Der besondere Liederabend

  • mit Link!


    Übrigens, eine ganz hervorragende CD! :thumbup:


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • ... frage mich aber, worauf er mit dieser von Dir ziterten Bemerkung hinaus will?


    Lieber Rheingold,
    Du zitierst hier den Kulturhaushalt für das Jahr 2022. Christian Elsners Aussage ist im Booklet seiner CD zu finden, die im Oktober 2020 herauskam; das war damals eine ganz andere Situation. So ein Kunstliedsänger fällt da ja nicht groß auf, aber da waren schließlich 50 prominente Schauspielerinnen und Schauspieler, die mit ihrer Satire für mächtige Aufregungen sorgten.
    2,29 Milliarden Euro, das liest sich gut und könnte Anlass für Freudensprünge sein, in jüngster Zeit wird ja alles Mögliche mit Euros zugeschneit. Nicht alles lässt sich mit Geld richten, die Lockerheit ist weg; innerhalb von acht Tagen saß ich vier Mal maskiert in Liederabenden, das mag sich nicht jeder antun und bleibt lieber zu Hause; die Kulturschaffenden haben schon gelitten und leiden immer noch - einen Silberstreifen am Horizont? Für mich nicht erkennbar ...
    Die nächste Welle rollt bereits!

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    Ein wirklich besonderer Liederabend - Hugo Wolf ohne Klavier
    Dieser Abend fand in Kooperation mit dem Internationalen Wettbewerb für Liedkunst Stuttgart statt.


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    Da betraten fünf Musizierende in der Alten Aula der Universität Heidelberg wirklich Neuland und das Publikum natürlich auch. Die Programmgestaltung war so:


    Hugo Wolf / Stefan Heucke (1860-1903 / *1959)

    Sieben Mörike-Lieder für Stimme und Streichquartett


    Selbstgeständnis
    Bei einer Trauung
    Storchenbotschaft
    Gebet
    Denk es, o Seele
    Der Feuerreiter
    Abschied


    Hugo Wolf (1860-1903)
    Italienische Serenade G-Dur für Streichquartett


    - Pause -


    Viktor Ullmann (1898-1944)


    Drei Lieder für Stimme und Streichtrio nach Texten von Georg Trakl und Albert Steffen


    I Herbst
    II Lieder der Tröstung:
    1. Tote wollen nicht verweilen
    2. Erwachen zu Weihnachten


    Franz Liszt / Aribert Reimann (1811-1886 / *1936):

    Sieben Lieder transkribiert für Bariton und Streichquartett von Aribert Reimann (2013)


    Verlassen
    Anfangs wollt´ ich fast verzagen
    Sei still
    Vergiftet sind meine Lieder
    Gebet
    Morgens steh´ ich auf und frage
    Des Tages laute Stimmen schweigen


    Der Abend begann mit sieben - von insgesamt 53 - ausgewählten Mörike-Liedern, die Hugo Wolf vertont hat. Den bei Hugo Wolf-Liedern gewohnten Konzertflügel hatte man ganz ans Ende des Podestes geschoben, damit für das Arminio-Quartett und den Bariton Konstantin Ingenpaß ausreichend Platz vorhanden war. »Neuland Lied« konnte mit diesen von Stefan Heucke für eine kleine Streichergruppe eingerichteten Hugo Wolf-Liedern dem Anspruch »neu« gerecht werden.
    Man hatte relativ bekannte Lieder ausgewählt, bei denen auch der Humor nicht zu kurz kam, was jedoch beim »Feuerreiter« nicht zutraf, also bekannt schon, aber sonst etwas gruselig.
    Dieser »Feuerreiter« ist ja schon mit Klavierbegleitung eine recht spektakuläre Angelegenheit, was durch die Streichinstrumente noch mächtig gesteigert wurde.
    Der die Liedgruppe abschließende »Abschied« konnte dann entspannt genossen werden, da waren die Geigen beim Walzerrhythmus natürlich in ihrem Element.
    Für eifrige Liederabend-Geher sind das natürlich völlig neue Töne, ach, wie oft hatte man diese Texte schon mit Klavierbegleitung gehört ...


    Ingenpaß hatte keinerlei Schwierigkeiten mit dieser kleinen Streichergruppe und brachte seine stimmlichen Qualitäten hörbar ein. Der Sänger war insofern auch bestens für diese Lieder geeignet, weil er vor zwei Jahren erster Preisträger beim Hugo Wolf-Wettbewerb in Stuttgart war. Konstantin Ingenpaß verfügt über alles was man braucht, um einen Liederabend zu gestalten, aber es fällt einem auch das ein, was sein älterer Tenorkollege gesagt hat - im vorigen Beitrag nachzulesen; bei aller künstlerischen Qualität leidet diese Generation an dem so unsicher gewordenen Umfeld.


    Das Arminio Quartett besteht seit 2011, als sich Julia Parusch (Violine) und Johanneke Haverkate (Violine), Friedemann Jörns (Viola) und Max Gundermann (Violoncello) an der Musikhochschule in Detmold kennenlernten. Der Name dieser Musikergruppe hat etwas mit dem Cheruskerfürsten Arminius zu tun, der in Detmold einen besonderen Status hat.


    Nachdem für Hugo Wolfs »Italienische Serenade« kein Vokalist benötigt wurde, waren die Streicher auf dem Podium unter sich und hatten sichtliches Vergnügen, dieses 1887 entstandene Stück aufzuführen; der Wolf-Biograf Frank Walker bezeichnete das Werk als »leichtfüßig und delikat«.


    Nach der Pause wurde der Abend ernster, die Namen Viktor Ullmann, Georg Trakl und der fast vergessene Schweizer Albert Steffen stehen dafür.
    Schließlich schrieb Viktor Ullmann seine Trakl und Steffen Vertonungen 1943 für Aufführungen im Konzentrationslager Theresienstadt, wobei man sich über Ullmanns überlieferte Aussage wundert, dass seine musikalische Arbeit durch Theresienstadt gefördert und nicht etwa gehemmt worden sei. Dazu ließe sich einiges sagen, aber das ist hier nicht der richtige Ort, dies ausführlich darzustellen.


    Solche Texte hat zumindest der Durchschnittsbesucher nicht im Kopf und die Musik, die sich an Schönberg orientiert, auch nicht, da nimmt man das Programmheft mit den Texten zur Hand.


    Es folgten die von Aribert Reimann instrumentierten Lieder Franz Liszts aus dessen mittleren und späten Schaffenszeit. Aribert Reimann spricht hier von einer »schöpferischen Aneignung«, wenn er solche Lieder in ein anderes Klangmilieu überträgt. Eigentlich hatte er diese Lieder für den aus der Ukraine stammenden Bariton Viktor Rud für Streichquartett arrangiert, wobei er damals bemerkte, dass Streichquartette wie Pilze aus dem Boden schießen.


    Spätere Komponisten wie Gustav Mahler oder Richard Strauss arbeiteten zweigleisig, sodass von ihnen Klavierlieder existieren, die auch als Orchesterlieder von ihnen selbst ausgearbeitet und aufgeführt wurden.
    Es wäre interessant zu erfahren, was Hugo Wolf zur Orchestrierung seiner Klavierlieder zu Papier gebracht hätte, denn er betätigte sich zwischen 1884 und 1887 als Musikkritiker, der sich nicht lange mit Analysen aufhielt, sondern seine Meinung pointiert und recht subjektiv kundtat. Ihm selbst genügten eine Stimme und wenige Klaviertakte, um eine Geschichte zu erzählen.


    Der Pausen- und Schlussbeifall könnte lautstärkenmäßig von einem vollen Haus gekommen sein, aber ein Blick nach hinten zeigte, dass hier ungewohnte Lücken waren, sogar in der ersten Reihe hätten noch Taminos und Taminas Plätze gefunden. Im gesamten Gebäude bestand Maskenpflicht. Da hilft nur noch beten.


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    Fotos: © studio visuell.


    Auch die Ausführenden hatten dies erkannt und entließen ihr dankbares Publikum mit Mörikes Gebet in die laue Juni-Nacht.


    Herr! schicke, was du willst,
    Ein Liebes oder Leides;
    Ich bin vergnügt, dass beides
    Aus deinen Händen quillt.


    Wollest mit Freuden
    Und wollest mit Leiden
    Mich nicht überschütten!
    Doch in der Mitten
    Liegt holdes Bescheiden.

  • Lieber Rheingold,
    Du zitierst hier den Kulturhaushalt für das Jahr 2022. Christian Elsners Aussage ist im Booklet seiner CD zu finden, die im Oktober 2020 herauskam; das war damals eine ganz andere Situation. So ein Kunstliedsänger fällt da ja nicht groß auf, aber da waren schließlich 50 prominente Schauspielerinnen und Schauspieler, die mit ihrer Satire für mächtige Aufregungen sorgten.
    2,29 Milliarden Euro, das liest sich gut und könnte Anlass für Freudensprünge sein, in jüngster Zeit wird ja alles Mögliche mit Euros zugeschneit. Nicht alles lässt sich mit Geld richten, die Lockerheit ist weg; innerhalb von acht Tagen saß ich vier Mal maskiert in Liederabenden, das mag sich nicht jeder antun und bleibt lieber zu Hause; die Kulturschaffenden haben schon gelitten und leiden immer noch - einen Silberstreifen am Horizont? Für mich nicht erkennbar ...
    Die nächste Welle rollt bereits!

    Danke für die Einordnung, lieber hart. Auch ich sehe noch größere Herausforderungen auf die Kultur zurollen. Ich spreche ganz bewusst von Herausforderung, weil mir scheint, dass es keinen mich überzeugenden Plan B gibt. Was geschieht etwa, wenn die Verknappung von Strom und Heizung mit Wucht auf Theater und Konzertsäle trifft? Von Frau Roth habe ich dazu noch nichts gehört. Als Grüne Ministerin wird sie wohl Kabinettsdisziplin walten lassen müssen. Da ist es mit herzlichen Umarmungen nicht mehr getan. Schließlich kehrt auch die Pandemie schon jetzt mit Heftigkeit zurück. Obwohl viermal geimpft, habe ich seit ihrem Ausbruch keine Kulturveranstaltungen mehr besucht. So wird es vorerst auch bleiben. Ich habe mich auf Konserven, an denen kein Mangelk ist, zurückgezogen - oder besuche Deine virtuellen Liederabende.:) Nun aber Schluss damit, denn hier gilts dem Lied.


    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

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    Ein ziemlich schräger Liederabend


    Eigentlich wollte ich da gar nicht hin, denn ich mag grundsätzlich keine inszenierten Liederabende und die Gegend, in der die Veranstaltung stattfand, mag ich auch nicht besonders, weil da von Scheffels »Alt Heidelberg du feine« nichts zu sehen ist;
    »Dezernat 16« war als Veranstaltungsort angegeben, was ist das schon für eine Adresse ... früher war hier die Feuerwache und Bereitschaftspolizei untergebracht; heute gibt es da Startups und kulturelle Betriebsamkeit.


    »Dieser Hagar Sharvit könnte man einen ganzen Abend lang zuhören, das war Gesangskunst vom Allerfeinsten, das war Liedgesang der Extraklasse«.


    Zitiert aus dem Beitrag #147, der von einem Konzert Anfang April 2022 berichtet.
    Also macht man sich auf den Weg, obwohl das Autothermometer 36,5° C Außentemperatur anzeigt ...


    Das Ambiente kam ohne Kronleuchter aus, es war duster und vermittelte eher das Gefühl eine Räuberhöhle oder Kaschemme zu betreten; die etwa im Halbkreis angeordneten Sitzgelegenheiten, Stühle, Sessel, Couches, Sitzpoufs ... hatten das Flair von Haushaltsauflösungen, waren jedoch den gesamten Abend über sehr bequem. Getränke konnte man griffbereit abstellen, ein nicht zu unterschätzender Service bei diesen Temperaturen. Maskenpflicht war hier nicht angesagt; der Berichtende mochte unter diesen Gegebenheiten jedoch auf einen Schutz nicht verzichten, Hauptsache die Ohren waren frei.
    Hatten die Augen sich erst einmal an die Düsternis gewöhnt, waren immer mehr Details zu erkennen - aha! In einem der Kuben kauerte eine weibliche Person, barfuß, auch der Pianist hatte auf Socken und Schuhwerk verzichtet; man gewann den Eindruck, dass es hier etwas unkonventionell zugeht ...


    Zunächst sollen die künstlerischen Gestalter des Abends vorgestellt werden:


    Kunal Lahiry* Klavier & Kurator / Fanny Soyer* Sopran / Hagar Sharvit* Mezzosopran / Jeeyoung Lim* Bassbariton / Andrea Tortosa Baquero Regie / Emilio Cordero Checa Lichtdesign / Âmir Baltić Ausstattung.
    Zu den mit Sternchen gekennzeichneten Namen ist zu sagen, dass es sich um Alumni der Liedakademie handelt, also um Leute, die an Thomas Hampsons Meisterkursen teilgenommen hatten.


    Die Grundidee stammt aus einem vor sieben Jahren in Berlin entstandenen achteinhalb stündigen »Sleep-Projekt« des deutsch-britischen Komponisten Max Richter, das auf eine volle Nachtruhe ausgerichtet ist.
    So weit wollte Kunal Lahiry in Heidelberg nicht gehen und beschränkte seine Adaption auf das Längenmaß eines herkömmlichen Liederabends.
    An diesem Abend hörte man eine Aneinanderreihung von Kompositionen mit Liedern von Olivier Messiaen, wo sich bei »Pourquoi?« Frage an Frage reihte, vom US-Amerikaner Jake Heggie war eine Auswahl seiner Moon-Songs zu hören, der englische Dichter-Musiker Ivor Gurney trug mit »Sleep« zum Thema des Abends bei, von Erich Wolfgang Korngold war »Mond so gehst du wieder auf« zu vernehmen und von Alban Berg »Schlafend trägt man mich«.
    Es folgte »Soupier«, der Seufzer von Henri Duparc, und bei Hanns Eislers »Über den Selbstmord« folgte natürlich das Erschrecken beim letzten Wort - »fort« - des Brecht-Gedichtes durch die eruptive Singstimme. Die finnische Komponistin Kaija Saariaho war mit »Iltarukous«, also einem Abendgebet, vertreten. Von George Crumb war zunächst »The Fly« zu hören, dem sich »Fêtes Galantes« von Francis Poulenc anschloss, wo erklärt wird, was so alles zu sehen ist. Mit einer Komposition des Griechen Georges Aperghis fand der erste Teil sein Ende, das Werk wird mit »Recitation 9 & 10« bezeichnet.


    Während die Sopranistin Fanny Soyer - scheinbar schlafend - am Boden lag, begab man sich zur Pause, wobei man das nicht allzu wörtlich nehmen sollte, denn die Pause galt nur dem singenden Personal und dem Publikum; dem Pianisten war eine solche nämlich nicht vergönnt; die Inszenierung hatte ihm aufgetragen in dieser Zeitspanne Max Richters Dream 1 aufzuführen (bei Interesse lässt sich das bei YouTube in 18:31 nachhören).

    Danach stand Sergei Rachmaninows Traummusik - »Son op. 38/5« - auf dem Programm und es folgten »Var det en dröm?« von Jean Sibelius, was man wohl auch übersetzen kann, wenn man des Schwedischen nicht mächtig ist, da wurden schöne Erinnerungen an Jussi Björling wach.
    Nun war man zu Robert Schumann gekommen - Jeeyoung Lim, mit mächtigem Hut und ebensolcher Stimme, erklomm ein Podest und sang »Stille Tränen« aus Schumanns Kerner-Liedern.
    Mit Kurt Weills »Youkali» wurde es dann wieder moderner, man war beim Chanson angelangt, einem Stück, das aus Weills französischer Exilzeit stammt.
    Von der englischen Bratschistin und Komponistin Rebecca Clarke hörte man »The Seal Man« und von Camille Saint-Saëns »Tournoiement«.
    Der Abend schloss mit einer Komposition des jüngst verstorbenen George Crumb »Dance of the Moon in Santiago«, wobei der Mann am Klavier in besonderem Maße gefordert war, denn er musste mit Paukenschlägeln das Innere des Klaviers bearbeiten und auch noch vokal tätig werden ...


    Ein ziemlich schräger Liederabend - so die Überschrift des Beitrags, damit ist die subjektive Sichtweise eines eher konservativen Konzertgehers umgangssprachlich zum Ausdruck gebracht. Das Ticket konnte bei freier Platzwahl für 18.- Euro erworben werden; »niederschwellig« sollte das Ganze sein und natürlich fortschrittlich und in die neue Zeit passen. Robert Schumanns Komposition war an diesem Abend die älteste und hätte einer Inszenierung nicht bedurft, passte jedoch gut zum Thema und wurde durch die Art der Darbietung auch in keiner Weise »beschädigt«; den moderneren Stücken stand diese Art der Präsentation ganz gut zu Gesicht, und wenn sich die jüngere Generation davon angesprochen fühlt, warum nicht ...


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    Fanny Soyer, die 28-jährige Sopranistin, begann in der Kiste zu singen, entstieg aber alsbald diesem unbequemen Ort und produzierte wunderschöne Töne. Mezzosopran und Bassbariton gesellten sich hinzu und mit den oben angezeigten Stücken wurde das Programm recht locker, aber mit höchster künstlerischer Konzentration »abgearbeitet«.
    Mal schritten die Protagonisten durchs Publikum zur Bühnenmitte, mal tauchte jemand hinter einer der Kisten auf, mal ließ Lahiry sein Klavier im Stich, um sich an der Szene zu beteiligen, dann hockten ihm auch mal beim Klavierspiel Fanny Soyer oder Hagar Sharvit im Genick. Und natürlich hantierte Kunal Lahiry nicht umständlich mit Notenpapier herum, sondern las seine Noten fortschrittlich vom Tablet ab.


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    Hagar Sharvit und Fanny Soyer



    Musikalisch war das ein ganz hervorragender Abend, wobei vor allem Stimmenliebhaber ihre ungetrübte Freude haben konnten; was Hagar Sharvit, Fanny Soyer und Jeeyoung Lim geboten haben ... á la bonne heure.


    Nach den Beifallskundgebungen zu schließen, war das Publikum begeistert, teilweise wurde sogar gejohlt. Und die Gretchenfrage - Ginge man da nochmals hin? Ein eindeutiges Ja!


    Fotos © studio visuell

  • Nachtrag zum vorigen Beitrag:

    Diese beiden Fotos wurden verspätet übersandt, aber Kunal Lahiry hatte so großen Anteil an dem Abend, dass man die Bilder noch ergänzend einstellen sollte - sie zeigen die Pausensituation.


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  • 29. September 2022 - Ein Liederabend ohne Klavier
    Der Abend stand unter dem Motto: »Wo bist Du, mein geliebtes Land«
    Lieder der Liebe und Einsamkeit von Franz Schubert in Bearbeitung für Tenor, Baryton, Traversflöte und historische Gitarre

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    Es war in der Tat ein besonderer Liederabend, denn der normalerweise obligate Konzertflügel stand abgedeckt in der Ecke.
    Die Aufnahme wurde eine halbe Stunde vor Konzertbeginn gemacht, natürlich waren zu Beginn weit mehr Leute da.


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    Der Ort des Geschehens war das altehrwürdige, in den 1530er Jahren errichtete historische Kaufhaus auf der Südseite des Freiburger Münsterplatzes; neben dem Münster eines der herausragenden Gebäude in Freiburg im Breisgau.


    Seit 2008 besteht in Freiburg eine Liederreihe, die von dem Tenor Hans Jörg Mammel ins Leben gerufen wurde, jeweils im Spätsommer stattfindet und unter dem Namen ›Liederaben.de‹ zum Begriff geworden ist. In 2022 sind vier Veranstaltungsabende vorgesehen: 29. September, 4. Oktober, 6. Oktober und 15. Oktober - von dem bereits über die Bühne gegangen Abend soll kurz berichtet werden.


