Beethoven: Klaviersonate Nr. 4 Es-dur op. 7 - CD-Rezensionen und Vergleiche (2014)


  • Beethoven, Sonate Nr. 4 Es-dur op. 7
    Andras Schiff, Klavier
    AD: 7. März 2004
    Spielzeiten: 9:07-8:54-5:12-7:25 -- 30:38 min.;


    In der Tat täte ich András Schiff Unrecht, wenn ich sagte: Endlich hat er zu Beethoven gefunden, denn dieses Programm mit op. 2 Nr. 1, 2 und 3 sowie op. 7 war das erste, das er aufgenommen hat. Er hat den ganzen Zyklus in chronologischer Reihenfolge aufgenommen. Er hat also schon mit dem op. 7, wie ich der ersten Hälfte entnehmen kann (und ich muss gestehen, auch Holgers Rezension (Posting Nr. 206), einen großen Wurf gemacht.
    Es stimmt in diesem Abschnitt (Takt 1 - 78) einfach fast alles, Klarheit des Vortrags, Behandlung der Dynamik, Tempo, Legatobögen, Staccati. Selbst die eine oder andere agogische Freiheit in Takt 59 bis72 (kaum merkliches Ritartando auf der einen oder anderen Achtel) passt in dieses geschlossene Bild.
    Selten noch habe ich einen so großen Kontrast von den beiden veritablen ff- Takten 79/80 zum subito Pianissimo vernommen. Es ist, als wenn man mit einem raschen Schritt von einer Welt in eine andere Tritt. Auch die folgende Passage spielt er unter Ausnutzung der ganzen dynamischen Spannweite mit wunderbaren Bögen, kräftigen Sforzandi und fein austarierten Melodie und Begleitung. Auch die Oktavverschiebungen mit den begleitenden Sechzehntelfiguren sind kraftvoll und schön fließende vorgetragen.
    Auch in der Durchführung bleibt das dynamische Wechselspiel erhalten, sind die Achtelbögen fein ausgesungen und folgen wiederum kraftvolle Sforzandi mit einem schön zurückgehenden Decrescendo.
    Die zwanzig Takte im zweiten Teil der Durchführung zwischen den beiden Doppelstrichen beginnen ganz zart, werden dann von zwei kraftvollen ff-Akkorden kontrastiert und gehen dann wieder ab Takt181 und mehr noch in Takt 185 und 186 zurück. Auch die dynamisch höher stehenden Anfangstakte der Reprise spielt Schiff voll aus und demonstriert damit einmal mehr, dass dieser Satz nicht nur viele lyrische Passagen hat, sondern dass ihm auch ein kraftvoller Impetus innewohnt, der auch die Ambivalenz dieses Satzes ausmacht.
    Auch in der Reprise geht er beim lyrischen Seitenthema sehr weit zurück, wobei er die nächste Steigerung ab Takt 243 moderater ausführt. Die Oktavüberleitungen führen, wie ich finde, doch zu einer veritablen Fortissimo-Passage und subito pp zu einer eine kleinen viertaktigen pp-Überleitung zur nächsten Oktavenpassage, in der er die Hebungen und Senkungen im Bereich bis f ausführt, um die nächsten Sforzandi (Takt 273 bis 276) und die nachfolgenden dynamisch hochstehenden Oktaven-Sechzehntel und den sich anschließenden Crescendo-Legatobogen noch ordentlich steigern zu können. Nach der neuerlichen Oktavverschiebung geht es in den Codateil ab Takt 312, den Schiff auch entsprechend vorantreibt, bis er nach dem subito piano wieder sehr ausdrucksvoll den jetzt variierten lyrischen Seitengedanken vorträgt, der durch die crescendierten Dreiachtel-Akkorde in den dynamisch stetig kontrastierenden Schlussschwung übergeht.


    Das Largo ist nur geringfügig kürzer als der Kopfsatz, sogar noch etwas länger als das von ABM und wesentlich länger als das von z. B. Kempff, der ja auch einen längeren Kopfsatz gespielt hatte als das Largo.
    Ausdrucksmäßig gehört dieses erste Thema zur Spitze dessen, was ich bisher gehört habe. Er behandelt die dynamischen Vorgaben mit feinstem Zugriff. Das ist alles wunderbar abgestuft. Selbst die beiden Fortissimi in Takt 20 und 21 lassen noch Luft nach oben.
    Auffällig ist, dass er das zweite Thema zwar sempre tenute-sempre staccato spielt, aber keinesfalls schneller als das erste. Sonst wäre er in 8 Minuten mit dem Satz durch gewesen. Seine Staccati sind frappierend und auch die dynamischen Unterschiede durchaus erheblich. Was mit im Crescendo ab Takt 35 so gut gefällt, ist, dass er dieses Crescendo auch adäquat auf die begleitenden Sechzehntel bezieht. Nach diesem kräftigen Crescendo tut sich in den herrlichen hohen Trillern ein immenser Kontrast auf. In der anschließende Sforzandokette crescendiert er, was auch nicht jeder tut, aber es macht Sinn, wenn dann ein spiegelbildliches Decrescendo folgt.
    Ich mag mich irren, aber ich habe das Gefühl, dass er die Wiederholung des Hauptthemas etwas langsamer nimmt, was in meinen Augen (Ohren) zu einer ungeheuren Ausdruckssteigerung führt, weil das auch einfach grandios gespielt ist. ER behandelt auch die nächsten Hebungen und Senkungen moderater und kommt erst im sfp in Takt 64 zu einem Forte, desgleichen in der Steigerung im Rinforzando ab Takt 67. Auch nach dem überleitenden Takt 69 ist der Kontrast zu den beiden ff-Takten wieder riesig, dafür in Takt 73 der Anstieg nicht so kräftig, ebenso wie in Takt und 77. Ich halte das für eher ausgewogen, zumal die (beinahe) jenseitige Coda folgt. Etwas langsamer wäre sie m. E. vollkommen jenseitig gewesen.


    Der erste Teil des Allegros ist vom Feinsten. Auch hier sorgt Schiff dafür, dass die Begleitung die ihr zustehende Bedeutung bekommt, auch wenn den Achteln wie in Takt 20 und 21 nur zwei Viertel , von einer Viertelpause unterbrochen, entgegen stehen. Herrlich. Auch der zweite Teil steht auf hohem Niveau, die Bögen sind schön ausgesungen, und das Crescendo ab Takt 70 ist stetig, aber schlägt nicht über. Schiff hat hier eine etwas geringere dynamische Kuppel gewählt, wohl getan.
    Das Minore habe ich so glaube ich noch nicht gehört. Er spielt die Begleitung nicht ganz gebunden, sondern in Richtung Portato, das gibt dem Ganzen einen brodelnden Unterton- toll!


    Im Rondo ist er temporal ganz dicht bei Emil Gilels. Und er weiß das Hohe Lied der Lyrik in diesem Satz wahrlich zu singen. Er setzt sich auch nicht auf die steigenden Forte-Terzen-Ketten in Takt 16, 18 und 20. Er spielt sie gleichmäßiger und feiner als manche seiner Kollegen, die das "mit einer Spiralfeder" spielen. Die Trillerketten nach dem Rinforzando n Takt 36 spielt er einfach grandios.
    Auch vor dem Durchführungsteil spielt er die aufsteigenden Terzen, diesmal in der rechten Hand, wieder kerzengerade, nur jetzt natürlich nicht im Forte.
    Im Durchführungsteil lässt er sich nicht zu einer Tempoverschärfung hinreißen, sondern spielt das Ganze im gleichen Tempo wie im ersten Teil. Es ist auch so Dramatik genug in diesem Abschnitt, aber bei seiner Lesart kann man die gewiss nicht einfache Struktur der Durchführung besser erkennen.
    Und nachdem er im Allegro das Mancando "wohl übersehen" hat, spielt er nun im Finale wenigstens das Ritartando in Takt 92/93, was ich als Schlüsselstelle für sehr wichtig halte (Beethoven wohl auch, sonst hätte er die Vorschrift wohl nicht hingeschrieben.
    Auch der Reprisenteil ist wieder wunderbar entspannt und klar vorgetragen, die Terzen wiederum moderat ansteigend, was mir viel besser gefällt als die Husarenritte mit Anlauf. Auch in der hohen Oktave spielt Schiff das Thema wie vom anderen Stern, und nach der letzten Fermat in Takt 154 geht es subito pianissimo weiter, und selbst die beiden ffp zwingt er unter seine moderate dynamische Kuppel. Er zieht das Konzept eisern durch, und heraus kommt ein wunderbarer Satz, mit einer wunderbar gespielten Coda, in der Beethoven demonstrierte, dass auch (im Gegensatz zu seinen Presto-Codas eine Coda ein wunderbarer Abschluss sein kann die höchst lyrisch immer leiser und langsamer wird.


    Nach meiner Ansicht eine fast perfekte Interpretation!


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • So ist es, lieber Holger.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Beethoven, Sonate Nr. 4 Es-dur op. 7
    Stephen Kovacevic, Klavier
    AD: Februar 1999
    Spielzeiten: 8:10-6:15-4:41-6:28 -- 25:34 min.;


    Stephen Kovacevic nimmt den Kopfsatz in zügigem Tempo, produziert einen transparenten klaren Ton und geht vorsichtig an die ersten Crescendi, geht aber auch in den Decrescendi fein zurück. Die beiden ff-Akkorde in Takt 25 und 29 bringt er aber doch in etwa original. Die Legatobögen spielt er sehr flüssig, und auch die Staccati beachtet er sehr sorgfältig. Auch nach den beiden ff-Takten lässt er die kurze lyrische Überleitung und die Oktavengänge schön weiterfließen hin zu der ersten Sechzehntelsteigerung und dann ebenso schön die Sechzehnteloktaven hin zur zweiten Sechzehntelsteigerung, wobei er mit der dynamische Spitze auch moderat umgeht. Auch die Oktavverschiebungen mit den kunstvollen Sechzehntelfiguren in der Begleitung durch die rechte Hand sind als sehr gelungen zu bezeichnen. Ebenfalls sind seine Staccati vorbildlich. Die Tempogestaltung in der ganzen Exposition ist sehr zutreffend in Bezug auf die Satzbezeichnung.
    Auch in der Durchführung bleibt er dabei und verschafft auch der Begleitung in der ff-Passage ausreichend Gehör. Die Bögen sielt er sehr flüssig und gleichmäßig. Die Sforzandokette lässt er dazu kräftig kontrastieren und steigert die Akkorde in den hohen Oktaven in Takt 162/163 und 164/165 nochmal kräftig. Die zwanzig Takte zwischen den beiden Doppelstrichen bilden zum ersten Teil der Durchführung einen schönen Kontrast und innerhalb dieser Passage kontrastiert er auch durch die beiden ff-Stellen, obwohl sie nicht wirklich ff sind, doch ausreichen zu dem umgebenden pp.
    Auch in der Reprise lässt Kovacevic die Musik weiter schön fließen, wobei auch das lyrische Seitenthema nicht zu kurz kommt, ebenso wie in der Exposition. Die lyrischen Elemente sind ihm eben auch nicht fremd.
    Wieder lässt er die kürzere und die längere Steigerung melodisch reich erblühend an uns vorüberziehen und die ebenso vortrefflich vorgetragenen Oktavverschiebungen mit den schönen Sechzehntel-Begleitfiguren. Im Codateil hebt er zu Beginn die Dynamik noch etwas an, um nach dem Crescendo ein sehr schönes Decrescendo auszuführen vor der Schlusssteigerung, die aber nicht ganz bis zum ff reicht. Dennoch ist dies ein gelungener Satz!


    Das kann man vom zweiten Satz nicht behaupten. Jedenfalls ist das m. E. keinesfalls ein Largo, schon gar nicht "con gran espressione", eher ein "Andante con piu gran espressione". Es baut sich nirgendwo Spannung auf, das zweite Thema ab Takt 25 im sempre tenute-sempre staccato klingt regelrecht gehetzt.
    Dabei schreibt Jeremy Siepmann im Booklet zum Tempo des zweiten Satzes Folgendes:
    Zitat: "Der treffend als "Largo, con gran espressione" bezeichnete langsame Satz wirft bereits einen Blick auf die Ausdruckstiefe der späten Sonaten"....In dem außergewöhnlichen langsamen Satz ging Beethovens orchestrale Vorstellung sogar so weit, dass er bei einem alleinstehenden Halteakkord tatsächlich ein crescendo verlangte".
    Hat Siepmann das geschrieben, bevor Kovacevic das spielte?
    Das ist 40% schneller als die Lesart Korsticks.


    Das Allegro wiederum spielt er ganz ordentlich, zwar auch schneller als die anderen , aber durchaus Allegro und technisch ohne Makel, Aber dass das temporale Binnernverhältnis dieser Sätze nicht stimmen kann, werden wir spätestens bei der zeitlichen Ausdehnung des Schlusssatzes merken.
    Das Minore gefällt mir sogar ausnehmend. Hier baut er Spannung auf, hier klingt es geheimnisvoll düster, hier ist das Tempo richtig.


    Auch das Poco Allegretto e grazioso ist eher ein Allegro, und ebenso wie Backhaus in seiner Aufnahme von 1966 ist in dieser 33 Jahre später entstandenen Aufnahme das "Poco allegretto e grazioso" länger als das Largo, obwohl es hier wie da wesentlich kürzer ist als das der meisten Kollegen. Wie ich weiter oben schon sagte, gerät hier das temporale Binnernverhältnis total aus den Fugen. Technisch ist das durchaus in Ordnung, und hätte Beethoven drüber geschrieben: Allegro molto", wäre das toll, hat er aber nicht. Die Durchführung machte natürlich in so einem Tempo Effekt, aber es fehlt dazu das musikalische Umfeld. Dafür ist der Rest zu schnell.
    Am zufriedenstellendsten ist noch die Coda, die am Schluss sogar sehr viel Ausdruck ausstrahlt. Leider fehlt dazu der adäquate restliche Satz.
    Schade!


