welche Kempff bemüht. Die ältere Mono-Aufnahme von Kempff aus den 50igern hat zwar vergleichbare Schwächen, ist jedoch deutlich organischer, vor allem im Kopfsatz. Kempff beginnt hier flüssiger. Wenn auch seine Dynamisierungen schon in der Einleitung eher aufdringlich wirken, so verbinden sich seine Einfälle jedoch eher zu einem sinnvollen Ganzen. Das Largo ist gefasster und einheitlicher im Tempo – schön gespielt! Auch das Scherzo wirkt deutlich natürlicher als in der letzten Stereo-Aufnahme. Das Rondo nimmt er wiederum einen Tick zu schnell. Bei aller Melodik fehlt ihm die Gebrochenheit, der Anflug von Melancholie. Deutlich besser ist diese monaurale DGG-Studio-Aufnahme als die letzte in Stereo – jedoch im Vergleich mit der alten Einspielung aus den 30igern ein eher matt leuchtender Stern.



    Kempffs intuitive Musikalität, für die Perfektion eine untergeordnete Rolle spielt im Vergleich mit Grigory Sokolovs überlegtem Perfektionismus – einen größeren Gegensatz könnte es kaum geben. Selbst einem Svjatoslav Richter liegt die Sonate op. 7 eindeutig nicht. Wie ist es also mit Sokolov? Im Prinzip ähnlich! Deutsche Klassizität und russisches Expressivo – das vermag bei Sokolov keine wirklich harmonische Verbindung einzugehen. Schon die merkwürdigen Dehnungen in der Einleitung wirken unklassisch und ebenfalls das Drücken und Drängen, was wohl eher zu Rachmaninow passen würde. Der Hauptthemenkomplex gerät insgesamt zu flüssig und wenig differenziert – schon zu Beginn, dem Einsatz des Hauptthemas, kassiert Sokolov den Unterschied zwischen einem ff und sf. Das Seitenthema wird in altmodischer Manier im Tempo ausgebremst. Das passt deshalb nicht, weil es der Konsequenz entbehrt. Einmal Gewähltes verpflichtet in einer klassischen Sonate: Der flüssige Beginn findet aber keine Fortsetzung. Der Fortissimo-Schluss Takt 78 ff. gerät eindeutig zu bombastisch – da fehlt die formgebende, dynamische Balance. Die Coda spielt der große Techniker Sokolov stupend leicht, keine Frage. Aber das Fortissimo zu Beginn der Durchführung ist schlicht zu brutal. Zudem versteht Sokolov offenbar die zwingende Logik der klassischen Syntax von sich dramatisch verdichtenden kontrastierenden Gegenüberstellungen nicht wirklich. Dem Satz fehlt somit die Einheit und formale Geschlossenheit – und immer wieder stört das die Zeit aufhaltende Expressivo. Das Largo nimmt Sokolov sehr breit. Was ihm fehlt, ist Phrasierungs-Prägnanz, eine klassisch scharfe Zeichnung der Gestalten. Die Ritardandos und Tempowechsel – sie generieren keine organische Entwicklung wie bei der beschleunigten Staccato-Passage. Das Scherzo gefällt mit seiner Zartheit und Flüssigkeit sowie mit kecken Sforzati. Die Minore-Passage gerät dann aber wieder zu russisch-mächtig. Das Rondo ist dem Tastenkünstler Sokolov noch am besten gelungen, obwohl es eine Spur zu eilig ist mit merkwürdig mechanisch-pochenden Sechzehnteln und grimmig aufsteigenden 32teln. „Grazioso“ ist das jedenfalls nicht! Die Fortissimo-Passage klingt zu etüdenhaft und die letzte, ferne Erinnerung des Rondo-Themas ist eher trocken. Der bläht sich für einen Ausklang viel zu dramatisch mächtig auf – auch wenn sich das Geschehen bei Sokolov zum Schluss beruhigt. Nein – das ist einfach kein stimmiges und schlüssiges Interpretationskonzept, was freilich nicht einfach zu finden ist bei dieser so schwierigen Sonate.