    Der Abend stand im Zeichen von Franz Schubert, wobei für die Singstimme der Tenor Hans Jörg Mammel zuständig war, der durch einige CD-Einspielungen von Liedern in den letzten Jahren bekannt geworden ist.
    Seine erste musikalische Ausbildung erhielt Hans Jörg Mammel in seiner Geburtsstadt Stuttgart, wo er Mitglied bei den Stuttgarter Hymnuschorknaben war.
    Mammel hatte zunächst in Freiburg ein Studium der Rechtswissenschaften begonnen und wechselte dann zur Musikhochschule, wo er unter anderem auch von Professor Werner Hollweg unterrichtet wurde.


    Für die Darbietung waren auf dem Podium vier Sitzplätze mit Notenständer hergerichtet, was bedeutete, dass auch der Sänger seinen Part in dieser Position darbot, ein etwas ungewohntes Bild.
    Neben dem Sänger agierten auf dem Podium:


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    Philippe Pierlot, Baryton / Charles Zebley, Traversflöte / Xavier Diaz-Latorre, historische Gitarre.


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    Die drei Instrumentalisten stellten im Laufe des Abends nicht nur durch musikalisches Tun, sondern auch mit erläuternden Worten ihre Instrumente vor, wobei der in Liege geborene Philippe Pierlot mit seinem Baryton der unangefochtene ›Star‹ war, der voller Stolz sein Instrument nach allen Seiten drehte und darauf hinwies, dass sein Baryton nicht nur ein Streichinstrument ist, sondern auch noch über Resonanzsaiten verfügt.


    Mit nur einem Dutzend Schubert-Liedern war das für einen Liederabend ein etwas mageres Angebot, wobei zu bemerken ist, dass es keine Pause gab; nur die Singstimme pausierte jeweils, wenn die Instrumentalisten ohne den Sänger musizierten. Der Saal war an diesem kühlen Donnerstagabend nicht voll besetzt, aber der Schlussapplaus konnte sich hören lassen und veranlasste die Musikanten zu einer Zugabe; man blieb bei Schubert und brachte »Nachtviolen« (D752) zu Gehör.


    Außer bei dem Lied »Der Wanderer« handelte es sich bei den vorgetragenen Liedern um Arrangements von Philippe Pierlot.
    Hans Jörg Mammel hatte Lieder ausgewählt, die seiner Stimme entgegenkommen, wie beispielsweise beim schlichten »Heidenröslein« oder dem »Ständchen«; im Piano hat die Stimme mehr Anmutung als wenn es dramatisch wird, aber vielleicht ist das auch nur Geschmackssache ...


    Das Programm des Abends


    Franz Schubert (1797-1828)


    Der Wanderer - D 489
    Sehnsucht - D 516
    Schäfers Klagelied - D121
    Heidenröslein - D 257
    Wanderers Nachtlied - D 224


    Wenzel Thomas Matiegka (1773-1830) / Franz Schubert


    Notturno op. 21, Auszüge


    Lento et patetico
    Zingara


    Franz Schubert


    Schwanengesang - D 744
    Auf dem Wasser zu singen - D 774
    Lachen und Weinen - D 777
    Gesänge des Harfners op. 12
    1. Wer sich der Einsamkeit ergibt - D 478
    2. Wer nie sein Brot mit Tränen aß - D 480
    3. An die Türen will ich schleichen - D 479


    Menuett und Trio
    aus der Sonate für Klavier Nr. 20, op. 78, - D 894


    Ständchen - D 957


    Zugabe: »Nachtviolen« D 752


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    Hans Jörg Mammel nimmt den wohlverdienten Beifall entgegen

  • Wettbewerb »Das Lied« in Heidelberg


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    Es ist zwar kein Liederabend, hat aber absolut mit dem Genre Lied zu tun und arbeitet zukünftigen Liederabenden zu.
    Es ist wohl in Deutschland einmalig, dass flatternde Fahnen in dieser Menge auf das Kunstlied aufmerksam machen.
    Da der Wettbewerb auch per Livestream gehört und gesehen werden kann, sei hier darauf aufmerksam gemacht.


    Gegründet als »Das Lied« – International Song Competition“ im Jahr 2009 von Thomas Quasthoff fand der Wettbewerb zunächst in Berlin statt, bevor er 2017 unter das Dach des Heidelberger Frühling umzog. Die Ausgabe 2021 musste pandemiebedingt ausfallen. Der Wettbewerb »Das Lied« ist ein Projekt des Heidelberger Frühling Liedzentrums, das 2016 gegründet wurde, um die Aktivitäten rund um das Lied zu bündeln und ein Zentrum für Ideenreichtum, Exzellenz und Kompetenz in Sachen Lied zu schaffen.


    Vom 1. bis 5. März 2023 findet der biennale Heidelberger Frühling Wettbewerb »Das Lied« unter dem Juryvorsitz von Wettbewerbsgründer Thomas Quasthoff statt. Der internationale Gesangswettbewerb wird öffentlich ausgetragen und kann weltweit per Livestream mit verfolgt werden. Der Wettbewerb findet im Alten Saal des Theaters Heidelberg statt.


    Aus insgesamt 131 Bewerbungen aus der ganzen Welt wurden 38 Sänger*innen und 33 Klavierpartner*innen für die Teilnahme zugelassen, die aus 20 verschiedenen Nationen von fünf Kontinenten stammen, von Italien über Südkorea, Australien und USA bis Brasilien. Das Wettbewerbsrepertoire umfasst ausgewählte Lieder von Aribert Reimann, Franz Schubert und Viktor Ullmann. Die erste Runde findet am 1. und 2. März, gefolgt vom Semifinale am 3. März und dem Finale mit Preisverleihung am 5. März.


    Der Heidelberger Frühling Wettbewerb »Das Lied« gilt als einer der wichtigsten Gesangswettbewerbe. Die Gewinner*innen erhalten neben Preisgeldern in Höhe von insgesamt 40.000 Euro Auftritte bei renommierten Konzertveranstaltern und Musikfestivals. Außerdem stiftet SWR2 dem/der 1. Preisträger*in eine professionelle Produktion in einem Rundfunkstudio. Der Verlag Schott Music spendet diverse Notensachpreise.


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    Das 82 Seiten umfassende Wettbewerbsheft ist sehr informativ und stellt alle Jurymitglieder und Wettbewerbsteilnehmer vor. Es ist beabsichtigt einen persönlichen Eindruck vom Abschlusskonzert hier einzustellen.

  • Heidelberger Frühling - Wettbewerb »Das Lied«


    Das Schlusskonzert am Sonntag, 5. März 2023

    Die Vorgeschichte ist durch den letzten Beitrag bekannt, dass die Aktivitäten um das Lied gebündelt und verbandelt wurden, ist auch in der grafischen Gestaltung abzulesen, wo nun durchgängig das eine flatternde Fahne assoziierende ›r‹ zu sehen ist.


    Wenn von 131 Bewerbungen aus der ganzen Welt sich dann am Schlusstag als Konzentrat 14 Personen auf der Bühne mit ihrer Kunst präsentieren, kann man davon ausgehen, dass etwas Außerordentliches geboten wird.
    Letztendlich waren 34 Duos, die aus zwölf Ländern kamen, zu den fünf Wettbewerbstagen eingeladen worden. Vor der finalen Präsentation mussten sich die Ausführenden diese Position erst die Woche über ersingen und erspielen, ja erkämpfen; eine nicht hoch genug einzuschätzende Leistung! Nach dem in den Vorrunden Gehörten war klar, dass die Bewertungen eng beieinander liegen werden. Die Leistungsmessung ist in diesem Genre ja weit schwieriger als zum Beispiel beim sportlichen Hochsprung. Deshalb hatte sich die Jury auf Teilbereiche wie: Stimmqualität, Gesangstechnik, sprachliche Diktion, sowie Gestaltung und Bühnenpräsenz für die Beurteilung festgelegt.
    Reden wir noch vom Geld - angedacht waren Preisgelder für den ersten, zweiten und dritten Platz in der Staffelung 15.000, 10.000 und 7.500 Euro. Hinzu kam der vom Freundeskreis des Heidelberger Frühlings gestiftete Publikumspreis von 2.500 Euro sowie der mit 5.000 Euro dotierte Preis für die beste Leistung am Klavier, den mal wieder die Lied-Enthusiastin Christa Tonnecker gestiftet hatte. Aber Geld ist nicht alles, es gab auch Sachpreise vom Schott Verlag und der Südwestrundfunk stellte für den ersten Preisträger eine Studio-Aufnahme in Aussicht, dass es zwei erste Preise gibt, war ja nicht vorgesehen.


    Bei der Jury durfte man geballten Sachverstand vermuten:
    Den Vorsitz hatte Thomas Quasthoff, der sich die Mitverantwortung folgender Damen und Herren gesichert hatte:
    Richard Stokes (Professor für Kunstlied an der Royal Akademy of Music in London, John Gilhoolly (Direktor der Londoner Wigmore Hall), James Baillieu (Liedpianist), Juliane Banse (Sopranistin), Justus Zeyen (Liedpianist), Helga Machreich (Künstleragentin), James Taylor (Professor für Gesangspraxis an der Yale University, USA), Bernarda Fink (Mezzosopranistin).


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    Die beiden Preisträger und Thomas Quasthoff im Vordergrund,
    stehend links mit Richard Stokes beginnend, rechts Bernarda Fink



    Das Procedere war so, dass im Finale jedes Duo - also Singstimme und Klavier - eine halbe Stunde zur Verfügung hatte, wobei - wie während der gesamten Woche auch - die Vorgabe bestand, dass neben den Liedklassikern Schubert und Schumann auch Kompositionen von Reimann oder Ullmann im Programm sein mussten; die Reihenfolge konnte frei gestaltet werden. Es war sehr interessant zu beobachten wie diese Zusammenstellung jeweils erfolgte, denn natürliche spielen auch hier simultane Kontraste eine Rolle.


    Buchhalterisch gesehen waren insgesamt 61 Lieder zu hören, 24 Mal Schumann, 22 Mal Schubert, 9 Mal Ullmann und 6 Mal Reimann.
    Selbstverständlich gab es bei den Liedern Wiederholungen, so dass Schumanns »Der Soldat« an diesem Tag gleich fünfmal zu hören war, sogar Valerie Eickhoff hat mit geschossen, erstmals hatte ich das Stück aus dem Mund einer Dame gehört.
    Natürlich kann man einen ›Liederabend‹ der morgens um elf beginnt und 15:15 Uhr endet nicht in allen Details schildern, dem Zuhörenden bleiben da nur einige Augenblicke wirklich im Gedächtnis haften. »Die Liebe hat gelogen», passte ausgezeichnet zur Stimme von Frau Eickhoff.
    Alexandra Flood hatte Reimanns »Sheep in Fog«, ein trauriges Gedicht von Sylvia Plath, zwischen Schubert und Schumann gebettet. Tae Hwan Yun stieg mit »Der Zwerg« in sein Programm ein und vermochte dieses Kriminalstück am besten darzustellen, denn man hatte es während der Woche auch von anderen Interpreten vernommen. Der Bassbariton Jeeyong Lim, in Heidelberg kein Unbekannter, vermochte zwar mit schöner Stimme zu beeindrucken, kann aber seinen sprachlichen Ausdruck noch verfeinern.
    Marie Hänsel eröffnete ihr Programm mit drei Liedern von Viktor Ullmann, erst dann erklangen bekanntere Töne, wobei die Sängerin durchaus gefallen konnte, »Heiß´ mich nicht reden« war besonders schön gestaltet.
    Nun betrat der zweite Tenor des Tages - Laurence Kilsby - die Bühne, um mit zwei Reimann-Stücken zu beginnen, Ella O´Neill eröffnete mit kräftigen, lang nachhallenden Tönen, dann sang der Tenor seinen Text nach einer Dichtung von Paul Celan und endet mit ... ihr schlaft ja. Bin es noch immer - nach kaum zehn Sekunden ein fast nahtloser Übergang zu Schuberts »Nacht und Träume«, herrlich gestaltet und beeindruckend gesungen, wie das Folgende auch. In der letzten Saison gab er sein Debüt beim Festival d´Aix-en-Provence, man wird noch einiges von ihm hören.
    Da hatte es der Schluss-Sänger, Benjamin Hewatt-Craw, schwer, war aber durchaus originell. Die von ihm vorgetragene Ullmann-Vertonung »Die Schweizer«, erstaunte wegen ihrer Nähe zu Hugo Wolfs »Storchenbotschaft«. Diesen beiden hätte man auch einen ganzen Abend lang gerne zugehört, Yuhao Guo wurde als bester Pianist ausgewählt und Hewatt-Craw setzte mit Schuberts frühem »Totengräberlied« einen eloquenten Schlusspunkt, wenn man das so sagen kann ...


    Am Ende dieser Mammut-Veranstaltung hatten sich zwei Tenöre an die Spitze gesungen, die in der Wertung so eng beieinander lagen, dass die Jury nicht von einem Ersten und Zweiten sprechen mochte und deshalb zwei erste Preise vergab und einen zweiten Platz einfach strich. Den 3. Rang erkannte man der australischen Sopranistin Alexandra Flood zu - drittrangig? Das hat sprachlich einen negativen Touch, erscheint jedoch in anderem Licht, wenn man noch einmal erwähnt, dass 131 gestartet waren. Einige Entscheidungen der Jury waren aus der Sicht des Schreibers nicht nachvollziehbar, aber man muss ja auch nicht alles verstehen. Bezüglich des Publikumspreises hatte sich die Hörerschaft für den Bariton Lars Conrad entschieden. Nicht unerwähnt sollte die Mitwirkung des unermüdlich wirkenden ›Hauspianisten‹ Alexander Fleischer bleiben, der jetzt als Professor für Liedgestaltung an der Musikhochschule Trossingen wirkt.


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    Der Südkoreaner Tae Hwan Yun hat in seinem Heimatland an der University of Suwon sowie an der Musikhochschule Mannheim studiert und ist Preisträger mehrerer Internationaler Gesangswettbewerbe. Zurzeit ist er Ensemblemitglied der Oper Bonn.


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    Der Brite Laurence Kilsby studierte am Curtis Institute of Music in Philadelphia und am Royal College of Music in London. Schon in der letzten Saison hatte er sich an vorderster Front als Barocksänger bewährt und den Cesti-Wettbewerb in Innsbruck gewonnen; man wird von ihm noch einiges hören.


    Sämtliche Fotos in diesem Beitrag von Martin Walz


    Damit man sich ein Bild vom Ablauf der Veranstaltung machen kann ist hier das Programm der Finalrunde eingefügt.


    Valerie Eickhoff (Mezzosopran) & Benjamin Mead

    Franz Schubert - Auf dem See
    Franz Schubert - Abendstern
    Viktor Ullmann - Abendphansasie
    Franz Schubert - Nachtstück
    Franz Schubert - Fischerweise
    Robert Schumann - Der Soldat
    Franz Schubert - Die Liebe hat gelogen
    Viktor Ullmann - Je vis, je meurs


    Alexandra Flood (Sopran) & Hannah Harnest

    Robert Schumann - Die Lotosblume
    Aribert Reimann - Kinderlieder I: Wo ist der Vater
    Franz Schubert - Am Bach im Frühling
    Franz Schubert - Lachen und Weinen
    Robert Schumann - Lied der Suleika
    Franz Schubert - Abendbilder
    Aribert Reimann - Sheep in Fog
    Rubert Schumann - Kennst du das Land


    Tae Hwan Yun (Tenor) & Dokyung Han

    Franz Schubert - Der Zwerg
    Franz Schubert - Die Liebe hat gelogen
    Franz Schubert - Schäfers Klagelied
    Aribert Reimann - Nächte, entmischt
    Aribert Reimann - In der Eulenflucht
    Robert Schumann - Märzveilchen
    Robert Schumann - Muttertraum
    Robert Schumann - Der Soldat
    Robert Schumann - Der Spielmann
    Robert Schumann - Verratene Liebe


    Jeeyoung Lim (Bassbariton) & Elenora Pertz

    Robert Schumann - Entflieh mit mir und sei mein Weib
    Robert Schumann - Stille Liebe
    Robert Schumann - Der Soldat
    Robert Schumann - Nachtlied
    Franz Schubert - Abendstern
    Franz Schubert - Sehnsucht
    Viktor Ullmann - Unwiderstehliche Schönheit
    Viktor Ullmann - Lob des Weines
    Franz Schubert - Die Mutter Erde
    Robert Schumann - Requiem


    - 45 Minuten PAUSE -


    Marie Hänsel (Sopran) & Alexander Fleischer

    Viktor Ullmann - Dreierlei Schutzgeister
    Viktor Ullmann - Drei Blumen
    Viktor Ullmann - Wie ist die Nacht
    Robert Schumann - Meine Rose
    Franz Schubert - Nachtviolen
    Robert Schumann - Kennst du das Land
    Robert Schumann - Heiß´ mich nicht reden
    Franz Schubert - An den Mond


    Laurence Kilsby (Tenor) & Ella O´Neill

    Aribert Reimann - Engführung II: Der Ort, wo sie lagen
    Aribert Reimann - Engführung III: Ich bin, ich
    Franz Schubert - Nacht und Träume
    Robert Schumann - Röselein, Röselein
    Robert Schumann - Liebeslied
    Robert Schumann - Der Soldat
    Franz Schubert - An den Mond
    Robert Schumann - Der Himmel hat eine Träne geweint
    Franz Schubert - Romanze aus dem Schauspiel Rosamunde
    Viktor Ullmann - O schöne Hand


    Benjamin Hewat-Craw (Bariton) & Yuhao Guo

    Viktor Ullmann - Die Schweizer
    Robert Schumann -Der Soldat
    Viktor Ullmann - Der müde Soldat
    Robert Schumann - Sehnsucht nach der Waldgegend
    Franz Schubert - Der Wanderer
    Franz Schubert - Im Frühling
    Robert Schumann - Requiem
    Franz Schubert - Totengräberlied


    Bei seinen Schlussworten bat Thomas Quasthoff leidenschaftlich darum, alles erdenklich Mögliche zu tun, damit das Kulturgut Liedgesang erhalten bleibt; er bedauerte, dass in den Schulen heute kaum noch gesungen wird.


    In Heidelberg wird weiter gesungen, nämlich vom 14. bis 18. Juni 2023 beim Liedfestival.




  • Ein Liederabend bei den Schwetzinger Festspielen 2023


    Samstag, 29. April 2023


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    Die Vergänglichkeit alles Irdischen - Vanitas - hatte sich die Festspielleitung für die Schwetzinger Saison 2023 als Leitgedanke gewählt und wurde gleich am Eröffnungstag mit der Vergänglichkeit von Konzertprogrammen konfrontiert.


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    Die Uraufführungsoper »Im Dickicht« musste bereits im März abgesagt werden und die Besitzer von Karten für den Liederabend mit dem Bariton Georg Nigl & Pianistin Olga Pashchenko wurden am Vortag darüber informiert, dass Georg Nigl krankheitsbedingt nicht kommen kann; das Programm hatte Lieder von Schubert, Beethoven und Rihm angekündigt.


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    Man konnte den Tenor Werner Güra dazu gewinnen den Abend mit Schuberts »Winterreise« umzugestalten, wobei der in Schwetzingen bestens bekannte Gerold Huber als Begleiter zur Verfügung stand. Anstatt an diesem fliederreichen Frühlingstag am hellen Bächlein der muntern Forelle zuzusehen, musste man sich nun mit einem traurigen Mann in eine von Eis und Schnee erstarrte Winterlandschaft begeben; zu ›Vanitas‹ war das durchaus passend.