    Liebe Grüße


    Willi :(

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Eine spannende und ungemein aufschlußreiche Rezension, lieber Willi! Das ist wohl nicht "das Gelbe von Ei". Miot Kovacevich muß ich mich wohl endlich mal beschäftigen... :hello:


    Herzliche Grüße
    Holger

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Da ich zeitbedingt mit dem Hören nicht hinterhergekommen bin, wollte ich wenigstens noch einen kleinen Nachtrag zu Pollinis Einspielung machen, für die Holger höchst anerkennende Worte fand, die Willi aber ein wenig ratlos zurückgelassen hat. Natürlich kann ich meine Eindrücke nur unter Bezugnahme auf die bisherigen Meinungen schildern, weil ich die Diskussion natürlich verfolgt habe.
    Das Allegro con Brio nimmt Pollini wirklich con brio, was mir äußerst wichtig ist. Dabei wird der typisch organische Pollini-Spielfluß entwickelt, für den ich seine Interpretationen der frühen Beethoven Sonate so liebe. Es ist im Kopfsatz allerdings kein ruhiges, entspanntes Fließen der Musik, dem alles untergeordnet wird, sondern es sind durchaus dynamische Wellen zu bemerken (etwa der ff-pp Kontrast in Takt 81). Daß dieser Satz Sturm und Drang besitzt, wie Willi so schön bemerkte, sehe ich auch so: damit wird Pollini dem con brio wahrhaft gerecht. Daß er in der Exposition im eher niedrigen dynamischen Bereich bleibt, höre ich allerdings ein wenig anders: das ist meines Erachtens ein p an der eher oberen Grenze (nicht an der Grenze zum pp), daher finde ich die dynamische Steigerung des ff in diesem Satz durchaus angemessen. Allerdings – und hier gebe ich Willi vollkommen recht – kann (oder will) Pollini in den Takten 101-104 die sf nicht ausspielen, weil er bereits so weit im oberen dynamischen Bereich angelangt ist. Dadurch geht etwas von der Struktur dieser Takte verloren. In den Sechzehntelblöcken ab Takt 111 spielt Pollini f, auch wenn das letzte notierte dynamische Vorzeichen ein ff war (Takt 108), dadurch kann er jedoch die sf der linken Hand akzentuieren und diesem Teil Struktur verleihen. Eine Bemerkung zu diesem Satz möchte ich gesondert herausgreifen:



    Zitat von William B. A.

    Eine dynamische Steigerung des sogenannten Codateils ab Takt 311, wie sie in vielen von mir bisher gehörten Beispielen zu hören war, kommt hier dann leider nicht mehr so zum Tragen, weil er die dynamischen Spitzen in der Reprise schon vorher ausgelotet hat (s.o.)

    Ich sehe nicht, daß der Coda Teil dynamisch gesteigert werden müßte, da dafür im Notentext kein Grund vorhanden ist: das dynamische Spektrum bewegt sich zwischen ff und pp, wie bereits in der Exposition und in der Durchführung. Sieht man den Satz, wie Pollini als durchgehende Bewegung, existiert kein Grund, Teile durch die Dynamik voneinander abzusetzen.
    Das Largo, con gran espressione, ist in meinen Ohren der einzig etwas schwächere Teil und zwar, weil Pollini hier die Notation “tenute-sempre staccato” seinem Willen der fließenden Musik unterordnet. Er setzt die Noten zwar trotz Pedaleinsatz akzentuiert voneinander ab, aber das Spiel wirkt ein wenig pastos. Dynamisch reizt er durchaus das vorgegeben Spektrum aus, die sf sind nicht ganz deutlich, aber in Takt 35 auf jeden Fall doch hörbar gestaltet. Unnachahmlich in diesem Satz ist der leicht melancholische Klavierton, doch geht mir die gran espressione, die so deutlich über dem Satz steht, zunächst etwas verloren: erst ab Takt 50 kann er mich so richtig überzeugen.
    Das Tempo des Allegro ist meines Erachtens nicht nur tolerabel, sondern gut getroffen. Hier ist er wieder, der charakteristische Spielfluß, mit dem die Melodie der Triolen in aller Natürlichkeit zum Klingen gebracht wird (man fragt sich an dieser Stelle, ob sich Pollini mit Edwin Fischers Sichtweise auseinandergesetzt hat, der das explizit so fodert). Die dynamischen Eigenheiten empfinde ich nicht als so gravierend, wie Willi. Natürlich ist das Level der Grunddynamik recht hoch, aber die sf werden doch so klar akzentuiert, daß ich keinerlei rhythmische Verunklärung höre, die entsteht allerdings ein wenig ab Takt 25: hier hätte die Polyphonie deutlicher herausgearbeitet werden können. Der Minore Teil gehört für mich dagegen zu den Sternstunden dieser Aufnahme: er verströmt bei Pollini weniger Bedrohung als vielmehr eine vergleichsweise schlichte Traurigkeit, durchbrochen von wenigen Ausbrüchen im ff.
    Das Rondo beginnt zügig und voller Anmut. In der Durchführung steigert er dann temporal und dynamisch noch einmal, drängt mit dem Spiel kräftig nach vorne, aber überspielt aber das ritardando Takt 92 nicht (Willi wies bereits darauf hin). Der letzte Satz bildet nach meinem Hören in Pollinis Spiel den Spiegel des ersten Satzes: er rahmt die Mittelsätze durch zwei energetisch gespielte, nach vorne drängende Sätze ein und balanciert dadurch die Sonate wunderbar aus. So läßt er folgerichtig das Stück in der Coda des letzten Satzes voller Schönheit des Ton wunderbar verklingen. Zwar blitzt durch die partiellen dynamischen Kontraste im Verständnis von Pollini hier und da etwas auf, was im Allgemeinen mit dem “späten Beethoven” verbunden wird, doch je häufiger ich die Sonaten höre, desto mehr Verbindungen zwischen „späten“ und „frühen“ Werken höre ich und muß von eigenen, liebgewonnenen Vorstellungen abrücken. Das macht den Gewinn, den ich aus dem Hören und dem Austausch ziehe, für mich umso größer.


    Mit besten Sonntagsgrüßen
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Lieber Jörn,


    schönen Dank für diese wirklich sehr schöne und aufschlussreiche Rezension. Sie zeigt mir, dass man in der Betrachtung der Interpretation dieser Sonate durch Pollini durchaus Gemeinsamkeiten finden kann (so hatte ich ja auch die Ecksätze als am besten getroffen gefunden), aber auch durchaus unterschiedlicher Meinung sein kann und dies auch entsprechend begründet, z. B. was den dritten Satz betrifft. In dieser Interpretation hatte ich die dynamischen Eigenheiten deshalb als gravierend empfunden, weil sie so aus der großen Zahl der zuvor gehörten, ebenfalls maßstäblichen Pianisten herausstach.
    Dass so etwas auch ganz anders ablaufen kann, habe ich beim Anhören von Pollinis "Les Adieux" erlebt, und sie hat mich nicht mit Fragezeichen, sondern geradezu euphorisch zurückgelassen, weil sie aus der Zahl der hervorragenden Interpretationen m. E. noch ein wenig herausstach. Interessanterweise war jedoch diese Es-dur op. 81a von 1988 im Gegensatz zur Es-dur op. 7 von 2012. Ich weiß nicht, ob das etwas zu bedeuten hat, weiß aber, dass mir die Waldsteinsonate von 1988 auch gut gefallen hat und ich da noch seinen maßvollen Umgang mit der Dynamik bosonders hervorgehoben hatte, und dass mir die Mondscheinsonate von 1991 noch besser gefallen hatte. Auch seine Nr. 13 Es-dur op. 27 Nr. 1 von 1988 hat mir durchaus gefallen. An der Tonart kann es also nicht liegen.


    Liebe Grüße


    Willi

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
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  • Beethoven, Sonate Nr. 4 Es-dur op. 7
    Richard Goode, Klavier
    AD: 1992
    Spielzeiten: 7:51-8:45-4:57-6:41 -- 28:14 min.;


    Richard Goode, de ich vor einigen Jahren auf dem Klavierfestival Ruhr erleben durfte, ist im Kopfsatz im Vergleich zum mittleren Brendel eine knappe Minute schneller, produziert einen klaren Klang und nutzt zu Beginn die dynamischen Vorgaben der Partitur voll aus, also zwischen pp und ff. Er lässt die Musik schwungvoll fließen. Die diversen Staccati gehen ihm leicht von der Hand. Die Legatobögen sind ebenfalls ohne Fehl und Tadel. Ebenfalls kommen die synkopierenden Oktavverschiebungen ab Takt 111 bis 127 auf der Eins gut dosiert. Schön auch seine Version des lyrischen , im Tempo reduzierten Seitenthemas, quasi des ersten Atemholens. Unter den Legatobögen reduziert er die dynamische Spannweite, m. E. von p bis f und nicht bis ff. Seine Begleitung ist auch klar und transparent.
    Auch in der dynamisch etwas höher stehenden Durchführung lässt er es schön fließen, auch die Sforzandokette wirkt durch die Begleitung schön geschlossen. Den zweiten Teil der Durchführung zwischen den beiden Doppelstrichen spielt er sehr kontrastreich mit den acht pp-Takten, den vier ff-Takten in der Mitte und den wiederum acht p/pp Takten zur Reprise hin, die er mit den kleinen Veränderungen genau so souverän spielt wie die Exposition und die noch etwas bewegtere Coda ab Takt 312 folgen lässt.


    Da Goode im Largo temporal bei Brendel ist, wirkt der Kontrast zum ersten Satz natürlich stärker. Dynamisch ist er am Anfang eher bei pp als bei p, die hier viel feineren Hebungen und Senkungen
    stellt er unter einen etwas geringeren dynamischen Bogen, und auch die beiden ff-Takte behandelt er etwas moderater, was mir im Grunde genommen schon genug ist.
    Auch das zweite Thema ab Takt 25 gefällt mir durchaus, das sempre tenute-sempre staccato spielt er in ausreichend langsamem Tempo sehr gut. Es kommt in dieser Phrase eine wohltuende Behaglichkeit auf, die jedoch in der Forte-Passage ab Takt 30 musikalisch kräftig kontrastiert wird. Ein zweiter starker Kontrast folgt durch die hervorragend gespielten Triller in der hohen Oktave (ab c''').
    Die absteigende Sforzando-Kette spielt er maximal bis zum f, wie es gehört und spielt dann ein bemerkenswertes Decrescendo über das Tenute zur Wiederholung des Hauptthemas. Reprise kann man sie vielleicht nicht nennen, weil sie nach 22 Takten (Takt 72) von der Exposition abweicht und in einen frappierenden Übergang zu der höchst luziden und expressiven Coda ab Takt 79 überleitet.
    Das vorzüglich gespielte Largo findet in der Überleitung und der Coda einen grandiosen Abschluss!


    Das lyrische Allegro spielt Goode äußerst präzise und rhythmisch in einem wunderbar fließenden Dreiviertel-Takt, und er beachtet sehr deutlich das Mancando, auch in der Wiederholung und erhebt es damit m. E. zu einer Schlüsselstelle- Bravo!
    Auch das Minore gefällt mir, sehr genau und deutlich wieder im Takt sowie dynamisch einwandfrei und transparent.


    Das Poco allegretto spielt Goode wesentlich schneller als Gilels und Brendel, er ist hier wie auch im Kopfsatz und im dritten Satz nahezu deckungsgleich mit Korstick. Auch dieses lyrische Rondo lässt er, wo es geht , fließen, mit natürlichem, transparentem Klang. Dynamisch ist er wieder bei der Partitur, die begleitenden aufstrebenden Zweiunddreißigstel (Takt 16, 18 und 20) legt er dabei mehr auf Schwung als auf Kraft an. Die Trillerpassage ab Takt 36 hat Anmut und Grazie. Den durchführungsartigen Teil (ab Takt 63) spielt er mitreißend, und nach der Wiederholung vergisst er auch in Takt 92/93 das Ritartando nicht. In der Wiederholung des Hauptthemas sind wieder die lyrischen Fähigkeiten Richard Goodes festzustellen, auch im Einbinden der dynamischen Akzente in den musikalischen Fluss. Sehr schön auch wieder die Triller-Passage (ab Takt 133) und im letzten Teil, wiederum leicht modifiziert, der wunderbare codaartige Schluss ab Takt 166 mit den einzelnen Trillern in der oberen Oktave, kontrastiert von den Zweiunddreißigsteln in der Begleitung, wunderbar gespielt auch am Schluss das Decrescendo mit dem (nicht bei allen) eingeflochtenen Ritartando.
    Eine bemerkenswerte erste Hörsitzung mit Richard Goode habe ich da verbracht, sozusagen "von null auf hundert".