    Auch Alfred Perl gehört zu denjenigen, für welche die Hürde Beethoven op. 7 für mich doch überraschend zu hoch ist. Schon die Einleitung offenbart das Problem. Mit viel zu viel Pedal schmelzen die Abschnitte und Einteilungen so dahin. Ähnlich Barenboims 1984iger Aufnahme ist das in zügigem Tempo alles viel zu pauschal und undifferenziert. Statt Liebe zum Detail wird Beethovens Sonatenarchitektur großflächig überspielt. Die Coda ist sehr kräftig – und die Durchführung fällt lediglich auf durch eine eher einfallslose Gestaltung. Auch das Largo ist fade und farblos – da fehlt ein lyrisch intensiver Ton. Der Staccato-Passage mangelt es an sich durchhaltender Spannung – die Forte-Höhepunkte wirken eher klobig. Das Scherzo bildet die Fortsetzung des Kopfsatzes, ein flüssiger aber zu wenig prägnanter Vortrag. Die Minore-Passage mit viel Pedal genommen kann man akzeptieren – sie fällt allerdings auch weder positiv noch negativ auf. Das Rondo: Glanzlos und ausstrahlungslos, da springt der Funke nicht über. Das klingt alles nicht so, als ob sich Perl mit jeder Note dieser Musik wirklich voll und ganz identifizieren könnte, sondern eher wie die Absolvierung eines Pflichtprogramms in Sachen Beethoven-Gesamtaufnahme.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Lieber Holger,


    schönen Dank für die interessanten und kompetenten Direktvergleiche deiner Rezensionen. Ich weiß nicht, wie es kommt, oder vielleicht doch, dass die Rezensionen von Ashkenazy, Kovacevich und Perahia, dann Barenboim 60er und letztlich Gulda und Schnabel, im Wesentlichen nicht von meinen abweichen. Ein Indiz dafür ist, dass du bei vielen Stellen der schwächeren Aufnahmen (Kovacevich, Gulda) als Erstes das fehlerhafte (zu schnelle) Tempo, dann auch dynamische Unzulänglichkeiten oder Schwächen in der Exasktheit des Spiels anmahnst, ähnlich wie es auch bei mir zum Tragen kam. Vielleicht habe ich Ashkenazy noch ein wenig keitischer beurteilt, aber die Aufnahmen von Perahia, Barenboim 60er und Schnabel ragen auch bei mir heraus. Natürlich kommen sie alle nicht an Gilels heran, aber wer kann das schon?
    Aufgefallen ist mir für meine Bewertungen, dass ich am Anfang, und Nr. 4 war ja die erste Sonate, die ich ausgesucht habe, strenger und kleinlicher bewertet habe, als ich es jetzt tue. Aber das liegt vielleicht daran, dass sich insgesamt durch die Arbeit mit den Sonaten bei mir eine Wechselwirkung eingestellt hat. Je mehr ich gehört und besprochen habe, desto ruhiger und gelassener wurde ich auf der einen Seite, aber auch meine Begeisterungsfähigkeit wuchs ständig, und ich freue mich jedesmal, wenn ich bei einer anderen Sonate an einer bestimmten Stelle etwas bemerkt habe, von dem ich glaube, es vorher hoch nicht bemerkt zu haben. Für mich selber bewerte ich das als "Working in Progress", da ich ja nahezu unwissend in das Projekt gestartet war.
    Dann will ich mal hoffen, dass meine Freude und Begeisterung weiter anhält, auch wenn manchmal Aufnahmen dabei sind, die mich nicht so begeistern.
    Zu Barenboim 84 kann ich noch nichts sagen, da ich ihn auf Blu Ray angschafft habe und die Arbeit damit nicht am Computer machen kann. Ich werde die Besprechungen dann irgendwann als Einzelprojekt nachholen.


    Liebe Grüße


    Willi :)

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  • Aufgefallen ist mir für meine Bewertungen, dass ich am Anfang, und Nr. 4 war ja die erste Sonate, die ich ausgesucht habe, strenger und kleinlicher bewertet habe, als ich es jetzt tue. Aber das liegt vielleicht daran, dass sich insgesamt durch die Arbeit mit den Sonaten bei mir eine Wechselwirkung eingestellt hat. Je mehr ich gehört und besprochen habe, desto ruhiger und gelassener wurde ich auf der einen Seite, aber auch meine Begeisterungsfähigkeit wuchs ständig, und ich freue mich jedesmal, wenn ich bei einer anderen Sonate an einer bestimmten Stelle etwas bemerkt habe, von dem ich glaube, es vorher hoch nicht bemerkt zu haben. Für mich selber bewerte ich das als "Working in Progress", da ich ja nahezu unwissend in das Projekt gestartet war.
    Dann will ich mal hoffen, dass meine Freude und Begeisterung weiter anhält, auch wenn manchmal Aufnahmen dabei sind, die mich nicht so begeistern.