    Der Berichterstatter hatte Werner Güra erstmals im Juni 2013 mit Schubert-Liedern bei der Schubertiade in Schwarzenberg gehört; es war ein ›ordentliches‹ Konzert, das jedoch nicht besonders nachhaltig im Gedächtnis blieb. Inzwischen waren nun zehn Jahre vergangen; der Kenner weiß längst, dass Güra in den Musikmetropolen mit vielen bedeutenden Musikern zusammenarbeitet und auch eine Professur an der Züricher Hochschule der Künste inne hat, und kennt auch die Empfehlung von Michael Wersin in RONDO, wo es heißt: »Für diese ›Winterreise‹ sollte man sich warm anziehen.«


    Nun, mit dem Einspringen ist das so eine Sache, da ist der Hörer doch etwas verunsichert, weil er sein Ticket mit ganz anderen Vorstellungen schon vor langer Zeit erworben hat.
    Ein Notenständer zeigte unmissverständlich an, dass nicht frei gesungen werden wird, zwei Trinkgläser standen nicht etwa diskret bereit, sondern wurden auf stilechtem Möbel regelrecht präsentiert. Eigenartigerweise war der Saal zehn Minuten vor Konzertbeginn noch fast leer, eine etwas ungewohnte Situation, dennoch begann das Konzert dann mit fünfminütiger Verspätung vor fast voll besetztem Saal.


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    Immer wieder weise ich darauf hin, dass so ein Liederabend eine Vorgeschichte hat, die bedingt, dass sich Leute mit unterschiedlichem Wissensstand in der Hörsituation befinden und demnach eine Vielzahl von Erwartungen mitbringen. Kennt man den Namen des Sängers aus Presseberichten? Hat man seine Stimme schon einmal von Tonträgern gehört? Ist einem Eugen Güra schon von einer Live-Veranstaltung her bereits bekannt?


    Der Beschreibende kann hinter alle Fragen ein Häkchen machen und kennt den gesamten Text. Weiterhin ist ein grundsätzlicher Respekt vor jedem Sänger vorhanden, der es wagt da oben zu stehen, um sich mehr als siebzig Minuten dem Publikum pausenlos ›auszuliefern‹.
    Die Gedanken gehen zurück; im Mai 2019 stand Christian Elsner da oben, ebenfalls mit der »Winterreise«. Güra wie Elsner, beide Tenöre, ganz so wie sich das Franz Schubert vorgestellt hatte. Man ahnt die sich auftuende Frage: Wer war besser? Beide waren gut, jeder auf seine Weise.


    Aber nun zu Güras Vortrag - der Sänger ist eben die Hauptperson an einem solchen Abend.
    Da wurden nicht etwa nur schöne Töne produziert und aneinander gereiht, sondern eine Geschichte erzählt, die auch den interessierte, der den Text sehr gut kennt und genau weiß, wo die Reise hingeht und endet. Natürlich hat Güra Stimme, aber das interessierte eigentlich nicht groß, hier fesselte die Interpretation, denn die war vom Allerfeinsten. Auch der Notenständer störte nicht mehr, Güra kannte den mühsamen Weg durch Eis und Schnee sehr genau. Man war stets gespannt auf das nächste der 24 Lieder, so auch auf den »Lindenbaum«, das ›Bravourstück‹, das fast jeder kennt - zumindest war das einmal so - und auch für den Liedkenner ziemlich neu klang.
    Der Schreiber gerät hier ins Stottern, unbeschreiblich schön? Also dem Schöngesang wurde hier nicht gefrönt, es wurde interpretiert, aber Sprechgesang war es auch nicht ...
    Man kann es vielleicht so formulieren: wo die Worte fehlen, beginnt die Kunst. Da kommt einiges zusammen; mit der Stimme Stimmungen und Gefühle auszudrücken und auch durch Körperhaltung und Gesichtsausdruck glaubwürdig rüber zu kommen ohne billige Schauspielerei zu bieten. Werner Güra verstand es meisterhaft den depressiven Wanderer in allen Facetten glaubhaft darzustellen, da war nichts zu viel und nichts zu wenig.


    Auf dem die Programmänderung anzeigenden Plakat hatte man extra darauf hingewiesen, dass es sich um ein Konzert ohne Pause handelt, dennoch gab es eine; während »Die Nebensonnen« vorgetragen wurden - hier war Schöngesang zu hören - war zu bemerken, dass Gerold Huber nicht nur aufs Notenblatt schaute, in der dritten Reihe hatte es einen gesundheitlichen Notfall gegeben, Stuhlreihen wurden gegen das Podium geschoben, die Notversorgung hatte erste Priorität.


    Unter diesem Eindruck erzählte der Sänger dann die Geschehnisse drüben hinterm Dorfe.
    Nach etwa zehn Sekunden Stille setzte überwältigender Beifall - garniert mit Bravorufen - ein, der zeigte, welche Wertschätzung man den beiden Künstlern für das Geleistete entgegenbrachte, den meisten Klatschenden war wohl bekannt, dass es bei einer »Winterreise« keine Zugabe gibt.

    Einmal mehr wurde die Erkenntnis gewonnen, dass ein Live-Erlebnis nicht einfach auf einen Tonträger gebracht werden kann, weshalb aber auch der einen solchen Abend Beschreibende seine Schwierigkeiten hat ...


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    Es war ein erfüllter Abend, der lange nachklingt ...


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    Da im Konzertsaal nicht fotografiert werden darf, sei hier ein Plakat-Foto der beiden Protagonisten eingestellt.


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    Internationale Maifestspiele 2023 Wiesbaden


    Eine Liedermatinee mit Florian Boesch und Justus Zeyen am 14. Mai 2023


    Wie die Zeit dahineilt ... im Mai 2014 hörte ich Florian Boesch erstmals live anlässlich der Schwetzinger Festspiele (#14), auch damals sang er Schubert und Schumann und über den Abend war in diesem Thread folgendes zu lesen:


    »Gestern Abend sang er also hier mit kerniger Stimme im vollbesetzten Schwetzinger Mozartsaal. Natürlich ohne Frack, wie ein Mann von der Straße stand oder lehnte er am Flügel und erzählte seinem Publikum Geschichten von Liebe und Leiden. Gleich nach den ersten Tönen bemerkte man, dass Schöngesang Boeschs Sache nicht ist, bei ›Berg und Burgen schaun herunter‹ wurde es besonders deutlich, aber solches strebte der Sänger auch nicht an. Er hat - wie man aus einem Interview weiß - eine gewisse Affinität zu ramponierten Stimmen aus der Popwelt, wobei von ramponierter Stimme bei Boesch natürlich keine Rede sein kann. Aber so gesungen hörte ich diese Lieder des Liedkreises noch nie. Beim Lied geht es dem Sänger, so mein Empfinden, vor allem um Identifikation mit dem Text - ›die Stimme als Träger des klingenden Worts‹, wie Boesch meint.


    Es könnte ein Paradigmenwechsel sein - könnte, das heißt noch lange nicht, dass es einer ist oder wird, das ist schließlich ein großes Wort.«


    Und was hat sich nach fast einem Jahrzehnt getan? Florian Boesch ist seinem Stil erfolgreich treu geblieben und bildet als Professor inzwischen die nachfolgende Sängergeneration aus, oder zumindest einen Teil davon.
    Auch der Bariton Georg Nigl hat dem reinen Schöngesang abgeschworen und ist in Konzertsälen und auf Opernbühnen der Welt recht erfolgreich unterwegs, wobei auch bei ihm das Lied einen ganz besonderen Stellenwert einnimmt.


    Mit diesem Hintergrundwissen sitzt man nun an einem Sonntagmorgen im prunkvollen Foyer des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden in Erwartung von Franz Schuberts »Schwanengesang«, D 957 und Robert Schumanns Liederzyklus »Dichterliebe«, Op. 48.


    Im Foyer des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden war ein intimer Rahmen gegeben, der einer Lieder-Matinee oder einem Liederabend so gut tut; die Bestuhlung ist hier auf 150 Plätze begrenzt; nur wenige Sitze im hinteren Bereich blieben unbesetzt.
    Und dann kamen die Protagonisten auch schon die Prunktreppen herunter, links der Pianist, rechts der Sänger, wobei der in allen Belangen große Zeyen über ein dickes Absperrseil steigen musste (siehe Foto), das erst in der Pause entfernt wurde.


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    Florian Boesch gab eine kurze Einführung zum ersten Teil und begründete, warum nun nicht die althergebrachte Liedfolge im »Schwanengesang« zu hören ist, sondern er aus dramaturgischen Gründen eine andere Folge wählte; Schubert hatte ja bekanntlich diese Lieder nicht zyklisch geordnet.
    Eigentlich war es eine ›Mogelpackung‹, die hier verkauft wurde, denn das Programmheft zeigte auf, dass hier lediglich acht Lieder aus diesem ›Haslinger-Zyklus‹ angeboten werden; üblicherweise besteht dieser Schwanengesang D 957 nämlich aus 14 Liedern.


    Ludwig Rellstab: Liebesbotschaft / Kriegers Ahnung / Frühlingssehnsucht / Ständchen / Aufenthalt / In der Ferne / Abschied.
    Heinrich Heine - Der Atlas / Ihr Bild / Das Fischermädchen / Die Stadt / Am, Meer / Der Doppelgänger.

    Johann Gabriel Seidl - Die Taubenpost.


    Florian Boesch sang diese acht Lieder aus dem »Schwanengesang« in der dargestellten Reihenfolge:


    Der Atlas
    Liebesbotschaft
    Frühlingssehnsucht
    Ständchen
    Abschied
    In der Ferne
    Aufenthalt
    Kriegers Ahnung


    Nachdem der baumlange Justus Zeyen das dicke Seil der Absperrung gekonnt überwunden hatte - beide kamen von oben herunter auf das Podium, der Pianist links, der Sänger rechts - legte Florian Boesch nach seinem kurzen Einführungsvortrag dann mit dem »Atlas« gleich mächtig los; laut und expressiv.
    Der WIESBADENER KURIER schreibt in seinem Konzertbericht: »An stimmlicher Gewalt fehlt es Florian Boesch an diesem Morgen nicht ...»


    Bei »Liebesbotschaft« und »Frühlingssehnsucht« ging es dann wesentlich ruhiger zu als beim unglücksel´gen Atlas.
    Beim Blick in die Liedtexte fiel auf, dass von ›purpurner Gluth‹ und ›kühlender Fluth‹ gesungen wurde und das ›Auge mit Thränen‹ gefüllt war.


    Die erste Zeile vom »Ständchen« war im Programmheft - das erfreulicherweise kostenlos zur Verfügung stand - in besonders großer Schrift typografisch besonders herausgestellt.
    Eine Dame in der zweiten Reihe hielt es nach diesem Vortrag für angebracht endlich mal zu klatschen, wenn so schön gesungen wird, hielt aber dann erschrocken inne, als sich sonst niemand beteiligen wollte.
    Man will ja hier nicht protzen, es ergab sich eben so, dass man alle großen Liedsänger schon gehört hat und aus dieser Perspektive gesehen, war das »Ständchen« an diesem Morgen die Schwachstelle von Boeschs Vortragskunst, man fürchtete fast, dass bei den leisen Stellen die Stimme wegbleibt, Pianogesang war das eher nicht.
    Boesch läuft dann zur Großform auf, wenn Dramatik im Text steckt, wie beim »Aufenthalt«, da bleiben bei der Darstellung ›Rauschender Strom, brausender Wald ...‹ keine Wünsche offen und der Schmerz kann auch nachempfunden werden.
    Mit »Kriegers Ahnung« war der Schubert-Teil abgeschlossen; auch hier gelang es Boesch in wunderbarer Weise das Wechselbad der Gefühle des Kriegers zu interpretieren.
    Den eher spärlichen Pausenapplaus nahm das Duo vom Balkon aus entgegen.


    In der Pause sagte die neben mir sitzende Dame: »Das hat mir nicht gefallen«
    Das ist durchaus nachvollziehbar, wenn man den »Schwanengesang« von Dietrich Fischer-Dieskau, Hermann Prey, Peter Schreier ... - man könnte noch eine Reihe anfügen - kennt.


    Wer nur Landschaftsbilder von Blechen, Constable, C. D. Friedrich, Gurlitt, Hackert, Kobell, Morgenstern ... kennt, wird natürlich von Lovis Corinths Walchensee-Darstellungen erschreckt. In diese Richtung ging mein Pausengespräch.


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    Nach der Pause ging es mit Robert Schumann, weiter, um den Boesch lange einen großen Bogen machte, jetzt glaubt er das Werk verstanden zu haben. Inzwischen war auch das dicke Seil entfernt und Justus Zeyen hatte ungehinderten Zugang zum Podium, was eine gewisse Symbolik in sich barg, denn bei Schumann-Liedern kommt der Mann am Klavier in der Regel immer groß raus, man merkt, dass Schumann eigentlich Pianist werden wollte.


    Für die nun folgenden 16 Heine-Lieder war Florian Boesch bestens eingesungen, denn die Morgenstunden sind zum öffentlichen Singen meist nicht so gut geeignet, es sei denn man braucht einen besonders tiefen Ton.


    Und schon erklangen die wohlvertrauten Töne, die den wunderschönen Monat Mai besangen und damit blühte auch Justus Zeyen im besonderen Maße auf und hatte oft seine solistischen Stellen, wenn die Singstimme nicht gefragt war.
    Florian Boesch kam indessen mit seiner Darstellungskunst nicht zu kurz, wenn er von Gefühlen singt wirkt das immer wahrhaft und echt.
    »Ich grolle nicht, und wenn das Herz auch bricht«, wurde glaubwürdig interpretiert. Schließlich werden die alten bösen Lieder mitsamt den bösen Träumen in einen großen Sarg verfrachtet und ins Meer gesenkt.
    Im letzten Lied »Die alten, bösen Lieder« ist das Nachspiel von beachtlicher Länge und der Sommermorgen leuchtet nochmal auf; man gönnt es dem Pianisten!


    Geschmacksache hin, Geschmacksache her, es war eine herausragende künstlerische Leistung, die nun auch mit rauschendem Beifall bedacht wurde, was beide Künstler zu zwei Zugaben animierte.


    Das war zunächst Schuberts »Die Taubenpost«, die man dem Publikum im »Schwanengesang« vorenthalten hatte und Schumanns »Wanderers Nachtlied« bildete den dezenten Schluss dieser bemerkenswerten Matinee.

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    Beim Kauf von Konsumgütern wird oft gefragt: »Würden Sie das Produkt nochmals kaufen?«
    Sicher, würde ich da wieder hingehen, weil Beachtliches und Bewundernswertes geboten wurde, aber meine große Bewunderung für Matthias Goerne, Christoph und Julian Prégardien, - um nur wenige Beispiele zu nennen - die für einen gänzlich anderen Gesangsstil stehen, bleibt trotzdem in vollem Umfang erhalten.


    Die Sache mit dem Paradigmenwechsel ist immer noch nicht geklärt ...



  • Liederabend - mit Publikumsbeteiligung - bei den Schwetzinger SWR-Festspielen 2023


    Etwas unüblich für einen Liederabend - er wurde von drei Künstlern dargeboten; den Textfundus steuerte Johann Wolfgang von Goethe bei. Die ›Hauptlast‹ lag mal wieder bei Christoph Prégardien, der hier schon seit weit mehr als drei Jahrzehnten ein immer wieder gern gesehener und gehörter Gast ist, was auch der vollbesetzte Mozartsaal mit starkem Auftritt-Applaus dokumentiert; Prégardien sang hier schon1996 als der Saal nur Jagdsaal hieß.


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    Unter dem Thema »Liebe und Verlust« brachte man Lieder und Balladen von Ludwig van Beethoven / Edvard Grieg / Franz Liszt / Carl Loewe / Franz Schubert / Robert Schumann und Hugo Wolf zu Gehör.
    Udo Samel las zwischen den von Christoph Prégardien und Julius Drake vorgetragenen Liedern aus verschiedenen Werken Goethes - da wurde zum Beispiel aus Briefen vorgelesen oder ein Gedicht vorgetragen, was der Singstimme willkommene Pausen gönnte.


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    Der Musikwissenschaftler Habakuk Traber weist im Programmheft - wo alle Liedtexte enthalten waren - darauf hin, dass das heutige Programm auf die gängigen Fassungen verzichtet.
    Bevor man die ersten Musiktöne vernahm, trat mit »Gott grüß euch, Brüder« (aus Zahme Xenien V) Udo Samel an die Rampe; dann wurde die Geschichte des Königs in Thule in den Vertonungen von Schubert und List gesungen, wobei die beiden Liedvorträge durch Goethes Gedicht »Geistes-Gruß« getrennt, beziehungsweise verbunden waren.


    Natürlich hat man die Schubertsche Version besser im Ohr als die von Liszt, wo in der Mitte des Liedes ariose Töne zu vernehmen sind und das Geschehen dramatischer dargestellt ist.
    Im nun folgenden »An Schwager Kronos« setzt Schubert die eilige Lebensfahrt so in Töne, dass dem Sänger einiges abverlangt wird, aber Pianist und Sänger brachten die Kutsche sicher ans Ziel.


    Mit den beiden Hugo Wolf-Liedern wurde es wieder ruhiger, man hatte hier wohl bewusst verhaltene Stücke in das Programm eingefügt.
    Aus Beethovens seltenem Liedschaffen wurden zwei recht bekannte Lieder dargeboten, und unmittelbar nachdem die ›Tränen unglücklicher Liebe ...‹ besungen waren, folgte Schuberts nachdenkliches Stück »Erster Verlust«, wohl eines der schönsten Schubert-Lieder überhaupt, aber das mag dem persönlichen Eindruck geschuldet sein; so vorgetragen, ein Erlebnis der besonderen Art.

    Schuberts »Rastloser Liebe« folgte Edvard Griegs wundervolles Stück »Zur Rosenzeit«, das Prégardien vor einigen Jahren an gleicher Stelle schon einmal vorgetragen hatte.
    Bei Schuberts »Heidenröslein« konnte Prégardien dann mal wieder zeigen wie schön Schönsingen sein kann, das Piano beim letzten ›rot‹, einfach zauberhaft!
    Dann ritt der tiefbesorgte und verzweifelte Vater durch die Nacht; man hatte die Vertonung von Carl Loewe ausgewählt, die kompositorisch beachtenswert, aber nicht so bekannt wie die von Franz Schubert ist, der jedoch seinerzeit Goethe zunächst die Anerkennung versagte, weil er fürchtete, dass seiner Dichtkunst musikalische Konkurrenz erwächst.


    Die Besucher wurden nun eindringlich gebeten die gewährte Pausenzeit akkurat einzuhalten, weil es sich um eine zeitversetzte Live-Übertragung handelte.
    Ein Mitschnitt des Konzertabends kann bei SWR2 nachgehört werden, wo auch ein recht interessantes Pausengespräch mit Udo Samel eingefügt ist.


    Mit dem Auszug aus einem Brief an die holde Lili eröffnete Udo Samel den zweiten Teil des Konzertabends, dann erklang »Jägers Abendlied« von Schubert, auch hier könnte man ein positives Adjektiv voranstellen, sieht dann aber sprachlich nicht so gut aus ...
    Von Sprachbeiträgen unterbrochen, folgten Schuberts »An den Mond« und der lebhafte
    »Musensohn«
    »Wanderers Nachtlied« war in der unbekannteren Komposition Loewes zu hören und dann tastete sich das Klavier langsam in Liszts »Der du von dem Himmel bist« hinein, die Müdigkeit war nicht zu überhören; eine völlig andere musikalische Interpretation, wie sollte es auch anders sein ...
    Aus Schumanns Myrthen, op. 25 hatte man »Freisinn« ausgewählt


    Das Gedicht »Ein gleiches« wurde vorgetragen, dann beschloss die Singstimme den offiziellen Teil des Abends mit Franz Schuberts »Wanderers Nachtlied«; es ist recht selten, diesen Text gesprochen und gesungen zu hören.


    Prasselnder Beifall belohnte die Künstler für diesen wunderbar gestalteten Abend; eine Zugabe war fast selbstverständlich, die mit Carl Loewes »Lynkeus der Türmer« gewährt wurde; in die von Samel vorgetragenen Worte ›zum Sehen geboren ...‹ schlichen sich Klavier und Singstimme ein.
    Man hat hier schon weit mehr Zugaben gehört, aber Udo Samel gab zu bedenken, dass der Weg durch den ganzen Saal zum Podium doch recht weit und anstrengend sei - früher benutzte man die nur wenige Schritte entfernte Tür beim Flügel.