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Beethoven, Sonate Nr. 4 Es-dur op. 7
    Claude Frank, Klavier
    AD: 1971
    Spielzeiten: 8:11-8:43-5:08-6:30 -- 28:32 min.;


    Claude Frank tritt mit klarem, dennoch warmem Klang auf und nutzt die ganze Bandbreite der Dynamik aus, auch in den beiden Fortissimi in Takt 25/26 und 29/30 und schafft auf diese Weise große dynamische Kontraste zu den nachfolgende aufsteigenden pp-Oktaven. Auch in dieser Sonate bringt Frank wieder sein Instrument zum Singen und zeigt gleichzeitig durch sein hochdynamisches Spiel, welche Kraft diesem Satz auch innewohnt. Besonders deutlich wird das in dem Crescendo ab Takt 76, das in die beiden Fortissimo-Takte mündet. Auch nach der subito pianissimo-Passage Takt 81 bis 85 spielt er in den Sforzandi ab Takt 93 und den beiden langen ff-Steigerungen ab Takt 97 und 105 auf dem gleichen hohen dynamischen Level weiter, ohne dass jedoch die Musik explodiert, nein sie fließt sehr bewegt, aber organisch weiter. Er beherrscht eben auch meisterhaft das Legatospiel. Auch die Oktavverschiebungen mit den Synkopen passt er dem kraftvollen Niveau an.
    Die Durchführung beginnt, wie die Exposition geendet hat, mit einem veritablen Fortissimo, und nach den Pianobögen dreht er in den Sforzandi ab Takt 153 dynamisch sofort wieder auf. Auch die Durchführung steht also trotz einiger p- bzw. pp-Stellen auf hohem dynamischen Niveau, und die Reprise beginnt im Gegensatz zur Exposition gleich mit ff. Doch auch bei hoher Dynamik kann Musik schön fließen wie hier bei Claude Frank. Und es gibt ja auch genügend lyrische Passagen wie in den Bögen nach den anfänglichen ff-Akkorden und im lyrischen Seitenthema ab Takt 240 bzw. vorher ab Takt 60 oder in den Bögen nach den beiden Fortissimo-Takten 259/260 oder vorher 79/80. Und so geht es trotz teilweise hohen dynamischen Niveaus im Fluss weiter in den anmutigen Sechzehnteln der rechten Hand, die von den legato gespielten Oktavverschiebungen in der Begleitung kräftig kontrastiert werden, bevor es in der Coda ab Takt 312 dynamisch noch etwas höher geht.
    Aber die Coda ist doch ein kleines Abbild des ganzen Satzes mit immer wieder markanten Kontrasten zwischen ff und pp, wobei dieser Satz im Gegensatz zum Finale im Fortissimo endet.
    Eine Demonstration von kraftvollem Beethoven, gepaart mit lyrischer Eleganz und hohem Ausdrucksvermögen!!


    Im Largo setzt Frank sein dynamisch kontrastreiches Spiel fort, während andere Pianisten auch wohl ihre dynamische Bandbreite zu Gunsten eines durchgehend intimen, lyrischen Klanges stärker einschränken. So wie Frank es spielt, gefällt es mir auch ausnehmend gut.
    Vor allem im zweiten Thema, das sempre tenute-sempre staccato leicht wiegend daher kommt, im Tempo etwas gesteigert, baut er große dynamische Kontraste auf, namentlich in den Takten 35ff. in denen er bis zum ff/fff steigert und dem die überirdisch schönen Triller im ppp gegenüberstellt. Welch ein Kontrast! Und so geht es weiter, die Sforzandokette bis ff, dann subito piano/pianissimo. Eine sehr mutige Gestaltung! Auch der tenute-Übergang ist meisterhaft gespielt. Auch nach der Wiederholung des Hauptthemas behält Frank sein abwechslungsreiches und immer äußerst transparentes Spiel bei, besonders zu loben die letzte Steigerung ab Takt 75 mit den Dissonanzen und dann subito pianissimo die unbegreifliche Coda, das ist so schön- und dann kurz vor Schluss zwei Fortissimo-Akkorde, die hier die Wirkung des Paukenschlages in Haydns Nr. 94 haben- Einfach grandios!!!


    Auch im Allegro, das ja auch über reichlich lyrische Anteile verfügt, behält Claude Frank seine hoch stehende Dynamik bei. Das geht dann in Takt 79 tatsächlich auch bis zum ff. Und er spielt natürlich selbstverständlich das Mancando. Das hat natürlich um so größere Wirkung, als sich daran unmittelbar die Dolce-Stelle anschließt, wodurch dieser Mancando-Effekt, das leichte Durchatmen, noch verlängert wird. Frank gelingen natürlich auch die Decrescendi genau so gut wie die Crescendi.
    Das Minore steht bei Frank in der Grunddynamik auch etwas höher als bei anderen Pianisten. Dadurch erhält es einen stärkeren dramatischen Effekt. Da wird dann auch schon mal ein Takt eher crescendiert. Das ist also zwischen dem lyrischen Allegro und dem noch lyrischeren Allegretto ein mächtig aufragender dramatischer Fixpunkt. So kann man das auch spielen.


    Das Rondo spielt Frank rascher als etliche seiner Kollegen, so z. B 80 Sekunden rascher als Gilels. Das ist so an der Obergrenze dessen, was ich mir noch unter Allegretto vorstellen kann. Aber er ist ja auch in den ersten drei Sätzen schon deutlich schneller als Gilels, im Ganzen etwa 4 Minuten. Insofern wird man das Gilelssche Entspannte wohl vermissen, aber dafür entschädigt uns Frank mit einer explosiven Durchführung, die wir so auch nicht alle Tage hören, und trotz des dramatischen Impetus vergisst er nicht das Ritartando in Takt 92/93. Und dieser Satz ist doch voller Anmut und fließt "nur" etwas rascher. Hinreißend musiziert ist auch seine Coda mit den Trillern und dem faszinierenden Decrescendo/Ritartando, das ich einmal mit seinem sich drehenden Rad vergleichen habe, das sich immer langsamer dreht und schließlich stehen bleibt. Temporal ist Frank, wie ich gerade eben wieder gesehen habe, dicht bei dem vorher von mir besprochenen Richard Goode.


    Eine Aufnahme, die dramatisch dicht wie lyrisch licht von absoluter Überzeugungskraft ist!!


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Beethoven, Sonate Nr. 4Es-dur op. 7
    Paul Badura-Skoda, Klavier
    AD: September 1969
    Spielzeiten: 7:44-7:27-4:54-6:49 -- 26:54 min.;


    Paul Badura-Skoda schlägt im Vergleich z. B. zu Arturo Benedetti Michelangelo im Kopfsatz ein ungleich höheres Tempo an. Gleichwohl gehört er aber wie dieser zu der Gruppe, die den Kopfstz temporal weiter ausdehnen als das Largo.
    Obwohl er am Anfang die dynamischen Feinheiten gut beachtet, bricht aber auch er das Crescendo ab Takt 13 vor dem Sforzando ab und führt dieses dynamisch zurück. Die Legatobögen spielt er schön aus und auch die ff- Akkorde in Takt 25/26 und 29/30 sind kräftig genug. Sehr gut gefallen mir auch die Sforzando-Intervalle in den Takten41, 43, 51 und 53.
    Das lyrische Seitenthema ab Takt 59 führt er sehr schön aus und leitet an dessen Ende die absteigenden Staccati in zwei veritable ff- Takte. Sehr schön gelingt auch die Überleitung ab Takt 81 mit den Achteloktaven, die in die kraftvolle Sforzandokette am Beginn der Schlussgruppe münden. Diese nimmt er jedoch anders als ABM höchst dynamisch in Angriff, auch in den beiden ff-Sechzehntelsteigerungen. Ebenso betont er sehr kräftig de Sforzandi in den Oktavverschiebungen ab Takt 111. Auch in der Wiederholung führt er diese ausgedehnte Exposition wieder exzellent aus.
    Auch in der kurzen Durchführung gestaltet er die kontrastreichen dynamischen Verläufe und den Wechsel von den langen Legatobögen sowie den rhythmisch eigentümlichen kurzen Sforzandobögen, die zwischen der rechten und linken Hand hin und her wechseln, sehr aufmerksam.
    Auch der etwas geheimnisvolle pp-ff-p-Abschnitt zwischen den beiden Doppelstrichen, quasi als Übergang zur Reprise, ist sehr schön gespielt.
    Die Reprise spielt natürlich auch Badura-Skoda dynamisch sehr hoch stehend, führt die Steigerungen voll aus und lässt die Legato-Achtel schön fließen, wobei er die Portato-Achtel organisch einbindet.
    Noch einmal fließen lyrische Bögen und Sforzandoketten an uns vorbei, folgen die Oktavverschiebungen, unaufhaltsam der Coda ab Takt 311 zustrebend, sozusagen dem dynamischen Dach des Satzes, das sich ebenfalls dynamisch sehr kontrastreich gestaltet und das er in einem schönen Crescendo beendet.


    Das Largo spielt er auch sehr ausdrucksvoll, wobei er für meinen Geschmack schon fast ein wenig zu schnell spielt. Vergessen wir nicht, "Largo" ist eines der langsamsten Tempi überhaupt. Arrau ist 1964 zwei Minuten langsamer als er, Korstick später sogar drei Minuten. Ich bin ja nach wie vor der Meinung, dass die Ausdrucksfähigkeit in langsamen Sätzen auch durch das langsame Tempo gesteigert werden kann und fühle mich in vielen Interpretationen dadurch bestätigt. Hier kann man das schön am 2. Thema "sempre tenute-sempre staccato" ab Takt 25 ablesen, das hier bei Badura-Skoda mehr Ruhe und Tiefe gewänne, wenn er etwas langsamer spielen würde.
    Die hohen Triller sind dann wieder sehr bemerkenswert, desgleichen die Sforzandokette ab Takt 45 mit den anschließenden Sechzehntel-Staccati.
    Im reprisenartigen Teil geht es wieder ein wenig geruhsamer zu bis hin zu den eigentümlichen Sechzehntelfiguren des Übergangs zur Coda. Diese Steigerung spielt er seh dramatisch, wie er überhaupt alle dynamischen Steigerungen und Senkungen und Spitzen voll auskostet.
    Auch die Coda gefällt mir sehr gut, die Portato-Noten kommen kristallklar und das Pianissimo ist atemberaubend- sicherlich, wie bei vielen anderen auch, ein Höhepunkt dieses Satzes, ja der ganzen Sonate.


    Das Allegro spielt er recht zügig, und fließende, dynamisch die Spannweite wieder weitgehend auskostend.
    Im Minore betont er die ffp sehr prägnant und bleibt in den Achteltriolen schön im pp. Dadurch schafft er einen dunkel-geheimnisvollen Untergrund in der Begleitung. Anschließend wiederholt er noch einmal das liebliche Allegro.


    Das Rondo Poco Allegretto e grazioso gerät auch bei Badura-Skoda sehr entspannt und mit einem lieblichen, graziösen Klang ausgeführt. Im Tempo ist er geringfügig langsamer als Korstick, aber schneller als Brendel und ABM. Auch dynamisch ist dieser Satz über weite Strecken moderat, dennoch abwechslungsreich, auch in der Ausführung Badura-Skodas. Sein Ton ist nach wie vor sehr transparent und verrät viel von der musikalischen Struktur. Exzellent ist auch nach wie vor das Wechselspielt zwischen Legato und Staccato.
    Auch der Wechsel vom pastoral dahinfließenden Allegretto zum aufrührenden durchführenden Mollteil ab Takt 65 bis 71 und 72 bis 88, der in beiden Teilen widerholt wird, gerät sehr organisch und kontrastreich. Am Schluss dieses Teils hat er zwar schön decrescendiert, aber das Ritartando habe ich nicht gehört.
    Ansonsten beachtet er sehr aufmerksam die dynamischen Feinheit, sämtliche Rinforzandi und Sforzandi, auch die beiden ffp in Takt 161, und die Coda ab Takt 166 gehört sicherlich zu dem Ausdrucksvollsten, das Badura-Skoda in dieser Einspielung vorgelegt hat. Das Ritartando am Schluss ist grandios.


    Eine sehr gute Interpretation, die mit einem langsameren Largo m. E. eine grandiose geworden wäre.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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  • Das Cover lässt sich leider momentan nicht posten.
    Beethoven, Sonate Nr. 4 Es-dur op. 7
    Tatjana Nikolajewa, Klavier
    AD: 1983, Moskau live
    Spielzeiten: 9:11-7:45-5:05-6:49 -- 28:50 min.;


    Tatjana Nikolajewa beginnt den Kopfsatz wesentlich langsamer als Paul Badura-Skoda, im temporalen Binnenverhältnis der ersten beiden Sätze eher wie Arturo Benedetti Michelangeli. Auch sie nimmt die Steigerungen zunächst noch moderat, bis auf die beiden ff-Akkorde natürlich. Auch die Sforzandi n den Takten 41 und 43, 51 und 53 sind gut zu vernehmen. Sie schafft einen schönen Kontrast zwischen den Legatostellen und den Staccati, Das lyrische Seitenthema ab Takt 59 fließt organisch in den musikalischen Ablauf ein, und die anschließenden Staccato-Achtel lässt sie in die beiden (nicht bis zum Äu0ßersten gehenden) ff-Takte rein gleiten. Ganz entspannt leitet sie dann im Pianissimo zu den Achteloktaven und in die Schlussgruppe ab Takt 93 über. Auch die beiden aufstrebenden Sechzehntel-Legatobögen entlocken ihr noch kein richtiges Fortissimo. Die dann folgenden Oktavverschiebungen strukturiert sie mit kräftigen Sforzandi und kommt dann im Schlussanstieg zum Ende der Exposition.
    In der Durchführung beginnt Nikolajewa dann mit zwei doch kräftigen ff-Akkorden und lässt ihnen schöne Achtelbögen folgen, an die sich eine kräftige Sforzandokette und im zweiten Teil, zwischen den beiden Doppelstrichen, die kontrastreiche Sequenz mit Pianissimi und Fortissimi anschließen, die unvermittelt vom pp in die ff-Reprise rein fallen, in der dynamisch am Beginn viel Betrieb ist und nach den vielen Achtelläufen kommt dann mit dem lyrischen Seitenthema wieder etwas Ruhe auf, ehe dann wieder Fortissimo-Takte und Sforzandoketten das dynamische Geschehen anheizen. Und in dieser Wiederholung setzt Nikolajewa dann auch die dynamische Grenze höher und erreicht nun doch das ff, präsentiert wieder prachtvolle Oktavverschiebungen , die in die höchst bewegte Coda übergehen und mit einem letzten pp-ff-Kontrast das Satzende bringen.