    Lieber Willi,


    so soll es ja auch sein. ;) Man wird auf neue Dinge aufmerksam - genau das sollte eine überragende Interpretation bewirken können. Man ändert vielleicht gewisse Hörgewohnheiten oder freundet sich mit einer anderen Sicht an. Die Sonate op. 7 ist besonders spannend, weil es da so ganz und gar kontroverse Sichtweisen gibt und "Mythen" selbst bei Muwis oder Kaiser.


    Apropos Kaiser. Gerade las ich ihn nochmals und da wird mir klar, warum Sokolov das so spielt! Russische Pianistenschule! Kaiser erwähnt die sehr problematische aber auch intellektuell hoch originelle Aufnahme von Samuel Feinberg. Von ihm habe ich zuletzt eine Aufnahme der Scriabin-Mazurken erstanden - ideal! (Kann ich nur empfehlen! :) ) Feinberg (Komponist und Pianist) war wohl eine große Persönlichkeit. Offenbar war Feinbergs Aufnahme das Vorbild für Sokolov. Kaiser erwähnt nämlich, dass Feinberg beim Seitenthema das Tempo rausnimmt - genau das macht Sokolov auch. Das kann kein Zufall sein. Schade, dass diese Feinberg-Aufnahme nicht greifbar ist. Das sind immer die interessanten Bezüge bei solchen Vergleichen! Nun muß ich wieder an die Arbeit, die Musik kommt etwas später... :D


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Gestern Abend habe ich noch deine 4. Verrgleichsfolge gelesen,lieber Holger, aber ich war zuz müde, um noch darauf zu antworten. Das hole ich jetzt nach. Zunächst möchte ich mich auch für diesen Beitrag bedanken.


    Bei den drei zuletzt Genannten bin ich zu anderen Ergebnissen gekommen als du, jedenfalls, was die spätere Kempff-Einspielung betrifft, die ich gerade in Bezug auf Kempffs lyrische Fähigkeiten als besser angesehen habe. Allerdings gefiel mir die 1933er Aufnahme in manchen Dingen noch etwas besser, wohingegen mir die Auslassungen der Wiederholungen nicht so gut gefielen, was aber damals wohl gang und gäbe war.


    Sokolov gefiel mir gerade wegen seiner enormen dynamischen Kontraste, was in der Tat der russischen Pianistenschule geschuldet ist, aber auch wegen der temporalen Kontraste sehr gut, vorallem sein gelassenes Tempo in den lyrischen Seitenthemen. Allerdings hat sein schnelles Tempo im Rondo auch in meinem internen Ranking eine bessere Platzierung verhindert.


    Bei Alfredo Perl bin ich aus ähnlichen Gründen wie dem späten Kempff zu anderer Auffassung gelangt. Mir gefällt sein hochstehendes lyrisches Spiel und sein runder Klang und sein kluges, dynamisch ausgewogenes Spiel, auch in dieser Sonate.


    Vielleicht rühren meine manchmal anderen Ergebnisse auch daher, dass ich mich mittlerweile mehr noch als zu Beginn von meinem Gerfühl als von der Partitur leiten lasse. Und wer einmal Perl und vor allem Sokolov live erlebt hat und auf diese Weise, der kommt nicht mehr davon los.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Gestern Abend habe ich noch deine 4. Verrgleichsfolge gelesen,lieber Holger, aber ich war zuz müde, um noch darauf zu antworten. Das hole ich jetzt nach. Zunächst möchte ich mich auch für diesen Beitrag bedanken.

    Ja klar, lieber Willi! "Unser" Beethoven-Projekt macht auch mir große Freude :D - ich brauchte nur etwas mehr Zeit.


    Bei den drei zuletzt Genannten bin ich zu anderen Ergebnissen gekommen als du, jedenfalls, was die spätere Kempff-Einspielung betrifft, die ich gerade in Bezug auf Kempffs lyrische Fähigkeiten als besser angesehen habe. Allerdings gefiel mir die 1933er Aufnahme in manchen Dingen noch etwas besser, wohingegen mir die Auslassungen der Wiederholungen nicht so gut gefielen, was aber damals wohl gang und gäbe war.