    Also nahm man einen weiteren Komponisten mit ins Programm und der Text stammt auch nicht von Goethe ...
    Der Komponist ist der Hofkapellmeister Johann Abraham Peter Schulz, der Textdichter Matthias Claudius.


    Das Klavier war verwaist - Udo Samel, Julius Drake und Christoph Prégardien traten an die Rampe und sangen: »Der Mond ist aufgegangen«; Udo Samel war ja auch mal Sängerknabe und hatte bei der Darbietung keine Schwierigkeiten und Julius Drake machte auch als Sänger eine gute Figur. Das Publikum stimmte - absolut textsicher erste, zweite und letzte Strophe - mit ein und es war herauszuhören, dass auch da schöne Stimmen mit dabei warten.


    Die lokale Presse überschrieb ihren Konzertbericht mit: »Ein genialer Abend mit Goethe« und nennt die Darbietung der Protagonisten »überragend« und spricht von einem »phantastischen Abend«. Aber der Journalist Stefan M. Dettlinger - kein ›Wald- und Wiesenschreiber‹, sondern Fachmann - macht sich auch darüber Sorgen, dass man in solchen Konzerten kaum junge Menschen sieht.


    Programmfolge der Lieder:


    Franz Schubert:
    Der König von Thule D 367


    Franz Liszt:
    Es war ein König in Thule S 278/2


    Franz Schubert:
    An Schwager Kronos D 369


    Hugo Wolf:
    Anakreons Grab aus Gedichte von Goethe Nr. 29
    Ganymed aus Gedichte von Goethe Nr. 50


    Ludwig van Beethoven:
    Wonne der Wehmut op. 83 Nr. 1


    Franz Schubert:
    Erster Verlust D 226


    Ludwig van Beethoven:
    Maigesang op. 52 Nr. 4


    Franz Schubert:
    Rastloste Liebe D 138


    Edvard Grieg:
    Zur Rosenzeit op. 48 Nr. 5


    Franz Schubert:
    Heidenröslein D 257


    Carl Loewe:
    Erlkönig op. 1 Nr. 3


    - P A U S E -


    Franz Schubert:
    Jägers Abendlied D 368
    An den Mond D 259
    Der Musensohn D 764


    Carl Loewe:
    Wandrers Nachtlied op. 9 Heft 1 Nr. 3b


    Franz Liszt:
    Der du von dem Himmel bist S 279 Nr. 1


    Robert Schumann:
    Freisinn aus »Myrthen« op. 25 Nr. 2


    Franz Schubert:
    Wandrers Nachtlied D 768


    Zugaben:


    Carl Loewe:
    »Lynkeus der Türmer«


    Johann Abraham Peter Schulz

    Abendlied von Matthias Claudius

  • Die schöne Müllerin
    Dargeboten am 31. Mai 2023 in der Elbphilharmonie Hamburg


    Dieser Thread heißt »Der besondere Liederabend«, aber in diesem Falle muss man von einem »ganz besonderen Liederabend« sprechen, oder noch besser - von einem Liederabend der eigentlich gar keiner war ...


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    Der Große Saal der Elbphilharmonie - terrassenförmig im Weinbergprinzip angelegt - bietet 2.100 Zuschauern Platz und war aus meiner Optik gesehen voll besetzt.


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    »less is more«


    Man will ja nicht an der im Grundgesetz verbrieften Kunstfreiheit rütteln, aber wundern darf man sich schon, wenn da zweitausend Leute, die von der längsten Rolltreppe Westeuropas angesaugt wurden, von so einer Veranstaltung hell begeistert sind, wie Beifall auf offener Szene und der reichliche Schlussapplaus zeigen.


    Eigentlich ging ich da mit einer gewissen Vorfreude hin, denn ich dachte mir Franui - die Leute von der Almwiese - und Florian Boesch haben sich gesucht und gefunden.
    Beide haben sich ja bezüglich Publikumserfolgs in den letzten Jahren prächtig entwickelt und waren bald auch bei hochangesehenen Festivals gefragt. Der Puppenspieler Nikolaus Habjan, der auch etwas von Musik versteht und vor allem auch gut pfeifen kann, war mir vordem kein Begriff.


    Das kostenlos zur Verfügung stehende Programmheft des Abends konnte als Vorwarnung dienen. Da waren nämlich nicht nur die Liedtexte abgedruckt, sondern auch Erklärungen der ausführenden Künstler und Interviews.


    Da ist von einer »unkonventionellen Lesart des Zyklus« die Rede und Boesch meint, dass man »die Hörgewohnheiten und Mauern im Kopf erst mal einreißen muss«.
    Es wurden auch ein »Deutscher Tanz« von Schubert und der »Kupelwieser-Walzer« in »Die schöne Müllerin« integriert.


    Der Service der Elbphilharmonie erspart mir eine Menge Schreiberei, denn das Konzert steht im Livestream, beziehungsweise in der Mediathek zur Verfügung. Mag sich jeder seine eigene Meinung bilden. Die Klatschenden waren wohl in der Mehrzahl Touristen, die nun stolz zu Hause berichten können, dass sie in der Elbphilharmonie waren.


    Die Uraufführung dieser »Müllerin« fand wenige Tage vorher in Berlin statt, der Berliner »Tagesspiegel« schreibt unter anderem über diese Aufführung:


    »Florian Boesch ist eine wuchtige Erscheinung mit Glatze und Riesenpranken, seinen kraftvollen Bariton vermag er düster einzufärben, er singt musiktheatralisch, mit einer Stimme, der man abnimmt, dass ihr Besitzer schon viel Leidvolles durchgemacht hat. Schade nur, dass Habjan und er die Puppe ständig stummfilmhaft die Hände ringen lassen – also genau jene übertriebene Sängergestik vorführen, die Regisseure den Opernstars stets abzutrainieren versuchen ...
    Eine optische Lösung für das positive Ende bleiben die beiden auch schuldig. Der Abend hört einfach auf. Wieviel spannender wäre es gewesen, hätten sie die Puppe dezidiert als Jugendlichen gestaltet, als Alter Ego des Icherzählers, der Jahrzehnte später singend auf seine Teenagerzeit zurückblickt.«


    Das »Hamburger Abendblatt« schreibt in fetter Headline:


    »Was sollte das? Schubert-Liederabend mit zu viel Beiwerk«


    Marcus Stäbler meint dazu:
    »
    Schuberts Liedzyklus als pantomimisch-theatralischen Abend: Da war – trotz starker Protagonisten – nicht alles wirklich gelungen.«


    Der Überschrift im »Hamburger Abendblatt« schließe ich mich an; den ganzen Abend dachte ich: ›Was soll das?‹


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    Am Ende konnte ja fotografiert werden - das ist kein Gespenst, sondern die verhüllte Müllerin.
    So richtig beurteilen kann man das alles, wenn man den Livestream anschaut ...

  • Die ersten 10Min.haben gereicht! :thumbdown:=O:stumm:


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Um auf meine Fragestellung in #161 zurückzukommen - ich würde dieses ›Produkt‹ nicht noch einmal kaufen!

  • Man will ja nicht an der im Grundgesetz verbrieften Kunstfreiheit rütteln, aber wundern darf man sich schon, wenn da zweitausend Leute, die von der längsten Rolltreppe Westeuropas angesaugt wurden, von so einer Veranstaltung hell begeistert sind, wie Beifall auf offener Szene und der reichliche Schlussapplaus zeigen.

    Für mich ist das mehr als ein Anlass zum Wundern.

    Als ein erschreckendes und deprimierendes Ereignis empfinde ich, was ich da in der Mediathek der „Elbphilharmonie“ vorfinde. Erschreckend, weil es sich hier um eine regelrechte Vergewaltigung eines subtilen und wesenhaft intimen, weil als innerer Monolog angelegten musikalischen Kunstwerks handelt, das auf diese Weise auf die Bühne eines effektorientierten Events gezerrt wird.


    Bei der „Schönen Müllerin“ geht es ja doch um mehr als einen liedmusikalisch ansprechenden, eine amüsante Geschichte von unglücklicher Liebe beinhaltenden Liederzyklus, vielmehr liegt hier ein höchst bedeutsames musikalisches Selbstbekenntnis vor. Dies dergestalt, dass Schubert sich in dieser von Wilhelm Müller kreierten Figur des Müllerburschen wiederfand, insofern ihm darin die literarische Verkörperung existenzieller Wanderschaft begegnete.

    In dieser Aufführung kommt diese zentrale Aussage des Liederzyklus noch nicht einmal ansatzweise zu Ausdruck. Sie geht daran völlig vorbei.


    Deprimierend ist das für mich, weil ich es als Symptom für den langsam aber unabwendbaren Tod des Kunstliedes auf den Bühnen der Aufführung klassischer Musik erfahre und erlebe. Das Kunstlied hatte als intimste und subjektivste kompositorische Aussage seinen Aufführungsort im bürgerlichen Salon. Schon der große Konzertsaal, in den es am Ende des neunzehnten und im zwanzigsten Jahrhundert vorrückte, war eigentlich nicht der ihm gemäße. Allenfalls der Kammermusik-Saal war und ist es. Fischer-Dieskau hat, wenn er die Wahl zwischen beidem hatte, ganz bewusst diesen gewählt, auch wenn er problemlos den großen Saal hätte füllen können, wie ich das zwei Mal bei der „Winterreise“ erlebt habe.


    Das Kunstlied passt nicht mehr in den Geist der Zeit. Dieser will die Aufführung klassischer Musik als auf irgendeine Weise effektiv aufgeladenes Ereignis erleben, - den „Rigoletto“ etwa als gigantische Show in den Wassern des Bodensees. Die Begegnung mit klassischer Musik muss sich heutzutage in Form eines auf vordergründig sinnliche Erfahrung angelegten Events ereignen, - in Gestalt etwa der möglichst spektakulären Regietheater-Verfremdung einer Oper oder eines klassischen Schauspiels. Dass, wie hart berichtet, diese Aufführung mit "Beifall auf offener Szene" und "reichlich Schlussapplaus" quittiert wurde, ist ein diesbezüglich symptomatischer Sachverhalt.


    Aber ein Kunstlied oder ein Zyklus wie die „Schöne Müllerin“ ist ja gerade darauf angelegt, dass sich diese Erfahrung im seelischen Innenraum seiner Rezipienten ereignet. Eine eben diesem Zeitgeist entspringende Aufführung wie die in der Elbphilharmonie ist ihm also auf fundamentale Weise wesensfremd.

  • Da ist von einer »unkonventionellen Lesart des Zyklus« die Rede und Boesch meint, dass man »die Hörgewohnheiten und Mauern im Kopf erst mal einreißen muss«.

    In meinem Kopf müssen keine Mauern eingerissen werden. Ich würde mir diese Androhung von solcher Gewalt durch einen Sänger steng verbeten haben.

    Für mich ist das mehr als ein Anlass zum Wundern.

    Mich wunders nichts mehr. Wer die Interpretationsansätze, Aufnahmen und Mitschnitte der "Müllerin" über die zurückliegenden zehn Jahre genau verfolgt hat, findet vieles, was in die Irre führte. Es gab aber auch - und das gehört für mich zur Wahrheit - beachtliche Versuche junger Sänger, sich dem Werk mit Ernst, Ehrfurcht und Hingabe anzunähern. Ich denke beispielsweise an Krimmel oder Schuen.


    Dennoch sei hart Dank gesagt, dass er uns einmal mehr vor Augen geführt hat, welchen Bedrohungen Kunst in dieser Zeit ausgesetzt ist. Soi lange aber die originalen Noten nicht zerstört werden, solls mir letztlich egal sein.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Eigentlich muss man über diese »Müllerin« in der Elbphilharmonie nicht diskutieren, als die Schlumpelpuppe über den Rand des Kastens gehoben wurde, taten sich Assoziationen zum Kasperletheater auf ...


    Da ich glaube gegenüber Helmut und Rüdiger einen Wissensvorsprung zu haben, der aus dem Besitz des Programmheftes und der Beschäftigung mit der Sängerfamilie Boesch resultiert, möchte ich dazu noch ein paar Gedanken einfügen, die mir Anlass zum Wundern geben. So exklusiv ist unser Wissen ja nicht, dass einst der bürgerliche Salon Aufführungsort des Kunstliedes war, das weiß Florian Boesch natürlich auch, und sein Vater und seine Großmutter ebenfalls.


    Und da beginnt das Wundern, aber auch die Angst, denn Florian Boesch bildet ja als Hochschullehrer den Sängernachwuchs aus.
    Welche Sicht hat der Sänger auf die Vorgänge bei der Mühle?


    »Grundsätzlich gehe ich immer vom Inhalt aus und nicht etwa von einer Klangvorstellung. Ich beginne - wie Schubert auch - bei den Gedichten von Wilhelm Müller und versuche, jedes Wort zu verstehen. Ich kann einen solchen Zyklus nicht singen, ohne ihn wirklich zu durchdringen, und dazu habe ich bei der ›Müllerin‹ in der Tat einige Zeit gebraucht.
    Man muss die Hörgewohnheiten und Mauern im Kopf erstmal einreißen.
    Indem man sich dafür Zeit nimmt, erarbeitet man sich die Grundlagen einer Interpretation. Die konventionelle Erzählweise ergab für mich keinen Sinn. Ich musste mir also klar machen, worum es wirklich geht.


    Die Kernidee ist, dass es keinen Suizid gibt. Wenn man den Epilog von Müllerliest, den Schubert nicht vertont hat, wird die ›Grabrede‹ des Bachs bereits infrage gestellt. Wir kennen Wilhelm Müller auch aus der ›Winterreise‹ und wissen, dass er in die menschliche Psyche blickt und mit klaren Worten Dinge beschreibt, die erst weit später als psychologische Phänomene beschrieben wurden. Ein häufig missverstandenes Lied ist etwa ›Pause‹.
    Hier erlebt jemand einen psychotischen Schub, wie ihn besonders junge Menschen haben.
    Die entscheidende Stelle lautet: ›Ei, wie groß ist wohl meines Glückes Last, / Dass kein Klang auf Erden es in sich fasst?‹ Wann immer es dem Müller schlecht ging, konnte er seinen Schmerz in Lieder fassen, aber nun geht es ihm so dreckig, dass ihm diese Ausdrucksmöglichkeit genommen ist. Auslöser hierfür ist das Missverständnis zwischen Müllerin und Müller am Ende von ›Tränenregen‹, wenn sie seine Tränen für Regen hält.«


    Das hier auszugsweise Dargestellte gibt nur ein Teil der Vorstellungen des Sängers wieder, zeigt aber, dass da nicht gedankenlos drauf losgesungen wird.

    Deprimierend ist das für mich, weil ich es als Symptom für den langsam aber unabwendbaren Tod des Kunstliedes auf den Bühnen der Aufführung klassischer Musik erfahre und erlebe.

    Hier möchte ich für Helmut Hofmann einen Hoffnungsschimmer aufscheinen lassen, weil ich aus vielen, vielen Publikationen weiß, wie sehr Florian Boesch das Kunstlied liebt und sich vehement für dessen Fortbestand einsetzt. So ist Boeschs absoluter Lied-Favorit Ernst Kreneks Zyklus »Reisebuch aus den österreichischen Alpen«, diesen Zyklus versucht er stets überall unterzubringen, wenn er zu Liedkonzerten eingeladen wird. Originalton Boesch:


    »Ich brenne für Ernst Kreneks ›Reisetagebuch aus den österreichischen Alpen‹, das ich für einen der bedeutendsten Liederzyklen überhaupt und sicher des 20. Jahrhunderts halte. Aber das Publikum reagiert immer noch angstvoll, wenn es diesen Namen auf dem Programmzettel liest, weil es den späten Krenek mit der atonalen Musik im Ohr hat. Damit ist das ›Reisebuch‹, 1929 entstanden, ein Manifest dafür, dass man selbst in der Schönberg-Doktrin noch eine tonale, individuelle Klangsprache entwickeln konnte.«


    Als Florian Boesch diesen Zyklus in der Wigmore Hall sang, stand er vor dem Problem, dass die Aufführung nur 45 Minuten hergab, er aber der Meinung ist, dass der Zyklus allein stehen muss und man nach der Aufführung nichts mehr singen sollte - Die Lösung: Man stellte einen 20-minütigen Talk voran.


    Dies als Zugabe, weil man sich wunderte, dass ich mich gewundert hatte ...

  • Vielen Dank für diesen Beitrag, lieber hart!

    Ich kenne mich ja mit Liedsängern und dem, was sie tun und denken, nicht so gut aus. Insofern habe aus dem, was Du hier über Florian Boesch mitteilst, eine Menge interessanter und bedeutsamer Einsichten gewonnen.

    Und tatsächlich auch einen "Hoffnungsschimmer" aufleuchten sehen!

  • Heidelberger Kontrastprogramm in Sachen Lied
    Gemeint ist der Kontrast zu dieser fragwürdigen »Müllerin« in der Elbphilharmonie Hamburg.


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    Wie auf der Titelseite der Broschüre zu sehen ist handelt es sich um ein zeitlich relativ kurzes Liedfestival, das jedoch ein prall gefülltes Programm enthielt. Man kann nicht überall sein; drei Liederabende wurden ausgewählt, über die im Folgenden berichtet werden soll.


    Der erste Abend war insofern außergewöhnlich, weil Schuberts Vokalensembles heute in dieser Qualität sehr selten zu hören sind.
    Initiator des Ganzen war und ist Markus Hadulla, Professor für Liedbegleitung an der Musikhochschule Wien; die Idee wurde während des ersten Pandemie-Lockdowns geboren; hier bot sich die Chance gute Sänger zusammenzubringen, die sonst Einzeltermine zu absolvieren haben und kaum zusammenzubringen sind.


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    Kiran Carrel / Ilker Arcayürek / Markus Hadulla / Jan Petryka /Samuel Hasselhorn


    Der Abend stand am 14. Juni 2023 unter dem Motto »Nachthelle!«, was sich auf ein Gedicht von Johann Gabriel Seidl bezieht, Ort der Handlung war die Alte Aula der Universität Heidelberg.


    Nachthelle

    Die Nacht ist heiter und ist rein,
    Im allerhellsten Glanz,
    Die Häuser schau´n verwundert drein,
    Steh´n übersilbert ganz.


    In mir ist´s hell so wunderbar,
    So voll und übervoll,
    Und waltet drinnen frei und klar,
    Ganz ohne Leid und Groll.


    Ich fass´ in meinem Herzenshaus
    Nicht all das reiche Licht,
    Es will hinaus, es muß hinaus,
    Die letzte Schranke bricht.