    Tatjana Nikolajewa spielt das Largo zwar schneller als ABM und Brendel, aber etwas langsamer als Badura-Skoda, aber auch bei ihr scheint mir die Ausführung des zweiten Themas ab Takt 25 temporal zumindest grenzwertig zu sein. Dynamisch ist nichts dagegen einzuwenden. Ihrer Triller in der hohen Oktave haben auch nicht die silbrige Helligkeit und Leichtigkeit, die ich sonst höre. Auch bei Badura-Skoda gefällt mir diese Stelle besser.
    Der Sforzandokette ab Takt 45 geht am Ende etwas die Luft aus, das anschließende Decrescendo ist wieder in Ordnung. Auch der Beginn der Reprise in Takt 51 gefällt mir wieder sehr gut, und die Überleitung zur Coda ab Takt 74 und die Coda selbst sind einfach grandios!!
    Ein Satz mit viel, viel Licht und etwas Schatten.


    Das Allegro spielt Tatjana Nikolajewa mit schönem weichen Anschlag, dynamisch ausgewogen und nicht zu schnell, etwa in dem Tempo wie Badura-Skoda, aber etwas schneller als Brendel. Das Minore spielt sie gemessen in Tempo und Dynamik, ganz dunkel im Ton. Die Wirkung ist eher dunkel geheimnisvoll als schauerlich bedrohlich. Noch einmal folgt das liebliche Allegro da capo.


    Das Rondo beginnt Nikolajewa mit normalem Tempo und leichtem, federnden Rhythmus. Dynamisch bewegt sie sich im mittleren Rahmen. Auch die aufwärtsstrebenden Forte-Zweiunddreißigstel Takt 16, 18 und 20 sind moderat, während die abwechselnden Forte- und Piano-Figuren ab Takt 22 einen größeren Kontrast bilden. Im durchführenden Abschnitt ab Takt 63 erweitert sie die Dynamik. Leider vergisst auch sie, wie Badura-Skoda, am Ende der bewegten Durchführung, das Ritartando, das für meine Begriffe eine Schlüsselstelle ist, ebenso, wie das Mancando ab Takt 39 im Allegro, das auch beide vergessen haben.
    Aber die Reprise ist dann wieder ohne Fehl und Tadel. Da sind die dynamischen Einheiten wieder gut erfasst, auch der Codateil ab Takt 166, den sie ähnlich ausdrucksvoll spielt wie Badura-Skoda, ihn vielleicht aber doch nicht ganz erreicht.


    Trotzdem sät auch dies eine sehr gute Interpretation.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup:

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  • Beethoven, Sonate Nr. 4 Es-dur op. 7
    Walter Gieseking, Klavier
    AD: 1956
    Spielzeiten: 6:10-6:53-5:13-6:15 -- 24:31 min.;


    Gieseking spielt den Kopfsatz in normalem Tempo. Mit der Wiederholung der Exposition, die fast alle anderen Pianisten spielen, wäre er in etwa vergleichbar mit Ashkenazy. Dynamisch gestaltet er die Exposition ganz ordentlich, erreicht durchaus die Fortissimi in Takt 25 und 29. Die Legatobögen wie die Staccati spielt er sehr aufmerksam. Das Seitenthema ab Takt 59 ist sehr schön gespielt. Das Pianissimo nach dem ff-Doppeltakt ist sehr intim gespielt. Im Ganzen kann man sagen, dass die fast 60 Jahre alte Aufnahme recht gut durchhörbar ist, man kann auch die Begleitung gut verfolgen. Nach dem pp spielt er die Sforzandokette ab Takt 93 sehr energisch und geht schön in die Fortissimi-Steigerungen ab Takt 07 und Takt 105 hinein. Auch die Sechzehntelfiguren ab Takt 111 mit den oktavisch verschobenen Sforzandi spielt er ausgezeichnet. Leider spielt er dann die Wiederholung der Exposition ja nicht, was sehr schade ist, da dieser Kopfsatz m. E. interpretatorisch weit über dem in der ersten Sonate steht.
    In der Durchführung gefällt mir auch sehr gut nach den schönen Achtel-Legatobögen die anschließende Sforzandokette mit dem subito piano und dem anschließenden Durchführen des Hauptthemabeginns, hier in moll, quasi als Übergang zur Reprise.
    Diese beginnt er auch schön dynamisch hochstehend und befolgt auch die folgenden dynamischen Anstiege sehr gewissenhaft, all das so, wie ich es mir auch in der Sonate Nr. 1 gewünscht hätte. Das ist nämlich eine so tolle Sonate, gleich von Anfang an ganz anders, als man sich bisher die Sonatensatzform vorgestellt hätte, dass ich es mir als Pianist nie verziehen hätte, bei der Sonate zu schludern. Auch alle weiteren Abschnitte der Reprise spielt Gieseking genauso schön wie in der Exposition, die ja auch durch zusätzlich in ihr vorhanden quasi schon durchführenden Elementen schon so lang war, wie es die Reprise nun auch fast ist. nach der schon in der Reprise angestiegenen dynamischen Intensität spielt er auch noch eine feurige Coda mit größten dynamischen Kontrasten.
    Was er gespielt hat, war wirklich toll.


    Im "Largo" ist leider Einiges an Wermutstropfen vorhanden. Zum Einen ist es mir grundsätzlich zu schnell, das Adagio in der ersten Sonate war wesentlich langsamer, so dass man dies höchstens zwischen Andante und Adagio anordnen könnte, zum Anderen fehlen mir einige deutliche Akzente, z. B. in Takt 9 im "tenute", desgl. im Takt 11. Außerdem steht ein Rinforzando von Anfang an dynamisch höher und wird nicht nach und nach gesteigert.
    Und das zweite Thema ist mir vollends zu schnell, wenngleich zumindest dynamisch zufriedenstellend. Aus dem Grunde ist auch das Schönste in diesem Abschnitt die Stelle mit den hohen Trillern. Auch in der Wiederholung sind die Akzente im "tenute" in Takt 59 und 61 nicht wirklich welche, denn alle jeweils drei Töne sind in der gleichen Lautstärke. Das scheinen zwar nur Kleinigkeiten zu sein, aber viele andere Pianisten beachten sie sorgfältigst.
    Auch die im "richtigen" d. h. langsamen Tempo so zaubrische Stelle Takt 74 bis 79 klingt hier eher ein wenig beiläufig. Mozart hat doch Recht, wenn er sagt: "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo."
    Selbst die dynamisch durchaus überzeugende Coda kann da nicht mehr viel ausrichten, da auch sie zu schnell ist.


    Das Allegro bringt leider kaum Besserung. Zwar ist hier das Tempo (fast) in Ordnung d. h. das Mancando in Takt 39 bis 41 wird nicht beachtet, aber dynamisch sind hier die Akzente Takt 26 bis 30, 51 bis 53, 58 bis 61 und 63 bis 64 nicht zu vernehmen. Lediglich das große Crescendo ab Takt 70 spielt er, wobei ich aber nicht der Meinung bin, dass er bis zum Fortissimo anlangt.
    Das Minore dagegen gefällt mir dynamisch, rhythmisch wie temporal ganz ausnehmend. Hier im Allegro beachtet Gieseking alle Wiederholungszeichen, er spielt also auch das Allegro noch einmal, allerdings wiederum mit den dynamischen Einebnungen.
    Im Finale ist die dynamische Behandlung der Partitur in meinen Augen (Ohren) zwar besser, aber auch hier geht er über manche Akzente wie Takt 9/10 sowie 59/60 einfach hinweg. Andere beachtet er sehr genau wie z. B. Takt 31 bis 33. Warum beachtet er sie nicht alle?
    Auch im Finale lässt Gieseking eine Wiederholung aus. Takt 72 bis 88 wiederholt er nicht. Auch im weiteren Verlauf werden dynamische Akzente eingeebnet, z. B. das Sforzando in Takt 103 nach den vier Sforzando-Noten. Der letzte Teil scheint mir dann wieder zufriedenstellend, aber alles in allem ist diese Interpretation für mich eine Enttäuschung, und das, wo ich so viele schöne Interpretationen hier erlebt habe.
    Ich habe zwischendurch das Anhören mal unterbrochen und den Text über Gieseking in Wikipedia nachgelesen, wo ich Erstaunliches fand:

    Zitat

    Zitat: Grundlage von Giesekings Technik war die von Karl Leimer entwickelte und von Gieseking weiter ausgebaute Methode ("Leimer-Gieseking"). Merkmale dieser Methode sind Relaxation (Entspannung der Muskeln), Gedächtnistraining durch Lernen des Notentextes ohne Instrument, Erziehung des Gehörs durch höchste Konzentration beim Üben, Verbannung von geistlosem Drill und unbedingtes Festhalten an der Notation.[/note]
    Letzteres habe ich hier dickgedruckt wiedergegeben, weil ich davon hier nicht immer etwas gemerkt habe.



    Liebe Grüße


    Willi :(

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    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Spannend, Deine Rezension zu lesen! Diese Aufnahme von Gieseking kenne ich gar nicht, lieber Willi. Vielleicht will er den frühen Beethoven bewußt in die Nähe von Mozart rücken? Oder jede Art von typisch "deutschem Tiefsinn" (Largo) bewußt vermeiden (?) - er ist ja in Frankreich aufgewachsen! :)


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Das kann ja auch sein, lieber Holger, aber wie passt das dann zusammen mit einem der oben von mir zitierten Punkte der Lernmethode "Leimer-Gieseking", nämlich dem "unbedingten Festhalten an der Notation"? Und wir haben doch in langen Wochen der Beschäftigung mit dieser Sonate erlebt, dass die besonders gelungenen Largos auch von dem "richtigen" Tempo abhängig waren. Gieseking ist hier zwei Minuten schneller als ABM. Und die richtige Dynamik ist ja auch für das Gelingen äußerst wichtig. Oder hat sich Gieseking in der Aufführung bewusst gegen das gewendet, was er bei seinem "deutschen" Lehrer Leimer in Hannover gelernt hat?
    Arrau hat ja sogar moniert, Giesekings Ton passe nicht zu den Sonaten des Bonner Meisters. ?(


    Liebe Grüße


    Willi :)

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    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Das kann ja auch sein, lieber Holger, aber wie passt das dann zusammen mit einem der oben von mir zitierten Punkte der Lernmethode "Leimer-Gieseking", nämlich dem "unbedingten Festhalten an der Notation"?


    Ich glaube, lieber Willi, gemeint ist, dass diese Klaviertechnik auch mit sehr ergonomischem, kraftsparendem Spiel alle Dynamikkontraste bewältigt. Das zeigt Gieseking ja auch - sein Rachminow z.B. läßt nichts an Dynamikumfang vermissen, obwohl er nicht aus der russischen Schule stammt. Rachmaninow selbst war von Giesekings Vortrag des 3. Klavierkonzerts schwer beeindruckt. Das ist wohl auch letztlich eine Frage der Aufnahmetechnik. Über meine Anlage wiedergegeben vermisse ich keine Kontraste (Besprechung von Gieseking und Frank folgt unten!) :hello:


    Herzliche Grüße
    Holger

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  • Joachim Kaiser nannte Giesekings Beethoven einmal „naiv“ – dies kann man bei dieser Aufnahme von op. 7 doch gut nachvollziehen. Man merkt Gieseking deutlich an, dass sein Zugang zu Beethoven von Mozart her erfolgt – ein gelassenes Musizieren, dem der Beethovensche „Wille“, der Gestus der Auftrumpfens, völlig abgeht. Die Einleitung zu Beginn des Kopfsatzes ist wunderbar klar in den Ansätzen, messerscharf phrasiert. Die dynamischen Kontraste des Hauptthemas spielt er deutlich heraus – da wird nichts glattgebügelt oder nivelliert. Beethoven kraftlos zu spielen, kann man Gieseking also nicht verwerfen. Überhaupt fällt auf, dass der große Pedalkünstler Gieseking (man denke an seinen einzigartigen Debussy!) das Pedal hier äußerst sparsam einsetzt, fast so, als spiele er Bach. Das kommt der Phrasierungsklarheit sicher zugute – die Frage-Antwortspiele etwa im Seitenthema sind sehr plastisch gestaltet. Ansonsten zeigt sich Giesekings überlegene Pianistik in einem immer schönen Anschlag und großer Fingerunabhängigkeit. Die technisch ungemein anspruchsvolle Coda bewältigt er mit einer bewundernswerten Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit. Die Expositionswiederholung spart er sich wie etwa auch Wilhelm Kempff. In der Durchführung arbeitet er die Kontraste deutlich heraus (wie er auch in der Reprise das Fortissimo ausspielt) – trotzdem fehlt der Musik jegliche dramatische, sozusagen selbstlaufende Vorwärtsbewegung, was man tendentiell schon in der Exposition konstatieren muss. Hier zeigt sich dann doch – im vergleichbaren unaufgeregtem Tempo – die überragende Qualität von Michelangelis Aufnahme, der eben das Dramatische, den „Zug“ dieser Musik, nicht lyrischer Entspanntheit opfert. Trotz alledem hört man sich diesen Gieseking-Beethoven gerne an – ein ungemein organischer, sehr „klassischer“ Beethoven, mit Empfindsamkeit und seltener lyrischer Intimität gespielt.