    Kempff mag ich ja auch sehr und in der Appassionata z.B. finde ich die "rhetorische" Dimension des späten Kempff einen wirklichen Gewinn. Hier - bei der "klassischsten" Sonate von Beethoven vielleicht - erscheint mir das einfach weniger stringent. Hast Du die DGG-Aufnahme aus den 50igern? Die emfinde ich als wirklich deutlich besser als die letzte - das Largo ist da auch sehr, sehr schön!


    Sokolov gefiel mir gerade wegen seiner enormen dynamischen Kontraste, was in der Tat der russischen Pianistenschule geschuldet ist, aber auch wegen der temporalen Kontraste sehr gut, vorallem sein gelassenes Tempo in den lyrischen Seitenthemen. Allerdings hat sein schnelles Tempo im Rondo auch in meinem internen Ranking eine bessere Platzierung verhindert.

    Der Bezug mit Feinberg ist mir doch entgangen. Was die Tempowechsel angeht erzählte mir mein Lehrer eine Anekdote aus seiner Zeit als Konservatoriumsschüler in Köln - er studierte bei Ludwig und Kontarsky. Erarbeiten sollte er von Schubert die schöne Sonate D 664. Im Schlußrondo wollte er an einer schönen Stelle das Tempo rausnehmen. Da bekam er mit Ludwig (der auch der Lehrer von Alfredo Perl ist!) beim Vorspielen richtig Krach. Es galt damals nämlich als "ungeschriebenes Gesetz", dass man eine klassische oder romantische Sonate strikt in einem einheitlichen Grundtempo spielen mußte! Die Art, das Tempo zu wechseln, war verpönt. Besonders gefreut hat er sich deshalb über die letzte Aufnahme von Brendel, wie er mir das breit lächelnd erzählte, der genau da auch das Tempo zurücknimmt, also diesen "Tabubruch" begeht, den man ihm damals im Konservatorium übel genommen hatte. :D Ich habe eine Aufnahme von D 664 aus Lugano mit Geza Anda, der macht ständig solche Tempowechsel. Das gilt auch für Kempffs Aufnahme von op. 7 aus den 30igern. Ich gehe davon aus, dass Michelangeli sie kannte. Im Interwiev äußert er nämlich als Kritikpunkt zur Spielweise des 1. Satzes "Angst vor der Konstanz der Tempi". Ich muß sagen, bei Kempff beanstande ich das nicht. Bei Sokolov dagegen paßt es für mich nicht. Kempff nämlich beginnt mit solchen "Modifikationen des Tempos" im Sinne von Richard Wagner von Anfang an. Sokolov dagegen nimmt den Anfang sehr motorisch - und da ist diese Tempoverschleppung für meinen Geschmack nicht konsequent und stimmig. Aber wahrscheinlich hat er sich das bei Feinberg abgehört. Die Aufnahme müßte man nur haben...


    Bei Alfredo Perl bin ich aus ähnlichen Gründen wie dem späten Kempff zu anderer Auffassung gelangt. Mir gefällt sein hochstehendes lyrisches Spiel und sein runder Klang und sein kluges, dynamisch ausgewogenes Spiel, auch in dieser Sonate.

    Diese Qualitäten mag ich bei ihm ansonsten auch. :) Nur ist er mir in op. 7 etwas zu pauschal. Da hat z.B. Perahia einfach mehr zu bieten.


    Vielleicht rühren meine manchmal anderen Ergebnisse auch daher, dass ich mich mittlerweile mehr noch als zu Beginn von meinem Gerfühl als von der Partitur leiten lasse. Und wer einmal Perl und vor allem Sokolov live erlebt hat und auf diese Weise, der kommt nicht mehr davon los.

    Die Sonate op. 7 begleitet mich schon ziemlich lange und auch die Diskussionen darüber - mein Lehrer hat sie nämlich im Konzertexamen gespielt uhnd ich habe deshalb über so manche Probleme von ihm schon "Vorträge" bekommen. Er hörte damals Michelangeli mit op. 7 im Konzert, was ihn schwer beeindruckte. In Düsseldorf hatte Michelangeli auch mal einen Beethoven-Abend angesagt in der Tonhalle und ich hatte die Karten. Leider sagte er das Konzert kurz vorher ab - für ihn sprang Claudio Arrau ein. Das waren noch Zeiten - was für ein "Ersatz"! :)


    Herzlich grüßend
    Holger

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  • Mit meiner ABM-Besprechung und dem Schluß-Resume wird es noch etwas auf sich warten lassen. Einmal muß ich den Feinberg noch einbeziehen und zum anderen mir noch etwas Arbeit machen mit dieser so schwierigen aber auch hochinteressanten Sonate. Nun gibt es aber erst einmal eine "Foren-Pause"...