    Zum Titel »Nachthelle!« sagte Markus Hadulla - im Gespräch mit Cornelia Weidner, der Intendantin der Internationalen Hugo-Wolf Akademie - folgendes:


    »Zunächst ist dies der Titel des fünfstimmigen Schubertliedes nach dem Text von Johann Gabriel Seidl, den Schubert 1826 vertonte. Ein äußerst ausdrucksstarker Text, dessen Titel ja schon aus einem Widerspruch mit ›Nacht‹ und ›Helle‹ in sich besteht und so als Leitbild die Gegenüberstellung von Individuum und Gemeinschaft in dem Programm verdeutlicht. Der Text von Seidl stammt aus der Sammlung ›Lieder der Nacht‹ , die er seinen Freunden widmet. So heißt es in dem Gedicht ›Widmung, meinen lieben Freunden‹:


    ›[...] Ja meine Freunde müßten auch so fühlen! -
    Zuerst rief Euch die Seel´- ich weih´ sie Euch:
    Ich kenn´ Euch ja, - Ihr müßt auch so fühlen!‹


    Diese Seelenverbundenheit in den Gedichten hat wohl auch Schubert gespürt und ›Nachthelle‹ eben nicht als Sololied, sondern als Ensemble vertont. Den Text selbst hat Schubert eigenhändig im Schlusssatz nochmals verstärkt, indem er - wohl mit Erlaubnis des Dichters - Seidls Worte ›Ich halt´ es länger nicht!‹ umwandelt in ›Die letzte Schranke bricht‹.
    Das Ausrufezeichen, das ich dem Lied-Titel ›Nachthelle‹ hinzugefügt habe, ist den Monaten der unfreiwilligen Isolation geschuldet, die die Pandemie verursacht hat. Das Programm ist mit dem ersten Lockdown in der Pandemie entstanden, hat sich dann durch die Pandemiezeit entwickelt und trägt sicherlich auch den Schatten dieser Zeit in sich. Aber es ist kein Programm über die Dunkelheit, sondern eben über das Licht, das die Dunkelheit durchbricht. Vielleicht mein ganz persönlicher Hoffnungsschimmer in der oft trostlosen Zeit.«


    Die Ausführenden waren:


    Ilker Arcayürek (Tenor) / Patrick Grahl (Tenor) / Jan Petryka (Tenor) / Kieran Carrel (Tenor) / Samuel Hasselhorn (Bariton) / Johannes Kammler (Bariton) / David Steffens (Bass) / Markus Hadulla (Pianist)


    Der Abend wurde im Wechselspiel von Ensembles und Solovorträgen dargeboten; die Programmfolge des Schubert-Abends im Detail:


    Der Gondelfahrer D 809
    Kieran Carrel, Ilker Arcayürek, Samuel Hasselhorn, David Steffens


    Der Wanderer an den Mond D 870
    David Steffens


    Mondschein D 875
    Jan Petryka, Kieran Carrel, Ilker Arcayürek, Samuel Hasselhorn, David Steffens


    Der Winterabend D 938
    Ilker Arcayürek


    Grab und Mond D 893
    Ilker Arcayürek, Jan Petryka, Samuel Hasselhorn, David Steffens


    An den Mond in einer Herbstnacht D 614
    Jan Petryka


    Sehnsucht D 879
    Samuel Hasselhorn


    Die Nachtigall D 724
    Kieran Carrel, Ilker Arcayürek, Samuel Hasselhorn, David Steffens


    Das Dörfchen D 641
    Ilker Arcayürek, Jan Peryka, Kieran Carrel, Samuel Hasselhorn, David Steffens


    - Pause -


    Widerspruch D 865
    Kieran Carrel, Jan Petryka, Samuel Hasselhorn, David Steffens


    Der Wanderer D 649
    Kieran Carrel


    Das Grab D 377
    Ilker Arcayürek, Jan Petryka, Samuel Hasselhorn, David Steffens


    Totengräbers Heimweh D 842
    Samuel Hasselhorn


    Nachthelle D 892
    Ilker Arcayürek, Kieran Carrel, Jan Petryka, Samuel Hasselhorn, David Steffens


    Schwanengesang D 744
    Kieran Carrel


    Im Gegenwärtigen D 710
    Jan Petryka, Kieran Carrel, Samuel Hasselhorn, David Steffens


    Ständchen D 920
    Samuel Hasselhorn, Jan Petryka, Kieran Carrel, David Steffens, Ilker Arcayürek, David Steffens


    Zugabe:


    Zur guten Nacht D 903


    Vor dieser absolut zum Thema passenden Zugabe war der Beifall gewaltig - und danach ebenfalls - und wenn zur Beifallsbekundung auch noch die Füße zu Hilfe genommen werden, gibt der Holzboden dieses altehrwürdigen Hauses schon einiges her.
    Da waren schon schöne Stimmen versammelt und auch einige Jahre sängerische Erfahrung. Schon vor nunmehr sechs Jahren konnte ich zum Beispiel Samuel Hasselhorn in Heidelberg Beifall zollen - damals im alten Theater - als er beim Lied-Wellbewerb den ersten Preis errang.
    Ähnlich verhält es sich bei Ilker Arcayürek, der am 13. April 2018 in dieser Aula als Solist eine Matinee sang (#100) und den ich im letzten Jahr mit einigen konzertanten Opernarien hören konnte, einfach schön, wenn man so eine positive Entwicklung hörend verfolgen kann.
    Da ist also schon sängerisches Potenzial nachgewachsen und unterwegs. Am heutigen Sonntag gibt Ilker Arcayürek zusammen mit Juliane Banse einen Liederabend Auf Schloss Filseck, begleitet von Doriana Tchakarova


    Frau Tchakarova war natürlich an diesem 14. Juni auch im Publikum und Thomas Hampson mitsamt seinen Stipendiaten auch. Dies alles wird hier erwähnt, um zu zeigen, dass das Kunstlied immer noch sehr lebendig ist.
    Dass nun die Namen Arcayürek und Hasselhorn etwas beleuchtet wurden ist eine rein persönliche Angelegenheit, weil es sich eben so ergab, das soll die Leistung der andern Sänger in keiner Weise schmälern, es wurde an diesem Abend insgesamt einfach hervorragend gesungen!


    Christoph Wagner, von der ›Rhein-Neckar-Zeitung‹ bezeichnete den Solovortrag von Samuel Hasselhorn als Höhepunkt des Abends, was man so sehen kann, wobei der Rezensent auch bemerkte, dass es dem Sänger half, dass es sich bei dem Vortrag um eines der tiefsinnigsten Lieder Schuberts handelt - wie aus dem Programm ersichtlich, ist von »Totengräbers Heimweh D 842« die Rede.


    In der Alten Aula gibt es 234 Plätze, der richtige Rahmen für einen Liederabend, es ist kaum vorstellbar, dass jemand nicht beglückt nach Hause ging.


    Fotos: ›studio visuell/Heidelberger Frühling‹


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  • Anmerkungen zum Liederabend vom 15. Juni 2023 in der Alten Aula zu Heidelberg


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    Der Ort des Geschehens im Überblick


    Wie Baron Ochs von Lerchenau kann man zu diesem Abend sagen:
    ›Komm´ aus dem Staunen nicht heraus‹ ...


    Bereits 2014 strahlte das Schweizer Fernsehen den etwa 20-minütigen - sehenswerten - Dokumentarfilm »Ein Wunderkind wird erwachsen« aus, wo bereits spekuliert wird, dass Äneas Humm mal die Konzertsäle der Welt füllen wird. Der Karrierestart ist auch ausgezeichnet gelungen, worauf der jetzt 28-Jährige mächtig stolz sein kann.
    Anlässlich des Beethovenjahres sang er sogar in Berlin beim Bundespräsidenten im Schloss Bellevue vor.
    Der Schweizer Bariton hat für
    seine bisherigen Leistungen 2022 den OPUS Klassik als Nachwuchskünstler des Jahres erhalten und war auch mit einem Förderpreis des Deutschlandfunks ausgezeichnet worden. Bisher liegen zwei CD-Veröffentlichungen mit Liedern vor - AWAKENING und EMBRACE - die eher wenig gängige Liedkompositionen zu Gehör bringen.
    Zu all diesen Lorbeeren kamen noch eine Menge positive Bewertungen im Tamino-Klassikforum hinzu.
    Mit diesem Wissensstand saß man nun in der altehrwürdigen Aula und war auf das Auftreten des so Hochgelobten gespannt, das Programm war so gestaltet, dass das Feuilleton von »anspruchsvoll« sprechen kann, denn wirklich bekannte Lieder waren kaum dabei.


    Das Sänger- ›Wunderkind‹ stammt aus einer schweizerisch-ungarischen Familie und hatte das Musikgymnasium in Feldkirch abgebrochen, um in Bremerhaven Opernsänger zu werden. Bereits mit 18 Jahren debütierte er am Stadttheater Bremerhaven und hatte damals gerade sein Studium an der Musikhochschule Bremen begonnen. Sein Examen legte er dann an der berühmten Juilliard School in New York ab, wo Edith Wiens seine Gesangslehrerin war.


    An dieser New Yorker Schule lernte er auch seine aktuelle Klavierpartnerin Renate Rohlfing, eine gebürtige Hawaiianerin, kennen.
    Ganz ähnlich wie im vorangegangenen Liederabend - »Nachthelle!« - hatten hier bei der Einstudierung von Liedern die diversen Lockdowns Pate gestanden, wobei das bei
    Äneas Humm und Renate Rohlfing in der häuslichen Umgebung geschah.


    Der Heidelberger Abend stand unter dem Motto »Umarmungen«, was mit der neuesten CD korrespondiert.


    Im Detail sah das Programm so aus:


    Fanny Hensel (1805-1847)

    Ach, die Augen sind es wieder - Heinrich Heine
    Sehnsucht -
    Johann Wolfgang von Goethe
    Schwanenlied -
    Heinrich Heine
    Nachtwanderer -
    Joseph Freiherr von Eichendorff


    Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847)

    Andres Maienlied (Hexenlied) - Ludwig Hölty
    Die Liebende schreibt -
    Johann Wolfgang von Goethe
    An die Entfernte - Nikolaus Lenau


    Walter Braunfels (1882-1954)

    An den Nachtwind - Karl Wolfskehl
    Blondel
    - Karl Wolfskehl
    Innere Landschaft
    - Walter Wenghöfer
    Abbitte
    - Friedrich Hölderlin


    Franz Liszt (1811-1886)

    Ihr Glocken von Marling - Emil Kuh
    Es muss ein Wunderbares sein
    - Oscar Redwitz-Schmölz
    Vergiftet sind meine Lieder
    - Heinrich Heine
    Ein Fichtenbaum steht einsam
    - Heinrich Heine
    Über allen Gipfeln ist Ruh
    - Johann Wolfgang von Goethe


    Edvard Grieg (1843-1907)

    Sechs Lieder op. 48
    Gruß -
    Heinrich Heine
    Dereinst, Gedanke mein
    - Emanuel Geibel
    Die verschwiegene Nachtigall
    - Karl Joseph Simrock
    Lauf der Welt
    - Johann Ludwig Uhland
    Zur Rosenzeit
    - Johann Wolfgang von Goethe
    Ein Traum
    - Friedrich Martin von Bodenstedt


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    Eine Pause war an diesem Abend nicht vorgesehen, der Vortrag dieser 22 Lieder wurde nur bei den einzelnen Lied-Blöcken kurz unterbrochen; das ist in jedem Falle eine große Leistung für einen Sänger, der man Respekt erweisen sollte, ja muss.
    Des Weiteren kann man Äneas Humm zu seiner großartigen Stimme gratulieren. Allerdings scheint Renate Rohlfing näher am Sinn eines Liederabends dran zu sein als ihr - zumindest an diesem Abend - sehr laut singender Partner.
    Wie eingangs erwähnt, man kommt aus dem Staunen nicht heraus, wenn man weiß, dass der Sänger bei einer Edith Wiens Gesang studiert und mit Hartmut Höll Liederabende gestaltet hat.
    Von wegen ›Umarmung‹, fast überfallartig betritt der Sänger das Podium und legt gleich los als wollte er im Teatro Colón die obersten Ränge erreichen.
    Entgegen meiner sonstigen Gepflogenheiten las ich diesmal die Texte mit, weil ich von diesem Programm nur zwei Lieder richtig kenne - ›Es muss ein Wunderares sein‹ und ›Zur Rosenzeit‹. Es gelang nicht, das Gelesene mit dem Gehörten in Einklang zu bringen, zumindest an diesem Abend ließ der Sänger jede liedgestalterische Sensibilität vermissen und gab mehr zu verstehen, dass da jede Menge Stimme vorhanden ist. Bei Liszts vergifteten Liedern kann das so gemacht werden, bei ›Es muss ein Wunderbares sein‹ oder ›Zur Rosenzeit‹ gerät es zur Karikatur.


    In einem Interview verrät der Bariton: »Meine Liederabende moderiere ich immer. Das Publikum ist viel aufmerksamer, wenn man mit ihm spricht. Dass Sänger nicht gerne reden auf der Bühne, finde ich völlig unverständlich.«
    In der Tat hat Äneas Humm unbestritten ganz großes Talent als Conférencier und ist ein charmanter und eloquenter Plauderer.


    Als Zugabe wurde noch ein Lied von Grieg und Brahms gewährt, wobei Edvard Griegs »Das alte Lied« vom alten König ..., nach einem Text von Heinrich Heine, wirklich gekonnt vorgetragen wurde.


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    Fotos: ›studio visuell/Heidelberger Frühling‹


    Äneas Humm wird seinen Weg machen - man darf gespannt sein, wohin er führt ...

  • Ein beglückender Liederabend mit Julia Kleiter


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    Den Liedvorträgen war ein etwa zehnminütiger Einführungsvortrag von Professor Dieter Borchmeyer, Professor emeritus für Neuere Deutsche Literatur an der Universität Heidelberg, vorangestellt.


    Prof. Dr. Dr. h. c. Borchmeyer hält an der Universität Vorträge »ÜBER DAS WEIBLICHE IM MENSCHLICHEN«, Wandlungen des Geschlechterbildes.


    Wie man heraushören konnte, folgte der Redner bezüglich Schumanns Opus 42 weitgehend den Darstellungen im Booklet des Projektes Huber/Gerhaher, wo es auf Seite 84 unter anderem heißt:
    »Die verhohlende Verachtung dieser Lieder als Ausdruck von Misoynie und Unterdrückung weiblicher Selbstbestimmung stellt nur eine - ich finde an Fantasie ärmste - Möglichkeit dar, dieses Werk zu deuten. Man kann nämlich durchaus so weit gehen, Schumanns Text-Zusammenstellung als eigentliches ›Marienleben‹ zu interpretieren.«
    Auch auf Silke Schwarz - Sängerin, Musikpädagogin und Bildungswissenschaftlerin - wurde hingewiesen, die sich mit dieser Thematik befasst.


    Das musikalische Gesamtprogramm präsentierte sich so:


    Robert Schumann (1810-1856)
    Lieder und Gesänge für Singstimme und Klavier op. 51


    Sehnsucht - Emanuel von Geibel
    Volksliedchen -
    Friedrich Rückert
    Ich wandre nicht -
    Carl Christern
    Auf dem Rhein -
    Karl Leberecht Immermann
    Liebeslied -
    Johann Wolfgang von Goethe


    Frauenliebe und Leben op.42


    Seit ich ihn gesehen - Adelbert von Chamisso
    Er, der Herrlichste von allen
    Ich kann´s nicht fassen, nicht glauben
    Du Ring an meinem Finger
    Helft mir, ihr Schwestern
    Süßer Freund, du blickest
    An meinem Herzen, an meiner Brust
    Nun hast du mir den ersten Schmerz getan


    Fünf Lieder für Singstimme und Klavier op. 40


    Märzveilchen - Adelbert von Chamisso
    Muttertraum
    Der Soldat
    Der Spielmann
    Verratene Liebe


    Lieder und Gesänge aus dem »Wilhelm Meister« - Johann Wolfgang von Goethe
    op. 98a (Auswahl)


    Kennst du das Land?
    Nur wer die Sehnsucht kennt
    So laßt mich scheinen
    Heiß mich nicht reden
    Singet nicht in Trauertönen


    Der Titel des ersten Liedes, also »Sensucht«, könnte über den ersten fünf Liedern des Abends stehen; Schumann hat in Opus 51 Texte von fünf verschiedenen Dichtern ausgewählt, in den folgenden Liedblöcken findet man nur noch Chamisso und Goethe, wobei Chamisso bei Opus 40 eigentlich eher sehr freier Übersetzer war.


    Eigentlich hätte man nach Goethes »Liebeslied« - also nach den ersten fünf Liedern - eine kleine Beifallspause erwartet, das hätte der Sängerin und dem Publikum gut getan, aber sogleich schlug Gerold Huber die wenigen Takte zu »Frauenliebe und Leben» an, wobei die Singstimme ja auch gleich einsetzt.


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    In den nun folgenden gut zwanzig Minuten erzählte Julia Kleiter sehr glaubwürdig eine Liebesgeschichte aus weiblicher Sicht, entsprechend der Zeit in der sich das zutrug, und das war eben die Zeit Schumanns, der ja auch gerade in eine sehr komplizierte Liebesgeschichte verwickelt war und sich sein Recht als Ehemann vor Gericht erstreiten musste. Wie es in der Literatur heißt, soll Opus 42 in dieser Zeit innerhalb von zwei Tagen entstanden sein.


    Es war ein Erlebnis Julia Kleiter bei ihrer Erzählung zu folgen, sie traf immer den angemessenen Ton, die rechte Stimmung, auch mit entsprechender Mimik, ohne dass das auch nur den Hauch von billigem Schauspiel hatte.
    Die Begeisterung, dass ER gerade sie ausgewählt hatte, vermutlich war er auch gesellschaftlich höher gestellt, vielleicht trug er auch noch Uniform ... wurde sehr gut vermittelt und diese Begeisterung hält ja auch im zweiten Lied noch an.


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    Und dann - endlich - der vorläufige Höhepunkt, der Ring am Finger, da muss die Interpretin Freude und Stolz auf breiter Front zum Ausdruck bringen und beim Singen strahlen, mit ausdruckslosem Gesicht geht das nicht. Diesem Lied folgte nun die Aufgeregtheit der Hochzeitsvorbereitungen und der Abschied aus der Jugendzeit.


    ›Süßer Freund, du blickest‹ und auch ›An meinem Herzen, an meiner Brust‹, wurde zu Clara Schumanns Zeit in öffentlichen Konzerten ausgeklammert, weil man diese intimen Vorgänge nicht der Öffentlichkeit präsentieren mochte; Clara Schumann wollte auch in späteren Jahren nicht, dass der ganze Zyklus öffentlich gesungen wird.


    Frau Kleiter konnte gerade in diesen beiden Liedern eine Menge Emotionen zum Ausdruck bringen. Hier gewinnt die Kindesmutter Oberwasser, wenn sie stolz erklärt ›O, wie bedaur´ ich den Mann, der Mutterglück nicht fühlen kann!‹


    Nach diesen Hochgefühlen schlägt die Stimmung urplötzlich um, Julia Kleiters Stimme wird zum Mezzosopran; der einst Herrlichste ist tot - Gerold Huber darf nun eines der schönsten Schumann-Nachspiele interpretieren, die Musik kehrt an den Ursprung zurück.


    Wer klatscht nun nach diesen Tönen zuerst? Natürlich bekamen Julia Kleiter und Gerold Huber ihren verdienten Beifall, man wusste ja, dass es Robert Schumann war, der die letzte Strophe von Chamissos Gedicht nicht vertont hatte. Wer das ganze Gedicht mit Musik haben möchte, muss sich an die Vertonung von Carl Loewe halten.


    Bei den nun folgenden fünf Liedern des Opus 40 ist zu beobachten, dass da ganz schlimme Sachen dabei sind, wie dieser schreckliche ›Muttertraum‹ oder die Erschießung eines Soldaten durch den Freund - bei ›Der Soldat‹ gab es für den Pianisten Vollbeschäftigung und Gerold Huber hat das mit Verve gelöst. Nach diesen Schrecknissen dann der verzweifelte Geiger bei der Hochzeit.
    Unmittelbar nach so viel Traurigkeit dann dieses lustig, harmlose Liedchen ›Verratene Liebe‹, hinter dessen Titel man ebenfalls Schlimmes vermuten könnte.


    Mit fünf weiteren Liedern aus »Wilhelm Meister«, deren Texte eine weite Verbreitung erfahren haben, wurde der offizielle Teil dieses beachtlichen Liederabends beendet; eine Bravourleistung erster Güte - schließlich wurde dieser Abend ohne Pause gesungen; Gerold Huber sitzt ja ständig irgendwo am Flügel, den sieht und hört man oft, Julia Kleiter hörte ich erstmals live, da merkt man weltweite Erfahrung.


    Um den wohlverdienten Beifall in voller Länge entgegenzunehmen - er war schon jubelnd -müssen die Künstler hier relativ weite Wege gehen.
    Die Überraschung war perfekt als die Zugabe »Ständchen« von Richard Strauss angesagt wurde. Großer Jubel!
    Schließlich beschloss man den Abend dann doch mit Schumann, nämlich mit »Widmung«.