    Bei Giesekings Largo fragt man sich – con gran espressione? So wenig gewichtig spielt diesen Satz kaum jemand – das wirkt fast schon flüchtig. Lyrisch ist das, aber ohne jegliche Emphase und deshalb vermisst man hier doch so etwas wie „Tiefe“. Das ist freilich wiederum sehr sorgfältig und sprechend phrasiert, die Staccato-Passage mit den melodischen Phrasen in der rechten Hand pianistisch delikat. Einmal mehr fällt die Trockenheit auf, der äußerst sparsame Einsatz des Pedals. Die mysteriöse Passage mit den Vorschlags-Echos im Diskant klingt durchaus geheimnisvoll. Der Ton bleibt aber der eher von Mozart, da gibt es nichts wirklich Grüblerisches, kein „großes Gefühl“, sondern ein – darin allerdings auch großartiges – sehr bescheidenes Aussingen der Musik. Diese Tendenz setzt sich im Scherzo fort. Das klingt wahrlich wie importiert aus einer Mozart-Sonate mit seiner leisen Heiterkeit einer kindlichen (Natur-)Naivität. In seiner zarten Intimität ist das aber wahrlich berührend. Hervorzuheben ist der wunderbar locker und luftig gespielte Minore-Teil – das gelingt kaum einem der namhaften Pianisten-Kollegen!


    Im Rondo überrascht Gieseking mit beseelter Unruhe, die aufkommt, leichten rhythmischen Unebenheiten, die innere Bewegtheit verraten. Offenbar ist dieser Schlusssatz – und nicht das Largo – für ihn das emotionale Zentrum. Hier zeigen sich sogar im Anflug Beethovensche Züge bäuerlicher Derbheit. Sehr gefällig ist auch die lebendige Charakterisierung, etwa die tänzerischen Noten. Der Fortissimo-Teil mit den 32tel im Bass ist scharfkantig und markant, pianistisch äußerst souverän vorgetragen. Aber auch hier zeigt sich einfach kein Beerthovenscher Wille, nichts Drängendes, kein Trotz. Durch die ganze Sonate zieht sich bei Gieseking eine unschuldige Naturnaivität von Musik – früher Beethoven als ein etwas verspäteter Mozart also.


    Schöne Grüße
    Holger


  • Ganz anders als Walter Gieseking „befeuchtet“ Claude Frank zu Beginn die Achtel im Bass mit reichlich Pedal, so als sie dort von Beethoven ein riesiger Legato-Bogen notiert. Insgesamt erscheint die Einleitung nicht zuletzt deshalb wenig konturenscharf und mit kaum Eigenbedeutung – was durch das sehr flüssige Tempo noch unterstützt wird. Aufhorchen lässt dann erst der kräftige Forte-Einsatz des Hauptthemas. Insgesamt merkt man dieser Aufnahme jedoch an, dass sie mit dem Paradox kämpft, in der klassischen Formenarchitektur die fließende, durchlaufende Bewegung aufrecht zu erhalten – und umgekehrt. Diese Balance ist Claude Frank in diesem so schwierig zu interpretierenden Satz leider nicht immer gelungen. Obwohl er sehr differenziert zu gestalten vermag – sowohl klangfarblich als auch dynamisch, etwa in der wirkungsvollen Zurücknahme ins Piano im Seitenthemenkomplex – wirkt der Vortrag doch über weite Strecken eher pauschal und den großen Bogen betonend. Die für diesen Allegro-Satz so entscheidende Kleinteiligkeit mit der sich daraus ergebende Binnendramatik in den Mikrostrukturen wird so einfach überspielt. Die Durchführung fügt sich organisch ein in das Ganze – anders als bei Gieseking ist die Andersartigkeit des Einsatzes des Hauptthemas in der Reprise – für den Hörer nicht realisierbar. Die schwierige Coda ist gut bewältigt, aber auch nicht übermäßig präzise.


    Das Largo – deutlich langsamer gespielt als bei Gieseking – fehlt aber ebenso sehr die emphatische Versenkung und Vertiefung. Kein Tonfall von Schmerz, keinerlei Gedankenschwere, sondern doch eher neusachlich ernüchtert vorgetragen mit einer allerdings verhalten durchscheinenden Empfindsamkeit in den sehr fein ausgespielten leisen Tönen. Die Staccato-Passage wirkt zu harmlos-vordergründig. Obwohl der Bass vielleicht etwas zu derb geraten ist, kommt der Moment mit den mysteriösen Diskant-Vorschlägen sehr subtil. Ein insgesamt dann doch sehr schön gestalteter Satz. Im Scherzo denkt sich Claude Frank wohl: Ein Allegro ist mehr als ein bloßes Allegretto und geht es in einem etwas forcierten Tempo an. Dadurch bekommt es – durchaus passend – einen leicht drängenden Ton. Während die Scherzo-Teile sehr trefflich gestaltet sind, erscheint der Minore-Teil dann – mit sehr viel Pedal gespielt – zu pastos und massig. Das will nicht so recht zur umgebenden Scherzo-Schlichtheit passen.


    Kann sich Frank im Falle des Scherzo auf das Allegro berufen, so ist er merkwürdiger Weise im anschließenden Rondo, wo nun mal ein Allegretto vorgeschrieben ist, zu schnell. Da stimmt die Tempo-Balance zwischen den Sätzen also nicht. Die Folge davon ist – das erinnert an den Kopfsatz – der Eindruck des Undifferenziert-Pauschalen vor allem beim Rondo-Thema. Die tänzerischen Passagen sind im Kontrast dazu deutlich differenzierter gestaltet. Die Fortissimo-Passage mit den 32tel bewältigt er untadelig – es fehlt aber auch etwas an Expressivität. Insgesamt hat dieser Satz bei Claude Frank zu wenig musikalisches Gewicht. Da gibt es keinerlei schmerzlich-melancholischen Untertöne, sondern eine doch etwas zu naiv-unbedarfte Ausdrucksschlichtheit. Auch diese Beethoven-Sonate spielt Claude Frank sicher gut – aber andere kann er dann doch deutlich besser!


    Schöne Grüße
    Holger

  • Lieber Holger,


    schönen Dank für die beiden fachlich fundierten Rezensionen, in denen ich Einges wiedergefunden habe, was auch ich so empfunden habe, besonders bei Gieseking, aber auch Einiges, das ich so nicht empfunden habe, vor allem bei Frank. So soll es sein, denn erstens empfindet Gott sei Dank nicht jeder gleich, zweitens setzt nicht jeder in seien Betrachtungen die gleichen Schwerpunkte, drittens geht nicht jeder mit den gleichen Voraussetzungen an die Sache heran und, was natürlich auch entscheident sein kann, hat (Gottseidank) nicht jeder Künstler die gleichen Sichtweisen.


    Liebe Grüße


    Willi :)

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  • Übertriebene Rubati und seltsame Temposchwankungen, manierierte Akzentsetzungen – gleich zu Beginn dieser Konzertaufnahme wird deutlich, dass Buchbinder im Kopfsatz einfach nicht den richtigen Ton trifft. Zu konstatieren ist so etwas wie die „Angst vor der Klassizität“, den architektonischen Seiten dieser Musik, die in das krampfhafte Bemühen mündet, die musikalische Geschehen um jeden Preis durch agogische Eigenwilligkeiten zu beleben. Wo bleibt die Schönheit dieser Musik, fragt man sich da. Deutlich besser gelungen ist dann das Largo. Hier zeigt sich Buchbinder von seiner besten Seite – das ist eindringlich und überlegt gestaltet mit kultiviertem Anschlag, wie sich in der Portato-Passage zeigt. Die mysteriöse Stelle mit den Diskant-Vorschlägen erscheint weniger sinnlich, dafür aber sehr nachdenklich nachsinnend gespielt. Im Scherzo wählt Buchbinder ein eher zügiges Tempo, mit eigenwilliger Betonung des Einsatzes, der Toncharakter ist insgesamt doch sehr irdisch burschikos. Sehr eindringlich herausgespielt sind die Dur-Mollwechsel und auch die Stimmführung ist ungemein klar zu verfolgen. Warum aber muss der Minore-Teil derart massig statt im Pianissimo wie der Notentext es will im aufdringlichen Forte gespielt werden? Das passt nicht zur klassischen Scherzo-Leichtigkeit. Das Rondo hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Wirklich einnehmend ist der empfindsame und verhaltene Beginn des Rondo-Themas, wodurch sich sehr organisch Spannung aufbaut. Aber diese Empfindsamkeit überträgt sich leider nicht auf den ganzen Satz, so dass man hier fehlende Geschlossenheit und ästhetische Einheitlichkeit konstatieren muss. Der mit dem Lyrismus des Rondo-Themas kontrastierende rhythmische Teil ist viel zu grobschlächtig und auch nicht tänzerisch leichtfüßig. Die Fortissimo-Passage lärmig und derb ist auch klavieristisch alles andere als perfekt. Die klopfenden Rhythmen Takt 109 ff. habe ich noch nie so klobig und klotzig gehört. Das letzte Auftauchen des Rondo-Themas als erinnernder Rückblick gelingt Buchbinder sehr eindringlich und auch die Coda ist schön gespielt als leiser Ausklang mit allerdings etwas klappernden Oktav-Vorschlägen. Doch warum in Gottes Namen muss das Tempo hier derart zurückgenommen werden? Auch beim Wiederhören überzeugt mich dieses Gesamtkonzept nicht – es gibt einfach zu viele Höhen und Tiefen.


    Schöne Grüße
    Holger


  • Buchbinders deutscher Kollege Gerhard Oppitz entpuppt sich in der Interpretation von op. 7 als dessen Antipode. Zeigt Buchbinder im Kopfsatz zuviel Eigenwilligkeit, so Oppitz eher zu wenig. Vorweg ist zu sagen, dass die Tontechniker etwas zu viel Hall zugemischt haben, wodurch die vielleicht nur leichte Schwäche einer gewissen Glätte eine nicht unerhebliche Verstärkung erfährt. Gleich zu Beginn macht sich dies bemerkbar. Die Einleitung wirkt ähnlich wie bei Claude Frank etwas zu flüssig und in den Formabschnitten zu wenig abgeteilt. Oppitz macht eigentlich alles richtig – nur fehlt eine gewisse Feinzeichnung. Man wünschte sich bisweilen mehr „Widerhaken“ in den Motivbewegungen. In der Reprise wirkt die Einleitung dann doch wohltuend deutlich geordneter. Oppitz – der ja ein Kempff-Schüler ist – spielt immer sehr melodisch „schön“ und organisch. Bei aller Souveränität und Wohlgesetztheit vermisst man aber dann doch ein wenig das persönliche Profil, die Unverwechselbarkeit.


    Das Largo beginnt mit schön atmenden Phrasierungen. Der ganze Satz lebt bei Oppitz vom klavieristischen Gesang. So schön das klingt – es ist aber auch nicht betörend aufregend. Das alles ist ungemein schlüssig, ohne Zweifel – die ganz große Ausstrahlung fehlt jedoch. Für meinen Geschmack beginnt das Scherzo einen Tick zu langsam und ein bisschen zu schwerfällig – an diesem Eindruck kann aber auch die zu hallige Aufnahmetechnik Schuld sein. Einnehmend schön ist der sehr melodisch ausgesungene Mittelteil. Der Minore-Teil bleibt im Piano-Bereich, spielt sich also nicht aufdringlich in den Vordergrund wie bei Buchbinder, klingt aber eher kernig als dämonisch gespenstisch. Im abschließenden Rondo merkt man wie nicht anders zu erwarten die Schule von Wilhelm Kempff. Das Thema wird so wahrlich „gesungen“ mit charakteristischem Kopf. Es kommt hier heraus, dass Oppitz jede Art von expressivem Extremismus meidet und den goldenen Mittelweg versucht – also auch allzu viel lyrische Intimität nicht zulassen möchte. So entbehrt das Rondo-Thema bei aller Gesangsfreudigkeit aber auch einer eindeutig expressiven Note, welche über den Schönklang hinausgeht. Warum muss in der Fortissimo-Passage das Tempo angezogen werden? Dadurch wirkt es leicht hastig. Der Ausklang ist schön gestaltet, nur sollten die Vorschläge (die als kurze notiert sind!), weniger „klappern“. Eine insgesamt sehr geschlossene, in jeder Hinsicht untadelige Aufnahme, die in ihrer Unanstößigkeit aber auch ein wenig die ganz große Ausstrahlung fehlt.


    Schöne Grüße
    Holger

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  • Sei bedankt auch für diese beiden Rezensionen, lieber Holger, in denen ich auch das eine oder andere wiedergefunden habe, was mir durch den Kopf gegangen ist, wobei ich den leicht besseren Gesamteindruck auch bei Oppitz gesehen habe.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
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  • Hier nun mein erster Nachholbericht, leider auch ohne Cover:
    Beethoven, Sonate Nr. 4 Es-dur op. 7
    Wilhelm Kempff, Klavier
    AD: 1933
    Spielzeiten: 6:07-8:20-4:03-6:36 -- 25:03 min.;


    Wilhelm Kempff spielt in dieser frühen Aufnahme mit sorgfältiger Beachtung der dynamischen Vorgaben und lässt die Musik schon im Hauptsatz wunderbar fließen. Im Gegensatz zu seiner 30 Jahre später entstandenen Stereo-Aufnahme greift der hier erst 38jährige in den Fortissimotakten beherzt zu, genügt auch rhythmisch allen Anforderung, schön seine Wechsel vom Legato- zum Staccatospiel und zurück, und in den Sforzandi in den Takten 41 und 43 und 51 und 53 steigert er dynamisch von der ersten zur zweiten Gruppe. Auch in dieser Überleitung zum lyrischen Seitenthema lässt er es weiter munter fließen.
    Das lyrische Thema selbst spielt er wunderbar in die absteigenden Portato-Achtel hinein, von wo aus er organisch crescendiert zu dem Fortissimo-Doppeltakt 79/80 und den sich anschließenden Achteloktaven, mit denen er die Verbindung zur Schlussgruppe herstellt. Auch hier spielt er wieder rhythmisch ausgefeilt und steigert in beiden Sechzehntel-Aufwärtsbewegungen ab Takt 97 und ab Takt 105 zum fortissimo hin, wobei der auch die zahlreichen Sforzandi gut betont, ebenfalls zum jeweiligen Auftakt der Oktavverschiebungen von Takt 111 bis Takt 126. Leider wiederholt der frühe Kempff anders als der späte die Exposition noch nicht.
    Leider beachtet Kempff in der Durchführung Takt 153 bis 161, stattdessen betont er immer die abschließende tiefe Viertel, aber zuerst auch kaum merklich, sozusagen akzentuiert er hier "falsch herum". Nach dieser Phrase im Abschnitt zwischen den breidn Doppelstrichen, zur Reprise hin, ist die dynamische Behandlung wieder stimmig.
    Auch die im Gegensatz zur Exposition in der Reprise gespielten ersten vier Takte spielt er korrekt im Fortissimo. Dann lässt er es wieder fließen, auch die Achtel- und Viertel-Oktavgänge und die Fortissimo-Steigerungen sowie die Oktavverschiebungen, die in die dynamisch hochstehende und abwechslungsreiche Coda führt, die er auch sehr schön gestaltet.
    Wenn ich die Zeit für die Exposition zu der hier gespielten hinzuaddiere, dann hätte er mit Wiederholung der Exposition in dieser frühen Einspielung im Kopfsatz etwa die gleiche Zeit erzielt wie im Largo, das in der späten Einspielung noch eine Minute kürzer war als der Kopfsatz. Er ist in diesem Kopfsatz also rascher als im späteren und gleichwohl in diesem Largo etwas langsamer als im späteren.