    Also bis demnächst :hello:
    Holger

  • Mir geht es ähnlich, lieber Holger, ich starte Sonntag früh nach Kiel zum Verdi-Requiem, und in der nächsten Woche werde ich noch einige Nachholer einstellen und mich dann allmählich um die neue Sonate kümmern.


    Liebe Grüße auch an deine Frau und gute Reise


    Willi :)


    P.S. Übrigens, war sie auf dem einen Foto aus Nessebar?

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Nach eineinhalb Jahren bin ich mal wieder in dieser wunderbaren Soante unterwegs:



    Beethoven, Sonate Nr. 4 Es-dur op. 7
    Yves Nat, Klavier
    AD: 20. 9. 1955
    Spielzeiten: 7:49-6:56-5:16-6:20 --- 26:17 min.;


    Yves Nat ist im Kopfsatz der Es-dur-Sonate fast eine Minute rascher als Emil Gilels und noch etwas mehr als Claude Frank. Rhythmisch und dynamisch ist das alles im Lot, auch der Fortissimoeinsatz in den Takten 25 und 29 passt. Vor allem tut die Musik Eines, sie fließt. Und das setzt sich im ersten Seitensatzauftritt ab Takt 41 fort, aber erst im zweiten Einsatz ab Takt 59 beruhigt sich das Geschehen etwas, wo den Nat es auch temporal etwas vom Hauptsatz absetzt, also etwas verlangsamt.
    Auch den musikalisch sehr dichten, achtstimmigen Fortissimo-Doppeltakt 79/80 spielt Nat sehr kraftvoll und daran schließt Nat wieder die ruhigeren Bögen an, bevor er mit Vehemenz die Schlussgruppe ab Takt 93 mit den hämmernden Staccati einsetzt, die er über die beiden Sechzehntel-Crescendi ab Takt 97 und die perlenden Sechzehntelkaskaden ab Takt 111, kontrastiert von den glockigen anhaltenden stufenversetzten Bass-Sforzandi, unaufhaltsam zum Ende der Exposition hinstreben lässt, am Ende auslaufend in kraftvollen Fortissimo-Oktaven. Selbstverständlich wiederholt Nat auch die Exposition. Die zu Gunsten der ausgedehnten Exposition stark verkürzte Durchführung spielt Yves Nat mit ihren großen rhythmischen Gegensätzen und ihrer dynamischen Spannweite voll aus und führt über ein kurzes Decrescendo ab Takt 189 in die Reprise.
    Diese mit ihren musikalisch auch hier geänderten Figuren spielt er wieder mit Vehemenz, die sich nach kraftvollem Beginn wieder in leisere fließende Gefilde zurückzieht, bevor Nat über das Oktavencrescendo wieder zu dem hämmernden Fortissimo-Doppeltakt kommt, dann nach kurzer Beruhigung wieder die Sforzando-Treppenschritte (ab Takt 273) und schließlich nochmal die hochdynamische Schlussgruppe, die er schließlich in eine noch bewegtere Coda führt- noch größere dynamische Kontraste- noch einmal grüßt das zweite Seitenthema vorüber (ab Takt 324 mit Auftakt) und mit kernigem Fortissimo nach Crescendo ab Takt 351 beendet Yves Nat diesen unglaublichen Brio-Kopfsatz einer unglaublichen Sonate.