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    Fotos: ›studio visuell/Heidelberger Frühling‹


  • Brahms beim Heidelberger Frühling


    Über einen Zeitraum von vier Wochen hinweg, wird in Heidelberg fast nur Brahms in allerlei Versionen gegeben. Man knüpft an das Festival-Gründerjahr 1997 an, das ebenfalls ein ›Brahmsfest‹ war. 2024 wird man von Brahms das gesamte Kammermusik-Schaffen, sein komplettes Solo-Klavierwerk, die Lieder, das Violinkonzert und Chormusik in Heidelberg aufführen. Der Verzicht auf Werke mit großem Orchester ist der aktuellen Raumsituation geschuldet, weil die Stadthalle erst wieder im nächsten Jahr zur Verfügung steht.


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    Eine Nachmittagsveranstaltung vom 16. März 2024
    mit Christian Gerhaher (Bariton) und Gerold Huber (Klavier)


    Wenn man einmal von dem berühmt gewordenen Schlaflied ›Guten Abend, gut´ Nacht‹ absieht, haben die Lieder von Johannes Brahms nicht einen so großen Bekanntheitsgrad, als die von Schubert und Schumann, obwohl an der kompositorischen Qualität der Brahms-Lieder nicht zu zweifeln ist; Robert Schumann stellte bereits 1853 zu den Liedern des erst zwanzigjährigen Jünglings fest, dass man ihre Poesie verstehen würde ohne die Worte zu kennen. Und wenn man schon bei den Worten ist, es ist auffallend, dass Brahms eher Literaten der ›zweiten Reihe‹ vertont hat; er war der Ansicht, dass man Goethes Texte nicht heben könne ... - da können Musikfreunde froh sein, dass die Herren Schubert und Loewe das anders sahen und ›Erlkönig‹ auf ihre Weise interpretierten.


    Für den nachmittäglichen ›Liederabend‹ wählte Gerhaher den Titel ›Meine Lieder‹ aus und im Programmvorspann ist zu lesen, dass Gerhaher der Brahms´schen Gedanken- und Gefühlswelt besonders nahesteht, wobei man sich über den Notenständer wundert, der eher bei selten gespielten Stücken zum Einsatz kommt. Wenn man jedoch die atemberaubenden weltweiten Aktivitäten des Sängers kennt, sollte man dafür Verständnis haben. Aus den etwas mehr als 200 Solo-Liedern, die Brahms schuf, hatte das Duo folgendes Programm zusammengestellt:


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    Sehnsucht - op. 14/8 (Volkslieder)
    Der Überläufer - op. 48/2
    (Des Knaben Wunderhorn)
    Vor dem Fenster - op. 14/1
    (Volkslieder)
    Von ewiger Liebe - op. 43/1
    (Heinrich Hoffmann von Fallersleben)
    Vom verwundeten Knaben - op. 14,2
    (Volkslieder)
    Der Gang zum Liebchen - op. 48/1
    (Josef Wenzig)


    Neun Lieder und Gesänge für eine Singstimme und Klavier - op. 32


    Wie rafft´ ich mich auf in der Nacht (August von Platen-Hallermünde)
    Nicht mehr zu dir zu gehen
    (Georg Friedrich Daumer)
    Ich schleich´ umher betrübt
    (August von Platen-Hallermünde)
    Der Strom, der neben mir verrauschte
    (August von Platen-Hallermünde)
    Wehe, so willst du mich wieder
    (August von Platen-Hallermünde)
    Du sprichst, dass ich mich täuschte
    (August von Platen-Hallermünde)
    Bitteres zu sagen denkst du
    (Georg Friedrich Daumer)
    So stehn wir, ich und meine Weide
    (Georg Friedrich Daumer)
    Wie bist Du, meine Königin
    (Georg Friedrich Daumer)


    - PAUSE -


    Regen-Zyklus. Vier Lieder nach Gedichten von Klaus Groth
    (Frühfassungen aus Lieder und Gesänge op. 59)


    Regenlied
    Dein blaues Auge hält so still
    Mein wundes Herz verlanget
    Nachklang


    Meine Lieder - op. 106/4 (Adolf Frey)
    Geheimnis - op. 71/3
    (Karl August Candidus)
    Die Mainacht - op. 43/2
    (Heinrich Christoph Hölty)
    Auf dem Kirchhofe - op. 105/4
    (Detlev von Liliencron)
    O kühler Wald - op. 72/3
    (Clemens von Brentano)
    Treue Liebe - op. 7/1
    (B. Eduard Schulz)
    Herbstgefühl - op. 48/7
    (Adolf Friedrich von Schack)
    Lerchengesang - op. 70/2
    (Karl August Candidus)
    Die Kränze - op.46/1
    (Georg Friedrich Daumer)


    Und, wie war´s? Die logischste Frage im Freundes- und Bekanntenkreis, wenn man von einem Konzert nach Hause kommt.
    Also diese Aula der Neuen Universität konnte mich als Konzertsaal noch nie begeistern, aber wenn das Duo Gerhaher/Huber nur zehn Kilometer vom Wohnort entfernt ein Konzert gibt, kann man auch nicht einfach zu Hause im Sessel sitzen bleiben; man geht hin, mit vermutlich ganz andern Gedanken im Kopf als die Sitznachbarn.
    Vor mehr als zwanzig Jahren, es war im Mai 2003, hörte ich die beiden erstmals im Rokokotheater Schwetzingen, welch ein räumlicher Kontrast zu der Neuen Aula; ein so intimer Raum wie das kleine Theaterchen in Schwetzingen, wäre der rechte Ort für dieses sensible Lied-Programm gewesen.



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    Diese beiden Fotos wurden freundlicherweise von ©studio visuell / Heidelberger Frühling zur Verfügung gestellt.


    2005 waren die beiden für mich am gleichen Ort nochmals zu hören, 2013 in der Heidelberger Stadthalle und 2014 in der Hamburger Laeiszhalle, also auch schon wieder ein Abstand von zehn Jahren, in denen sich Künstler und Zuhörer verändert haben. Christian Gerhaher und Gerold Huber können als Gesamtkunstwerk gelten, mir ist kein Lied-Duo bekannt, das so eng beieinander ist, und da hat sich in den letzten zehn Jahren auch nichts geändert, denn enger geht eben nicht; die New York Times schrieb einmal:
    ›größte Liedpartnerschaft der Welt‹.


    Wenn eingangs bemerkt wurde, dass die Brahms-Lieder allgemein keinen so großen Bekanntheitsgrad haben, dann kann man das relativieren, denn wenn man sich hier als ›Rosinenpicker‹ betätigt, findet man schon Bekanntes und Eingängiges, jeder wird sich da anders bedienen, subjektiv nenne ich:
    ›Dein blaues Auge hält so still‹ / ›Von ewiger Liebe‹ / ›Die Mainacht‹ und ›Auf dem Kirchhofe‹, das sind Stücke, die aus meiner Sicht herausragen.
    Simon Scherer von der ›Rhein-Neckar-Zeitung‹ schreibt in seiner Konzertbetrachtung:
    ›Schnell hat man sich in den Kompositionsstil eingehört, sodass man für vieles stärker als sonst sensibilisiert wurde.‹ Da taucht dann die Frage auf, wer ist ›man‹?


    Aus meiner Sicht kann ich nur berichten, dass die Leute am Ende des Konzerts begeistert waren und den beiden Künstlern noch zwei Zugaben entlockten. Da seitlich in der fünften Reihe sitzend, war es nicht möglich die Ansage zu verstehen, man hatte sich offenbar nicht so schnell eingehört, wie erforderlich gewesen wäre ...


    Natürlich ist auch Gerhahers Stimme seit dem Ersthören vor zwanzig Jahren gealtert, aber da ist auch sehr viel liedsängerische Erfahrung hinzugekommen, und die braucht es, um diesem Programm gerecht zu werden.


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    Das aktuelle temporäre gläserne Festivalzentrum im Innenhof der Neuen Universität.


    So Gott will, sollte man in diesem Falle sagen, werde ich die ›größte Liedpartnerschaft der Welt‹. am 21. April 2024 im Stuttgarter Opernhaus mit 15 Hugo Wolf- Liedern hören können, es soll ihnen die Hugo-Wolf-Medaille verliehen werden; diese Zeremonie war schon 2022 geplant, musste dann aber verschoben werden.


    Der ›Heidelberger Frühling‹ hat ja seit den Gründerjahren eine gewaltige Ausdehnung erfahren. Wenn die Frühlingsblüher längst verschwunden sind, blüht es hier in Sachen Lied nochmals kräftig auf, nämlich vom 8. bis 16. Juni 2024.


  • Eine Ehrungsmatinee der Internationalen Hugo-Wolf-Akademie

    am Sonntag, 21. April 2024
    für das Duo Christian Gerhaher (Bariton) und Gerold Huber (Klavier)


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    Gerold Huber - Kammersängerim Prof. Christiane Iven - Christian Gerhaher


    Diese Matinee hätte eigentlich schon im Juni 2022 stattfinden sollen, musste dann aber verschoben werden und war auch jetzt wieder gefährdet, weil die gegenwärtige Wetterlage der Singstimme nicht zuträglich ist, woraus resultierte, dass sich Gerhaher ›ansagen‹ ließ, aber von Indisposition konnte keine Rede sein.


    Die Hugo-Wolf-Medaille wird seit 2008 vergeben und die Liste der Preisträger ist beeindruckend:


    Dietrich Fischer-Dieskau (2008)
    Christa Ludwig (2010)
    Peter Schreier (2011)
    Brigitte Fassbaender (2013)
    Graham Johnson (2014)
    Elly Ameling (2015)
    Thomas Hampson & Wolfram Rieger (2017)
    Gundula Janowitz (2019)
    Christian Gerhaher & Gerold Huber (2024)


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    Der ›gleichberechtigte‹ Pianist Gerold Huber - nicht hinter Blattwerk versteckt ...


    Wie diese Auflistung zeigt, wurde 2017 erstmals ein Duo ausgezeichnet und das Duo Gerhaher / Huber hat sich diese gemeinsame Auszeichnung redlich verdient, denn sie musizieren seit ihrer Schulzeit gemeinsam, also gute 35 Jahre und ein bisschen mehr,
    es existiert sogar ein Foto, das die beiden 17-Jährigen beim Üben zeigt, ihr Musiklehrer hat es für die Nachwelt festgehalten; schon im jugendlichen Alter hatten sie im Schulorchester musiziert, Gerhaher als Bratschist, sein erstes Instrument war aber die Geige, die er bald zur Seite legte, um dann im Chor seines Geigenlehrers zu singen. Da kam Freude auf und er arbeitete an seiner Stimme. Bereits wenige Jahre später trat das Duo Gerhaher/Huber an die Öffentlichkeit und führten ihre erste »Dichterliebe« auf.

    Vorbei sind die Zeiten, wo man den Pianisten schamhaft hinter Grünpflanzen versteckte, damit er den Sänger optisch nicht stört, was ein Gerald Moore noch erlebte.


    Die Veranstaltung fand in der Stuttgarter Staatsoper statt, wo die Geehrten Ihre Feierstunde musikalisch selbst gestalteten, was so selbstverständlich nicht ist, denn die meisten Medaillenempfänger hatten zu Zeit der Auszeichnung ihre aktive künstlerische Zeit schon hinter sich gelassen.


    Natürlich gestalteten die beiden den Vormittag mit Liedkompositionen von Hugo Wolf, der ja durch Hugo Feißt eine ganz besondere Beziehung zu Stuttgart hatte. Und dann war ja auch noch der Schwabe Eduard Mörike, nur etwa 15 Kilometer von Stuttgart entfernt, in Ludwigsburg, geboren. Schon der achtzehnjährige Wolf besaß einen Band Mörike-Gedichte, die er wie einen Augapfel hütete und nicht in andere Hände gab - ›er könne sich einfach keine Stunde davon trennen‹, meinte er; und Hugo Wolf hatte jede Menge Selbstbewusstsein, an seinen Schwager schreibt er einmal: »Was ich jetzt aufschreibe, das, lieber Freund, schreibe ich auch schon für die Nachwelt. Es sind Meisterwerke.«


    Der Musikkritiker Ernst Décsey spricht von dem unbekannten Wolf, der den unbekannten Mörike entdeckt hat. Hugo Wolf suchte sich 53 Gedichte zur Komposition für eine Singstimme und Klavier aus. von diesen 53 wählten Christian Gerhaher und Gerold Huber wiederum 14 aus, um damit ein Programm für diese Lieder-Matinee zusammenzustellen:


    Lied eines Verliebten
    Im Frühling
    Um Mitternacht
    An den Schlaf
    Peregrina I
    Begegnung
    Peregrina II
    Denk´ es, o Seele


    Nach diesen acht Liedern folgte die Begrüßung durch Prof. Dr. Hansjörg Bäzner, dem Vorstandsvorsitzenden der Internationalen Hugo-Wolf-Akademie.


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    Zwischen dem Duo Dr. Cornelia Weidner, die Intendantin der Internationalen Hugo-Wolf-Akademie, ganz rechts
    Prof. Dr. Hansjörg Bäzner, Vorsitzender der Internationalen Hugo-Wolf-Akademie


    Im Anschluss daran dann die Laudatio, welche man Frau Kammersängerin Prof. Christiane Iven anvertraut hatte, die oft als aktive Sängerin auf der Bühne des Stuttgarter Opernhauses stand und seit 2013 eine Professur für Gesang an der Hochschule für Musik und Theater München begleitet.
    Frau Iven wies darauf hin, dass das Duo ohne die heute vielerorts üblichen Show-Effekte auskommt und trotzdem weltweit ankommt und zitierte die New York Times mit dem Superlativ: »Die größte Liedpartnerschaft der Welt«.
    Erwähnung fand auch die Tatsache, dass Gerhaher/Huber ihrem Publikum nicht nur Gefälliges anbieten, sondern ein breit gefächertes Repertoire haben, wobei es nicht um reinen Musikgenuss und dem Versinken im Klang geht.
    Bei den beiden Straubingern ist nicht nur der Geburtsort und das Geburtsjahr 1969 gleich,
    Frau Iven meinte, dass beide nicht wie Sänger und Begleiter wirken, sondern wie ein gemeinsam schlagendes Herz mit zwei Kammern.
    Weiter führte die Kammersängerin aus, dass vor allem von privaten Veranstaltern immer wieder versucht wird, auf unseriöse Weise die Menschen ›mitzunehmen‹, oder ›an die Hand zu nehmen‹.


    Nach dieser gehaltvollen Laudatio setzten die so Gelobten das Lied-Programm fort:


    Auf ein Altes Bild
    Auf eine Christblume I
    Karwoche
    Auf eine Christblume II
    An die Geliebte
    Gesang Weylas


    Der Feuerreiter - als Zugabe


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    Christian Gerhaher gab auch an diesem Sonntagmorgen alles ...


    Das erste und letzte Lied dieser sonntäglichen Matinee boten wohl den größtmöglichen Unterschied, der bei Liedern von Hugo Wolf denkbar ist. Aber mit dem letzten Lied ist nicht etwa der »Gesang Weylas« - ein sehr schönes Lied -, sondern »Der Feuerreiter« gemeint, den das Duo als Zugabe spendete.


    Der erste Programmpunkt, »Lied eines Verliebten«, ist weder vom Dichter noch vom Komponisten ein ganz großer Wurf, die Komposition entstand im März 1888, dem Jahr als Wolf diese 53 Mörike-Lieder schuf. Diese Bemerkung - ›kein ganz großer Wurf‹ - ist nicht despektierlich gemeint, aber verliert natürlich im unmittelbaren Vergleich mit »Der Feuerreiter«.

    Wer die fünfzehn Lieder dieses Programms näher oder sogar intensiv kennenlernen möchte, kann sich bei Helmut Hofmann bedienen, der das im Thread »Hugo Wolf und Eduard Mörike« hervorragend herausgearbeitet hat.


    Hier soll der Schwerpunkt auf der reinen Berichterstattung liegen, die jedoch persönliche Eindrücke nicht ausschließt. Objektiv kann festgestellt werden, dass diese Matinee etwa 600 Zuhörer fand, um ein wirklich gutes Bild zu vermitteln sollte man von begeisterten Zuhörern berichten, denn neben dem ›normalen‹ Beifall beim Ende der Lied-Blöcke, gab es nach der fulminanten Zugabe Standing Ovation - wohl nicht nur für den »Feuerreiter«, sondern auch für die künstlerische Lebensleistung der beiden; fünfunddreißig Jahre! Das ist schon eine Nummer.
    Meine erste Begegnung mit dem Duo war im Mai 2003 bei den Schwetzinger Festspielen und nochmals am gleichen Ort 2005; beim Heidelberger Frühling dann ein weiterer Abend mit Liedern von Schumann (seinem Lieblingskomponisten) und Hollinger.
    2014 im kleinen Saal der Laeiszhalle in Hamburg, kam es wegen der Erkrankung Gerhahers zu einer Programmänderung, weil das geplante Programm nicht eingeübt werden konnte.
    Die letzte Begegnung mit Christian Gerhaher und Gerold Huber war erst vor einem Monat in Heidelberg, wo Brahms-Lieder zu hören waren.


    Mit dieser Hörer-Vorgeschichte waren eigentlich bei diesem Konzert keine Überraschungen zu erwarten, denn mit Textdeutlichkeit hatte der Sänger noch nie Probleme und man weiß, dass er ein entschiedener Gegner von Überbetonungen ist. Wer technisch so versiert und erfahren ist, hat natürlich auch die Möglichkeit jeden Text so vorzutragen, dass man gerne zuhört, manchmal wirkt er wie ein Lyrik-Rezitator mit Gesangsstimme. Die Stimme verfügt über alle möglichen Schattierungen und Farben, damit versteht er trefflich zu arbeiten.
    Obwohl er mit Lob und Preisen geradezu überschüttet wird, plagen ihn ständig Ängste und Selbstzweifel. Beim ersten Konzert 2003 konnte man Gerhaher noch ohne Notenständer erleben, inzwischen ist sein Repertoire jedoch mächtig umfangreich geworden und nach eigener Aussage hat er Angst davor einen Ton nicht zu treffen oder den Text zu vergessen.


    Um auf diese Liedmatinee zurückzukommen - einen ängstlichen Eindruck machte Gerhaher nicht und bei Huber ist - bei allem Respekt - die Sache doch nicht ganz so fragil als bei der Singstimme. Man gewann den Eindruck, dass hier souveräne Könner am Werk waren, und zu diesem Können gehört eben auch, dass man nicht bemerkt, wie viel intensive Arbeit dahinter steckt. Es wirkte routiniert, konnte es aber nicht sein, weil Gerhaher Routine künstlerisch eigentlich ablehnt.


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    Redlich verdiente Blumen


    Fotos: Reiner Pfisterer


    Übrigens:
    Das Essen und Trinken im Saal war untersagt; ein Plakat bei der Garderobe machte darauf unmissverständlich aufmerksam, so etwas hatte ich bei einer Liedveranstaltung noch nie erlebt ...

  • Ein Liederabend ohne Konzertflügel


    Das Bodenseefestival ist ein grenzüberschreitendes Kulturfestival, das seit 1989 von April / Mai bis Pfingsten an zahlreichen Veranstaltungsstätten in der Vierländerregion rund um den Bodensee (Deutschland, Österreich, Schweiz, Liechtenstein) stattfindet.


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    Am Feiertag des 1. Mai 2024 fand im Ludwig-Dürr-Saal des Graf-Zeppelin-Hauses in Friedrichshafen im Rahmen dieses Festivals ein besonderer Liederabend statt, der des klassischen Klaviers nicht bedurfte. Die Sopranistin Christiane Karg sang im ersten Teil des Abends Lieder von Claude Debussy und Ottorino Respighi.


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    Nach der Pause gab es dann vier sehr bekannte Lieder von Richard Strauss, denen schließlich »Vier letzte Lieder« folgten, die nochmals einen Höhepunkt in Strauss´ Schaffen am Ende seines Lebens bedeuten und in einer Heimweh-Stimmung entstanden, weil der Komponist mit seiner Frau schon seit drei Jahren im Schweizer Montreux verbrachte und auch sein eigenes Ende vor Augen hatte.