    Im Largo beweist Kempff, dass er auch schon als jüngerer Pianist schon die Fähigkeit hatte, sein Instrument zum Singen zu bringen und einen wunderbaren tiefen Ausdruck zu vermitteln. Auch das zweite Thema im sempre tenute - sempre staccato ist grandios gespielt, und ganz natürlich kommt auch die große dynamische Bewegung in diesem Satz zu Stande. Herrlich der große dynamische Kontrast zwischen den Fortetakten36 und 37 und den nachfolgenden atemberaubenden hohen Triller, die fast im tiefsten Fortissimo versinken und den nächsten großen Kontrast mit der Sforzando-Kette ab Takt 45 vorbereiten, die ebenfalls stark gespielt ist und ihrerseits wieder in ein grandioses Diminuendo mündet.
    Auch und gerade die wunderbare Wiederholung des Hauptthemas ab Takt 51 zeigt uns, wie groß zu jener Zeit schon die künstlerische Reife Kempffs war und wie eminent seine Musikalität. Nach den wiederholten Fortissimotakten spielt er dieses Wahnsinnsüberleitung ab Takt 74 mit diesen herrlichen Reibungen in der Steigerung Takt 76/77 und die folgende Coda macht mich schier fassungslos, so tief berührend spielt Wilhelm Kempff sie, als habe er alle Weisheit eines langen Musikerlebens bereits in sich.


    Das Allegro spielt er wunderbar wiegend und auch dynamisch ausgewogen und spielt auch am Ende des zweiten Teils des Allegros die große Steigerung meisterhaft. Leider wiederholt er dann diesen zweiten Teil von immerhin 70 Takten nicht. Ich habe schon überlegt, ob man da damals noch mehr Rücksicht auf die Speichergröße der Schellack-Platten nehmen musste, und dann ließe sich die Auslassung einer Wiederholung ja noch am ehesten vertreten. Es ist nur aus heutiger Sicht schade, dass man dann ein so exzellent gespieltes Stück nicht in der Wiederholung hören kann.
    Das Minore spielt er m. E. auch ganz ausgezeichnet. Die Tiefbässe grummeln schön dunkel, und die ffp-Punkte sind klug anvisiert.
    Wenigstens hören wir das herrliche Allegro dann noch einmal ganz, und im Gegensatz zu seiner späteren Aufnahme beachtet er beide Male eine meiner Lieblingsstellen, das Mancando in den Takten 39 bis 42.


    Das Rondo steht wieder ganz im Zeichen von Kempffs lyrischer Gestaltungsfähigkeit, wobei der durchaus die dynamischen Erhebungen organisch mit in den musikalischen Prozess einbaut. So kann man fast spüren, wie er die aufwärts strebenden Zweiunddreißigstelfiguren in Takt 16, 18 und 20 mit hörbarem Vergnügen in federndem Forte schnurren lässt. Auch der dynamisch abwechslungsreiche Fortgang des musikalischen Geschehens unterbricht nicht den musikalischen Fluss. Trotz der Rondoform hat dieser Satz in gewisser Weise ja auch eine dem Sonatenhauptsatz ähnliche Struktur, und so steigt Kempff mit dem gleichen Vergnügen in den nach Moll eingefärbten Durchführungsteil ab Takt 64 ein, den er dynamisch sehr hochstehend spielt. Allerdings wiederholt er auch hier nicht den zweiten Teil des Durchführungsteils Takt 72 bis 88. sondern geht direkt in die Überleitung zum Reprisenteil über, den er in gewohnt melodisch fließender Manier spielt, bis in den rauschenden Zweiunddreißigsteln und den kontrastierenden Achteln mit Vorschlagnote in der rechten Hand ab Takt 166 der codaähnliche Schluss anhebt mit dem bezaubernden "morendo"-ähnlichen Decrescendo-Diminuendo in den letzten Takten.


    Das ist schon eine große Aufnahme, die der junge Kempf hier vorgelegt hat, nur schade, dass sie nicht noch drei bis vier Minuten länger gedauert hat.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Das ist schon eine große Aufnahme, die der junge Kempf hier vorgelegt hat, nur schade, dass sie nicht noch drei bis vier Minuten länger gedauert hat.

    Ich finde diese Aufnahme - trotz der "altmodischen" Seiten - einfach zauberhaft! Klavierspiel als reine Poesie. Ganz so jung war Kempff da ja auch nicht mehr - immerhin 38 Jahre. :)


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Zitat

    Dr. Holger Kaletha: Ganz so jung war Kempff da ja auch nicht mehr - immerhin 38 Jahre. :)

    Zitat

    William B.A.: Im Gegensatz zu seiner 30 Jahre später entstandenen Stereo-Aufnahme greift der hier erst 38jährige in den Fortissimotakten beherzt zu... :D


    Liebe Grüße


    Willi :)

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  • Beethoven, Sonate Nr. 4 Es-dur op. 7
    Arthur Schnabel, Klavier
    AD: 11. 11. 1935
    Spielzeiten: 7:25-9:10-4:50-6:04 -- 27:29 min.;


    Arthur Schnabel nimmt die Satzbezeichnung "Allegro molto e con brio" wörtlich und spielt den Satz sehr rasch und mit viel Schwung. Auch dynamisch führt er die vielen Kontraste sorgfältig aus, wobei er vielleicht das ff in den Takten 25 und 29 nicht ganz erreicht, aber die Wellenbewegungen des dynamischen Verlaufes gut nachzeichnet. Auch der Wechsel zwischen Legato und Staccato ist sehr ausgeprägt. Auch die Sforzandi in den Takten 41, 43, 51 und 53 sind sehr prägnant. Sehr schön spielt er auch das lyrische Seitenthema ab Takt 59 und den anschließenden Staccato-Abstieg mit den beiden folgenden ff-Takten 79 und 80.
    Munter lässt Schnabel es danach weiter fließen über die beiden Sechzehntelläufe, jeweils mit Zielpunkt fortissimo und mündet nach den Trillertakten in den Sechzehnteln der rechten Hand mit der Oktavverschiebung in der Begleitung gegen Ende der Exposition , die er hier doch wiederholt, im Gegensatz zu Kempff in der zwei Jahre früher entstandenen Aufnahme. Die Tatsache, dass Kempff ohne Wiederholung der Exposition nur 80 Sekunden kürzer ist als Schnabel mit, zeigt, wie schnell Schnabel unterwegs ist, der ohne Wiederholung wohl 40 Sekunden schneller gewesen wäre als Kempff, die Exposition also um ein Drittel schneller gespielt hat. Dabei ging er so riskant zu Werke, dass ihm, gegen Ende der Exposition in den Oktavverschiebungen doch der eine oder andere Verspieler unterlief.
    Dabei dreht er in der Durchführung noch mehr auf, sowohl temporal als auch dynamisch. Das nimmt in der Durchführung doch schon recht dramatische Züge an, vor allem in der zündenden Sforzandopassage Takt 153 bis 163, wobei er die dynamischen Kontraste gegen Ende der kurzen Durchführung besonders deutlich gestaltet.
    Auch in der Reprise lässt er es in den vielen Legato-Passagen wieder herrlich fließen, immer wieder souverän angereichert mit Staccato-Einwürfen. Beim zweiten Mal führen uns die wunderbaren Oktavverschiebungen direkt in die feurige Coda hinein, in der auch noch einmal das lyrische Seitenthema an uns vorbeizieht, bevor alles in der Schlusssteigerung im Fortissimo endet.


    Im Largo con gran espressione begegnen wir wieder dem überragenden Lyriker Arthur Schnabel, wie er es schon drei Jahre zuvor in der Aufnahme der zweiten Es-dur-Sonate, Nr. 13 op. 27 Nr. 1, so eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat. Dabei lässt er, wie schon zuvor, keinen Zweifel daran, dass ein langsamer Satz und große dynamische Gegensätze (pp bis ff) sich keineswegs ausschließen müssen, zumal bei Beethoven nicht, wo man immer auf alles gefasst sein muss. Und, was wiederum äußerst wichtig ist, auch in diesem Satz lässt er sich wieder alle Zeit der Welt, die notwendig ist, um in diesem temporal längsten Satz der ganzen Sonate die musikalischen Tiefen auszuloten, die ihm innewohnen.
    Das zweite Thema sempre tenute-sempre staccato ab Takt 25 kontrastiert er auch temporal stark und erhöht damit gleichzeitig die schon wesentlich gesteigerte dynamische Bewegung, so dass die Trillertakte ab Takt 38 wie aus einer anderen Welt anmuten, wiederum ab Takt 45 in den nächsten dynamisch heftigen Kontrast in die Sforzando-Abwärtskette quasi -"hineinstürzend" und von den anschließenden Sechzehntel-Staccati wieder abgefangen und im "tenute" akustisch fast völlig versinkend. Das ist überragend gespielt.
    Desgleichen in der reprisenhaften Wiederholung ab Takt 51, die uns verrät, dass der erste Teil kein Zufall war, obwohl ein absoluter Höhepunkt noch vor uns liegt mit dem zaubrische Übergang ab Takt 74 zu der absolut überirdischen Coda ab Takt 78, hier adäquat wiedergegeben.


    Das Allegro behält Schnabel weiter in einem lyrischen Grundton, wobei er einen herrlich pastoralen Grundton hervorbringt, und er ist endlich mal wieder einer ,der das herrlich gespielte "Mancando" (Takt 39 bis 42), zur Schlüsselstelle erhebt, bevor er die nächste Dolce-Stelle beginnt. Wenn man hört, wie selbstverständlich Schnabel das Spielt, dann fragt man sich unwillkürlich, wieso so viele andere Pianisten bedenkenlos über diese Stelle hinweg spielen können.
    Das Minore spielt er tief dunkel und dynamisch sehr bewegt. Anschließend spielt er das Allegro da capo.


    Das Rondo spielt er etwas schneller als Kempff, aber auch langsamer als z. B. Gulda, dennoch kommt es mir ein wenig schnell vor, zudem bei diesem hochvirtuosen Satz nicht ganz ohne Risiko, wie ich hier und da heraus zu hören glaube. Das verfehlt natürlich im mittleren, durchführenden Teil ab Takt 63, dessen beiden Teile wiederholt werden, nicht seine dramatische, aber ich finde, dass er hier ohne Not handelt. Dennoch versäumt er es auch hier nicht, in den Takten 92 und 93 das Ritartando zu spielen.
    Dynamisch ist natürlich Schnabels Spiel in diesem Finale äußerst präzise und kontrastreich aber etwas weniger Tempo wäre hier vielleicht mehr (Abgeklärtheit) gewesen. Jedenfalls ist der Decrescendo-Ritartando-Schluss wieder überragend.


    Eine große Interpretation, in der ich nur das finale temporale Fragezeichen habe, was aber sicher auch Jammern auf hohem Niveau ist.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup:

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  • Beethoven, Sonate Nr. 4 Es-dur op. 7
    Elly Ney, Klavier
    AD: 1962
    Spielzeiten: 10:16-8:06-5:06-7:21 -- 30:49 min.;


    Elly Ney spielt den Kopfsatz in sehr gemessenem Tempo, noch gut eine Minute langsamer als der späte Arrau und allerdings nur wenige Sekunden langsamer als ABM, der diese Sonate nur neune Jahre später einspielte. Wie ABM spielt sie jedoch mit sehr viel Ausdruck, mit dynamisch durchaus zupackendem Ton, mit großer Legatofähigkeit, aber auch mit präzisen Staccati. Ihr dunkler, warmer Klavierton bringt viele klangfarbliche Facetten hervor. Dies tritt besonders deutlich zu Tag in den Duodezimen-Sforzandi in den Takten 51 und 53, die von sonoren Bassachteln umspielt werden.
    Das lyrische Seitenthema ab Takt 59 gewinnt natürlich durch das reduzierte Tempo an musikalischer Tiefe.
    In den absteigenden Staccato-Achteln, die ab Takt 71 einsetzen, akzentuiert sie in den Takten 74ff. jeweils den ersten Akkord und verlegt auf diese Weise das Crescendo vor und hat so in den beiden Fortissimotakten eine enorme großorchestrale Wucht erreicht und im Takt 81 auf der Drei einen sehr großen Kontrast. Auch die Schlussgruppe mit den Oktavengängen und der dann folgenden Staccato-Sforzandokette entfaltet unter ihren Händen eine große Kraft, auch in den Sechzehntelsteigerungen und den Sechzehnteloktaven sowie den abschließenden Oktavverschiebungen. Elly Ney wiederholt auch mit ihren achtzig Jahren noch diese riesige Exposition.
    In der kurzen Durchführung, die ihren dynamischen Höhepunkt in der Sforzandokette ab Takt 153 hat, die schön die Seiten wechseln, geht sie organisch zur Überleitung zwischen den beiden Doppelstrichen, eine Passage, die sie wieder legato-non legato sehr behutsam spielt, von den beiden Fortissimo-Takten einmal abgesehen, schließt sie nahtlos an die Reprise an, hier im Gegensatz zur Exposition im Fortissimo. Ruhig fließt das musikalische Geschehen voran, wieder in ein beschauliches Seitenthema mündend. Dynamisch spielt sie die Reprise im Großen und Ganzen wie die Exposition, am Ende, kurz vor Eintritt der Coda, wieder mit prägnanten Oktavverschiebungen in der Begleitung.
    Die Coda ist auch bei Elly Ney dynamisch sehr kontrastreich, temporal bedachtsam von ehener Größe, mit einem eben solchem Schluss.