    Im Largo ist Yves Nat fas zwei Minuten schneller als Aldo Ciccolini, über drei Minuten schneller als Emil Gilels und dreieinhalb Minuten schneller als Michael Korstick, und ich muss sagen, mir ist das etwas zu schnell, denn Largo (langsam, breit) ist die drittlangsamste Tempobezeichnung nach Larghissimo (sehr breit) und Grave (schwer), und ich bin nach wie vor der Meinung, dass sich Der Pianist der Möglichkeiten beraubt, in einem so langsamen Satz di größtmögliche musikalische Tiefe zu erreichen, wenn er sich nicht die genügende Zeit dazu lässt.
    Das kommt dann hier besonders an solchen Stellen wie Takt 12 und Takt 62 (Zweiunddreißigstel) zum Ausdruck, und auch das zweite Thema, das sowieso temproal etwas rascher angelegt ist (sempre tenute(sempre staccato), wirkt dann nochmals etwas schneller. Das klingt hier für mich eher wie Andante, und auch die unglaublichen Vorschlagszweiunddreißigstel in Takt 38, 40 und 41, klingen dann m. E. nicht mehr unglaublich, sondern eher beiläufig.
    Desgleichen habe ich den Eindruck bei den absteigenden Sechzehnteln ab Takt 47 auf der Zwei. Da dürfen die Sechzehntel nicht herabrollen, sondern sie müssen herab schreiten. Wie schade- denn dies ist einer der ausdrucksvollsten langsamen Sätze Beethovens, wenn er langsam genug gespielt wird. Wenn man mal an das andere Ende der Fahnenstange geht, op. 106 Bdur, "Adagio sostenuto". Wie langsam wird der von den meisten gespielt, und das Tempo ist objektiv nicht so langsam wie in der Es-dur-Sonate.
    Und erst die zaubrische Coda- da kann man in den Himmel schauen, wenn einem der Pianist die Zeit dazu lässt- hier kann man es nicht.
    Nicht, dass wir uns falsch verstehen, Yves Nat spielt das alles pianistisch hervorragend, nur spielt er kein Largo, sondern ein Andante.


    Im Allegro habe ich das Gefühl, dass er hier das richtige Tempo spielt, etwas langsamer als Korstick und Ciccolini, aber schneller als Gilels, aber alle hier genannten Tempi sind im allegro richtig. Allerdings spielt er über das Calando in Takt 39 bis 42 hinweg.
    Dennoch verleiht er hier dem Dreiertakt die nötige Ruhe und den pastoralen Charakter. Auch dynamisch zeichnet er die Verläufe der Partitur aufmerksam nach, z. B. spielt er ein wunderbares Decrescendo ab Takt 65.
    Das Minore spielt er mit dunkler Tongebung und dynamisch, wie ich finde, angemessen. Dann schließt er das Allegro Da Capo an.


    Im finalen Poco Allegretto e grazioso ist Nat wieder der Schnellste von den hier zur Auswahl stehenden. Am nächsten ist er noch Michale Korstick, der 20 Sekunden langsamer ist, aber Emil Gilels ist eineinhalb Minuten langsamer und Aldo Ciccolini fast zwei Minuten. Auch hier gilt es wieder festzustellen, dass Allegretto halt langsamer ist als Allegro.
    Für einen Satz mit dieser Satzbezeichnung ist schon in der Eröffnung festzustellen, dass es in diesem Tempo m. E. ein wenig am "grazisoso" mangelt. Es fließt halt wieder so dahin. Rhythmisch und dynamisch aber spielt er aufmerksam, doch in den an sich anmutigen Oktavwechseln wäre m. E. mehr Tiefenwirkung mit etwas weniger Tempo möglich.
    In der Durchführung dagegen halte ich das eingeschlagenen Tempo für zutreffend, da die Durchführung zumeist aus Zweiunddreißigsteln besteht. Auch dynamisch spielt er die Durchführung sehr kontrastreich. Aber bei seinem einmal eingeschlagenen Tempo ist es auch kein Wunder, dass er wiederum über das die Durchführung abschließende Calando hinweg spielt. Dass sind so Schlüsselstellen, die für mich (und höchstwahrscheinlich auch für Beethoven) unbedingt dazugehören .
    Die Reprise spielt er entsprechend der Exposition, auch eingedenk der geänderten musikalischen Figuren.
    Auch die Coda mit den wunderbaren Vorschlagsnoten spielt er wirklich gut.


    Leider haben mich vor allem temporale Probleme in dieser Interpretation gestört.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Leider haben mich vor allem temporale Probleme in dieser Interpretation gestört.

    Lieber Willi,


    auch so eine ja nicht unberühmte Gesamt-Aufnahme, die in meiner Sammlung vorhanden sein sollte, es aber nicht ist. Und op. 7 ist natürlich interpretatorisch besonders heikel. :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger

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