    Die Sängerin wurde von Anneleen Lenaerts, der Soloharfinistin der Wiener Philharmoniker begleitet.


    Offensichtlich hat Christiane Karg eine Affinität zu französischen Kompositionen, denn als ich sie 2014 bei einem Konzert in ihrer Heimatstadt Feuchtwangen hörte, sang sie Lieder von Maurice Ravel und Charles Koechlin und bei den Schwetzinger Festspielen 2019 waren es Lieder von Francis Poulenc und der Komponistin Claude Arrieu.


    Die Titelseite des Programmheftes erweckt den Eindruck, dass die Strauss-Lieder zuerst dargeboten werden und der italienische Komponist Ottorino Respighi bleibt ganz außen vor.
    aber die Damen begannen mit den französischen und italienischen Liedern.


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    Alle Liedtexte waren im Programmheft abgedruckt, aber bei den französischen und italienischen Texten hatte man auf eine Übersetzung verzichtet. Man erwartete also ein polyglottes Publikum.


    Den Französischen Liedern lagen Texte von Paul Verlaine, Charles Baudelaire, Théodore de Banville und Paul Bourget zugrunde.


    Die Textdichter der Italienischen Lieder waren Gabriele D´Annunzio, Percy Bysshe Shelley, Francesco Rocchi und die Autorin Ada Negri steuerte auch zwei Texte bei.


    Der knapp 400 Quadratmeter große Ludwig-Dürr-Saal bietet Platz für etwas mehr als vierhundert Besucher und gibt einen guter Rahmen für einen Liederabend; tritt man aus dem Foyer, kann man bis zum Seeufer gehen und hat einen herrlichen Blick auf die Schweizer Berge - ja, auch solche Pauseneindrücke gehören zu einem Konzertabend.


    Wenn man da nur fünf Meter von Annaleen Lenaerts und ihrer Harfe entfernt sitzt, ist das schon keine alltägliche Sache, schon alleine das Bild beeindruckt.
    Beeindruckend auch ihre bisherigen musikalischen Leistungen; die belgische Künstlerin ist nun schon seit 2010 Soloharfinistin bei den Wiener Philharmonikern und international bekannt.


    Nach der Pause also ein rein deutschsprachiges Programm, wo man die wohl bekanntesten Strauss-Lieder zum Vortrag brachte. Hatte Christiane Karg schon vor der Pause stimmlich beeindruckt, bereiteten ihr auch die Strauss-Höhen keinerlei Schwierigkeiten und der Harfinistin natürlich auch nicht.
    Nun, man kennt diese Lieder schließlich in- und auswendig, hat sie aber noch nie in der Kombination Singstimme / Harfe gehört, und ist also in jedem Falle ein Erlebnis der besonderen Art.


    Und dann die »Vier letzten Lieder«, die ja nicht wirklich die letzten waren, im November 1948 kamen noch die »Malven« hinzu, die Strauss der Sängerin Maria Jeritza gewidmet hat.
    Den berühmten Eichendorff-Text - also das letzte Lied - hatte Strauss ja zuerst komponiert und auch nicht an einen Zyklus gedacht; es war sein Verleger, Ernst Roth, der diese Reihenfolge kreierte und diesen Liedern den heute weltberühmten Titel gab.


    Kristiane Karg ist auch hier voll in ihrem Element und hat keinerlei technische Schwierigkeiten, Strauss hätte da seine helle Freude gehabt; ach, wie vielen seiner Sängerinnen hatte er Komplimente gemacht, aber nicht dieser Lieder wegen, deren Uraufführung - 1950 in London - Strauss nicht mehr erlebte.


    Es sind ja eigentlich Orchesterlieder, bei der Uraufführung von Furtwängler dirigiert,
    nun sollte Annaleen Lenaerts ein ganzes Orchester ersetzen, man war gespannt,
    wie das von statten geht, da ist schließlich diese Piccolo-Flöte, mit diesem Flötentriller wird ja das Zwitschern zweier Lerchen dargestellt, da sieht und hört man genau hin, wie man das mit der Harfe macht, aber wirklich beurteilen kann man das nicht.


    Nach dem Vortrag von ›Im Abendrot‹ ist eine Gesamt-Ergriffenheit im Saal zu spüren und - ähnlich am Ende einer »Winterreise« - es stellt sich die spannende Frage, wann setzt der Beifall ein?
    Nun, da verstrichen schon einige Sekunden, dann ließ sich ein dankbares Publikum hören; Bravorufe waren auch mit dabei.


    Die Damen bedankten sich ihrerseits mit der Zugabe »Morgen«, einem Lied, das Richard Strauss seiner Frau gewidmet hat.


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  • Die schöne Magelone - Schwetzinger SWR- Festspiele 2024

    Liederabend am 7. Mai


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    Die Festspiele stehen in diesem Jahr unter dem Motto ›Da capo‹. Da fragt sich ein Besucher, der diese Festspiele seit 1952 recht gut kennt, ›Da capo‹ von was?
    Ein Flyer klärt darüber auf was gemeint ist:
    ›Das Motto rückt diejenigen in den Fokus, die in den vergangenen Jahren mit ihrem Können und leidenschaftlicher Hingabe an die Musik vor Ort und im Radio begeistert haben - die Künstlerinnen und Künstler. Für viele von Ihnen sind die Schwetzinger SWR Festspiele eine künstlerische Heimat geworden.‹


    Insbesondere auf dem Tenor Christoph Prégardien trifft das in ganz besonderem Maße zu, der hier seit 1996 als Publikumsliebling gilt; er war mit dem Sprecher Udo Samel nach Schwetzingen gekommen, so wie im letzten Jahr als es um Goethe ging.
    Beide Male war es also kein ›reiner‹ Liederabend, diesmal war am Klavier Altmeister Hartmut Höll zu hören.


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    Eigentlich hatte ich die ›Die schöne Magelone‹ noch nie besonders gerne gemocht, man ging eben hin, weil Fischer-Dieskau sang ...
    2012 hörte ich dann einen Vortrag von Jens Malte Fischer: ›Das verkannte Meisterwerk‹ Johannes Brahms´ Liederzyklus ›Die schöne Magelone‹.


    Nun traut man sich nicht so recht eine negative Meinung öffentlich zu äußern, weil man weiß, dass Diese Aussage alle ins Herz trifft, die das Werk mögen, und das sind nicht wenige, und durchaus sachkundige Leute.
    Ein ganz prominentes Beispiel ist Brigitte Fassbaender; es war der letze Liederabend ihres Lebens, da hatte sie nochmals etwas ganz Großes geleistet; hörenswert, wenn sie singt und auch den Text spricht, da präsentiert sich ›Die schöne Magelone‹ plötzlich ganz anders; diesbezüglich war Fischer-Dieskaus Versuch weniger glücklich ...


    Brahms schrieb zwar eine Menge Lieder - 195 Sololieder -, aber nur einen einzigen Zyklus, ›Die schöne Magelone‹. Der vierzehnjährige Johannes las diese alte Rittergeschichte von Magelone und dem Grafen Peter, die in ihrem Ursprung auf das Jahr 1527 zurückgeht und von Ludwig Tieck 1797 wieder zu neuem Leben erweckt wurde; die religiösen Motive der Pilgerfahrt und sakrale Dinge schob Tieck beiseite, fügte etwas Erotik ein und machte aus der Heiligengestalt eine Königstochter, die dann schließlich auch als Schäferin unterwegs war.
    Aber der Heranwachsende Brahms las nicht alleine, denn da war noch die 13-jährige Lieschen Giesemann, Tochter eines Papiermühlenbesitzers, der er während der Sommermonate in Winsen an der Luhe Klavierunterricht erteilte; die Dorfjugend verspottete den jungen Klavierspieler als ›Dern‹, er sei ja kein Junge, riefen sie ihm nach.
    Man vermutet, dass Brahms mit der eigentlichen Fassung von Ludwig Tieck erst später bekannt wurde, als er mit den Schumanns verkehrte und das dann in sein ›Schatzkästlein‹ aufnahm.

    ›Die schöne Magelone‹ ist eine recht fesselnde Geschichte, einfach schön und spannend, wenn Ritter Peter alle besiegt und aus den Sätteln hebt, was ihm in seiner Bescheidenheit fast peinlich ist; ein Hauch von ›Lohengrin‹ und ›Turandot‹ ist auch noch mit drin, denn der Fremde gibt seinen Namen nicht preis - und ein bisschen ›Rheinlegendchen‹ ist auch noch hineingewoben; hier wie da landet schließlich ein Fisch mit goldenen Ringlein auf des Königs Tisch - und wer denkt nicht an Belmonte, wenn der Sultan Gefallen an Peter findet?

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    Aufnahmen mit Personen waren nicht erlaubt, Udo Samel saß auf dem grünen Sessel.


    Udo Samel liest selbstverständlich gut, weil er eben nicht nur einfach so liest, sondern das Geschehen plastisch artikuliert, dennoch glaubt man sich in eine Märchenstunde für Kinder verirrt zu haben und fragt sich ob das am Rande des Kitschs sein könnte oder gar über den Rand hinausgeht.
    Vor einigen Jahren hatte sich ja Christian Gerhaher mit Martin Walser in dieser Sache zusammengetan, um den Volkston unserer Zeit zu finden.


    An diesem Schwetzinger Abend wurde die klassische ›Magelone‹ gegeben. Man mag ja einem so erfahrenen Pianisten wie Hartmut Höll keine Tipps geben, aber daran erinnern, dass Gerald Moore einmal fragte: Bin ich zu laut? Zumindest am Anfang konnte man das so empfinden.


    Es sind ja fast arios anmutende Gesänge, die der Zyklus bietet; der Brahms-Forscher Philipp Spitta nannte die ›Magelone‹-Romanzen ›sinfonische Lieder‹.
    Weil Brahms ja nie ein Opernwerk zur Welt brachte, vermuten viele, dass er das Opernhafte hier ausgelebt hat, irgendwo ist sogar der Begriff ›Taschenoper‹ aufgetaucht. Von den 15 gesungen Romanzen - die Brahms von 18 ausgesucht hatte - wurden an diesem Abend zunächst acht zu Gehör gebracht, nach der Pause folgte der Rest.
    Auch wenn man den gesamten Zyklus nicht so gut kennt, horcht man beim dritten Lied, wo sich im langen Vorspiel die Sprechstimme mit dem Klavier mischt, auf; fällt der Sprechtext (bei manchen Aufnahmen) weg, hat man ein mehr als halbminütigen Vorspiel - ›Sind es Schmerzen, sind es Freuden‹ - da kann sich auch die Singstimme wunderbar auszeichnen, und das tat Prégardien in hervorragender Weise.


    Mit ›Ruhe, Süßliebchen, im Schatten‹, kündigte sich nach der Pause das Unheil an, hätte Peter da nicht herumgefummelt, wäre der böse, hässliche Rabe chancenlos gewesen; nun waren die goldenen Ringe weg und das Unglück nahm seinen Lauf, die Liebenden wurden getrennt und Udo Samel, alias Peter, jammerte:


    »Was wird sie nun machen, wenn sie erwacht, und den vermisst, den sie für den Getreuesten auf der ganzen Erde hielt? Warum musste mein Vorwitz nur die Ringe hervorsuchen, konnte ich sie nicht an ihrem schönsten Platze lassen, wo sie so sicher waren? O weh mir, nun ist alles verloren und ich muss mich in mein Verderben finden!«


    Aber alles wurde schließlich gut und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende;
    Peter ließ an dem Ort wo er Magelone wieder gefunden hatte einen prächtigen Sommerpalast bauen und man pflanzte vor dem Palast sogar noch einen Baum.


    Die Singstimme hat das letzte Wort; mit dem Lied »Treue Liebe dauert lange« endet der Zyklus, Singstimme und Klavier hatten sich längst angenähert und die drei Protagonisten konnten ihren wohlverdienten Beifall entgegennehmen, der überaus herzlich und lautstark ausfiel, was wiederum von den Künstlern mit einer Zugabe belohnt wurde, eigentlich mit zweien, den Udo Samel las noch den ›Vorbericht‹ und es wurde »Feldeinsamkeit« angesagt.
    Da lieferte Christoph Prégardien mal wieder eine Kostprobe seiner immer noch hohen Gesangskultur. Schön, dabei gewesen zu sein und ein Ansporn sich doch etwas eingehender mit dieser ›Magelone‹ zu befassen.


    Eigentlich hätte der Sprecher noch darauf hinweisen können, dass dieses Konzert am Geburtstag von Johannes Brahms stattfindet, aber vielleicht ging man davon aus, dass das alle wissen ...




    Das Konzert ist am Montag, 13. Mai, 13:05 - 14:58 Uhr in SWR»»KULTUR zu hören.


    Anmerkung:
    Im PROJEKT GUTENBERG findet man eine sehr gute Darstellung mit dem Sprechtext und allen Liedern.


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  • Preisträger Tae Hwan Yun sang in Heidelberg Lieder,
    die meisten, nachTexten von Heinrich Heine


    Im Rahmen des HEIDELBERGER FRÜHLING fand am Spätnachmittag des 9. Juni 2024 in der Alten Aula der Universität Heidelberg eine Liedveranstaltung statt.


    Man sollte hier eine kurze Vorgeschichte erzählen - beim Internationalen Lied-Wettbewerb 2023 in Heidelberg saß die prominent besetzte Jury ungewöhnlich lange zusammen, um dann schließlich zu dem Ergebnis zu kommen, dass es erstmals in der Geschichte des Wettbewerbs zwei Gewinner gibt, der andere - ebenfalls ein Tenor - war Laurece Kilsby.


    Beim Wettbewerb 2023 wurde der koreanische Sänger Tae Hwan Yun noch von der Pianistin Dokyung Han begleitet.
    Zum aktuellen Programm hatte der Tenor diesmal den Pianisten Matthias Alteheld mitgebracht, der an der Freiburger Hochschule für Musik als Professor für Liedgestaltung zuständig ist.
    Um auch noch einen optische Veränderung gegenüber dem Wettbewerb 2023 zu übermitteln, den Frack hatte Tae Hwan Yun diesmal zuhause gelassen.


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    Foto: ©studio visuell


    Die beiden Protagonisten begannen mit zeitgenössischen Liedkompositionen des erst vor sieben Jahren verstorbenen Wilhelm Killmayer, der als stilistischer Außenseiter gilt, wie allenthalben zu lesen ist.
    Aus dem 35 Lieder umfassenden Heine-Zyklus, der 1994 und 1995 entstand, hatte man neun Lieder zum Vortrag ausgewählt, wovon sieben vom Text her alte Bekannte waren, die mit dem Kunstlied Vertraute aus Schumanns »Dichterliebe« kennen, ein Zyklus, der nach sechs Gesängen von Johannes Brahms einen fast direkten Hör-Vergleich der Kompositionen von Killmayer und Schumann möglich machten.
    Zu den sechs Liedern von Brahms ist zu sagen, dass sie nicht zu den bekanntesten Liedvertonungen von Brahms gehören.


    Die Lied und Vokalmusik waren für Killmayer etwas sehr Zentrales. Man stellt sich natürlich die Frage, wie man Killmayers Vertonungen hören, beziehungsweise einschätzen würde, wenn man Schumanns Opus 48 nie gehört hätte, das sind doch recht unterschiedliche Tonwelten, die hier zusammentreffen; diatonische Musik und romantische Klangfarbenmusik.


    Die Interpretation der Killmayer-Lieder gelang Tae Hwan Yun ausgezeichnet; couragiert zeigte er eindrucksvoll Stimme, die für solcherart Kompositionen vonnöten ist, das Klavier kann da wenig unterstützen - mitunter wurde es sehr laut in der altehrwürdigen Aula.
    Die beiden Künstler bewiesen dramaturgisches Geschick, als sie das Stück ›In mein gar zu dunkles Leben‹ an den Schluss des ersten Liedblocks setzten, denn hier fordert Killmayer Pianist und Sänger gleichermaßen in der höchsten Stufe des Ausdrucks, das war am Ende wie ein Paukenschlag!
    ›Ist das Lied auch nicht ergötzlich, hat´s mich doch von Angst befreit.‹, heißt es in der letzten Strophe, der Tenor bot höchste Lautstärke, dann kippte Matthias Alteheld zur linken Seite auf die Klaviertastatur ab, man kann von Getöse sprechen; es wäre interessant zu wissen, was diesbezüglich in den Noten steht ...
    Wilhelm Killmayer sagte einmal dazu: »ein großartiges Gedicht über die Angst, die zur Lebensangst wird, die sich nicht in den Schrei löst, sondern durch lautes Singen gebannt wird. Gesang als Rettung.«


    Die Leistung dieses ersten Konzertteiles wurde mit reichlich Beifall bedacht, den sich die beiden redlich verdient hatten.


    Nun räumte Tae Hwan Yun rasch den vordem benutzten Notenständer beiseite, um - frei am Klavier stehend - die sechs Brahms-Gesänge vorzutragen; man war in der Romantik angelangt, ein sinnvoller Übergang zu Schumanns Dichterliebe, die allerdings viel früher entstanden war, nämlich in Schumanns berühmtem Liederjahr 1840 und seine umfangreichste Vertonung eines Heine-Textes ist. Schumann wählte aus 65 Heine-Gedichten solche aus, die Bezug zu seinen persönlichen Lebensumständen hatten..


    Das Konzert war ohne Pause angekündigt - Pausen entstanden lediglich zwischen den Lied-Blöcken. Endlich wurde der wunderschöne Mai besungen, obwohl er sich dieses Prädikat aktuell nicht verdient hatte, aber das sind die Freiheiten der Kunst. Es hat schon etwas, wenn an diesem Ort in der zweiten Strophe des letzten Liedes das Heidelberger Fass - nur einige hundert Meter entfernt - besungen wird.
    Die Stimmungswechsel innerhalb dieser 16 Lieder boten dem Interpreten-Duo reichlich Gelegenheit ihr Können zu zeigen.
    Ganz akzentfrei sang Tae Hwan Yun nicht, aber man schämt sich ein bisschen dieses Hinweises, weil die Gesamtleistung von Tae Hwan Yun in den höchsten Tönen zu loben ist, was auch am herzlichen Schlussapplaus zum Ausdruck kam, in den Matthias Alteheld natürlich eingeschlossen war, der seinen großen Solo-Auftritt mit dem schönen und langen Nachspiel des Zyklus hatte.


    Nach stark aufbrandendem Beifall im leider nicht ganz vollbesetzten Saal, gewährten die Künstler noch zwei Schumann-Lieder als Zugaben:


    ›Meine Rose‹ und ›Widmung‹


    Mit eindeutiger Geste gab der Pianist dann zu erkennen, dass man es bei diesen Zugaben belassen würde und es gab nochmals herzlichen Applaus der Dankbarkeit für eine ausgezeichnete künstlerische Leistung.



    Das Programm:


    Wilhelm Killmayer (1927-2017)
    Heine-Lieder Teil I und III (Auswahl)


    Gekommen ist der Maie
    Im wunderschönen Monat Mai
    Wenn ich in deine Augen seh´
    Ich grolle nicht
    Ein Jüngling liebt ein Mädchen
    Am leuchtenden Sommermorgen
    Ich hab´ im Traum geweinet
    Allnächtlich im Traume seh´ ich dich
    In mein gar zu dunkles Leben


    Johannes Brahms (1833-1897)
    Sechs Gesänge op. 3


    Liebestreu - Robert Reinick
    Liebe und Frühling I -
    Hoffmann von Fallersleben
    Liebe und Frühling II -
    Hoffmann von Fallersleben
    Lied (Aus dem Gedicht: »Ivan«) -
    Friedrich von Bodenstedt
    In der Fremde -
    Joseph von Eichendorff
    Lied -
    Joseph von Eichendorff


    Robert Schumann (1810-1856)
    Dichterliebe op. 48


    Im wunderschönen Monat Mai
    Aus meinen Tränen sprießen
    Die Rose, die Lilie
    Wenn ich in deine Augen seh´
    Ich will meine Seele tauchen
    Im Rhein, im heiligenStrome
    Ich grolle nicht
    Und wüssten´s die Blumen, die kleinen
    Das ist ein Flöten und Geigen
    Hör´ ich das Liedchen klingen
    Ein Jüngling liebt ein Mädchen
    Am leuchtenden Sommermorgen
    Ich hab´ im Traum geweinet
    Allnächtlich im Traume seh´ ich dich
    Aus alten Märchen winkt es
    Die alten, bösen Lieder

  • Das Duo Konstantin Krimmel / Ammiel Bushakevitz
    gestaltete in
    Heidelberg Lieder
    von Franz Liszt, Eusebius Mandyczewski, Johannes Brahms und Franz Schubert


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    Foto: ©studio visuell


    Im Rahmen des HEIDELBERGER FRÜHLING fand am 13. Juni 2024 in der proppenvollen Alten Aula der Universität Heidelberg eine Liedveranstaltung statt. Konstantin Krimmel wurde diesmal von dem aus Israel stammenden Pianisten Ammiel Bushakevitz begleitet, der weltweit tätig ist und einen erklecklichen Beitrag zum Gelingen des Abends beitrug.