    Im Largo ist sie nochmals 40 Sekunden schneller als Michelangeli, aber eindreiviertel Minuten schneller als Arrau und sogar zweieinviertel Minuten schneller als Korstick. Da ist es dann doch schon schwierig, die angemessene musikalische Tiefe zu erreichen. Im zweiten Thema, dem sempre tenute-sempre staccato wirkt es dann doch schon ein wenig schnell.
    Dynamisch ist sie nach wie vor äußerst sorgfältig. Die Trillerpassage ist wieder großartig, auch in den Anbindungstakten dynamisch sehr kontrastreich, auch die anschließende Sforzandokette und die absteigenden Sechzehntel bis hin zum tenute.
    Auch die sich anschließende reprisenförmige Wiederholung des Largo ist vom dynamischen Verlauf her wieder sehr gelungen, hätte aber auch gerne etwas länger dauern können.
    Auch der Übergang zur Coda ist ausdrucksmäßig sehr beeindruckend, und der himmlischen Coda hätte Elly Ney gerne noch einige Sekunde mehr Verweildauer gönnen können.


    Das Allegro lässt Elly Ney fließen, wie es sich gehört, dabei dynamisch wieder äußerst sorgfältig arbeitend und den Dreierrhythmus sehr prägnant ausarbeitende. Auch das Mancando in Takt 39 bis 42 beachtet sie ebenso sorgfältig wie auch schon vorher Arthur Schnabel.
    Das Minore spielt sie sehr bedachtsam, vielleicht hier und da in den Steigerungen etwas zu kräftig (in Richtung Scherzo?).


    Im Rondo Poco Allegretto e grazioso ist sie schneller als Arrau, aber langsamer als Schnabel und auch als Korstick. Sie lässt es schön fließen, obwohl sehr häufig sowohl in Melodie als auch in der Begleitung Non legato- oder sogar Staccato-Passagen enthalten sind, die aber in den Gesamtablauf schön integriert sind. Obwohl auch hier Sforzandi den Ablauf dynamisch anreichern, ist die Grundstimmung doch lyrisch in der unteren bis mittleren dynamischen Zone, jedenfalls bis zum Mittelteil des ersten, expositionsartigen Abschnittes, der schon durchführungsartige Züge trägt. In diesem Abschnitt spielt sich die Dynamik unvermittelt im oberen Segment ab. Am Ende dieses Abschnitts führt Elly Ney durch ein Decrescendo und auch unter der (gar nicht so häufigen und selbstverständlichen Beachtung der (nach dem Mancando im Allegro) zweiten Schlüsselstelle, dem Ritartando in Takt 92 und 93) sehr organisch zum reprisenförmigen Teil über, den sie entspannt und wiederum im fließenden Speil angeht, auch hier noch auf entsprechende Kontraste zwischen Piani in der Begleitung und Rinforzandi in der Melodie achtend. In wechselnden Oktaven trägt sie das wunderbare Thema des Finales dem Ende zu, hier auch dokumentierend, wie wichtig das richtige Tempo für das musikalische Ziel sein kann und auch ist und nach dem letzten Crescendo/Decrescendo Takt 163 bis 165 in die heiter beschwingte Coda ab Takt 167 mit Auftakt übergeht, die den Lauf des Finales zu einem heiter entspannten beseligenden Aushauchen bringt.
    Dieses Finale ist noch mal ein Höhepunkt in Elly Neys Interpretation.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup:

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  • Beethoven, Sonate Nr. 4 Es-dur op. 7
    Annie Fischer, Klavier
    AD: 1977-78
    Spielzeiten: 7:58 - 8:22 - 4:54 - 6:12 -- 27:26 min.


    Annie Fischer nimmt den Hauptsatz des Allegros mit angemessenem Tempo, nimmt die dynamischen Steigerungen und Decrescendi am Beginn moderat, um dann auf die Fortissimi uns Sforzandi in den Takten 25 bis 34 hinzusteuern, die sie dann auch kraftvoll musiziert. Auch ihr Staccato- und Legato-Wechselspielt ist von Anfang an glänzend und sie lässt die Achtel natürlich fließen. Im Seitenthema ab Takt 60 mit Auftakt kommt ein entspannt atmender erster Ruhepunkt, an dessen Ende sie die staccatierenden Achteloktaven mit den begleitenden Achtelterzen kräftig crescendieren lässt bis hin zu den beiden veritablen Fortissimotakten 79 und 80.
    Auch im nächsten Abschnitt greift sie beherzt zu, lässt die Sforzandi kräftig einschreiten und treibt die Sechzehntel in den Fortissimo-Crescendi energisch voran. Auch die Oktavverschiebungen in den Sforzandi des letzten Expositions-Abschnittes unter den sehr schön fließenden Sechzehnteln sind klar vernehmbar. In kraftvollen Oktaven leitet sie dann zum Ende und zur Wiederholung dieser ausgedehnten und schon mit Durchführungselementen ausgestatteten Exposition über.
    In der kurzen Rumpfdurchführung, die nur aus wenigen Legatobögen sowie einer Sforzandoreihe und einer Überleitung mit Elementen vom Anfang der Exposition besteht, offenbart sie auf engstem Raum den Reichtum an dynamischen Kontrasten auf das Feinste.
    Die etwa gleichlange Reprise im Vergleich zur Exposition spielt sie mit dem vollen dynamischen Umfang, den die Partitur bietet und mit ungebrochenem Brio. Auch hier hebt sie, wie schon in der Exposition, die Sforzandosprünge wunderbar hervor, hier in den Takten 221, 223, 231 und 233.
    Auch das lyrische Seitenthema ab Takt 240 mit Auftakt lässt sie wieder völlig entspannt von ihrem Instrument singen, wiederum in einem rasanten Oktavencrescendo endend, das dann von den gleichen lyrischen Elementen fortgesetzt wird wie in der Exposition, hier ab Takt 312 in einer höchst bewegten, mitreißend gespielten Coda von der Länge der Durchführung endend.


    Annie Fischer scheint wohl eine besondere Affinität zu dieser Sonate zu haben, denn schon die ersten Akkorde des Largos elektrisieren (mich) - welch ein wunderbarer, warmer, dunkler, aber dennoch klarer Klang, auch in den Rinforzandi zwischen pp und mf sich bewegend und einen äußerst tiefen musikalischen Ausdruck hervorrufend. Erst in den Takten 20 und 21 greift sie zum veritablen Fortissimo- ein grandioser dynamischer Kontrast zum voraufgegangenen pp und zu dem folgenden pp.
    Auch das zweite Thema, sempre tenute und sempre staccato, geschieht in völliger Entspanntheit und dynamischer Beschränkung. Auch die Steigerung zum Forte in den Takten 36 und 37 mit den anschließende atemberaubenden luziden pp-Trillern ist grandios, ebenso wie die sich anschließende dynamisch hochstehende Sforzandokette ab Takt 45, die ihrerseits in einem atemberaubenden p/pp-Decrescendo ausläuft und organisch in die nächste Themenwiederholung einmündet. Das ständige Wechseln zwischen der hohen und der tiefen Oktave hört man selten so intensiv und doch so entspannt und vor allem so anrührend wie hier von Annie Fischer. Auch die scheinbar so verschreckenden ff-Akkorde sind durch die Pausen natürlich in den Ablauf eingebunden. Es kommt eben auch in den Pausen auf das Tempo an.
    Der crescendierende Übergang ab Takt 74 zur Coda macht mich in ihrer tiefen Wirkung beinahe fassungslos und mündet in diese die Sphären überschreitende Coda ein - mein Gott: warum um alles in der Welt hat sie denn das Largo appassionato in der zweiten Sonate nicht auch so gespielt?
    Dies ist eine völlig andere Liga!!


    Im Allegro ist sie schneller als ihre männlichen Kollegen, aber dennoch ist das Tempo angemessen. Auch dynamisch entspricht das, was sie spielt, voll und ganz der Partitur. Allerdings könnte sie das Mancando etwas prägnanter spielen.
    Das Minore spielt sie sehr leidenschaftlich und dynamisch sehr bewegt und lässt es in einem sehr treffenden Ritartando auslaufen. Dann schließt sie das Allegro da capo an. Bis auf diesen kleinen "Fehler" im Mancando (Takt 39 bis 41) ist auch dieser Satz ganz hervorragend gespielt.


    Das Rondo nimmt Annie Fischer deutlich rascher als Arturo Benedetti Michelangeli und Aldo Ciccolini oder selbst als Alfred Brendel in allen seinen drei Einspielungen. Sie ist da eher bei Maurizio Pollini. Dennoch kann ich nicht sagen, dass mir das zu schnell vorkommt. Im mittleren durchführenden Teil (Takt 64 bis 93 + Wh.) entwickelt sich durch dieses Tempo noch ein anderer dramatischer Impetus, der diesem Satz durchaus auch bekommt. Am Ende dieses Abschnitts spielt sie auch ein großartiges Ritartando (Takt 92 und 93).
    Auch rhythmisch spielt sie das alles hervorragend. Ebenso gestaltet sie den reprisenförmigen Teil ab Takt 94, dann in Takt 166 in den codaähnlichen Schluss übergehend, der in einem nochmals grandios gespielten Decrescendo/Ritartando fast im Stillstand endet.


    Eine grandiose Aufnahme!


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

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  • Beethoven, Sonate Nr. 4 Es-dur op. 7
    Maria Grinberg, Klavier
    AD: 1965
    Spielzeiten: 8:06 - 7:45 - 5:12 - 6:54 -- 27:57 min.


    Maria Grinberg nimmt den Kopfsatz etwas langsamer als Annie Fischer, etwa in der gleichen Zeit als Alfred Brendel ein Jahr vorher, jedoch wesentlich schneller als Aldo Ciccolini oder Arturo Benedetti Michelangeli. Sie spielt wiederum einen natürlichen Ton und lässt die Musik herrlich fließen. Dynamisch lotet sie die Partitur voll aus.
    Im Seitenthema setzt sie den Gesang aus dem Hauptsatz fort und spielt am Ende in den absteigenden Achteloktaven eine schöne Steigerung in die beiden ff-Takte 79 und 80 hinein. Im nächsten bewegteren Abschnitt, der ab Takt 85 mit den Achteloktaven beginnt, setzt die die Sforzandi sehr akzentuiert und spielt souveräne ff-Steigerungen in den Sechzehnteln ab Takt 97 und 105. Die Oktavverschiebungen in der Begleitung ab Takt 111 setzt sie dynamisch etwas kräftiger als Annie Fischer und nimmt die Überleitung zur Expositions-Wiederholung etwas rascher und natürlich gewohnt kräftig.
    In der kurzen Durchführung lotet sie die dynamischen Möglichkeit vor allem in der Sforzandokette ab Takt 153 nicht so stark aus wie Annie Fischer, und auch in der Überleitung zur Reprise ist sie etwas zurückhaltender und retardiert in den letzten Takten, wohl auch, um den Kontrast am Beginn der Reprise um so größer zu gestalten. Hier lässt sie den Hauptsatz wieder schön fließen und wechselt wieder in ein entspannt singendes Seitenthema über. das wieder in einen kräftig crescendierten Oktavabstieg hineinfließt. Die sich dann anschließende Sforzandokette und die ff-Anstiege akzentuiert sie wieder sehr kräftig, desgleichen die Oktavverschiebungen in der Begleitung unter den perlenden Sechzehnteln, die sich anschließen.
    Auch die Coda mit dem nochmaligen beseligenden Seitenthema, das zwischen zwei ff-Blöcken steht spielt sie sehr kontrastreich, nach der zweiten ff-Einheit nochmals schön zurückgehend und schwingt sich dann zu einer schönen Schlusssteigerung auf.


    Das Largo spielt sie schneller als Annie Fischer und Brendel in allen seinen drei Aufnahmen, auch als Ciccolini und Michelangeli, aber doch signifikant langsamer als Pollini. Ich würde es als gerade noch tolerabel in der temporalen Ausdehnung bezeichnen.
    Im Thema und in der Wiederholung lässt sie große Ernsthaftigkeit in ihrem Spiel erkennen und nimmt die beiden ff-Akkord-Takte etwas zurück. Auch im zweiten Thema kann ich dies erkennen, begleitet von kräftigerer Ausdehnung der Dynamik nach oben, was in der hohen Oktav in den atemberaubend gespielten Trillern zu einem veritablen Kontrast führt.
    Auch der mit einer kräftig akzentuierten Sforzandokette eröffnete Übergang zur Themenwiederholung ist wunderbar musiziert, was auch für die Wiederholung selbst gilt, an deren Ende sie wieder nicht bis zum Fortissimo geht. Dafür spielt sie den Übergang zur Coda und die Coda selbst wie vom anderen Stern!