    Anknüpfend an die Veranstaltung vor wenigen Tagen mit Tae Hwan Yun sei erwähnt, dass mit Konstantin Krimmel ein Sänger auf der Bühne stand, der 2019 beim Internationalen Lied-Wettbewerb - nur zwei Straßen weiter - zum absoluten Publikumsliebling wurde.


    Als anstatt des Sängers mit seinem Pianisten der Intendant Thorsten Schmidt das Podium betrat, wähnte man nichts Gutes, aber er machte nur darauf aufmerksam, dass auf dem Universitätsplatz wieder einmal eine Demonstration stattfindet und es eventuell zu störenden Geräuschen kommen könnte. Genau das Gegenteil war der Fall; im Saal war es mucksmäuschenstill, wenn man mal von der Musik absieht.


    Und nochmals anknüpfend an die Liedveranstaltung mit Tae Hwan Yun, auch hier hatte man wieder altbekannte Texte mit nicht ganz so geläufiger Musik im Kopf, gleich das erste Lied des Abends gibt da ein gutes Beispiel: »Im Rhein, im schönen Strome«, da hat der ›normale‹ Liederabend-Besucher eben Schumann im Kopf ...


    Krimmel hat aber die Gabe seinen Liedvortrag so zu gestalten, dass man ihm gerne und gespannt zuhört. Man muss diesen warmen und kräftigen Bariton nicht umständlich beschreiben, seine Stimme ist im Internet vielfältig präsent.
    Eigentlich sollte laut Programm »Die Loreley« den Abschluss des Liszt-Blocks bilden, aber verrutsche etwas in der Reihenfolge, es wäre der schönere Abschluss gewesen; schön gesungen waren diese sieben Minuten allemal.


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    Konstantin Krimmels Mutter stammt aus Rumänien und der kleine Konstantin hatte das bäuerliche Leben bei der Verwandtschaft in Rumänien stets genossen, soviel solle zum Einstieg in die rumänisch vorgetragenen Lieder erklärt werden.


    Nun wurde es auch für Lied-Spezialisten eng, Mandyczewski summt man nicht mal beim Rasieren so vor sich hin ... - das weiß auch Konstantin Krimmel, also machte er von seiner Sprechstimme Gebrauch und wurde pädagogisch tätig, indem er kurz erklärte wer dieser Eusebius Mandyczewski war.


    Mandyczewski komponierte etwa 200 rumänische Volkslieder und bearbeitete Werke von Bach, Haydn und Schubert sowie orthodoxe Messen. Als Musiktheoretiker war er vor allem für seine umfangreiche Schubert-Forschung bekannt.
    Als Mandyczewski 1879 Chorleiter und Dirigent der Wiener Singakademie wurde, lernte er Johannes Brahms kennen, dessen Nachlass er später betreute und auch für die Gesamtausgabe der Werke von Brahms verantwortlich zeichnet.


    Für die Mandyczewski-Lieder war im Programmheft neben der Originalsprache auch die deutsche Übersetzung abgedruckt. Aus den Gedichtüberschriften ist in etwa zu erkennen um was es geht, die fünf Lieder enden schließlich traurig.


    Ohne Brahms läuft heuer in Heidelberg nichts, man findet ihn in jedem Programm und der Abend stand unter dem Titel »Wie rafft´ ich mich auf«, was auf den ersten Liedtitel des Brahms-Blocks Bezug nimmt - man war wieder beim deutschen Kunstlied angekommen , die beiden Künstler hatten ganz bekannte Brahms-Lieder ausgewählt und auf wunderbare Weise interpretiert. Es war insgesamt ein beeindruckender Abend, der erstaunte und begeisterte Hörer zurücklässt, man glaubt einem Wunder beigewohnt zu haben.


    Die Programmgestaltung war insofern interessant, dass man die großen Antipoden des 19. Jahrhunderts durch die praktisch unbekannten Mandyczewski-Lieder getrennt hatte.


    Das war ein Konzert ohne Pause, die Bravo-Rufe des frenetisch applaudierenden Auditoriums bestätigten den Akteuren ihre fulminante Leistung, der Beifall war so stark, dass Konstantin Krimmel Mühe hatte die Zugabe anzusagen - er meinte, dass Schubert bei einem Liederabend eigentlich nicht fehlen darf, und bei der zweiten Zugabe wandte er sich mit süffisanter Miene ans immer noch kräftig klatschende Publikum und meinte:
    ›wenn Sie noch können ...‹
    Sänger, Pianist und Publikum konnten noch, der Abend endete wonnevoll, wonnevoll ...


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    Das Programm

    Franz Liszt
    Im Rhein, im schönen Strome -
    Heinrich Heine
    Anfangs wollt’ ich fast verzagen - Heinrich Heine
    Es war ein König in Thule - Johann Wolfgang von Goethe
    Gebet - Friedrich von Bodenstedt
    Der Du von dem Himmel bist - Johann Wolfgang von Goethe
    Freudvoll und leidvoll - Johann Wolfgang von Goethe
    Des Tages laute Stimmen schweigen - Ferdinand von Saar
    Die Loreley - Heinrich Heine

    Eusebius Mandyczewski
    Rumänische Lieder op. 7:
    Lăcrimioare (Maienglöckchen)
    Măndrulita (Holdes Mädchen)
    Cinel-Cinel (Rätsel)
    Mormentul (Das Grab)
    Omul singuratic (Der Einsame)

    Johannes Brahms
    Wie rafft’ ich mich auf -
    August von Platen-Hallermünde
    Auf dem Kirchhofe - Detlev vonLiliencron
    Der Tod, das ist die kühle Nacht - Heinrich Heine
    Feldeinsamkeit - Hermann Allmers
    Mondenschein - Heinrich Heine
    Die Mainacht - Ludwig Hölty


    Zugaben:


    Franz Schubert


    Willkommen und Abschied D 767 Johann Wolfgang von Goethe


    Johannes Brahms


    Wie bist du meine Königin Joseph von Eichendorff

  • Die Damen eroberten den Heidelberger Frühling ...


    Auch in diesem Jahr bot der HEIDELBERGER FRÜHLING unter der künstlerischen Leitung von Thomas Hampson wieder eine Liedakademie an; in 2024 wurde Hampson von Dozentin Susan Manoff und Studienleiterin Elitsa Desseva unterstützt.
    Nach der Erinnerung des Berichterstatters waren die Damen bezüglich Präsens seit der Gründung 2011 noch nie so dominant, unter den acht Vokal-Stipendiaten war nur eine Baritonstimme zu hören.


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    Foto: ©studio visuell

    Von links nach rechts:
    Thomas Hampson / Sina Günther / Anna Gebhardt / Catalina Geyer / Luiza Ernst / Leonie Paulus / David Kennedy / Michèle Bréant / Wan-Yen Li / Maria Tilibtsev / Aiko Bormann / Lucas Huber Sierra / Susan Manoff / Elitsa Desseva


    Was der Außenstehende in dem öffentlichen Teil der Meisterklasse und im Abschlusskonzert zu sehen und zu hören bekommt ist nur die Spitze des Eisbergs, die Riesenarbeit findet übers Jahr statt und ist sehr breit gefächert; da geht es dann nicht nur um Gesangstechnik, sondern auch um Lyrik, Sprachcoaching ... bis hin zur Konzertplanung oder gar einem professionellen Fotoshooting.
    An der Fortbildung für professionelle Interpreten nahmen in diesem Jahr auch eine Pianistin und zwei Pianisten teil; es werden also keine Duos gebildet, wie zum Beispiel bei Wettbewerben in Heidelberg (Das Lied) oder Stuttgart (IHW-Akademie).
    Wenn man das Ganze nun schon seit einem Jahrzehnt vor Ort beobachtet, stellt man fest, dass Thomas Hampson hier nicht mal eben einfliegt, um den welterfahrenen Star-Sänger zu geben, sondern stets ein kollegiales, partnerschaftliches - und man kann sagen, fast väterliches Verhältnis zu seinen Schützlingen hat, wobei das ›väterliche‹ heute offenkundiger als vor zehn Jahren wirkt.


    Wirft man einen Blick auf das Programm dieses Abschlusskonzertes, so fällt sofort auf, dass Johannes Brahms bei insgesamt 32 Stücken ein Dutzend Mal vertreten ist, aber Franz Schubert nur einmal, von der Quantität her wird Schubert sogar noch von der auch komponierenden Sängerin Pauline Viardot überholt.
    Was die Mezzosopranistin Maria Tilibtsev wohl bewog das siebte Lied aus der »Winterreise« herauszureißen?


    Besonders aufgefallen ist (mir) Catalina Geyer, die man gerne en bloc gehört hätte; so übers Programm verstreut sang sie zwei Brahms-Lieder, eines von Francis Poulenc, Manuel de Falla und der zeitgenössischen Komponistin Isabel Mundry, wo sich Pianistin Anna Gebhardt schließlich mit den Händen in die Innereien des Klaviers begeben musste, das ist eben so bei moderner Musik ...
    Es erstaunt schon, wenn man liest, dass Catalina Geyer erst seit September 2023 an der Theaterakademie August Everding in München studiert.


    Diese Hervorhebung einer Stipendiatin soll die Darbietungen der anderen Damen und des Baritons nicht schmälern, andern Hörern mag anderes aufgefallen sein.
    Ein Hörgenuss war das zweistimmige ›Hüt du dich!‹ von Brahms, das Maria Tilibtsev (Mezzosopran) und Michèle Bréant (Sopran) gleich nach der Pause darboten und mit Brahms/Viardot ›Les Bohémmiennes auch den Schlusspunkt des offiziellen Programms setzten; wobei der vollbesetzte Saal jubelnde Begeisterung zeigte.


    Aber es war noch nicht der Schlusspunkt, die Stipendiaten zogen aus dem Saal und unter Jubel mit Sonnenblumen wieder ein, wohl ein Hinweis auf einen sehr späten Frühling ...
    Anstatt Notenblätter hatte man Tablets mitgebracht und stimmte gemeinsam, also die Pianisten eingeschlossen, das Brahms-Lied ›Da unten im Tale‹ an; das war Chorgesang höchster Qualität.
    Thomas Hampson ehrte man schließlich für seine nun zwanzigjährige Heidelberger Präsens am Neckarstrand, mit dem Lied ›Alt Heidelberg du feine‹ nach einem Text von Victor von Scheffel; der Komponist ist Simon Anton Zimmermann, dies zur Information, weil Zugaben im Programm nicht vermerkt sind.


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    Da auch die Klavierspielerin und die beiden Klavierspieler mit der Gesangsdarbietung zu tun hatten, sah und hörte man Elitsa Desseva, also die Studienleiterin höchstselbst, am Steinway.


    Unterm Strich war es insgesamt eine bereichernde Woche in Heidelberg, die wieder allerhand zu bieten hatte, denn da waren ja außer der Lied-Akademie mit diesem umfangreichen und begeisternden Abschlusskonzert, auch noch andere Liederabende im Programm und man sollte hinzufügen, zu durchaus erschwinglichen Preisen.


    Der Berichterstatter hat nur aus seiner Sicht ein paar Punkte herausgepickt; dieses Abschlusskonzert kann von jedem, der einen Internetzugang hat, selbst nach eigenen Kriterien begutachtet werden.

  • Ein Liederabend an der Frankfurter Oper


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    Der aus den USA stammende Tenor John Osborn hatte schon vor zehn Jahren das Frankfurter Publikum mit seiner Interpretation des Werther begeistert, am 8. Juli 2024 war er hier nun im Rahmen eines Liederabends zu hören, Beatrice Benzi begleitete am Klavier.
    Mit Beatrice Benzi hatte Osborn eine Partnerin mitgebracht, die weltweit mit herausragenden Künstlern und Orchestern zusammenarbeitet.


    Das Haus war gut besucht, aber nicht ausgebucht, was etwas verwundert, wenn man bedenkt welches Potenzial das Rhein-Main-Gebiet eigentlich hat.
    Der Sänger in etwas ungewohnter Umgebung, zwar durchaus bühnenerfahren, hier aber ohne Schminke und Kulissen, nur ein wunderschön ins Licht gesetzter Blumenstrauß, rechts vom Konzertflügel.


    Folgendes Programm wurde angeboten:


    Ludwig van Beethoven 1770-1827


    Adelaide op. 46


    Franz Schubert 1797-1828


    Ständchen D 957/4
    Du bist die Ruh D 776
    Die Forelle D 550
    Ganymed D 544


    Johannes Brahms 1833-1897


    O kühler Wald op.72/3
    O liebliche Wangen op. 47/4
    Botschaft op. 47/1


    - PAUSE -


    Manuel de Falla 1876-1946


    Siete canciones populares españolas op. 7
    El paño moruno
    Seguidilla murciana
    Asturiana
    Jota
    Nana
    Canción
    Polo


    Gabriel Fauré 1845-1924


    Poème d‘un jour op. 21
    Rencontre
    Toujours
    Adieu


    Ernest Charles 1895-1984


    The House On A Hill
    My Lady Walks in Loveliness
    Let My Song Fill Your Heart



    Der Liederabend war klar gegliedert - Beethoven stand am Anfang und die Kompositionen des erst 1984 verstorbenen Ernest Charles am Programmende, wo Osborn dann auch in seiner Muttersprache zuhause war.


    Es ist schon erstaunlich, wie ein in Sioux City, Iowa, geborener Mensch sich dreisprachig in die europäische Liedkultur einfühlen kann - bei den Zugaben kam noch eine weitere Sprache hinzu.
    John Osborn ist ja eher als Opernsänger bekannt und singt an den ganz großen Häusern; wenn Spitzentöne gefragt sind ist er der Mann für alle Fälle.
    Klug stellte er Beethovens ›Adelaide‹ an den Konzertanfang, denn wenn man es ganz genau nimmt, ist das unter den deutschen Kunstliedern ein Stück mit ariosem Charakter und eher eine Kantate als ein Lied.
    Bei den vier Schubert-Liedern stand eines der Weitverbreitesten gleich am Anfang und bei dem Rückert-Lied ›Du bist die Ruh‹, konnte der Sänger seine Gesangskultur eindrucksvoll zelebrieren, vom anfänglichen Piano bis zur vollen Stimmentfaltung.
    In der folgenden ›Forelle‹, hat Friedrich Daniel Schubart vermutlich biografisches verarbeitet, denn auch ihn hatte man tückisch angelockt, um ihn verhaften und festsetzen zu können.
    Osborn unterstrich seinen Gesangsvortrag bei ›so zuckte seine Rute‹ mit einer deutlichen Armbewegung.
    Der Schubert-Block schloss mit Goethes ›Ganymed‹, wobei der Sänger das Publikum mehr beeindrucken konnte, als es damals Schubert bei Goethe gelang, der eher an ›Begleitgeklimper‹ interessiert war und die Dominanz der Musik fürchtete.


    Wenn es um deutsche Romantik geht, darf Johannes Brahms nicht fehlen; das melancholische ›O kühler Wald‹, die Liebessehnsucht in ›O liebliche Wangen‹ und schließlich die orientalisch angehauchte ›Botschaft‹, ein Liederstrauß, dessen Vortrag etwa die gleiche Zeit beansprucht wie das eingangs gesungene ›Adelaide‹, beendete den ersten Konzertteil.
    Die beiden Protagonisten hatten den deutschen Teil ohne Eile bravourös gestaltet, was zur Pause mit reichlich und wohlverdientem Beifall bedacht wurde.


    Im zweiten Konzertteil ging es dann um Volkslieder, was im Anschluss an Brahms durchaus Sinn machte, weil dieser ja auch ein eifriger Sammler dieses Genres war.
    Nun stand also ein scheinbar waschechter Spanier am Flügel, der spanische Volkslieder vortrug, die Übersetzungen waren im Programmheft enthalten, so dass man darüber informiert war was gesungen wurde. Signora Benzi und ihr Tenor brachten diesen Liedblock mit bewundernswerter Leichtigkeit glaubwürdig zu Gehör, sodass es eine Lust war zuzuhören, auch wenn man des Spanischen nicht mächtig war.


    Man ging nun zum Französischen über; Gabriele Fauré war angesagt; Kenner glauben, dass bei der Komposition seines Opus 21 eigene Lebenserfahrungen eingeflossen sein könnten, denn im Hintergrund weiß man von einer missglückten Verlobung des damals 32-jährigen Komponisten.
    John Osborne singt im Opernbereich oft französisches Repertoire und hatte hier im Haus als Éléazar in Fromental Halévys Oper »La Juive« Triumphe gefeiert; nun konnte man dem Vortrag von ›Poéme d´un jour‹ lauschen, einem kleinen Zyklus von nur wenigen Minuten Dauer wo der Sänger bewies, dass er auch das kleine Format beherrscht.


    Nun war John Osborn bei seiner angestammten Kultur und Muttersprache angekommen, wobei die Darbietung drei Lieder von Ernest Charles umfasste, der selbst ja ein singender Komponist war und erfolgreich am Broadway auftrat.
    Zunächst beschrieb Osborn die Idylle des Hauses am Hügel, dann eine wunderschöne poetische Lady, es könnte Charles Frau gewesen sein, denn das war im realen Leben eine Mezzosopranistin. Mit dem letzten Lied ›Let My Song Fill Your Heart‹ kehrte man dann wieder nach Europa zurück, ein Song im Dreivierteltakt, Wien ließ grüßen.


    Der Beifall war stark und herzlich; es ist so Usus, dass das Publikum eine Zugabe erwarten kann - John Osborn hatte nun das Bedürfnis zu zeigen, was er so als Opernsänger drauf hat und sagte ›Una furtiva lagrima‹ aus Donizettis »Liebestrank« an, bravourös gesungen, natürlich!
    Danach ein kurzes Abtauchen zu einer Oper - fast operettenhaft - von Victor Herbert, ein Song aus »Eileen«.
    Dann ging der Tenor vor dem Flügel kurz in die Knie, etwas Theater sollte schon sein ...
    ›Che gelida manina‹ aus »La Bohéme«, betörend schön gesungen.
    Nach diesem beschaulichen Stück ging man zum hochartistischen Teil des Abends über: ›Ah, mes amis‹ aus Donizettis »Lafille du Régiment«, eine Arie mit sage und schreibe neun hohen ›C‹ bildete den krönenden und von tosendem Applaus begleiteten Abschluss des Abends.
    Natürlich Applaus nach jeder Arie, in den Osborn seine Pianistin miteinschließen wollte, aber die trat bescheiden zur Seite und wies auf den Sänger, für sie war klar, wer in diesem Konzertteil Chef im Ring war ...

    Militärisch salutierend zeigte dann John Osborn unmissverständlich an, dass nun aber endgültig Schluss ist.

    Der Altmeister des Liedgesangs - Fischer-Dieskau - hätte diese bunte Mischung vermutlich säuerlich kommentiert, aber man sollte hier schon anerkennend feststellen, dass man Zeuge einer bewundernswerten sängerischen Leistung war.

    Bravo! Bravo! Bravo!

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