    Das Allegro spielt Maria Grinberg in einem wunderbar pastoralen Ton, ihre durchweg lyrische Sicht auf die Partitur fortsetzend. Im zweiten Teil des Allegro führt sie aber die Steigerung ab Takt 70 doch bis zum ff in Takt 79 fort. Im Minore bleibt sie vorwiegend im dunklen, geheimnisvollen Bereich, geht nicht bis zum ff, auch nicht in der Schlusssteigerung. Dann schließt sie da capo das Allegro an. Temporal ist sie etwas langsamer als Annie Fischer.


    Im finalen Rondo ist sie langsamer als Annie Fischer und Maurizio Pollini, aber schneller als die zum Vergleich Herangezogenen. Von Anfang an lässt sie ihr Instrument weiter beseelt singen, von einem p-Grundniveau aus, die Forti in der Begleitung organisch einflechtend.
    Im durchführenden Teil ab Takt 65 greift sie zwar beherzt zu , aber schiebt die dynamische Grenze nicht allzu weit nach oben und endet in einem zarten Ritartando. Auch in der reprisenförmigen Themenwiederholung ab Takt 94 bleibt sie bei ihrem Konzept der moderaten Dynamik, wobei die begleitenden Forti trotzdem kräftig schnurren. Das ist wunderbarer Gesang, auch in der Oktavierung des Themas. Auch der codaförmige Schluss ab Takt 166 fügt sich nahtlos ein und ist noch einmal ein Paradebeispiel für die lyrische Gestaltungskunst Maria Grinbergs, die diese große Sonate mit einem atemberaubenden Decrescendo beendet.


    Eine große Interpretation mit kleinen Fragezeichen im Largo und im Minore des Allegros!


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Beethoven, Sonate Nr. 4 Es-dur op. 7
    Anne Oland, Klavier
    AD: 2001
    Spielzeiten: 8:56 - 8:39 - 5:33 - 7:48 -- 30:56 min.


    Anne Oland gehört wie Arturo Benedetti Michelangeli zu Denjenigen, die den Kopfsatz etwas länger spielen als das Largo.
    Sie spielt von Anfang an in klarem, natürlichem Ton, in wunderbarem Legato, beachtet auch die kleinsten dynamischen Regungen und kommt in den Takten 25 und 29 in veritablen Fortissimi heraus. Ihre Staccati sind genauso klar wie die Legato-Abschnitte. Auch des Hauptsatzes fließt wieder im Legato dahin, von den beiden Staccato-Takten 49 und 50 nicht unterbrochen.
    Das Seitenthema kommt ganz entspannt daher und dreht dann in den Oktaven im Crescendo hin zu den beiden ff-Takten mächtig auf. Ähnlich wie Benedetti Michelangeli entfalte sie das Riesengebäude dieses symphonischen Satzes in aller Ruhe und fügt einen Baustein an den anderen ganz organisch und fließend, ohne in jedem Akkord und jeden Takt das "Große, Ganze" zu suchen. Insofern schließ sie an die Sforzandokette (Takt 93 bis 96 ganz organisch die beiden Crescendo-Abschnitte in den Sechzehnteln an und fügt dann die Oktavverschiebungen in der Begleitung hinzu. Anders als in der gestern von mir erstmals gehörten und gesehenen Aufnahme Barenboims 1983-84 variiert sie aber die Sforzandi dynamisch nicht, sondern setzt sie alle gleich wie Marksteine nebeneinander. Auch die Überleitung zur Wiederholung des Exposition gestaltet sie in aller Ruhe, aber äußerst kraftvoll.
    In der sehr kurzen Durchführung geht sie ebenfalls dynamisch sehr kraftvoll zu Werke und schließt an die beiden auftaktigen Fortissimo-Akkorde in Takt 137 und 139 eine wunderbare kurze Legato-Sequenz und dann die unnachahmliche Sforzandokette an, der eine Moll-Variante des Hauptthema-Beginns als Überleitung zur Reprise, ebenfalls kraftvoll gespielt, folgt.
    Diese beginnt dann anders als die Exposition im Fortissimo. Auch hier agiert Anne Oland wieder sofort am hohen Ende der Dynamikskala. Auch das Wechselspiel zwischen Legato und Staccato beherrscht sie perfekt und beachtet weiter jede dynamische Regung. Auch das lyrische Seitenthema, das fließend auf die ff-Takte zusteuert und die Sforzandokette anschließt, all diese bewegten Bausteine verknüpft sie auf natürliche Weise miteinander, ebenso wie die sich wiederum anschließenden Oktavverschiebungen. Das ist zwar 17/18 Jahre nach Barenboims zweiter Einspielung entstanden, aber um wie viel klarer klingt das, obwohl ich die Barenboim-Aufnahme über Blue-Ray-Player gehört habe.
    Dem allem schließt sich eine höchst kontrastreich gespielte Coda an, auch wieder mit dem Hauptgewicht auf Klarheit und Ausdruck und nicht auf furiosen Brio.


    Auch der Beginn des Largo con gran espressione ist eine Offenbarung, einfach weil es für mich mit sehr, sehr großem Ausdruck gespielt ist. Und die beiden Fortissimo-Takte 20 und 21 fahren wie das wahre Wort Gottes in das musikalische Geschehen hinein- absolut überwältigend!!
    Auch das zweite Thema passt wunderbar zum dynamischen Gesamtkonzept. Es ist ja latent schneller, aber Anne Oland greift hier auch dynamisch wieder in die Vollen. Wunderbar, wenn man keine Angst hat, in einem langsamen Satz laut zu spielen, vor allem, wenn der Komponist es auch noch so vorschreibt. Auch die hohen Oktaven sind wunderbar, und bei ihr hört man auch den Unterschied zwischen den Takten 38 und 40 auf der einen Seite und dem "tenute"-Takt 41 auf der anderen Seite.
    Diese Passage ist einfach herausragend gespielt, desgleichen die sich anschließende Sforzando-Kette und das folgende Decrescendo - wow!
    Die neuerliche Themenweiderholung ist auf dem gleichen turmhohen Niveau und jagt mir einen Schauer nach dem anderen über den Rücken. Auch die Zweiunddreißigstel-Sextole in Takt 62 überspielt sie nicht, sondern hebt sie deutlich gegenüber der voraufgegangenen Sechzehntel-Triole ab. Und wieder ertönen am Ende dieser Phrase die eruptiven ff-Akkorde (Takt 70 und 71), und dann nähern wir uns einer der schönsten Übergänge und anschließenden Codas, die ich je gehört habe. Nur einer der Größten überhaupt kann so etwas in seinem Jungerwachsenen-Alter komponiert haben, und Anne Oland spielt das einfach überragend.


    Das Allegro spielt Anne Oland abermals in einem entspannten Tempo mit sehr aufmerksam beachteten dynamischen Akzenten und temporal auch mit einer Beachtung des Mancando in Takt 39 bis 41.
    Auch das Minore bleibt unter ihrem temporalen Gesamtkonzept, wodurch sie die einzelnen Strukturen sehr schön hörbar macht. Sie schließt dann da capo das Allegro an.


    Das Rondo Poco Allegretto e grazioso spielt Anne Oland ebenfalls temporal gemessen, denn Allegretto ist kein schnelles Tempo. Manche Pianisten verwechseln dass (oder sie sind immer auf der Flucht). Auch dynamisch bleibt sie jederzeit der Partitur auf der Spur. Auch rhythmisch ist das Zusammenspiel von staccato, Legato und Nonlegato hervorragend. Den durchführenden Teil ab Takt 64 nimmt Anne Oland sogleich mit Schwung und Dynamik. In ihrer zupackenden Art ragt der durchführende Teil wie ein erratischer Block aus dem an sich lyrischen Finale heraus. wie man es erwarten konnte, läuft ihre energische Behandlung dieses Abschnitts sanft in dem Ritartando ab Takt 92 aus.
    Im reprisenförmigen Teil ab Takt 94 setzt sie den pastoralen Gesang fort, der von den Zweiunddreißigstel-Aufwärtsbewegungen in der hohen und tiefen Oktave zusätzlich strukturiert wird. Dabei misst sie dieser Figur in der tiefen Oktave nicht so ein starkes Drehmoment zu, wie andere das tun, sondern bindet sie mehr in einen organischen Fortgang ein.
    Anne Olands Konzept dieses Finalsatzes ist ein entspanntes, in dem die Musik, ähnlich wie im Finale der Waldsteinsonate, alle Zeit der Welt hat, um sich zu entfalten. Und das tut sie. Der Gesang, den Anne Oland anstimmt, findet einen würdigen Abschluss im codaförmigen Teil ab Takt 166, in dem die Achtel und viertel der wunderbar fließenden Zweiunddreißigstel-Bewegung gegenüber stehen, die im Decrescendo-Ritartando langsam auslaufen.


    Eine ganz herausragende Aufnahme!!!


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Beethoven, Sonate Nr. 4 Es-dur op. 7
    Rudolf Buchbinder, Klavier
    AD: 1982
    Spielzeiten: 7:18-8:39-4:59-6:40 -- 27:36 min.;


    Rudolf Buchbinder ist im Kopfsatz noch etwas rascher als in seiner späten Aufnahme und wesentlich rascher als Benedetti Michelangeli oder gar Gilels. Dynamisch musiziert er sehr kontrastreich und auch rhythmisch ist die Musik in einem schönen Fluss, vereinigen sich Legato und Staccato ganz organisch.
    Auch das Seitenthema lässt er schön fließen und spielt ein respektables Crescendo ab Takt 76 in die beiden ff-Takte 79 und 80. Die aufsteigenden Sechzehntel in den beiden Crescendi ab Takt 97 und 105 spielt er kraft- und schwungvoll. Auch die Sforzandi in den Oktavverschiebungen kommen gut durch, und in der letzten Sforzandokette mit dem abschließenden Fortissimo zieht er das Tempo etwas an. Dann wiederholt er die Exposition.
    Die kurze Durchführung spielt er ebenfalls dynamisch hochstehend, wobei er am Beginn ein schönes Legato sielt, dann eine bemerkenswerte Sforzandokette anschließt und den pp-Schlussteil mit den eingeschlossenen vier ff-Takten auch sehr kontrastreich gestaltet.
    Die in der musikalischen Form und Dynamik etwas geänderte Reprise spielt er auch sofort mit viel Brio . Auch der temporale Unterschied zwischen Hauptsatz und Seitenthema entwickelt sich fließend.
    Im weiteren Verlauf spielt der die Reprise in Anlehnung an die Exposition.
    In der Coda bringt er auch sehr schön den nochmals gesteigerten dynamischen Impetus in seinem ganzen Kontrastreichtum zur Geltung.
    Dieser Kopfsatz gefällt mir mindestens ebenso gut wie der der späten Einspielung.


    Das Largo ist um einige Sekunden langsamer als das späte und etwa im gleichen Tempo wie bei Arturo Benedetti Michelangeli. Im Gegensatz zu diesem dauert allerdings das Largo deutlich länger als der Kopfsatz. Dynamisch, rhythmisch und vom Ausdruck her ist es, zumindest im Hauptthema und dessen Wiederholung, schlichtweg als grandios zu bezeichnen.
    Auch im zweiten Thema kommt keine Sekunde der Eindruck von Hast und Eile auf, im Gegensatz etwa zur A-dur-Sonate, die ich vorher besprochen hatte.
    Sehr ausdrucksvoll ist am Ende dieser Sequenz die Steigerung, der die wunderbaren hohen Triller folgen, in denen er sehr wohl auch den temporalen Unterschied zwischen dem Takt 40 und dem "tenute"-Takt 41 darstellt. Großartig ist auch seine kraftvolle Sforzandokette ab Takt 45 und geradezu atemberaubend der Abstieg ab Takt 47.
    Dem schließt sich der genauso sorgfältig und erfüllt von musikalischer Tiefe gespielte reprisenförmige Teil ab Takt 51 an, der nach den beiden neuerlichen Fortissimo-Takten in eine unglaublich erschütternde hohe Oktave übergeht und in einer ebenso tief anrührenden Coda endet.
    Das ist mich Sicherheit das Beste, was ich bisher überhaupt jemals von Rudolf Buchbinder gehört habe, und das schließt die zahlreichen Live-Konzerte mit ein.


    Das Allegro ist auch bei Buchbinder reiner Gesang, in dem er auch sehr sorgfältig den dynamischen Regungen nachspürt. Auch die Verwobenheit von staccato und Legato stellt er sehr schön dar.
    Das Minore lässt er in einem schönen Dreier vorüberrauschen. Dann spielt er das Allegro Da Capo.


    Das Rondo Allegretto e grazioso spielt Buchbinder deutlich schneller als in der späten Aufnahme, die ich alleine wegen des langsameren Tempos, in dem er auf einer Linie mit Gilels lag, so grandios fand, weil ich meine, dass in einem Allegretto ein moderateres Tempo, vor allem bei dieser Musik, einfach mehr Sinn macht, mehr die musikalischen Tiefen des Satzes auslotet.
    Dennoch spielt er das großartig, auch dynamisch so kontrastreich wie möglich, was besonders in den Forte-Aufwärts-Zweiunddreißigsteln ab Takt 16 und im Ablauf der Takte 31, 32 und 33 zum Ausdruck kommt.
    Die dynamisch sehr bewegte Durchführung spielt er mit viel Schwung und mit natürlichem klaren Klang, wie überhaupt die ganze Aufnahme. Am Ende der Durchführung kann er sogar nach das Ritartando in etwa unterbringen.
    Die Reprise spielt er wieder so kontrastreich wie den expositionsartigen Teil. Sehr schön ist auch das oktavierte Thema ab Takt 143 vorgetragen, ebenso dann der codaförmige Abschluss ab Takt 166, in dem er auch zum Schluss hin nicht nur decrescendiert, sondern auch retardiert.


    Eine im Ganzen sehr ausgewogene, großartige Aufnahme, die mit einer Minute mehr im Finale der Perfektion noch ein Stückchen näher gekommen wäre.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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